Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001015021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900101502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900101502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-10
- Tag1900-10-15
- Monat1900-10
- Jahr1900
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis k der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4 KO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» 5.50. Durch dir Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Nustland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Eg ptrn. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition diese» Blatte- möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um >/,7 Uhr, die Abend-AuSgave Wochentag» um 5 Uhr. Nedarlion und Ervedition: IohanniSgasse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'» Sortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Abend-Ausgabe. MpMkr TlyMM Anzeiger. ÄmtsUatt des L-önigtichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. 526. Montag den 15. October 1900. Anzeigen-Preis die (-gespaltene Petitzeile 2S H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (»gespalten) 7K vor den Familiennach richten («gespalten- 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 35 H (excl. Porto l?rtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung 80.—, mit Postbesürderung X 70.—. » Ännahmeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bi» Abends 7 Ubr Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 94. Jahrgang. Die Wirren in China. -p. Mit der Entscheidung der diplomatischen Vertreter in Peking über die Bestraf»«« der Hauptschuldigen (in die Liste sind noch aufzunehmen: Tungsuhsiang, der übrigen» geflohen sein soll, und Jübsien, der angeblich vor Kurzem abgesetzte Gouverneur von Schansi; die angedrobten Strafen sink ungenügend; die Strafen müssen vor den Delegirten derGe- sanktschaften vollzogen werden) ist die Grundlage für weitere Verhandlungen mit der chinesischen Negierung gegeben. Mittlerweile ist bekanntlich ein neuer Erlaß erschienen, der die im ersten vorgesehenen Strafen beträchtlich erhöbt und ankündet, daß drei Uebelthater zu enthaupten seien. ES bleibt abzuwarten, ob da» diplomatische Corps auch diese Strafen für ungenügend hält. Jedenfalls wird auf dem dritten Puncte zu bestehen sein, daß nämlich die Strafe vor Ver tretern der Gesandtschaften vollzogen wird, und da die zu dieser Aufgabe auSersehenen Gesandtschaftsmitglieder schwer lich geneigt sein werden, nach Schansi oder gar nach Scheust zu reisen und aufs Neue ihre Haut zu Markte zu tragen, so ergiebt sich al» weitere natürliche Forderung, daß die Berurtbeilten nach Peking geschasst werden und daß dort, am Schauplatze ihrer Unthaten, auch die Strafe zu voll strecken ist. Bekanntlich ist unter den „TodeS-Candidaten" auch Kang-yih, einer der Führer der fremdenfeindlichen Partei am Hofe, ge nannt worden. Unter diesen Umständen dürfte das folgende Charakterbild Kang-yih's, das der Mitarbeiter der „Wclt- Corresp." in Sbangbai unterm 8. Sept, mber sendet, aus allge meines Interesse rechnen können, zumal da es überhaupt charakteristische Einblicke in daS Wesen des chinesischen Be- amtenibumS eröffnet. Auch Kang-ych ist Mandschu und wie die Meisten seines Volkes ein ungebildeter Mensch. Er schreibt und liest nicht einmal chinesisch, wenn er es auch sprechen kann. Er hat schlechterdings keine wissenschaftliche Vorbildung und ein Verständniß für den Wertb und die Bedeutung zeitgemäßer Reformen geht ihm vollständig ab. Für ibn ist jeder, der mit einem Europäer in nähere Beziehungen tritt, ein Verrät her. Die Entfernung Wenz-Tung-oos von seinem Posten als Lehrer und Berather deS Kaisers Kwang-biü ist in erster Linie auf Kang-yih zurückzuführcn; es ist bekannt, daß er seit jenem Erfolge einer der Führer in Peking war. Kang-yih hat seine Carriüre als gewöhnlicher Schreiber begonnen. Es gelang ihm, die Aufmerksam keit seiner Vorgesetzten auf sich zu ziehen, die ihm sehr bald daS Amt eines MaudschusekretärS in einem Ministerium über trugen. Es Lauerte uicht lange und Kang-yih war Erster Sekretär im Finanzministerium. Dann kehrte er der Hauptstadt für einige Zeit den Rücken. Er wurde hintereinander Taotai von Weichou, Swatow und Kayinchou im Hakkaland, und schließlich Provinzialeichter in Kwangtung. Nun hatte er endlich einen Posten erreicht, der ibm die Wege znm Reichthum und damit zu weiterem Ansehen und neuen Würden ebnete. Als Provinzialrichter bat man überall Gelegenheit zu „Squeezes", zu Erpressungen, und daß Kang-yih diese Gelegenheit auszunutzen verstand, beweist schon der Um stand, daß er in Kürze eS bis zum stellvertretenden Gouverneur von Canton brachte. Damit war er thatsächlich der allmächtige Schatzmeister dieser reichen Provinz. Es kann nicht Wunder nehmen, daß ihm sein Wirkungskreis zu klein wurde und er Canton, wo er den Grund zu seiner Macht und seinem Einfluß gelegt hatte, verließ, um selbst daS Gouvernement einer Provinz — zuerst SckansiS und dann KiangsuS — zu übernehmen. Den Weg dortbin hatte ihm der Favorit-Eunuch der Kaiserin-Willwe, Li-Lien hing, gebahnt. Dieser starb im vergangenen Sommer mit einer Hinterlassen schaft von lOO Millionen Mark, einer Summe, die er sich als Eunuch .erspart" baue. Li-Lien-ying liebte freigebige Männer von der Art Kang- yibs. Er sorgte für sie. Eines Tages wurde Kang-yih Gouverneur von Canton. Als solcher kam er persönlich nach Peking, um der Kaiserin-Wittive aus Anlaß ihres Geburts tages seine Glückwünsche und ein Geschenk zu überbringen. DaS Geslbent bestand — seltsam genug für den ausgesprochenen Fremdenhaß Kang-yih'S — aus je lOO Goldmünzen jeder Art und jedes Landes, das die Goldwäbrung eingesührt hat. Weniger bekannt, aber gut verbürgt ist, daS damals ein ganz ebensolches Geschenk an Li-Lien-ying ging. Nun dauerte eS nicht lange, bis Kang-yih in den StaatSratb berufen wurde. Somit kehrte Kang-yih nach einer langen Reihe von Jahren wieder nach Peking zurück, wo er bald einer der Vertranten seiner kaiserlichen Herrin wurde. In der Haupt stadt zählte man Kang-yih schon nach kurzer Zeit zu den Hauptförderern der Mandschu-Bewegung. Diese ist eigentlich nicht frcmdenfeinvlich, sondern gegen das Cbincsenthum gerichtet. Mit Schrecken gcwabrten die MandschuS, daß die Cbinesen die Cultur des Westens zu begreifen begannen und daß sie aus dieser Kraft schöpften, sich thatsächlich wieder zu Herren des Landes zu machen und die MandschuS an die Wand zu drücken. Das mußte verhindert werden; man mußte die fremden Schulen schließen; man mußte dem Einfluß der Fremden den Boden unter den Füßen wegziehen. An die Spitze dieser Mandschu- bewegunz Zellte sich Kanz-yih Jl zwischen rast.lep. aber auch die Cbinesen nickt. Sie übten durch Kung-yu-weib einen uicht zu unterschätzenden Einfluß ans den Kaiser ans, der sich den Reformbestrebungeii der Chinesen keineswegs ab hold erwies. Im Sommer 1898 führten diese einen Haupt schlag gegen die Mandsckus; der Kaiser gab seine Zustimmung zu einem Edikt, das die Sinekuren abschasfke, welche gewisse Mandschufamilien in Anerkennung von Diensten innehalten, die ihre Vorfahren einst der Dynastie im Kampfe gegen die Chinesen geleistet hallen. Die Antwort der Mandschupartei war der Staats streich, durch den die Regierungsgewalt dem Kaiser Kwang- hsü genommen wurde und auf die Kaiierin-Wiltwe überging. Es braucht an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden, daß es seitdem wieder Kang-yih gewesen ist, der der Kaiserin- Wittwe Millionen von TaelS aus den Dangtse- und den süd lichen Provinzen verschafft bat, eine Summe, die von großer Bedeutung Angesichts der Rüstungen sein mußte, die man in Peking seit Langem im Geheimen betrieb. In diesem Augenblick ist Kang-yih von der Bildfläcke verschwunden. Man darf anncbmen, daß er sich in der unm ttelbaren Umgebung der Kaiserin - Wittwe befindet. Trifft das zu, so darf man daraus allein schon ermessen, wie schuldbewußt sich Kang-yih selbst fühlt, und wie sehr er bemüht sein muß, den fremden Mächten aus dem Wege zu gehen. Kang-Yib war nämlich bereits als Nachfolger Li-Hung-Tschang'S zum Generalgouverneur der Kwangprovinzen ernannt; aber Kang-yih bat diesen ebenso wichtigen, wie einträglichen Posten nicht angetreten. Offenbar fühlt er sich in Canton nicht sicher und zieht eS vor, seine Person in Len schwer erreich baren Bergen SckansiS oder Schensis zu verbergen, bis wieder ein anderer Wind in Peking weht und er Hoffnung und Aus sicht hat, seiner Politik wieder Geltung zu verschaffen. Tas französische Circular. Die Antworten Deutschlands und Japans auf das jüngste Nundsckreiben des französischen Ministers des Aeußern, Tclcassv, stehen nach einer der „Pol. Corr." aus Paris zn- gehenden Mittheilung zwar noch auS; vertrauliche Eröffnungen von beiden Seite» lassen aber keinem Zweifel Raum, Laß sie im Wesentlichen zustimmend lauten werden. Tie Vollmachten Li-Huug-Tschang'S. Nachstehend geben wir eine Uebersetzung des Wort lautes tc« kaiserlichen Dekrets vom 2l. August, durch welches Li-Hung-Tschang beauftragt wurde, den Frieden Mit den fremden Mächten wicderherzustellen. „Wir sind sehr betrübt darüber, zu sehen, daß wir mit Unrecht Vertrauen auf die Boxer gegen die Fremden und Christen gesetzt haben. In Folge dessen strömen fremde Truppen nach Taku, Tie?tsin und Peking, sie versammeln sich in großer Zahl und e» ist zum Kampfe zwischen China und fremden Ländern gekommen. Da Li-Hung«Tscha»g, der Vicekönig von Tschili, große Wohlthalen von Selten des Thrones empfangen hat und das Reich in solche Wirren gerathen ist, sollte es seine bestimmte Pflicht sei», Alles, was in seiner «rast liegt, zu thun, nm Las Reich zu retten. Nachdem der genannte Vicekönig dieses Decret erhalten hat, sollte er die besten Mittel zur Herstellung des Friedens mit den fremden Ländern an geben. Wir geben hiermit dem genannten Vicekönige unbeschränkte Vollmacht, zu unterhandeln. Dieses Decret soll durch Couriere mit c-»ec Gischw'-noigkeit von 600 Li per Tag wciterbesördert werden, damit Alle diesen unseren Befehl kennen." Leider fehlt es nur, wie der „Frkf. Ztg." zutreffend auS Berlin berichtet wird, an neueren Anhaltspunkten dafür, daß der chinesische Hof bereit sei, nach Peking zurückzukehren und daß er es überhaupt mit Friedensverbandlungen ernst nebme. Und das ist doch der Punkt, von dem schließ lich der AuSgang der ganzen Sache abhängt. Die Chinesen mögen den Mächten in Vielem unterlegen sein. Eines haben sie vor ihnen voraus, wie dieser Tage ein mit den os-asiatischen Verhältnissen und dem Charakter der Cbinesen aus eigener Anschauung sehr vertrauter Diplomat äußerte: Sic haben Zeit. China bat Zeit und die Mächte haben keine Zeit, und je mehr China diesen Ueberfluß an Zeit ausnützl, desto schwieriger wird auf die Dauer die Situation der Mächte. Tic Expedition «ach Paotingfu. Die „Tribuna" berichtet aus Taku: „Tie Expedition nach Paolingfu hat den Zweck, die dort ansässigen Führer der Boxer zu bestrafen und den Betrieb der Bahnlinien sicherzustellen. Die Expedition soll 40 Tage dauern." Der Hauptzweck der Expedition sollte dock wohl nach den ersten Angaben die Befreiung der dortigen Weißen sei». Die Hauptfübrer der Boxer werden, wenn sie ihre Zeit ersehen, sicher flüchten und den Häschern entgehen. Die „Tribuna" ist da wohl ungenau unterrichtet. Insofern aber reicht das Ziel dieses neuesten Vorstoßes der Verbündeten noch über Paotingfu hinaus als eS sich anscheinend gegen den kaiserlichen Hof richtet, der sich zeder direkten Verständigung mit den Mächten und damit jeder Verant wortung für die zukünftige Gestaltung ter Verhältnisse im Reiche der Mitte dauernd entziehen möchte. Da es kaum anzeben dürfte, den Hof i» das Innere deS Landes hinein zu verfolgen, sollen ibm die hauptsächlichsten Verkehrs wege von der Küste her abgeschnitten werden. Vielleicht gelingt eS aus diesem Wege, ihn aus seinem jetzigen Zufluchtsorte herauszulocken. Dem „Berl. Loc.-Anz." wird hierüber aus Shanghai, l3. Oktober, depeschirt: Nach Meldungen aus Tientsin werden die Expeditionen von Peking und Tientsin gegen Paotingfu als eine gegen Singansu gerichtete strategische Bewegung betrachtet, die von Hankau aus durch eine dritte Expedition unterstützt werden soll. Aus diese Weise will man die neue Hauptstadt von allen Verbin dungen abschneiden. Tos Hauptquartier des chinesischen Trans portwesens wurde von Tsckinkiang nach Hankau verlegt. Vielleicht ist es schon eine Folge der Ankündigung dieser Expeditionen nach Paotingfu, daß der Hof, wie eS heißt, seine Reise nach Schensi aufgegeben hat. Tie Lage im Süden China». DaS italienische Kriegsschiff „Vesuv io" ist nach Shanghai abgegangen, wo zahlreiche Kriegsschiffe der fremden Mächte versammelt sind, da eS dort möglicher Weise zu Unruhen kommen kann. Auch alle sonstigen Meldungen lauten beunruhigend. Dabei ist eS eigentbümlich, daß fortgesetzt über Kämpfe der kaiser lichen regulären Truppen gegen die „Rebellen" zur Unter drückung des von der „Dreifaltigkeits-Gesellschaft", einer Boxer-Seele, inscenirtcn Ausstandes berichtet wird. Die „Köln. Ztg." bemerkt hierzu, die Bewegung scheine vor der Hand weniger gegen die Fremden als gegen die Mand- fchudynastie gerichtet zu sein. DaS gehe daraus hervor, daß sie von der Dreifaltigkeits-Gesellschaft auSgeht, die von jeher die Opposition der Chinesen gegen die MandschuS in sich vereinigte, und daß der I)r. Sunjatsrn, der bekannte Führer der Nesormbewegung im Süden, der schon vor einigen Jahren einen größten Aufstand gegen die Mandsckubcrrschast anzettelte, auch jetzt wieder dir Führung übernommen haben soll. Aber man hat eS möglicherweise nur mit einem so genannten Ausstand zu thun. Entweder kümmern sich die Boxer und die Anhänger der Dreifaltigkeits-Gesellschaft nicht um kaiserliche Edikte ober sie haben, was fast wahrscheinlicher ist, die heimliche Mittheilung von- Hofe erhalten, diese Edikte seien nur aus politischen Rücksichten erlassen worden, um den Fremden Sand in die Augen zu streuen. Es scheint, daß die Berichte über den Kampf mit den „Rebellen", soweit sie von chinesischen Würdenträgern auSgrhen, eigens für die fremden Diplomaten verfaßt werde» und daß sich in Wirklichkeit Truppen und Boxer gegenseitig nicht viel Leid zusügen. Von der großen Scklacht, die Li-Hung- Tsckang'S Truppen gegen die Rebellen gewonnen haben sollen, bat mau nichts weiter gehört. Sie hat wahrscheinlich nie stattgefunden. Prinz Tuan aber, der abgcsetzte, zu Zwangsarbeit, Verbannung und wer weiß was sonst noch LerriHetsn. Ss Der Lundschuh. Roman von Waldemar Urban. Naldtruck »ribotm. „Woher kommst Du?" fragte Friedel, ihn immer mit einer anmuthigen Offenheit und Natürlichkeit ansehend. Auch das Hin- und Herbammeln der ineinander geschlagenen Hände und das gelegentliche, nicht immer unbeabsichtigte Anstreifen der Arme und Schultern machte eher den Eindruck eines kindlichen, harmlosen Spiels, als einer tiefen Leidenschaftlichkeit. Es war das stille, wunschlose Glück der Natur, in dem sie dahin schlenderten. „Aus Köln am Rhein", antwortete Veit Led. Meine Mutter, Frau Margarethlein Led, ist Schaffnerin in der erzbischöflichen Gärtnerei, und ich sollte auch in die Klosterschule. Aber ich hab' nicht gewollt." Friedel sah ihn wieder mit ihren sinnigen, dunklen Augen an, staunend, fragend, als ob sie sich selbst nicht begriffe. „Warum nicht?" fragte sie. „Ist mir lieber so. ES hat mich nicht daheim in der engen Stube unter Büchern und Rosenkränzen gelitten. Feld und Wald und die freie Natur, Sing und Sang — daS lob' ich mir." „Hast Recht. Ich wollt', ich könnte auch Herumschweifen in aller Welt, mit Dir. Wir heißt Du noch?" „Veit." „Beit? Veit Led, Veit Led?" wiederholte Friedel einige Male und schlenkerte lachend seine Hand hin und her. Wer hat Dich so schön fiedeln gelehrt, Veit?" „Zuerst hat mich der Magister von St. Bartholomäus gelehrt, so weit er'» gewußt hat. Er war ein fröhlicher, guter Mann und hatte mich gern. Die Fiedel da ist von ihm. Die Mutter wollt's nicht leiden, aber heimlich draußen im Wald hab' ich' gefiedelt und gelernt, bi« ich « gekonnt hab'." „Und bist ein Spielmann geworden?" „Heute früh hab' ich mich aufnehmen lassen in die Spiel- mannigilde beim Pfeifer-König von Rappoltsweiler, dem dicken Lauf-Barthel, wie sie ihn nennen. Eigentlich heißt er aber Bartholomäus Hinkmar. Kennst ihn wohl, den Pfeiferkönig von Rappoltsweiler, Friedel?" Sie dachte in der Erinnerung an den wohlbekannten, jovialen immer durstigen Mann, den Herr Ulrich von Rappoltstein al« vom Kaiser belehnter Pfeiferkönig mit diesem Amt und den damit verknüpften Geschäften betraut hatte. „Zwei Plapparte hat's gekostet und ein Huhn. Und hab' ihm Vorspielen müssen, fuhr Veit in seiner offenen, herzigen Weise fort, aber nicht lang. Dann hat er mir die Hand geschüttelt und hat gesagt: „Genug, genug, ich hör's schon, Dich hat der liebe Gott zum Spielmann gemacht." Und hat mir die Gilden münz' gegeven. Da kannst sie sehen. Sie ist fein Silber mit dem Bild unserer lieben Frau von Dusenbach darauf, damit ich mich ausweisen kann allerorts als ein ehrlicher Spielmann." Damit zeigte er ihr eine kleine Silbcrmünze, die er an einer Kette um den Hals trug, wie ein Amulet. Friedel besah sehr neugierig und sehr unschuldig die Münze, und als sie so nahe bei einander standen, so daß sie gegenseitig ihren Athcm fühlten, wurde ihnen plötzlich so eng und heiß, daß sie erschrocken vcr- tummten und sich eine Weile in die Augen sahen. Dann chlug Friedel rasch und verschämt die Augen nieder, als ob sie sich auf einer großen Sünde ertappt hätte, und Veit legte die Arme um ihre Hüfte und küßte sie fromm, wie betend, auf die Stirn, etwa wie man ein Heiligenbild küßt. Wo zwei herzlich bei einander steh'n, Die zwei soll man nit scheiden, sang Veit Led leise und Friedel hob den Blick wieder und fragte: „Hast Du mich lieb, Veit?" „Mehr als mein Leben, Friedel, und ich wüßt' mir kein besseres Glück, als allzeit mit Dir Hand in Hand zu wandern durch die ganze Welt. Willst Du?" Freudig leuchtend ruhten ihre Augen auf seinem zierlichen, noch so gar jugendlichen Gesicht. Kühn und unternehmend glühten seine Augen, sein Mund war frisch und fein gebildet, die Lippen jugendlich zart geschwungen, der ganze Ausdruck ein schwärmerisch idealer, von herziger Innigkeit durchwärmter. „Ich will, Veit, ich will", sagte sie, ebenfalls begeistert für den neuen Bund, aber plötzlich, als Veit eine hastige Bewegung machte» kamen ihr auch Bedenken über die Sache. Es war die höchste Zeit, und rasch etwas zurücktretend, fragte sie sich, ob sich das wohl auch ohne Weiteres verwirklichen ließ, ob da nicht vorher gewisse Nothwendigkeiten und langweilige Formalitäten zu erledigen wären. Es wäre zu viel Glück auf einmal gewesen, und das machte sie bedenklich. „Ich gehe zu Deinem Vater, Friedel", fuhr er dringlich und innig fort, „und bitte ihn auf meinen Knien, daß er uns vor dem Altar unserer lieben Frau von Dusenbach zusammengeben soll, wie zwei gute Christen. Und dann gehen wir in alle Welt und suchen unser Glück. Willst Du, Friedel?" „Ja, Veit, ich will, ich will", sagte sie bestimmt und sah ihn wieder treuherzig an. Leider war aber die Welt ganz ander«, als sich Veit und Friedel dachten. Denn al« sie in ihrer Versunkenheit di« Welt und Menschen vergessenden gegenseitigen Bewunderung dastanden, dem Waldvöglein lauschten und dem Sonnenstrahl zusahen, der durch das klare Wasser des Dusenbaches glitzernd und strahlend über den Kiesel spielte, entstand plötzlich hinter ihnen ein tolles Geschrei und Geblök von alten Weibern und zankenden Männerstimmen. „Da sind sie, da sind sie", schrie die alte Machtild, die allen Anderen voraus daherstürmte, „nehmt ihn fest, wir haben sie. Bemächtigt Euch des Unholdes, ehe er weiteres Unglück annchtet." „Schlagt ihn zu Boden, den Herumlauf, hängt ihn auf. Er soll seine Schandthaten nicht ungestraft thun", schrie eine andere Alte, die mehr humpelte als lief, gleichwohl aber eine er staunliche Beweglichkeit entwickelte. „Halt nur, halt", klang eine Männerstimme dazwischen, „zurück mit den verrückten Weibsbildern. Daß mir ihn keine anspricht. Ist das die Richbertin?" „Natürlich ist sie es", erwiderte Machtild, ich werde doch Herrn Richbcrt's Friedel kennen. Nehmt nur den Teufels braten dort fest und fort mit ihm aufs Rad. Er hat sie verhext; ich habe es schon gestern Abend bemerkt." „Das junge Bürschchen?" warf Jemand zweifelnd ein. „Er hat Wiedehopf-Augen in der Tasche. *) Immer fort mit ihm, rief ein Anderer, man wird schon sehen, was an ihm ist. Kein Mensch kennt ihn." Wie aus allen Himmeln gestürzt, sah Veit und Friedel diese lärmende und schreiende Menge herankommen, mehr als ein Dutzend Weiber, dazwischen einige Söldner von der Thorwache und einige junge Burschen, denen Veit noch vor kaum einer Stunde zum Tanz aufgespielt hatte. Verdutzt hörte er auf das wirre Durcheinander von Stimmen, wurde aber nicht so gleich klug daraus. Was wollte man von ihnen? Welche Sünde hatten sie begangen, um solches Geschrei zu erregen? Un willkürlich drängten sich Friedel und Veit näher aneinander, als ob sie nun auch vereint den Sturm bestehen könnten und wollten. Ein Söldner von der Stadtmiliz, der zuerst bei Veit an kam, stieß ihm mit der verkehrten Seite seiner Hellebarde in den Rücken, daß Veit glaubte, mindestens zwei Rippen gebrochen zu haben, und er, vorwärts taumelnd und sich überschlagend, in das Gras stürzte. „Weg da!" hörte er die rohe, höhnische Stimme des Mannes, „das könnte Dir wohl gefallen, Du Klingfetzerchen!" Zorn und Scham trieben Veit das Blut ins Gesicht. Unwill kürlich griffen seine Hände nach irgend einer Waffe, aber er hatte nichts im Gurt, als seine Fiedel. Dann hörte er die Stimme Friedel'S, die ängstlich nach ihm *) Macht« nach einem alten Aberglauben beliebt. rief. Wie wahnsinnig vor Zorn sprang er auf die Füße und stürzte sich auf eine Gruppe alter Weiber los, in deren Mitte er Friedel gewahrte. Aber er erreichte sie nicht einmal. „Fort mit ihm, in den Thurm", schrieen Mehrere unterein ander, „greift ihn, führt ihn zum Profos, dann wird sich's zeigen, was an der Sache ist." „Er muß baumeln", riefen die Weiber, „das arme Friedel, wie sie aussieht. Daran ist der Klingfetzer schuld. Hängt ihn mit seiner Fiedel im Arm. Dann kann er dem Teufel, dem er sich ergeben, was vorfiedcln." Noch ehe Veit überhaupt wußte, wessen man ihn anklagte oder was man ihm zum Vorwurf machte, denn das Geschrei und der Wirrwarr um ihn herum war zu toll, als daß er daraus hätte klug werden können, fühlte er sich schon von derben Fäusten rechts und links gepackt, so daß er sich kaum rühren konnte. Dann wurden ihm die Hände auf den Rücken geschnürt und man schickte sich an, ihn nach der Stadt zurück zu transportiren. Noch einmal sah er sich in seiner Noth nach Friedel um, aber er gewahrte nichts als ihren Arm, der sich sehnsüchtig nach ihm ausstreckte, während sie von den sich wie rasend geberdenden Weibern davon erführt wurde. Bleich und halb ohnmächtig vor Scham und Schande ging Veit taumelnd und wankend zwischen seinen Wächtern nach der Stadt zurück, an den Zelten und Bänken vorbei, wo die zechen den Bürger saßen, über die Staats- und Stadtangelegenheiten sprachen oder das junge Volk sich den mannigfachen Ver gnügungen des Walpertstages hingab — wie ein Verbrecher. Wie ein Verbrecher wurde er auch überall, wo er vorüberkam, angesehen, und obgleich Niemand wußte, waS der junge, bleiche Mann, den man gefesselt vorüber transportirte, Methan hatte, so traten doch Alle scheu zurück, reckten energisch die Hälse oder bekreuzigten sich gar, wenn sein Blick sie streifte. Endlich fragte er einen der Söldner, die ihn führten, weshalb er denn das Alles erdulden müsse, und er erfuhr jetzt erst, daß man ihn beschuldigte, die Richtbertin verhext zu haben. Friedel habe mit ihrem Vater nicht weit vom Zelt des Herrn Ulrich mit einigen Nathsmitgliedern beim Wein gesessen, als Friedel plötzlich verschwunden sei. Man habe sie überall gesucht, in allen Zelten, auf dem ganzen.Platze, bis man endlich erfahren habe, daß sie mit einem Spielmann in den Wald gelaufen sei. Darauf hin hatte ihre Muhme Machtild gleich erklärt, daß dieser sie verhext habe und bei der Stadtwache Anzeige gemacht. Nun war Veit Alles klar. Er war das Opfer eines Aber glaubens geworden. Was stand nun in solchem Falle für ihn zu erwarten? Er wäre der Erste nicht gewesen, den man um so etwas auf der Folter zwang, seinen Umgang mit dem Teufel zu bekennen, ebenso wenig wie er der Letzte gewesen wäre. Es kam auf den Grad de» Verstände« an, den seine Richter hatten,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite