Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000924027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900092402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900092402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-09
- Tag1900-09-24
- Monat1900-09
- Jahr1900
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
DezrrgS-PrefS d« Hauptrxprdition oder den im Gtcktz*» ße»trk «nd den Vororten errichteten Aus« mbrsteven obgeholt: vierteljährlich^ 4.50, eei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« 5.50. Durch die Post bezogen sär Deutschland und Oesterreich: vlertehährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung in» Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-Ausgabc Wochentags um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: Iobauniegasse 8. Di« Expedition ist Wochentags ununterbroche» geöffnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. D. Klemm's G-rttn». Uuiyersitütsstrabe 3 (Paulinum^ Louis Lösche, ksHsritleuKr. Z», yem. out, König-Platz T Mbend-UndMüe Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Natyes «nd Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. AnzeigeN'Prei- die 6gespaltene Petitzeile 20 Psg. Sieclamen unter demRedactionsstrtch (4a<* spalten) 50^Z, vor den Famtltennachrichke» (ü gespalten) 40 Kroßere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ztffernfatz nach höherem Tarif. -xtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunz vo.—, mit Postbesörderung 70.—. Anuahmeschlirß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: Nachmittags -Uhr. vri den Filialen und Annahmestellen j» «in halbe Stunde früher. Anreise« sind stets an di« Er-e-itis» . zn richte». Dr«ck «nd Verlag von L. Polz i» Seitzzl» Montag den 24. September 1900. 91. Jahrgang. Die Wirren in China. —Niemand ist überrascht von der ablehnenden Haltung Amerikas dem deutschen Vorschlag gegenüber. Man war schon vorher orientirt und wußte auch, daß der Kernpunkt der Antwort darin zu suchen war, daß die Vereinigten Staaten eine Bestrafung der Schuldigen durch die „kaiserliche Gewalt" wollen, während Deutschland ans Bestrafung durch die Mächte das größte Gewicht legt. Die Haltung der Washingtoner Diplomatie ist schwer verständlich. Glaubt man denn dort im Ernst, die Hauptschuldige — und das ist die Kaiserin-Regentin, wie sie gleichzeitig, wenn sie nicht den Sitz der Regierung verlassen muß, nach wie vor auch die kaiserliche Gewalt in Händen haben wird, — dieses diabolische, von fanatischem Fremdenhaß erfüllte Weib werde auch nur einen Finger regen, ihre wirklichen Mit schuldigen der gerechten Vergeltung preiszugeben? Und selbst wenn der Kaiser wieder in seine Rechte eingesetzt würde, um selbst wieder die kaiserliche Gewalt zu repräsentiren, eine Be strafung durch chinesische Justiz würde nie die wahren Schuldigen treffen, nie die großen Uebelthäter, sondern irgendwelche, mit bekannter List untergeschobene, den Mächte» völlig gleichgiltige Sündcnböcke. Eine Garantie für wirkliche Sühne und daher ein lhatsäcklicheS Abschreckungsmittel für die Zukunft ist nur dann gegeben, wenn die Mächte selbst sich die Schuldigen berauSlangen und an ihnen ein abschreckendes Exempel staluiren. lieber die Motive, welche in Washington maßgebend waren, verlautet noch nichts Bestimmtes, daß sie philantropischer Natur sind, wie die amerikanische Antwortnote cS hinstellen möchte, glaubt natürlich kein Mensch. An Offenherzigkeit fehlt cs der Presse der Vereinigten Staaten nicht, und so werden wir bald einen Blick hinter die Gardinen des Staats departements werfen dürfen. Haltung Frankreichs. Auch in Frankreich sind in den letzten Tage» ZeitungS- stimmen laut geworden, welche sich gegen den Beitritt zu den» deutschen Vorschläge aussprechcn. Im Gegensatz zu der durchweg freundlichen Beurtheilung deö ersten Augenblickes ist diese Auffassung erst bervorgetreten, nachdem in Paris die überaus beifällige Aufnahme des deutschen Vorschlages in der englischen Presse bekannt geworden war. Daß eine solche Rückwirkung erfolgte, erklärt sich ans der gereizten Stimmung, welche in Frankreich gegen England herrscht und in den fulminanten Artikeln der fränzösischcn Blätter über die Vorgänge in Transvaal jeden Tag zum Aus druck kommt. Die Pariser Zeitungen, die aus Mißtrauen gegen England auch argwöhnisch wider die deutsche Politik geworden sind, geben aber keineswegs die Ansicht der Negierung wieder. Diese spricht vielmehr aus dem „Temps", dessen vorgestriger Artikel über Bülow's Rund schreiben durch seine ungewöhnliche Wärme überrascht. Der telegraphische Auszug hat davon nnr ein abgeblaßteS Bild gegeben. „Das Rundschreiben", sagt der „Temps", „be schränkt sich auf erreichbare und moralisch gerechtfertigte Forderungen. Es bat das Verdienst unvergleichlicher Klar heit. ES weist auf eine vorläufige Lösung hin, die noth- wendig ist, wenn Europa nicht für immer die Achtung der Chinesen verlieren soll. Die Mandarinen des Himmlischen Reiches werden eine heilsame Uebcrraschnng empfinden. Die I mit dem Blut ihrer Opfer besudelten Männer werden von I den Verhandlungen ferngehalten. Das deutsche Rund schreiben saßt die Gedanken zusammen, von denen der größte Theil der Mächte beseelt ist, und giebt ihnen bestimmte Form. Niemand wird bestreiten, daß Deutschland in dieser Angelegenheit der Vorrang hat." In diesen Worten ist wohl der Standpunct der französischen Regierung ausgedrückt. Von welchem Geist deö Hochmuthes und der Fremden verachtung der Pekinger Hof jetzt noch erfüllt ist, mag man daraus ersehen, daß die Chinesen auf das Bestimmteste erklären, der Kaiser und die Kaiserin-Wiltwe würden keinenfallS wieder in ihr durch das Eindringen der „Barbaren" ent weihtes Pekinger Palais zurückkehren. Vielleicht würde Nanking die neue Residenz werden. Nach einer Meldung deö „Bureau Dalzicl" auS Sbanghai telegraphirte Prinz Tsching vorgestern au Li-Hung- Tschang's Sohn, angesichts der Forderungen Deutschlands und Englands, die höchsten Personen des Reiches wie Verbrecher zur Bestrafung auSzuliefcrn, seien Friedensverhandlungen unmöglich. Man hält cs für sicher, daß die Chinesen der Forderung der Auslieferung der Anstifter der Verbrechen äußersten Widerstand ent gegensetzen werden. Eine Liste der für schuldig gehaltenen Personen enthalte Hunderte der mächtigsten Man darine, wie Li-Hung-Tschang, gewisse im Auslande be findliche chinesische Gesandte und die obersten Beamten in Peking. Es beißt, von allen Provinzen werden eiligst Truppen nach Taiyucnfu geschickt, um den Hos zu beschützen. Li-Hung-Tsckang habe im Geheimen eine Armee von 8000 Mann zusammcngebracht, die sich in Aangchow befinde. — Der „Morning Post" wird aus Sbaugbai be richtet, der Director der chinesischen Eisenbahnen Tong babe erklärt, die Chinesen könnten wohl „einige Anstist er" aus liefern, aber den Prinzen Tuan könnten sie un möglich ohne Kampf ans liefern, denn die Auslieferung des Vaters des künftigen Kaisers würde gleichbedeutend sein mit Vatermord. — Weiler wird unS berichtet: * London, 24. September. (Telegramm.) Den „Times" wird aus Peking unter dem 18. September berichtet: Prinz Tsching richtete an den ältesten der fremden Gesandten ein Schreiben, in dem er die baldige Ankunft Li-Hung- Tschang's mittheilt und eine Conserenz im Tsungli- Uamen vorschlägt. Infolge eines auf Verlangen Li-Hung- Tschang's erlassenen kaiserlichenDecrets kehrt Pungln nach Peking zurück, um an Len Friedensverhandlungen theil- zunehmen, obgleich er früher, als er Len fremden Gesandten als Friedensunterhändler vorgeschlage« worden war, von diesen zurückgewiesen worden ist. — Den „Times wird aus Shanghai berichtet: Infolge derErnennungdes neuenTaotaifürShaughai, der eine ausgesprochen fremden fein dl iche Gesinnung hegt, haben der britische und der französische Consul Einspruch erhoben. Die Anzeichen mehren sich, daß die den amtlichen Kreisen angchörenden Chinesen gegen die Bewilligung der Forderungen der Verbündeten Mächte sind, wenn diese Forderungen die Auslieferung der Hauptanstifter der frcmdenfeindlichen Ve- wegung und den Rücktritt der Kaiserin-Wittwe einschließen. Zur Landung des Grafen Waldersce wird den „Hamb. Nachr." von militärischer Seite aus Berlin geschrieben: Da Feldmarschall Graf Waldersee am 21. d. in Shangai eintraf und beabsichtigt nach 24stündigem Aufenthalt seine Reise nach Taku fortzusetzen, so kann man annehmen, daß er am 24. d. den Boden betritt, wo er die Hauptmasse der Truppen der Verbündeten vorsindet und wo der Ausgangspunkt seiner Thätigkeit ist. Seit seiner Bestimmung zum Obercommandirenden haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert. Es war damals die militärische Kraft Chinas noch nicht in ihrer Minderwerthigkeit erkannt, und man nahm sie als etwas greifbares Ganzes in Peking und südlich bis Tientsin an. Der Fortbestand dieser Situation bis zu seiner Ankunft wäre dem Obercommandirenden gleichfalls vom militärischen Standpunct auS erwünscht gewesen. ES ist aber mittlerweile der Hauptoperationspunct Peking erreicht worden, die chinesische Armee ist zerstreut, aber noch nicht ans dem Felde geschlagen; der Friede soll werden, aber die Unterlagen zu Friedensverhandlungen sind nicht vereinbart; welche Truppen dem Obercommandirenven dauernd zur Verfügung stehen werden, ist, außer den deutschen, vollkommen unklar; ob, wann und wo ein stärkerer Feind noch auftritt, gegen den eine Operation zwecks seiner Vernichtung ausgenommen werden kann, liegt in dem Dunkel der Zukunft. Die Mission des Grasen Waldersee erscheint daher im Augenblicke seiner Landung als eine reckt mißliche. Der Feldmarschall kann Wohl überblicken, was ihm augenblicklich an Truppen zur Verfügung steht, er kann aber erst von dem Zeitpunkt ab über sie disponiren, da er weiß, welche von ihnen ihm zu beliebiger Be nutzung unterstellt bleiben. Es ist daher anzuuebmen, daß man bis zum Ablauf der jetzigen Krisis nichts Anderes hört, als von einer Regelung, Verstärkung und Ausdehnung der jetzt von den einzelnen Truppen-Commaudeuren aus eigener Initiative unternommenen Expeditionen und SicherungSmaßregeln. Graf Waldersee wird mit allen Ehren und mit warmem Soldatenherzeu von Allen bei seiner Landung empfangen werden und wird sich der vorher gelandete Chef seine? Stabes, der bereits Zeit halte, sich zu orientiren, zur Ver fügung stellen. Er findet die Commandenre der Land truppen, einschließlich des Commandireuden der fran zösischen Truppen, General Voyron, auf der Linie zwischen Tongku und Peking vor und auf der Nbede von Taku die Admirale, denen sich die dahin vorausgefahrenen Aemirale v. Bendemaun und Seymour anschließen. Graf Waldersee wird daher Gelegenheit nehmen, die Commandeure zu Land und zu Wasser zu einer Besprechung und zu einer Mit- tbcilnng ihrer Erfahrungen zu versammeln, die fälschlicher Weise von Manchen als Kriegsrath bezeichnet werden wird. Zur Erleichterung der Lage wird der glückliche Umstand beitragen, daß gerade jetzt die Concentrirung des deutschen Corps unter General von Lessel bei Tientsin ihrem Ende entgegengebt. Wird Peking Lurch Zurücknahme russischer niid anderer Truppen allzu stark entblößt, so bat Graf Waldersee die Lessel'sche Kraft zum Einsatz in Peking zur Hand, die innerhalb weniger Wochen überdies erheblich ver stärkt werden wird. Es wäre thöricht, wenn wir Combinationen über weitere Maßnahmen des Obercommandirenden anstellen wollten. Begnügen wir uns mit einer Skizzirung der Sachlage und mit dem Ausdruck der Befriedigung, daß gleichzeitig mit seiner Ankunft die Concentrirung einer als genügend stark erschei nenden deutschen Streitmacht beendet ist. Die ungewöhnlichen Auszeichnungen, die der Kaiser dem Oberleutnant Grafen Soden und den tapferen Vcrtheidigern unserer Gesandtschaft in Peking verliehen hat, werden in der ganzen Armee und im ganzen Volke mit großer Befriedigung und Freude «ufgenommen werden. Die Vertheidigung der Gesandtschaft durch eine Handvoll Deutscher, die nie ermüdende Wachsamkeit der Truppen und die wiederholten Ausfälle und Bajonett angriffe gegen einen fünfzigfach überlegenen Feind stellen eine Vertheidigung dar, die würdig ist, in den Annalen der deutschen Kriegsgeschichte aufbewahrt zu werden Graf Soden ist der zweite Ossicier, der nach Corvetten- Capitän Lans den Orden pour le mvrits erkalten hat, und eS ist interessant, daß in beiden Fällen diese hohe Auszeichnung verliehen wurde für Thaten, die nicht nur von hohem persönlichen Muthe zeugten, sondern auch große militärische Erfolge waren. So wie Las Ver halten des Capitän Lans den Fall der Taku-Forts entschied, so rettete das des Grafen Soden die Mitglieder der Gesandt schaft und die deutsche Colonie Pekings vor grausamer Er mordung. Ganz besonders erfreulich ist cs, daß auch die Soldaten neben ihrem Führer nicht leer ausgegangen und nicht vergessen worden sind. Die Verleihung dos Militär- Ehrenzeichens erster Classe an sämmtliche Soldaten des Soden'scben Detachements ist eine Auszeichnung, deren nur wenige Soldaten in unseren früheren Kriegen tbeilhaftig ge worden sind. DaS dem Eroberer einer chinesischen Fahne verliehene Militär-Verdienstkreuz ist die höchste Auszeichnung, die bei Gemeinen und Unterofsicicren überhaupt in Frage kommt. Tie Einnahme des Peitang-AortS war zur Sicherung der Landesiellen an der Peiho-Mündung bei Taku und des Ein- und Ausladepunctes der Eisenbahn linie bei Tongku militärisch geboten. Der Ort Peitang liegt nur 84 lcm nördlich des Bahnhofes Tongku und ebenso weit von dem ersten in Richtung Tientsin liegenden Bahnhof Hsin-bo. Bei der nahen Entfernung, die überdies durch die nach Süden und Südwesten vorgeschobenen Forts noch mehr verkürzt wird, waren sowohl die Schiffslandestellen, wie die Eisenbahnverbindungslinie Tongku—Tientsin fortwährend be droht. Es ist bekannt, daß schon vor einer Reihe von Tagen Versuche durch Truppen der Verbündeten gemacht wurdet., sich in den Besitz der lästigen Forts bei Peitang zu setzen. Sie sollen mißglückt sein, doch gelangten keine verbürgten Nachrichten bierber. Beim Landen desjenigen TheilS der Truppen des Lessel'schen Expeditionscorps, die auf dem „Rhein", der „Aachen" und „Sardinia" übergesührt wurden, entstanv wohl der naheliegende Gedanke, vor deren Weitermarsch nach Tientsin ihre Kraft zur Wegnahme der Peitang-FortS aus zunutzen. Außer einer Haubitzbatterie wird voraussichtlich das 3. Ostasiatische Infanterieregiment unter Oberst Freiherrn von Ledebur Gelegenheit zu besonderer Tkätig- keit gehabt haben, und es traten aller Voraussicht nach Truppen des Generals von Lessel hinzu, die von Tientsin nach Taku zurückbefördert wurden. Nach den einzigen bis jetzt bekannten GefechtSverlusten der Oesterreicher (33 Proc.) scheinen die Chinesen starken Widerstand geleistet zu haben. Die fetz' im Besitz der Verbündeten befindlichen SüdfortS von Peitang sind diejenigen, gegen die der Commandeur des 3. deutschen Scebataillons, Major Christ, am 21. Juni, unmittelbar nach Fenilleton. 9j Oer neue Tag. Roman von Klara Zahn. Nacht ruck verboten. „Ja, Eva. hältst Du denn den Besuch eines Mädchens bei einem jungen Mann im Hotel in der Oronung?" „Natürlich nicht. — Aber erstens war der „junge Mann" ein fremder Künstler, der nur einen Tag auf der Durchreise hier verweilte, wie Ihr selber sagtet. Anny kann so gut zu ihm gegangen sein, wie man in eine Kunsthandlung oder in ein Atelier geht, wenn man einen Auftrag geben will. Annys Kunstmanie kennen wir doch Alle. Zweitens brauchte die Sache nicht breitgetreten werden. Hättest Du mir gesagt: „Geh', hör' doch mal von Anny, was das bedeutet", das wäre an ständig gewesen, und ich hätt's gethan, wie ich's nun auch thun werde. Aber für mich, nicht im „höheren Auftrag"! „Weißt Du", sagte ihr Gatte, „mir scheint, dieses Mädchen ist kein Umgang für Dich, Du nimmst Vieles von ihr an, und diese leichte Art, über solche Vorkommnisse wegzugehen, liegt wahrlich nicht im Interesse einer sittenreinen Frau." Es klang sehr gereizt, was Reihig sagte. Aber Eva einzuschüchtern, hatte ihr Gatte in den vier Jahren ihrer Ehe noch nicht gelernt. Sie lachte auf. „Nu hört's auf! — Ich mich „anstecken". Ich bin „Ich", weißt Du. Aber so gescheit bin ich doch, unterscheiden zu können. Was für die Tugend einer Anderen ein Beinbruch wäre, ist für eine Anny Folgers eine harmlose Sache, die sich so oder so aufklären muß. Man lebt doch nicht in einem Glaskasten, wie unser gutes Nürnberg eS ist, völlig einwandfrei, hochgestellt und geachtet von Jedermann, um wegen eines dummen Ungefährs gleich ver dächtigt zu werden!" „Warum hast Du denn da» nicht in der Gesellschaft Allen erklärt, he?" „Viele Hunde sind des Hasen Tod!" sagte Eva. „Die wollten sich ja nicht überzeugen lassen und schworen doch auf ihren „Schein". — Und dabei immer: „Etwas Schlimmes trauen wir ihr nicht zu!" „Natürlich, Du findest ja Alles lächerlich." „Na, wenn ich das nicht könnte, da hättest Du's schwerer mit mir." Anny hatte ihn Knaben zu Bett gebracht nud sann nun noch lange dem seltsamen Vorkommniß nach. Was hatte das Alles zu bedeuten? Ging es sie selber an, oder ihren Vater? War es nothwendig, daß sie ihn davon benachrichtigte? — Uno dann gingen die Gedanken alte, liebe Wege, sie dachte an Fred. Es schien ihr doch unsäglich lange, daß er nichts von sich hören ließ. Nichts, als jene kurze Vertröstung auf eine Nachricht war in ihren Händen. — Warum schrieb er gar nicht? — Er mochte Wohl arbeiten voll angestrengtesten Fleißes, aber einen Brief an die Geliebte, die ihn erwartet in jeder Stunde, der jedes Knarren der Thür schon ein Ruf scheint, daß der Liebe Botschaft nahe ist, wie mochte er nur dies Glück ihr so lange vorenthalten! — Männer empfinden wohl anders, dachte sie; sie wollen nicht verheißen, sie wollen geben können. Und Fred würde ihr die erste Nachricht senden wollen mit dem Freudenruf: „Mein Werk ist vollendet." Er war ja so nahe am Ziel, noch drei bis vier Wochen, hatte er gesagt, dann bin ich fertig! Sie kannte seine grüblerische Art, es konnte wohl auch etwas länger noch währen, ehe er die Pinsel hinlegte und zur Feder griff. So suchte Anny ihr ungeduldiges Herz zu beschwichtigen. — Weihnachten war ja nahe, da würde er sicher Botschaft senden- — Rasch fliehen die Stunden der Träumer. — Anny wußte nicht, wie weit die Nacht schon vorgerückt war, als der Schritt des heimkehrenden Vaters sie aufschreckte. Sie hatte diesen schweren, ungleichmäßigen Schritt fürchten gelernt und sprang nun hastig auf, um ungesehen ihr Zimmer zu erreichen. Im Nebenzimmer fiel ihr ein, daß sie die Lampe nicht ausgclöscht hatte. Der Vater war bereits eingetreten und das Geräusch belehrte sie, daß er sich schwer hatte auf den Stuhl am Tisch fallen lassen. — Sie lauschte angstvoll. Warum ging er nicht direct in sein Schlaf zimmer. Sie wollte hier still verharren, vielleicht, daß der Vater ihrer noch bedurfte. Ein Stöhnen drang zu ihr. Schon war sie im Begriff, die Thür zu öffnen und den Vater zu befragen, ob ihm etwas fehle, als sie, durch seltsame Laute im Tiefsten erschrocken, innehielt. Was war das? Ihr Vater durchmaß mit großen Schritten das weite Gemach, krank also konnte er kaum sein und hilfsbe dürftig, blieb zuweilen stehen und preßte wüthende Worte zwischen den Zähnen hervor. Der Sinn derselben blieb ihr un verständlich. Bald Flüche, bald Zahlen. Dann riß er das Fenster auf und stieß einen wilden, dumpfen Schrei hinaus in die Nachtluft. Anny zitterte. War das die furchtbare Lösung des Geheim nisses? Geistige Umnachtung? Entsetzen faßte die Arme, dann aber fügte der reflectirende Geist hinzu: Oder war es ein Aus bruch grenzenloser Qual? Und nicht helfen können, nicht helfen dürfen! Dabei stehen mit festverschniirten Händen und den Blick im Auge, den Klang der Stimme hüten, daß sie nicht redeten von dem heißen Mitleid ihrer Seele. O, Gott, Gott, warum so unsagbar Schweres für ein Frauenherz! Die Schritte im Nebenzimmer wurden ruhiger, ohne die Lampe zu verlöschen, schritt der Rechtsanwalt hinüber in sein Schlafgemach. — Bleich bis in die Lippen, folgte Anny ihm leise. Sie hörte vor seiner Zimmerthüre, wie er sich ent kleidete, und dann, tief aufseufzend, ins Bett sank. Das Licht hatte er gar nicht angezündet. Beruhigter kehrte Anny ins Eßzimmer zurück; im Begriff, die Lampe zu verlöschen, sah sie einen Zettel auf dem Tische liegen. Barg er das Gcheimniß? — Sie konnte nicht wider stehen, sie las: „Lieber Freund, diesmal Aushilfe unmöglich, sitze selbst stark in der Klemme. — Gegen das liebliche will Silberstein noch ein Papier rausrücken. Mehr war nicht zu erreichen. Dein C. F." Das also war cs! — Mein Gott, und darum diese grenzen lose Qual! — So stolz war ihr lieber Vater, daß er ihr nicht verrathen wollte, was ihn bedrückte, um zu verhindern, daß sie mit dem Ihrigen ihm zu Hilfe kam! O, die Männer mit ihren wunderlichen Ehrbegriffen! — Sie hatte ja genug, übergenug. Es war doch so einfach, daß der Vater zuerst bei seinem ver mögenden Kinde anfragte, wenn er einer Aushilfe bedurfte. Das war doch das Natürlichste! Nun mußte sie sich den Kopf zer brechen, wie sie es nur auf unverfängliche Art anstellen sollte, daß sie diese empfindliche Mannessekle nicht verletzte. Vor Allem mußte sie den Schein vermeiden, als wolle sie feurige Kohlen auf des Vaters Haupt sammeln. So grübelte das Mädchen und schlug sich mit Phantomen herum, die nur ihrer feinfühlenden Seele entwachsen waren, und die die Wirklichkeit gar nicht kannten. Am nächsten Morgen prüfte sie sorglich des Vaters Mienen. Sie schienen ihr ruhig und freundlich. Also begann sie gleich in etwas forcirt munterem Tone: „Ich denke mir, Papa, mein Vermögen muß wohl durch die Anhäufung der Zinsen schon ins Unheimliche angewachsen sein, nicht?" Wie von einem Schlage getroffen, fuhr Folgers auf, ei bebte etwas in seiner Stimme, das Anny nicht enträthseln konnte, als er möglichst beherrscht entgegnete: „Entbehrst Du etwas? — Lasse ich es Dir an etwas fehlen? — Wie kommst Du darauf, von Deinem Vermögen —" „Um Gotteswillen, nein, Papa", fiel Anny schnell ein, „ich wollte Dich ja nur über eine philanthropische Idee um Deinen Rath fragen." „So!" sagte Folgers und lehnte sich zurück, er wollte di« Erregung, die ihn durchzuckte, nicht merken lassen. „Nebenbei", sagte Anny, „finde ich es eigentlich unrecht, daß ich alle meine Bedürfnisse von Dir bestreiten lasse, der Du Loch Lasten genug durch den großen Haushalt trägst; ist möchte, lieber Vater, daß Du mir erlaubst, meinen Theil zur Wirthschaft bei zusteuern." „Laß das", sagte Folgers rasch. „Was ist's mit Deiner Idee also?" „Ja, weißt Du, ick denke so: das viele Geld liegt müßig, wenigstens müßig in meinem Sinne, ohne Nutzen, zu schaffen, auch für Andere, und ich denke, es giebt gewiß Menschen, die in augenblicklicher Geldnoth sind und denen ein zinsenloses Darlehn von großem Werthe wäre. Deine Praxis bringt Dir ja so viele Einsichten in fremde Verhältnisse. Möchtest Du Wohl in meinem Sinne handeln und da, wo es Dir nöthig scheint, Darlehen geben von meinem Capital?" Der Rechtsanwalt fuhr sich ein paar Mal mit dem Tuch über die Stirne. Endlich lachte er gezwungen auf. „Da wirst Du freilich reichlich Kundschaft haben! Weißt Du aber auch, daß Darlehne leicht verloren gehen können, zu mal wenn keine Bürgschaften gelegt werden können?" „Natürlich weiß ich das. Aber wenn auch! — Du wirst ja dafür sorgen, daß nicht all' mein Hab und Gut an die „Armen" kommt, dazu bist Du viel zu praktisch!" lachte sie. „Ich möchte Dich sogar bitten, daß die Hälfte meines Vermögens unberührt bleibt, weil ich diese möglicher Weise in einem anderen Sinne ver wenden möchte." „Für Den, an den Du denkst, geb' ich Dir keinen Pfennig heraus, da magst Du mich verklagen, wenn Du willst." „Du irrst Dich", sagte Anny ruhig, „ich würde jetzt nicht ver suchen, auf irgend einem Wege Fred das zuzufügen, was er nach allem Vorausgegangenen für einen Schimpf halten würde. Aber Du hast dennoch recht, die Hälfte meiner Vermögens sehe ich als sein Eigenthum an, über das ich nicht verfügen will. Wenn Zeit und Schicksal uns hinweghelfen über den Stein, den Du in unseren Lebensweg gerollt hast, so will ich nicht als eine unge treue Haushälterin vor ibm stehen. Was ich bin und habe, gehört heute wie in alle Zukunft dem, der mich zu seiner Braut er wählte." „Und dennoch willst Du großmllthig die Hälfte Deiner Habe den Armen geben, wie reimt sich daS?" „Ich weiß, daß ich bannt in Fred'S Sinne handle." „Was doch die Leute ideal sind, die noch nie daS liebe Geld entbehrt haben, um eS schätzen zu können! — UebrigenS, — wenn Dir Deine Idee ernst ist —" Der Rechtsanwalt befand sich in sichtlicher Verlegenheit.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite