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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.09.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010909026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901090902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901090902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-09
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Ärtttsökatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ätntes der Ltadt Leipzig. Montag den 9. September 1901. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter de« Redactiousstrich (-gespalten) 7b vor den Kamtliennach- richten (S gespalten) b0 Tabellarischer und Hiffrrnsah entsprechen» höher. — Gebühren für Nachweisung«» und Offertenaanllhm« Lb H (exel. Porto). Ertra-Vellage« (gesalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, oha» Postbesörderung ÜO—, mit Postbesörderung ^l 70.—» Anaahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Au-gab«: vormittag- 10 Uhr. Morg»u-Aa-gab«: Nachmittags - Uhr. vet den Filiale« und Annahmestelle« je rin» Halde Stunde früher. Lazeigea find stet« a« di» Expedition zu richte«. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von (rüh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 95. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. September. Wie der Telegraph bereits gemeldet hat, ist einer unserer bedeutendsten Zeitgenossen, der frühere preußische Finanz minister und Vicepräsident des preußischen SlaatSniinisleriUmS, vr. Johannes von Miqncl, in der Nackt vom Sonnabend zum Sonntag plötzlich infolge eines Herzschlags gestorben. Kaum mehr als vier Monate — sein letztes EntlassungSgesuch Wurde am 5. Mai d. I. von König Wilhelm II. genehmigt — bat er seinen Sturz überlebt. Aber beschleunigt hat dieser Sturz sein Ende schwerlich. Zweifellos hat cS ihn geschmerzt, daß ihm. wie damals ein Berliner Blatt sich auSdrückte, „die seidene Schnur" übersendet wurde, die ihn nvtbigte, amtsmüber zu scheinen, als er sich wirklich fühlte; jedenfalls hat er es tief empfunden, daß jenes Gesuch kühler beantwortet wurde, als er nach den ihm früher gewordenen Auszeichnungen hätte erwarten dürfen; sicherlich bat eS ihn schwer gekränkt, daß selbst die Presse derjenigen Parteien, die ihm am meisten zur Dankbarkeit verpflichtet gewesen wären, ihm Nachrufe widmete, die mindestens seine Schwächen mehr hervorhoben, als seine Vorzüge und seine unvergänglichen Verdienste. Wohl mögen ihm nach seinem Scheiden von Berlin Stunden gekommen sein, in denen beim Gedanken an daS Ende seiner ministeriellen Laufbahn bitterer Groll ibn über mannte. Aber lange bat der bewegliche, jede Erscheinung des politischen Lebens mit regstem Äniheil verfolgende Geist der Verbitterung nicht Herrschaft Uber sich gelassen. Und auch wenn damals dem „Moorhubne" preußisches Abgeordnetenhaus nicht Schonzeit gegönnt worden, wenn eS aufgelöst und wenn den alten Ministern Gelegenheit HU dem Versuche gegeben worben wäre, in einem neugewahlten Abgeordneteuhause eine Mehrheit für die erweiterte Eanalvorlage zu gewinnen, auch dann würde voraussichtlich Johannes von Miquel die Zahl seiner Jahre nickt höher gebracht haben. Vielleicht hätte schon der unvermeidliche neue Kampf das Herz zum Stillstände gebracht, das, ohne daß er es selvst recht gewahrte, in langem und heißem Ringen seine Kraft erschöpft hatte. Wir haben in unserer Morgen ausgabe vom 7. Mai d. I. (Nr. 230) die politischen Kämpfe des seltenen Mannes, ihre reichen Erfolge Und ihren letzten Mißerfolg eingehend geschildert und können heute auf diese Schilderung zurückverwcisen. Sie unterstützt jedenfalls die An nahme, daß schon das politische Ringen Miquel's genügt hätte, selbst einen starken physischen Träger eines reichen Geistes in seinen Grundfesten zu erschüttern. Aber er erfreute sich einer eisenfeslen Constitution nicht. Schon seit etwa 20 Jahren beunruhigte seine Angehörigen ein immer wieder» kehrende- Bronchialleiden, das den berühmten Parlamentarier wochenlang von der Ausübung seiner Mandate abhielt und noch länger abgehallen haben würre, wenn nicht der Drang nach Wirken und Schaffen stärker gewesen wäre, als die Mahnungen des Arztes. Dieser leidenschaftliche Drang täuschte den häufig so kühlen und besorgten Beobachter seines Zustandes immer wieder über diesen hinweg und vermischte nach einer guten Nackt die Entschlüsse des vorauSgegangenen Abends. Selten überhaupt mag es, wie wir schon m dem erwähnten Artikel andeuteten, einen Mann gegeben haben, in dem kühler, praktischer Verstand mit heißem, leidenschaft lichem Drange so sehr und mit so wechselndem Erfolge um die Herrschaft rangen, wie in Jobannes v. Miquel. Mitten im ruhigsten Gespräch konnte eine plötzlich in ihm aufwallende Regung ihn so bemeistern, daß der Tisch, auf dem seine Hand lag, erzitterte. Jeder seiner Handlungen, seiner Reden ging rin innerer Kampf voraus, der an seinen Kräften zehrte. Und da ihm die bedenkliche Gabe verliehen war, für jeden seiner Gedanken und jede seiner Empfindungen sofort den prägnantesten Ausdruck zu finden, so begegnete eS ihm nicht selten, daß er heute mit fortreißender Beredtsamkeit für etwas eintrat, waS er kurz vorher unter anderen Eindrücken nicht minder lebhaft bekämpft hatte. Das bewirkte daS Proteusartige in seinem Wesen, welches für Manchen etwas Unheimliches hatte; da« erschwerte seine Erfolge, entfremdete ihm alte Freunde, zog ihm das Mißkrauen der Parteien zu und mag am Ende nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, ihn selbst unter seinen Minislercollegen und an höherer Stelle in den Verdacht des Jntriganten- lhums zu bringen, das ihm, der in Momenten der Auf- Wallung allzu aufrichtig war, völlig fern lag. Die sür ihn und seine Lebens- und Schaffensfreudigkeit nachtbeilizste Folge dieser Doppelnatur war aber seine eigene Umzufneden- beil mit sich. So selbstbewußt er das Maß seiner Gaben und seines Wissens schätzte, so wenig täuschte er sich über das Unausgeglichene in seinem Wesen. Es hat Wohl keinen Tag für ihn gegeben, an dem er nicht mit sich selbst gerungen und den Versuch gemacht hätte, sich zu jener Stetigkeit, zu jener Harmonie zwischen Kopf und Herz zu erziehen, ohne die ihm auch im Privat leben, in der Familie, keine ungetrübte Freude erblühen konnte. So stand er am Ende vereinsamt auf seiner Höbe, stürzte von ihr ohne rechten Dank von oben und unten und sank in daS Grab, von inneren und äußeren Kämpfen aufgezehrt, obne daß ihm ein Zeitraum blieb, in dem er, fern vom politischen Streite, erhoben über der Parteien Gunst und Ungunst, die Summe des Geleisteten und Errungenen über sehen und der Gewißheit hätte froh werden können, trotz aller Schwierigkeiten, die ihm sein Wesen bereitet, doch für das deutsche Reich und den preußischen Staat so Vieles und so Großes geleistet zu haben, wie wenige seiner Zeitgenossen, keiner seiner Verkleineren Hoffentlich findet sich wenigstens ein Biograph, der volles Verständniß für Miquel's eigenartige Natur besitzt und der Nachwelt nickt nur die Vorzüge und die Schwächen des Politikers, seine Erfolge und seine Mißerfolge aufzäblt, sondern auch den Menschen näher führt, der ein Kämpfer mit sich selbed war und wie selten eia Anderer in diesen Kämpfen litt und entbehrte. In Graudenz hat gestern ein Deutscher Tag stattgefunde«. Daß ein solcher überhaupt nöthig war, um Vie deutschen Elemente auS ihrer Energielosigkeit und Unlbätigkeit gegenüber dem rastlos arbeitenden Polenthum aufzurütteln, ist in der Thal ein betrübendes Zeichen; nicht oft genug kann auf die Gründe dieser Theilnahmlosigkeit und Zerfahrenheit der deutschen Elemente in den bedrohten Ostmarken bingewiesen werden. Der „Graudenzer Gesellige" macht seinem berechtigten Uamulhe darüber in folgenden Worten Luft: „Es ist beschämend sür die preußische amtlichePolen» Politik, daß „Deutsche Tage" in Deutschland nöthig geworden sind, daß sie ihre wohlbegründcte Berechtigung haben. Das nationale Gefühl von der Nothwendigkeck der Abwehr polnischer Anmaßungen und von der Erhaltung Les Drutschthuin- muß leider in großen Kreisen der Bevölkerung noch immer aufgerültrlt oder gestärkt werden. Deutsch zu sein, deutsch zu reden, deutsch zu handeln und zwar unter allen Umständen! — gehört leider noch nicht ohne Weitere« zu dem Wesen eine« jeden Deutschen mit Natur» nothwendigkeit. Wäre dies der Fall, würde es allgemein als un» natürlich und schmachvoll gelten, daß Hunderttausende von deutschen Männern und Frauen erst daran erinnert werden müssen, daß sie Deutsche sind, und sich des schwer errungenen Erbes ihrer Väter und Mütter iinmer würdig zu zeigen, indem sie eS verthetbigen — ja, dann wäre ein „Deutscher Tag" in einer deutschen Stadt nicht nöthig." BeklagenSwerth ist eS auch, daß auf dem Tage Protest erhoben werden mußte gegen die bei einer Proceßverbandluug in Lissa gef llene Aeußerung dcö LanvgericklSdirectors Schlüter: Nicht alle Richter seien Hakatisten, in der Pro vinz Posen höchstens 2—3. Er selbst halte cs mit seiner Stellung nicht für vereinbar, Hakatist zu werden; das würbe seine Objektivität beeinflussen. Zunächst klingt diese Aus lassung so, als habe Herr Schlüter geglaubt, die polnischen Angeklagten darüber beruhigen zu müssen, daß der Gerichtshof nicht gegen sie eingenommen sei. Wir glauben aber nickt, raß das Ansehen der Justiz dadurch gefördert werde, wenn die Richter über ihre Unbefangenheit beruhigende Versickerungen abgeben. Wohin würde man sonst auch gelangen? Zum Zweiten meinen wir, daß die Objectivuät des Richterstandes mit der Zugehörigkeit zu einem bestimmten politischen Vereine nichts zu thun haben dürfe. Wenn Herr Schlüter sagt, die Zu gehörigkeit zum Ostmarkenvereine könnte die Objectivität eines RickterS beeinflussen, so bietet er Denen eine erwünschte Waffe, die das Ansehen der Justiz durch Anzweiflung der Unbefangenheit der Richter herabmindern wollen. Denn mit demselben Neckte, mit dem ein Pole einen dem Ostmarken- vercine angehörigen Richter für nicht objektiv halten dürfte, könnte ein Socialbrmokrat sich einen Richter verbitten, der etwa Mitglied eines conservativen Wahlvereins ist, oder in noch höherem Grade ein Katholik ein Mitglied des Evangelischen Bundes, oder ein Jude ein Mitglied des deutschen Anlisemitenbuntes u. s. w. Mit anderen Worten: wäre die Erklärung des Herrn Schlüter ebenso zutreffend, wie sie eS zweifellos nicht ist, so gäbe cS nur ein Mittel für die Aufrechterhaltung der Objectivität der Richter — uud mit ter Unbefangenheit der Richter steht und fällt der Staat überhaupt —: die Verfassung müßte in dem Sinne ab- geänbeit werden, daß den Angehörigen deS Richterstandes die politische Bctbätigung ebenso unmöglich gemacht würde, wie eS Lei der Armee ter Fall ist. Der Unterschied ist nur der, daß die Aufhebung der politischen Betbäiigung für die Angehörigen deS stehenden Heeres gute Gründe bat, durch di« die Ehre der Berufssoldaten in keiner Weise herab^ gemindert wird; die Einschränkung der politischen Rechte des Richters aber würde diesen zum Staatsbürger zweiter Classe machen und mit dem für den Staat so wich tigen Ansehen dieses Standes wäre eS ein für alle Mal vorbei. Die Erklärung deS Herrn Scklüter ist also von weittragender Bedeutung und man kann überzeugt sein, daß ie von Polen und Socialdemokraten und sonstigen Reichs- eindrn gehörig auSgebeutet werden wird. Unter diesen Um- tänden muß man von dem preußischen Justizministrr erwarten, daß er Remedur eintreten läßt, und zwar vor der Oeffentlichkeit. Wir wollen gewiß nicht die Freiheit des Vorsitzenden bei Leitung einer Verhandlung eingeschränkt sehen, aber wir bekennen uns zu der Auffassung, daß die Proclamirung politischer Toclrinen nicht zu der Verhandlung gehört. Die politische Lage im westlichen Theile Central - Asiens scheint sich immer mehr zu verschärfen; be sonders Persien und Balutschistan, die vor nicht allzu langer Zeit noch als die Pufferstaaten zwischen den russischen und den eng lischen Interessensphären angesehen werden konnten, stehen jetzt, da sie den Schauplatz des Wettbewerbs beider Völker auf wirth- schaftlichem Gebiet abgeben, im Vordergründe des Interesses. Der Ausgang dieses Kampfes dürfte kaum zweifelhaft sein, da schon jetzt der persische Handel vornehmlich nach Rußland gravitirt und besonders die finanziellen Verhältnisse deS Landes russischen Einflüssen nicht fremd geblieben sind. Trotzdem scheint England keineswegs entmuthigt vom Schauplatz abtreten zu wollen, denn es plant eine Eisenbahnverbindung aus dem nordwestlichen Grenzgebiete Indiens über Ketta durch Balutschistan nach dem im östlichen Persien, hart an der afghanischen Grenze gelegenen Seistangebiet und hat die für die Bestimmung der Trace noth- wendigen Messungen bereits vollendet. Mit der Verwirklichung dieses Bahnprojectes würde England sich nicht nur neue Absatz gebiete für die indische Ausfuhr erschließen und damit in dem Wettbewerbe um die commercielle Vormachtstellung in Persien Rußland mindestens gleichwerthig gegenüberstchen, es würde auch eine neue Operationsbasis für militärische Actionen gewinnen, deren Bedeutung ernstlich in Betracht käme, zumal wenn auch der Gedanke einer Weiterführung der geplanten Verbindung durch die südlichen persischen Provinzen bis Bender Buschehr am Per sischen Golf festere Gestalt annehmen sollte. Allerdings ist dies eine Möglichkeit, mit der man in der nächsten Zukunft ernstlich kaum zu rechnen haben wird, da die der Ausführung dieses Planes entgegenstehenden finanziellen Schwierigkeiten so groß sein würden, daß ihnen England in seiner gegenwärtigen Lage kaum gewachsen sein dürfte. Daß aber England unermüdlich an der Stärkung seines Einflusses in Persien arbeitet und nament lich die Förderung seiner wirthschaftlichen Interessen im Auge behält, beweist die Thatlache, daß vor wenigen Tagen die Ver handlungen mit der persischen Regierung über die Anlaae ein--- telegraphischen Verbindung zwischen Teheran und Britisch- Balutschistan zum Abschlüsse gelangt sind. Der Draht wird von dem in der Provinz Irak Adschmi gelegenen Kaschan, auf der seit 1872 bestehenden Linie Bender Buschehr-JSpahan-Te- heran, abzweigen, die im Südosten derselben Provinz gelegene industriereiche und als Hauptstationspunct mehrerer großer Handelsstraßen bekannte Stadt Jesd berühren und über Kirman und Bampur, den Hauptstädten der gleichnamigen Provinzen, bis Kelat geführt werden. Wie es nach dem Vorstehenden scheint, ist England willens, das erfolgreiche Vordringen des russischen Einflusses in Mittel-Asien, besonders die Fertigstellung der trans kaspischen Eisenbahn, durch Maßnahmen ähnlicher Art zu para- lisiren und mit allen verfügbaren Kräften in den Kampf um den wirthschaftlichen Vorrang in den genannten Gebieten einzutreten. Auch für D e u t s ch l a n d, das von Bremen aus eine Dampfer linie nach Buschir und in dieser Hafenstadt seit 1898 ein Konsulat unterhält, dürfte der Verlauf dieses Wettbewerbs Rußlands und Englands nicht wirkungslos bleiben und deshalb, besonders so weit die unter deutscher Führung zu bauende Bagdadbahn in Frage kommt, mit Interesse verfolgt werden. ZUM Attentat auf Mac Kinley. Folgende neue Telegramme liegen vor: * Buffalo, 9. September. Gestern Abend gegen 5 Uhr tbeilte Marc Hanna mit, daß Mac Kinley de: klarem Bewußtsein, und seine Stimmung gut sei. Weiter wird berichtet: Obwohl Mac Kinley zuerst einige Stunden nach der Thal frei von Schmerz gewesen sei, habe er doch später erheblich gelitten und in bewußtlosem und halb bewußtlosem Zustande gestöhnt, als läge er in Agonie. Wenn er jedoch wieder zum Bewußtsein gekommen sei, habe er sich sehr brav gehalten und keme Zeichen von Schmerz geäußert. — Ein hervorragender Arzt, Burney, hat, Feuilleton. Arbeit. Von Eva Treu. Nachdruck verdctrn. Der Vormund, ein einfacher, bedächtiger Mann, brauchte einige Zeit, bis er sich in der Sache zurechtgefunden hatte. Indessen hatte «r nun nachgerade Einblick genug in die Verhältnisse ge wonnen, um sich klar darüber zu sein, daß cs allerdings wünschens- werth für sein Mündel sei, den eigenen Lebensunterhalt selbst erwerben zu können, wenn nicht Mutter und Tochter sich ent schließen konnten, wie bisher ein gemeinsames Leben zu führen, denn Christian Ohle's Vermögen erwies sich als noch mehr zu sammengeschmolzen, als es anfangs den Anschein gehabt hatte. Wenn man denn nun mit der Zeichnerei, was ec sich freilich nicht recht vorstellen konnte, wirklich etwas verdienen konnte, wie Or. Lukas behauptete, und wenn denn, wie es schien, die Life wirklich Talent dafür hatte, war's wohl am besten, ihr den Willen zu lassen. Ein Anrecht auf die Auszahlung ihres kleinen Erbes hatte sie ja ohne Frage, und kurz und gut, der Vormund willigte, nachdem er viel Uber die Sache hin und her geredet hatte, ein. Handelte es sich doch ohnehin nur um eine kurze Zeit, denn nach erfolgter Mündigkeitserklärung stand es ja Life frei, zu thun, was sie wollte. Auch Frau Susanne nahm die Sache keineswegs tragisch, so bald sie begriffen hatte, daß es sich nicht um eine vollständige Auskehrung des Vermögens der Stieftochter, sondern vorläufig nur um deren kleines mütterliches Erbe handelte. Im Gegen- theil, athmete sie erleichtert auf bei der Aussicht, die schwer- müthigen Augen, in denen ihr immer etwas wie ein Vorwurf zu liegen schien, der sie erboste und empörte, nicht mehr sehen zu müssen. Life hatte ihr nach ihrer Meinung überall im Wege ge standen, es war ihr recht, wenn sie ging und nicht wiederkam. Denn Frau Susanne dachte nicht daran, ihr Leben künftig zu vertrauern. Der gute Christian war nun einmal todt und nicht wieder lebendig zu machen. Sie wollte ein Jahr lang an ständig ihr schwarze? Kleid um ihn tragen, aber nachher sich ihres Lebens freuen. Was konnte es nützen, immer zu weinen? Dabei aber auf Schritt und Tritt die dunklen Augen auf sich ruhen zu fühlen, das konnte sich Frau Susanne nicht als Annehmlichkeit vorstellen. So schieden denn die beiden Frauen, kalt, wie sie neben einander hingelebt hatten, ohne den leisesten Wunsch, künftig wieder Eine der Anderen Weg zu kreuzen, und wären nicht die beiden Gräber auf dem Kirchhof« gewesen, nicht die schönen, stillen Waldpfade und nicht die Erinnerungen, die sich trotz Allem an das Vaterhaus knüpften, Life wäre ganz ohne Schmerz aus der Heimath geschieden. Dann war es ganz überraschend, zu sehen, was gleich die nächsten Monate aus ihr machten; es war, als erwachte sie jetzt eigentlich erst zum vollen Bewußtsein. Zuerst zwar schlug das neue Leben fast überwältigend und betäubend über dem verträumten und verschüchterten jungen Ge schöpf zusammen. — Life war im Begreifen immer etwas schwer fällig gewesen, und hier stürmte so viel Neues auf sie «in, daß sie zuerst förmlich erschrak. Dann aber, als sie erst einmal be gonnen hatte, ihren Weg zu sehen, ging sie ihn auch ruhig und sicher. Mit feinem Instinkt fand sie unter den tausend Bildungs mitteln der Großstadt diejenigen heraus, die ihrer Eigenart entsprachen und deren Vortheil« sie im Stande war, sich anzu eignen. Mit dem ernsten, stetigen Pflichteifer, der sie schon als kleines Schulmädchen ausgezeichnet hatte, that sie ihre Arbeit. Und wie diese Arbeit sie freute! Wie sie es empfand, daß sie gerade das ergriffen hatte, worin sie mit der Zeit einmal etwas leisten konnte! In diesem einen Dinge lernte sie mit einer Leich tigkeit, die gegen ihre sonstig« Art, sich zu geben, sonderbar abstach. In freien Stunden besucht« sie Museen und Ausstellungen. Sie hatte nie Gelegenheit gehabt, wirkliche Kunstwerke zu sehen, und dieselben erfüllten sie jetzt mit einer scheuen, vorläufig noch etwas verständnißlosen Ehrfurcht. Aber nie kam ihr der Gedanke, daß sie Aehnliches leisten möchte. Nicht die eigentliche Kunst, sie begriff es mit einer für ihr Alter ungewöhnlichen Selbsterkenntniß, sondern das Kunsthandwerk war das Feld auf das sie gehörte. Etwas Spilles und Ernstes blieb an ihr, das lag nun einmal in ihrer Natur, aber die dunklen Schwermuthkschattrn wichen all. mählich auS den grauen Augen, ein wenig mehr von Woche zu Woche, je mehr diese Augen lernten, daS Leben um sie her zu verstehen. Eine mitteilsame und anschmiegende Mitschülerin wurde sie nicht, dennoch kam nach und nach daS, WaS ihr immer aefehlt batte, eine stille Freudigkeit über sie, und viele der Anderen sahen mit Respect auf sie, auf ihren rastlosen Fleiß, ihren nie ermüdenden Lerneifer, ihr schöne- Talent und ihre anspruchslose Bescheidenheit. Mit dem alten vr. Lukas wechselte sie mitunter Briefe. Die seinigen las sie immer mit großer Spannung, und jedesmal hinterher war sie fröhlicher als sonst. In der zweiten Hälfte des December feierte Life ihren Ge burtstag. Sie war jetzt einundzwanzig Jahre alt und von nun an mündig — Herrin ihrer Handlungen. Am Abend dieses Tages saß sie noch spät, um einen Brief zu schreiben. Er wurde ihr offenbar nicht ganz leicht, denn immer wieder durchlas sie das Geschriebene, zerriß den Briefbogen und fing aufs Neue an. Es mußte sich um etwas handeln, wofür sich schwer der richtige Ausdruck finden ließ. Endlich aber mußte es ihr doch ungefähr geglückt sein, denn wenn sic auch beim aber maligen Durchlcsen noch ein etwas unsicheres Gesicht machte und die Augenbrauen leicht zusammenzog, so faltete sie doch das Schriftstück endlich zusammen, couvertirte und adressirte cs. Der Brief aber lautete so: „Sehr geehrter Herr Reimund! Diesen Brief erhalten Sie von Berlin aus, wo ich mich seit Anfang October aufhalte. Ich besuche hier die Frauen-Kunst- gewcrbeschule und habe an meiner Arbeit sehr viel Freude. Es ist für mich, als hätte ich ein ganz neues Leben begonnen, seit ich weiß, daß ich, wenn ich nur fleißig sein will, ein tüchtiger Mensch werden kann und arbeiten darf, wie cs meiner Veranlagung entspricht. Denn ich habe mich bis dahin immer sehr einsam und über flüssig in der Welt gefühlt. Meine liebe Mutter habe ich schon vor vielen Jahren verloren, und mein Vater, um den ich noch trauere, hatte immer wenig Zeit für mich. Meine Stiefmutter und ich aber sind sehr verschieden geartet, und darum war ich viele Jahre recht verlassen. Und nun ist es anders geworden. Ich weiß, wozu ich da bin, und dafür habe ich Ihnen zu danken. Denn Sie haben mich überhaupt erst auf den Gedanken gebracht, hierher zu gehen. Es hatte nie vorher Jemand von solchen Dingen zu mir ge sprochen. Heute bin ich mündig geworden, und ich darf nun frei über das verfügen, was ich thue und waS ich besitze. Darüber freue ich mich sehr. Wenn ich mir einmal selbst nicht rathen kann, will mir Herr Dr. LukaS helfen, der es sehr gut mit mir meint. Nun wollte ich Sie um etwas bitten. Von meiner verstorbenen Mutter habe ich ein kleines Ver mögen geerbt, da» ich von heute an verwenden darf, wie ich will. Diel ist eS nicht, aber es ist doch weit mehr, als ich brauche, bis ich auSgelernt habe. Or. Lukas sagt, daß, wenn ich sparsam lebe, ich nicht einmal die Hälfte verbrauchen werde. Wenn ich aber ausgelernt hab«, hoff« ich, mir selbst meinen ausreichenden Unterhalt zu erwerben, denn meine Lehrer sind zufrieden mit mir, auch besitze ich von meinem Vater her noch etwas mehr, was ich nur jetzt noch nicht bekommen kann, so daß ich ganz gewiß nicht in Noth gerathen werde. Darum können Sie ganz ruhig Ja zu dem sagen, um was ich Sie jetzt bitte. Ich weiß doch, wie gern Sie Musik studiren wollen, und daß Sie es nur unterlassen müssen, weil' Sie kein Geld haben. Ich aber habe an mir selbst erfahren, wie traurig es ist, wenn man sich sein Leben nicht so einrichten darf, wie man gern will. Darum möchte ich Ihnen so gern helfen und bitte Sie recht freundlich, die andere Hälfte meines Geldes zu nehmen, die ich für meine Lehrzeit nicht braucht, und davon Ihre Musikstudien zu bezahlen. Or. Lukas, mit dem ich darüber gesprochen habe, Weil ich nichts davon verstand, sagt, es ist genug. Denn er meint, ein Mann könne in mancher Weise noch sparsamer leben, als ein junges Mädchen, wenn er wolle, so daß Sie auch mit dem Gelde reichen würden, wenn Sie längere Zeit brauchen, als ich, was gewiß der Fall sein wird, weil Sie ja ein Künstler werden wollen und darum so sehr, sehr viel lernen müssen, viel mehr als ich. Ich freilich lerne auch nicht nur zeichnen, sondern noch manche andere Dinge, die zum Kunstgewerbe gehören. Sie dürfen nicht böse darüber sein, daß ich mit Herrn I)r. Lukas davon gesprochen habe. Er ist sehr klug und sehr gut, und ich mußte Jemand fragen, weil ich selbst von diesen Dingen zu wenig wußte und zu meinem Vormund kein rechte» Vertrauen fassen konnte. Ich habe Herrn I)r. Lukas Alles gesagt, was Sie mir über Ihre Vergangenheit erzählt haben, und er hat sich, weil er e» durchaus wollte, nach Ihnen erkundigt, auch bei Ihrem jetzigen Chef. Ich fand nicht, daß dies nöthrg wäre, aber er wollte e» so, und nun freut mich selbst, daß er es gethan hat, denn nach dem er die Erkundigungen einoezogen hatte, hat er mir nicht mehr abgerathen, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Bitte, sehr geehrter Herr Reimund, machen Sie mir die große Freude, Ihnen ein wenig helfen zu dürfen, wie Sie mir geholfen haben! Herr Or. Lukas sagt, ich sollte Ihnen schreiben, daß, wenn Cie dies lieber wollen, Sie daS Geld als geliehen betrachten und mir später einmal zurückgeben können. Halten Sie S damit, wie Sie wollen, und machen Sie sich keine Sorge, wenn Sie es vielleicht lange nicht zurückrrstatten können; ich habe Ihnen ja schon geschrieben, ich habe für mich so viel, wie ich brauche. Ich würde überhaupt gar nichts davon erwähnt haben, wenn nicht Herr vr. Luka- eS für besser gehalten hätte. Hochachtungsvoll Elisabeth Ohle."
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