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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001029022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900102902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900102902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-10
- Tag1900-10-29
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Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Notizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen »Prei- dic 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich s4 gespalten) 75 H, vor den Familienaack- richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 85 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsürderuag .si «0.—, mit Postbesörderung 70.-. Iinnahmeschluß fix Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck uud Verlag vou E. Polz in Leipzig. Montag den 29. October 1900. 552. Die Wirren in China. Die militärischen Operationen der Verbündeten bestehen auch jetzt noch mehr in Märschen als in Kämpfen, denn die Chinesen räumen alle ihre be- drohten Stellungen, ohne Widerstand zu leisten. Sie haben nicht einmal die Eisenbahn südlich von Paotingfu zer stört, wenigsten» meldet man, daß die europäischen Truppen, welche Paotingfu (130 km südlich von Peking) besetzt hatten, noch weiter südlich vorgedrungen sind und von der bi» CH ing- tingfu reichenden 110 km langen Babn 80 km unbeschädigt gefunden haben. In Folge dieser Wahrnehmungen scheint man den Plan gefaßt zu haben, die Operationen bis Taiyuenfu (etwa 315 km südlich von Peking) auSzu- zudehnen. Taiyuenfu ist die Hauptstadt der Provinz Schansi und soll den Weg nach Scheust und dem Süden beherrschen. Ebe der Kaiser und der Hof sich nach Singanfu in Schensi begaben, hielten sie sich mehrere Wochen lang in Taiyuenfu auf. Bestrafung -er Schuldige», das ist der Hauptpunkt, um den sich die Vorbesprechungen der Gesandten und der chinesischen Bevollmächtigten drehen. Frankreich hat die Köpfe der Prinzen Tu an und Tschuang, de» mohammedanischen General» der Kansü- truppen. Tungfuhsiang, de» fremdenfeindlichen Gouverneur» von Schansi, Aühsien, der noch vor Kurzem fünfzig Missionare ermorden ließ, de» Herzog» Lan und der beiden Anstifter der Boxerunruhen Tschaotschutsckiao und Kangyi gefordert. Daraufhin baden die chine sischen Unterhändler die harmlosen Mittbeilungen ge macht, der Kaiser habe bereit» einige Prinzen bestraft, Tuan und Tschuang befänden sich nicht beim Hofe sie sollen in Schansi zurückgeblieben sein —, Kangyi sei todt und Hühsirn habe Selbstmord begangen. Da» soll mit anderen Worten heißen, e» blieben zur Bestrafung nur wenige übrig und an diese wenigen wird der Hof sich vermuthlich nicht beranwagen, da sie, vor Allein Tung- fuhsiang mit seinen Truppen, da» Heft und den Kaiser noch in der Hand zu haben scheinen. Zugleich dauern die frem-enfein-licht» Kundgebungen -e» Hose ¬ sort: Hütschang, einer der wildesten Fremdenbasser, wird als Gouverneur in Hupeh dem fremdenfreundlichen Tschangtsckitung in Lessen eigenem Amtsbezirk vor die Nase gesetzt, und kaiser liche Truppen fechten nach wie vor bei Paotingfu gegen die Verbündeten. Inzwischen Hal jene amtliche japanische Meldung mitgetheilt, Li-Hung-Tschaug sei zum Generalissimus der Wuwei-Armee ernannt worden, die aus Soldaten besteht, die von Fremden gedrillt und wohlbemaffnet seien. E» sind die Truppen, die Li-Hung- Tschang früher al» Gouverneur von Tschili hat auSbiloeu lassen, sie standen vermuthlich auch den Deutschen in der Nähe von Paotingfu gegenüber. Bisher führte Aunglu den Ober befehl über die Wuwei-Armee, da» große Nordheer. Eine Unterredung mit Prinz Tsching. lieber eine Unterredung mit dem Prinzen Tsching macht der „Köln. Ztg." der Berichterstatter der „Daiiy News" in einem Briese au» Peking vom 6. September Mittheilunfl. Tsching war ebeninPeking eingetroffen und hatte tag» zuvor Sir Robert Hart zu einer längeren Besprechung empfangen. Er wohnte in seinem mit schönen Parkanlagen umgebenen Hause im Nord westen der Tatarenstadt. Japanische Posten bewachten das HauS, um Zudringliche abzuhalten, ließen aber den Berichterstatter, der mit einem Passirschein de» japanischen General- für sich und einen al» Dolmetscher dienenden englischen Beamten de» Seezollwesen» ausgerüstet war, ohne Umstände zu. Prinz Tsching empfing seinen Besucher mit großer Freundlichkeit und unterzog sich dem Verhör mit guter Miene. „Haben Sie sich eine Vorstellung darüber gebildet, welche Be dingungen zur Verständigung Sie im Namen des Kaiser bieten werden?" fragte der Zeitungsmann. Prinz Tsching that einen tiefen Athemzug unv erwiderte: „Es ist unmöglich zu sagen, wa» geschehen wird, aber — fügte er zögernd hinzu — ich hoffe, man wird den Kaiser an der Regierung lassen." „Ganz ohne Zweifel", versetzte der Berichterstatter. DaS Gesicht de» alten Mannes leuchtete auf. „Aber — fuhr der Engländer fort — der verderbliche Einfluß der Kaiserin und ihre- Anhanges kann nicht ferner ge stattet werden." Prinz Tsching erhob Einspruch gegen die unbedingte Verwerfung der Kaiserin: „Sie ist eine sehr gesckeidte Frau", bemerkte er und verbreitete sich über ihre Verdienste und die irrige Auffassung ihrcs Charakters, die sich im AuSlande verbreitet zu haben scheine. Seine Vcrtbeidignng war ausführlich, aber nicht überzeugend. Auch den Prinzen Tuan entschuldigte Tsching. Ec sei nicht mit der Boxer bewegung einverstanden gewesen, aber die Strömung sei zu stark für ibn geworden und habe ihn mit fortgerissen. Der wirkliche Schuldige sei Prinz Tschwang, der überhaupt zum Sündenbock deS HofeS ausersehen schien. Auch schien e», als ob eS Niemandem sonderlichen Schmerz verursachen würde, wenn Tungfubsiang einen Kops kürzer gemacht würde. Die Politik Tsching», so wurde später von einem sremdenfreundlicben Mandarin erläutert, gehe dahin, man möge die Kaiserin und ihre Partei versöhnlich behandeln und ermuntern, nach Peking znrückzukchren. Habe man sie erst mit dem Kaiser in Peking, so könnten die Mächte mit ihnen verfahren, wie ihnen gut scheine. Die Boxer, meinte Prinz Tsching, seien nur noch hier und da unruhig, zumeist aber zum Frieden geneigt. Ob sie später wieder auSbrechen würden unv was im Wege der Bürgschaften sich thnn ließe, darüber erklärte Tlching vorderhand gar keine Ansicht zu haben. Al» man auf die Mandschurei zu sprechen kam, bemerkte er: „Die Ruffen haben schon drei wichtige Plätze im Lande ge nommen, Huailungsiang, Huntschun und Langsing. Was wird weiter geschehen?" Damir blickte er wie verzweifelnd im Zimmer herum. „Sie zehren das Land aus", sagte er und machte die Grimasse gierigen Verzehren« mit Mund und Hand. „Die Engländer und Amerikaner", sagte er im weiteren Verlaufe, „haben un» immer mit viel Billigkeit behandelt." „Ihre Interessen sind dieselben", entgeguete der Berichterstatter. „Sie werden ziemlich sicher auch dieselbe Politik rinschlagrn." „Und Japan?" fragte der Prinz mit besorgter Miene. „Japan geht mit England zusammen", versetzte der Engländer. „ES bekundet auch den Wunsch, in dieser Richtung weiter zu gehen. Kurz, die drei Länder sind einig." „Aber waS ist ihre Politik?" fragte Tsching. „Sie suchen, wenn irgend möglich, China» Besitzstand im Gegensatz zu einer Theilung in Interessensphären zu erhalten." Diese Aeuße- rung, daß e» noch mächtige Staaten gebe, die da» Chinesen reich in seiner heutigen Gestalt erhalten möchten, überraschte den Prinzen so sehr, daß er fast aufgeregt wurde. DaS schien idm ganz neu. Er erörterte die Sache eifrig unv fragte dann sofort: „Wie viel Truppen hat England hier? „In China?" „Nein, nein, in Peking?" Darauf mußte der Berichterstatter einräumen, daß die britischen Truppen, ver glichen mit den Russen, nur schwach an Zahl seien. Er bemerkte jedoch, es seien alles Soldaten, während bei den Russen ein große» Gefolge von Troßknechten und Arbeitern aller Art sei. Im Weiteren erklärte Prinz Tsching dann noch, General Tungfuhsiang habe den Oberbefehl über sämmt- liche Truppen gehabt, die die Gesandtschaften angegriffen. Er sei thatsächlich der Hauptschuldige. Seine (Tsching») eigene Truppen hätten ihn bei Anfang deS Ausbruches gegen die Boxer unterstützt. Tungfuhsiang sei gegenwärtig nicht mit dem Kaiser zusammen. * Washington, 28. October. (Telegramm deS „Reuter'schen Bureaus".) Der Gesandte Tanger hat den Capitän Hall von dem amerikanischen Marinedetachement, da» sich in Peking befand, beschuldigt, er habe sich während der Belagerung der Gesandtschaften Feigheit zu Schulden kommen lassen. General Thaffee hat daraufhin eine Untersuchung angestellt und die betreffenden Schrift stücke nach Washington gesandt mit dem Vorschläge, die Sache nun mehr aus sich beruhen zu lassen. Die Schriftstücke sind jedoch dem Commandanten des Marinesoldatencorps übergeben worden, der durch einen besonderen Gerichtshof eine eingehende Untersuchung vornehmen lassen wird- Der Krieg in Südafrika. Vereitelter SicgeScinzng. Aus London, 27. October, schreibt uns unser dortiger Mitarbeiter: Der Siegeseinzug der City - Frei will i g e n von L o n d o n in die Metropole hat heute noch nicht stattfinden können, weil der Dampfer „Aurania" wegen de: schweren Stürme überfällig geworden und nicht, wie erwartet, gestern Abend oder in der letzten Nacht in Southampton einge- troffen ist. Dies bedeutet eine ungeheure Enttäuschung für die Bevölkerung Londons und für die Zehntausende, welche aus allen Gegenden Englands gestern und heute in der Hauptstadt zusammengeströmt sind. Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, so kann man sich nur schwer einen Begriff von den riesigen Vorbereitungen machen, welche London getroffen hat, um das 1MO Mann starke City-Regiment willkommen zu heißen, und dieser kleinen Schaar von Bürgersoldaten zu zeigen und zu beweisen, welchen Dank ihnen die Hcimath dafür zu schulden glaubt, daß sie freiwillig die Strapazen des Feldzuges in Südafrika auf sich genommen haben, um für Englands Flagge zu fechten. — Seit gestern Nachmittag durchwogen riesige Menschenmafsen die Straßen, durch welche die Volunteers von der Paddington-Station nach der Guild-Hall in der City marschiren sollen, und die Dccora- tionen der Häuser und der Straßenzuge übertreffen beinahe diejenigen, welche seiner Zeit für die Jubiläums-Procession der asten Königin Victoria in Scene gesetzt wurden. Ganz besonders in den Straßen der eigentlichen City ist ein wahrer Wald von Masten und Flaggen jeder Art aufgeführt worden, und die Ausschmückungen ver öffentlichen und privaten Gebäude sind — wenigstens was Quantität anbetrifft — von einer stupenden Großartigkeit, zumal, wenn man bedenkt, daß nur eine kurze Spanne Zeit zur Verfügung stand und der unaufhörlich tobende Sturm die Arbeiten außerordentlich erschwerte. Eine auffallende Erscheinung ist es, daß dieses Mal unter den ungezählten Flaggen und Wimpeln neben den immer stark ver tretenen amerikanischen Fahnen auch diedeutschenFarben ganz besonders zahlreich angebracht worden sind; so flattert zum Beispiel gleich am Eingänge der eigentlichen City, an der be rühmten TempelBar als erste große Mittelfahne hinter dem „Willkommen"-Schilde Uber der Mitte der Straße eine riesige deutsche Kaiser standarte, flankirt von kleineren schwarz-weiß-rothen und englischen Fähnchen und Wimpeln. 94. Jahrgang. Hierbei muß erwähnt werden, daß ein derartiges Arrangement nicht etwa von Privatleuten getroffen worden ist, sondern daß die sämmtlichen Dekorationen in Fleet-Street und im Strand von den Behörden der City einheitlich her gestellt wurden. Also auch «in Zeichen der Zeit. — Bis vor Kurzem hätte man hier den deutschen Fahnen kaum ein Plätzchen gegönnt, und sicherlich nicht «inen derartigen Ehrenplatz. Seit gestern Abend haben Tausende, die entschlossen waren, um jeden Preis von einem günstigen Platze aus den Einzug der Freiwilligen zu beobachten, die Straßen besetzt gehalten und sich mit Proviant, Sitzgelegenheit u. s. w. versehen, um die ganze Nacht, trotz bitterer Kälte, Sturm und Regen, auf dem er oberten Puncte auszuhalten und — heute Mittag den Soldaten zujubeln zu können. Die grausame Enttäuschung dieser bedauernswerthen Patrioten, die für ihre unglaubliche Ausdauer jetzt nur Hohn und Spott ernten, ist leicht verständlich, und Tausende von ihnen weigerten sich stundenlang, an die Hiobspost zu glauben und ihre Position aufzugeben, bi» schließlich die Publi kationen des Kriegsamtes und des Lord-Mayors jedem Zweifel ein Ende machten. Der feierliche Einzug soll nunmehr erst am Montag stattfinden, wie das Kriegsamt verkünden läßt, unv bis dahin werden die Straßendecorationen wohl schwer vom Unwetter gelitten haben. — Ganz London war natürlich heute Morgen auf den Beinen, ca. 30 000 Mann Militär sollten Spalier bilden, und einige Hundert Extra-Constabler waren eingeschworen worden, um die Polizei in ihrer ungeheuren Arbeit zu unterstützen. Es spricht für die Vortrefflichkeit der ge troffenen Maßregeln und die Gutmüthigkeit der riesenhaften Menschenmassen, daß, abgesehen von den üblichen kleinen Un glücksfällen und Schlägereien, bis jetzt keine ernsthaften Ruhe störungen vorgekommen sind. Die aufgestaute Begeisterung wird sich am Montag um so energischer und toller Luft machen. Reue englische Schlappe. * London, 39. October. (Telegramm.) „Daily Mail" berichtet unter dem 87. October au» Tapstadt: Die Lap- polizei-Truppe hatte am 24. October ia der Nähe von Hoopstad (Oranjesretstaat, westlich von Kronstad) mit zw« BorrencommandoS ein ernste» Gefecht. Die britisch« Truppe hatte zwei Schnellseuer-Maximgeschütze. Tie Boeren mtter Dutoit, Viljoen, Potgieter und Devillicr» griffen zweimal in einer Stärke von zehn zu ein» an,umzingelten die britischeTkappe, indem sie ihr allmählich große Verluste beibrachte, und rich teten ihr Feuer hauptsächlich auf die Maximg «schütze, di» aufgegeben wurden. Die Polizritruppe wurde kurz vor dem Eintritte der Dunkelheit durch Peomanry verstärkt. Di« Eng länder hatten 7 Todt« und 11 Verwundet», 15 wurden ge fangen. — Tie Boeren haben 15000 Mann im Feld« von denen beinahe die Hälfte in derOraujeriver-Colonir steht- Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. October. Daß auf die am Sonnabend Abend bekannt gewordene Behauptung der „Leipz. VolkSztg.", der vielbesprochene Burck'fche Brief stamme wirklich vom 3. August 1894, noch von keiner Seite irgend eine Erklärung erfolgt ist, ist hoffent lich lediglich darauf zurückzuführea, daß gestern Sonntag war. Wahrscheinlich ist die Behauptung falsch, denn da im Jahre 1898 kein Mensch von einem Gesetze „zum Schutze Les gewerblichen Arbeitsverhältnisses" sprach, sondern nur von einem Gesetze „zum Schutze der Arbeitswilligen", so ist Feuilleton. Der Lundschuh. Roman von Woldemar Urban. NaLkruck verböte«. „Wir sind verrathen", heulte es durch die Gassen, „die Bauern sind in der Stadt und morden unS Alle. Hilfe'. Hilfe'. Schließt die Thore! Damit war es ja natürlich vorbei. Bartel sah im zuckenden und lohenden Feuerschein selbst, wie sich dichte Massen gröhlen- der und johlender Leute durch das Thor in die Stadt wälzten, sich nach Raub und Beute suchend, in die Häuser vertheilten, und immer neue Massen nachdrängten, al» ob man fürchte, zu spät zu kommen und nichts mehr zu finden. Daß man dabei mit aller Rücksichtslosigkeit und Rohheit jener Zeit verfuhr, lag in der Natur der Sache. Und die Bürger erwarteten auch gar nichts Anderes. Heulend und schreiend liefen sie beim Heran nahen des Sturmes mit Weib und Kind davon, Alles hinter sich im Stiche lassend. Bald sah auch Bartel, dem vor Schreck die Glieder zu ver sagen drohten, daß es da» Augustinerkloster war, was brannte. Das schöne reiche Kloster mit der kostbaren Bibliothek, in der seit Jahrhunderten die literarischen Schätze in zahllosen kostbaren und unersetzlichen Manuskripten und Büchern aufgesammelt waren, schien ein Raub der Flammen und eine Gefahr für die ganze Stadt werden zu sollen. Wenn sich daS Feuer auSbreitete, wo war da unter den kleinen dürren Holzhäuschen mit ihren leicht brennbaren Schindeldächern ein Halt? Und Niemand schien sich der Löscharbeiten unterziehen zu wollen. Alles rannte theilS in leidenschaftlicher, wilder Gier, nach Beute, theil» ln hilfloser Angst nur darauf bedacht, das nackte Leben zu retten, hin und her, kopflos und besinnungslos. Selbst die Mönche beschworen die Menge vergebens, daS Kloster zu retten und zu schonen. Gerade am Kloster schien der Wirrwarr am allergrößten zu sein. Wie der Sturm griff der Tumult um sich. Immer weiter dränoten die zügellosen Horden in die Stadt. Bartel stand im Dunkel der Pfarrkirche und beobachtete von da aus — kaum minutenlang — das Treiben. Dann rannte er, was ihn die Füße tragen konnten, zurück nach dem Schlosse, um seinem Hetrn Bericht zu erstatten. Al» er die Rampe wieder emporstieg und wieder einen Ueberblick über die ganze Stadt gewann, hörte er, wie auch am Melckenthor, also am entgegen gesetzten Ende, der Tumult hervorbrach. .Arm« Stadt", murmelte er leise für sich, „wa» steht Dir für eine garstige Nacht bevor, und was wird noch von Dir übrig sein, wenn Dich morgen früh die Sonne wieder bescheint." Auf der Schloßrampe war es schon lebendig, als Bartel dahin zurllckkam, und während er noch nach Herrn Ulrich im Schloß suchte, sammelten sich dort immer meyr Leute, besonders viele Rathsherren aus der Stadt, händeringend und mit ver zweifelten Mienen, und Wolf von Berkheim, der von den Rittern zuerst auf der Rampe erschien, rief ihnen zornig zu: „Hättet Ihr vorher besser nach Euren Thoren gesehen, wie rechte Männer, so braucht Ihr jetzt nicht zu flennen wie die Kinder." „Gegen Berrath ist Niemand gefeit, Herr Ritter", entgegnete ihm Richbert, „der Berrath aber kommt von Eurer Seite." Wolf von Berkheim brauste auf. Er wußte ja noch nicht, WaS geschehen war. „Der Junker von Hohnack ist's, der die Thore dem Feinde geöffnet", fuhr Herr Richbert fort, „und mit den Dauern ein Bündniß geschloffen hat. Nun ist er schon längst mit seinen Spießgesellen auf und davon." Beinah« wäre der Berrath noch in letzter Stunve vereitelt worden, weil einige Leute von der Stadtmiliz am Jungfern» thor dem Junker von Hohnack, als er den Bauern das Thor öffnen ließ, gegenübergetreten waren. Sie waren aber zu schwach gewesen und wurden von dem Junker und seinen Leuten zusammmgehauen, worauf diese dann in aller Eile die Stadt durch das Jungfernthor verlassen hatten und die Bauern herein gestürmt waren. AIS Ulrich von Rappoltstein gleich darauf die Rampe be trat, war er schon über die Ereignisse durch Bartel unterrichtet. Hastig flog sein Blick über die Stadt, um zu sehen, welche Aus dehnung der Aufruhr schon genommen habe. Die Rathsherren umdrängten ihn und bestürmten ihn um Hilfe und Rettung der Stadt. Wa» konnte er nun noch mit einer Hand voll Leute thun? Kaum zehn gegen ihrer tausend? Er hatte sich um der Ruh« der Stadt willen so weit erniedrigt, mit den Bauern zu unterhandeln. Und auch jetzt war er entschlossen, das über seine Stadt hereingebrochene Unglück zu mildern, so weit das in seiner Macht war. Aber wie da» zu geschehen habe, war ihm wohl selbst jetzt noch nicht klar. „Die Pferde", befahl er mit schallender Stimme, und wenige Minuten später ritten etwa zwanzig oder einige zwanzig Leute, gut bewaffnet und sich stramm in geschloffener Reihe haltend, mit ihm hinunter in die Stadt. Die Rathsherren kamen hinter drein. Es mochten im Ganzen etwa fünfzig Personen sein, die eine Stadt, deren man selbst nicht sicher war, gegen eine In vasion von mehreren Lausend Raubgesindel schützen wollten. Gleich hinter dem Metzgerthore, das sie in guter Verwahrung hinter sich ließen, stießen sie mit den Bauern zusammen, aber es war lauter feiges Volk, die wohl plündern und stehlen, sich aber nicht vor einer fest geschlossenen Reihe gut bewaffneter und ge harnischter Männer stellen wollten. Das waren auch keine Bauern, die um ihre unterdrückten Rechte fochten, sondern ver lumptes Landstraßengesindel, Gauner- und Diebespack, die nur Plünderns wegen da waren. Wie eine Heerde Schafe trieb sie Ulrich von Rappoltstein und seine Begleiter zu Hunderten vor sich her, ohne daß sie ernstlichen Widerstand gefunden hätten. So gelangte man ziemlich rasch bi» zum Augustinerkloster. Hier wurde es indessen schon anders und Ulrich sah rasch, daß sich hier nicht nur die fremden Eindringlinge, sondern auch Ein heimische darüber hergemacht hatten, das Kloster auszuräumen, zu zerstören und zu zerschlagen, was nicht niet- und nagelfest war, und wegzuschleppen, was ihnen zum Wegschleppen gut schien. Ulrich erkannte mehrere von ihnen, die sich schon am Vormittag als die Hauptschreier erwiesen hatten, bei dem flackern den Geleucht des brennenden Hauses wieder, so daß Läpplin, der betroffen wurde, als er das Altargeräth bei Seite schaffte, der Schinder Schott, der die Zinsbllcher des Klosters ln die Flammen warf, und Andere, die noch tollere Allotria trieben und die Fremden erst anwiesen, wie sie den vorhandenen Dor- räthen am besten beikommen könnten. Es war Alles, was man erwischen konnte, heraus auf den Platz geschafft worden, Ge treide, Mehl, Fleisch, Wein, Heiligenbilder, Fahnen, die bei den Processionen benutzt worden waren, und die man jetzt zerschnitt, um sich „Hosenbändel" daraus zu machen, ein wüster, und angesichts der geschändeten Heiligthllmer grauenhafter Unfug. Es kam natürlich vor Allem darauf an, das Kloster selbst zu retten und die Feuersbrunst zu dämpfen. Man konnte ja doch nicht jedem Einzelnen nachlaufen und so verhindern, daß hier und dort etwas fortgeschleppt wurde und im Dunkel der Nacht verschwand. So drängten sich die Ritter noch immer in ».ompacter Reihe an das Gebäude heran, um e» abzusperren. Alle mußten mit Hand anlegen, hier und da hielt wohl auch noch Jemand, dem es um Ordnung zu thun war, zu ihnen, auch die Klosterbrüder fanden sich wieder ein und betheiligten sich an den Löscharbeiten. Aber so lange man hier war, war man nicht wo anders, und die ganze Stadt war jetzt in Aufruhr. Don der niederen Stadt kam man heraufgelaufen und schrie um Hilfe. Dort war die Plünderung unter dem Vorwande, die Judenhäuser zu er brechen und deren Besitzer zu strafen, in vollem Gange. Ulrich von Rappoltstein hätte in jener Nacht hundert Arme haben unv an hundert Stillen zugleich sein mögen, um nur »inen Theil der Scheußlichkeiten zu verhindern, die der losgelaffene Auswurf des Volkes in der armen Stadt beging. Üeberall schreiende Kinder und heulende Frauen, in den Straßen lagen Verwundete, Betrunkene, Todte — Alles durcheinander, mit Bündeln und allerlei Geräth bepackte Leute eilten durch die finsteren Gaffen, hierhin, dorthin, ohne zu wissen, wohin, theil» um ihre eigenen Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen, theilS um Gestohlenes auf die Seite zu schaffen — ein wahres Strafgericht, das die Leute um ihrer Sünden, um ihrer Uneinigkeit und eigenen Dummheit halber ereilte. Es war fast Mitternacht, als Ulrich mit seinen Leuten auf dem Platze vor dem Rathhause ankam, um sich nach der niedere» Stadt zu begeben. Der Brand im Augustiner-Kloster war der Hauptsache nach gelöscht, als man aber an da» RathhauS ge langte, stand man dort plötzlich einem starken Haufen der Aufrührer gegenüber, die sich, da die Nacht ziemlich frisch war, auf dem Platze hell lodernde Reisigfeuer angezündet und sich überhaupt recht häuslich eingerichtet hatten. In einem großen Kessel wurde gekocht, was man dazu brauchte, ohne Weiteres aus den umliegenden Häusern geholt, Geschirre, Dorräthe, selbst die Häuser und die Einwohner, so weit sie überhaupt noch da waren, in einer Weise behandelt, wie man das bei Leuten er klärlich findet, denen nichts gehört und die sich zu keinerlei Gegen leistung verpflichtet fühlen. Was man nicht selbst brauchte, wurde ruinirt. Offenbar stand man hier vor einer Art Hauptquartier der Bauern, und Ulrich vermuthete, daß deren Hauptleute sich im Rathhause selbst niedergelassen hatten. Di« Fenster d«s Rath hauses waren hell erleuchtet und große dunkle Schatten sah man an ihnen hin und wieder huschen. Es wär« vielleicht möglich gewesen, einen momentanen Dortheil durch einen raschen Ueberfall zu erringen, aber so sehr man auch dazu geneigt schien, konnte sich Ulrich doch nicht zu solchen Gewaltmitteln entschließen. Die Stadt sollte nicht zum Kampfplatze werden, auch wenn der schließliche Erfolg nicht so unsicher gewesen wäre. So ließ er zur Verhandlung blasen und auf dem Platze ent stand eine hastige Aufregung, und neugierige Fragen und Hin- und Herrennen, als man aus dem Dunkel der RathhauSgasse die in Eisen gehüllten Rittergestalten auftauchen sah, dern Zahl und Macht noch im Unsicheren blieb. Diesem Umstande hatte man es wohl auch zu danken, daß man ihnen mit einer respekt vollen Zurückhaltung begegnete und ziemlich rasch den Weg nach dem Rathhause und dieses selbst frei machte. Die Ritter und Rathsherren traten ein, so viele ihrer Platz fanden. Es sah böse aus und manchem der Rath-herren mochte wohl wehmüthig werden, wenn er sah, wa» di» Bauern auZ ihrem
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