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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.09.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010919028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901091902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901091902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-09
- Tag1901-09-19
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Hay und Long bleiben aus Wunsch des Präsidenten in Washington, weil der Präsident glaubt, daß einige Eabinets- mitglieder hier anwesend sein müßten. ES verlautet aus guter Quelle, alle Mitglieder des Cabinets hätten die Wiederernennung für ihre Aemter, die ihnen Präsident Roosevelt gestern angeboten hatte, angenommen und seien bereit, ihn mit Einsetzung oller ihrer Kräfte bei der weiteren Durchführung der Politik Mac Kinley's zu unterstütze». * kanton (Ohio), 18. September. Tausende strömten vom frühesten Morgen an der Stadt zu. Der Zug mit der Leiche Mac Kinley's traf Mittag hier ein. Bereits viele Meilen vor Canton stand die Bevölkerung an der Eisenbahnlinie und erwartete in schweigender Trauer den Zug. Als Frau Mac Kinley den Zug verließ, war sie so überwältigt, daß sie iu einen Wagen gebracht wurde, der sie nach Hause fuhr. Inzwischen wurde der Sarg nach dem Hofe des Hauses Mac Kinley's gebracht. * London» 18. September. Der „Central News" wird auS Buffalo gemeldet, daß Czolgosz, als er gestern wieder dem Gerichte vorgeführt wurde, gefesselt war; er wollte Len Hut nicht abnehmen, und ein Polizist mußte das besorgen. Auf die Frage, ob er sich schuldig bekenne, gab Czolgosz keine Antwort. Der Richter Lewis, der ihn vertheidigt, plaidirte iiir nicht schuldig eventuell für Irrsinn. Lewis sagte, die Aufgabe, Ezolgosz zu Vertheidigen, widerstrebe ihm sehr. Ter zweite Ber- theidiger Titus beantragte Vertagung, damit der Geisteszustand des Angeklagten untersucht werden tönue. Die Verhandlung wurde darauf bis Montag vertagt. Czolgosz wurde auf dem Wege vom Gericht-saal zur Zell« von Männern und Frauen ausgezischt. Der Krieg in Südafrika. Tie Menschlichkeit der englischen Kriegführung in diesem Goldkrieae ist bekanntlich nach der Versicherung der englischen Staatsmänner größer, als in irgend einem Kriege jemals beobachtet worden ist. Die Beweise dafür kann man sich, schreibt die „Münchner Allg. Zlg.", leicht aus englischen Blättern selbst verschaffen. So schreibt ein Herr E. Gotdrcich aus Johannesburg an die „Times" (12. September 1901) unlerm 15. August: „In einem der zahlreichen Gefechte, welche die leichte Ncichscavallerie die Ehre hatte ihrer Nolle hinzu- rufügen (!), hatten wir das Hute Glück, einen Boeren-Feldpostineister tvdtllch zu verwunden." (Kürzer und „menschlicher" würde hier der Ausdruck des Höchstcominanbircnden, Lord Kitchener, sein: zur Strecke zu brin^eu.) „Wie gewöhnlich verloren wir keine Zeit, seine Taschen dnrchzusuchen, und entdeckten in einer Ledertasche eine Anzahl Transvaal V. R. I. „Penny und Halfpenny-Postmarkcn, auf denen das V. k. I. (Victoria liogiua Iwpercctrix) ausgestricken und dafür 2. -O L, eingesetzt war. Wir brachten ferner berauS, daß nicht über 50 Stück davon abgestempelt über See gegangen waren und diese mit denen von uns er beuteten die ganze Ausgabe vorstellten. Dagegen wollte unser Freund, der Feind, uns nicht mittheilcn, wie man zu den englischen Marken gekommen sei, aber nach einer kleinen leichten Nöthigung gab er uns die Adresse." Folgen noch einige „philatelistische" Bemerkungen. Das Ganze ist jedenfalls eine Prachtleistung englischer „Menschlichkeit" und der ihr dienenden Presse. * London, 18. September. Lord Kitchener telegraphlrt aus Pretoria: Am 17. d. Mts. wurde eine Patrouille der Garde- grenadiere unter Leutnant Rebow auf einer Farm in der Nähe von Reit Siding an der Linie De Aar-Naauwport umzingelt und nach hartnäckigem Widerstande gefangen genommen. Leut nant Rebow und ein Mann wurden getödtet, zwei schwer ver wundet. Ein Sergeant ertrank bei dem Versuch, über Len Fluß zu gelangen, nm Hilfe herbeizuholen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. September. Die „Tclltsche Jndustric-Zcituug", das Organ des Centralverbandes deutscher Industrieller, hat sich am Grabe Mi guel's mit einer Karre voll Steine ein gefunden. Ist dies menschlich nickt gerade schön, so ist es doch ein so gewöhnliches Tbun, daß cs sich kaum verlohnte, ein Wort darüber zu verlieren, wenn Lieie Leurtheilung des verstorbenen Staatsmannes nickt ein Bekenntniß enthielte, das Bekenntniß dessen, was gewisse Bcrtreter der Industrie vom Staate für diesen Erwerbsstanv erwarten und was sie anderen Erwerbssländen mißgönuen,beides mit Naivität oder Cyniömns. Herr von Miquel wird zunächst persönlich so schlecht gemacht, als es die Umstände nur immer erlauben, er bekommt nichts geschenkt, selbst die Organisirung hannoverscher Bauern aufstände wird ihm unter Verzicht auf alle Originalität vorgerückt, und eine Parallele mit dem Fürsten Bismarck, die sich sogar auf Körperliches ausdehnt, fällt sehr ungünstig für den weniger großen auS. Letzteres kann nicht anders sein, aber man bat es stet- als einen mehr bequemen denn vornehmen Behelf angesehen, einen Gegner mit einem Unver gleichlichen zu vergleichen. UebrigenS: die verstorbenen Krupp und Harkort waren keine die gesammte Zeitgenossenschaft überragenden Genie-, aber ist eö nicht zweifelhaft, daß ein Nebeneinanderstellen dieser Männer mit deu heutigen Größen des Centralverbandcs deutscher Industrieller einen Abstand geistiger Größenmaße ergeben müßte, über den die „Deutsche Industrie-Zeitung" sich schwerlich in Betrachtungen ergehen möchte. Dieses Blatt weiß zwar Miquel einige Vorzüge und Verdienste zuzucrkennen, im weiteren Verlause wird jedoch behauptet und gelegentlich zu beweisen versucht, baß der Verstorbene im Grunde die gegen- theilige Benrtkeilung verdiene, wenigstens vom Standpuncte der Industrie und der nationalen Gesammtbeit. Der Charakter des Sammlungspolitikers wird ihm abgesprochen, „denn er batte eigentlich nie ein Herz für die Industrie", er kielt sie für eine guantits negligerrblo, insbesondere als Finanzminister. Hier drängt sich die Frage auf: „Ist es der deutschen Industrie während der Ministerschaft und wegen der Ministerschafr Miquel'S schlecht ergangen?" Sie selbst bat die Frage ost und laut verneint, sie selbst hat einen un geahnten Aufschwung festgestellt, und den Rückgang der letzten Monate auf den verblichenen preußischen Finanzmiuister zurück- zusühren, wird selbst die „Industrie-Zeitung" nicht wagen. Die Industrie (mit dem Handel) hat allein pro-perirt und daß Johannes von Miquel dies erkannt, daß er dieser Er- kenntnlß gemäß gehandelt: dieser seiner Einsicht und Entschlossen heit bat er die zornige Grabrede in erster Reibe zuzuschreiben. Die Industrie war daS einzige gut genährte Kind in der Küche der Mutter Germania und die „Industrie-Zeitung" macht ihrem Unmuthe darüber Luft, daß eS wenigstens nicht ganz und gar dabei geblieben ist. DaS Organ des Central verbandes buckt übrigens unrichtig, wenn es Miquel den Urheber des Wortes nennt, daß die Gesetzgebung sich seit einem Menschenalter nur mit der Industrie und dem Handel befaßt habe. Dieses Wort gehört auf daS Conto Eeuard LaSker's. Dieser Manchestermann hat eS viel früher ge sprochen. Aber freilich, Miquel batte, als er es — um die Zeit seines Amtsantritts — citirte, hinzugefügt, nunmehr habe die gleiche Zeit vornekmlich den Interessen der Land- wirtbsckaft zu dienen. „Und", so fügt die „Industrie- Zeitung" grimmig hinzu, „er bat dieses Wort auch gehalten". Das Urtbeil ist schon deshalb ein zu weit gehendes, weil dem in die Regierung Eintretenden eine kaum elfjährige Wirkungsdauer beschieden war, und es ist ungerecht, weil die Miquel zugeschriebene preußische Eisen bahnpolitik eine derartige gewesen ist, daß die Industrie Reichlbümer anbäusen konnte, während die Landwirthschast trotz der in der Tbat wirksameren Förderungsmaßnabmen eben gerade ihre Existenz zu fristen vermochte. Es versteht sich von selbst, daß auch das Wirken Miquel'S für den gewerblichen Mittelstand nickt den aufrichtigen Beifall des TodtenrichterS in der „Industrie-Zeitung" findet. Aber andere Sünden drücken des Verstorbenen Waage tiefer herab. Zunächst die „zwei deutige Haltung in der Canalfrage", die aber mindesten- nicht nackgewiesen ist. Weiler wird „beiläufig" bemerkt, aber offenbar für sehr schwerwiegend und Miquel'S Unwürdig keit unwiderleglich beweisend gehalten, daß in Miquel'S Heidelberger Programm, in dem eine größere Berück sichtigung der Arbeiterbevölkerung angckündigt war, die Anfänge des Nationalliberalismus Bassermann'jcher Färbung zu erblicken sein „dürften." Tie Hauptsache aber ist — und das zieht sich wie ein rotber Faden durch die ganze lauge Nachrede — die preußische Finanzreform, die Be messung der directen Steuerleistung nach der Tragkraft des Einzelnen, die Sclbsteinsckätzung, die Vermögenssteuer! Dem Münchlein und dem Knechte nackznweinen, überlassen die Herren den Aebten und den Junkern, aber das alte ge schmeidige preußische Steuerrecht, die schöne Bochumer Em- schätzungSpraxi«: das genommen zu haben, konnten und können sie Miquel nicht verzeihen. Die ganze Be trachtung verräth eine geradezu erschreckende Einseitigkeit in der Auffassung der Gruppeninteressen, so daß es angesichts der zvllpolitiscken Aufgaben ein Trost ist, sich sagen zu dürfen, die „Deutsche Industrie-Zeitung" sei nickt der Eeutralverband und der Centralverband sei nicht die deutsche Industrie. Diesen Unterschied werden freilich die Agitatoren deS Bundes der Landwirthe nicht macken; sie werden die Einseitigkeit der „Deutschen Industrie-Zeitung" der gesammten deutschen Industrie zur Last legen und im Stillen dem Himmel danken, daß er ibnen aus dem feind lichen Lager heraus ein so prächtiges Agitationsmittel zur Aufstachelung der Landwirthe in die Hände geliefert hat. Ein Brief aus dem Reicks lande, der augenscheinlich von bestunterrichteter Seite kommt, wird im zweiten Sep- temberheste der „Deutschen Stimmen" veröffentlicht und gicbt nachträglich höchst interessante Aufschlüsse über den Rücktritt des Staatssekretärs v. Puttkamer. Wir sind in der Lage, aus dem Briefe Folgendes zu veröffentlichen: „WaS den zurückgetretenen Staatssekretär anbetrifft, so hat dessen langjährige Geschäftsführung in den wiedereroberten Provinzen jeden- sallr vor der Geschichtschreibung daS Anrecht auf eine gerechte und unparteiische Beurtheilung. Puttkamer war, dagegen läßt sich nichts sagen, ein Mann, der in seiner Bildung und Sachkenntniß der Tüchtig keit Les höheren deutschen BeamtenthumS alle Ehre im cht». Rednerisch gewandt, angenehm in den Umgangssormrn, arbeitskräftig, allseitig begabt, hat Puttkamer, der mit der Zeit all« kleinsten persönlichen und sachlichen Fragen der reich-ländischen Verwaltung beherrschte, jedenfalls rin gewaltige« Stück RegierungSarbeit geleistet, da« nach vielen Seiten hin dem Lande zum dauernden Segen gereichen wird und bei den verschiedenen Faktoren, die im Reichslande stet« mit- zuregieren bestrebt sind, nicht immer leicht Lurchzuführen war. Ter pommersche Junker hat im süddeutschen Staatswesen eine Geschicklich keit und Geschmeidigkeit an den Tag gelegt, die bei der Bevölkerung schließlich ganz seinen nordischen Ursprung vergessen machten. Aber bei all' Liesen großen Vorzügen, die der „kleine Puttkamer" der Schützling Bismarck'- und des Reichskanzler- Hohenlohe, ouf- wieS, war doch eben bei ihm rin Tardtnalfehler vor handen, der aus feine ganze Thätigkeit einen dunklen Schatten wirft und ihn verhinderte, seinem Thun einen großen einheitlichen Gedanken zu Grunde zu legen. Puttkamer war persönlich nicht unabhängig. Seine privaten Verhältnisse hatten viel von sich reden gemacht und dies benutzten die Klerikalen, um schließlich ihren geborenen Gegner gefügig zu machen. „Wenn der Herr Puttkamer nicht nach giebt, werden wir gezwungen werden, unsere Mappe zu öffnen", war eine ständige Drohung der klerikalen Presse, und diesen Drohungen opferte schließlich der Minister manch wichtige- Etaat-interrsse. ES wäre ungerecht, wollte man Puttkamer allein das An wachsen der klerikalen Macht im Elsaß während den letzten zwanzig Jahren zuschreiben. Dabei wirkten andere Kräfte und Ur sachen mit, denen auch der thatkräftigste Minister nicht gewachsen gewesen wär». Wenn in einer der srühkr liberalsten Provinzen de« französischen Staate- heute bei Wahlen der Klerikalismus Trumpf ist, wenn das Reich-land sich einer klerikalen Press« erfreut, die an Zahl der Blätter und Gehässigkeit de- Inhalts ihres Gleichen sucht, wenn die Schule daselbst in ihrer Fortentwicklung durch die Priesterschaft gehemmt wird, wenn allenthalben bis vor den Thoren der alten protestantischen Hauptstadt Klöster entstehen, so haben Andere als nur Puttkamer das Ihrige dazu beigetragen, und ein Stückchen Schuld davon dürste aus den sonst so correct befundenen Reichskanzler Hohen! ohe fallen. Aber in Len letzten Jahren häuften sich Loch solche Vorkommnisse, bei welchen man sagen mußte: hier wäre eS Sache des Staatssekretär- gewesen, die Bremse einzufetzen. In der Frage der Einschränkung der Zahl der Gymnasien und Realschulen trifft Puttkamer jedenfalls die Hauptschuld. Ta hat er sich aus Furcht vor den Klerikalen von dem Programm der 70er Jahre, Las Reich-land durch die Schule kulturell zu heben, wegdrängen lassen, und hat in die Consequenz der deutschen Berwaltungspraxis eine Scharte geschlagen, die nicht leicht wird ausgewetzt werden können. Ein quos ego des Ministers wäre damals am Platze gewesen, da die Klerikalen mit Freuden zu Gunsten ihrer Priesterschulen die Vernichtung der verhaßten deutschen Gym- Themis im Gebirge. Zwei Erzählungen aus dem Allgäu von Arthur Achleitner. Nachdruck »erdeten. An» Lohbach. Dumpfer Lärm tönte aus der Lohstampfe, einer Art Mühle zur Erzeugung von Gerberlohe, Vie nebst einem Wohnhaus« am Ufer des schnell durch das Berggelände fließenden Baches stand. Die Stampfe war in voller Thätigkeit, das Ausstößen der Stampfhölzer in die Rindenmassen erzeugte ein dumpfes Dröhnen im regelmäßigen Tact, und das schlechtzeölie Triebrad quietschte dazu. Diesen Lärm übertönte «ine schrille Frauenstimme, deren Keifen wohl im ganzen Anwesen zu hören war. Am Mühlufer staud die Lohmüllerin Walburga Hinterstoißer, eine rundliche, klein« Person mit üppigen Körperformen und arg-scharfem Blick, zu welch' letzterem die wicht minder scharfe Zunge und das schrille Organ, eine richtige kanthippenstimme, so gut paßte, daß man in der ganzen Berggcgend die Lohmüllerin nicht anders als die „hantig« Wab'n" (scharfes Weib) nannte. Eben rüffelte die Lohmüllerin den Gatten, einen gutmüthigen Mann von etwa 85 Jahren mit wahrhaftigen Kinderaugen: „Eine Schänd ist's, ein Spott, wie das Mühlwerk im Gang ist! Sein eigen Wort hört man nicht vor lauter Krächzen der Räder! Du wirst im ganzen Leben kern richtiger Müller! Ich hätt' 's nur ehnder (früher) wissen sollen!" „Na, na, sei nur wieder gut, Wally! Nach dem Feierabend soll der Franz! dir Radachs« einölen, dann ist ja Alles wieder in Ordnung!" „Keinen Schein! Der Knecht hat Anderes zu thun! Du willst Dich nur von jeglicher Arbeit drücken! Wer sein Mühl werk nicht im Gang haltet, bleibt ein lüderlicher Mensch! O, war ich dumm, daß ich Dich zum Lohmüller gemacht hab'! Di« größte Dummheit meines Leben? war diese Heirath!" „Aber Wally! Schau, wegen dem bissel Oäl "-achst jetzt ein Aufsehen und Wesen, als wär' «in Mordsungl k geschehen!" „Red nicht so dumm daher! Lauft ein Mühlwerk heiß, sitzt der rothe Hahn auch schon auf 'm Dach! Aus Dir, ich sag's noch- mak, wird kein ordentlicher Müller!" Trocken erwiderte der gutmüthige Gatte: „Na, ein Loh stampf' ist allweil noch keine Mahlmühl', und so gefährlich wird es kaum werden. Damit aber 's Zanken ein End' findet, werd' ich 's Rad einstellen und die Achs' gleich schmieren!" „Untersteh' Dich! Wir haben keine Zeit zu verlieren, das Werk muß gehen bis zum Feierabend! Jesses, wenn ich nicht allweil hinterdrein wäre: Verhungern müßten wir allsammt! O, bin ich «ine geschlagene Person mit Dir!" „Na, so laß' Dich halt scheiden! Sell ist ja modevn jetzt!" Die Anne in die Hüsten stemmend, wetterte dir zungenfertige Müllerin: „Das paßt' Dir halt, das glaub' ich! Aber aus dieser Speculaiion wird nichts, solche Gedanken blas' Dir nur aus 'm Schädel! Du speculirst blos auf eine Hinauszahlung, weil ich so dumm war und hab' «inen Eheveckrag gemacht!" Der gutmüthige Müller war nun doch etwas ärgerlich und sagte: „Red' doch kein solches Blech! Wir haben Gütergemein schaft verbrieft, von einer Hinauszahlung bei einer Scheidung kann keine Red' sein!" „Ich weiß schon: Du speculirst auf meinen Tod un'd möchtest nachher sell« Almerin heirathen und in's warm« Nest setzen! Meinst vielleicht, ich hab's nicht erfahren?" „Was hast denn ausgeschnüffelt?" „Thu' nicht so scheinheilig! Ich weiß ganz genau, daß Du eine langmächtige Gspusi (Liebschaft) mit der Almerin Leni von der Hinteralm g'habt hast!" „Na ja, das wird wohl kerne Sund' nicht sein! Und seit ich Dir angetrant bin, hab' ich doch kein« Weibsperson mehr ang'schaut!" „Das würd' ich Dir auch nicht rathen, Sepp! Um Deine Augen wär's geschehen! Uebrigens lieget mir nix daran, ich hab' Dich ja nur genommen, weil es geheißen hat, Du wärest ein fleißiger Arbeiter, der's Anwesen in Ordnung hält!" „Recht freundlich von der Lohmüll-erin! Also bin ich nichts weiter, als ein angeheiratheter Knecht!" „Jawohl, nix Anderes! Gehabt hast' nix! Mit was bist denn aufgezogen in mein Anwesen? He? Dein« ganze Sach' hat in einem Schneuztüchel Platz gehabt! Ausstaffiren hab' ich Dich müssen! Und jetzt ist der Nothniggel 'rausgefu-t'kert, wie ein guigehabertes Roß. ater von der Arbeit spürt man nixen. Der Dach' mach' ich ein End' und das bald! Hast mich verstanden?!" „Da bin ich aber schon neugierig!" „Dein Essen muß abverdient werden, ich werd' Dir von morgen ab die Arbeit für jeden Tag angeben. Na freu' Dich, wenn Du mit der Arbeit hinten bleibst! So, und jetzt stellst's Rod ab und schmierst die Achs' ein!" Ein Blick, spitz und scharf, wi< ein« Dolchklinge, verstärkt« die resolute Rede, dann schritt die Lohmüllerin in's Wohnhaus, um den Dirnen flinke Vein« zu machen. Sepp seufzte in Gedanken an seine ledige Zeit der Unab hängigkeit und goldenen Freiheit, die freilich Alles, nur kein Gold hatte, und vollzog den Auftrag. Wie schön war jene Zeit der Liebe und Hoffnung, wie lieb die Leni, aber wenn der Mensch nichts besitzt als seine geraden Glieder, und nichts ist als ein einfacher Zumüller, und wenn der Schatz sonst nichts besitzt, als die Lieb' zum Burschen und «das Vevtrauen auf Gott, dann laugt es halt nicht zum Ehebund, denn Null und Null giebt niemals einen Einser. Der Sepp war aber schon in der Taferlschule ein guter Rechner und zwei Aepfel waren ihm stets lieber als keiner. Der Mensch kann aber nicht immer nur ein Zumüller bkiben mit einem einzigen rupfen«n Pfoad (Hemd) und muß trach-en, in die Höh' zu kommen. Und dazu bot sich ein« Gelegenheit, wie man nicht leicht eine zweiie findet, die Gelegenheit, in die Stampf mühle einzuheirathcn, nachdem die Wally das Trauerjahr um den verstorbenen Lohmüller eben absolvirt hatte und geneigt war, einen zweit«» Gatten zu nehmen. Da hieß es zugreifen, die günstige Gelegenheit beim Schopf packen und die Leni laufen lassen. Wi« es ruchbar wurde, daß der Sepp bei der Loh müllerin balzt, wußten die Dorfbu-rschen wohl dergleichen zu reden, daß die resolute Wittib ein Maul wie rin Schwert habe und der Verstorbene ein Pantoffelheld gewesen sei, der Gott für die endlich erlangte Ruhe im Grabe danken werde; aber Sepp hatte nur gerechnet und all« Warnungen in den Mnd geschlagen. Ihm glückte es, 'den Ehevevtrag durchzusetzen, eine schlau« That, die ihm für den Fall eines früheren Ablebens der Müllerin den Besitz der Stampf« sichert. Daß die resolute Wally auf solchen Ehevertrag einging, wunderte den Sepp eigentlich selber; die Müllerin war aber bereits hitzig auf den feschen und -dabei selten gutmüthigen Burschen, den zu unterjochen geradezu Genuß zu verlheißen schien, und so that ihm die Wittib den Gefallen, zumal aus erster Ehe keine Kinder vorhanden und auf di« Verwandt schaft keinerlei Rücksichten zu nähmen waren. Die Rechnung stimmte, die Trauung erfolgte, und -etliche Stunden später wußte der glücklich« Lohmüller, daß die Einheiratherei «ine verflixt zweifelhaft« Sache sei und die Müllerin das Commandiren aus dem ff versteht. Nicht einmal einen billigen Bierrau-sch du-rfte der Hochzeiter am Ehrentag erwerben. Scharf hieß es: „Von meinem Geld wird nichts versoffen!" Sepp mußte sich fügen, da er keinen Thaler fern eigen nannte, ja nicht einmal die Trauungskosten aus eigener Tasche hätte bezahlen können. Das Hochzritsmahl fand in schlichten Ehren im engsten Kreise statt, ganz gegen allen Brauch im Gebirge, und wurde von der Müllerin mit dem Hinweis morivirt, daß schon das erste Mal für das Mahl viel zu viel Geld nutzlos ausgezeben worden sei, und solche Kosten um so leichter erspart werden könnten, als der Neu- ausziehcnde ein „armer Schlucker" sei und nichts in's Haus bringe als seine arbeitskräftig«» Arm«. Das Alles hatte die Lohmüllerm ungenirt am Schluss« des Hochzeitsmahles offen aus gesprochen, den jungen Gatten beim Arme gepackt u-nid hübsch nüchtern nach Hause geführt. Für weiteren Gesprächsstoff in der ganzen Umgegend brauchte Sepp nicht zu sorgen. Fast ein Jahr hindurch wagte der Einge- heirathete es nicht, sich im Wirthshause sehen zu lassen, so fshr schämte er sich, er mied auch den Kirchgang, nur, um mit Nie mandem in Berührung zu kommen. Und als der Pfarrer wegen Vernachlässigung der Christenpflicht den Lohmüller citirte, ließ Sepp sich krank melden und bekam dadurch für eine Weil« Ruhe. Die Arbeit im Stampfwerke war gethan, das Mühlrad rauschte -wieder, dumpf dröhnten die Stoßbalken. Sepp verließ die Stampfe und wollte eben das Sträßlein, welches zwischen dem Werk und dem Wohnhause hindurchz-zg und zum Bergwald hinanführte, überqueren, als zu seinem Schrecken der Pfarrer des nahen Dorfes auftauchte und sogleich den Lohmüller airrief. An ein Ausweichen war nimmer zu denken, jetzt heißt es Rede stehen. Doch eines kann vielleicht noch vermieden weiden: die Dazwischenkunft der Müllerin, und in dieser Absicht lief Sepp dem Pfarrer entgegen, und bugsirte den Ueberraschten um die Ecke des Stampfgebäudes, so duß die Männer vom Wohnhause aus nicht bemerkt werden konnten. „Was soll denn das heißen?" rief, einigermaßen ob solcher Behandlung erbost, der Pfarrer, „geht man so mit einem Geist lichen um?" Beschwichtigend erwiderte Sepp: „Sern S' nur gnad' froh, Herr Pfarrer, daß Ihnen die Müllerin nicht gesehen hat, sonst setzt es was ab!" „Wo bleibt der schuldig« Resprot?!" rief nun wirklich zornig der Pfarrer. „Sein S' nur gut, H«rr! Ich hab' Ihn ja den Respect, aber bei der Müllerin können S' nicht durch, die hat die Hosen an, und das wie!" „Was scheret mich die Müllerin! Ich bin der Pfarrer und komm« in dienstlicher Angelegenheit! Ich werde mir die schul dige Achtung zu verschaffen und Euch zu bestrafen wissen!" „Alles recht, Herr Pfarrer! Schauen S' aber nur, daß Sie der Müllerin nicht in die Händ' laufen, sonst erleben S' was!" „Bist Du denn ein Mann? Wer wird sich vor dem Weib so fürchten und einschüchtern lassen?!"
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