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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.08.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010826028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901082602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901082602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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- Tag1901-08-26
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werden können? Müßige Frage, wo jetzt doch Alles zu Ende; aber doch nicht müßig genug, um nicht sein Herz mit neuen Zweifeln zu bestürmen! — So eine Beute der widerstrebendsten Empfindungen und Be trachtungen, erkannte er nur das Eine, daß er, wollte er nicht wahnsinnig werden vor Selbstvorwürfen, nur noch die eine Pflicht habe, der Unglücklichen in den wenigen schmerzfreien Stunden, die ihr überhaupt noch beschieden sein würden, Alles zu Liebe zu thun, was er ihr an den Augen absehen konnte. Und als Gisela schließlich zum völligen Bewußtsein erwachte, und er sich zärtlich über sie neigte, verzog sich das zum Skelett abgemagerte Gesichtchen, aus dem die Augen unheimlich groß hervorleuchteten, zu einem Ausdrucke so voll Vorwurf unv Bitter keit, voll Ingrimm, ja Haß, daß Paul, wie von dem Blicke der Medusa getroffen, zurllckfuhr. WaS half ihm alle zärtlichste Aufmerksamkeit, waS halfen alle Erzählungen der Schwester — der Gisela'- GemllthSzustand nicht verborgen bleiben konnte — von Paul'S aufopfernder Theil- nahme? Ihr Herz war erstarrt, und was an weicheren Re gungen je für ihren Mann vorhanden gewesen, war erstorben in dem Vorwurfe, „schuld an ihrem Unglücke zu sein!" Ihre Ab neigung gegen ihren Gatten ging so weit, daß sie seine bloße An wesenheit wie einen unerträglichen Druck empfand. Diese Em pfindung verbarg sie so wenig auch vor Dritten, daß Paul schließ lich, auf Rath de» Arztes, nur vom Nebenzimmer aus einen flüchtigen Blick )»ach der nur langsam, ganz langsam sich Er holenden werfen konnte. Und dabei war der Kranken noch nicht einmal da- Schlimmste mitgetheilt worden, noch erhielt man sie in der Täuschung, daß es von ihrer Seite nur noch einiger Geduld bedürfe, um wieder ganz hergestellt, und zum Gebrauche ihrer Glieder befähigt zu werden. Ihr Kind war da» Einzige, für da» sie weicherer Stimmung fähig war; da« waren auch die einzigen Momente, wo ein durch die Mutterliebe verschönter Zug da» faltig und eckig geworden» schmale Gesichtchen rührend verschönte. Hieran, an da» Kind, an seine Vermittelung klammerten sich Paul's Gedanken und Hoffnungen auf eine mögliche einstige Ver söhnung; dazu kam, daß er jetzt, wo Gisela's Eifersucht, — oder wie er e» nennen wollte! — nicht mehr trennens und gleichsam abwehrend zwischen ihm und seinem Sohne stand, häufiger Ge legenheit nehmen konnte, sich mit dem kleinen Menschenkind« zu beschäftigen. Das rührend Hilflose de» kleinen Wesen»; da» rein Mensch liche, gerade vielleicht, weil e» für ihn so etwa» ganz Fremde», Neue» war, übte einen solchen Zauber auf ihn au», daß er, wenn er doch einmal au« Gisela'» Räumen verbannt war, den größten Lhrtl seiner freien Zett im Hinderzimmrr zubrachte. Und wie erfinderisch zeigte sich Paul, trotz seines Mangels an Erfahrung, im Angeben immer neuer Spiele und Ueber- raschungen, mit welchen er das Herz des Kindes, seines Kindes, zu gewinnen versuchte! Als erst der kleine Bursche, der nur an weibliche Umgebung gewöhnt, den Anblick deS Vaters ertragen, dann mit freundlichem Lächeln, und schließlich — wenn er im Helm und im vollen Waffenschmucke erschien — mit Hellem Jauchzen ihn zu begrüßen lernte, dann zog auch durch Paul's Gemiith ein so warmes, herzerquickendes Empfinden, daß auch er wieder in der Nacht seines Unglücks an ein fernes, fernes Licht, an eine bessere Zukunft zu hoffen wagte. So vergingen die nächsten Wochen. Da Frau Zschirnhaus nicht zu lange fern von Mann und Kindern bleiben konnte, galt es daher, für Gisela eine geeignete Persönlichkeit zu finden, oie, neben der Pflege, auch im Stande war, der Kranken in geistiger Beziehung eine Stütze und Unter haltung »u sein. Pauls Schwestern hätten für kurze Zeit wohl abkommen können, nicht aber für die Dauer, da Elisabeth, die sich im Ver laufe des vergangenen Herbstes mit Sodhen verlobt hatte, in Bälde ihre Hochzeit feiern sollte, während Marianne, wegen des leidenden Zustandes der Mutter, unentbehrlich im elterlichen Hause war. Außerdem hätte Paul — soweit sein Wille hier Überhaupt in Frage stand — gerade seine nächsten Angehörigen um keinen Preis Zeugen seines zerrütteten Familienglückes wer den lassen mögen. Es war genug, daß die Seinen von dem äußeren Unglucksfalle erfuhren und mit ihm litten; sollte er ihnen auch den noch viel herberen Kummer bereiten, daß und wie er sich in seiner Wahl geirrt? So überließ er denn seiner Schwägerin, an der er in den Prüfungstagen einen rechten Trost gehabt, eine Persönlichkeit auszusuchen; durfte er auf diese Weise noch am ehesten hoffen, daß die getroffene Wahl auch von Gisela gutgeheißen werden würde. Trotzdem Paul's ganzes Sein durch das häusliche Un glück in Anspruch genommen war, daß ihm für die Außenwelt kaum noch ern Schatten von Interesse blieb, durchzuckte es ihn doch eigenthümlich, al» ihm Frau Zschirnhaus bald noch ihrer Rückkehr nach Berlikt schrieb, daß eS ihr gelungen sei, einen allem Anscheine nach glücklichen Griff zu thun. Ein junges Mädchen auS den besten Kreisen, die längere Zeit in ähnlicher Stellung gewesen und jetzt durch den Tod der betreffenden Dame frei ge worden sei, habe sich bereit erklärt, die Stelle bei Gisela sofort an zutreten. Der Name der neuen Hausgenossin war Hedwig Docking. „Nun, dann ist ja der Roman fertig", sagte er sich in bitterer Selbstironie, „und e» bedarf nur einer Feder und einiger Phan tasie, um die brthriligten Figuren durcheinander zu schütteln." Sollte er seinem ersten Gedanken folgen und der Schwägerin ab schreiben? Aber aus welchen Gründen? Die er doch ausführlich darlegen mußte, zumal Frau Zschirnhaus so entzückt von der neuen Errungenschaft schrieb! War er seiner selbst so wenig sicher? Mein Gott, er war an Leib und Seele ein gebrochener Mann, und für sich glaubte er einstehen zu können. Außerdem mußte Fräulein Vocking wissen — was bei der Seltenheit seines Namens und ihrer Bekanntschaft mit den Seinen auch nur zu Natürlich war —, daß er mit ihrem einstigen Reisebegleiter identisch, und wenn sie keinen Scrupel hatte, in sein Haus zu kommen, warum sollte er etwas darin finden? Was gab ihm außerdem das Recht, dem jungen Mädchen die sichere Stelle zu nehmen und sie viel leicht wieder ins Ungewisse hinauszustoßen? Liebte er sie denn? Er lachte bitter bei dem Gedanken auf. Wohl hatte er in den Stunden, in welchen er, verletzt durch Gisela's Unfreundlichkeit, gekränkt durch ihren Eigensinn, sich in sich selbst zurückgezogen, sich zuweilen ein Bild gemacht von dem, wie es sein könnte. Dann war wohl in unbestimmten Umrissen eine Erscheinung vor seinem Geiste aufgetaucht, welche im All gemeinen Hedwig's Züge trug, aber wie er männlich und ent schlossen seiner Pflicht eingedenk diesen Gedanken überhaupt schon im Entstehen zu unterdrücken gesucht, so hatte auch diese Fata Morgana keine feste Gestalt angenommen. Und jetzt gar unter dem Drucke seiner seelischen Qualen; inmitten seines Unglückes das gebrochene sieche junge Weib tagtäglich vor Augen, sollte er Raum in seiner Seele für etwas Anderes finden, als des innigsten Mitleids mit der Aermsten, deren Unglück er, wenn auch nicht verschuldet, so doch mittelbar veranlaßt hatte? So hielt denn Fräulein Vocking ihren Einzug in das Stein« bergk'sche Haus, wurde von Paul wie eine alte Bekannte in wrh- mllthig-ernster Weise begrüßt und im Allgemeinen auf die ihrer wartenden Pflichten vorbereitet und fand — wider Erwarten! — Gnade vor Gisela's Augen, obwohl derselben die Beziehungen der neuen Hausgcnossin zu den Schwiegereltern nicht vorenthanen worden waren. Nur über ihr Zusammentreffen auf der Reise schwieg Paul, um nicht unnöthig Gisela's Argwohn zu erregen. Mit Hedwig's Ankunft war die Krankenschwester «ntlassen worden, so daß die Neuangekommene, besonder- in der ersten Zeit, vollauf zu thun hatte, sich in ihren Pflichtenkreis einzu arbeiten. Trotz der unablässigen Pflege, deren Gisela bedurfte, unk der sich Hedwig mit Hingehendstem Eifer widmete, brachte sie e» noch daneben fertig, in ihrer geräuschlosen Thätigkeit dem ganzen Hauthalt einen Hauch de» Behagens einzuflößen, der besonder» von Paul doppelt angenehm und dankbar empfunden wurde. Ohne daß je ihre Person in den Vordergrund trat, machte sich r r c üe en e n d 6 6 S ir s ie cr lr i. r>. ! in > in an» it ht da« terr en. er» Se en, till. Her stah !nh. !eu. beri die ist el e, n« er er ht on u. — rtram kichter I« unk irma «bin Inh. touis W delS- Die lastet Wei»« » der et» in aupt- ndacki ' H'h firma » Ge- - An tuliu» en a» 'N, m- drn. rma haft das c G. »ung tz M nnitz auf- mnh igen » Kit Der Herr eben. der Titz irmq Bezugs-Preis ß« k« Hanptexpeditiou oder den I» Stadt- veftrk uud den Vororte» errichtete» LV»- aabestelleu abgeholt: »terteljährltch 4K0, vei aweimaligrr täglicher Zustellung in« Hau« ü.bO. Durch die Post bezogt« für Deutschland u. Oesterreich: vterteljShrl. S. Ma« abonntrt ferner mit entsprechendem Postaufschlag b«t den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem- Kura, Dänemark, Schweden und Norwegen, Russland, den Dynaustaaten, der Europäischen Türket, Egypten. Für alle übrigen Staaten tst der Bezug nur unter Kreuzband durch di» Expedition diese« Blatte» möglich. Die Moraeu-Ausaab« erscheint nm VF vbr, di« Lbend-AuSgaie Wochentag» um k ügr. Redaktion und Lrprditioa: Jo-annUgaffe 8. Filiale«: Aksted Sahn norm. O. Klemm'» Sortim. Umversitätsstrasse S (Paultnum), Loui» Lösche, Kathartnenstr. 14, parr. ued KtMigt-PlaU f Abend-AusgaVe. MpMLr.TaMaü Anzeiger. Amtsblatt des Äönigtichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes «nd Nolizei-Änrtes -er Ltadt Leipzig. Montag den 26. August 1901. Anzeige«-Preis die 6 gespaltene Petitzeile SS N-elama» uni« demRedacttmftstrich (4 gespalten) 7b vor den Familteuuach- richten (v gespalten) SO H. Dabellarischer und Ztffernsatz «tsprechentz Häher. — Gebühren für Nachweisungen »ad Osfrrtrnaunahnw SS H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesärderung SO.—, mit Postbesärderung ^l 70.—» Innahmeschluß fir Ä«zeize«: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je »in« halbe Stund, früher. Anzeigen sind stet» an di« Expedttto» zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geäffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz t» Leipzig. SS. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Von einem Boerenkämpfer, dem aus Frankenberg stammenden Bruno Holland, der sich augenblicklich in eng lischer Kriegsgefangenschaft in Ahmednagar in Ostindien befindet, ist an seine Angehörigen ein Brief ein gegangen, aus welchem folgendes auch für weitere Kreis« recht Interessante mitgetheilt sei: Wir sind hier (in Ahmednagar) gegen IOOO Menschen, Männer und Jungens, Alles zusammen, zu je 50 in einem langen Haus, welches der großen Wärme wegen zu beiden Seiten offen ist. Die Zeit wird uns fürchterlich lang, denn Arbeit giebt es nicht und unsere Bewegung ist auch sehr beschränkt. Manche traurige Scene geht hier vor sich, über die ich aber nicht berichten kann, und viel Trauriges wird uns noch bevorstehen. Um Zer streuung zu haben und di« Leiden meiner Gefährten etwas mildern zu helfen, bin ich schon seit einiger Zeit dem Rothen Kreuz beigetreten und dadurch die meiste Zeit über im Hospital thätig. Da giebt es viel zu thun, aber die armen Boeren sind dankbar für die kleinste Hilfeleistung. Die englischen Aerzte thun ihr Bestes für uns, aber auf der anderen Seite ist Manches zu wünschen. Die außerordentliche Hitze, welche wir hier im An fänge hatten, 40 bis 50 Grad im Schatten, ist einer ange nehmeren Witterung gewichen. Jetzt ist hier in Ostindien die Regenzeit, in welcher der sogenannte Monsdon-Wind weht. Man erzählt uns, daß es außerhalb unserer Festungsmauern schön grün ist, daß es hohes Gras und blühende Bäume giebt, aber wir wissen es nur vom Hörensagen, denn außer einigen Bäumchen im Festungshof sehen wir weiter nichts, als hohe Mauern um uns und den blauen Himmel. Diese alte Festung, welche vor Hunderten von Jahren von indischen Fürsten erbaut worden ist, beherbergt Schwärme von großen Raben und silbergrauen Eich hörnchen, welche für uns eine Plage sind. Die Raben sind hier ebenso moralisch verkommene Vögel, wie in Deutschland, sie stehlen eben wie die Raben und haben uns schon manches Stück Fleisch vom Feuer oder gar aus der Hand geholt. Ihre Manier im Stehlen ist sehr einfach, aber ebenso sicher. Wenn man etwas Fleisch oder sonstiges Essen, mit Ausnahme von Suppe, auf dem Teller vor sich hat, da kommen sie mit einem Schuß von hinten über unsere Achseln geflogen, und ehe man zur Besinnung kommt, da steht man vor leerem Teller oder leerer Schüssel. DaS Fleisch erfassen sie mit nie irrender Sicherheit im Fluge, und wir armen Kerle haben dann bei hungerndem Magen das Nachsehen, denn Ersatz giebt es nicht. Die Eichhörnchen auf der anderen Seite zernagen einem über Nacht selbst Schuhe und Strümpfe. Mit mir sind noch gegen 20 Deutsche gefangen; die größer« An zahl gefangener Deutschen ist aber auf der Insel St. Helena und Ceylon. Ein holländischer Pastor ist auch mit uns gefangen und hält nun regelrecht Gottesdienst unter freiem Himmel. Wir Gefangenen haben uns selbst Gesetze gegeben, welche unabhängig von unseren Gefangenwärtern sind. Die Ausführung und Be wachung de: Gesetze und der allgemeinen Ordnung haben wir durch eigene Wahl einem Commandant, einem Richter und 18 Hauscapitänen übertragen. Die Capitäne sind dem Richter (welcher, nebenbei gesagt, ein Deutscher ist) als Geschworene bei gegeben und haben eventuell das Recht, selbst Gefängnißstrafen zu verhängen. Di« Gefangenen sind sehr ruhige Leut« und geben ihren Wächtern absolut keinen Anstoß. Zwischen uns und unseren Wächtern besteht das freundlichste Verhältniß. Wir stehen einander nicht als Feinde gegenüber, sondern mehr als Leidensgenosten, denn die englischen Soldaten haben auch Grund genug, nicht allzufrieden zu sein. Von schwerer Krankheit mit tödtlichem Ausgang sind wir bisher verschont geblieben. Ich habe unter vielen anderen Kranken einen 17jährigen Jungen, Ker schwer am Typhus darniederliegt, unter Pflege, er ist «ine Waise — Vater, Mutt«r und Geschwister erschossen im Kriege. Geld oder Unterstützung haben wir schon seit Jahr und Tag nicht er halten. Wie lange wir noch gefangen gehalten werden, wissen wir nicht; eS kann noch viele Monat« sein, ja auch in die Jahre gehen. * Lapftadt, 24. August. („Reuter'» Bureau.") In Burghersdorp wurden 149 Personen wegen Ver- rathS vor Gericht gestellt. Der Mehrheit der Angeklagten wurde das Bürgerrecht entzogen. * London, 26. August. (Telegramm.) Lord Kit- chener telegraphirt aus Pretoria unter dem 24. August: Delarey hat eine Gegen Proklamation veröffentlicht, in der er alle Boeren vor meiner letzten Proclamation warnt und erklärt, er werde den Kampf fortsetzen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. August. Wie der „Berliner Loc.-Anz." berichtet, ist der frühere preußische Finanzminister Viccpräsident de» Staatsministeriums vr. v. Miquel von einem Mitarbeiter dieses Blattes inter viewt worden und hat sich dabei besonders eingehend über die ReichSfinanzreform geäußert. Ueber diese Äeußerungen berichtet der Interviewer wörtlich: „Die Nothwendlgkeit der ReichSfinanzreform ist unbestreit bar, denn die Matrtcularbriträge sind von Anfang an nur al» rin Provisorium gedacht worden, da» auShelfen sollte, di es gelungen sein würde, da» Reich finanziell auf eigene Füsse zu stellen; die auf sie bezüglichen Paragraphen der Verfassung sind bei deren Berathung erst durch mich hineingebracht worden. Die ganze Einrichtung ist übrigen» eine einzig dastehende Monstrosität. Allerdings sind die Einzelstaatrn durch die Errichtung des Reiches in vieler Hinsicht erleichtert worden; wir haben ein gemeinsame» Heer, eine gemeinsame Flotte, auf vielen Gebieten eine gemeinsame Verwaltung. Trotzdem ist e» monströs, dass die Einzelstaatrn einen grossen Theil deS Geldes ausbringen, das für das Bestehen deS Reiche- nothwendig ist. Man denke einmal an die Schweiz oder gar an die Ver einigten Staaten — waS würden die Cantone, waS wohl die Nord- wie die Südstaaten sagen, wenn man ihnen zumuthen wollte, sie sollten bezahlen, damit der Bund und die Uuiteä States überhaupt bestehen können! Freilich sind die Ausgabebedürfnisse de- Reiches viel mehr gestiegen, als ursprünglich angenommen werden konnte. Dadurch wurde aber die Nothwendlgkeit nicht be- seitigt, das Reich finanziell selbstständig zu machen. Aber für eine derartige Reform fehlt im Reichstage bei manchen Parteien sowohl das Verständniss wie der gute Wille. Wir haben starke Parteien tm Reichstage, deren Mitglieder eS durch Bewilligungen irgendwelcher Ausgaben um keinen Preis mit ihren Wählern verderben wollen. Das parteipolitische Interesse erstickt das starke N a ti o n al g ef üh l, wie wir es bei allen benachbarten Nationen tagauS taget» beobachten können, schon im Keim. Im Anfang der siebziger Jahre hoffte sogar Fürst Bismarck, daß in dieser Hinsicht durch die grossen Errungenschaften von 1870/71 endlich eine Wandlung im deutschen VolkScharakter sich vollzogen habe; er hat aber zu seinem Schmerze bald genug rinsehen müssen, dass ihn diese Hoffnung getäuscht hatte. An dem Mangel de- Nationalgefühls, das alle kleinen Bedenklich keiten hintansetzt, wenn es sich um die Erreichung hoher Ziele und um die Erfüllung großer Ausgaben handelt, ist Las erste deutsche Reich zu Grunde gegangen; an ihm würde auch das zweite zu Grunde gehen, wenn der deutsche Kaiser heute nicht eine so große HauS- macht hätte, daß er bei den wichtigsten Entscheidungen doch den Ausschlag geben kann. Das neue deutsche Reich hat seine zuver- lässigsten Stützen iu den deutschen Fürsten. Dieser Mangel an Nationalgesühl ist leider ein unheilbares Uebel. Man theile z. B. Preussen heute in zwölf Königreiche — in wenigen Jahren werden sich diese alle untereinander befehden, und jedes einzelne wird auf Kosten der elf anderen Vortheile für sich zu erringen suche». So ist es auch im Reichstage im Großen, in den Gemeinden im Kleinen. Jeder Bürgermeister soll alle möglichen Erleichterungen, Ver- schönerungrn und Verkehr-Verbesserungen treffen; so lange er das thut, ist er der beste Mann; sobald er aber mit den Kosten kommt, die da- Alles erfordert, dann ist die Herrlichkeit zu Ende und die Nörgelei fängt an. Das deutsche Reich soll in keinem Puncte hinter anderen Mächten zurückbleiben und der Reichstag spendet freigebig Beifall, wenn vom Tische des Bundesrathes derartige Ergebnisse mitgetheilt werden können. Aber wenn es sich um große Be willigungen handelt, dann wendet sich das Blättchen in beschämender Weise. In Deutschland kommen auf den Kops der Bevölkerung b direkte Steuern, in Frankreich 72; trotzdem bewilligt man in Frank reich für Flotte und Küstenbefestigungen 700 Millionen Franc- an einem Vormittage und bestimmt, daß diese Summe nicht etwa durch eine Anleihe, sondern durch directe Steuern aufgebracht werden soll. Und waS England für Riesensummen für den einmal begonnenen Krieg um der nationalen Ehre willen fast ohne ernsten Widerspruch immer wieder von Neuem bewilligt, Las haben wir fortwährend vor Augen. In Deutschland aber wird wegen eiueS Betrage-, der nur etwa halb so groß ist wie der von der französischen Regierung geforderte, erst das ganze Volk in Erregung versetzt, und dann müssen die verbündeten Regierungen schließlich noch mit scheinbaren Einnahmen operiren, um nur nothdürstig ziim Ziele zu kommen. Unter solchen Verhältnissen ist an eine gründliche Reform der ReichSsinanzen nicht zu denken. Was der Reichstag jetzt bei der Berathung des Etats macht, das ist, streng genommen, gar nicht eine Ausübung seines Bewilligungsrechtes, sondern die Ausstellung eines bloßen Rechenexemvels: Das brauchen wir, so viel ist da, der Rest wird in Gestalt von Matricularbeiträgen auf die Schullern der Einzelstaaten vertheilt. Eine ernste Ausübung de- Bewilligungsrechtes im Reichstag müßte danach streben, die eigenen Einnahmen des Reiches mit dessen Bedürf nissen in Einklang zu bringen. Heute aber wird ohne die äußerste Noth keiue neue Einnahmequelle für das Reich erschlossen. Die Hauptfürsorge für das Reich wird den Einzelstaaten überlassen, dadurch aber statt der Reichsfreudigkeit die Reichsverdrossen, hrit gefördert." Hat Herr v. Miquel, wie anzunehmen ist, das wirklich gesaat, so bat er das Bedürfniß empfunden, sich selbst wegen der Untbätigkeit zu entschuldigen, mit der «r in den letzten Jahren seiner Amtsführung der Frage der Durchführung einer ReichSfinanzreform gegenüberzestanden hat. Man muß eS ihm nachrühmen, daß er sich früher redlich bemüht hat, die „Monstrosität" zu beseitigen, daß die deutschen Einzelstaatrn einen großen Theil des Geldes aufbringen, das für das Be- stehen des Reiches nothwendig ist. Man muß ihm auch darin beipflickten, daß seine damaligen Bemühungen an dem Mangel an gutem Willen der ausschlaggebenden Parteien gescheitert sind, die es um keinen Preis mit ihren Wählern durch die Erschließung neuer Einnahmequellen des Reiches verderben wollten. Das aber entschuldigt die Gleichgiltigkeit nicht, mit der die Reichsregierung nach dem Scheitern jenes Versuchs der Fortdauer eines monströsen Zustande- zu gesehen hat. Besonders das Cent rum ist es gewesen, das sich vor der Bewilligung der Mittel scheute, die zur Be festigung der Monstrosität unbedingt nöthig sind. Was aber ist geschehen, um den Wählern des CentrumS die Nothwendig- keit dieser Beseitigung klar zu machen? Gar nichts! Und an Gelegenheit dazu hat eS wahrlich nicht gefehlt. Als das letzte Flotten gesetz vorgelegt wurde und Stimmen sich erhoben, die die Nothwendigkeit der Erschließung neuer Einnahmequellen und zugleich die Dring lichkeit einer Reichsfinanzreform betonten, da war es der Reichsfinanzminister, der jene Nothwendigkeit bestritt. Herr v. Miquel, der mit seinem Scharfblicke wohl hätte vorauS- sehen können, daß die Flotlcnverstärkung eine Einwirkung auch auf die Matricularbeiträge haben könnte, hat mit keiner Silbe dem Reichsfinanzminister widersprochen und sein Ver halten war eS besouders, waS einen namhaften Theil der Abgeordneten bewog, die Lösung der Frage nach den finanziellen Consequenzen der Flottenverstärkung auf die leichte Achsel zu nehmen. Nur mit Mühe wurden einige kleine Mittel zur Stärkung der Reichscasse durchgesetzt, aber von einer organischen, die Einzelstaaten vor einer Steigerung ihrer Matricularbeiträge sichernden Finanzreform war keine Rede. Man wollte eben vor Allem die Flotten verstärkung durchsetzen und die Vorlage nicht mit finanziellem Ballast beschweren. Man hätschelte zu diesem Zwecke den parteipolitischen Egoismus, der eS mit den Wählern nicht verderben will, und dachte: Kommt Zeit, kommt Rath. Wer so gedacht nnd so gehandelt bat, darf nicht allein den partei politischen Egoismus tadeln, er soll auch an die eigene Brust schlagen. Leider hat es den Anschein, als ob auch der Nach folger desHerrn v.Miquel und als ob selbst der Reichskanzler das Fortbestehen der „einzig dastehenden Monstrosität" lediglich dem Parteiegoismus in die Schuhe schieben wollten und sich doch davor scheuten, die ausschlaggebende Partei deS Reichstags vor ein: schwere Probe ihres Patriotismus zu stellen. Wenn das ist, so wird den Regierungen der übrigen Einzelstaaten nichts Anderes übrig bleiben, als in ihren Landtagen mit dem Finger auf jene Stellen hinzuweisen, die zw r die „Monstrosität" als solche erkennen, aber nicht den Muth finden, ihre Beseitigung energisch anzustreben. Vor übertriebenen Ehrungen der chinesische» Sühnege- sanvtschaft warnt auch die „Köln. Ztg.". Sie erinnert daran, daß der Kaiser von China im September vorigen Jahres der naiven Ansicht war, die Ermordung des deutschen Gesandten v. Ketteler durch die Vornahme von Trankopfern am Altar für den Ermordeten sühnen zu können, und daß es einer ernsten Forderung unseres Kaisers bedurfte, ehe die chinesischen Machthaber sich entschlossen, Strafe für die Schuldigen und Bürgschaft für die Zukunst versprachen. Dann fahrt daS rheinische Blatt fort: „Tas Frirdensprotokoll, das das bisher zur Durchführung Feirrlleton 28j quälte, gerade durch ein Zuviel des Belehren» und Verde Gisela in ihrem Eigensinne bestärkt und zu dem Trotzkop macht zu haben, der ihnen Beiden so daS Leben verbittert s- - - anlassungen zu allen diesen Zwistigkeiten vor! Mein Gott, wa» kg denn daran, ob sie ihren Gästen wirklich einmal ein oder zwei Gerichte mehr gab, oder sie mit Champagner bewirthete, wo Roth und Weißwein es auch gethan hätten? Ob sie einmal ein etwa» prunkende«» Gewand wählte, al» es sonst vielleicht üblich? Um solcher Nichtigkeiten willen stellte man doch nicht da» Leben-glück zweier Menschen aufs Spiel? — Ob e» überhaupt ander» hätte Am Geld. Roman von F. Ilex. Nachdruck verboten. Wie tausendfach hatte er sich mit dem Gedanken gequält, daß er die Schuld trage an all' diesem Elende, daß durch sein Ein greifen das junge Weib, dem ein gütiges Geschick die Anwart schaft auf ein ruhig und sorglos dahinfließendes Leben, auf Glück, verliehen, nun an der ersten Schwelle der Juaenv be stimmt sei, dahinzusiechen, ohne jede Hoffnung auf Besserung und Genesung! Aber trug er denn auch die Schuld? Worin hatte er gefehlt? — Doch eigentlich nur durch zu große Nachgiebigkeit gegen den allzu oft und allzu stürmisch geäußerten Willen der so hart Bestraften! Warum hatte er seine Zustimmung gegeben, die unfertige Rei terin den Zufälligkeiten und Gefahren eines solchen RitteS auS- zusetzen? Doch nur, weil er sich zu schwach fühlte, seine bessere Ein sicht zur Geltung zu bringen; weil er sich fürchtete, einen neuen Auftritt heraufzubrschwören! Also Feigheit, nichts als elende Feigheit l Wenn er von Anfang an den Muth gehabt hätte, seinen Willen gegenüber den — durch die Jugend und mangelhafte Erziehung zu entschuldigenden — Launen seiner Frau energisch durchzu setzen, dann hätte sich der junge Stamm wohl soweit ziehen lassen, um im entscheidenden Momente sich einem ernst gemeinten Ver bote zu fügen, dessen Unterlassen sich so furchtbar an ihm, und vor Allem an der Unglücklichen selbst rächen sollte. Machte sich Paul so einerseits Vorwürfe, nicht energisch genug gewesen zu sein, so gab ei wieder Stunden, wo er sich damit quälte, gerade durch ein Zuviel des Belehren» und Verbesserns Gisela in ihrem Eigensinne bestärkt und zu dem Trotzkop e ge macht zu haben, der ihnen Beiden so das Leben verbittert hatte. Wie erbärmlich und kleinlich kamen ibm jetzt die Ver anlassungen zu allen diesen Zwistigkeiten vor! Mein Gott, wa»
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