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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.07.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010706026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901070602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901070602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
- Tag1901-07-06
- Monat1901-07
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Sonnabend den 6. Juli 1901. Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 2S H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespallen) 75 vor den FamUiennach» richten («gespalten) K0 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen uud Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Au»gabe, ohne Postbeförderuug 60—, mit Postbesörderung ^l 70—> Ännahmeschtuß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Pol» tu Leipzig. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Au» dem Lager der Boeren. Von einem Mitkämpfer der Boeren vom 5. Juni: „Der Bice- Präsident von Transvaal, Schalk (sprich: Skalk) Burger, ist als solcher wieder einmal in Action getreten, indem er in Er- kenntniß der günstigen Chancen sein Volk durch Mittheilung derselben und durch Widerlegung des aus englischer Quelle stammenden Gerüchtes, daß er annehmbare englische Friedens vorschläge zurückgewiesen habe, in zündender Rede zu neuer Thatkraft zu entflammen wußte. Er durfte es wagen, im Thal von Nigels, im Herzen des schon vor Jahresfrist von den Eng ländern eroberten Landes, von diesen unbelästigt, eine große Volksversammlung abzuhalten, die mit der einstimmigen Er klärung sämmtlicher Anwesenden endete, denKrieg bis auf deg letzten Mann fortzusetzen. Ich sehe die Situation von Nigels vor mir, als wäre ich gestern dort gewesen. Ein langes und weites Thal, rings von Höhen umgeben, inmitten desselben ein ziemlich großer See, einer jener wenigen, welche Transvaal besitzt, über das ganze Thal verstreut ca. 30 im Betriebe und im Entstehen gewesene Gold- und Kohlenminen, kenntlich durch einige große Wellblechschuppen, einen hohen, eisernen Schornstein und je nach Alter der Mine einen größeren oder kleineren Haufen Abraum resp. entgoldetes Gestein; nicht weit vom See ein Kirchlein, um welches sich der Ort Nigels, gleichfalls nur aus Blechhäusern bestehend, herum krystal- lisirt hat. Um ihn herum überall an geeigneten Stellen ver lassene englische Befestigungen, aus denen die Besatzung kü'zlich erst vertrieben worden: seitwärts auf einer kleinen, den Ort be herrschenden Höhe eine Gruppe von Zelten, dazwischen Wagen und in Decken gehüllte Schläfer, ringsherum dazwischen weidende Pferde und Ochsen, erstere meist mit Decken versehen, denn der Boer friert lieber selber, ehe er sein Pferd dem Nacht frost aussetzt. Es ist noch früh am Morgen, die ganze Thalebene und Alles, was darauf lebt und webt, ist mit Reif bedeckt. Im Lager wirds lebendig, die Wachtfeuer, von einigen treu ge bliebenen Kaffern angefacht, flammen auf, doch läßt der eisige Nebel, der die Thalsohle bedeckt, den Rauch nicht auftommen, und erstickend lagert er zwischen der Zcltgruppe. Einige Mann satteln auf, um auf Brandwache zu ziehen. Meldereiter kommen und gehen. Die siegende Sonne kommt hinter den Bergen her vor und gießt ihre belebenden Strahlen über das Thal. Im Nu sind die Nebel vertheilt, Reif, Eis geschmolzen, und Mensch und Thier geben sich dem wohligen Gefühl hin, welches die wärmen den Strahlen auf dem halb erstarrten Körper verursachen. Aus den Häusern, von allen möglichen einigermaßen geschützten Stellen, kommen die vermummten Gestalten hervor und gehen ans Feuer, wo inzwischen der duftende „Cofie" geworden, und damit ist die allgemeine Zufriedenheit vorläufig hergestellt, zumal, wenn noch vom vorigen Tage ein Stück „Fettkuki" für Jeden vorhanden ist. Man hört Lachen und Scherzen, trotz des Ernstes der Zeit, nur in der Nähe des Zeltes von „die Pre sident" wird nur mit unterdrückter Stimme gesprochen, denn „he slapt noch", weil er in der Nacht mehrere Male durch ein treffende Meldungen gestört worden. Da wird's drüben im Thale lebendig, von allen Seiten sieht man Reiter in Trupps und einzeln herankommen in der dort eigenthümlichen Gangart zwischen Trapp und Galopp, die bei derselben Geschwindigkeu die Pferde lange nicht so schnell ermüdet, als diese. Wie die Pferde auf alten Turnierbildern sehen diese ruppigen Gäule aus mit ihren lang hinterher wallenden bunten Dcclen, denn auch ihre Reiter haben ihnen bei dem langen Ritte in dem frühen Morgen noch eine Decke hinter dem Sattel befestigt. Tie Reiter selbst in verwetterten Kleidern, unter denen man viel fach englische Uniformstllcke, Mäntel, den englischen Gefangenen abgenommene Beutestücke, sieht, die Hutkragen herunter, wenn möglich einen dicken Shawl um den Hals, den stets in tadel losem Zustande befindlichen Mauser oder das englische Lee- Metford-Gewehr auf den Schenkel gestemmt, den Patronengürtel oder die Patronenweste umgehängt, womöglich einen kleinen Theekessel am Sattel hängend, — mit struppigem Haar und vcr- wcttert, so kommen sie daher, denn Haarschneiden ist in diesen Tagen ein Luxus geworden, und sie werden von den schon vor handenen Kameraden freudig und herzlich begrüßt. — Ueberall werden Feuer angeziindet, um „Cofie" zu kochen, während sich die Führer der einzelnen Kommandos in das Präsidentcnzelt be» geben, um sich und ihre Leute dort zu melden. Auf Aller Mienen sieht man eine gewisse Spannung; es muß etwas Besonderes vorliegen, denn der Präsident hat alle Kom mandos, denen der Weg dazu offen steht, hierher zu einem Volks rath befohlen, — und vielleicht handelt es sich um Uebergabe, weil der Krieg aussichtlos ist, vielleicht um Frieden, oder er hat ihnen eine große Siegesbotschaft zu verkünden. --- wer weiß es? Tis nächste Stunde wird die Aufklärung bringen. Nur noch vereinzelte Reiter treffen ein, und es sind sch»n über 1000 Männer jeden Alters vorhanden, in Gruppen liegen oder sieben sie schwatzend umher, ihre Erlebnisse austauschend, ein Stück Brod oder Biltong in der Faust, die treue Büchse neben sich. — Da plötzlich verstummt Alles, der Präsident ist vor sein Zeit getreten, ihm zur Seite der Staatssekretär Reitz. Kein Rang abzeichen, keine besseren Kleider machen diese beiden Männer be sonders kenntlich, und sie tragen ihren Mauser so gut wie jeder An dere. Schalk Burger steigt, ehrerbietig begrüßt, auf einen Haufen Steine, sagt einige Worte zu den Nächststehenden, und gleich darauf klingen die Töne eines altholländischen Chorals, zuerst vereinzelt, dann stärker und stärker anwachsend mit mächtigem Brausen aus tausend Kehlen, in den stillen Morgen hinaus. Entblößten Hauptes stehen sie da, diese wetterharten, kampf gestählten Mäyner, die einig sind mit sich und ihrem Gott, ent weder frei zu sein und zu bleiben, oder zu sterben. Die Feigen und Wankelmüthigen sind längst zwischen ihnen heraus, entweder gefangen worden, oder sie haben sich freiwillig ergeben. Der Gesang verstummt, und Schalk Burger ergreift das Wort zu einer längeren Rede. Ich sehe den Mann vor mir stehen, wie öfters im Volksrath zu Ohm Paul's Zeiten, schwächlich von Gestalt, in abgetragenem Anzuge, in dem blassen Gesicht mit dem schwarzen Knebelbarte ein Paar tief schwarze Augen, die im Feuer der Reoe Blitze zu stö'ühen scheinen, die Hände in den Rocktaschen, und nur durch Bewegung des Kopfes die markanten Stellen seiner Rede betonend. Er ist ein gewandter Redner, und was er sagt, ist seinen Hörern ein Evangelium. Er sagt, daß er seine Burghers zusammengerufen hat, um ihnen über den Stand des Krieges Mittheilung zu machen, — er redet über die günstigen Aus sichten, die jetzt vorliegen, und über die großen Verlegenheiten der Engländer; er widerlegt gegentheilige Gerüchte, die dazu bestimmt sind, den Boeren den Muth zu nehmen, und feuert sie mit flammenden Worten zu weiterem Widerstande an, in dem einzig und allein das ganze Heil des Landes liegt. Da tritt ein alter Boer vor: „Wach en bitjen, President. Jk fall ?)e wat fragen: Wir sind müde und das Land ist müde, warum hat der Präsident die Friedensvorschläge der Engländer nicht angenommen?" In Antwort hierauf betont Schalk Burger, daß die Bedingungen unannehmbar gewesen seien. In glühenden Farben schildert er die Zustände, welche die Annahme derselben hcrbeigeführt haben würde, und stellt schließlich, als der zur Ausführung des Volkswillens Beauftragte, die ent scheidende Frage, ob der Krieg unter den obwaltenden Um ständen fortgesetzt werden soll oder nicht. Ein tausendstimmiges „Ja, bet up die latste man" ist die Antwort. Dann gedenkt Schalk Burger noch des in Europa weilenden Ohm Paul, der dort für das Wohl des Boerenlandes unermüdlich thätig ist, und mit einem donnernden Hoch auf „die Land" wird die Volks versammlung geschlossen. Jetzt sind alle Zweifel zerstreut, und Jeder weiß, wie cs um die Boerensache und mit den Engländern bestellt ist. Be friedigt und mit neuem Muthe, mit den üblichen Abschieds worten: „Alles fall recht kamen", reiten sie von dannen, so wie sie gekommen sind, fest entschlossen, nach ihrem Votum und nach dem Rathschlag des Vicepräsidenten zu handeln, und mit un glaublicher Schnelligkeit erfahren noch alle diejenigen Boeren, welche der Versammlung nicht beiwohnen konnten, was auf der selben verhandelt und beschlossen worden ist. Bald ist das Thal von Nigels wieder vereinsamt wie zuvor, der Präsident mit seinem Stabe und seinem eigenen Lager ist auch davongezogen, denn lange ist seines Bleibens nicht an einer Stelle, da der Feind mit übermächtigen Truppenmassen nicht weit entfernt sein kann. Und wenn nun die Engländer kommen, um wieder von dem Thal Besitz zu nehmen und wo möglich das Nest auszunehmen, dann finden sie kaum eine Spur, aber den Erfolg dieser Versammlung werden sie im ganzen Lande spüren, an der Größe und Kühnheit und dem ziel bewußteren Vorgehen der Boeren." * London, 5. Juli. Nach der amtlichen Verlustliste fielen in Südafrika im Monat Juni 15 Osficiere und 152 Mann. Ver wundet wurden, ausschließlich der verwundeten Gefangenen, 42Offi- ciere und 444 Mann; ihren Wunden erlegen sind 6 Osficiere und 60 Mann, vermißt und gefangen 3 Osficiere und 75 Mann. (Das sind sehr erhebliche Ziffern. D. Red.) Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Juli. In unserem heutigen Morgenblatte theilten wir die einem süddeutschen Blatte entstammende Meldung mit, der frühere Reichskanzler Fürst Chlodwig zu Hohenlohc- TchillingSsürst sei bei seinem Sohne, dem Bezirkspräsidenten Prinzen Alexander, in Colmar i. E. „zu längerem Besuche" eingetrosfen. Heute meldet der Telegraph aus Ragaz, der hochbetagte Fürst sei daselbst in der vergangenen Nackt gestorben. Ob er von da, wo er zum Curgebrauche weilte, den Besuch in Colmar ausgeführt oder ob ihm der Tod die Ausführung der Absicht abgeschnittcn, werden weitere Nachrichten klarstellen. Jedenfalls ist dem längst der Ruhe Bedürftigen längeres Leiden erspart geblieben. Schon damals, als ihm nach dem Sturze des Grafen Caprivi die Würde und Bürde eines deutschen Reichs kanzlers und preußischen Ministerpräsidenten auferlegt wurde, war er ein Greis, der durch ein an Arbeit und Erfolgen reiches Leben Anspruch auf Rübe gehabt hätte. Und er sollte auch eine besonders rege Thätigkeit gar nicht entfalten; sein Name und seine Vergangenheit sollten den deutschen Bundes fürsten und dem deutschen Volke als Bürgschaft dafür dienen, daß während seiner Amtsführung das, was infolge kaiserlicher Initiative die Staatssekretäre im Reiche und die Minister in Preußen vorbereiteten und thaten innerhalb jenes Curses sich bewegte, auf dem Bismarck zur Gründung und zum Aus baue des Reiches gelangt war. Tiefe Aufgabe war schwerer, als der greise Fürst selbst geahnt haben möchte. Noch war er nicht alt genug, nm auf jede Initiative zu verzichten, und doch zu alt, alle die Köpfe und Sinne, die das Wohl Les Reiches und des führenden Staates auf verschiedenen Wegen fördern ;n können glaubten, auch nur nothdürftig nach einer Richtung zu lenken. Sv mehrten sich die Klagen über den „Zickzack- curs" mit jedem Monat, mehrten sich die Reibungen und die SelbstständigkeilSregungen der Reichsstaatssekretare wie der preußischen Minister. Unter jenen erlangte der jetzige Reichs kanzler Graf Bülow, unter diesen der mittlerweile auch ins Privatleben zurllckgetretene Finanzminister vr. v. Miquel den größten Einfluß. Und als es sich darum bandelte, vor dem wieder zusammentretenden Reichstage dessen späte Einberufung und die zur Bekämpfung der chinesischen Wirren ergriffenen Maß regeln zu vertheidigen, da wurde dem Fürsten klar, daß er nicht mehr im Stande sei, seine Aufgabe zu lösen. Ob er, als er am 15. October vor. Jahres nach Homburg zum Kaiser reiste, zu dieser Klarheit schon gelangt war oder ob sie ihm dort erst vermittelt wurde, ist nicht bekannt geworden. Viel leicht erhält man nach seinem Tode Antwort auf diese noch ungelöste Frage. Bis jetzt weiß man nur, daß der Kaiser am 17. October von Homburg aus an den greisen Staats mann folgendes Schreiben richtete: Mein lieber Fürst! So ungern Ich Sie auch au» den bis herigen Stellungen im Reichs« und Staatsdienste scheiden sehe, so hcibe Ich doch geglaubt, Mich nicht länger dem Gewichte der Gründe, die Ihnen die Befreiung von der Bürde Ihrer verantwortungs reichen Acmter Wünschenswerth erscheinen lassen, verschließen zu dürfen. Ich habe daher Ihrem Anträge aus Dienstentlassung mit schwerem Herzen stattgegeben. Es ist Mir ein Bedürfniß, Ihnen bei dieser Gelegenheit, wo Sie im Begriffe stehen, eine lange, ehrenvolle Dienst laufbahn abzuschließen, für die langjährigen treuen und ausgezeich neten Dienste, die Sie in allen Ihnen übertragenen Stellungen dem Reiche, dem Staate, sowie Meinen Vorfahren und Mir mit auf opfernder Hingebung und unermüdlicher Pflichttreue unter den schwierigsten Verhältnissen geleistet haben, Meinen wärmsten Dank noch besonders auszujprechen. Möge Ihnen nach einer so thaten« reichen Vergangenheit durch Gottes Gnade ein langer, glücklicher Lebensabend beschicken sein! Als äußeres Zeichen Meiner Aner kennung und Meines dauernden Wohlwollens verleihe ich Ihnen den hohen Orden vom Schwarzen Adler mit Brillanten und lasse Ihnen dessen Insignien hierneben zugehen. Ich verbleibe Ihr wohl geneigter und dankbarer Kaiser und König Wilhelm, I. R. Am 18. October meldete der „Reichsanzeiger": Se. Majestät der Kaiser haben allergnädigst geruht, dem Reichs kanzler, Präsidenten des Staatsministeriums und Minister der aus wärtigen Angelegenheiten, Fürsten zu Hohenlohe-SchillingSfürst, Prinz von Ratibor und Corvey, die nachgesuchte Entlassung aus seinen Aemtern unter Verleihung des hohen Ordens vom Schwarzen Adler mit Brillanten zu ertheilen und den Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Grafen von Bülow, zum Reichskanzler, Präsidenten des Staatsministeriums und Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu ernennen. Beklagt hat unter den damaligen Umständen den Rück tritt des Fürsten keine Partei; alle Blätter aber, die ihm gerecht zu werden sich bemühten, beklagten ihn selbst wegen der schweren Bürde, die ihm in so vorgerücktem Alter noch auferlegt worden war, zählten die einzelnen Erfolge auf, die er trotzdem uock erzielt, und wünschten ihm gleich seinem Kaiser noch einen langen, glücklichen Lebensabend, an dem die höheren Verdienste gewürdigt werden möchten, die Fürst Chlodwig zu Hohenlohe vor seiner Kanzlerschaft sich erworben. Auch wir haben jene Verdienste auf gezählt und brauchen sie heute nickt zu wiederholen. Der allgemeine Wunsch, der an diese Aufzählung sich knüpfte, ist nicht erfüllt worden; nicht ein ganzes Jahr hat der Fürst seinen Rücktritt überlebt. Und auch die Erfüllung eures Frieelleton» Rechtsanwalt Lohmann. 12j Roman von Rudolf Jura. Nagtruck »iitvlen. IX. Bei dem Kriegsrath, den die beiden Herren jetzt abhielten, zeigte sich so recht der Unterschied ihrer persönlichen Natur, sowie der Gegensatz, den di« Verschiedenheit ihrer juristischen Stellung und Beschäftigung allmählich ihrer ganzsn Art und Weise, zu denken und zu handeln, aufgedrückt hatte. Der Staatsanwalt stellte sich starr und rücksichtslos auf den Boden des Rechtes, ganz unbekümmert, ob diese Stellung klug gewählt und nutzbringend erscheinen mochte. Nachdem er aus des Rechtsanwalts ausführlichem Bericht ebenfalls di« Ueberzeu- gung gewonnen hatte, daß Fräulein Kurzmüller zweifellos im Besitze des Briefes der Frau Doctor war und ihn widerrechtlich in irgend einem Versteck ihrer Wohnung zurückhielt, hielt er es für das einzig richtige Verfahren, die gefährliche Dame einfach des Diebstahls oder der Unterschlagung dieses Zettels anzuklagen. Durch die bereitwillige Abschrift mit verbürgter Richtigkeit hatte sie sich zu deutlich als Inhaberin des gestohlenen Gutes verrathen, als daß ihr ein Leugnen jetzt noch etwas genützt hätt«. Sie mußte also verurtheilt werden, den Zettel herauszugcben, und wenn sie ihn nicht gutwillig herausgab, dann trat eben di« Zwangsvoll streckung in Kraft. „Aber sicher erfolglos!" versetzte der Rechtsanwalt. „Denn Sie können sicher sein, Herr Staatsanwalt, daß sie, wenn wir sie zum Aeußersten reizen, in ihrem erbitterten Haß gegen Ihre Frau Schwägerin den Zettel eher vernichten, als uns in die Hände fallen lassen wird. Sie hat mir das heute Morgen ziem lich deutlich zu verstehen gegeben. Ich erzählte Ihnen doch auch schon, daß sie den Preis von siebenhundertundfünfzig Mark, die ich ihr für den Zettel bot, rundweg auSgeschlogen hat. — Nein, eine gerichtliche Haussuchung nach erfolgtem Proceß und Urtheil hätte gar keine Aussicht auf Erfolg." „Nun, wenn Gefahr im Verzüge ist, können wir ja auch ohne Weiteres ein« Haussuchung vornehmen. Hinreichend verdächtig ist das Fräulein ja." „Auch das möchte ich Sie bitten, zu unterlassen. Jedes scharfe amtliche Vorgehen gegen sie macht sie nur stutzig und bringt doch keinen Nutzen. E» genügt, wenn Sie die Güte haben wollen, sie einfach einmal zu einer Zeit, die wir noch miteinander verab reden werden, zu einer Vernehmung über die Zettelangelegenheit zu bestellen. Eine solche Vernehmung wird ihr keinen sehr ge fährlichen Eindruck machen. Sie wird überzeugt sein, die Sache mit einfachem Leugnen abmachcu zu können, und 'wird sich nicht veranlaßt sehen, den kostbaren Brief zu vernichten. Inzwischen, während sie bei Ihnen ist — Sie können sie ja etwas warten lassen und die Sache etwas in die Länge ziehen —, inzwischen hab« ich Zeit, in ihrer Abwesenheil und ganz im Geheimen ihre Wohnung aufs Gründlichste zu Durchsuchen. Ich habe ein paar geschickte Detectivs an der Hand, die ich nur noch etwas für ihre Aufgabe vorbereitcn und abrichten will. Uebermorgen denke ich mit meinen Leuten bereit zu sein, und wenn mir etwa andert halb Stunden Zeit gelassen werden, so verbürge ich Ihnen, daß in der ganzen Wohnung kein geheimes Fach unentdeckt, kein Hohl raum unbeklopft, kein Strohsack undurchstochcn, kein etwa aus gehöhltes Tisch- ooer Stuhlbein ungeprüft bleiben wird." „Aber, mein bester Herr Rechtsanwalt, das dürfen Sie ja gar nicht. Das ist ja ein« ganz ungesetzliche Sache, die Sie da vornehmen wollen. Als Privatperson sind Sie doch gar nicht berechtigt, eine Haussuchung vorzunehmen, noch dazu im Ge heimen und ohne Zuziehung einer Urkundsperson. Sie müssen doch wissen, daß Sie sich oabei gegen alles Recht vergehen!" „Allerdings weiß ich das. Aber es stört mich in meinem Vor haben nur wenig. Ich bin kein Richter und kein Beamter und habe nicht das amtlich geltende Recht zu verwalten. All' die Ge setzes- und Rechtsvorschriften haben doch kcin«n anderen Zweck, als der Verwirklichung der idealen Gerechtigkeit zu dienen, und soweit sie im Dienste des Guten und Gerechten wirklich brauchbar sind, halte ich mich auch streng an ihr« Satzungen. Wenn sie aber zur Erlangung dieses schönen Zweckes nicht mehr ausreichen, dann gehe ich eben mein« eigenen Wege. Ich dien« nicht dem buch stäblichen Recht, sondern der Gerechtigkeit. So lange es angeht, dien« ich ihr mit den vorhandenen gesetzlichen Mitteln. Menn es aber sein muß, schaffe ich mir auch meine eigenen Mittel." „Auf die Gefahr hin, «in Unrecht, ein Verbrechen gegen die Gesetze der Obrigkeit zu begehen! Sie werden die unausbleib lichen Folgen einer solchen Handlungsweise, di« «inen Haus friedensbruch bedeutet, nicht vermeiden können." „Ich gedenke mich ihnen auch keineswegs zu entziehen. Ich versuche mein Verfahren euch keineswegs zu beschönigen. Wenn ich strafbar bin, so werd« ich mein« Strafe verbüßen. Ich be haupte nicht, daß mein Unrecht, das ich rwrhabe, kein Unrecht ist. Aber ich behaupte, daß eS in diesem Falle nützlich und nothwendig zur Erreichung meines Zieles ist. Und wenn dieses Ziel die Errettung eine« Menschenleben», di« Befreiung ein«r Menschen- serlr ist, dann schäme ich mich nicht nn Geringsten, um solchen Preises Willen einmal ein Unrecht zu begehen, das nur darin be steht, gegen ein heimtückisches Frauenzimmer etwas weniger ritterlich vorzugehen, als es der vornehme Charakter unserer Gesetze erlaubt. — Von Ihnen, Herr Staatsanwalt, erwarte ich nur, daß Sie das eben Gesagte nicht dienstlich gehört haben. Ich bin auch, um Ihr Gewissen zu beruhigen, gern bereit, meinen Entschluß zu widerrufen und mich feierlich zu Ihrer Ansicht von der unverbrüchlichen Heiligkeit der Gesetze zu bekehren." Der Staatsanwalt schwieg einige Augenblicke. Er suchte vergebens nach einer Entgegnung auf diese sonderbare Erklärung des Rechtsanwalts. Endlich begann er unter bedenklichem Schütteln und Wiegen des Kopfes: „Mein lieber Herr Lohmann, es ist mir ganz unmöglich, Ihre Worte anders, als im Scherz gesprochen, aufzusassen. Denn Sie hätten es ja gar nicht nöthig, so ohne Weit«res und ohne Berechtigung in eine fremde Wohnung einzudring«n. Sie hätten doch gewiß Gelegenheit, sich als Syndicus des Frauenvereins mit einer Revision der Speiseanstalt beauftragen zu lassen, und hätten so den besten Vorwand, sich die Wohnung der Dame ein mal recht genau anzusehen." „Ich freue mich, daß Sie meinen scherzhaften Plan richtig verstehen", sagte mit leichtem, spöttischem Lächeln der Rechts anwalt. „Es wird Ihr Gewissen also nicht belästigen, wenn ich in dem einmal begonnenen Scherz fortfahre. Da inuß ich Jhn«n nun zunächst entgegnen, daß ich auch in meiner amtlichen Eigenschaft als Syndicus doch nur in Gegenwart Fräulein Kurz- miiller's revidiren kann. Damit ist mir aber nicht gedient. Denn dann ist doch jede eingehende Untersuchung aller Ver stecke unmöglich. Außerdem ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, daß ich mir einen Auftrag zur Revision beim Vorstand aus wirken kann. Denn die ausschlaggebende Stimme darin hat die Frau Superintendent, und deren fromme Seele ist keines Arg wohns gegen das liebe Fräulein Kurzmüller fähig. Die Frau Doctor hatte ja eine Revision der Kasse geplant, weil wir neulich die Bücher sehr unzulänglich geführt fanden. Aber leider ist sie an der Ausführung ihrer Absicht nun gehindert worden. Sie als Gründerin der Speiseanstalt hätte eine Revision wohl durch gesetzt. Ob es jedoch mir gelingen wird, ist sehr fraglich. Aber immerhin kann ich ja den Versuch machen, um so wenigstens einen Schein des Rechtes für meinen Einbruch in die Wohnung zu gewinnen." Von dem in Fräulein Kurzmiiller's Kasse vorhandenen Fehl betrag von 500 Mark wußte der Rechtsanwalt nichts. Er hatte nur die Unordnung ihrer Bücher kennen gelernt. Aber auch, wenn er diesen schwachen Punct seiner Gegnerin gekannt hätte, würde er sich gehütet haben, die gefährliche Dame durch darauf bezügliche Drohungen zu reizen. , . Emil Born hatte ihm jedoch gar nichts von diesem Geheim- niß ihrer Finanzen erzählt. Es wäre ihm sehr unanständig vorgekommen, das ihm von ihr freiwillig geschenkte Vertrauen so nutzlos zu mißbrauchen. Wenn auch unter dem jetzt so wohl- thätig auf ihn wirkenden Einfluß des Rechtsanwalts seine Freundschaft für Fräulein Kurzmüller verschwunden war, so war doch sein früher etwas verwahrlostes Anstandsgefühl jetzt um so stärker lebendig geworden. Vor Allem war er jedoch ebenso sehr, wie der Rechtsanwalt, überzeugt, daß durch Ein schüchterung des Fräuleins keinesfalls darauf zu rechnen war, den Zettel unversehrt zu erlangen. Er war übrigens verwundert und einigermaßen beunruhigt, daß der Rechtsanwalt heute gar so lange fortblieb, nachdem er sich doch nur zu einem Gange zu Fräulein Kurzmüller gerüstet gehabt hatte, und während der Rechtsanwalt noch immer mit dem Staatsanwalt sich besprach, saß Born bereits am gewohnten Mittagstisch in der Speiseanstalt. Sein Essen war so gut und reichlich wie immer. Aber es fiel ihm auf, daß der kleine Petrih, der sonst um diese Zeit schon abgegessen zu haben pflegte, heute als Einziger noch mit am Tische saß, und daß dessen Portionen ebenso sorgfältig auS- gewäblt waren, wie die scinigen. Es war augenscheinlich, daß der kleine Petritz zu seinem Nachfolger oder doch wenigstens vorläufig zu seinem Nebenbuhler aufgerückt war. Im Herzen spürte Born darüber keine Eifersucht, wenngleich ihm die daraus für seinen Magen sich eröffnende Aussicht nicht sehr angenehm war. Aber wichtig erschien es ihm vor Allem, den jungen Mann jetzt genauer zu betrachten und zu beobachten. Denn er wußte aus eigener Erfahrung, wie mittheilungs- bediirftrg und vertrauensselig Fräulein Kurzmüller ihren jungen Freunden gegenüber zu sein pflegte. Es lag demnach die Mög lichkeit vor, daß der kleine Petritz binnen Kurzem das volle Vertrauen des Fräuleins genießen und Mitwisser aller ihrer Geheimnisse sein würde. In Folge dessen erkannte es Born als seine Pflicht, dieses ihm entgehende Äertrauen auf dem Umwege über Petrih wieder an den richtigen Ort, also in seine eigenen Ohren, zu leiten. Fräulein Kurzmiiller's Liebe hatte er verloren an diesen jungen, blonden Menschen mit den schwärmerischen Augen und dem wackelnden Kneifer auf der langen, dünnen Nase, und so be mühte er sich eilig, seinerseits die Freundschaft dieses jungen Menschen zu gewinnen. Wenn ihm dies gelang, so war Alles wieder in bester Ordnung. Er hatte sich bisher um den kleinen Petritz gar nicht ge kümmert. Jetzt, während Fräulein Kurzmüller die Speisen auf trug, betrachtete er ihn scharf und kam zu dem Ergebmß, daß der Träger dieses unschuldigen Gesichte» sich noch in dem jugendlichen Geisterzustand befinden mochte, wo die natürlich« gutmiithi-.
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