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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001018025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900101802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900101802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Z« 532. Donnerstag den 18. October 1900. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) bt) H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Armahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags IO Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 94. Jahrgang. Der Rücktritt des Reichskanzlers Fürsten Hohenlohe. * DaS Gerücht, das wir gestern an dieser Stelle als un begründet bezeichnen zu sollen glaubten, das Gerücht nämlich, Fürst Hobenlohe babe seine Reise nach Homburg v. d. H. hauptsächlich deshalb unternommen, um seine Entlassung zu erwirken, hat sich also doch bewahrheitet. Der greise Fürst hat die Enthebung von seinen Aemlern als Reichskanzler, preußischer Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen erbeten und erlangt und überdies, wie eine Extraausgabe der „Köln. Ztg." meldet, gestern bereits einen Nachfolger in der Person veS bisherigen Staatssekretärs Grafen Bülow er halten. War aber auch das Gerücht an sich richtig, so war seine Begründung schwerlich zutreffend. Sie lautete be kanntlich, der schon seil längerer Zeit anitSniüde Fürst babe sein Rubebedüifniß bisher nicht befriedigt, um nicht den An schein zu erwecken, er möge die Verantwortung besonders sür die Eh in «Politik nicht tragen. Er billige diese vollkommen, fühle sich ober nicht mehr rüstig genug, sie zu vertreten. Wir haben gestern darauf hingewiesen, daß riese Vertretung besonderer Anstrengung nicht bedürfe und daß also ver Fürst, wenn er bisher irrige Annahmen nicht aufkommen lassen wollte, solchen Annahmen auch jetzt durch seinen plötzlichen Rücktritt nicht Vorschub leisten werde. So haben denn auch gestern Wenige Zeitungen Gewicht auf jenes Gerücht gelegt; die meisten haben cs als unwahrscheinlich uns widerspruchsvoll bezeichnet. Um so größer ist nunmehr die Uebcrraschunz. Nur die „Köln. Ztg." ist nicht überrascht; sie widmet sogar bereits dem Fürsten einen langen Nachruf, der schwer lich erst nach dem Eintreffen der NücktriliSnachricht entstanden ist und der in Verbindung mit der raschen Wiederbesetzung der erledigten Posten zu der Vermutbung führt, die Frage des Rücktritts des Fürsten und der Wiederbesetzung seiner Aemter seien schon seit längerer Zeit erwogen worden. Und wenn das, was das rheinische Blatt über die Leitung der preußischen Politik durch Herrn v. Miquel jagt, aus eine Information und nicht auf die bekannte Ab neigung der „Köln. Ztg." gegen diesen Staatsmann zurück- zufübren ist, so liegt der Hauptgrund des Rücktritts des Fürsten rn Meinungsdifferenzen zwischen ihm und dem Vicepräsidenten des preußischen Staatsiniuisteriums, und so liegt die Ver mutbung nabe, daß mit dem Rücktritte des Fürsten Hohen lohe die Personalveränterungen im preußischen Ministerium ihr Ende noch nicht gefunden haben. Das rheinische Blatt schreibt nämlich: „Die Nachricht von dem Rücktritt deS Fürsten Hohenlohe vom Reichskanzleramt, sowie vom preußischen Ministerpräsidium und dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten bietet dem größeren Publicum eine gewisse Ueberraschung,wenn auch Eingeweihte dies seit längerer Zeit haben voraussehen können. Politische Beweggründe spielen jedenfalls bei dem Rücktritte eine mehr nebensächliche Rolle; der Hauptgrund ist darin zu suchen, daß der Fürst immer mebr die Last seines hohen Alters zu empfinden beginnt und in Folge seines schwankenden Gesundheitszustandes sich nicht mehr im Stande fühlt, die ganze Verantwortung zu tragen, die mit seinem arbeitsreichen Dienste verbunden ist. Mehrmals im letzten Jahre hat der Reichskanzler sich in den wohlverdienten Ruhestand zurückziehen wollen; seine nächsten Verwandten haben ihn wieder holt und dringend gebeten, sich zu schonen und sich ganz der Familie zu widmen. Aber der Diensteifer deS Fürsten und das Bertrauelt, das ihm der Kaiser entgegenbrachte, ließen ihn immer wieder den Ruhrgedanken zurückdrängen, zumal eine Reihe wichtiger Aufgaben, deren Erledigung ihm am Herzen lag, vor Allem die Militärstrasproceßordnung und die Flottenvorlage, «in weiteres Verbleiben im Amte dringend Wünschenswerth machte. Nach ihrer erfolgreichen Erledigung brachen dann plötzlich die Ereignisse in China aus, die infolge der Ermordung deS deutschen Gesandten ein energisches Einschreiten Deutschlands erforderlich machten. Der Fürst hatte damals gerade zuvor eine größere Privatwohnung in dem Witzleben'schen Palais Unter den Linden gemiethet, in dem er im Ruhestande seine ständige Wohnung zu nehmen gedachte. Nach Ausbruch der chinesischen Wirren mußte jedoch LieAuS- führung seiner Rücktrittsabsicht aufgeschoben werden, da sie leicht Len Eindruck hätte Hervorrufen können, als ob der Fürst mit dem deutschen Vorgehen nicht einverstanden gewesen wäre. Dieser Gesichtspunkt ist j» tzt w»ggesallen, der weitere Ver lauf der Ereignisse in China ist in ein vcrbältnißmäßig ruhiges Fahrwasser gelangt, und es ist volle Aussicht aus Erzielung voller Sühne für die schwere Deutschland angethane Völkerrechtsverletzung und die Erfüllung der berechtigten deutschen Forderungen vorhanden. So hat der Reichskanzler nicht länger gezögert, seinen Wunsch, in den Ruhestand zu treten, zu verwirklichen. Er ist zu diesem Zwecke am Montag zum Kaiser nach Homburg gefahren und der Kaiser hat sich dem Schwergewichte der vom Reichskanzler vorgetragenen Gründe nicht entziehen können und in die Genehmigung des Ab- schiedsgesuches eingewilligt. Gewiß war es im letzten Jahre mehrfach zu Tage getreten, daß Fürst Hohenlohe infolge seines hohen Alters nicht mehr der unendlichen Arbeitslast, die auf seine Schultern gelegt worden, im vollen Umfange gewachsen war. Der Fürst hat selbst niemals ein Hehl daraus gemacht, denn die Entwicklung der Verhältnisse hat es mit sich gebracht, daß das Reichskanzleramt weit über die Kräfte eines einzigen Mannes hinaus gewachsen ist. Deshalb mußten immer schon in den letzten Jatren des Fürsten Bismarck die Staatssekretäre mit dem gesetzlichen Rechte der selbstständigen Stellvertretung ausgerüstet werden, und diese selbstständige Vertretung deS Reichskanzlers in den Reichsämtern hat seitdem noch wesentlich weitere Fort schritte gemacht. Ebenso sah sich der Fürst genöthigt, sich in der Leitung der preußischen Angelegenheiten große Zurück haltung aufzuerlegen. Er war Bayer, die inneren preußischen Angelegenheiten waren ihm verhältnißmäßig fremd, und so zog er es vor, in den rein preußischen Angelegenheiten vorwiegend dem Vice präsidenten des Staatsministeriums die Führung zu überlassen Solange Herr v. Bötticher Bicepräsident war, hat dieser es vor- znglich verstanden, die Einheit der Fachminister zu erhalten und gleichzeitig auch eine gute Fühlung mit dem Reichskanzler zu pflegen. Nach dem Ausscheiden des Herrn v. Bötticher trat hierin indeß ein bedeutender Umschwung ein. Je mehr dann Herr v. Miquel sich von den einseitigsten und extremsten Agrariern widerstandslos vorwärts drängen ließ, umsomehr verlor er den inner» Zusammenhang und damit das Ber- trauensverhältniß zu der Mehrzahl der übrigen Preu- bischen Fachminister. Und so konnten jene verworrenen Zustände eintreten, die namentlich bei der Vertretung der Canal vorlage, bei der Disciplinirung der landräthlichen Abgeordneten und ihrer spätem ungewöhnlichen Be förderung in die Erscheinung getreten sind." Von der Ernennung deS Grafen Bülow zum Nach folger des Fürsten hatte die „Köln. Ztg." bei Abfassung der vorstehenden Ausführung zwar noch keine sichere K-nntniß, sie nahm aber an, daß „der jugendsrische und erfolgreiche Diplomat" zur Nachfolge auSersehen sei, und begrüßte ihn bereits folgendermaßen: „Wir glauben aussprechen zu können, daß diese Wahl w.iihin in Deutschland als eine glückliche mit voller Genugthuung begrüßt werden wird. Graf Bülow hat sich allerdings bisher nur auf dem Gebiete der answär- tigen Politik bewegt und bewährt, aber in den paar Jahren, seitdem er Staatsmiuister ist, hat er reiche Gelegenheit gehabt, sich mit den inneren Verhältnissen im Reiche und in Preußen bekannt zu machen, und wenn er jetzt auserlesen sein sollte, auch hierdie oberste Leitung zu übernehmen, so kann man mit Sicherheit sagen, daß er den inner» Fragen nicht als bomo novus gegenübertritt." Also auch hier eine, wenn auch leise, Hindeutung darauf, daß Graf Bülow es verstehen werde, in die „verworrenen Zustände" Preußens Ordnung zu bringen. Jedenfalls wird an ibn im Reichstage sehr bald die Frage nach den Ursachen des Rücktrittes seines Vorgängers gerichtet werden. Und da der Fürst bei seinen Lebzeiten schwerlich über diese Ursachen etwas verlauten lassen wird, so wird mau vorläufig von der Be- urtheilung dieses Schrittes auf das angewiesen bleiben, was man aus dem Munde seines Nachfolgers und der OfficiLsen erfährt. Nicht wenig wird für die parlamentarischen Erfolge des neuen Reichskanzlers davon abhängen, daß er daS Einverständniß des greisen Fürsten mit allen zur Lösung der ostasiatischen Wirren ergriffenen Maßnahmen, wie mit der späten Berufung des Reichtagcs nackweist und einen durchschlagenden Grund für die auffällige Wahl des Zeit punktes seines Rücktrittes anzufübren vermag. Denn die „Köln. Ztg." ist völlig im Neckte, wenn sie in ihrer Würdigung der Verdienste des Fürsten sagt: „Alle die (oben erwähnten) Thatsachen schließen cs nicht aus, daß daS deutsche Volk von ganzem Herzen und in warmer Aufrichtigkeit dem Fürste» Chlodwig Hohenlohe-Schillingsfürst dankbar sein und bleiben muß für die Uebernahme der oberste» Reichs- leitung und ihre fegens- und erfolgreiche Führung während voller sechs Jahre. Wer jene verworrenen Zeilen in der frischen Erinnerung hat, die im Octobcr 1894 den Rücktritt des Grafen v. Caprivi und des Grafen Botho zu Eulenburg be- gleiteten, der weiß, wie schwierig die Lage war, die der damals 75jährige Statthalter von Elsaß-Lothringen vorfand, als der Ruf des Kaisers zur Uebernahme des Reichskanzleramtes an ihn erging. In allen deutschen nationalen Kreisen wurde diese Wahl mit lebhaftester Befriedigung begrüßt. Man wußte vollauf zu würdigen, welch schweres persönliches Opfer der greise, von jedem Ehrgeiz ferne Fürst auf den Altar des Vaterlandes brachte, als er seine hochbefriedigende und an Erfolgen reichgekrönte Stellung in den Reichslandcn mit dem neuen höchsten, aber auch dornenvollsten Amte im Reiche vertauschte. Ein süddeutsches Blatt sprach eS damals offen vnd richtig auS, daß Fürst Hohenlohe, ein Staatsmann wohlerfahren in inneren und auswärtigen Geschäften und im Auslände eine wohlbekannte, achtung gebietende Persönlichkeit, nicht blos der Vertrauensmann des deutschen Kaisers, sondern auch der Vertrauensmann des deutschen Volkes war. Diese besondere Vertrauensstellung war durch die reichen Verdienste wohlbegründet, die sich der Fürst in seiner langen dienstlichen Laufbahn als bayerischer Ministerpräsident, als deutscher Botschafter in Paris und als Statthalter erworben hatte. Diese Vertrauensstellung hat sich auch seitdem vollauf bewährt. Die deutsche öffentliche Meinung ist in den letzten Jahren vielfach durch äußere Vorkommnisse, impulsive und vielfach zu Mißverständnissen führende Aeußerungen aufgeregt worden, aber immer wieder vertraute sie dem Einfluß, der Ruhe und der Erfahrung des Fürsten Hohenlohe, Laß der deutsche Staatskarren im richtigen Gleise bleiben werde. Dieses Vertrauen hat sich durchaus gerechtfertigt." Graf Bülow ist darüber sicherlich nicht im Unklaren und wird es daher selbst beklagen, daß er als Kanzler vor den Reichstag zuerst in einem Zeitpuncte treten muß, in dem tief- gegründeteS Vertrauen auf die Um- und Einsicht des leitenden Staatsmannes besonders nöthig ist. Die Erfolge, die dem Fürsten Hohenlohe dieses Vertrauen erwarben, faßt das rheinische Blatt folgendermaßen zusammen: „Unter den Erfolgen, die er erzielt hat, steht in erster Linie die Aufrechterhaltung guter freundschaftlicherBeziehungen zu den mächtigsten Nachbarreichen, vor Allem zu Rußland, Eng land und Frankreich, und diese freundschaftlichen Beziehungen haben seitdem durch seinen Stellvertreter in der Leitung der auswärtigen Politik, Len Grafen Bülow, die stetigste und erfolgreichste Pflege gefunden. Aus dem Gebiete der inneren Neichspolitik treten als die wesent lichsten Erfolge des Fürsten Hohenlohe vor Allem das Zustande kommen des einheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuchs, die endliche Verwirklichung eines einheitlichen bürgerlichen Rechts, weiter das nach vielen vergeblichen Bemühungen endlich erzielte Zustande kommen der Militär-Strafproceß-Ordnung, sowie schließlich die Verabschiedung der großen Flottenvorlage und die kräftige stetige Förderung der deutschen überseeischen Interessen hervor. Namentlich bei der Militär-Strafproceß-Ordnung ist die stille, unermüdliche Bermittclungsthätigkeit des Fürsten, die nach außen nur wenig zu Tage getreten ist, von ausschlaggebender Bedeutung gewesen. Ohne ihn wäre dieser große Fortschritt, der in manchen wichtigen Puncten sogar das bürgerliche Strafverfahren überholt hat, schwerlich jetzt in Kraft getreten. Gleich bei seiner ersten Rede im Reichstag am 11. November 1894 betonte der Fürst die Nothwendigkeit, die Kriegsmarine derart zu vergrößern. Laß sie mindestens im Stande sei, unjern überseeischen Interessen den Schutz zu gewähren, ohne den Unternehmungen LeS Handels und Verkehrs überhaupt nicht bestehen können. Damals hob er auch die nationale, ideale, wirthschaftliche und religiöse Bedeutung der colonialen Bewegung hervor und bezeichnete die Wahrung unseres Colonialbesitzes als rin Gebot unserer nationalen Ehre und «in Zeichen unseres nationalen Ansehens. Er erklärte, daß die sehr ungünstige Lage der Landwirthschaft einer besonderen Pflege der Regierungen bedürfe und daß er versuchen werde, mit Ernst und gutem Willen zur Heilung der Ursachen des Uebels beizutragen; zugleich aber warnte er davor, die Kräfte in der Lösung unerfüllbarer Probleme zu verbrauche», und in der That ist es ein ganz besonderes per sönliches Verdienst deS Fürsten, daß der thörichte und unaussühr- bare Antrag des Grafen Kanitz, der auf eine Verstaatlichung deS Feuilleton. gf Der Lundschuh. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. Das war in damaliger Zeit eine ungewöhnlich umständliche Unternehmung, und mancher Ritter nahm lieber eine Burg ein, als daß er das Schreibrohr zur Hand nahm, um zu schreiben. Laufbartel war denn auch bei der Zumuthung, einen Brief zu schreiben, ziemlich verblüfft und fragte, ob er noch in dieser Woche fertig werden müsse. Friedel war der Ansicht, daß man den Brief sofort Herstellen müsse, und wohl widerwillig, doch gehorsam, fügte er sich. In der Bibliothek des Herrn Ulrich*) befand sich Pergament, freilich nur sehr roh bearbeitet. Abe: Laufbartel'war in der That ein kundiger Mann, der es verstand, das Pergament abzuschaben und dann mit Bimstein zu glätten, damit es die Tinte überall annahm, ferner etwaige Löcher und Risse zusammenzuziehen oder zu verkleben. Dann wurde das Pergament genau mit dem Zirkel in der Hand liniirt, und erst nach diesen Vorbereitungen, während welcher die drei Frauen wie drei Verschworene staunend und still dasaßen und zuschauten, ging die Schreiberei los. Die alte Machtild hüllte sich dabei den Kopf mit der Schürze zu und murmelte nur manchmal stöhnend und zitternd: „Der Zauber! Der Zauber! Jetzt kommt der Zauber!" Sie hätte sich vermuthlich durchaus nicht gewundert, wenn der leibhaftige Gottseibeiuns während dieses Vorganges er schienen und seinen Schwefelgestank in der Bibliothek verbreitet haben würde. Laufbartel schrieb bald mit angehaltenem Athem, bald stöhnend und keuchend, im wahrsten Sinne des Wortes im Schweiße seines Angesichts. Der erste Buchstabe wurde roth ge malt. Das ging gar nicht anders. Jedes wichtige Wort mußte mit einem rothen Buchstaben angefangen werden. Dann folgten die einzelnen Buchstaben der alten fränkischen Minuskelschrift, die damals fast allgemein in Aufnahme gekommen war, jeder für sich allein stehend, jeder für sich eine Arbeit, ein Werk. *) Herr Ulrich von Rappoltstein war selbst ein guter Schreiber. Eine von ihm persönlich verfaßte Darstellung seiner Erlebnisse während des Bauernaufstandes von 1525 hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten und befindet sich jetzt auf der Stadtbibliothek in Colmar. Das ging natürlich stundenlang. Draußen war es schon längst finster, und die vier Verschworenen saßen bei ihrem ge heimnisvollen Werk noch immer beisammen, athemlos vor Spannung und durchdrungen von der bedeutsamen Wichtigkeit ihrer Unternehmung. Endlich fragte Laufbartel, den sein Mutterwitz auch hier unter dem Weibsvolk nicht verließ, ob es denn nicht viel einfacher sei, wenn er zum Junker von Hohnack hinginge, um ihm zu sagen, was das Fräulein von Rappoltstein wünsche? Die alte Machtild verstand den Sinn der Frage überhaupt nicht und sagte gar nichts, Friedel war der Meinung, daß es ein Brief sein müsse, um der Sache Wichtigkeit zu geben, und Ede- linde meinte, Barthel solle nur unterschreiben, da er doch einmal so weit sei. „Und wenn nun der Junker den Brief nicht lesen kann?" fragte Laufbartel weiter. „Thut nichts", sagt« das Friedel, „ein Brief bleibt ein Brief. Wir werden ihn selbst zum Junker hintragen und nötigenfalls sagen, was drin steht." So wurde denn der Zauber vollendet. Es war fast elf Uhr in der Nacht, als Barthel erklärte, es stünde nun Alles in dem Brief, was seine Herrin ihm zu schreiben aufgetragen hatte. Eine Controle gab es natürlich nicht, aus dem einfachen Grunde, weil Niemand von den Anwesenden lesen konnte, was Laus bartel geschrieben hatte. Aber es entstand nun eine andere Schwierigkeit: Wo war der Junker jetzt, damit dieser Brief ihm eingehändigt werden konnte? Denn daß daS sofort geschehen mußte, darüber war man klar. Aber dieser Brief war nun einmal ein Zauber. Die Meinung war also, daß man ihn bloß dahin zu bringen habe, wo er wirken sollte, nämlich wo Beit war. Dann würde sich die Wirkung schon einstellen. So geschah eS denn auch. Lauf bartel brach mit Friedel und der alten Machtild, von zwei Söldnern vom Schloß begleitet, auf, um den Brief an's Jung- fernthor zu bringen. Zufällig war der Junker von Hohnack zu gegen und nahm den Brief in Empfang. Lesen konnte er ihn aber nicht, sondern nur mühsam buHstabiren, und so mußte Laufbartel seine Sendung also mündlich erklären. „Versichere der Herrin meinen aufmerksamsten Respect", sagte der Junker, „und soll Alles geschehen, wie sie befiehlt." Als die Leute wieder fortgegangen waren, besah Junker von Hohnack mit immer wieder wachsendem Erstaunen seinen Brief von allen Seiten. Er hatte in seinem Leben noch nie einen Brief empfangen und besah aufmerksam die geheimnißvollen bunt gemalten Dingerchen, die ihm «ine besondere, wunderthätige Kraft zu haben schienen, weil sie, stumm und todt wie sie waren, doch im Stande waren, Meinungen, Befehle und Anderes von Einem zum Andern zu tragen. Und wegen eines elenden Kling- fetzer machte man solche Umstände? Dieser Kerl war also eine Person von gewisser Wichtigkeit, da sich Leute, wie die junge Herrin von Rappoltstein, um ihn kümmerten? Vielleicht fiel es dieser gar einmal ein, sich persönlich um den Menschen zu kümmern, mit ihm zu reden oder ihn auszufragen. Und wenn dann der dumme Fiedler zufällig wieder von seinen Abenteuern in der Scherweilerburg erzählte, wo er den Junker von Hohnack und Wolf Haßflug gesehen, so konnte diesem ein recht artiges Süppchen eingebrockt werden. Das wollte der Junker natürlich verhüten, und er glaubte das am allerbesten und sichersten zu thun, wenn er Veit stumm machte für immer. Wenn der Junge morgen früh oder nach ein paar Tagen in seiner Zelle todt auf gefunden wurde — wer wollte dann dem Junker von Hohnack einen Vorwurf machen? Wer konnte und durfte eS? Der Zauber Friedel's hatte also einen sehr bedrohlichen und jedenfalls nicht den gewünschten Effect hcrvorgebracht. Gerade weil Veit wichtiger erschien, als der Junker bisher geglaubt, mußte dieser ihn fürchten. — VIII. Immer tiefer und immer stiller sank die Nacht über Rappolts- weiler und daS Strengbach-Thal hernieder. Immer mehr und mehr erstarb der Lärm deS Tages, die Lichter und Feuer erlöschten; von Zeit zu Zeit heulte ein Wolf, der auf Raub auSging, durch die Stille, oder ein Käuzchen huschte schreiend von Baum zu Baum. Die Stadt selbst lag im tiefen Schlaf, in sicherer Hut hinter ihren Thürmen und Mauern. Je lauter der Tag gewesen, desto tiefer war nun die Ruhe der Nacht. Selbst der Himmel hatte sich verdüstert. Dunkle Wolken massen zogen niedrig über die Thäler hin und hüllten die mäßig hohen Hügel in dichte Nebelmassen. Ein seiner Sprühregen netzte daS Land. Mitternacht war längst vorüber, eS mußte schon zwei oder drei Uhr Morgens sein, als sich auS dem Gebüsch und Gestrüpp, daS sich am Jungfernthor bis hart an die Stadt heran zog, zwei Männergestalten erhoben und sich leise zu berath. schlagen schienen. „Wie geht der Wind, Jaeckel?" fragte der Eine vorsichtig. „Nur wenig, ganz wenig", erwiderte der Andere, den Zeige finger im Munde naß machend und in die Luft haltend, „Abend wind, wie mir scheint." „Dann geht'S, Jaeckel, dann geht'S", sagte der Erste, der alte Joerg, wieder und drohte ingrimmig mit geballter Faust gegen die Stadt hinüber. „WaS willst Du thun, Joerg? Was hast Du vor? Ma sst überhaupt mit Dir? Wie siehst Du aus? Du klapperst mit den Zähnen!" „Es ist Alles eins, Jaeckel. Ich brenne die Stadt ab. Der Junge muß heraus", stieß der Andere wüthend hervor. „Was? Eine Stadt abbrennen?" fuhr Jaeckel erschrocken auf und sah seinem Gefährten noch schärfer ins Gesicht. „Willst Du mit aller Gewalt dem Teufel in die Hände arbeiten? Mensch! Joerg, bist Du toll?" „Ja, Jaeckel, ich bin toll", erwiderte der alte Joerg heiser, „ich muß den Jungen wieder haben, und ich werde ihn haben, es mag gehen, wie es will." „Was hast Du denn mit dem Jungen, Joerg? Ist er denn nun eigentlich Dein Junge oder nicht?" „Laß das gut sein. Der Junge muß heraus. Hast Du Schwamm?" „Hier ist der Schwamm und auch der Stein. Aber wenn Du ihn nun mit verbrennst? Sie werden ihn gebunden und krank (gefangen) gelegt haben." Joerg stieß einen wilden, verzweifelten Fluch auS und sah nach den Mauerthürmen der Stadt empor. Dabei traten ihm die Thränen in die Augen der alte Joerg weinte. „Das hält der Junge nicht aus", winselte er jämmerlich, „daS hält das grüne Bürschel nit aus. Die Knechte werden ihn mir zu todt schlagen." Er schluchzte wie ein Kind und heiße Thränen rannen ihm in den eisgrauen Bart. Jaeckel sah ihn erstaunt, aber auch mitleidig an. „Hast ihn schreien hören, Jaeckel, vorhin? Ah . , .!" fuhr Joerg fort. „Still Joerg, still", ermahnte der andere vorsichtig, daS nütz! ja gar nichts. Laß lieber sehen, ob wir nicht eine Kutsche *) mit ihm machen können. „Wir wissen ja nicht, wo er ist. Höre zu, Jaeckel, wie wir'» machen. Ich gehe hinein " „Du bist wohl von Sinnen!" „ und suche ihn." „Man wird einen Baumelmann aus Dir machen." „Sei'S denn, Jaeckel, ich sage Dir, der Junge muß heraus, oder es ist aus mit mir. So oder so. Du mußt meistern (auf passen, etwaige Gefahr ablenken), Jaeckel." ^Jch thue Alles, was Du willst, Joerg. Aber ich rathe Dir, den Anschlag bis auf morgen zu verschieben." „Und morgen ist der Junge todt." (Fortsetzung folgt.) *) Vermittels eines an einen Stein gebundenen Fadens eine Verbindung Herstellen.
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