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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.08.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000809010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900080901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900080901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-08
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Daß die Organisation der Partei besprochen werden solle, ist durch die vor einigen Tagen erfolgte Veröffentlichung des von der Reichstagsfraction neu ausgearbeiteten Organisationsstatuts hinreichend bekannt geworden. Daß die „Weltpolitik" unter die Lupe genommen werden würde, war ebenso zu erwarten. Man hatte den Genoffen Liebknecht mit dem Referat betraut, denn er war der besonders begabte Apostel der tönenden Phrase, und nach den bisherigen Leistungen des von ihm geleiteten social demokratischen Centralorgans über dieses Thema wie kein zweiter der „gegebene Mann". In der vorvergangenen Nacht ist er aber plötzlich gestorben. Weiter hat er über Verkehrs- und Handelspolitik Genosse Calwer zu berichten, wobei der Grund ton natürlich die „Auspowerung" der Massen sein wird. Genosse Bebel schließlich hat über die Taktik der Partei bei den Land tagswahlen zu berichten, ein Thema, das auf das Andrängen einer radikalen Genossin von dem letzten Parteitag für diesmal auf die Tagesordnung gesetzt worden ist, um das Verhalten der Socialdemokratie den bürgerlichen Parteien gegenüber zu regu- liren, den in der letzten Zeit schwankend gewordenen Begriff „Compromiß" zu präcisiren und den Genossen der einzelnen Länder eine einheitliche Richtschnur für die Wahl zu geben. Außer dem bereits mitgetheilten Organisationsstatut liegt bisher nur der Bericht über die parlamentarische Thätigkeit der Reichstagsfraction vor, den der Abgeordnete Singer als Vor sitzender der Fraction erstattet, und den man diesmal als Partei broschüre verbreitet hat, ein Bericht, der selbstverständlich mit der Versicherung schließt, daß in der Presse und in Versamm lungen, in Rathhäusern und Parlamenten, wo es nur immer sei, der Kampf stets dasselbe Ziel vor Augen habe: die Herrschaft der besitzenden Classen zu stürzen, die kapitalistisch» Mrthschafts- ordnung zu beseitigen und der"Arbeiterclasie die politische Macht zu erobern. Demgemäß ist denn auch in jenem Bericht Capitel für Capitel beleuchtet: die Verruchtheit und Engherzigkeit und Eigensucht der herrschenden Classen auf der einen, und die Ehr lichkeit und wahrhafte Arbeiterfreundlichkeit der Social demokratie auf der anderen Seite. Die verflossene Session hat von großen socialen Reformen vor Allem die Verbesserung der Unfallversicherungs-Gesetze gebracht. Wie haben sich dabei Regierung und die herrschenden Classen benommen? Genosse Singer sagt es: Die Regierung hat in dieser vielfach für Leben und Gesundheit der Arbeiter entscheidenden Frage vor dem Unternehmerthum capitulirt; die Bestimmungen der Gesetzentwürfe waren reaktionär und arbeiterfeindlich, und nur die socialdemokratische Partei bekundete das Bestreben, die Unfallversicherung in einer, materiell und moralisch den Rechten, berühre und der Würde der Arbeiterklasse entsprechenden Weise zu gestalten; aber sie blieb damit ganz allein, während alle bürgerlichen Parteien mehr oder minder das Unternehmerthum iNMder einseitigsten Weise bevorzugten, dagegen die Rechte der AWeiter auf Theilnahme an der Verwaltung nach Möglichkeit einsthränkten und die Entschädigungspflicht der Unternehmer bei Unfällen nur in durchaus ungenügender Weise anerkannten. So Genosse Singer, der in Folge dessen die Ergebnisse der Berathungen der Unfallversicherungsgesetze als „völlig unge nügend" bezeichnet, um dann den schönen Sprung zu machen, warum seine Fraction dennoch bei der Gesammtabstimmung für die Unfallversicherungsgesetze votirt habe, nämlich — weil es der Socialdcmokratie gelungen sei, eine Anzahl Verbesse rungen gegenüber den bestehenden Verhältnissen durch zusetzen. „Gegenüber den bestehenden Verhältnissen"! Wie waren diese? Greifen wir das Jahr 1898 heraus; es wurden in diesem einen Jahre nicht weniger als 71,1 Millionen Mark an Unfallentschädigungen ausbezahlt, 44,4 Millionen Mark kamen speciell gewerblichen, 16,7 Millionen land- und forst- wirthschaftlich arbeitenden Personen zu Gute. Es bleibe dahin gestellt, wie viel Noth und Elend durch diese gewaltigen Summen verhütet oder gemildert werden, wie viele Wittwen und Waisen und Eltern von Verunglückten vor Mangel und Noth bewahrt und verstümmelte Invaliden vor dem Bettlerelend behütet worden sind, und wie viele Verletzte bei sorgsamer Behandlung ihre Heilung haben abwarten können, ohne daß ihre Familien zu hungern brauchten. Wir erinnern nur daran, daß diese Leistungen der Unfallversicherung bisher und in Zukunft den Arbeitern ohne jede pekuniäre Gegenleistung zu Gute kommen: daß die zur Deckung der Kosten erforderlichen Beiträge aus schließlich von dem ausbeutenden Unternehmerthum aufgebracht werden, und — daß diese ganze Gesetzgebung nicht zu Stande gekommen wäre, wenn nicht die Parteien der ausbeutenden Bourgeoisie sie gegen die socialdemokratische Reichstagsfraction hätte durchsetzen können. Verweigert hat die socialdemokratische Führung der deutschen Arbeiterschaft diese Wohlthaten, deren Sicherung und Mehrung sie sich nun zum alleinigen Verdienste anrechnen will; und wie jeder Unbefangene weiß, hat da- treue, feste Zusammen halten aller bürgerlichen Parteien diesmal dazu gehört, die Re form der Unfallversicherungsgesetze, trotz aller socialdemokrati- schen Verschleppungsanträge, doch noch zu Stande zu bringen. Und weil die Verkehrtheit der früheren Taktik dem Umsturz im Reichstag von Jahr zu Jahr immer nachdrücklicher hat vorge halten werden können, je schneller die Millionen wuchsen, die der Arbeiterschaft aus diesem Gesetze zuflossen, ohne daß sich in der Lohnbewegung auch nur die geringste nachtheilige Rückwirkung bemerkbar gemacht hat, — nur darum hat die social demokratische Fraction diesmal, unter Verwerfung ihrer bis herigen Taktik, für die Gesetze gestimmt und damit, der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, auch ihrerseits zugegeben, daß ein großes sociale» Friedenswerk von Staat und Gesellschaft zu Stande gebracht worden. — So müßte der Singer'sche Be richt für den soctaldrmokratischen Parteitag lauten, wenn der Wahrheit die Ehre gegeben würde. Statt dessen werden die bürgerlichen Parteien gröblich geschmäht. Jndeß, do» ist einmal so Sitte; vom Dornstrauch soll man nicht Feigen erwarten, und von socialdemokratischen Agitatoren nicht Wahrheit und Ehr lichkeit, wenn st« für ihre Parteitage berichten. Der Transvaalkrieg und Englands Weltftcllung. Q MS der Boerenkrieg ausbrach, konnte sich kein besonnen Urtheilenlder verhehlen, «daß die Niederlage der Boeren schließlich unvermeidlich sei. Selbst wenn sie eine noch erheblich größere Widerstandskraft an den Tag gelegt hätten, als sie bewiesen haben, hätte England doch den letzten Mann und den letzten Groschen an ihre Bewältigung setzen müssen. Es spielte um Tod und Leben. Auch das war von vornherein unzweifelhaft, daß nach Allem, was geschehen war, England sich den Sieges preis in keiner Weise schmälern lassen, daß es ablehnen würde, den Boerenrepubliken ihre Selbstständigkeit in irgend einer Form zu lassen. Nun neigt sich der Krieg seinem Ende zu. Mag der Guerillakrieg kürzer oder länger dauern, so ist es jedenfalls als nahe bevorstehend anzusehen, daß England durch die Organi sation einer neuen Verwaltung tatsächlich und dauernden Besitz von den Boerenstaaten ergreift. Der englischen Regierung wird dann ein Alp von der Brust fallen, und sie wird ungemein zu frieden sein, daß der Vorhang über dieses Drama fällt. Aber diese Freude ist eine voreilige. Der südafrikanische Krieg ist nicht ein abgeschlossenes Schauspiel, er ist vielmehr nur der erste Act eines großen weltgeschichtlichen Dramas. Der Transvaal krieg hat den Engländern schwere Opfer an Gut und Blut ge kostet; wir glauben, daß seine Folgen noch schwerer auf Eng land lasten werden. Schon jetzt machen sich bei den chinesischen Wirren diese Folgen bemerklich. In Englands Verhalten in dieser Angelegen heit ist eine gewisse Unsicherheit unverkennbar. Den starken Worten, mit denen England, wie es eben noch Mr. Brodrick im Parlamente gethan hat, seine führende Stelle in Ostasien betont, entsprechen die Leistungen und Thaten durchaus nicht ganz. Und aus der ersichtlich geflissentlichen, in den Reden und Er klärungen der englischen Staatsmänner fast bis zum Ueberdruß oft wiederkehrenden Ablehnung des Gedankens einer territorialen Entschädigung der Mächte in China ergiebt sich für den nüch ternen und mit Englands Gewohnheiten einigermaßen ver trauten Beobachter die Thatsache, daß England sich gegenwärtig selbst nicht stark genug kühlt, um bei der vielerörterten etwa-gen „Auftheilung" sich einen seinem Appetite entsprechenden Bissen zu sichern. Die einfache Ursache dieses Verhaltens liegt eben darin, daß England 200 000 Mann in Südafrika halten muß und daß es „keinen zweiten Pfeil zu versenden", will sagen: keine Hilfsquellen hat, um «ine zweite bedeutende Armee auf die Beine zu stellen. Aber auch, wenn die Notwendigkeit, ein Heer von dieser Größe in Südafrika zu halten, überwunden sein wird, werden die nachtheiligen Folgen des Transvaalkrieges für Englands Weltstellung sich nicht vermindern. Südafrika wird dauernd am Körper des englischen Riesenreiches eine schlechtgeheilte Wunde sein, die bei jedem anderen, wenn auch kleinen Leiden des Körpers schmerzt oder aufbricht. Allerdings erklingen jetzt aus dem englischen Lager in Südafrika, wie in Großbritannien die Friüdensschalmeien, die die Versöhnung der Rassen in Südafrika als -das Ziel der weiteren Politik Englands bezeichnen. Aber England hat die Versöhnung der Rassen noch bis zum heutigen Tage nicht in Kanada erreicht, wo die Verhältnisse leichter lagen, und es wird sie um so weniger in Südafrika erreichen, wo eS mit einer überaus zähen, aufs Tiefste erbitterten Raffe zu thun hat, der von Capstadt bis Pretoria jeder Fuß breit Erde die Willkür und die Habsucht der Briten in Erinnerung bringt. Wenn Fürst Bismarck einmal den Reichsgedanken von dem Augenblicke an als «ndgiltig gesichert bezeichnet hat, wo er in das Frauengemach eintdringe, so darf man vielleicht analog die Unversöhnlichkeit der Boeren darum als besiegelt ansehen, weil sie nicht am Wenigsten von dem weiblichen Theil der Be völkerung getheilt, ja geschürt wird. Unter diesen Umständen wird England noch auf Jahre hinaus damit rechnen müssen, in Südafrika eine stehende Armee von erheblicher Größe zu unterhalten. Dadurch werden zunächst seine verfügbaren militärischen Machtmittel empfindlich ge schwächt. Eine Ausgleichung dieser Schwäche wäre ja allerdings denkbar, wenn England sein Wehrsystem von Grund aus änderte; aber dieseAenderung läuft allen Voraussetzungen des englischen Charakters und den englischen Entwickelungen so schnurstracks zuwider, daß sie etwa als ebenso ausgeschlossene gelten kann, wie seiner Zeit eine Emanzipation der Sklaven durch die Athener. Schlimmer aber noch, als diese militärische Schwä chung, muß sich in der englischen Weltpolitik das Gefühl geltend machen, daß England in Südafrika dauernd einen schwachen Punkt hat. Es muß darauf rechnen, daß im Falle eines ernsten Conflictes mit einer anderen Macht seine Feinde ver suchen werden, an diesem Punkte anzusetzen, daß die england feindlichen Elemente in Südafrika selbst nur auf den geeigneten Moment zum Losbruche warten. Diese Rücksicht muß Englands Actionsfreiheit in der Weltpolitik beschränken, es darf fortab nicht nur vorwärts, es muß auch hinter sich blicken. Dazu kommt endlich die Beeinträchtigung des englischen Nimbus, die der afrikanische Krieg zweifellos mit sich gebracht hat. Bei aller Anerkennung der Leistungen der englischen Arme« spricht doch die Thatsache, daß England 200 000 Mann gebraucht hat, um 30 000 Boeren niederzuwerfen, eine gar zu beredte Sprache, und die Wirkungen dieser Thatsachen äußern sich z. B. bereits in Kanada, wo die Freiwilligen, die einen überraschenden Blick hinter die Eouliffen der englischen Kriegssührung thun konnten, alles Ander«, als Respekt vor dem „Mutt«rlande" verbreiten. So sind die Folgen de» südafrikanischen Krieges für Eng lands Weltstellung überaus weitreichend. Diejenigen, die über die Niederwerfung des tapferen BoerenvolkeS trauern, mögen sich trösten: es ist im vollsten Sinne des Worte» ein PyrrhuS- Sieg, den die Engländer erfochten haben, und es lebt nach wie vor in der Geschichte «ine Gerechtigkeit, die langsam, aber sicher richtet. i Die Wirren in China. 0 Es fehlt noch immer an einer amtlichen Bestätigung der au» privaten Quellen stammenden Nachricht von dem Vormarsch der Verbündeten auf Peking Ter Kampf bei Peitsang, der am Sonntag stattfand, kann demnach, wie jetzt Wohl allgemein angenommen wird, nur anläßlich eines umfassenden RecognoS- cirungSmarscheS erfolgt sein. Daß er von den Verbündeten schwere Opfer forderte, wird durch ein ausführliches Tele gramm der „Voss. Ztss-" bestätigt, das aber trotzdem die militärische Lage bei Tientsin günstiger darstellt als aus den letzten Meldungen zu entnehmen war. Der Bericht lautet: Ueber den Verlauf der Schlacht bei Peitsang am Sonntag wird dem „Daily Expreß" auS Tientsin telegraphirt, die Chinesen waren in großer Streitkraft in der Umgebung der Stadt an beiden Flußufern aufgestellt. Um 3 Uhr Morgens eröffneten die britischen, russischen und japanischen Truppen das Feuer aus vier Batterien auf die feindlichen Stellungen. Obwohl dieses große Verheerung in den Reihen des Feindes anrichtete, gelang eS den Verbündeten erst gegen 10 Uhr, die Chinesen aus der ersten Stellung im Osten des Flusses zu ver treiben. Nach zweistündigem verzweifelnden Kampf begann derFeind sich zurückzuziehen. JnguterOrdnung überschritten die Chinesen die Flußbrücke, die sie hinter sich in die Luft sprengten, um die Verfolgung zu verhindern. Eine große Abteilung japanischer Truppen watete durch den Strom unter heftigem Kreuzfeuer. Die Ver luste der Japaner waren empfindlich, aber ihr verwegener Angriff beschleunigte den vollen Rück zug der Chinesen flußaufwärts. Die Russen erlitten eben falls starke Verluste; die der Briten betragen (wie schon kurz erwähnt) 60 Tobte und Verwundete. Die Gesammt- Verluste der Verbündeten werden auf 750 bis 1000 Todte und Verwundete geschätzt. Die Chinesen werden von den fremden Truppen hart verfolgt. Das Flußufer ist ober halb Peitsang durchstochen worden, waS die Schwierigkeiten des Vormarsches ernstlich erhöhen wird. 6000 verbündete Truppen mit 14 Kanonen blieben in Tientsin zum Schutze der Stadt zurück. Einige Besorgniß flößt die Thatsache ein, daß 15 000 chinesische Truppen mit Artillerie nur zwei Tagemärsche südöstlich von Tientsin stehen. Die Prüfung der chinesstschen Stellung bei Peitsang ergab, daß ihre Verschanzungen wissen schaftlich nach dem neuesten europäischen Muster hcrgestellt waren. Sie dehnten sich auf viele Meilen längs d«r beiden Flußufer auS. Die Chinesen zogen sich auf andere aus gedehnte VcrtheidigungSwerke vier Meilen westwärts zurück, woraus sie die Verbündeten Sonntag Nacht oder Montag zu vertreiben hoffen. Folgende Meldung ist zu wiederholen: * London» 8. August. (Telegramm.) Die „Times" melden aus Shanghai vom 7. d. M.: Es ist nicht zu vermeiden, daß jeder Tag der Verzögerung des Vormarsches die Schwierig keiten für die Entsatztruppen bedeutend vermehren muß, da die Chinesen mit erneutem Vertrauen erfüllt werden. — Chinesische Beamte haben die Mittheilung erhalten, Lipinghen habe sich nach Tschiangschou bei Paotingsu begeben, um das Commando über die Truppen von Tschili zu übernehme». — Dasselbe Blatt meldet aus Tientsin vom 2. d.M.: Ueber die Frage des Vormarsches ist noch keine Regelung erzielt worden. Die Verzögerung kommt dem Feinde zu Gute, der Verstärkungen erhält und seine Stellung bei Peitsang befestigt. Wahrscheinlich werden jetzt 15000 Mann erforderlich sein, um Peking zu erreichen. In Peking stehen 25000 Chinesen. Die Engländer (?), Amerikaner und Japaner dringen auf die Ausnahme des Vormarsches. Die Russen und Franzosen erheben Einwendungen. — Weiter melden die „Times" auS Hongkong vom 7. d. M-: In Folge von Anzeichen von Unruhe in den Distrikten Canon und Tungkau, die an das Kaulung-Gebiet angrenzen, haben sich auf Len Rath der Man darinen alle Missionare von ihren Stationen zurückgezogen. In Can ton ist Alles ruhig. Die Fremden in Peking. ES ließt noch eine ganze Reihe von Meldungen vor, welche lediglich bestätigen, was man schon weiß, daß die Gesandten und die übrigen Weißen in Peking vor einigen Tagen noch am Leben waren und sich hielten, daß ihre Lage aber eine bedrohliche ist und daß sie mit fieberhafter Ungeduld auf Entsatz warten. Die Nachrichten besagen im Einzelnen: * Berlin, 8. August. (Telegramm.) Vom ersten Legations- sekretär der Gesandtschaft in Peking, v. Below-Saleske, ist im Auswärtigen Amt« diese Nacht folgendes Telegramm, datirt Tsinan, am 4. August, ringegangen: „Seit dem 21. Juli ist di« Loge un verändert. Weder werden die Massenangriffe auf uns, noch das Granatfeuer fortgesetzt, nur vereinzeltes Gewehrfeuer wird unter halten. Der Gesundheitszustand der Mitglieder der Gesandt schaft ist verhältnißmäßig gut. Die Verwundeten sind auf dem Wege der Besserung. Cordes ist wieder hergestellt." (Wdh.) * Haas» 8. August. (Telegramm.) Di« ni«d«rländischt Regierung erhielt heut« aus Peking «in« „Tsung lt Namen, den 8. August 4 Uhr 45 Min." datirte Depesche, die für authentisch gehalten wird. Die Depesche besagt, daß di« niederländisch« G«sandtschaft am 22. Juni ni«d«rgebrannt sei, und daß der niederländische Minislerresidrnt und der Sekretär der Gesandt- schäft wohlbehalten feien und hofften, in 14 Tagen befr«it zu werden. * Pom, 8. August. (Telegramm.) DaS Ministerium des Aeußern erhielt heute auf direktem Wege eine mit der Unterschrift de» italienischen Gesandten in Peking Salvago Raggt versehene chiffrirte Depesche, die kein Datum trägt und durch das telegraphische Bureau de» Tsung li Namen» in Peking übermittelt ist. Salvago Raggi bestätigt darin die Ermordung d«S deutschen Gesandte» und berichtet, daß die belgische, österreichisch - ungarische und italienische Grsandschast geräumt seien. Do» Personal der Gesaudtjchaften sei mit den Missionaren und den sonstigen fremden Staattoagehörigen in die britisch« Gesandtschaft geflüchtet, in der jetzt 700 An»- ländrr versammelt seien. Es scheine, als ob di« katholischen Missionen im Norden der Stadt noch vrrtheidigt würden. Der Schutz der Missionen werd« von SO iranzüstichen und 10 italie nischen Marinesoldaten ausgeübt. In der britische» Gesandtschaft seien noch für zwei Wochen Vorräthe vorhanden. („Agenzia Stefani") * Washington, 7. August. („Reuter's Bureau".) Da» Staats departement empfing heute Abend eine Depesche des amerika nischen Gesandten in Peking, Conger, die besagt: „Wir werden noch immer belagert, unsere Lage ist bedenklicher. Die chinesische Regierung besteht darauf, daß wir Peking verlassen, doch wäre dies unser sicherer Tod; denn die kaiserlichen Truppen richten täglich ihr Gewehrseuer auf uns. Es fehlt uns nicht an Muth, aber es fehlt au Munition und Mund- Ir orrath. Zwei fortschrittliche Mitglieder des Tsung li Damen sind geköpft worden. Alle Angehörigen der amerikanischen Gesandt schaft befinden sich gegenwärtig wohl." Diese Depesche Longer's ist nicht datirt, doch ist sie wahrscheinlich nicht vor dem 3(1 Juli und nicht nach dem 2. August abgesandt worden. Den Grund, weshalb die Fremden in Peking keinen Gebrauch von der gütigen Erlaubniß der chinesischen Regierung machen, sich aus Peking zu entfernen, bezeichnet der amerikanffche Consul fast mit denselben Worten, wie wir es wiederholt gethan. Die grenzenlose Perfidie der chinesischen Machthaber zeigt sich auch hier in ihrem „glänzendsten" Lichte. ES ist nur gut, daß die Gesandten sich von der Menschenfreundlich keit bezopfter Diplomaten nicht blenden lassen, sondern aus halten bis zur letzten Patrone und bis zum letzten Bissen. Aus -em Tagebuchc eines Flüchtlings. Der Schweizer Ingenieur Sigmund Talle ri, der beim Bau der Bahn von Peking nach Haniau beschäftigt war, hat dem „Ostas. Lloyd" das Tagebuch zur Verfügung gestellt, das er auf der Flucht von Paotingsu nach Tientsin führte. Talleri hatte mit 40 Europäern, unter denen sich sieben Frauen befanden, und die von dem bald darauf ums Leben gekommenen Oberingenieur Ossent und dem chinesischen Eisenbahndirector Sun geführt wurden, am 29. Mai in Booten Paotingsu ver lassen. Anfangs ging die Reise ganz gut von Statten. Aber schon am 31. Mai wurden die Flüchtlinge in Sundjen von Chinesen angegriffen. Herr Talleri schildert diesen ersten Kampf mit den Boxern in folgenden Aufzeichnungen: „Auf den Knall des ersten Schusses griff jeder nach Büchse und Patronen, Alles im Boote zurücklaffend. Soldaten, Boots leute, Dolmetscher und Boys waren verschwunden. Wir hielten eine halbe Stunde Stand und zogen uns, nachdem das Feuer der Chinesen nun fortdauerte und wir ihnen keine ernsthaften Ver luste beibringen konnten, da sie gut verschanzt waren, außer Schußweite, wurden jedoch verfolgt. Herr Ossent und seine Schwester nahmen in Begleitung von zwei Italienern eine andere Richtung, man sagt gegen Paotingsu. Nachdem wir uns gesammelt hatten, stellten wir vier Leichtverwundete, dar unter eine Dame, und einen Schwerverwundeten fest. Wie groß war aber unsere Ueberraschung, als wir zum ersten Male ausruhten und uns nun gegenseitig anschautcn; die fünf Damen waren nur mit einem Rock bekleidet, und eine, die ihrer Ent bindung entgegensah, dazu barfuß und mit einem kleinen Mäd chen von vier bis fünf Jahren auf dem Arme. Arme Frauen! Man konnte ihnen den Schreck auf den Gesichtern ablesen. Ich meinerseits war auch nicht heiter, da ich zum ersten Male in meinem Leben auf Menschen geschossen hatte." Aber die Boxer waren nicht die einzigen Feinde, mit denen die flüchtenden Europäer zu kämpfen hatten. „Hunger und Durst", so schreibt Talleri, „fingen an uns zu quälen. Unser Doctor und ein Ingenieur wurden ohnmächtig. Jeden Augenblick muß man halten; die Verwundeten verlangen Wasser, das kleine Mädchen Brod; und keinem Wunsch kann entsprochen werden. Von nun an beginnen Strapazen aller Art. Der erwähnte Ingenieur will nicht mehr weiter und muß getragen werden; er will sich eine Kugel in den Kopf jagen und bittet uns, es geschehen zu lassen; wir sprechen ihm Muth ein. Lang sam gehen wir dann dem Flusse zu, wo sich die Boxer in größerer Mehrzahl gruppirt halten, wahrscheinlich um uns zu Verbindern, Wasser zu trinken. Wir gehen resolut darauf zu und sehen mit Vergnügen, daß sich die Boxer entfernen. Alles athmet er leichtert auf, läuft zum Flusse, trinkt und trinkt das schmutzige Wasser! Welche Labung! Man schaut mit Thränen in den Augen zum Himmel. Hier wurde eine halbe Stunde gerastet und der barfüßigen Frau die Füße, welche bluteten, mit Stücken von unseren Kleidern verbunden. Gegen 2 Uhr marschirten wir längs des Flusses, um nicht mehr dursten zu müssen. Nach zwei Stunden gelangten wir in ein Dorf, in welchem gerade Markt war. Kaum hatten wir das Dorf ver lassen, so stellten sich auch die Boxer, etwa 300, ein; die Be völkerung, an 2000, stellte sich neben den Boxern rechts auf. Wir nahmen Position in einem Friedhöfe, und sofort wurde Feuer mit einer Kanone und einem großen Gewehr auf uns er öffnet. Selbstverständlich ließen wir die Herren brav schießen und warfen uns nach jedem Schuß auf die Erde. In der Meinung, daß die Schüsse gut getroffen hätten, avancirten die Boxer langsam, aber in dichten Massen, und diesen Augenblick benutzten wir, um auf den Gegner Salven abzugeben, welche sicher viele Todte und Verwundete verursachten. Dec Tag war fürchterlich heiß, Durst und Hunger stellten sich wieder ein,/und viele von uns begehren lieber zu sterben, als so weiter zu kämpfen. Aber es geht weiter. Alle 20 Mi nuten wird Halt gemacht, um den Frauen und den Verwundeten Ruhe zu gönnen. Aber es ist unmöglich, Wasser zu bekommen. Landleute nähern sich uns, und wir bieten 5 und 10 Dollars für Wasser; sie geben, kommen aber nicht wieder. Manche Frauen müssen vor Schwäche getragen werden. Da bemerken wir ein Boot auf der anderen Seite des Ufers. Unser Entschluß ist gleich gefaßt, und wir kapern den Kahn, bringen ihn auf diese Seite, schiffen Frauen und Kinder und Verwundete rin und zirlen den Kahn unter Eskorte, die sich abwechselt, thalabwärts. Während der Fahrt sehen wir in jedem Dorfe kleine Abteilungen Boxer, die sich indessen ruhig verhalten." Ein neuer Angriff zwingt die Flüchtlinge, das Boot zu der- lassen. „Schwerter, Säbel, Lanzen müssen zurückgelaffen und Vernichter werden, da wir genug mit unseren Frauen und Verwundeten zu tragen haben. Die Frauen zeigen wirk lich große Ausdauer und gehen muthig vorwärts. Die meisten sind schon ohne Schuhe; Kleider werden -errissen, um damit die Wunden an den Füßen zu verbinden. Freund Durst be gleitet un» fortwährend; auSallrnPflitzinundLakra
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