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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.11.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001113029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900111302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900111302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-11
- Tag1900-11-13
- Monat1900-11
- Jahr1900
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Amtsblatt des Aömgliche« Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. 579. Dienstag den 13. November 1900. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reclamrn unter dem Redaetionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach» richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zissernsatz entsprecheod höher. — Gebühren für Nachweisungen «ud Offerteilannahme 25 H (excl. Porto). Extra'Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, ni i t Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet voa früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag voa L. Polz in Leipzig. 94. Jahrgang. 77k2 Oie Wirren in China. Tic Gewaltherrschaft der Kaiserin-Wittwe. Daß der Kaiser Kwangsü für die Handlungen und Entschließungen veS chinesischen HofeS jetzt ebensowenig persönlich verantwortlich zu machen ist, wie sür die Gescheh nisse vor der Einnahme seiner Hauplstadt durch die Ver bündeten, konnte bisher nur vermulbet werden. Jetzt geht dem Berliner „Loc.-Anz." aus Shanghai eine Nachricht zu, welche zu beweisen scheint, daß der Sohn des Himmels nach wie vor in hilfloser Abhängigkeit von der Kaiierin-Wittwe gehalten wird, und daß ein nenerlicher Versuch, sich von dieser Bevormundung frei zu machen, gescheitert ist. Das Tele gramm lautet: Nack Meldungen Eingeborener auS Hankau wurden zwei Telegraphenbeamte in Singanfu auf Befehl der Kaiserin-Regentin geköpft, weil sie ein geheimes Telegramm d cs Kaisers Kwangsü an den Grafen Waldersee zur Beförderung annahmen, in welchem der chinesische Kaiser dem Obercommandirenden mittbeilt, er Werde gefangen gehalten und sei daher außer Stande, nach Peking zu kommen, obwohl er cs gern thun würde. Im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit fanden noch weitere Hinrichtungen statt. Wie aus Tschintiangsu berichtet wird, bat Jut schang, der Gouverneur von Honan, den Eommandeur der dortigen Garnison um Beistand gegen die verbündeten Truppen, die sich der Grenze von Honan nähern. Die Telegraphen stationen von Paolingfu und Tschenlingfu, die den Verkehr nack dem ganzen Westen vermitteln, befinden sich jetzt im Besitz der Verbündeten. ?)utschang ist der Ansicht, er könnte dem Vordringen der Verbündeten erfolgreich Widerstand leisten, wenn der General ihm ans Tschinliangfu Artillerie schicke, da er über 20 000 Mann Infanterie und Cavallerie verfüge, Einheimische Zeitungen bringen allerhand Berichte, die die Meldung bestätigen, daß der chinesische Hof von Singanfu nach Szetschuan verlegt wird, und der Vice- lönig dieser Provinz den Palast in der Hauptstadt Cbingkusu schon in Bereitschaft setzt. Es mag sein, Laß der Mangel au Zufuhr von Lebensmitteln diesen Entschluß gezeitigt hat, wahrscheinlich aber ist, daß sick in Folge der militärischen Operationen der Verbündeten des Hofes eine Panik bemächtigt hat. Es ist bemerkenSwerth, vaß dieselben Viccköiiige im Pangtscthal, die kürzlich die Mächte um ihre Unterstützung gegen den Hof in Singanfu gebeten, jetzt an den Hof telegraphirten, sie be- ricthen über Mittel unv Wege, wie sie die Verbündeten ver hindern könnten, die Verbindungen abznschneideu. Das ist die Methode, nach der die chinesischen Staatsmänner vor gehen, die alles aufbielen, um die Lage verwirrter zu machen. * London, 12. November. In der Angelegenheit der lieber« gäbe der Bahnlinie Taku-Schankaikwan an die Engländer jagt die „Pall Mall Gazette": Die ängstlichen Pessimisten, die bei allem, was in China geschieht, Großbritannien von den Russen über trumpft sehen, werden über dieses befriedigende Ereigniß ziemlich verblüfft sein. Der Krieg in Südafrika. Ein Blick auf die Berlnstltste der letzten Tage sollte eigentlich selbst den eifrigsten Jingos und von Rechts wegen auck dem schwadronirenden und renommirenden Lord Roberts eindringlich zu Gemüthe führen, wie lächerlich es ist, immerzu von der „totalen Enlmuthigung der Boeren" und vom „beendigten Kriege" zu sprechen, sowie sich den Anschein zu geben, alö wenn die 12 000 und mehr im Felde siebenten TranS- vaaler und Freistaatler eine tzurmtito uögliMadlö waren. Die Gefechte der letzten Tage haben das Gegentbeil zur Genüge bewiesen, wenn sie auch zum Nacktbeile der Boeren, wenigstens nach den englischen Berichten, aus gefallen sind. Die britischen Verluste waren nach ven jüngsten Meldungen vom Hauptquartier besonders an Osficieren sehr schwer, und die englische Armee trauert ganz besonders um einen ihrer besten jüngeren Reiter führer, den Obersten Le Gal la iS, der an der Spitze seiner combinirten Brigade den Kugeln der Boeren zum Opfer fiel. Außer ibm und einem getökletcn Hauptmann erscheinen auf der Verlustliste, allerdings nur als schwer verwundet, noch ein Oberstleutnant, zwei Majore, vier Hauptleute und sieben Leutnants der verschiedenen Waffengattungen, woraus zu er sehen ist, mit welcher Bravour auf beiden Seiten gefochten worden ist. Le Gallaiü und Te Liste waren es, die den letzten Coup gegen De Wet ausführten, zwei Abkömmlinge von Hugenotten, die mit der gleichen Tapferkeit unv mit denselben soldatischen Qualitäten in eng lischen Diensten gefochten haben, wie so viele ihrer vielleicht nahen Blutsverwandten und „Vettern gleicher Abkunft" auf der Seite der Boeren. Es ist Thalsache, daß es sowohl Le Gallais' als auch De Lisle's unier den alten Patrizier- Familien der Boeren giebt, also Hugenotten auf beiden Seilen. 3»r Einwanderung von Boeren nach Tentsch- Tüdwestafrika wird den „Berliner Neuesten Nachrichten" berichtet, daß im Colonialratb die Zahl der TrauSvaal-Boeren, die durch die Kalahari-Wüste auf deutsches Gebiet auswandern wollen, auf circa 15 000 bemessen wurde, und daß auf vorherige Anfrage an die deutsche Regierung, wie sie sich dieser Ein wanderung gegenüber verhallen werde, die Antwort erfolgt sei, daß diese Einwanderer auf deutschem Gebiet freund lichst ausgenommen werden würden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. November. Die Socialdemokratie und ein Theil des bürgerlichen Radikalismus greift den Bundesrath an, weil er die Be willigung der Kosten für -ie Expedition nach Ehina in der Form eines dritten Nachtrags zum Reichsbaushalts etat beim Reichstage nacksucht. Für den „Vorwärts" ist diese Expedition „verfassungsrechtlich betrachtet, ein Staats streich": die „Freisinnige Zeitung" vermißt die aus drückliche Bitte um „Indemnität". Thatsächlick aber bat die Negierung durckauS verfassungsmäßig gehanvelt, indem sie, nachdem die Einberufung des Reichstages zu einem früheren Zeitpunkte einmal unterblieben war, um die Bewilligung der Kosten in einem Nachtragsetat einkam, ohne die Ditte um die Ertheilnng der Indemnität auszusprechen. Die namhaftesten Lehrer des Staatsrechls kann der Buntesrath als Zeugen für die staatsrechtliche Correctheit seines Ver fahrens ausrufen. Selbstverständlich ist dabei, daß für „M ehr- auSgaben" die nachträgliche Genehmigung des Reichstags eingeholt werden muß. Wenn aber von socialdemokratischer Seite die Ausgabe von Gelter», die der Reichstag noch nicht bewilligt bat, einfach als ungesetzlich bezeichnet unv wenn von dem Organ deZ Herrn Rickter die Forderung gestellt wird, daß der Bundesrath um Indemnität bitte, so liegt hierin für beide Tbeile eine Verkennung der staatsrechtlichen Verhältnisse. Wie letztere in Wirklichkeit beschaffen sind, ersieht man u. A. aus den Darlegungen, die der verstorbene StaaisrechtSlchrer Hermann Sckulze in seinem 1881 er schienenen „Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes" macht. Schulze schreibt hier: „Als Mehrausgaben erscheinen sowohl die Ausgaben, für welche der Etat gar keine Decknnqsmittel angewiesen hat (außeretatsmäßige Ausgaben, qualitative Etatsüberschreitungen), als diejenigen, wo die im Etat fcstgestcllte Summe überschritten worden ist (eigentliche oder quantitative Etatsüberschreitungen); beide werden nach gleichen Grundsätzen behandelt. Es ist eine falsche Auf- fassung, wenn man jede Leistung einer Ausgabe, welche im Etat gar nicht vorgesehen war, sowie jede Mehrausgabe für einen Posten, der im Etat niedriger fixirt war, für eine Verletzung des Etats- geietzcs, sür eine ungesetzliche Handlung, ausieht. In vielen Füllen konnten weder Kammer noch Regierung die plötzlich eintretenden Staatsbedürsnisse voraussehen- .. Die Etaatsregierung würde in solchen Fällen sogar pflicht widrig handeln, wenn sie, in buchstäblicher Einhaltung des Etats, eine solche Mehrausgabe unterlassen und dadurch das Staatswohl gefährden wollte. Der Unterschied sür sie liegt nur darin, daß sie bei der Leistung der im Eiat bewilligten Ausgaben von jeder Verantwortlichkeit frei ist, während sie bei jeder Etats überschreitung auf die Verantwortlichkeit hin bandelt, dem Landtage die Ueberzeugung von der Nothmendigkeit oder Nützlichkeit der ge machten Ausgaben beizubringcn. Aber auch hier steht es nicht im willkürlichen Ermessen des Landtage«, feine Genehmigung zu er- theilen oder zu versagen. Wenn nachgewiesen werden kann, Laß die nichtbewilligte Ausgabe zur Durchführung der Gesetze, zur Ec- Haltung bleibender Einrichtungen und überhaupt im Interesse des Gemeinwohles dringend geboten und zugleich un- ausschiebbar war, so ist der Landtag verpflichtet, einem solchen Nachtragsetat ebenso seine Genehmigung zu ertheilen, als wenn der Posten gleich in den ursprünglichen Etat mit ausgenommen wäre." In Uebereinstimmung mit Sckulze befinden sick Laband und von Rönne. Beide begegnen dem Verlangen der „Freisinnigen Zeitung" nach einer die Bitte um Indemnität enthaltenden Vorlage. Rönne schreibt über die Behandlung unvorhergesehener Ausgaben: „Es bedarf in dieser Beziehung keines obändernden oder JndemnitütsgeietzeS, sondern es kommen dafür die für Etatsüber, jchreitungen geltenden Grundsätze zur Anwendung. Es veistegt sich von selbst, daß die Kammern, wenn sie die Nothwendigkect einer Mehrausgabe anerkennen, ihre nachträgliche Genehmigung nicht ver sagen dürfen." Laband weist die Ansicht zurück, „als verübe die Re gierung dnrck Leistung einer außerctaismäßigen Ausgabe eine Gesetzwidrigkeit, eine Verletzung des ElatsgesetzeS, sür welche sie beim Reichstage um Indemnität bitten müsse, die derselbe als Gnadenact ertheilen oder versagen dürfe. . . Erkennt der Reichstag an, daß die Ausgabe aus rechtlichen oder factisckcn Gründen notbwendig oder angemessen war, so involvirt dieses Ancrkenntniß zugleich die Genehmigung." — Auck über die formale Seite der Angelegenheit äußert sich Laband, indem er schreibt: „Wenn es möglich ist, die Genehmigung des Reichstages noch einzuholen, ehe die Ausgaben wirklich geleistet oder festgestellt sind, jo erscheint die korrekteste Form die, durch einen Nachtrags etat, also in Gesetzessorm, die Bewilligung zu constatiren. Ist jedoch die Ausgabe thatsäcklich geleistet . . ., so widerspricht es der Logik, in Form eines Voranschlages die Bewilligung auszusprechen, indrß wird demgemäß die Genehmigung in Form von Rejoln- tionen des BundcsralhS und Reichstages ertheilt." Die Regierung verlangt bekanntlich zugleich die Geneh migung schon geleisteter und noch bis zum 31. März 1901 zu erwartender Ausgaben. Mag die Laband'sche Auffassung auch Manches für sich haben, so wirv sich doch gegen die Verbindung beider Ausgabeposten, der geleisteten unv der zu erwartenden, vom konstitutionellen Standpunkte auS nichts Stichhaltiges einwende» lassen. Die „Köln. Ztg." hatte es Anfangs nickt glauben wollen, daß der mitgeibeilte Brief VeS Erzbischofs von Stablewski an den Propst v. KrzesinSki in Alt kloster echt sei, denn der Kirckensürst batte sich, wenn er wirklich einen solchen Brief versaßt, als Parteifanatiker er wiesen, der sich nickt mehr als Diener einer weltumfassenden Kirche betrachten dürfe, die alle Völker mit gleicher Liebe und Fürsorge umfassen wolle. Bald aber wurde daS rheinische Blatt eines Anderen belehrt durch die „Germania", die sich folgendermaßen äußerte: „Nachdem der hochw. Herr Erzbischof die politischen Quer treibereien des Herrn v. KrzesinSki entschieden verurtheilt, werden hoffentlich die von den Hakatisten irregeführten deutschen Katholiken nicht mehr an der Candidatur Krzesinski's festhalten und Propst KrzesinSki auch seinerseits die gebotenen Consequenzen daraus ziehen." Mit dürren Worten wird hier ausgesprochen, daß der Brief geschrieben und veröffentlicht worden ist, damit Herr von KrzesinSki seine Candidatur nieterlege und die deutschen katholischen Wähler alsdann der polnischen Fahne folgen. Nun zweifelt auch die „Köln. Ztg." nicht länger; in einem „Unerträglich" überschriebenen Artikel schreibt sie nunmehr: „Der Erzbischof ist aus der Rolle des unparteiischen Oberhirlen herausgetreten, er hat die Maske fallen lassen und hat sich damit selbst ins Unrecht versetzt. Die glattzüngigen Polen verstehen sick ja vortrefflich auf alle jene kleinen Künste, durch die man gute Mensche» über seine Ansichten und Absichten irresührt. Selbst der viel- gewandte vr. v. Miquel ließ sich eine Zeit lang durch das polnische Wiegenlied einschläfern und das angenehm lockende Traumbild vor gaukeln, die Polen wünschten nichts mehr und nichts Anderes, al- unter thunlichster Schonung ihrer Eigenart friedlich als preußische Bürger zu leben. Was die Polen wirklich wollen, das haben sie uns so laut und so ausdauernd in die Ohren geschrieen, daß heute jeder zurechnungsfähige Politiker sich über die Polonisirungsgefahr im Klaren ist. Selbst wenn wir gutmüthig genug waren, rin neues Polenreich auszurichten, würden wir bei dem polnischen Mangel an Selbst beschränkung und Selbstzucht lediglich einen neuen, stets wieder über kochenden Herd ewiger Unruhen und uferloser Begehrlichkeit geschaffen haben. Nur unverbesserliche Träumer und Phantasten können sich Feuilleton. L9i Der Bundschuh. Noman von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. (Schluß.) Edelinde von Rappoltstein erschien an diesem Tage schön und gütig wie eine Göttin, und die halbe Stadt drängte sich herzu, um sie zu sehen und ihr Kleid zu küssen, damit sie Alle ihres Glückes theilhastig werden möchten. Bor der Kirche stand der Rath der Stadt Rappoltsweiler und die Bürgerschaft in festlicher Kleidung, um nach altem Brauch ihre Ergebenheit und Respect zu bezeigen. Bon allen Mauern der Stadt begann ein Frcudenschießen, und von allen Thürmen das Glockenspiel, bis Alles vorüber war. Nach dem Hochamt zog man hinaus, der Hof und die ganze Stadt nach der Matten vorm Jungfernthor, wo die Zelte für den Walperstag errichtet waren, und es begannen die Schmause reien, Tanz und Spiel, nicht nur wie herkömmlich an einem Tage, sondern drei Tage hintereinander, zur Feier der Hochzeit des Freifräuleins von Rappolt stein. Der Hof und sein Gesinde aßen während dieser Zeit an neunundvierzig Tischen, und in die herrschaftliche Küche wurden geliefert sechs Ochsen, achtzehn Kälber — „denn man nit mer hat bekommen mögen" —, achtzig Hammel unv Schafe, hundertzwciundfünfzig Kapaunen — „geschenkt und gekauft" —, zweihundert Hühner, neunzig Gänse, dreitausend Eier, hundert Spanferkel, ein Centner Speck, sechzig Feld hühner und anderes Vieh um hundertundfünfzig Gulden, weiter vierzehn Fuder Wein und um dreiundzwanzig Gulden Brod. Veit aber wurde befohlen, vor der hohen Braut und der ganzen Hofgesellschaft in deren Zelt aufzuspiclen und sang auf Befehl der Braut das Lied, was er ihr schon immer auf der Burg Hohnock vor ihrer Gefangenschaft vorgespielt: „Ich hört' ein Sichelin rauschen, wohl rauschen durch das Korn " Bei der Strophe: „ Und hast Du ein'n Buhlen erworben Im Veiel, im grünen Klee, So steh' ich hie alleine, Thut meinem Herzen weh' " sing Beit plötzlich an bitterlich zu weinen und ließ die Fiedel sinken. Rasch sprang Friedel auf und trat zu ihm. Ulrich von Rappoltstein, der schon von seiner Schwester wußte, wie es um die Beiden stand, sah sich nach Meister Rich- bert um, und als er ihn am Ende der Tafel entdeckte, winkte er ihn zu sich. „Also, Meister Nichbert", begann er halblaut, „wann macht Ihr Friedel's Hochzeit mit Veit Led?" „Gnädiger Herr", erwiderte der Schlossermeister bedenklich und verlegen, „das ist ein böser Fall. Kann er doch keine Frau ernähren. Soll er als Spielmann mit dem Friedel auf Chilwen und Hochzeiten herumziehen ?" „Er ist ein braver Bursch, der uns in der Zeit der schweren Noth wacker seinen Mann gestanden." „Wohl, gnädiger Herr, aber er ist so arm, wie eine Kirchenmaus." „Ein braver Mann kommt immer durch. Ich mache ihn zum Stadtpfeifer von Rappoltsweiler, so daß er nicht nöthig hat, auf Ehilwen und Hochzeiten herumzufahren. Macht aber ein Ende, Meister Richbert, und sagt: Ja!" Dann trat auch Herr Diepold von Andlau hinzu. „Ich gebe Veit tausend Gulden zur ersten Aussteuer", raunte er Meister Richbert leise ins Ohr. Er hat's verdient um mich und meine Herrin. Und nun macht nicht so viel Federlesens. Gebt die Beiden zusammen wie zwei gute Christen, sonst —" Er sagte weiter nichts, aber als Meister Richbert sich er schrocken nach Friedel umsah und bemerkte, daß sie weinend und schluchzend schon in Veit's Armen lag, ahnte er, was Herr Diepold wohl sagen wollte, und daß ihm als Vater hier nicht mehr viel zu thun übrig blieb. „Veit!" rief er drohend, und als dieser sich betroffen los machte und sich vier Augen bittend und weinend auf ihn richteten, fuhr er etwas milder fort: „Nun gut. Wenn der gnädige Herr selbst den Fürsprecher macht, so mag's gut sein. Aber ich wünschte doch, er wäre ein Schlosser." Wie aus einem Munde kam von Friedel s und Veit's Lippen ein lautjuchzender Freudenschrei, und im nächsten Augen blick lagen sie sich Lippe auf Lippe, Brust an Brust in den Armen. Das war ein hübscher Anblick. Alle die vornehmen Zelt insassen erhoben sich von ihren Sitzen und reckten die Hälse, um die Glücklichen zu sehen, denen Jugend und Sckönbeit, Unschuld und Liebe von der Mutter Natur in so reickem Maße verliehen worden war, daß sie sich nicht nur zum eigenen Glück, sondern auch zur Freude der Menschen in innigster Vereinigung ange hörten. „Wo ist Barthel?" fragte Herr Ulrich von Rappoltstein lächelnd. „Ich meine, unser Pfeiferkönig wird alt und faul und will nichts mehr thun " „Gnädiger Herr", stammele Barthel erschrocken, „ich ich « „Auf, Barthel, singe Du auch einmal wieder ein Lied vor uns. Die besten Nachtigallen hören auf zu schlagen, wenn sie ein Weibchen haben, warum also nicht diese auch? Nun singe Du, Barthel. Und daß es etwas Neues und etwas Feines ist. Sonst bist Du am längsten Pfeiferkönig gewesen, und wir machen Dich zu unserem Kellermeister." Gegen eine solche CarriSre hatte Barthel offenbar durchaus nichts einzuwendcn. Er strich sich vergnügt schmunzelnd über das Gesicht, trat dann auf einen Stuhl und begann nach kurzem Vorspiel sein Lied: Der Kuckuck auf dem Birnbaum saß, Kuckuck! S'mag schnei'n oder regnen, er wird nicht naß, Der Kuckuck, der wird nicht naß! Der Kuckuck flog über'm Nachbar sein Haus, Kuckuck! Schön Schätze!, bist drinnen? Komm zu mir heraus, Der Kuckuck, der Kuckuck ist draus. Ich steh' Dir nicht auf und ich laß Dich nicht ein, Kuckuck! Du möchtest der rechte Kuckuck nicht sein. Der rechte Kuckuck nicht sein. Der rechte Kuckuck, der bin ich schon, Kuckuck! Des alten Kuckuck sein einziger Sohn, Des alten Kuckuck sein Sohn. Dann änderte der Sänger Melodie und Bersmaß, und mit drolliger Nachahmung einer feinen Mädchenstimme fuhr er fort: Zieh nur am Schnürlein, geh' rein zum Thürlein, Geh' selber herein! Der Kuckuck, der Kuckuck ist mein! * * * Solche Hochzeitsfeierlichkeiten, wie sie am Rappoltstein'schen Hof stattfanden, waren in damaliger Zeit nichts Ungewöhnliches I und hatten etwas Patriarchalisches an sich. Nicht nur die ganze I Stadt, sondern die ganz« Gegend feierte mit; von allen Seiten I liefen eine Menge Leute zusammen, und wenn es auch, wenigstens theilweise, nur war, um sich einmal tüchtig satt zu essen und zu trinken. Es kam bei solchen Gelegenheiten nicht darauf an, ob ein paar Ochsen mehr oder weniger geschlachtet oder ein paar Fuder Wein mehr oder weniger aus dem Keller geholt werden. So war es erklärlich, daß Veit eines Abends in der Nähe des Jungfernthores einen alten Gauner sah, dessen Aussehen ihm merkwürdig bekannt erschien. Betroffen blieb er stehen und sann eine Weile nach. „Jaeckel!" rief er dann plötzlich und ging rasch auf den Mann zu. Es war wirklich der Genosse seines Vaters, den er seit langer Zeit nicht mehr gesehen, der sich aber trotzdem nicht verändert hatte. Es war noch immer dieselbe pfiffige, weiter harte, gutmllthig-leichtsinnige Gaunerphysiognomie von früher. »Je, je, der wittscke Flur, das Klingfetzerlein", meinte Jaeckel verwundert. „Lebst auch noch? Und was macht der Joerg?" „Das weißt Du nicht, Jaeckel? Der alte Joerg ist todt." Unwillkürlich zog der Jaeckel den Kopf ein, als hätte er eben einen Schlag bekommen oder sollte einen erhalten. Dann blickte er sich scheu um und wiederholte gedämpft: „Todt!" Veit erzählte ihm kurz das Ende des alten Joerg und forderte Jaeckel schließlich auf, doch das herumvagabondirende Leben aufzugeben und in Rappoltsweiler zu bleiben. Ein Ver dienst oder eine Unterkunft würde sich wohl finden. Jaeckel war ein gelernter Schlosser, und da Meister Richbert schon längst einen Gesellen suchte, so würde er sick vielleicht bereit finden lassen, Jaeckel — natürlich bei guter Führung — aufzunehmen. „Ich thue es um meines Vaters willen, dessen Gefährte Du so lange Jahre gewesen bist. Bleibe hier. Du wirst doch nun alt und grau. Denk- an Dein Ende und bleibe bei uns." So sagte Beit, und es schien wirklich, als ob Jaeckel, durch den Tod Joerg's gerührt, sich zu einem seßhaften Lebenswandel entschließen könne. Drei Tage hielt er es in Meister Richbert's Hause auS. Dann sagte er zu Veit: „Adjes, Schreiling (Kind, Junge). War thu' ich unter den Philistern? Ein Kochemer bleibt ein Kochemrr. Dir ganze Welt ist sein Bett und sein Grab. Adjes." Die Unruhe, die unüberwindliche Wanderlust, trieb ibn wieder fort. '
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