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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000907020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900090702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900090702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-09
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Die letztere verhält sich entschieden ablehnend, wie folgende Proben erneut zeigen: Die „Times" sagen in einer Besprechung dcS Edicts an Li-Hung-Tschang, Laß es, wenn eS echt ist, wenigstens einen wichtigen Puuct klarstellt: „Es ist ein Zugeständniß des nominellen Herrschers, daß seine Bewegungen auch weiterhin von der Kaiserin - Witlwe, auf deren Initiative und Unter stützung die europäischen Residenten in China Len Ausbruch der Boxerbewegung zurücksühren, dirigirt werden. Wir wissen nicht, ob dieses Edict, daS lediglich Li-Hung- Tschang auffordert, «Verhandlungen zu suchen, die einzige Legitimation bildet, auf Grund deren er sich als der chinesische Bevollmächtigte ausspielt. Alles, was gesagt werden kann, ist, daß daS Edict, wenn dies der Fall ist, vollkommen ungenügend ist. . . Ebe ernstliche Verhand lungen angeknüpft werden können, müssen wir genau wissen, wer eigentlich inChina jetzt Negierung i st, was für Bedingungen dieselbe anbieten kann und welche Autorität ihre Vertreter besitzen. Ueber alle diese Puncte sind wir augenblicklich vollständig im Dunkeln. Ueberhaupt sollten wir vor allen Dingen volle Information von Sir Claude Mac Donald abwarten, ehe wir uns zu irgend einem Schritt herbeilassen, der die Freiheit unserer Handlungsweise für die Zukunft beeinflussen könnte. Jede der Regierungen muß für sich selbst Klarheit darüber finden, welchen Weg sie einzuschlagen hat, um ihre eigenen Interessen und ihre Würde aufrecht zu erhalte». Wir maßen unS nicht an, auch nur einer derselbe» den Weg vorzuschreibcn, den sie vielleicht gehen könnte, weder in Bezug auf die Räumung von Peking, noch die Anerkennung Li-Hung-Tschang's; aber wir sind unS klar darüber, waS England zu thun hätte, und werde» überrascht sein, wenn nicht wenigstens einige der anderen Mächte Englands Ansichten über die Situation acceptiren. Die Beziehungen zwischen Rußland und Li- Hunz-Tschang sind bisher sehr intim gewesen, und Rußland mag seine Gründe haben, weshalb es einen alten Freund, dem es so viel anverlraut bat, nicht beleidigen will. Der „Telegraph" sagt, Mr. Rockhill, der Special gesandte der Vereinigten Staaten, hat sich selbst in den stärksten Ausdrücken gegen jede Politik erklärt, die die chinesische Negierung in der sinnlosen Idee, daß sie unbestraft davonkommen werde, bestärken könne. Es ist durchaus nicht gewiß, daß England, wenn eS mit Deutschland vereint wäre, die Unterstützung Amerikas entbehren müßte, und auch Iapau würde kaum Lust haben, sich von einer solchen Combination zu isoliren. Die Welt hat oft auf Lord SaliSbury'S Wort gewartet, aber niemals so gespannt, wie jetzt." Der „Standard" meint, daß dem russischen Vorschlag, je eingehender man ihn prüft, desto weniger Freunde er wachsen. „Es ist kein Anzeichen vorhanden, Laß die russische Anregung beute günstiger beurtbeilt wird, als zu Anfang, oder daß die offenbaren Nachtheile, die ihr inne wohnen, bei näherer Prüfung verschwinden. Im Gegentheil, je mehr man den Vorschlag Prüft, desto weniger gefällt er Einem. Wenn er von einigen der in Betracht kommenden Regierungen angenommen ist, so ist daS nicht geschehen, weil er werthvoll ist, sondern weil bei ihnen der Wunsch, Rußland gefällig zu sein, daS Verlangen, eine dauernde Niederlassung in China zu sichern, übertrifft. Von einigen verantwortlichen Organen der öffent lichen Meinung Frankreichs wird dicö auch offenherzig zugegeben. . . . Frankreich will diese wertbvolle Freund schaft nicht dadurch erschüttern, daß er den Plänen seines erhabenen Patrons in Nordostasien entgegen arbeitet; trotzdem aber weiß man auch in Paris und mehr noch in Berlin und Wien ganz genau, daß die Räumung Pekings von den verderblichsten Folgen für die Interessen aller Nationen, die Handelsbeziehungen mit China haben, und schließlich für jenes Reich selbst sein müssen. Es ist durch aus nicht gewiß. Laß die vorgeschlagene Zurückziehung der Garnison von Peking überhaupt durchgeführt werden kann, obne Laß sich sofort nochmals dieselben schlimmen Vorkomm nisse entwickeln, die Lurch den Vormarsch der Truppen zeit weilig niedergeschlagen waren. Die Boxer sind noch in der hauptstädtischen Provinz activ und mögen sofort wieder in die Hauptstadt hineinschwärmen, wenn die Nachhut der inter nationalen Truppen die Thore verlassen hat .... Soweit man jetzt sehen kann, haben weder die Herrscher, noch die Unterthanen in China das nölhige Verständniß für die Gemeinheit der Verbrechen, die sie gegen die Civilisation begangen haben, oder von der Gefahr, die in einer Wiederholung derselben liegen Was immer bis jetzt ge ¬ schehen ist, daS Wichtigste ist, daß den Chinesen aller Classen vollkommen klar gemacht wird, wie die Facten jetzt liegen, und daß sie verstehen lernen, daß die Verbrechen dieses Sommers nicht ungestraft bleiben werden. Das sind starke Gründe, die gegen eine Unterstützung der russischen Politik sprechen." Das nordamerikanische Staatsdepartement hat der russischen Regierung mitgetheilt, daß nur die amtliche Mel dung von dem Abzüge der russischen Truppen aus Peking die Bereinigten Staaten veranlassen könne, die eigenen Truppen zurückzuberufeu. Es ist dies eine etwas zwei deutige Erklärung, die verschieden auSzelegt werden kann. Nach Allem, WaS in den letzten Tagen aus Washington verlautete, nach den Aeußerunzen des ameri kanischen Consuls in Shanghai, des Special-CommissärS Rockhill, und deu Protesten der in China angesiedelten nordamerikanischen Kaufleute sollte man annehmen, raß die Unionsregierung die Räumung überbaupt ablehnen würde. Jedenfalls beeilt sie sich nickt; sie wartet, ob Rußland seine Truppen thatsächlich zurückzieht. DaS aber ist bei der großen Abneigung der europäischen Mächte, dem russischen Vorschlag zuzuslimmen, keineswegs sicher. Die Erklärungen des „Journal de St. Petersbourg", in welchem der be absichtigten Räumung Pekings gar nicht Erwähnung gethan ist, werden zwar in Berlin nicht als ein Rückzug anfgefaßt, man räumt aber ein, daß sie den Schluß zulassen, die russische Regierung sei durch die Ausnahme, welche ihr Vorschlag bei den Mächten gefunden, etwas nachdenklich geworden. Eine Verständigung zwischen Rußland und Deutschland könne noch immer erfolgen, denn wenn man auch in Berlin die Räumung Pekings verwirft, so würde man doch der Verlegung der Gesandtschaften nach Tientsin zustimmen. DaS wird von mehreren Blättern, die nicht ohne Verbindung mit dem Auswärtigen Amte sind, als sicher bezeichnet. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, daß die Befürchtung, Deutschland könnte in der chinesischen Angelegen heit isvlirt werde», wohl einen Moment bestanden habe, jetzt aber schon überwunden sei. Die Haltung Englands könne man, obwohl Lord Salisbury sich in Schlucht um nichts zu kümmern scheine, nicht mehr bezweifeln, und in Japan werde die Abneigung gegen den russischen Vorschlag täglich stärker. Oesterreich und Italien aber stünden fest an Deutschlands Seile. Unter diesen Verhältnissen werde Rußland wohl nicht hartnäckig auf seinem Standpuncte beharren. * London, 6. September. Ter Generalstaatsanwalt Robert Finlay hielt gestern in Jnverneß eine Rede, in welcher er auZ- sührte, man müsse die Einsetzung einer starke» Regierung in China anstreben, die im Stande sei, ihre Pflicht gegenüber den aus wärtigen Mächten zu ersüllen, und ferner durchsetzen, daß die bei den letzten Wirren betheiligten Beamten bestraft würden. * London, 6. September. Die Abendblätter veröffentlichen eine Depesche aus Hongkong vom 5. September: Der Sekretär Li Hung Tschang's, welcher heute in Hongkong eingetroffen ist, sagt, Li Hung werde Shanghai morgen verlassen und nach Peking reisen. * Shanghai, 7. September. (Telegramm.) Dem Gerüchte, Li Hung Tichang werde seine Reise an Bord eines russischen Schiffes antreten, wird in hiesigen Beamtenkreisen keinGlauben beigemessen. (Reutermeldung.) * Petersburg, 6. September. Der russische Gcneralconsnl Popon telegraphirt unter dem 3. September aus Futschou, daß die in Amoy gelandeten japanischen Truppen abberufen worden seien und in Futschou beständig Ruhe herrsche. (Wiederholt.) Der Krieg in Südafrika. Englands mangelhafte Vorbereitungen. Capilän Hedworth Lambton, Commandeur der Marine- Brigade in Ladysmith, antwortet in einem Briefe an die „Times" auf die Bemerkungen, die der Unterstaatssekretär Brodrick neulich über seine Kritik der Vorbereitungen der Negierung für den südafrikanischen Krieg gemacht hat. Capitän Lauzbton schreibt da u. A.: „Ich möchte die Vorwürfe, die ich der Regierung betreffs der mangelhaften Ausrüstung der Artillerie gemacht habe, näher erläutern. Was Mr. Brodrick über daS sagte, was Sir Henri Campbell-Bannermann bis zum Jahre 1893, wo er im Amte war, gethan oder nicht gethan, kann daher gar nicht mehr in Frage kommen. Wir Marineofficiere würden es als eine leere Entschuldigung ansehen, wenn ein Capilän die Lang samkeit seines Schiffes rannt entschuldigen wollte, Laß Lie- selbe unter seinem Vorgänger noch schlimmer gewesen sei. Das geht mick aber Alles nichts weiter an, ich will mich auch nicht weiter über die Kriegsführung selbst auslasfen. Sobald einmal die Feindseligkeiten begonnen haben, sollte man überbaupt aufbören zu kritisiren, und ich bin mit Mr. Brodrick vollkommen derselben Ansicht, daß die Schnelligkeit, mit der das Kriegsministerium die Truppen auf den Kriegs schauplatz geworfen hat, unS ebenso zur Ehre gereicht, wie sie deni Feinde unangenehm war. Wie stand es aber mit der Periode vor dem Kriege? Bevor man Reformen erzwang, die vermuthltch zum Kriege führen mußten, wäre es wohl die Pflicht der Negierung gewesen, sich darüber klar zu werden, wie die Streitkräfie der Boeren beschaffen waren. Selbst ein gerechter Krieg sollte nickt unternommen werden, ohne daß man vorher die Kosten berechnet und sich vergewissert hätte, ob man auch die nothwendigen Vorbereitungen getroffen hätte. Schon von der Zeit des Iameson - Einfalles an hat die 81. Jahrgang. TranSvaalrcgiernng ihre Anstrengungen verdoppelt, um sich die modernsten Geschütze der verschiedensten Kaliber zu verschaffen, die eine doppelt so weile Tragkraft haben als unsere eigenen Geschütze. Das mußten unsere Beamten wissen. WaS die Boeren in Deutschland und Frankreich kaufen konnten, hätten unsere eigenen Geschütz gießereien auch liefern können, wenn man ihnen die Gelegen heit Lazu gegeben hätte. Unsere Artillerie hätte vollständig neu bewaffnet werden sollen. ES ist aber nichts geschehen. Kann Mr. Brodrick den Grund dafür angeben? Die einzige Aussicht, eine friedliche Lösung herbeizuführen, war die, den Boeren klar zu machen, daß jeder Widerstand aussichtslos war, und so glaube ich, kann man ruhig sagen, daß gerade unsere mangelhaften Vorbereitungen den Präsidenten Krüger in die Versuchung gebracht haben, eS auf das Aeußerste an kommen zu lassen. Ohne Zweifel hatten Präsident Krüger und seine militärischen Berather die größten Hoffnungen auf Sieg, und wir werden sicher eines Tages hören, daß sie über unsere mangelhafte Ausrüstung voll kommen orientirt waren, und daß die Inferiorität unserer Feldgeschütze sie veranlaßte, eS auf den Krieg ankommen zu lassen, weil sie sicher waren, daß sie uns ohne Weiteres in die See drängen würden. Sie waren fertig und wir waren es nicht. Als die Feindseligkeiten begannen, brachte General Joubert 96-Pfünder und 15-Pfünder Feld geschütze in den Kampf. Die ersteren hatten eine Tragweite von 10 000 AardS, die letzteren eine solche von mindesten- 8000 AardS; diese waren besonders gute Kanonen, die eben so gut Granaten wie Shrapnels schossen. Außerdem hatte er Haubitze», die 6000 Jards weit trugen, und Pompons, eine demoralisirende Waffe, die übrigens vor ungefähr vier Jahren dem britischen Kriegsministerium angeboten, aber abgelehnt wurde, und zwar während Mr. Brodrick UnterstaatSsekretär war. Allen diesen vorzüglichen Waffen gegenüber konnte unsere tapfere Armee nichts anderes als Feldgeschütze inS Feld führen, die kaum 4000 JardS weit trugen und nur schwer aus dem Mausergewehrseuer gehalten werden konnten. Hatte ich nicht Recht, wenn ich diese Waffen als lächerliches Spielzeug bezeichnete? So war es kein Wunder, daß Niederlage auf Niederlage folgte. Bei Dundee stauden unsere Soldaten im Feuer, ohne daß sie eS erwidern konnten; sie mußten sogar die Tobten und Ver wundeten im Stick lassen. Und dasselbe wäre bei Ladysmith geschehen, wenn nickt Sir George White dringend um die Unterstützung durch Marinegeschütze gebeten hätte. Soll man dafür die Regierung noch loben? Ich dächte, sie verdiene nur Tadel. Wenn die .Ausrüstung eine andere gewesen wäre, würbe der ganze Krieg anders verlaufen sein, denn die Mannschaft der britischen Artillerie ist ausgezeichnet. Alle die Niederlagen hätten vermieden werden können. Nicholsons Nek wäre vermuthlich ein Sieg geworden und Colenso jeden falls nickt eine solche Niederlage. Auf alle Fälle haben die Wähler sich zu fragen, ob man einer Regierung, die so un vorbereitet in den Krieg gegangen ist, die weitere Zukunft Großbritanniens anvertrauen kann". * London, 7. September. „Standard" berichtet aus Durban: Gestern ist eine Patrouille berittener Infanterie in einen Hinterhalt gefallen und gefangen genommen worden. Feuilleton. Jlonka. 14s Roman von C. Deutsch. Nachdruck verboten. Marie sah sehr verändert aus; zerstörende Spuren fingen an, sich auf ihrem Antlitze bemerkbar zu machen. Seitdem sie den Mord begangen, war die Hölle vollständig in ihrem Innern entfesselt. Sie hatte eine That begangen, die ihr nicht nur die Hoffnung auf das Jenseits raubte, sondern auch alle Blüthen für diesseits auf immer abschnitt. In wahn sinniger Hast hatte sie alle Brücken hinter sich abgebrochen und jede Rückkehr unmöglich gemacht. Sie war eine Seele, für die eS weder einen Himmel noch eine Erde gab. Durch ihre That hatte sie Juran auf immer verloren; der kurze Strahl war auf immer verloschen, und durch ihre Schuld, und dieses Bewußtsein raubte ihr, die bis jetzt nur sinnlich und leidenschaftlich gewesen, jeden inneren Halt; es riß innerlich alle Dämme und Schranken ein, die theils das ewig Göttliche in der Menschen natur, theils Rücksicht, Scheu vor Menschensatzung und die einzig wahre Empfindung ihres Lebens, di« Liebe zu Juran gegen ihr heißes, leidenschaftliches Naturell aufgerichtet hatte. Sie sank von Stufe zu Stufe, und bald wurde ihr Name unter den verrufensten Frauen des Dorfes genannt. Jlonka war der Besuch nicht willkommen, und doch mußte sie den üblichen Gruß bieten, wie es Brauch und Sitte war, wenn ein Bekannter oder Nachbar zum Besuch kam. „Der Richter ist wohl in Beszprim?" fragte Marie und nahm jlonka bejahte eS. „Er hat jetzt viel dort zu thun und bleibt wohl einige Tage weg." „Das glaub' ich nit' — morgen oder übermorgen erwart' ich ihn." „Fürchtest Du Dich nit allein bei Nacht? — Man hört jetzt so viel von Feuersbrünsten. Gestern hat's wieder in Siofok ge brannt." „Wir sind immer in Gottes Hand", versetzte das Mädchen, „und ohne seinen Willen geschieht nichts. Ich fürchte Niemanden, denn ich hab' Keinem was zu Leid'gethan." Der Knecht kam herein und Jlonka trug das Essen auf. „Willst mithalten?" fragte sie, als sie die begehrlichen Blicke sah, mit denen Marie auf die Schüssel blickte. „Ach, wie gern! Ist schon lang' her, daß ich keinen guten Bissen zu mir genommen hab'. Weißt nit, Mädel, wie elend es jetzt bei meiner Mutter aussicht — und wir waren einst so reich." „Hat Dir denn der alte Molnar nichts herausgezahlt? Du warst ja länger als fünf Jahre seine Schwiegertochter." Ein seltsamer Ausdruck ging bei Nennung dieses Namens über Mariens Gesicht. „Er hat mir nichts gegeben, keinen Kreuzer; eine Bettlerin ging ich aus seinem Haus . . ." „Ich kann's nit glauben, von Juran schon gar nit", sagte Jlonka, „der hätt' ein solches Unrecht nit zugelassen." „Du läßt nichts auf ihn kommen, natürlich, er gehört Dir ja wieder und die Hochzeit wird auch wohl bald sein." „Wer sagt das?" fragte Jlonka, und eine dunkle Gluth schoß in ihr Gesicht. „Jeder im Dorf." „Die Leute reden oft mehr, als sie wissen. Ich weiß nichts davon." „Wozu lügst? Ist er nit täglich in Eurem HauS?" Jlonka wollte diesen Gegenstand mit ihr und vor dem Knechte nicht weiter verhandeln und schwieg. Für Marie war dies ein stummes Eingeständniß. Als der Knecht hinausgegangen war, erhob sich Marie plötz lich. „Siehst, so geht's in der Welt. Der Eine sündigt und hat alles Gute dafür, der Andere wird dazu getrieben und hat die Hölle schon auf Erden dafür als Straf'. Du hast Juran schändlich betrogen, warst die Geliebte eines Herrn, hast den Tod deS Baters auf dem Gewissen und kriegst am End' doch den Juran; so ist's mit der Gerechtigkeit dort oben bestellt. . ." Jlonka erschrak über den Ausdruck tödtlichen Hasses, den das Gesicht Mariens bei diesen Worten angenommen. „Ich versteh' Deine Worte nicht. — WaS hast mit mir?" fragte sie. „Berstehst sie nit!? ... Na, vielleicht wirst sie später ver stehen", sprach Marie mit seltsamer Betonung, dann aber, als fürchte sie, zu viel gesagt zu haben, fügte sie beruhigend hinzu: „Mit Dir, Jlonka, hab' ich nichts. Du hast mir nie etwas zu Leid' gethan. Ich hab' nur so in die Welt hineingered't, und wie's im Leben zu gehen pflegt. Nun, behüt' Dich Gott, ich muß schon gehen, sonst sorgt sich meine Mutter um mich, wo ich so lang' bleib'." Sie entfernte sich. Als sie draußen war, trat gerade Jemand in den Garten, kam an ihr vorbei und ging ins Haus. Sie glaubte in der Dunkelheit Juran zu erkennen, denn der Mann war groß und stark, es war aber nur ein Nachbar, der in Beszprim gewesen und Grüße von dem Richter brachte. Anstatt die Straße zu betreten, wandte sich Marie hastig um, ging nach dem Hofe zurück und betrat den Stall. Der Knecht stand bei den Pferden und striegelte sie, er hatte ein dummes, aufgedunsenes Gesicht, in welchem ein aus geprägter Zug von Sinnlichkeit lag. „Misko", sagte sie flüsternd, und faßte ihn beim Arme, „heut' Nacht sitzen in der Heideschenke ein Paar lustige Burschen und Dirnen bei Wein und Kartenspiel. Willst Du von der Partie sein?" „Ich möcht' wohl", erwiderte er, „aber der Richter ist nit daheim, da muß ich aufpassen, daß nichts geschieht." „Das kannst ja. Um Mitternacht bist längst zurück." Er sah ihre funkelnden Augen und blitzenden Zähne und wurde wankend. „Wenn aber die Jlonka heraus kommt und mich nit find't? . . ." „Sie wird nit daran denken. Der Juran ist bei ihr drinn' und da hat sie andere Ding' im Kopf." „Es geht doch nit, Mariekam. Ich muß im Stall sein, wenn sie herauSkommt, nach dem Vieh zu sehen, sonst verlier' ich meinen Dienst. Aber weißt was, wenn sie schlafen gegangen ist, dann geh' ich mit Dir. . . Erwart' mich beim Gartenzaun an der Straße . . ." Um Mitternacht weckte Juran ein böser Traum aus un ruhigem Schlafe. Er befand sich in einem brennenden Hause und konnte keinen Ausgang finden, und er hörte daS Geheul der Sturmglocken und den Lärm von Menschenstimmen. Er erwachte, und so lebhaft hatte er geträumt, daß er noch immer die Sturmglocken zu hören glaubte. Doch was bedeutete der Lärm auf der Straße? Er wendete sich um, und ein Heller Feuerschein traf sein Auge. Juran sprang auS dem Bett und riß das Fenster auf. Ein Menschenstrom wälzte sich die Straße herunter. „Wo brennt's?" rief er hinaus. „Beim Richter. Eil Dich, Juran! Haus, Hof und Scheune, Alles steht in Hellen Flammen." Juran brauchte nicht zur Eile angetrieben zu werden. Er war in den Kleidern und auf der Straße, er wußte selbst nicht wie. Männer und Frauen eilten mit Eimern dem Orte der Unglücks zu, denn im Dorfe war keine Feuerspritze, man mußt; sie erst aus dem Städtchen Füred holen, welches mehr als eine Stunde entfernt lag. Der Himmel war ein Feuermeer und die Straße tageshell erleuchtet. DaS Wohnhaus, die Scheune, die Stallungen, Alles brannte lichterloh. Zwischen dem Prasseln, Knistern, dem Lärm und Geschrei der Menschen tönte das Gebrüll der Thiere, die, von dem grellen Feuerschein erschreckt, nicht aus den Ställen zu bringen waren. Von den Bewohnern des HauseS war aber keine Spur zu finden. Juran rief laut Jlonka's Namen, suchte überall, sie war nicht da. „Wo ist Jlonka? Habt Ihr Jlonka nicht gesehen?" so fragte er wieder und wieder, während sich eine tödtliche Angst in seinem Gesicht malte. „Es ist nit anders, sie ist im Haus drinn'", rief es von allen Seiten. „Rennt die Thür ein!" rief Juran außer sich. „Es geht nit, sie giebt nit nach; es ist, als ob sie Jemand von innen verriegelt hätt'." Von Juran angefeuert, stemmten sich wieder hundert Arme und Knie gegen die Thür, Juran voran, und obwohl er alle seine Kräfte anwendete, es war umsonst, die Thür gab nicht nach. „Das ist eine unerklärliche Sach'", meinte ein Bauer, „wenn sie von Eisen gewesen wär, müßte sie auch schon nachgeben. Was kann das sein?" Niemand konnte es sich erklären. „Durch's Fenster!" rief Juran, „durch'S Fenster! Was zögert Ihr?" Sein Kopf glühte und sein Herz hämmerte zum Zerspringen. ES war aber unmöglich, eine Leiter an daS Fenster anzulegen. Die Hilfe war eine geringe. Was waren die paar Eimer Wasser, die der Brunnen lieferte, für dieses ungeheure Flammenmeer? An der Stelle, wo eine Flamme gelöscht wurde, sprangen hundert andere im wilden Wirbel heraus, regten und streckten sich zum Nachthimmel empor; sie schlängelten sich daS Dach herunter, beleckten die Mauer und fraßen sich in die Fensterumrahmung ein, daß die Scheiben klirrend auseinandersprangen. Dom Hinterhause konnte man auch nicht hinzu, denn dort waren die Fenster vergittert, und die Scheune, welche brannte, stand so dicht dabei, daß die Funken in das Zimmer hinein sprühten. „Ich rett' sie, und sollte ich dabei zu Grunde gehen!" rief Juran wie ein Wahnsinniger. Man wollte ihn zurückhalten, er aber stieß Alles bei Seite und nahte sich einem der Fenster. „Taucht eine Guba oder ein Leintuch inS Wasser und gebt es ihm!" rief ein alter Bauer. Zum Glück befand sich eine da, und triefend wurde sie Juran überreicht. Er fuhr mit beiden Händen in die triefenden Aermel, zog die nasse Kapuze über den Kopf, ergriff das brennende Fensterkreuz und schwang sich in daS Zimmer. Ein
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