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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.08.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010829027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901082902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901082902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-08
- Tag1901-08-29
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August: Der „Daily Telegraph" ist heute in der Lage, eine längere (telegraphisch bererts skizzirte) Ausfragung seines Correspon- dentcn in Hilversum zu veröffentlichen, welche demselben vom Präsidenten Krüger am vergangenen Freitag gewährt wurde und in deren Verlauf Ohm Paul sich mit der ihm eigenen rücksichtslosen Offenheit über die Lage und den Krieg in Südafrika, sowie über die Zukunft der Boerenvölker aus sprach. Wir entnehmen der hochinteressanten Unterredung dlc folgenden Einzelheiten, indem wir natürlich dem englischen Correspondenten die volle Verantwortung für die Genauigkeit seiner Angaben überlassen müssen: „Präsident Krüger sah kräftiger und gesunder aus, als se zuvor seit er in Europa weilt, und er hörte meinen Fragen mit dem größten Interesse zu, indem er dieselben mit weit gehender Detaillirung und mit vollster Emphase beantwortete; gleichzeitig machte er den besten Gebrauch von der ihm eigenen dialektischen Geschicklichkeit und Rhetorik. Das warme, sonnige Wetter scheint dem an südafrikanische Temperatur gewöhnten alten Manne besonders wohl zu thun, und seine eiserne Con stitution, nebst seinem gleichgearteten Willen haben seine Gesundheit vollständig wieder hergestellt. Krüger saß wie gewöhnlich in seinem großen Lehnstuhl in dem bescheiden möblirten Salon und trug den bekannten schwarzen Geyrock, dieses Mal mit der Rosette des Ordens vom Nieder ländischen Löwen im Knopfloch. Seine grauen Haare sind noch immer so dicht, wie sie vielleicht schon vor sechzig Jahren waren, und bevor er sprach, machte er den Eindrruck eines sehr alten und müden Mannes. Sobald er jedoch den Mund aufthat, kam seine massive, energische Natur, seine unbezähmbare geistige Kraft in voller Heftigkeit zum Durchbruch, und der Strom seiner Rede ergoß sich wie die glühende Lava eines Vulcans. Jedes Wort, jede Phrase trug sein ureigenstes Gepräge und er sprach mit der Ueberzeugung eines fanatischen Propheten. Auf meine Frage, wie es mit seiner Gesundheit stände, ant wortete er, daß er sich bedeutend kräftiger und besser fühle und allen Grund habe, seinem Schöpfer dafür dankbar zu sein. Dann brachte ich das Gespräch auf die Pr o c l a m a t i o n d e s Lord Kitchener und fragte, was er gegen dieselbe auf Basis des internationalen Völkerrechts einzuwenden habe. — „Internationales Völkerrecht?" Diese beiden Worte stieß er nut blitzenden Augen und in mächtiger Erregung hervor. „Ich verstehe wenig von den Winkelzügen dieses internationalen Rechtes, aber wenn dasselbe nicht gar zu sehr verschieden von den elementarsten Gesehen der Menschlichkeit ist, so muß es den Versuch, die Leiden und Gefahren unserer für eine ge rechte Sache kämpfenden Männer ins Ungemessene zu ver größern, als ein Verbrechen verurtheilen. Die englische Regie rung hat die beiden Boerenvölker selbst als kriegführende Mächte anerkannt, und jetzt will sie aus eigener Machtvollkommenheit ihnen das Kriegsrecht entziehen, sie nach Belieben als Rebellen behandeln und ihnen die Lust an der weiteren Fortsetzung des Freiheitskämpfer dadurch benehmen, daß sie die Frauen und Kinder unserer Kämpfer leiden läßt und ruinirt. Steht ein solches Verfahren in Uebereinstimmung mit dem Völkerrecht? Wenn dem so wäre, so ist internationale Gesetzlosigkeit nach meiner Ansicht ein gesünderer Zustand, denn an Hand desselben wird wenigstens das Recht eines freien Volkes, sein Vaterland zu Vertheidigen, von Niemandem bestritten." Ich machte dann den Einwurf, die Proclamation hebe ausdrücklich hervor, daß die Kriegslage sich inzwischen so bedeutend geändert habe, daß der eigentliche Feldzug längst vorbei sei und jetzt nur noch kleinere Guerilla-Kämpfe stattfänden, worauf Krüger mit großer Emphase antwortete: „Nichts hat sich geändert, oder doch nur das Verhalten der britischen Regierung. Wir verfolgen heute noch dieselbe Taktik und die gleiche Strategie, wie seit Be ginn des Krieges; früher nannten Sie diese militärische Maß nahmen, und heute gefällt es Ihnen, sie als irreguläre Krieg- führung zu bezeichnen. Wir Vertheidigen unser Land mit allen kriegsrechtlichen Mitteln, und das englische Volk würde im ge gebenen Falle das Gleiche thun." Als ich dann den Versuch machte, von den Motiven unserer Regierung zu sprechen, unterbrach der alte Herr mich mit donnernder Stimme: „Ich will über Motive absolut nicht ur- theilen, das überlasse ich Gott, der die Herzen der Menschen kennt. Ich kann nur wiederholen, daß die Engländer seit der Einnahme von Bloemfontein das internationale Völker recht unaufhörlich mit Füßen getreten haben; sie brennen unsere Farmen nieder, ruiniren unser Land und unsere Familien und behandeln uns wie Verbrecher. Wenn auch die Anzahl unserer noch im Felde stehenden Männer immer mehr zusammenschrumpft, so haben die Engländer doch nicht das Recht, nach ihrer Bequemlichkeit den Krieg jetzt als irregulär zu bezeichnen. Unsere Zahl war niemals derjenigen des Gegners überlegen, aber wenn man nach diesem Princip gehen wollte, so würden viele historische Freiheitskämpfe den Charakter als reguläre Kriege verlieren. Nein, unser Krieg ist so gerechtfertigt und so regulär, als nur jemals ein Feld zug gewesen ist, und Niemand weiß dies besser, als die gegen unsere Commandos im Felde stehenden englischen Streitkräfte." Ich warf dann ein, daß der Präsident doch wohl zugeben müsse, daß die Majorität der Burghers den Frieden wünsche und auch bereits sich bereit zeige, sich der englischen Herrschaft zu unterwerfen, worauf Krüger in heftiger Erregung mit einem grollenden „Nein" antwortete. „Ich kann absolut nichts derartiges zuqestehen, da es ganz und gar nicht den That- sachen entspricht. Die Kitchener'sche Proclamation widerspricht sogar selbst einer solchen Auffassung, denn sie bedroht die Be amten unserer Regierung und die Officiere unserer Armee, was doch gewiß ein Anerkenntniß der regulären Maschinerie unserer Regierung und unserer Streitkräfte repräsentirt. Man weiß in England ganz genau, daß unsere Officiere ihre Mann schaften so gut in der Hand haben, wie unsere Regierung nach wie vor die Boeren regiert und für ihre Wohlfahrt sorgt. Es stehen immer noch genug Boerenkämpfer im Felde, um eine große englische Armee auf unbestimmte Zeit hinaus zu be schäftigen." Ich erbat dann seine Ansicht, welche Wir kung die Kitchener'sche Proclamation überhaupt haben würde, und erhielt die folgende Antwort: „Sie kann nur einen Effect haben: Sie wird die.Burghers noch mehr gegen ihre Feinde erbittern, ihre Kampfes lust auffrischen und ihren Widerstand aufs Neue stärken, falls dies überhaupt nöthig ist. Die englischen Drohungen sind für unsere Männer, die doch jeden Tag ihr Leben in der Hand tragen, vollständig gegenstandslos, und die Aussicht auf lebens längliche Verbannung von Südafrika wird sie zu weiterem Kampfe anspornen, bis das Grab ihre letzte Heimath wird." Dann erklärte mir der Präsident,, daß die Frage eines officiellen Protestes seinerseits an die Großmächte noch eine offene und unter Berathung sei, diese betreffe aber die im Felde stehenden Burghers ganz und gar nicht, da sie genau wüßten, was sie zu thun hätten. Schließlich brachte ich noch die angebliche „große Verschwörung der Boerenstaaten gegen England" aufs Tapet, worauf Krüger die Erklärung abgab, daß die ganze Geschichte eine infame Lüge sei. „Ich erkläre hiermit vor Gott dem Allmächtigen, daß eine größere Lüge nie mals in die Welt gesetzt worden ist, und Lord Salisbury und Mr. Chamberlain sind meine Zeugen hierfür, sie wissen die Wahrheit, aber . . ." Mit den Worten: „Ich bitte den allmächtigen Gott jeden Tag, daß er in seiner Gnade die Augen der britischen Nation öffnen möge, damit sie die Wahrheit sehen", schloß der alte, eiserne Präsident das Interview und entließ mich mit einem Händedruck. * London, 28. August. Entschädigungs-Com mission. In der heutigen Sitzung wurden 128 Ent schädigungsansprüche von Deutschen vorgelegt, darunter diejenige des Or.. P. Christianhen, welcher 31750 Pfund für ideelle Schädigung fordert. Ferner verlangt Schmitt, der Besitzer eines Hotels in Pretoria, 11900 Pfund, darunter 10 000 Pfund für theilweisen Verlust des Augenlichtes. Ein Schankwirth in Johannesburg, Namens Theinert, verlangt 10 000 Pfund für ideelle Schädigung. Der Gesammtbetrag dieser Forderungen beläuft sich auf 177 000 Pfund. Außer dem wurden noch 71 Entschädigungansprüche von früheren Eisenbahn-Angestellten deutscher Abstammung in der Höhe von 69125 Pfund vorgelegt. * London, 28. August. („Reuter's Bureau".) Ein.^ De pesche Lord Kitchener's aus Pretoria vom 25. dieses Monats berichtet: „General Hildyard hat mir eidliche Aus sagen übermittelt, die bestätigen, daß am 6. Juni in Graspan bei Reitz ein Leutnant und zwei Soldaten er schossen worden sind, nachdem sie sich ergeben hatten. Ich habe Abschriften dieser Aussagen an Steijn und Botha geschickt." — Staatssekretär des Krieges Brodrick hat heute an Lord Kit- chene: Folgendes telegraphirt: „Wir vernehmen, daß Sie hin sichtlich des an unseren Verwundeten bei Vlakfontein begangenen Todtschlages keinerlei befriedigende Zusicherung erhalten haben. In Anbetracht der in Ihrer Depesche aufgeführten Thatsachen sind wir der Ansicht, daß Sie durch «in« Proclamation bekannt geben müssen, daß die Mitglieder eines Comman dos, das einen solchen Act der Gewaltthäiigkeit begangen hat, als schuldig angesehen werden, wenn bewiesen wird, daß sie bei Ausführung der That an wesend waren, ob sie nun . wirklich daran theil- genommcn haben oder nicht, und daß der Chef des Com mandos mit dem Tode und die übrigen Mitglieder des Com mandos, je nach dem Grade ihrer Mitschuld, mit dem Tode oder mit einer leichteren Strafe werden bestraft werden." Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. August. Der diesjährige Katholikentag hat sich den Unter titel „Osnabrücker Friebenscongrcß" beizulegeu ge ruht. Zutreffend ist aber auch diesmal keine andere Be zeichnung als die eines Parteitages deS Centrums. Die bezeigte „Friedensliebe" ist so beschaffen, wie zu erwarten war. Man erzeugt Erbitterung mittels bewußt unbegründeter Klagen über Zurücksetzungen im Staat, mau reiht jeden Gegner der römischen Kirche uuter die „höllischen Mächte" ein und deutet an, jeder Nichtkatholik, der es im wirlhschaftlichen Leben zu etwas gebracht, habe vorher „das Zuchthaus mit dem Aermel ge streift". Alles um des Friedens willen! Im Uebrigen: grobe, gröbste Rcclame für vaS Centrum. Am allergröbsten in Bezug auf die Socialpolitik. Ueber die Verdienste der Partei auf diesem Gebiete ließ man Herrn DaSbach reden. „Dieser Name sagt genug zwar schon", aber der wackere Caplan und unerbittliche NiederwerfungS-Concurrent politisch und religiös gleich gesinnter Zeitungsverleger übertraf sich diesmal selbst im Renommiren. Was für die Arbeiter ge schehen ist, hat das Centrum gethan und unter den Parteien daS Centrum allein. Daß bas grandioseste und segens reichste Arbeiterschutzgesetz im wahren Sinne des Wortes» die Invaliden- und Arbeiterversicherung, daS Gros des CentrumS zu Gegnern gehabt, verschwieg Herr Dasbach und seine ihm zujubelnden Hörer vergaßen es ebenfalls oder wollten es infolge der schon gestern von uns gekennzeichneten Bescheidenheit ihrer Anforderungen an die Urtbeilskraft und die Wahrheitsliebe der Redner nicht wissen. 75 Klerikale stimmten im Jahre 1889 — eS ist also noch nicht so lange h'er — gegen bas Gesetz, dafür nur 13. Mit ihnen votirten, wenn auch nur vereinzelt, Nationalliberale und Conservative, dies aber theils im Glauben an die technische Uudurchführbarkeit der Neuerung, theils in der Besorgniß einer unerträglichen Belastung von Landwirthschaft und Industrie. Der Ablehnung durch die Mehrbeit des Centrums lagen dagegen überwiegend principielle, kirchliche Bedenken zu Grunde. Man fand hier in den Zwangsbeiträgen der Arbeitgeber und im ReichSzuschusse einen unzulässigen Ueber- griff auf vaS Gebiet der christlichen Charitas. Schon vor der Schaffung des Kranken- und des Uufallversicherungszesetzes war die echt römische Auffassung, die hinsichtlich der Kranken, Arbeitsunfähigen und Alten in dem Almosen hinnehmenden Bettler das Ideal erblickt, das der Kirchenstaat denn auch in vollkommener, die nordländischen Besucher Roms allerdings abstoßender Weise verwirklicht hatte, lebhaft vertreten worden. Dieser Hinweis ist umsomehr am Platze, als Herr Dasbach in Osnabrück die päpstliche Arbeiterencyklica als ein allum fassendes Evangelium der Arbeiterfürsorge und beinahe so sehr pries, wie er daS Centrum verherrlichte. Als diese Encyklica entstand, waren die drei Versicherungs formen der deutschen Gesetzgebung theilweise längst wirkend, bas Schriftstück ist aber immerhin jetzt zehn Jahre alt. Mit seinem Erfolge ist es jedoch herzlich schwach bestellt. Die rein katholischen Länder bleiben in der Gestaltung der ein schneidendsten Arbeiterfürsorge-Maßnahrnen am weitesten zurück und werden nie zu einem richtigen Versicherungssystem gelangen, wenn sie nicht zufällig einmal entschieden — anti klerikal regiert werden. Frankreich beschäftigt sich jetzt wenigstens mit dem Entwürfe einer Altcrs- unv Invalidenversicherung, aber er rührt von dem nicht für kirchlich bekannten Socialisten im Ministerium her und er wird voraussichtlich und dann wohl nicht ohne Unterstützung der Ultramontanen zu Falle gebracht werden, obwohl er vom Staate gar nichts und von den Arbeitgebern viel weniger verlangt als das deutsche Gesetz. Angesichts deS ursprüng lichen deutsch-klerikalen Widerstandes gegen das Invali- ditätsgesctz und in Anbetracht deS Standes der social politischen Dinge in B elgi e n, S panieo, Por tugal u. s. w. hätte Herr Dasbach die Verherrlichung des päpstlichen Rund schreibens und die Selbstberühmung der Centrumspartei als der Alleinbesitzerin der socialpolitischen Arcana für gewagt halten müssen, wenn er die Bescheidenheit seiner Hörer in den Ansprüchen an ihre Redner nicht so genau gekannt hätte, wie sie ein Mann kennen muß, der ja zu den Erziehern dieser Hörer gehört. Aber wenn man in solcher Eigenschaft auf die — Unweisheit speculirt, so sollte man doch nicht über „Rückständigkeit" der Katholiken Feurlleton- SU Um Geld. Roman von F. Ilex. NaLtniik «erboten. Erschöpft hielt sie einen Augenblick inne, um dann — ehe Paul oder Hedwig, die vor diesem Abgrunde sinnloser Leiden schaft wie betäubt standen, ein Wort der Erwiderung fanden — in steigender Erregung fortzufahren: „Und die Person kommt mir morgen aus dem Hause, und wenn ich hilflos hier verkommen soll! Was liegt auch an mir? Du hast doch nie etwas Anderes, als mein Geld gewollt und Alles, waS Du mir je von Liebe und Treue gesagt, ist nichts als Lug und Trug! Wäre ich nur schon todt! Oder könnte ich fort! Ich ginge diese Nacht noch aus diesem Hause, das mir nichts als Unglück und Unheil gebracht hat. Verflucht sei die Schwelle!" Kreischend waren die letzten Worte hervorgestoßen. Die ganze Leidenschaftlichkeit war in elementarer Weise zum Durch bruch gekommen. In halb unverständlichen, halb gurgelnden, an eine fremde Sprache erinnernden Lauten hatte sie die letzten Verwünschungen durch das Zimmer gegellt. Jetzt brach sie athemlos zusammen, ein Zucken durchfuhr die abgezehrte Gestalt — die Glieder lösten sich wie von einem schweren Krampfe. Eine wohlthätige Ohnmacht hatte dem Wuthausbruch ein Ende gesetzt — wohlthätig nicht allein für die Kranke, sondern auch für die beiden Zeugen des schreckensvollen Auftrittes, die jetzt Beide — vergessend der schweren Beleidigungen und Be schuldigungen, denen sie noch eben ausgesetzt — an das Lager eilten, um zu helfen und zu lindern, soweit dies in der mensch lichen Möglichkeit lag. Wachend verbrachte Hedwig die Nacht am Bette der Kranken, bemüht, ihr jede Erleichterung zu Theil werden zu lassen, wo bei sie ängstlich vermied, in den Gesichtskreis der zuweilen halb Erwachenden und dann wilden Blickes, wie suchend im Zimmer Umherblickenden zu kommen. Hedwig's Entschluß war gefaßt: In diesem Hause konnte sie, sobald ihre Anwesenheit nicht mehr unbedingt uothwendig — wie jetzt in der Nacht, wo keine andere Hilfe zu beschaffen —, auch keine Stunde mehr bleiben! Denn sie sich auch bei strengster Selbstprüfung bewußt war, mit keinem leisesten Anzeichen Dem, was sie in ihrem tiefsten Innern erst ganz knospenhaft, dann immer klarer für Paul empfand, Ausdruck gegeben zu haben, so fühlte sie sich doch im Herzen schuldig, und die Vorwürfe Giselas — so unberechtigt sie auch waren — doch wie Keulenschläge auf ihrem Gewissen lasten. Dazu kam die Sorge um ihre eigene Zukunft. Zwar stand ihr das väterliche Haus offen; allein sie wußte nur zu gut, daß man dort auf ihre Beihilfe angewiesen war, und wie schwer es sein würde, eine neue Stelle zu finden. Aber diese mehr äußere Sorge um oas eigene Ich verblaßte völlig vor dem Ge danken, wie sich Paul's Leben gestalten muhte. Denn blitzartig war ihr die Erkenntniß gekommen, daß Paul diese Frau nicht, oder wenigstens nicht mehr liebte, nicht mehr lieben konnte, und daß Das, was sie für den Ausdruck innigster Zuneigung ge halten, nichts war, als Miileiden, Pflichtgefühl und der Aus fluß edelster Selbstüberwindung. Nur um so höher mußte sie den Mann darob achten, und um so tiefer schnitt das Mit gefühl für ihn in ihre Seele. Schon aus diesem, Grunde war ihres Bleibens nicht in diesem Hause, auch wenn sie sich stark genug gefühlt hätte, die ihr heute zugefügten Beleidigungen, wenn auch nicht zu vergessen, so doch zu verzeihen. Ihre Sorge, möglicher Wsise vor diese Frage gestellt zu werden, war eine unnöthige, denn als Gisela in der Frühe des Morgens, nach unruhigem Schlummer, zum vollen Bewußtsein erwachte und erkannte, wer ihre Pflegerin war, da traf diese ein so sprühender Blick des Hasses, daß Hedwig, ohne eine weitere Aeußerung abzuwarten, das Zimmer verließ und draußen der Wärterin des kleinen Willy anempfahl, sich bereit zu halten, der Herrin des Hauses etwaige Hilfeleistungen zu ge währen. Sie selbst begann geräuschlos ihre bescheidenen Habselig keiten zu packen und war im Großen und Ganzen bis zur Zeit des Frühstückes damit zu Ende. Dort fand sie Paul bereits ihrer wartend, der ihr, mit müdem Zug in dem um Jahre ge alterten Antlitz, wie einem guten Kameraden, mit dem man Schweres durchgemacht, die Hand entgegenstreckte und dann in seiner offenen, geraden Weise unmittelbar aufs Ziel losging. „Ich habe mir heute Nacht überlegt, wie wir die Lösung unseres Verhältnisses am besten für uns Alle einrichten werden und denke, es wird am wenigsten auffällig sein, wenn Sie für die nächsten — sagen wir ein bis zwei — Tage zu einer be freundeten Familie gehen. Ich habe dabei in erster Linie an Hauptmann Thaldorf gedacht, dessen Frau Ihnen ja auch immer ganz besonders gut gefallen hat. und habe heute früh schon eine Karte an ihn geschickt mit der Bitte um eine kurze Unterredung. Das Plötzliche Ihres Wegganges wird dadurch in den Augen der Leute in ein anderes Licht gerückt, »nd vor Allem haben wir Zeit, Ihren Herrn Vater von Ihrer bevorstehenden Ankunft zu unterrichten. Machen Sie mir, bitte, keine Einwendungen, sondern überlassen Sie meiner größeren Lebenserfahrung und Menschenkenntniß die Regelung dieser Angelegenheit." Als Ergebniß von Paul's Unterredung mit Thaldorf, der unmittelbar nach Empfang des Briefchens — Ungewöhnliches ahnend — zu dem jüngeren Freunde geeilt war, erschien nach wenigen Stunden Frau Thaldorf selbst, um — nachdem ihr bei Gisela angemeldeter Besuch nicht angenommen worden war — Fräulein Vocking in der herzlichsten Weise zu sich zu Gast zu laden und die fast Willenlose auch sofort mit sich zu nehmen. Ohne eine indiscrete Frage, ja ohne nur eine leiseste An deutung zu machen — ganz als verstünde sich dieser plötzliche Be such von selbst und sei von langer Hand verabredet — führte sie ihren Gast in die behaglich hergcrichteten Räume, ihn nun — zartfühlender Weise — seinen Gedanken und sich selbst über lassend. Der Auszug der Köchin vollzog sich wider Erwarten ohne jeden Zwischenfall. Paul hatte die äußerlich Zerknirschung heuchelnde, ihn aber, wie er wohl merkte, von der Seite mit giftigen Blicken Belauernde zu sich in sein Zimmer russn lass-n, hatte ibr dorr das Gehalt für das laufende Vierteljahr, sowie die Reisekosten in die Heimath ausgezahlt und ihr in der be stimmtesten, keinen Widerspruch zulassenden Form bedeutet, innerhalb der nächsten zwei Stunden das Haus zu verlassen. Ein Versuch des vor der bis jetzt unbekannten Energie des Hausherrn zurückbebcnden Küchentyrannen, bei Gisela vor gelassen zu werden, schlug an dem bestimmt ausgesprochenen Wunsche der alten Herrin fehl; doch wurde diese Pille ourch ein reichliches, gleichzeitig übermitteltes Geldgeschenk versüßt. Paul konnte erst gegen Abend Zeit finden und es über sich gewinnen, für einen kurzen Moment das Zimmer seiner Frau zu betreten, va er sich aus der Rückkehr vom Dienste vorerst nach einem Ersatz für die entlassene Köchin, sowie in der Zweig niederlassung der Diakonissenanstalt nach einer Stellvertreterin für Hedwig umzusehen hatte. Von beiden Orten kony<4 ihm erst in einigen Tagen eine Aushilfe in Aussicht gestellt werden. Einstweilen mußte man sich daher, 'o gut es ging, mit den vorhandenen Kräften be gnügen, vou welchen die Wärterin des kleinen Willy zum Glück kochen konnte und auch bereit war, bei Entlastung von ihrer Wärterpflicht die Küche für einige Zeit zu überuehm-n. Paul war froh, diese rein äußerlichen Fragen als Gesprächs stoff zur Verfügung zu haben und entledigte sich derselben in der knappen Form einer abzustattenden Meldung, nachdem er durch das Hausmädchen erfahren, daß seine Frau wohl gcnug und Willens sei. ihn zu empfangen. Gisela, die sich, trotz der heftigen Gemüthsbewegungen der letzten Nacht, nicht schlechter wie gewöhnlich zu befinden schien, war von ungewöhnlicher Milde und hörte die Mittheilungen ihres Gatten wie etwas Selbstverständliches, als ein der natür lichen Entwickelung der Dinge sich ergebendes Resultat an. Bei der nothwendigen Erwähnung der neu zu miethenden Köchin berührt, sie mit scheinbar voller Unbefangenheit die er folgte Entlassung der Borgängerin und erbat sich von Paul in ihrer geschäftsmäßigen Art die Abrechnung über d<n im Voraus bezahlten Vierteljahrslohn als eine sie — die Haus frau — betreffende Ausgabe, die sie übrigens vollständig billigte. Sie ging so weit, Paul's flüchtig ausgedrücktes Bedauern, „daß sie sich einige Tage in ihrer persönlichen Pflege manche Entbehrungen werde gefallen lassen müssen", mit einem: „DaS thut nichts, Frau Meyer sorgt sehr schön für mich" — gnädig aufzunehmen. An Paul gingen die Beweise einer weicheren Stimmung, für die er noch vor Kurzem dankbar glücklich gewesen wäre, spurlos vorüber. Er war noch zu tief verletzt, um sofort wieder, auf die ersten Anzeichen von gutem Wetter, die Wandlung mil- zumachen. So beschränkte er seine Mittheilungen aufs Aeußerste, sagte dann „gute Nacht", ohne eines Wiederkommens, oder der Wiederaufnahme des Vorlesens auch nur Erwähnung zu thun. Dagegen unterwies er die Kindersrau in der Mischung deS Schlaftrunkes, wobei er ihr — in der Gegenwart Gisela'S — die größte Vorsicht noch ganz besonders zur Pflicht machte. FünfundzwanzigsteS Capitel. Es war am folgenden Nachmittage. Ein kühler, regnerischer Sommertag ging früh zu Ende. Gisela hatte im Verlaufe der letzten Nächte, und besonders in den langen Morgenstunden, wo sich Niemand um sie bekümmern konnte, Zeit genug, über das Vorgefallene nachzudenken, und wenn sie auch noch weit davon entfernt war, ihr Unrecht einzusehen, so vermißte sie doch Hedwig's sanfte, sachgemäße Hilfeleistungen in so hohem Maße, daß ihr schon aus rein selbstischen Gründen der Gedanke nahe kam, doch etwas vorschnell gehandelt zu haben. Um von diesen immer wieder sich aufdrängenden Betrach tungen etwas abgelenkt zu werden, gleichzeitig aber auch, um dir Kinderfrau und das Hausmädchen, die einen Theil der sonst von der Köchin besorgten häuslichen Arbeiten übernommen hatten, etwas zu entlasten, hatte sie das Kind zu sich ins Zimmer bringen lassen. Jetzt zeigten sich die Folgen der verkehrten Erziehung, da der Knabe der ohnmächtig an das Lager gefesselten Mutter gegenüber jeder Laune die Zügel schießen und sich durch kein Briten und Schmeicheln, kein Tirohen und Schelten von dem, waS er sich ein-
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