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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000905026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900090502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900090502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Gröbere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage« (gefalzt), nur mit de, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ibeud-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Margen-Au-gabe: Nachmittag« «Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestelle» j» etW halbe Stunde früher. Anteile« sind stet« an die Erheditto« »» richte». Druck aud Verlag vo» G. Polz in Let-zk» Mittwoch den 5. September 1900. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. Das m. deutsche Lcebataillon beim Sturm auf Tientsin. Der gestern eingetroffene „Ostasiatische Lloyd" vom 27. Juli enthält noch ausführliche Berichte über den Entsatz von Tientsin. Uebcr die Kämpfe, welche dazu führten, ist schon eingehend berichtet worden. Wir heben noch folgende Mit theilungen über den Antheil des deutschen III. See bataillons daran hervor: General Stössel, der russische Commandeur, hatte die Einschiffung der Compagnie von Knobelsdorfs, zweier Com pagnien Russen nebst vier Geschützen und vier Maschinengewehren auf einen Zug geleitet, der in der Richtung nach Tientsin abfuhr. Da man fortwährend eines feindlichen Ueberfalles gewärtig sein mußte, so konnte der Zug nur mit größter Vorsicht vorwärts bewegt werden. So kam es denn, daß man Chun-lang-cheng erst bei Anbruch des nächsten Tages (22. Juni) erreichte. Weiter ging es nicht; oberhalb dieser Station hatten die Chinesen die Bahn völlig unfahrbar gemacht. Mit der Compagnie von Knobelsdorfs als Avantgarde voraus, wurde nun der Marsch zu Fuß weiter fortgesetzt. Brennende Dörfer zeichneten den Weg, den hinter den Deutschen die tapferen, aber wenig zartfühlenden Russen zogen. Noch zehn oder zwölf Kilometer von Tientsin entfernt, dicht an der Bahn, wurde Nachmittags 4 Uhr Biwack bezogen. Unterdessen war auch Major Christ mit der Com pagnie Gene und zwei weiteren Compagnien Russen von Tongku, wo der Feind sich absolut unthätig verhalten hatte, herauf gekommen und hatte sich mit General Stössel vereinigt. Frei - willigübernahmMajorChristmitseinenSee- soldaten in der Front des Lagers, wo alsbald be unruhigende Beobachtungen gemacht wurden, die Siche rung. Man bemerkte chinesische Cavallerie, die gegen das Lager der Europäer vorzustreiscn schien. In westlicher Rich tung, etwa 3 Kilometer entfernt, hatten die Chinesen ein Lager aufgeschlagen. Wohl eine halbe Stunde lang hatte der russische Stab, mit Instrumenten bewaffnet, die 15-Centimeter-Geschützen ähnlicher sahen als Fernrohren vom Bahndamm aus die „merkwürdigen Erscheinungen" (das Fort und die chinesische Cavallerie nämlich) beobachtet und waren ganz erstaunt, als ihnen von deutscher Seite Aufklärung über deren Natur wurde. Jetzt erhielt die Artillerie den Auftrag, den Feind in respekt voller Entfernung zu halten. Die Compagnie von Knobels dorfs ging etwas weiter gegen Tientsin vor, und Oberleutnant Hagemeister übernahm die äußerste Wache nach dieser Richtung, wo ein nächtlicher Ueberfall möglich erschien. Die Leute waren die Nacht zuvor und den ganzen Tag über nicht zur Ruhe gekommen. An Gepäck mußte Jeder selbst schleppen, was er brauchte, denn Gepäck- und Provianttrains gab es nicht, zu essen also auch nichts — außer den eisernen Portionen; dazu einen Trunk aus den gelben Fluthen des Peiho, in welchen sich die Körper von Chinesen auch noch im Dunkel der Nacht bemerkbar machten. Diese Chinesen nahmen ein letztes Bad, wohl auch ihr erstes. Es waren Leichen. Die Leute lagen auf der baumlosen, trostlosen Haide mit Gewehr im Arm. Von den russischen Lagerfeuern klang der Zapfenstreich herüber, macht voll, erschütternd und doch so unendlich versöhnend: „Ich bete an die Macht der Liebe!" Noch vor Tagesanbruch (23. Juni) wurde das Zeichen zum Wecken geblasen, und gegen s/>7 Uhr erfolgte der Befehl zum Vormarsch. Die Sonne stand klar und verheißend am Horizont der baumlosen, ausgedörrten Lehmwüste. Major Christ hatte gebeten, mit seinen Compagnien in erster Linie fechten zu dürfen, was ihm auch bereitwilligst durch Uebertragung des linken Flügels gewährt wurde. Inzwischen war die Meldung einge troffen, daß Engländer und Amerikaner auf dem linken Flügel in zwei Stunden eingreifcn könnten. Schon auf viele Kilo meter entfernt, gewahrte man die wie lange braune Regen würmer sich über die lehmige Fläche schlängelnden Schützenlinien der Engländer, die hier, wo noch kein Feind in Sicht war, bereits jene taktischen Formationen angenommen hatten, deren Kenntniß sie im Transvaal mit so schwerem Lehr geld bezahlt hatten. Die Compagnie von Knobelsdorfs hatte Oberleutnant Hagemeister mit einem Halbzug vorgeschoben und folgte auf 200 Meter in Compagniecolonne: links gestaffelt mit 200 Meter Abstand stand die Compagnie Gens, welche zur Sicherung der linken Flanke Patrouillen bis an den Peiho Vor trieb. Gegen 7 Uhr vernahm man östlich des Bahndammes leb haftes Gewehr-, sowie Geschützfeuer. Die dort vorgehenden russischen Compagnien bekamen Fühlung mit der chinesischen Arsenalbesatzung, die nicht nur aus nahe Entfernungen durch Anbringen von Entfernungsmarken sich ein genaues Feuern ge sichert hatte, sondern auch bereits den deutschen Truppen auf 2 Kilometer eine Geschoßwolke entgegensandte. Um 8 Uhr Vormittags hatte sich eine Rechtsschwenkung auf der ganzen Linie fühlbar gemacht. Die Compagnie Gens war hierdurch in die vorderste Linie gelangt und ging mit Schützen vor. Die Compagnie von Knobelsdorfs folgte zunächst auf dem linken Flügel in Compagniecolonne. Engländer und Amerikaner griffen zwischen russischen Abteilungen und den Seesoldaten ein. Um 9 Uhr etwa erreichten Engländer und Amerikaner den Bahndamm südlich der Brücke. Die Amerikaner beobach teten dabei die merkwürdi ge Taktik, mit Salven einen Gegner zu überschütten, der in der That gar nicht zu sehen war. Ein Theil der Compagnie Gens überschritt als die erste Truppe die heftig vom Arsenal aus beschossene Eiscnbahnbrücke. Der Nest der Compagnie ging durch den Fluß. Dann blieb die ganze Compagnie zunächst am Eisenbahndamm halten. Wenige Minuten später versuchten die Chinesen, die Eisenbahnbrücke in die Luft zu sprengen. Die Compagnie von Knobelsdorfs ging gleichzeitig über die Holzbrücke unterhalb der Eisenbahnbrücke, beschoß eine auf etwa 1200 Meter marschierende Wagenkolonne und stellte sich darnach auf dem linken Flügel zur eventuellen Unterstützung der Compagnie Gens bereit. Um 9 Uhr 30 Min. Vormittags ging die Compagnie Gens östlich des Bahnkörpers gegen das Arsenal mit dem linken russischen Flügel vor. Um 10 Uhr war die Compagnie Gens sprungweise im Verein mit dem linken russischen Flügel bis auf 500—-600 Meter vor das Arsenal herangekommen und eröffnete nun das Feuergefecht gegen die dortige Besatzung, das diese sehr heftig erwiderte. Es war jetzt fast 11 Uhr und das Gefecht schien seinen Höhe punkt erreicht zu haben. Da brachten Leutnant Cretius und vr. Betz durch den ärgsten Kugelregen quer über das Gefechts feld und die Eisenbahnbrücke, auf welche der Feind sein Feuer immer mehr concentrirte, an Major Christ die Meldung von General Stössel: Der General beabsichtige diese feindliche Position heute nicht zu nehmen, sondern gedeckt hinter dem Eisenbahndamm weiter in der Richtung auf das Stationshaus Tientsin abzumarschiren. Dieser, der starken Besatzung des Arsenals (etwa 1000 Mann) gegenüber gewagte Abmarsch konnte nur gelingen, wenn der Feind bis zur Beendigung in Schach gehalten wurde. Major Christ erbot sich daher, mit seinen Compagnien den Abmarsch zu decken, was General Stössel dank bar annahm. Gegen 11 Uhr erst konnte der Major die Com pagnie Gens, die unter dem heftigen Feuer des ausgezeichnet gedeckten, weit überlegenen Gegners bereits große Verluste er litten hatte, wieder an das Detachement heranziehen. Um dies Loslösen vom Gegner zu erleichtern, stellte General Stössel dem Major Christ auf dessen Wunsch die Batterie zur Verfügung, welche mit Hilfe der Compagnie von Knobelsdorfs auf dem steil ansteigenden Bahndamm postirt wurde. Unter dem Schutze der Artillerie wurde nun die C o m p a g n i e G e n s an den Bahn damm zurückgezogen. Sie hatte ihre Feuertaufe gründ lich empfangen; von 120 Mann waren in knapp zwei Stunden 10 Mann gefallen, darunter Leutnant Friedrich, und 27 verwundet. Ein Glück, daß cs der Compagnie noch gelang, ihre Verwundeten sämmtlich mitzunehmen; denn der grausame Fanatismus der Chinesen macht weder vor dem Tode noch vor der Hilflosigkeit des Verwundeten Halt. Wie stolz durfte Major Christ auf diese staub- und blutbedcckt aus dem hitzigen Gefecht zurückkehrenden jungen Krieger sein, von denen die meisten noch Rekruten waren. Trotz der ersichtlich großen Erschöpfung zog ein glückliches Lächeln über die müden Gesichter, als der Comman deur ihnen zurief: „Ihr habt Eure Sache brav gemacht!" Als die Tobten der Compagnie Gens in blutgetränkten Zelttüchern an den Russen vorübergetragen wurden, spielte die russische Ca pelle ihnen ein Todtenlied. Das Beispiel des Hauptmanns Gens, der selbst zwei Verwundete mitschleppte, sowie das tapfere Aushalten und die Feuerdisciplin seiner Compagnie machte auf das gesammte Detachement einen tiefen Eindruck. General Stössel sprach noch während des Gefechtes den deutschen Truppen seine besondere Anerken nung für die tapfere Unterstützung und das todtverachtende Aushalten aus, wodurch der Abmarsch des Gros an der Bahn entlang auf Tientsin und die Vereinigung mit der dort fechten den Garnison ermöglicht worden war. Der Gegner folgte nicht; ihm war anscheinend durch das deutsche Blei der Wunsch nach näherer Bekanntschaft mit deutscher Infanterie im freien Felde außerhalb seiner vorzüglichen Deckung vergangen. Um 3 Uhr 25 Minuten Nachmittags war das Detachement bis dicht an Tientsin herangerückt und gewann Fühlung mit dem dortigen Gegner. Zu gleicher Zeit drang die russische Besatzung des Stationsgebäudes von Tientsin gegen die chinesischen Schützenlinien, die den Anmarsch der Deutschen befeuerten, vor. So unter zwei Feuer genommen, hielten diese nicht Stand und gegen 4 Uhr war die Vereinigung mit der russischen Besatzung am Südostthor an der Eisenbahn hergestellt und Tientsin ent setzt. Die erlittenen Verluste waren schwer: 1 Officier (Leutnant Friedrich) und 1 Sergeant, 8 Mann todt. 1 Feld webel (Feldwebel Klein), 1 Unterofficier (Unterofficier Schulze) und 25 Mann verwundet, von denen im Laufe des Tages noch 2 starben. Viel zu wenig ist in dieser trockenen Schilderung von Lobe der Tapferkeit und Ausdauer dieser ausgezeichneten Truppe und ihrer Officiere gesagt worden. Doch die neidlose Anerken nung der Kampfgenossen auf dem Schlachtfelde ist das beste Lob für die Tapferkeit derselben. Die Truppe war am 23. Juni von 5 Uhr Morgens bis 4 Uhr Nachmittags unausgesetzt bei glühender Hitze (29 Grad Celsius) bei starkem entgegenwehenden Sandsturm, ohne jedes Wasser und nur mit wenig Hartbrod im Kampf gewesen. Trotz dem war die Stimmung der Officiere und Mannschaften ganz vorzüglich, weil Alle das Gefühl beseelte, es gilt die Befreiung der Kameraden und Einwohner Tientsins. Die bisherigen Ver suche waren gescheitert; schlug auch dieser fehl, so fielen alle Europäer Tientsins den grausamen, unerbittlichen Asiaten zum Opfer. Die Haltung der Leute im Gefecht und ihre Feuerdisciplin verdient um so größere Anerkennung, weil sie der Mehrzahl nach erst iinersten Dienstjahr stehen. Die Ruhe und Sicherheit bei Ausführung der vom Major Christ ertheilten Befehle, die alle Bewegungen wie auf dem Exercierplatz verlaufen ließ, machte auf die Verbündeten neben der Kaltblütigkeit und Tapfer keit der Truppe einen hervorragend guten Eindruck, wie General Stössel dem Commandeur des dritten Seebataillons unter leb haftem Dank für die wirksame Unterstützung versicherte. Plünderungen. Ucber schlimme Scenen, welche der Rückeroberung von Tientsin folgten, berichtet der „Ostas. Lloyd": Nach der Einnahme der Chinesenstadt Tientsin, die von mehr als einer Million Menschen bewohnt war, gestatteten die Fran zosen, Engländer, Amerikaner und Russen ihren Soldaten officiell, einen halben Tag zu plündern. Es darf besonder« hervorgehoben werden, daß (wie schon telegraphisch gemeldet. Red. d. Leipz. Tgbl.) an der dann sich entspinnenden Plünde« rung sich kein deutscher Soldat betheiligt hat. Was für einen Umfang diese aber angenommen hat, davon macht man sich kaum einen Begriff. Tage lang wurde nicht nur di« Chinesenstadt geplündert, sondern auch jedes Haus in der Euro- päersiadt. Das Schlimmste aber ist, daß an dem schamlose» und barbarischen Treiben, das sich nun entwickelte, auch ein« ganze Reihe von Civilisten therlgenommen hat, und unter ihnen auch Mitglieder der sogenannten besten Gesellschaft Tientsins. Die mündlichen Berichte wiederzugeben, die von Augenzeugen hierher gebracht sind, sträubt sich die Feder. Wie es aber in Tientsin zugegangen ist, davon erhält man einen Begriff aus den folgenden Schreiben, die dem „Ostas. Lloyd" von befreundeter Seite zur Verfügung gestellt worden sind: Tientsin, 16. Juli. Sofort nach Besetzung der Chinesen« stadt sah man Leute, die während des Bombardements nur in den tiefsten Kellern zu finden gewesen waren, dorthin ziehen und schwer beladen mit Beute aller Art, namentlich aber Silber- Sycees Heimkommen. Die Freude dauerte indessen nicht lange. Bailie, der englische Oberstcommandirende in der Stadt, nahm den Räubern Alles schnellstens wieder ab. Keiner von ihnen hatte auch nur eine Hand gerührt, in Zeiten, als die Lage für unS Alle recht gefährlich war; das hinderte sie aber nicht, sich an der Plünderung zu betheiligen und dabei gründliche Beute zu machen. Alles ihnen wieder abgenommenc Geld und Silber fällt dem Kriegsfonds zu. Thüren und Thore wurden besetzt und gründ liche Haussuchungen vorgenommen. Am meisten enttäuscht war ein englischer Berichterstatter, der sich Syrers im Werthe von 28 000 Taels mühsam hcrbeigeschlepppt hatte. Heute tritt in dieser Sache ein Kriegsgericht zusammen. Es brennt ringS umher, wohin man auch sein Auge wendet. Auch ein Theil der Chinesenstadt steht bereits in Flammen. Die Luft ist ganz entsetzlich. Zu der ganz enormen Hitze kommen noch die üblen Gerüche der Leichen und des Feuers. In unserem Bureau sieht es wüst aus. Ich kann kein Safe öffnen, da alle Griffe ab gehauen und die Safes selbst umgeworfen sind. Die sämmt- lichen deutschen, in der französischen Nieder lassung ansässigen Firmen haben nach Rücksprache mit dem deutschen Consul durch ihn «in Schreiben an den französischen Generalkonsul gerichtet, in dem sie Schaden ersatz beanspruchen. 17. Juli. Ich schrieb Ihnen gestern Morgen und muß Ihnen heute die traurige Mittheilung machen, daß inzwischen unser ganzes Haus vollständig von den russischen und französischen Soldaten ausgeraubt, und alles Mobiliar gewaltsam demolirt worden ist. Alle Safes sind ebenfalls erbrochen und ich bin jetzt bemüht, wenigstens unsere Bücher zu retten. Vom französischen Consul war keine Hilfe zu erlangen, und der deutsche und der russische konnten nichts machen. Consul vr. Zimmermann hat sich aber die zerstörten Plätze angesehen und ist dann persönlich zu Comte du Chaylard gegangen, der ihm versicherte, daß die Ansprüche der deutschen Firmen, falls sie von ihm (dem deutschen Consul) gegengezeichnet würden, genau in derselben Weise von du Chaylard bei seiner Regierung vertreten werden würden, als kämen sie von französischen Firmen. Fsrrilletsn. Ilonka. 12j Roman von C. Deutsch. Nachdruck Virboten. „Sagt mir um Gottes Willen, was wieder vorgeht!" rief er, in der Mitte der Stube stehen bleibend. „Was vorgeht, will ich Euch sagen!" sprach Lajos, und seine Stimme klang vor Aufregung und Wuth heiser. „Euer Sohn, der Euch jetzt so sehr ans Herz gewachsen ist, weiß, kaum nach Hause gekommen, nichts Besseres zu thun, als das Weib seines Bruders zu verführen. Was vorgeht, was vorgeht? Gestern Nacht, als Alle schliefen, war sie bei ihm in seiner Kammer." „Ist das wahr — Juran?" fragte Marie, in Weinen aus brechend. „Jetzt weint sie!" schrie Lajos außer sich und ballte die Faust, „jetzt weint sie, früher, als wir allein waren, und ich sie gefragt hab', hat sie mir zuerst gar keine Antwort gegeben, dann auf eine Art, daß ich's glauben mußt. Als wir allein waren, da hat sie mich halb wahnsinnig gemacht mit ihren Reden, da hat sie's so weit gebracht, daß ich sie erwürgen wollt. Und doch warst bei ihm, man hat Dich gesehen." „Wer hat sie gesehen?" unterbrach ihn jetzt Juran und trat auf ihn zu. Seine Hand fiel so schwer auf die Schulter deS Bruders, daß seine Gestalt wankte. „Bis jetzt hab' ich Nach sicht mit Dir gehabt, denn Du kamst mir wie ein Verrückter vor, und so halb' ich Dich nur bedauert, jetzt wird mir die Sache zu arg. Gottes Tod, ich bin nicht gewohnt, daß man mit Kot nach mir wirft. Widerruf die elende Lüge, oder es geschieht was!" „Sag ihr hier ins Gesicht dieselben Worte, die Du mir vor Wochen von ihr gesagt hast, und ich will es nit glauben." „DaS fällt mir nicht ein!" rief Juran entrüstet. „Ich laß mir nichts mit Gewalt abpreffen, jetzt nichts abpreffen. Hat mein ehrliches Wort, mein redlicher Sinn kein Gewicht bei mir, so wird etwas Anderes entscheiden. Widerrruf die elende Anklag' oder beweis' sie." „Beweisen, beweisen!" schrie Lajos und schlug in ohnmäch tiger Wuth auf den Tisch. „Ich werd's, die Magd, die Kathinka, hat sie gesehen." LajoS war außer sich, daß Juran sich weigerte, die schmählichen Worte zu wiederholen, die er damals gegen ihn geäußert. Hatte er sich nicht bereit erklärt, ihr zu jeder Minute seine Meinung ins Gesicht zu sagen, und jetzt weigerte er sich? . . . O, e» war ja kein Zweifel mehr, daß sie zusammenhielten und die Magd, die es ihm hinterbracht, hatte die Wahrheit gesprochen. Sie hatte es ihm gegen Abend auf dem Felde gesagt, als sich die Arbeiter entfernt und Lajos noch ein bißchen zurück geblieben war. Die Magd hatte ihren Lohn weg; denn Lajos pflegte der artige Spionierdienste gleich baar und gut zu bezahlen, und es entstand eine Art Wetteifer unter den Knechten und Mägden, wer rascher mit seiner Botschaft war, und wer mehr zu erzählen hatte. Die Magd hatte ihren Lohn weg, aber als man sie jetzt suchen ging, war sie schwer zu finden. Sie hatte sich auf dem Heuboden versteckt, um den ersten Sturm vorübergehen zu lassen. Endlich wurde sie aber doch gefunden und heruntergebracht. Als sie jetzt in der Stube stand und in das flammende Gesicht Juran's sah, schwand ihr Muth gewaltig. „Was hast Du von mir gesagt? Wiederhol noch einmal die Frechheit hier vor mir!" sagte er und faßte sie beim Arme. „Laß mich los", bat das Mädchen, das sich die Sache über legt hatte. „Mit Euch ist nit zu spaßen und Ihr seid auch zu gut, als daß ich Euch kränken möcht. Es ist Alles nit wahr, was ich gesagt hab'. Seht, ich wollt' meinem Jmar ein klein Geschenk machen und das hat mich zu der Lüg' verleitet; denn der Lajos bezahlt derartige Klatschereien besser als die schwerste Arbeit in Haus und Feld, und ich wollt' auch einmal leichten Verdienst haben, wie die andern Knechte und Mägde, die ihm auch nichts als Lügen berichten." „Du abscheuliche Kröte!" rief Lajos. „Hast Du mir nit be- theuert . . . ." „Eine Unwahrheit muß man auch mehr betheuern als eine wahre Sach'", entgegnete die Magd. „Am End', was hab' ich gethan? Ich hab' Euch doch nur ein Vergnügen bereitet, Bauer; denn Lieberes kann man Euch doch nit anthun, als derartige Dinge hinterbringen." Dem Mädchen wäre es schlimm ergangen, wenn es Juran nicht geschützt hätte; er drängte es zur Thür hinaus, mit dem Bedeuten, augenblicklich seine Sachen zu nehmen und das Haus zu verlassen, morgen könne es sich den Lohn holen. Janos Molnar hatte sich an dem ganzen Borgange nicht betheiligt; jetzt stand er auf, der alte eiserne Ausdruck trat in sein Gesicht, als er begann: „Das letzte Mal ist es, daß Der artiges in meinem Hause passirt. Was und wie ich auch früher gewesen, auf Eines hab' ich immer gehalten, auf die Ehre meines Hauses; dafür hab' ich gearbeitet und mich abgemüht, dazu hab' ich Jahr für Jahr Stein und Mörtel getragen, wie der Mann, der ein Haus baut, um es fest und sicher zu machen. Du und Dein Weib, Ihr habt schon viel davon niedergeriffen und zer treten, ganz in den Sumpf soll es nit geschleppt werden. Lajos, Dein Antheil wird Dir herausgezahlt, morgen verlaßt Ihr auf immer mein Haus, ich duld' Euch keinen Tag länger, ich be schwör's bei meinem Leben, keinen Tag länger." „Und mir ist's recht", sagte Lajos zum großen Erstaunen des Vaters. „Ihr habt' mir aus der Seel' gesprochen, und hättet Ihr es nit gethan, wär' ich von selbst gegangen. Eh' ich ein solches Leben weiterfllhr, lieber will ich todt sein. Ja, ich geh mit Ihr fort, soweit mich meine Füße tragen, daß sie ihn aus dem Gesicht und dem Sinn kriegt, und kauf' mich in einer anderen Gegend an. Zahlt mir nur heraus, was mir zukommt, was mein Antheil ist, und die nächste Nacht soll man mich und sie nit mehr in Tyhany finden. XXIII. Zwei Stunden später ging Alles im Hause zu Bette, nur Juran nicht. Er war zu aufgeregt, um nach der stattgefundenen Scene schlafen zu können. Er trat durch die Hausthür in den Hof, auf welchem der milde Schimmer des Mondes lag. Es war eine wundervolle Nacht, so mild und voll Duft, daß in ihrem Zauber unwillkürlich das Menschenherz aufging und weich und sehnsüchtig gestimmt wurde. Auch Juran überkam eine solche Regung, eine Sehnsucht nach etwas Unbestimmtem, Unaussprech lichem. Hätte er jetzt nicht verheirathet sein können, ein geliebtes Weib an seiner Seite, geliebte Kinder um sich! . .. Wo waren die Träume der Vergangenheit geblieben? Ein verderblicher Sturm war gekommen und hatte alle goldenen Blüthen auf ein mal und für immer abgeweht, oder war es nur ein Winterschauer gewesen, der die Blüthen Wohl vernichtet, die Wurzeln aber warm zugedeckt hatte, daß sie wieder grünen und blühen konnten, wenn es Frühling wurde? Der Hof war vom Mondenlicht zu hell beschienen; er ging nach dem Garten, wo die Schatten dichter und dunkler fielen. Er schritt dem oberen Theile des Gartens zu, wo die Laube neben dem Brunnen stand, der für die Bewässerung sorgte. Vor ihm, im Schatten der Bäume glitt eine Gestalt dahin, er sah sie nicht, sein inneres Auge war geöffnet, er dachte an Vergangenes, Ge wesenes. Als er zur Laube trat, schwang sich plötzlich Jemand auf den Rand des Brunnens und neigte sich über die schwarze Tiefe, im Begriff, sich hineinzustllrzrn. Juran erschrak nur einen Moment, im anderen war er schon dort und riß die Gestalt zurück; er sah in Mariens Gesicht. War eS wirklich so bleich, oder ließ es das Mondlicht so erscheinen? Der arme Juran! Wenn er gewußt, daß sie ihn au« dem Hause hatte treten und nach dem Garten gehen sehen, daß sie durch eines der niederen Fenster auf die Straße gestiegen, sich über den Zaun in den Garten ge schwungen und im Gebüsche verborgen mit pochendem Herzen auf seine Ankunft gewartet hatte! Was war die Neigung, die sie als Mädchen für ihn em pfunden, gegen das Gefühl, daS sie jetzt beherrschte! ES war ein ruhig dahinfließender Bach, eine leicht brennende Flamme gegen einen wildcmpörten Strom, gegen ein Gluthmeer, das jetzt in ihr brannte und ihr ganzes Wesen in den furchtbaren Aufruhr der Leidenschaft versetzte. Mit dem ersten Wiedersehen war die alte Leidenschaft in ihr erwacht, mit dem ersten Wiedersehen war der sündhafte Wunsch in ihr aufgestiegen, ihn zu besitzen, anfangs nicht so heiß und so verzehrend als seit der Stunde, da er mrt ihr getanzt, und da war auch leise die Hoffnung in ihr aufgetaucht, daß eS möglich, daß er zu gewinnen sei. Wie hatten sie damals seine Arme um schlossen und an sich gedrückt, wie heiß und feurig war sein Athem über ihr Gesicht gegangen! . . . Kein Mittel wollte sie scheuen, kein böses, kein gutes, um ihn an sich zu fesseln. Bis zu Juran's Rückkehr war ihr Lajos nur gleichgiltig gewesen, jetzt haßte sie ihn. Früher war sie in ihren Neigungen ziel- und planlos gewesen und er war ihr nur durch seine Eifersucht un bequem, jetzt hatte sie einen bestimmten Punct, dem sie mit der ganzen Gluth ihres Wesens zustrebte. Schon daS Bewußtsein des Gebundenseins hätte schlimme Gefühle in ihr erweckt, auch wenn dieses Gebundensein ihr nicht so fühlbar gemacht worden wäre, wenn Lajos geblieben, was er war: aufbrausend, aber feig und nachgiebig. So hatte er sich aber zu einer Energie empor gerafft, zu einer Wildheit, die sie erschreckte und außer sich brachte. Und auS dem Hause wollte er auch gehen, sich seinen Antheil herauszahlen lassen, sogar das Dorf verlassen, und sie sollte mit, sich von ihm trennen, von ihm, den sie besitzen mußte!... mußte! Marie war kein Weib wie ein anderes, sie hatte nie gelernt, ihr« Wünsche zu zügeln, sie war nicht gewohnt, blos zu wünschen. Begehren und besitzen war unzertrennlich, war ein Begriff für sie. „Laß mich", sagte Marie, mit Juran ringend, „laß mich, ich will nit leben." Doch gegen ihn war sie nur ein Weib, er nahm sie in sein« Arme und trug sie bis zur Bank, wo er sie niedrrsetzte. Eine tiefe Pause trat ein, dann sagte Juran, und sein Gesicht hatte einen strengen, finsteren Ausdruck: „Du bist wild wie die Füllen, die frei auf der Pußta auf wachsen, und verzehrend wie das Feuer, da« auS dem Dache schlägt. — Gott erbarm' sich Dein, Marie, Du bist ein furcht bar Weib." „O Juran, Juran!" rief Marie und rang in leidenschaft lichem Schmerz die Hände, während ein Thränenstrom ihre«
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