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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001019021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900101902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900101902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Amtsblatt des Aöniglicheir Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rattjes und Notizei-Amtes der Stadt Leipzig. 53t. Freitag den 19. October 1900. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 81- Jahrgang. ZUM Lanzlerwechfel. Die wenigen deutschen Blätter, die behaupten, die Nach richt vom Kanzlerwechsel sei ihnen nicht überraschend ge kommen, verratyen durch die Betrachtungen, die sie an daS Ereigniß knüpfen, selbst, daß sic eS gerade jetzt nicht erwartet haben. Die meisten Zeitungen sind offen genug, zu bekennen, daß sie überrascht worden sind; einige glauben sogar ver sichern zu können, daß selbst amtlichen Kreisen der Rücktritt des Fürsten Hohenlohe unerwartet gekommen sei. So schreiben die „Berl. N. N.", die Fühlung mit diesen Kreisen haben: „Wenngleich rS an Anzeichen nicht fehlte, daß die Jahre des Fürsten Hohenlohe seinem amtlichen Wirken in nicht allzu langer Zeit ein Ziel setzen würden, so ist die so schnelle Entscheidung selbst amtlichen Kreisen unerwartet gekommen. Fürst Hohenlohe hatte noch zu Ende der vorigen Woche sich dahin aus gesprochen, daß er für feinen Rücktritt, sofern der Kaiser ihm sein Ver trauen bewahre, keinen Anlaß sehe, ja daß ein Rücktritt im gegen- wärtigen Augenblick ihm als Fahnenflucht erscheinen würde. Noch am Sonnabend sah er eS als seine selbstverständliche Pflicht an, daß er dem Reichstage wegen der Nichteinberufung in diesem Sommer Rede zu stehen habe. Tie Ueberzeugung, daß er seinen Jahren nunmehr den Tribut zollen müsse, den das Alter von ihm fordert, kann mithin erst am Sonnabend und Sonntag Platz gegriffen haben." So kann eS denn auch nicht befremden, daß die Ansicht auftaucht, so ganz plötzlich könne der Fürst von seiner Ge brechlichkeit sich nicht überzeugt haben und es müsse zu dem schon früher vorhanden gewesenen Bewußtsein der physischen Schwäche ganz plötzlich noch ein anderes Bewußtsein gekommen sein, daS ibn veranlaßt habe, kurz vor dem Wiederzusammen- tritte des Reichstags die wiederholte Bitte um Entlastung und Entlassung dem Kaiser in dringlicher Weise vorzutragen. Die Bermuthungen über dieses weitere Bewußtsein gebe» begreiflicherweise weit auseinander und entbehren zu sehr der sicheren Basis, als daß sie verzeichnet zu werden brauchten. Nur daS sei erwähnt, daß mehrfach angenommen wird, der gestern Mltgeth-ilte Ausfall der „Köln. Ztg." auf Herr» vr. c. Miquel als den Urheber der „verworrenen Zustände" in Preußen deute einen der Gründe an, die den Fürsten Hohenlohe zu seinem Schritte bewogen. Uns selbst geht über den Kanzler wechsel aus Berlin folgende gestern Abend niedergeschriebene Betrachtung zu: „Eine Ueberraschung war der Rücktritt des mehr als 81 jährigen Reichskanzlers Fürsten Hohenlohe nicht. Dennoch kam er in diesem Zeitpuncte ziemlich unerwartet. Ala heute Nachmittag die Nachricht von einem unmittelbar bevor stehenden Wechsel im Kanzleramt in Berlin verbreitet wurde, verzeichneten gerade die ernsthaften hiesigen Blätter die Ankün digung entweder im Tone des Zweifels, oder sie übergingen sie mit völligem Stillschweigen. Nun ist daS für eine nahe Zukunft unvermeidlich Gewesene Ereigniß nnd wir wollen auch gern glauben, was sehr nachdrücklich versichert wird, daß der Fürst den Zeitpunkt feines Ausscheidens vollkommen selbstständig gewäblt habe. Dagegen glauben wir entschieden nicht, was auch sehr bestimmt bcbauptet wird, daß nämlich der dritte Kanzler nach seiner Rückkehr auS Werki die Absicht geäußert, eine Kundgebung zu veröffentlichen, durch die er die „Nicht einberufung deS ReichtageS begründen und ferner consta- tiren wollte, daß die China Politik des Grafen Bülow im vollen Einverständniß mit ihm, dem Fürsten Hohenlohe, ge führt worden", daß er aber an diesen Acten weiterer Poli tischer Wirkungen durch allzu fühlbar gewordene körperliche Gebrechlichkeit gehindert worden sei. Diese osficiöse Erzäh lung nimmt sich wie das Schnitzen einer Krücke a»S. Auch der entlassene und insbesondere der todte Kürst Bismarck hat sich häufig, ohne daß er es billigte oder bei Lebzeiten gebilligt hätte, die Berufung auf seine Person und Meinung gefallen lassen müssen. Daß Fürst Hohenlohe nach seiner Rückkehr von Werki „gebrechlich" genug gewesen sei, das Vorhandensein einer „Chinapolitik des Grafen Bülow", einer vom Grafen Bülow inaugurirten Ebinapolitik, anzunebmen, ist mehr als zweifelhaft. Diese Bemerkung wäre überflüssig, wenn die hcmrw prv88o des neuen Reichskanzlers nicht allzu eifrig am Werke wäre, der öffentlichen Meinung einen Lasso umzu werfen. Solches Beginnen scheint uns nur einer der Social demokratie und dem Radikalismus erwünschten Reaktion Vor schub zu leisten, zum Mindesten ist eS auch vom Standpunkt einer „Regierung" überflüssig. Denn der auf den 11. November berufene Reichstag wird, falls ihn bis dahin nicht neue Seiteusprünge gröblich reizen, daS, was von deutschen Unter nehmungen in der chinesischen Angelegenheit den Namen „Politik" verdient, mit pflichtgemäßer Objektivität be- urtbeilen. Socialtemokraten nnd Demokraten kommen dabei selbstverständlich nicht in Betracht, die große Mehr heit des Reichsparlamentes wird auch in der Be- urthcilung der Kostcndcckungsfrage, der der „Indemnität", keinerlei Schwierigkeiten machen und bei der Lage der Dinge in Eoina ist man vielleicht beim Zusammentritte des Reichstags in der bürgerlichen Well allgemein überzeugt, daß im Hinblick auf diese Frage die Einberufung nicht zu spät erfolgt sei. Für eine Abrechnung der nationalen Parteien über die in der ostasiatischen Politik wirklich vorgekommencn Unregelmäßigkeiten, die wir dringend wünschen und die den Grafen v. Bülow nicht behindern, sondern im Gegcnlheile fördern wird — für eine solche Abrechnung, wenn sie Eindruck machen soll, wird in vier Wochen die Zeit kaum schon gekommen sein. lu aoosxectu Ko8tium, zu denen wir natürlich nicht allein die Boxer nnd ihre Drahtzieher rechnen, würde ein gründliches Eingehen aus gewisse Berliner „Jnitiativ"-Acte, auf die Walversee-Sachc uud auf Verwandtes, die politische Position Deutschlands zum mindesten nicht kräftigen und eines flüchtigen, scheuen Hinweises auf die Wunden, die sich in der China-Sache am Körper des ReichSregimentS gezeigt, würde etwaige künftige ernstliche Heilungsversuchc gründlich compromitliren. So dürfte man in den Reiben der positiven Parteien ziemlich allgemein denken und Graf Bülow bedarf des Uebereifcrs seiner journalistischen Freunde wahrlich nicht. Er kann auch mit dem Empfange, den er in der unabhängigen Presse findet, recht zufrieden sein. Ebenso mit den Abschiets worten, die dem Fürsten Hohenlohe von den Agrariern gewidmet werden. Diese schreiben süß-sauer, also nicht unangehm für den Nachfolger. Wenn der neue Regierungschef aber die Erwartung, die die bürgerliche Linke in ihn setzt, rechtfertigen wollte, so brauchte er im NeichS- kanzlerpalais und im Miuisterpräsidium nicht erst auszupacken. Auf dieser Seite ist man der Ansicht, daß Graf Bülow, wenn er überhaupt politisch lebensfähig seiu wolle, nun nichts Anderes zu thuu habe, als die „Agrarier" mit Keulen todtzuschlagen und, dies ist die Hauptsache, das Börsengesetz abzuschasfen. Charakteristisch für die Er wartung dieser Richtung ist der Ausdruck Les unverhohlenen Erstaunens, der sich in den heutige» Berliner Börsenkrcisen darüber findet, daß die Börse den Kanzlerwechsel nicht mit einer Hausse begrüßt hat! Die Enttäuschung, die der Reichs kanzler diesen Leute» bereiten wird und muß, wird für ihn keine üblen Folgen haben. Wahrscheinlich auch nickt die — ohne Zweifel reichSverfassnngswidrigen — Selbstständig keitsallüren, die die NeichSstaatssekretäre in den letzten Jahren angenommen haben. Graf Bülow, der als Staatssekretär des Auswärtigen selbst in dieser Richtung peccirr bat, wird sich in das Unvermeidliche füge». Ist dock die Rffsortwirthschask im Reichsdienst nichts weiter als eine der Früchte der auf Zerstörung deS Derantwortlickkeits- systems gerichteten Politik, und hier findet der „neue Mann" eine Schranke, an deren Ucberstcigung er selbst wohl keinen Augenblick denken wird." So wenig wahrscheinlich es nun auch ist, daß Graf Bülow eine selbstständigere Stellung als sein Vorgänger zu erringen vermögen oder auch nur versuchen werde, so hohe Erwartungen werden gleichwohl von manchen Seiten auf ihn als Wictererwcckcr des früheren Ansehens und der früheren Bedeutung des NeichSkanzlerpostenS gesetzt. So schreibt ein anderer unserer Herren Mitarbeiter in Berlin: „Kein General, kein Magnat, kein Hofmann und kein Greis löst den Fürsten Hohenlohe ab, sondern ein Staatsmann in der Vollkraft der Jahre. Besonnen uns lbatkräftig, arbeits freudig, gewandt und beredt, bat Graf Bülow als Staats sekretär des Auswärtigen Amts Proben seines Könnens ab gelegt, die ihm im Jnlande außer der Anerkennung seines Souveräns daS Vertrauen des deutschen Volkes, des Reichstages uud der Bundesregierungen erwarben, im Aus lande Achtung und Sympathie gewonnen. Deshalb darf seine Ernennung mit um so größerer Genugkhuung begrüßt werden, je nolhwentiger einerseits das höchste Reichsamt gerade gegenwärtig wegen der Wirren in China uud wegen der bevorstehenden Erneuerung der Handelsverträge einen Diplomaten von Fach braucht, und je berechtigter andererseits jetzt die Hoffnung erscheint, das Amt des Reichskanzler s und Ministerpräsidenten werde die ihm gebührende Bedeutung wiedererlangen. Daß cs an dieser Bedeutung während der letzten Zeit der Amtsführung des Fürsten Hohenlohe nur zu viel ein- gcbüßt bat, darüber ist sich alle Welt einig. Welche ernsten Folgen hieraus für die Entwickelung unserer inneren Zustände sich ergeben können, darf im nationaten Lager zu allerletzt verschwiegen werden. Darum ist es nöthig, eine vielbemerkte Auslassung der „Allg. Ztg." zu Gunsten eines Kanzlerwechsels zu ergänzen. Das genannte Blatt rief nach einem „starken Mann", der die Entschlossenheit und Fädigkeit besitze, „in voller Thatkraft und mit breiter Brust den Kaiser lhatsäcklich zu decken." — Gewiß, ein solcher Mann muß der Reichskanzler sein. Aber wie ihm die Lieferung der ministeriellen Bekleidungsstücke für den Monarchen obliegt, ebenso ist es sein Recht und seine Pflicht, das ministerielle Kleid selbst vor dem Monarchen zu Ehren zu bringen. Es war ein Organ der königlich sächsischen Negierung, die „Leipziger Zeitung", welches „kein Hehl" daraus machte, „daß eS im bohen Grade im Interesse unserer monarchischen Einrichtung«: liegen würde, wenn in unserer überkritische» Zeit möglichst wenig Gelegenheit geboten würde, an Aeußerungen, die von unverantwortlicher Stelle über Parteiverhältmsse fallen, Kritik zu üben." — Die Neichstagsverhaudlung vom l2. Mai l8l)7 veranlaßte die vorstehende Kundgebung; andere Erfahrungen, insbesondere die des letzte» Sommers, zwingen zu der Verallgemeinerung des in ihr enthaltenen Wunsche-; von dem Maße, in dem Graf Bülow für seine Verwirk lichung eintrilt, hängt die politische Bedeutung deS Wechsels im Kanzleramt und Ministerpräsidium zum großen Tbeile ab. Zum großen Theile auch wird sie durch den Grad deS Einflusses bestimmt sein, den Graf Bülow als Minister präsident auf die preußische Politik ausüben wird. In Bezug auf sie hat es wiederholt an einer folgerichtigen und einheitlichen Regierungsaction gefehlt, so oft auch die Uebereiuslimmung zwischen dem Präsidenten und dem Vicepräsidenten des Staatsministeriums als vollkommen geschildert wurde. Es wäre nicht überraschend, wenn Graf Bülow, den bisher Fragen der inneren Politik direct nicht beschäftigten, auf diesem Gebiete fürs erste einer größeren Initiative sich cntbielte. Doch das binderte ihn nicht, für eine consequente Negierungsaction Sorge zu tragen. Kein Parteimann, hat Graf Bülow während seiner bisherigen Ministerlaufbahn stets den Eindruck eines gemäßigt-conserva- tiven Politikers von warmer nationaler Gesinnung gemacht. Möge er, jetzt auf den Posten des allein verantwortlichen Neichsminislers berufen, auch der tbatsächlich leitende Staatsmann sein und möge es ihm als solchem immer gelingen, die Ekre und die Interessen des Reiches und des preußischen Staates nach außen wie nach innen zu wahren!" lieber den Nachfolger des Grafen Bülow als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes ist, soweit bisher be kannt, noch nichts bestimmt. Vielfach, bemerkenswertber Weis: auch in engli scheu Blättern, wird angenommen, daß Unter staatssekretär Frhr. von Nichtbofen in dieses Amt auf rücken werde, jedoch handelt es sici> dabei lediglich um Ver- muthuugen, die allerdings viel Wahrscheinlichkeit für .sich haben. Daß mit dem Kanzlerwcchsel auch andere Krisengerückte auflreten, ist nicht verwunderlick. Em Berliner Blatt deutet auf einen bevorstehenden Wechsel im preußischen Finanzministerium bin und nennt als Nachfolger l)r. v. Miquel'S den Leiter der Deutschen Bank Or. v. Siemens. Ob eS diesem einen Dienst damit erweist, wenn cs jetzt seine Persöntickkeit in die DiScussion zieht, kann man bezweifeln. Fürst Herbert Bismarck und der Bukarester Gesandte Graf Bray-Stein- burg werden als für das StaatSsetretariat weiter in Betracht kommend genannt, wovon wir lediglich registrircuo Notiz nehmen. Vie Wirren in China. FriodcnSgcläutc uud KricgSsansarcn. „Reulcr's Bureau" berichtet aus Washington, l8. Oktober: „Der Gesandte Conzer telegraphirte hierher die Inhaltsangabe gewisser Vorschläge, die durch Li-Hung-Tschang Namens der chinesischen Regierung unterbreitet worden sind und als Grundlage für die Friedensunterhandlungen dienen. Tas Telegramm Conger's ist bisher nicht veröffentlicht worden. Der Staatssekretär Hay hatte nach einer eiustündigen Be sprechung mit dem Präsidenten Mac Kinley eine lange Unter redung mit dem chiuefifchen Gesandten Wu-ting-fang." Um welch- Vorschläge Li's cs sich handelt, geht wohl ans der folgenden Nachricht hervor: * Paris, 1l). Oktober. (Telegramm.) Tic „Aqrucc Havas" berichtet aus Peking uuler dem lr>. 0. M., Li-Hun„-Lfchaug und Prinz Dschinn hätten Sem diblomatifchcu EorpS eine Note überreicht, Sj Der Lundschuh. Roman von Wold em ar Urban. Nachdruck dcrbotd». „Aber Du zitterst, Joerg; Du bist heute nicht der Mann zu einem solchen Streich." „Vorwärts, Jaeckel, es muß sein", versetzte Joerg trotzig und näherte sich schon depr Thor. Dann blieb er aber nochmals stehen und fuhr leise fort: „Wenn wir uns in dieser Welt nicht Wiedersehen sollten, Jaeckel —" „Unsinn, Joerg. So schlimm ist es nicht." „So leb' wohl; wenn'S doch einmal aus sein soll; ich weiß nicht, weshalb mir heute so zitterig zu Mutye ist, als ob das letzte Stündlein da wäre. Heute früh lief mir ein Jude über'n Weg. Du weißt, das bedeutet Pech. Wenn's also aus sein sollte, Jaeckel, so lebe wohl. Wir werden ja wieder zusammen kommen, beim Rothen oder beim Weißen, Du verstehst mich ja doch." „Joerg !" „Still, Still! Wenn Du einen lauten Himmelsteg hörst, dann liege ich im Salz. Dann ist hohe Zeit. Leb' wohl." Damit ging der alte Joerg noch näher an daS Thor heran, während sein Genosse im Dickicht verborgen stehen blieb. Dann nahm Joerg ein Stück Seife in den Mund, um Schaum vor dem Mund zu haben, weil er beabsichtigte, als Epilepsie-Kranker Ein laß in daS Thor zu erzwingen, und wischte sich die Thränen auS Gesicht und Bart. »Joerg, hör' zu", flüsterte Jaeckel noch einmal, „laß es bis Morgen. Du hast heute sicher Unglück. Laß es bis morgen." „Sri still und paff' auf, Jaeckel", erwiderte Joerg fest. „Wie? Willst sterben, Joerg? Läufst absichtlich in den Lod, eine» Juristen halber?" „Ich will nicht sterben, Jaeckel, aber ich kann nicht leben ohne den Jungen. Und nun vorwärts, kein Wort mehr." „Der unS in der Päse durchgebrannt ist?" „Laß gut sein. ES ist ein so grünes Bürschel." „Joerg", sagte der Andere nochmal, „Du bist doch sein Vater!" Joerg wischte sich zittrig und mit einem unterdrückten Schluchzen über die Augen. „Still, still, Einer muß es ja wohl sein", erwiderte er dann leis«. „Gut, höre zu, Joerg, Du hist heute Nacht nicht der Mapn zu einem solchen Anschlag. Laß mich in die Stadt spioniren gehen und meistere Du." Joerg sagte kein Wort. Stumm, aber mit einer weichen Rührung, wie man sie bei einem solchen alten Professionsgauner wohl kaum vorausgesetzt, nahm er Jaeckel's Hand und drückte sie schluchzend einigemal fest. „Es bleibt dabei, Jaeckel", flüsterte er endlich wieder leise, „wir werden schon wieder zusammen kommen, beim Rothen oder beim Weißen. Leb' wohl!" In diesem Augenblick, als sich Joerg neuerdings dem Thor näherte, klang plötzlich ein dünner, leiser Fiedelton durch die Nacht. Sofort blieb Joerg lauschend stehen und suchte sich in der Richtung, aus der der Ton kam, zu orientiren. Ein Thurm, dessen Umrisse er nur mühsam im Dunkel der Nacht unterscheiden konnte, obwohl er kaum zwanzig Schritt vom Thor entfernt war, war der Ausgangspunct des Tons. Leuchtenden Auges und offenbar beglückt durch seine Entdeckung raunte er Jaeckel, der ebenfalls noch hinzugetreten war, zu: „Dort sitzt der Klingsetzer!" Mit einer wahren Begeisterung lief nun Joerg am Wall graben hin, um dem Thurm so nahe wie möglich zu kommen. Noch etwa vier oder fünf Schritt — die Breite des Wallgrabens — trennten ihn vom Fuße des Thurmes, der unmittelbar am Wasser stand, und ohne große Mühe konnte er das Fenster fest stellen — es waren nur zwei —, hinter dem Beit saß. Es bot den in solchen Dingen ungemein gewandten Herumstreichern keine große Schwierigkeit, eine Kutsche zu machen und Veit auf diese Weise von der nahenden Hilfe zu benachrichtigen. Am Ende deS Fadens, der Beit zugeworfen wurde, band Jaeckel eine kleine Feile, mit der Beit die Eisenstäbe deS Gitters durchfeilen sollte. Aber nun stellte sich eine unerwartete Schwierigkeit heraus. Was jeder „Kochemer" ohne Weiteres begriffen hätte, nämlich, daß er an der Kutsche ziehen mußte, um die ihm zugedachtc Hilfe zu erhalten, das begriff der unerfahrene Beit nicht, und so war die Kutsche wirkungslos. „ES ist keine Zeit zu verlieren", flüsterte Joerg wieder. „Hast Du Deine Mauerdalme*) bei Dir?" „Was willst Du thun?" fragte Jaeckel. „Sieb her. Ich hole ihn", entgegnete Joerg fest und ent schlossen. „Joerg", warnte ihn sein Genosse, „man wird Dich einsehen." *) Dalme ist ein Dietrich zum Oeffncn von Schlössern, eine Mauerdalme also ein Schabeisen, geeignet, Löcher in eine Mauer zu machen. - „Mache keine Umstände. Her damit und pass' auf, wenn Ge fahr droht. Du bleibst hier." Damit nahm er von Jaeckel ein gebogenes, mit einem festen Handgriff versehenes Eisen, stieg flink in den Wallgraben hin unter, dessen Wasser ihm fast bis an die Brust reichte, und stand gleich darauf unmittelbar an dem Thurme. Die Höhe, die er zu erreichen hatte, war etwa doppelte Mannshöhe und mit einer für sein Alter erstaunlichen Behendigkeit und Kraft begann Joerg sofort seine Arbeit. Mit seinem Eisen untersuchte er zu nächst die Mauer, und wo er eine Stelle fand, an der zwei Steine durch eine Mörtelfuge getrennt waren, machte er fast geräuschlos ein Loch, in das er dann einen Holzpflock zwängte, stark genug, den Fuß darauf zu setzen, oder sich mit der Hand daran in die Höhe zu ziehen. Dem ersten Pflock folgte in entsprechender Lage und Entfernung ein zweiter, dann ein dritter und vierter. Jaeckel half dabei, ohne ein Wort zu sagen, indem er die Pflöcke zurechtschnitt und ihm zuwarf. Wie oft mochten die Beiden zu weniger frommem Zweck solche Hantirungen gemeinsam vorge nommen haben! Es dauerte keine Stunde, bis auf diese Weise eine Art Treppe zu Stande kam, auf der man sich in die Höhe arbeiten konnte, daß man das Fenstergitter, hinter dem Beit saß, mit der Hand erlangen konnte. Es war dies eine halsbrecherische Arbeit, die nur bei der außerordentlichen Gewandtheit und Praxis, welche die Beiden in derlei Dingen hatten, gelingen konnte. Endlich erfaßte Joerg aber doch, hoch in der Luft schwebend und mit der rechten Hand über sich fassend, das Gitter und zog sich daran hinauf. Als er in die Zelle hineinsehen konnte, bemerkte er, daß sie finster und still war. „Veit!" rief er leise hinein. „Wer ruft?" klang es von innen. „Rasch! Es gilt Leben und Freiheit. Komm her." „Bist Du cs, Joerg?" fragte Veit nochmals. „Mag sein, wer es will. Schnell, halte meine Hand fest, damit ich mit der anderen arbeiten kann." „Du bist auf unrechten Wegen, Joerg", rief Beit leise, „ich mag Dir nicht folgen. Ich will nur Gerechtigkeit, nicht Flucht." „Ei, daß Dich der Henker!" rief Joerg ärgerlich, „rasch, halte meine Hand, sonst stürze ich in die Liefe und breche Hals und Beine." Sofort sprang Beit herzu und hielt Joerg's Hand fest, so daß dieser mit der Dalme in der anderen Hand draußen an den Stellen arbeiten konnte, wo das Gitter in die Mauer eingelassen war. Es war eine Arbeit, die ihres Lohnes werth war, wie selten eine. In der Luft hängend, ächzend und keuchend, bohrte der sechzigjährige Joerg mit der Kraft und Ausdauer eines jungen Mannes die Mauerstücken ab, die das Gitter hielten, — um seinen Sohn zu retten, sein einziges Kind, sein letztes Hao' und Gut auf dieser Welt. Ein Fehlgriff — und er war ein verlorener Mann. Aber er dachte gar nicht an die Gefahr, in der er schwebte, und arbeitete emsig weiter. Nach kurzer Zeit hörte Joerg einen leisen Pfiff, und gleich darauf rief Jaeckel leise: „Hinein oder herunter, Joerg! Die Wache kommt, man hat uns gehört." Da bog Joerg mit einer letzten gewaltigen Anstrengung das Gitter, das nur noch in^einem Zapfen hing, zur Seite un^ schlüpfte behend hinein. Dann lauschte er still und gebot auch Beit, ruhig zu sein und keinen Laut von sich zu geben. Joerg kannte seinen Kumpan Jaeckel genau genug, um zu wissen, daß er ihn in der Gefahr nicht im Stiche lassen würde. Joerg hoffte, daß es Jaeckel als immer schlagfertiger Meister gelingen würde, die Gefahr, die etwa drohte, vom eigentlichen Thatorte abzulenten, so daß er dann die Rettung Deit's vollenden könne, und in der That hörte er auch nach einer Weile von dem Gebüsch her, wo sie anfänglich gestanden, die rauhe, Heiser- Stimme Jaeckel's, wie die eines total Betrunkenen, singen: Der Kuckuck und der Fink, Die machten einen Wettgesang, Der währte einen Sommer lang. Pink, Pinkerink, Pink, Pink-Pink. Und als der Winter kam, Da hatt' der Kuckuck wohl verloren, Der Finke aber war erfroren, Tam tamteram, Tam, Tam-tam. Während Veit nachdenklich über den Sinn deS LiedeS den Kopf hängen ließ, horchte Joerg gespannt auf die rauhen Töne und vernahm, daß sie sich immer weiter, nach dem Walde und dem Dusenbach zu verloren. Bermuthlich war also die Wache auf der Mauer sichtbar geworden und Jaeckel hatte sich, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, singend und gröhlend nach dem Walde zu entfernt. Joerg hielt sich also wenigsten» vor läufig, im Thurme selbst für sicher, da man der Dunkelheit wegen den Einbruch von außen her nickt sehen konnte. Indessen konnte es auch sein, daß man auf die Idee kam, daS Gefängniß von innen zu revidiren, um zu sehen, ob Alles in Ordnung war. Wenn sie dann hier aufgefunden wurden, so war Joerg sowohl als Veit verloren. Er durfte also auf eine unsichere Zu rückkunft seines Genossen nicht warten, und sobald draußen Alles wieder ruhig war, machte er sich daran, mit Veit daS Weite zu suchen.
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