Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.06.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010615025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901061502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901061502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-06
- Tag1901-06-15
- Monat1901-06
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis der Hauptexpeditton oder den 1» Gtadt» bezirk und den Vororten errichteten AuS« aabestellen abgeholt: vierteljährlich ^l 4K0, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus ^ll S.bO. Durch di« Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. ,4t 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bet den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-AuSgabe erscheint um Uhr,^ die Abend-Ausgabe Wochentags um ö Uhr. Ne-action und Expedition r AohanniSgasse 8. Abend-Ausgabe. KiWgcr TaMalt Anzeiger. Amtsblatt des Hönigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'» Sorttnl. Unwersitätsstraße S (Paulinum), Loui» Lischt, Katharinenstr, Ich Part, »ad Lönig-platz Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redacttonsstrich (4 gespalten) 7» H, vor den Familiennach richten («gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme ttö H (excl. Porto). Extra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderung «0—, mit Postbesörderung ^tl 70.—. Annahmeschlnß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet» an die Uxpetzitta» zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abends 7 Uhr- Druck und Verlag von -. Polz in Leipzig. Sonnabend den 15. Juni 1901. MI SS. Jahrgang. Die Wirren in China. Ehrungen des Grafen Waldcrsce in Tokio. Graf Waldersee ist in Japan fortgesetzt Gegenstand hoher Ehrungen. Die japanischen Autoritäten und die deutschen Eolonieen wetteifern mit einander, um dem Generalfeldmar schall den Dank der civilisirten Menschheit für seine Verdienste im Reiche der Mitte auszudrilcken. Dem „Berl. Local-Anz." wird hierüber gemeldet: * Tokio, 14. Juni. Gestern Abend hat der Generalseldmarschall dem Fest« des deutschen Clubs beigewohnt. Heute wurde er vom Kaiser in Abschieds-Audienz empfangen. Der Kaiser und die Kaiserin waren ungemein gnädig. Bereits gestern sandte der Kaiser dem Feldmarschall zwei prächtige Japanvasen und einen prächtigen Wandschirm, welcher in Stickerei den heiligen Berg Fndji-Uama mit seiner Umgebung darstellt. Sämmtliche Herren des Gefolges wurden heute mit hohen japanischen Orden, verschiedenen Classen des SonnenordenS, sowie des Ordens vom heiligen Schatz Lecorirt. Morgen findet ei» großes Fest der Deutschen in Yokohama statt. Nm Abend giebt der Feldmarschall im Shiba-Palast zu Tokio den Spitzen der japanischen Behörden ein Festmahl. Am 17. d. M. erfolgt die Abreise nach Nikko, am 18. von dort nach Kobe auf der „Bertha". Am 22. Juni erfolgt die Einschiffung auf der „Gera" von Nagasaki zur Heimfahrt. Ein neuer Reformator? Aus Sa» Francisco, 14. Juni, wird uns berichtet: Nach richten aus Honolulu vom 7. d. M. besagen, daß der chinesische Reformator Sunyatsen am 5. Juni mit dem amerikanischen Dampfer „Manu" nach China abgereist sei. Wie behauptet wird, soll er eine Revolution herbei- znführen beabsichtigen, welche den Sturz der Kaiserin- Wittwe und der Mandarinen bezweckt. Sein Plan sei, in China ähnlich wie in Amerika eine Regierung durch einen Präsidenten einzuführen. Er sagt, er stütze sich auf zahlreiche Anhänger. Feindliche Gesinnungen gegen die Europäer in vstasien. Wir hatten letzthin aus Shanghai berichten müssen, wie tief eingewurzelt der Haß der Bevölkerung im Innern Chinas gegen die Weiße Raffe ist. Daß auch in Japan eine „nativistische" Strömung gegen den Einfluß der europäischen Mächte in Ostasien Fortschritte macht, erhellt aus folgendem unö auS Tokio, 5. Mai, zugehenden Bericht: Fürst Kon oh e, der Präsident deS Herrenhauses, und seine politischen Freunde haben eine zweimal im Monat erscheinende Revue „The Toyo" — wörtlich übersetzt „Der Orient" — herauSgegeben, die außer dem japanischen Theil einen englischen und einen chinesischen enthalten soll. Fürst Konoye gründete schon im vorigen Sommer die „Xoüumin Dome! Kwai" — „nationale Bereinigung", au« welcher er als Inhaber eines Hosamtes nach den hier bestehenden gesetzlichen Bestimmungen austreten mußte, als Marquis Ito die Vereinigung zwang, sich als politische Partei zu organisiren. Die Lolcumiu Oomei Lvai, deren Ziel e« ist, Asien gegen „europäischeEroberungSzelüste" zu schützen, ist damals sehr zusammengeschmolzen, hat aber namentlich in den Provinzen eine große Zahl Gesinnungsgenossen, die der Vereinigung selbst nicht angehören, aber ihren Tendenzen huldigen und im Fürsten Konoye, der trotz seines Austritts der eigentliche Leiter der Xolcümiu vomei krvui ge blieben ist und dem von vielen Seiten eine große Zukunft prophezeit wird, ihren politischen Führer sehen. Das Programm der ersten Nummer des „Toyo", welche den Zweck verfolgt, für die Ideen der Xokumin Oomei birvai Propaganda zu machen, hebt in ziemlich selbstbewußter Weise Japans Machtstellung hervor, die es zur Folae habe, daß andere asiatische Länder, wie China, Korea, ^iam und die indischen Staaten, in Japan den modernen Repräsentanten asiatischer Macht und nationaler Lebenskraft erblickten. Japans Aufgabe sei, al« Freund und Netter dieser einst mächtigen Staaten aufzutreten, die sich jetzt unter „bmropeun menaces" (Bedrohungen durch europäische Mächte) beugen müßten. Der Leitartikel deS „Toyo" bringt die Ansichten^ des Fürsten Konoye über die mandschurische Frage. Der Fürst sucht nachzuweisen, daß alle betheiligten Mächte ein Interesse daran batten, die dauernde Besetzung der Mandschurei durch Rußland zu verhindern. Insbesondere aber sei Japan dabei interessirt und da eS gleich zeitig hier die stärkste Kriegsmacht sei, so sei es auch in erster Linie berufen, mit Energie gegen Rußlands Er oberungsgelüste auszutretcn. Wenn Rußland der Besitz der Mandschurei gestattet werde, so werde die Erkaltung der Integrität Chinas „u mors tarce", eine bloße Posse, und die „Xoroall illckvp6Nljou66 null Ker proteetiou Iiavo uv meauiug cvhutever" (die Unabhängigkeit Koreas und deren Schutz haben keinerlei Bedeutung mehr). Da aber Fürst Konoye bezweifelt, daß Cbina im Stande sein würbe, in der Mandschurei Ruhe und Ordnung wieder herzustellen und zu erhalten, so schlägt er vor, aus dieser Provinz, damit sie künftighin kein eusus Kolli sei, einen Pufferstaat uuter der Controle der Mächte zu bilde». Der Krieg in Südafrika. TaS Urthcil eines Schweizer LfficicrS. In der „Gazette de Lausanne" hat ein Schweizer Ofsicier, Leutnant Alexis Pache, unter dem Titel „Eindrücke eines Augenzeugen" seine Erlebnisse in dem Boerenkriege ver öffentlicht. Leutnant P. ist bei Beginn des Feldzugs nach Südafrika und zwar nach Natal geeilt, um in den Reihen der Boeren zu kämpfen. Wir begegnen gleich im Anfang einem Urtheil, daS für unS Deutsche von Werth ist. P. sagt bez. der Bewaffnung der Boeren: „Das Mausergewehr hat sich als gänzlich unzureichend erwiesen, um sich den Feind vom Leib zu ballen, die Kugel schlüpft wie eine Nadel durch, man muß sie als D u m d um - G eschoß Herrichten!" Im Munde eines Schweizer Officiers nimmt sich diese Bemerkung wunder- bar auS, nachdem s. Zt. die ganze gesittete Welt gegen die Verwendung der mörderischen Dumdum-Geschosse Seitens der Engländer in Indien Verwahrung eingelegt Hal. Der Tapfer keit der englischen Truppen läßt P. alle Gerechtigkeit wider fahren, und er nennt ihren Muth im Feuer bcwundernswerth. Auf die früheren Generale der Boeren ist P. nicht gut zu sprechen: sie seien im Anfang deS Krieges meist darauf bedacht gewesen, sich zu bereichern, überhaupt stehlen die Boeren wie die Raben, sie sollen sich sogar nicht geschämt haben, Len „Uit- landers" Pferde, Sattelzeug, Decken, Wäsche zu stehlen. (Dar über bat sich u. A. auch der Correspondcnt des „Berl. Loc.-Anz.", sowie verschiedene deutsche Ofsiciere bitter beschwert.) Trotzdem, sagt P.zum Schluß, sind die Boeren tüchtigeLeute. Sie vcrtheidigen weniger ihr Vaterland, als ihren Grund und Boden, an dem sie in eckt niederdeutscher Art mit Zähigkeit hängen. Im Großen Ganzen deckt sich die Ansicht deS Leutnants P. mit der allgemeinen Anschauung. Wenn die Boeren von Hause auS sich mit der Zähigkeit und Energie geschlagen batten, wie dies jetzt der Fall ist, und vor Allem, wenn sie ihre Siege am Tugela und am Spioukop ordentlich auS- geuiitzl hätten, dann würden auch ihre folgenschweren Nieder lagen vermieden worden sein. Eine Beendigung des Krieges ist nicht abzusehen, so lange die Boeren noch im Besitze von Munition und Lebensmitteln sind. (Schwäb. Mercur.) * Enpstadt, 14. Juni. („Nculer's Bureau".) Seit dem Auf treten der Pest ist heute zum ersten Male hier kein neuer Pest fall feslgestellt morden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. Juni. Ist auch soeben die RcichStagSersatzwahl in Ott- Weiler-St. Wendel günstig für die nationalen Parteien ausgefallen, so läßt sich nicht verhehlen, daß der Wahlkampf für die bevorstehende Ersatzwahl in Duisburg eim sehr viel schwie rigerer uns gefährlicher ist, obwohl die konfessionellen Verhältnisse hier günstiger für den nationalliberalen Bewerber liegen, als in Ottweiler, wo 56 Procent der Bevölkerung katholisch sind, während in Duisburg nur 46 Procent Katholiken vorhanden sind. Während aber in Ottweiler der Kampf nur nach einer Front hin zu führen war, näml'ch gegen das Centrum, find in Duisburg drei Gegner zu bekämpfen, Centrum, Socialdemokraten und freisinnige Voltspartei. Die letztere Partei hat, wie das officielle Organ der Partei feststem, soeben einen eigenen Candidaten aufgestellt. Welchen Zweck diese Kandidatur Hot, ist allerdings nicht wohl abzusehen, da die Zahl der Fortschrittler im letzten Jahrzehnt in diesem Wahlkreise rapide zurückgegangcn ist. Bei den Wahlen von 1890 wurden noch 4496 freisinnige Stimmen abgegeben, 1893 nur noch 1659 volksparteiliche Stimmen uns bei den letzten Wahlen gar nur noch 863; die Candidatur eines eigenen voltsparteilichen Bewerbers kann also nur den Erfolg haben, die Schwäche dieser Partei am Niederrhein vor Augen zu führen. Sehr viel ernster schon ist die Gegnerschaft der Socialdemokratie zu nehmen. Diese Partei hat seit 1887 ganz außerordentliche Fortschritte im Wahlkreise Duis burg gemacht; von 1090 Stimmen im Jahre 1887 ist sie auf 2953 bei den Wahlen von 1890, auf 6121 bei den Wahlen von 1893 und auf 7804 bei Len Wahlen von 1898 gestiegen. Dem gemäß wird man diesmal auf etwa 9000 socialdemokratische Stimmen zu rechnen haben. So stattlich diese Stimmenziffer auch ist, insonderheit im Vergleiche zu der Siimmenzahl der frei sinnigen Volkspartei, so reicht sie doch bei Weitem nicht aus, um der Partei eine Aussicht für die Stichwahl zu eröffnen, denn die nationalliberale Partei und das Centrum bringen je etwa 20 000 Stimmen auf. Leider hat, insbesondere zufolge des selbst ständigen Vorgehens der Antisemiten, das Centrum die Nationalliberalen an Stimmen überflügelt, während vor dem ersten Auftreten der Antisemiten in dem Wahlkreise die national liberale Partei bei Weitem an der Spitz« stand. Noch 1890 hatten die Nationalliberalen einen Vorsprung von nahezu 5000 Stimmen, der 1893, als die Antisemiten zum ersten Male einen eigenen Candidaten aufstellten, verschwand, um sich bei den Wahlen von 1898 sogar in ein Deficit von mehr als 1000 Stimmen zu verwandeln. Irgendwelche Aussicht auf Erfolg hat die antisemitische Candioatur nicht; sie kann also lediglich dazu dienen, den Muth der Centrumspartei zu beleben. Wenn wirklich da- preußische StaatSministerium beschlossen hat, fortan Verlautbarungen halbamtlicher Art nur noch durch tix „Berl. Corr." und die „Nordd. Allgem. Ztg." erfolgen zu lassen, und wenn wirklich der Reichskanzler eine analoge Anweisung an die Chefs der Reichsämter bat ergeben lassen, so sind die folgenden Aus führungen, in denen die „Berl. Polit. Nacbr." einen Vor schlag zur Aenderun» »es ktranlrnversichcrunaS«esetzcS begründen, Privalansichten des Herrn Victor Schweinburg: „Die von der Socialdemokratie geleiteten Kranken- cassrn haben sich in den letzten Monaten dadurch bemerklich gemacht, daß sie mit Aerztrn sowohl als mit Apothekern um di« Höhe der Zahlungen für den Kranke» zu gewährende Leistungen in Streit geriethen. Es ist von einem Theile der Presse ganz richtig heraus- gefunden, daß es sich bei diesem Streit» um daS Geld erst in zweiter Linie handelt, hauptsächlich will die Socialdemokratie Aerzte und Apotheker ihre Macht fühlen lassen und sie so in da» socioldemo- kratische Lager hinübcrziehen. Es kommt bei den Stettigkejten aber auch noch ein anderer recht wesentlicher Gesichtspunct zur Er wägung. Wer die Entwickelung der Berufsgenossen- schaften und der Jnvalidenversicherungsanstalten ver- folgt hat, wird mit Freude wahrgenommen haben, daß diese Ber- ficherungsträger ihre Hauptaufgabe nicht in der Zahlung von Renten und Unterstützungen, sondern, abgesehen von der aus Verhütung der Unfälle und der Invalidität gerichteten Thätigkeit, in der möglichst baldigen und möglichst intensiven Wieder herstellung der Gesundheit der Versicherten sehen. Nur daun ist den Letzteren und ihren Familien am besten geholfen, wenn die größtmögliche Erwerbsfähigkeit schnellstens wiedergewonnen wird. Deshalb geben auch Berufsgenossenschafteu wie Versicherungsanstalten verhältnißmüßig bedeutende Summen für Aerzte und Arzneien aus. Sie nützen damit der Arbeiterschaft und ersparen durch Verringerung der Renten, und Unterstützungöbeträge den Arbeitgebern allzugroße Kosten. DaS Vorgehen ist also vom humanen, wie vom volkSwirth- schastlichen, wie schließlich vom finanziellen Standpunct auS zu billigen. Dir Krankencassen, soweit sie von der Socialdrmokratie ge- leitet werden, verfahren umgekehrt. Sie suchen möglichst viel bei den Kosten für Aerzte und Arzneien zu spare» und versprechen dafür den Arbeitern möglichst hohe» Krankengeld. S!« legen demgemäß auf di« baldigst» und umfassendste Herstellung der kranken weniger Werth, waS ja auch schon daran» hervorgeht, daß die Berufsgenossenschaften vielfach die Unfall- verletzten, die noch in der Behandlung der Lassen sind, in eigene Behandlung nehmen, — wollen aber, wenigsten« vorgeblich, die Unterstützungen möglichst hoch bemessen. ES kommen also innerhalb der Arbeiterversicherung zwei Bestrebungen zur Erscheinung, die diametral entgegengesetzt sind. Es ist keine Frage, daß das Princip der BernsSgenossenschaften und Versicherungsanstalten den Vorzug sowohl vom ethischen wie culturellen Ge- sichtspuncte au» verdient, und es wird wohl an der Zeit sein, zu erwägen, ob diesem Princip nicht auch in der Kranken versicherung, etwa durch eine Aendrrung des Kranken- versicherungSgesetzeS, Geltung zu verschaffen sein würde. Es ist ja Angesichts der für den nächsten Ab- schnitt der ReichStagStagung in Aussicht stehenden großen sonstigen gesetzgeberischen Vorlagen zweifelhaft geworden, ob schon bald eine Krankencassennovelle in gesetzgeberische Behandlung ge nommen werden wird. Jedenfalls wird diesem bei den letzten 321 Ein Engel -er Finsterniß. Roman von Gertrude Warden. Autorisirte deutsche Uebersetzung von A. BraunS. NaLtruck verboten. (Schluß.) Noch einmal entrollte sich vor ihrem inneren Auge ihr ganzes Leben, wie sie so still und regungslos dasaß — ihr ganzes Leben von fünfundzwanzig Jahren mit seinen steten Wandlungen, seinen kaleidoskopischen Veränderungen unv raschem Wechsel — von einem Palast in eine Dachkammer, von dem billigen Logis einer Operntruppe vierter Classc in luxuriöse Hotels und an feenhaft erleuchtete Spieltische, wieder zurück in oie Dürftigkeit; und dann dies« letzte blendende Aussicht auf ein großes Vermögen, um das sic gespielt, gesündigt und — verloren hatte. Schon in den Kinderjahren hatte sie nach Macht und Glanz verlangt — insonderheit nach Macht — und die Kenntniß, Mittel zu besitzen, Leben heimlich rauben zu können, war für sie ein« Quelle wonnevoller Freude gewesen. Ihre Leidenschaften waren stark, ihr Wille jedoch noch stärker, aber von all der großen Anzahl der sie beherrschenden Laster war das mächtigste die Grau samkeit. Ihre Augen leuchteten flammend auf, und das warme Blut schoß ihr in die Wangen beim Anblick eines in Todesqual sich windenden Geschöpfe». Und wie in den alten Zeiten ihre römischen weiblichen Vorfahren in den wilden Spielen in der Arena geschwelgt hatten, so legte auch Francesca auf Menschen leben keinen Werth, und da sie selbst vollkommen physische Ge sundheit besaß, so freute sie sich über den Anblick von Schmerz und Weh bet Anderen. Und dieser Mann vor ihr, dieser Mann, den sic nach ihrer Fayon liebte, hatte sie erkannt und haßte sie. Sie konnte seinen Willen nicht brechen, konnte ihn nicht beherrschen, konnte ihn nicht einmal täuschen. So denkend, saß sie da, und ein Gefühl ihrer Ohnmacht und völligen Mißlingen» bemächtigt« sich ihr«. Sie, di« schön«, glänzende Francesca, die geglaubt hatte, über rin« Million zu gebieten und diesen Mann da zu ihren Füßen zu hab«n, bi» sie seiner überdrüssig, wollte nicht wi« rin« überführt« verbrech«!» au» diesem Herrenhaus« in da» kalt« Dunkel hinaulkriechen, jene Beiden — Dudley und Betty — darin zurücklaffend, über ihre Niederlage zu triumphiren. Auch zu einem Dasein von täglichen Entbehrungen und Noth- behelfen, in welchem ihr jetzt auch noch die sklavischen Dienste jener Creatur fehlten, Vie ihr von ihrer Wiege an treulich aus gewartet, wollte sie nicht zurückkehren. Dudley Nevelsworth sollte wenigstens Grund haben, sich ihrer zu erinnern, so lange «r selbst Odem und Leben hatte. „Ich werde gehen", preßte sie schließlich über die Lippen, ihre Stimme aber hatte einen hohlen, wie aus der Ferne tönen den Klang. „Du sollst von mir nie wieder in irgend einer Weise belästigt werden." Mit der rechten Hand hob sie den Kopf der emaillirten Schlange, die sich um ihr linkes Handgelenk wand. „Willst Du mir nicht Lebewohl sagen?" fragte sie sehr sanft. „Lebe wohl!" sagte er, blieb aber regungslos an der Thür stehen, sie zum Hinausgchen für sie offen haltend. Sie rührte sich jedoch nicht von der Stelle, blickte ihn nur mit flehenden Augcn an, die sich langsam mit Thränen füllten. „Lebe wohl!" murmelte sie. „Nichts weiter als das? Unv es ist doch zum letzten Male! Und ich habe Dich geliebt! O Dudley, sieh mich an! Wenn ich jetzt gehe, und Du mich auf Erden nie wiedersiehst, willst Du mir da nicht ein einziges Mal einen Kuß geben, nur als Beweis, daß Du mir verzeihst?" Francesca war aufgestanden und einen Schritt näher zu ihm herangetreten, di« rechte Hand dabei immer um ihr linkes Hand gelenk geschlungen haltend. Mit schimmernden Augen unv leise geöffneten Lippen neigte sie den Kopf ein wenig nach ihm hin, Dudley fuhr aber kalt zurück. „Ich kann Dir nimmer vergeben, was Du den Meinen Böses gethan", sagte er und drehte sich um, das Gemach zu verlassen, da sie in Schweigen verharrte. Wie er den Fuß über die Schwelle setzen wollte, schlug ein Laut, wie Schluchzen an sein Ohr. Francesca war auf ihren alten Platz und in die Polster zurückgesunken und starrte ihn unverwandt an. Eben dieser stiere Blick und etwas Sonder bares und Unnatürliches in ihrer ganzen Erscheinung fesselte seine Aufmerksamkeit. Er blieb stehen. Anfangs dachte er, es wäre ein Ohnmachtsanfall, und stand schon im Begriff, Betty zur Hilfe herbeizurufen. Dann redete er FranceSca an; da aber keine Antwort erfolgte, ging er, erfaßt von plötzlicher bangevoller Bcsorgniß, zu ihr hin und berührte sie leise an der Schulter. Francetca'» Haupt sank schwer nach vorn, und jetzt gewahrte Dudley, daß ihre Lippen fest zusammengepreßt und die Züge verzerrt waren, wie von einem Krampf intensivsten Schmerzes. Jetzt lag die Nothwendigkett, sie zurückzuweisen, nicht mehr vor. Sanft legte er sie in die Kiffen zurück und bemühte sich, die starren Finger, welche den Kopf der Viper noch festhielten, zu lösen. Zwei kleine schwarze Pünctchene auf der weißen Haut an der inneren Seite der Finger erzählten ihre eigene Geschichte. Nachdem er die von schwerem Todcskampf zeugenden blauen Augen zugcdrückt, und das lange glänzende Haar glatt gestrichen, breitete er sein Taschentuch über das entstellte, einst so schöne Antlitz. Dann verschloß er mit einem Herzen voll Mitleid und Weh die Thür und ließ die Todte allein. * * * * Als zu Johanni ves folgenden Jahres die Revelsworth'sch« Vermögens- und Erbschaftsangelegenheit endgiltig geordnet ward, fiel das ganze liegende Besitzthum und Bacrvermögen — wegen dessen Erlangung zwei Menschenleben geopfert wurden — Dudley Nevelsworth als alleiniges Eigenthum zu. Er selbst nahm sich nicht die Mühe, mit seinen Ansprüchen vorzutreten, sondern überließ die ganze Sache seinen Sach waltern. Seit dem aufsehenerregenden Selbstmord seiner Cou sine, mit der er nach dem umlaufenden Gerücht fast verlobt ge wesen sein sollte, hatte Dudley überhaupt England gemieden und war nach dem Norden Europas gereist. Nach Francesca's Be erdigung fand sehr bald die völlige Auflösung des Hausstandes in Nevelsworth House mit seinen häßlichen Erinnerungen statt. Die Dienerschaft war abgclohnt worden, und es stand geraume Zeit v»rlassen da, indem Betty eine dringliche Einladung zu einem langen Besuche bei Madame Gilles angenommene hatte, bis sich schließlich ein Miether dafür in der Person eines alten Herrn fand, bei dem die Ersparniß einen wichtigeren Factor bildete, denn der Aberglaube. Von jener gottlosen dämonischen Person, die sich unter dem Namen „Frau Harold Nevelsworth" eingeschlichen, ward in der Umgegend keine Spur wieder sichtbar. Wenige Stunden nach Francesca's Tode wurde die Entdeckung gemacht, daß sie ver schwunden war, nachdem sie sich freigcmacht von ihren Banden und mit katzenartiger Behendigkeit auS den Fenstern de» Zimmer» geklettert und die Flucht ergriffen, wie der abgerissene und ge- knickte Epheu und das Spalier darunter bezeugten. Daß Dudley Schritte zu ihrer Ergreifung thun würde, sah ihm nicht ähnlich, und so ist bi» zum heutigen Lage nicht be- kannt geworden, ob sie den Weg nach Italien zurückgefunden hat, oder in der armen italienischen Colonie in der Nähe von Saffron Hill als Giftmischerin noch hcxenartig haust. Ein halbes Jahr nach Auflösung des Rcvelsworth'schen Haushaltes heirathete Wevdon son. das Stubenmädchen Suse und übernahm mit ihr eine Gastwirthschaft an den Ufern der Themse, da er von Herrn Dudley Nevelsworth, als er ihn seiner Dienstleistungen enthob, mit einer sehr guten Pension bedacht worden war. Josef aber trat als Kellner in ein Londoner Restaurant. Sein Vater und seine Stiefmutter wollten nichts von ihm wissen und prophezeiten, ihn dereinst noch auf der An klagebank sitzen zu sehen. An demselben Johannistage, an welchem das Revels- worth'sche Gesammtvcrmögen in Dudley's Alleinbesitz überging, traf er in Frankreich in dem Schlößchen seiner Stiefmutter ein und gesellte sich hier im Garten einer glücklichen Familiengruppe zu — einer aus fünf Personen bestehenden Gruppe, und zwar Monsieur Gilles, kräftig und strahlend, in weißer Weste und Strohhut, sich sonnend und über die Maßen stolz auf seinen bausbackigen, blühenden Stammhalter in weißen Spitzen und Stickereien, getragen von einer bebänderten Elsässer Bonne, und noch zwei niedlichen Damen, die für Schwestern hätten gelten können, trotz des Altersunterschiedes von zwanzig Jahren. Die petits nnörs war so reizend, wie nur je, wenn auch ein wenig, ein ganz klein wenig stärker, als früher, und die zu- fällige Aehnlichkeit zwischen ihr und Betty, die ihren beiden Söhnen aufgefallen und dieselbe ihnen so theuer gemacht hatte, wurde jetzt noch mehr hervorgehoben durch die Gleichheit ihrer frischen, weißen Sommertoiletten und die gleichen kleidsamen Haarfrisurcn, da Betty ihr dunkles Haar hatte wachsen lassen. Von den beiden Damen wurde Dudley mit Heller Freude bewillkommnet, und dieser, kaum wieder zu erkennen vor Sonnen brand, nahm den Hut von dem stark ergrauten, braunen Locken haar und umschlang Beide zugleich mit den Armen und küßte sie Beide in rascher Aufeinanderfolge. Betty lachte erröthend, halb erfreut und halb verdrießlich, ob denn in einer derartigen Begrüßung nicht etwas zu Brüder liches liege. Dudley » erste Worte verscheuchten jedoch jedes bangende Mißverstehen, da er in Lauten tiefster Zärtlichkeit ausries: „Dem Himmel sei Dank, daß ich Such Beide wiederhab« — meine Mutter und meine künftige Frau!"
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite