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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.09.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010923026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901092302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901092302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-09
- Tag1901-09-23
- Monat1901-09
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Abend-Ansgave Druck uud Verlag vou E. Pol» m Lel-»l^ Jahrgang, Montag den 23. September 1901. Nr. 486 nMgcr.TaMalt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes «nd Malizei-Ämtes -er Ltadt Leipzigs Bezugs »Preis ß» der Hauptexpeditton oder den i» Stadt- bezirk uud deu Bororten errichtete» LuS- gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4 50, bet »weimaliger täglicher Zustellung in» Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland a. Oesterreich: vterteljährl. X ». Maa abonnirt ferner mit entsprechendem Postausschlag bet den Postanstaltrn in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem- Surg, Dänemark, Schweden uud Norwegen, Rußland, den Douaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di» Expedition diese» Blatte» möglich. Die Morgen-Slu-gabe erscheint um '/,? Ubr, di« Abend-Ausgab» Wochentag» um 5 Uhr. Lrdaclion und Lrprditiou: JohanniSgaffe 8. Filialen: Alfred Hahn norm. O. Klemm'» Sortim. 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September: „Die heute ablaufende Woche ist «ine Unglückswoche für Eng land gewesen, und die Engländer werden von ihrem alten Pech verfolgt, indem wieder einmal eine Niederlage auf die andere folgt und die Verluste an Menschen und Kriegsmaterial unheim lich hol)« Ziffern rcpräsentiren. Nicht genug mit dem Verlust von drei Geschützen, welche Louis Botha dem Brigadier Gough am Bloodriver abnahm, mußte Lord Kitchener neuerdings in einer sehr verdrießlich gehaltenen Depesche dem Londoner Kriegs amte melden, daß noch weitere zwei Feldgeschütze verloren ge gangen seien. Dieselben gehörten der „Royal Horse Artillery", also der englischen GardeÄrtillerie, die in dem südafrikanischen Feldzuge schon vielfach Malheur gehabt und bis heute im Ganzen nicht weniger als 16 Kanonen verloren hat. Lord Kitchener, der wie gesagt, den unangenehmen Vorfall mit tiefem Aerger zu em pfinden scheint, ist bis jetzt nicht im Stande, nähere Details über diese neue englische Niederlage zu melden und berichtet nur, daß die betreffenden beiden Kanonen unter Bedeckung einer Com pagnie berittener Infanterie von Waterworks in der Richtung auf Blakfontein im Transvaal auf Recognoscirung vorrückten und bei letztgenannter Stadt von den Boeren mit Üebermacht ange griffen wurden. Der Kampf muß nur ein sehr kurzer gewesen fein, und die ganze britische Abtheilung wurde gefangen ge nommen. Die Moral dieser neuesten britischen Schlappen und empfind lichen Verluste ist, daß auf Seiten der Engländer immer noch die alte Oberflächlichkeit im Sicherunqs- und Äufklärungsdieust vor handen ist und daß die britischen Truppen nach wie vor trotz aller trüben Erfahrungen nicht im Stande zu sein scheinen upd immer noch nicht genug gelernt haben, um sich gegen derartige Ueber- raschungen gebührend zu schützen. Außerdem wird hierbei die Thatsache mitsprechen, daß die Kriegsmüdigkeit und Erschlaffung auf Seiten der britischen Feldarmee so ziemlich die äußersten Grenzen des Erträglichen erreicht haben, so daß sie sich an scheinend schon längst im Zustande der Gleichgiltigkeit befinden, da sonst die commandirenden Officiere unmöglich immer und immer wieder dieselben kläglichen Fehler und verderblichen Jrr- thllmer begehen könnten und würden. Das Lamento in der englischen Presse über die letzten Siege der Boeren und entsprechenden Niederlagen der britischen Truppen ist natürlich laut und bitter, und aus Seilen der Jingos wird ebenso natürlicher Weise das Verlangen nach rücksichtslosen dra- konischen Maßregeln, welche den Widerstand der Boeren schleunigst brechen sollen, gerade jetzt wieder besonders lebhaft. Die liberalen und radicalen Blätter benützen die Gelegenheit, um dem eng lischen Volke und seiner Regierung neuerdings die Brutalität und Verderblichkeit des südafrikanischen Raubkrieges vor Augen zu führen. Die Regierungsblätter, wie „Standard" und „Daily Telegraph", ergehen sich in äußerst erbitterten Betrachtungen über di« entsetzlichen Opfer, welche durch die Hartnäckigkeit der Boeren dem Lande auferlsgt werden, und sic rathen der Negierung eben falls aufs Neue die energischste Durchführung der in den ver schiedenen Proclamationen angedrohten Gewaltmahregeln an. Auf jeden Fall hat man sich im britischen Hauptquartier und im London«« Kriegsamte wieder einmal davon überzeugen können, daß dir Boeren und speciell Louis Botha noch sehr wohl im Stande sind, in durchaus correctrr und regulärer Weise Krieg zu führen und die englische Ansicht von der sogenannten Guerilla- kriegsführung auf Seiten der Boeren einfach Lügen zu strafen. Uebrrdies hat Botha die englischen Gefangenen nicht, wie bis her, sofort wieder laufen lasten, sondern sie in Gewahrsam ge nommen, natürlich, um einig« Gbißeln in der Hand zu haben, für den Fall, daß die Engländer die Zeit gekommen glauben sollten, wo sie di« Weg« des internationalen Völkerrechtes voll ständig verkästen möchten, um di« Boeren zur Aufgabe des Frei- heitskampfes zu zwingen." Len neuen Boereneinfall in die Capcolonte läßt sich das Londoner Kriegsamt aus Middelburg telegraphiren, erwähnt aber in seiner Veröffentlichung nichts von d«m schweren Kampfe bei Herschel (östlich von Aliwal North), der nach unserer Privatmeldung den Engländern wieder zwei Geschütze, 43 Tovte und über 160 Gefangene und Verwundete kostete. Man sicht, wenn die Boeren Geschütz« brauchen, haben sie immer noch die Kraft, sic einfach den Engländern abzunehmen. Es kann nicht fehlen, daß dieser neueBesuch derCapcolonie dir Capholländer in größerer Anzahl als bisher zur Erhebung bestimmt, denn Kruitzinger und De Wet, die an der Spitze der Einfallscolonnen stehen, bringen die Nachricht von vier rasch aufeinanderfolgenden Siegen der Boeren mit, deren Sache also noch nicht verloren sein kann. Louis Botha. * Durban. 21. September. General Botha mit 1500 Mann und begleitet von allen hervorragenden TranSvaal-Boeren» führern befindet sich aus dem Marsch von Ermelo ostwärt» noch dem Zululand. Lyttleton befindet sich mit einer starken Streit macht in der Nähe de» Buffaloflusse». Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. September. Die Flottenmanöver bei Danzig haben an einigen Stellen die seit Jahren regelmäßig wiederkehrenden Betrachtungen über die Errichtung eines KriegShafen» in Danzig wieder aufleben lassen. Zu diesen Betrachtungen bemerkt die „Nat.-Zeitung": „So einleuchtend es auch ist, das; auf der weiten Küsten strecke von Kiel bis Memel ein völlig gesicherter und allen modernen Anforderungen genügender Stützpunkt von hohem Werth für die Flotte wäre, so fehlt >«S doch den dahin gebenden Plänen im Augenblick und Wohl auch noch auf längere Zeit hinaus an jeder aktuellen Bedeutung. Zumal die so ost erörterte Krieg-Hafen - Anlage bei Danzig hätte mit derartigen technischen und finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, daß sie augenblicklich jedenfalls an den maßgebenden Stellen nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wird. Um hier ein zweites Kiel zu schaffen, dazu fehlt es viel zu sehr an den natürlichen Vorbedingungen. Während dort die lang gedehnte Bucht die denkbar günstigsten natürlichen Grundlagen für die Sicherung der maritimen Anlagen deS inneren Hafen», der Werst rc. liefert, hat die breite Danziger Bucht einen völlig anderen Charakter. Hier würde eS schon un- geheurer künstlicher Anlagen bedürfen, um da» gleiche Ziel zu erreichen. Angesicht» der gegenwärtigen Finanzlage und der sonstigen, weit dringenderen Bedürfnisse der Wehrkraft zur See ist es selbstverständlich, daß die Erörterungen über derartige An- lagen zur Zeit nur »inen akademischen Charakter tragen. Ueberhaupt möchten wir bei dieser Gelegenheit betonen, Laß wir guten Grund zu der Annahme haben, der nächstjährige Marineetat werde sich eng an die im Flottengrsetz gezogenen Grenzen halten und wesentliche Uebrrschreitungen der seiner Zeit dem Reichstag unterbreiteten Anschläge auch dann vermeiden, wenn in Bezug auf diese oder jene Theile der nicht zur eigentlichen Schlacht flotte gehörenden maritimen Machtmittel den Anforderungen der neuesten politischen und Handels-Entwickelung Rechnung getragen wird. Der ganze Nachdruck muß bi» aus Weitere» auf den planmäßigen Ausbau der Schlachtflotte gelegt werden, wie es ini Flotten- gesetz geschehen ist und nach der Ueberzeugung der maßgebenden Kreise auch fernerhin zu geschehen hat. Soweit daneben ohne nam hafte finanzielle Opfer andere iin Interesse deS Handels gelegene Aufgaben erfüllt werden können, dürfte eine Verständigung darüber kaum schwer fallen. Weitausschauende und große Mittel crfoidernde Pläne, wie die Anlage eines neuen Kriegshasens, kommen aber gegenwärtig nicht in Frage." DaS stimmt mit unseren Informationen überein. Be fremdlich ist es daher, daß an den „akademischen" Erörterungen auch Blätter sich betheiligen, die von osficiöser Seite bedient werden. Da» sollte und könnte doch vermieden werden. Es herrscht in Folge der gegenwärtigen Finanzlage im Reiche und ihrer Rückwirkung auf die Finanzen der Einzelstaaten Unbehagen genug, das nur noch gesteigert werden kann, wenn es den Anschein gewinnt, man trage sich in maßgebenden Kreisen mit Plänen, die zu jener Lage wie die Faust aufs Auge paffen. Von einem polnischen Boykott gegen Deutsche berichtet das Polenblatt „Wielkopolanin" triumphirend aus Warschau. Dort, so heißt es, sei das Publicum über die „antipolnische Hetze" einiger deutscher Blätter dermaßen empört, daß es den Hotel-, Restaurations- und Conditoreibesitzern kategorisch er klärt habe, wenn sie noch weiterhin auf deutsche Blätter abon- niren sollten, würden die Gäste sich gezwungen sehen, die Locale zu meiden. Die Restaurations- u. s. w. Besitzer hätten sich darauf bereit erklärt, den Wünschen des Publicums vom 1. October ab zu entsprechen. Dasselbe sei vorher bereits auch aus Lublin berichtet worden. Dem Beispiel dieser beiden Städte würden nun auch sämmtliche übrigen Städte des Weichselgebietes folgen. Es müsse noch hervoraehoben werden, daß der größte Theil der Warschauer Kaufleute seine Ge schäftsverbindungen mit den deutschen Fabrikanten und Gros sisten bereits aufgehoben habe und die Maaren von nun an aus Frankreich und Oesterreich beziehe. Die Warschauer Kaufleute beabsichtigten auch, in Paris und Wien große Waaren-Com- missionshäuser zu errichten, wodurch die Einfuhr guter und billiger Maaren aus den bezeichneten Ländern gefördert werden solle. Einige hervorragende Vertreter der Warschauer Kauf mannschaft seien bereits zu diesem Zwecke nach Paris bezw. Wien abgereist. — Wir halten diese Meldung lediglich für einen Einschüchterungsversuch, wobei allerdings der Wunsch eines solchen Boykotts in Russisch-Polen gegen alles Deutschthum der Vater des Gedankens gewesen sein mag. Die russisch-polnischen Kaufleute würden am schlechtesten dabei fahren, wenn sic ihre Verbindungen mit deutschen Firmen lösten und solche mit fran zösischen anknüpften. Der Empfang des Kaisers von Rußland in Frankreich hat sich, wie das ja nicht anders zu erwarten war, sehr freundlich gestaltet, wenngleich in den Aeußerungen der französischen Presse von denjenigen Ueberschwenalichkeiten wenig zu bemerken war, die vor fünf Jahren beim ersten Besuche des Kaisers ver zeichnet werden konnten. „Ein wesentlicher Grund für diese Erscheinung'', schreibt die „Köln. Ztg.", „ist darin zu suchen, daß das Thermometer der Revanche seit jener Zeit ganz erheblich gesunken ist, und daß nicht nur die Zahl derjenigen sich vermindert hat, die hypnotisirt nach den Vogesen starren, ondern daß auch solche Stimmen sehr häufig und ohne Widerspruch laut werden, die eine deutschfreundliche Wendung der französischen Politik in Betracht ziehen. So konnte es geschehen, daß in Deutschland die Nachricht von der Reise des russischen Kaisers nach Frankreich nicht die mindeste Befürchtung oder Empfindlichkeit hervorrief, und daß wir de« russischen Kaiser unmittelbar nach der Danziger Begegnung mit aufrichtig wohlwollenden Gefühlen nach Frankreich ziehen sahen. Entsprechend dieser Stimmung in Deutschland war auch dir Aufnahme, die die Danziger Kaiserbegegnung in der französischen Presse gefunden hat. Wenn man von einigen wenigen Ausnahmen absieht, so fühlte sich die französische Presse durch die Kaiserbegegnung nicht im Mindesten beschwert. Eine Kundgebung unseres Kaisers hat festaestellt, daß in den poli tischen Zielen Deutschlands und Rußlands die volle Ueberein- stimmung herrscht, und daß die Bewahrung des Friedens nach dieser Zusammenkunft als noch sicherer betrachtet werden kann als bisher. Obgleich durch die Ankunft des Kaiser» von Ruß land auf französischem Boden die Gemüther unserer westlichen Nachbarn in eine wärmere Temperatur geriethen, sind nur wenige chauvinistische Ausbrüche zu verzeichnen gewesen. Die Entwickelung des Zweibundes hat zweifelsohne Bahnen ein geschlagen, die erheblich von dem Programm derjenigen Fran zosen abweichen, die zuerst den Abschluß des Bündnisses mit Rußland mit aufschäumender Freude begrüßten. Was vielen zuerst fast undenkbar schien, daß nämlich das Verhältniß des Zweibundes zu Deutschland sich zu einem friedlichen und freund lichen gestalten könne, ist eingetrcten, und wenn viele einsichtige und friedliebende Franzosen das mit Freuden begrüßen, so scheinen jetzt auch diejenigen, die von Hause aus weder friedlich noch freundlich gesinnt waren, sich mit diesem Umschwünge ohne allzu große Ueberwindung abzufinden. Es ,st in dieser Beziehung ungemein bezeichnend, daß selbst die nationa listischen Blätter, in denen man noch am ehesten die Ver treter der alten Revanchehoffnungen sehen kann, sich aller Feind seligkeiten und Angriffe gegen Deutschland enthalten, ja, sogar durchaus nicht absprechende Erörterungen darüber bringen, ob es nicht an der Zeit sei, das Geschehene zu vergessen und das Heil Frankreichs in einer Annäherung an das deutsche Reich zu suchen. Viele besprechen eine solche Möglichkeit im Tone der Ergebung, durch den manchmal das Gefühl des Bedauerns hindurchdringt. Es ist das nur be greiflich, denn man verzichtet nicht leicht auf Ideale, die man durch Jahrzehnte im Herzen getragen hat. Desto bezeichnender ist es aber, wenn man sich anschickt, dies zu thun. In diesem Sinne führt ein Artikel des „Gaulois" aus, daß, wenn die letzte Rede des deutschen Kaisers auch noch nicht den Ab schluß eines Bündnisses bedeute, man es doch mit mehr zu thun habe, als mit einer bloßen An näherung. Bei der Loyalität des russischen Kaisers sei eS ausgeschlossen, daß sich dieser über alle wichtigen Puncte der Politik in befriedigender Weise mit Deutschland geeinigt habe, ohne daß vorher hierüber ein Einvernehmen mit Frankreich er folgt sei. Frankreich müsse sich heute sagen, daß es zur Stunde nicht melw zugleich der Feind des deutschen Reiches und der Verbündete Rußlands sein könne. Das Ideal einer kriegerischen Revanche sinke somit in sich zusammen und als Entschädigung biete man eine mächtige Freundschaft, die in der Zukunft Ent schädigungen und Northeile bringen könne. Die Danziger Be gegnung und die Auslegung, die ihr der deutsche Kaiser, ohne Widerspruch zu erfahren, gegeben habe, versetze die französische Regierung in die Nothwendigkeit, eine folgenschwere Entscheidung zu treffen, die sie indessen nicht unvorbereitet finden dürfte. Der „Gaulois" scheint zu hoffen, daß dies nicht im Sinne einer Versteinerung in Revanchcideen, sondern im Sinne einer Annäherung an Deutschland geschehen werde. Daß dies von so ausgesprochen nationalistischer Seite geschieht, hat gewiß seine Bedeutung." — Bleibt nur abzuwarten, ob die augen blickliche friedliche Stimmung gegenüber Deutschland von Dauer ist. Bei der bekannten Wankelmüthigkeit unserer gallischen - - '-o* Themis im Gebirge. Zwei Erzählungen aus dem Allgäu vonArthurAchleitner. Hochdruck vkrdrte>„ Bis der Müller ins Dorf kam, wußte jeder Häusler, daß der Mörder nahe, und neugierig harrte man dessen Ankunft, in Er wartung, daß die Gendarmerie sich des zweifellos Entsprungenen alsbald wieder bemächtigen werde. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht; für Sepp war es oin Spießrutenlaufen, die höhnisch laut geäußerten Bemerkungen wirkten wie Peitschenhiebe. Die Einen nannten den Müller «inen „Speculationsmörder", Andere zeterten über den Skandal, daß man einen so gefährlichen Menschen frei gelassen habe, und wieder eine Grupp« erörterte dis Wahrschein lichkeit, daß nun ander« Frauenzimmer an die Reihe zum Er tränken kommen würden. Dem Verlästerten und Drrvchmten brauste es in den Ohren, ihm ist'S, als werde daS Herz stille stehen, und nur ein Ge danke erfüllte ihn: es möge die Erde sich öffnen und ihn ver schlingen, auf daß diese Qual und Schande ein rasches Ende finden möge. AuS dem Dorfwirthshause waren die Zecher getreten und deuteten mit Fingern auf den Weibermörder. Sepp beschleunigte den Schritt, er wollte schnell vorüber. Da hetzte ein Bauer seinen Hund auf den Müller: „Hui faß! Faß' den SchaNdmcnschcn!" Wohl vollführte der Hund einige Sätze, ließ aber dann ab. „Bist dem Hund zu schlecht, Mörder!' schrieen die Bauern. Endlich hatte der Müller das Dorf hinter sich, tief athm«t« er auf. Gott sei Dank, es ist Niemand mähr um die Wege, und still kann di« Lohstampfe erreicht tverden. Sepp horchte, kein Dröhnen ist zu hören, das Werk steht still wie am Feier abend, und doch ist es Helle Werkeszeit. Sollte während seiner Abwesenheit di« Stampfe behördlich geschlossen worden sein? Es sind doch die Dienstboten in der Lochmühle verblieben, und Franz! auch,Z>er Oberknecht? Beklommen, zaghaft kam Sepp näher, in den Schläfen pocht« es, das Herz klopft« wild, pfeifend ging drr Atbem. Still stecht die Stampfe, unter dem ausgeschalteten Rad rauscht der Bach. Rindenrest« sind überall verstreut, ung«ordn«t die Dorrätchc. Wi« ausgestorben scheint dos Wohnhaus zu sein, ikepp drückt die Thürklinke auf, da- Thor ist unverschlossen, still ist'S im Flur. Fast erschrickt Sepp vor dem Geräusch seines eigenen Trittes. „Wer ist da?" ruft eine Weiberstimme, und alsbald kam ein« Dirn aus der Küche. Sepp antwortet«: „Ich, der Müller, bin da! Cenzl, komm her!" „Gott steh' unS bei, der Müller!" schnatterte die Dirn vor Schrecken. Zornbebend ob solchen Empfange» fragte Sepp nach dem „Baumann" (Oberknecht) Franzi. „Der ist in „Hoagart" (zu Besuch) 'gangen!" Der Müller braust« auf: „Was? Am helllichten Werktag geht der Lump hoagarten!" Schnippisch erwiderte die Dirn, welche sich vom ersten Schrecken erholt hatte: „Ja, mein'! Das haben wir nicht riechen können, daß der Müller grab' heut — auSg'lassen wird und heimkommt!" Sepp würgte ein Zorneswort hinunter und zwang sich zur Ruhe, so schwer es auch ging. „Warum wird in der Stampf' nicht gearbeitet?" „Wer soll denn arbeiten?" „Dumme Frag'! Der Franzi und der Dagschneüder! Wo ist die Kuhdirn und die Cilli?" „Wo die sind? Fort sind sie! Wenn ich «inen anderen Platz hätt', ich wär' auch nimmer da! Kein Mensch kann verlangen, daß ein christlich Leut bleibt in einem so verrrufenen Haus!" „Kannst auf die Stund' gehen, wenn Dir'S nicht paßt!" „Wenn D' mir 'n Lohn und di« Kost auszahlst bi» zum Ziel, ich geh' gern und gleich! Aber ehnder zahlen!" Dazu verspürt« der Müller nun keine Lust, auch ward ihm sogleich bewußt, daß er ohne Gehilfen nicht Hausen könne und die allein verbliebene Dirn nicht davonjagen dürfe. Seine besorgte Frage galt der Viehversorgung. »Da fehlt nix, di« Arbeit im Stall hab' derweil ich über nommen! verkündete mit einem gewiss«« Stolz« di« Dirn. „Da» ist brav von Dir! Ich hab' groß« Sorg' gehabt wegen dem Vieh. Ist nichts vvrgekommen bei den Kühen?" „Nicht» von Bedeutung! Di« „Bläß" haben wir halt der- weil verkauft." „Was? Warum?" „Ha, mein', von der Luft allein haben wir die lange Zeit her nicht leben können; Geld war kein» im Hau», der Müller im — Gesänaniß, die Müllerin im Grab . . .» „Unerhört! Verkauft die Bande schlankweg ein Stück Vieh, und gleich mein' beste Kuh! Wo ist der Erlös für die Bläß'?" „Das weiß ich nicht! Wird wohl der Franzl das Geld in Verwahr haben, wenn noch was davon da ist." „Was? Wär nicht übel! Die Bläß' war ihre fünfhundert Mark Werth!" „Schon! Aber der Müller war lang weg; wir haben eh' (ohnehin) schon geglaubt, der Müller kommt überhaupt nimmer — lebendig zurück!" „Richt' mir was zum Esten, ich bin hungrig. Und mein Schlafstub' machst mir zurecht, ich werde jetzt neben der Wohn stub' nächtigen." „Aha! Ja, ja, ich kann mir's schon denken, ist ein dummer Mahner, das zwiespännige Bett oben. Gott geb' ihr die ewige Ruh'!" Die Dirn' warf einen durchdringenden Blick auf den Müller, der ob dieser Stichelreden den Zorn kaum zu bemeistern vermochte, und ging ab. Wohin Sepp im Hause kam, überall modrige Stickluft in den Stuben, alle Fenster verschlossen, Staub auf Tischen und Möbeln, das ganze Hauswesen verwahrlost. Und aufgerissen, durchwühlt die Wäscheschränke, ersichtlich ist das jeweils be- nöthigte Linnenzeug von unkundiger Hand herausgerissen wor den, ein wirres, wü tes Durcheinander. Die gleiche Unordnung, ja Verwahrlosung, fand der Müller in den Ställen; der Hafer schrank offen, der Hafer verstreut, die Rosse ungestriegelt, über- mäßig stallmuthig, also seit längerer Zeit nicht bewegt, arbeits los. An der Stampfe zeigen sich alle Eisengegenstände rostig, eS scheint also der Betrieb seit Langem eingestellt zu sein. Werk- und Wohnhaus rufen den Eindruck beginnenden RuinS hervor. Sepp seufzte; geht das so weiter, ist er wahrhaftig ruinirt. Spät Abend» kam Franzl heim, angetrunken und streit süchtig. Beim unvermutheten Anblick des'Müllers erblaßte der Knecht und lallte: „Oha! Haben s' Dich gar schon ausg'lassen?! Nicht möglich!" Schon wollte der Müller den treulosen, taumelnden Knecht nach Gebühr rüffeln doch zwang Sepp sich zur Mäßigung; seine Nothlage, der Dienstbotenmangel fordern gebieterisch zur Vorsicht und Ruhe, auf daß nicht auch noch die letzten Hilfs- kräfte auf und davon gehen. So sagte denn der Müller: „Du rechnest gleich ab! Wegen des Verkaufes der Bläß' reden 'wir morgen." „Heut' mag ich nimmer, bin schläfrig! Die paar Groschen, die noch da sind, kriegst morgen bald genug." „Auf der Stell' wird abgerechnet! Die Schlamperei hat ein End'!' „Hast 'leicht die Pressirerei im Gefängniß gelernt?" höhnte der trunkene Knecht. „Ueberlrg' Dir, wa» Du redest, oder —l" „Was oder? Mit mir geht es nicht so bequem, verstehst?!" „Kerl, willst verhauen werden?!" Der Knecht torkelte zur Ofenbank, ließ sich auf selbe nieder fallen und lachte: „Hat der Müller aber Schneid', seit die Wally nimmer regiert auf der Stampf'!" „Für Knecht' und Dirnen ist die Müllerin, Gott hab' sie selig, die Frau vom Haus gewesen, man sagt „die Müllerin"; für Dich giebt es keine „Wally", und ich bin für Dich nicht der Sepv, sondern der Müller, verstanden?!" Der Trunkene prahlte: „O mein', Du Gispel (einfältiger Mensch)! Ich hab' die Wally ehnder kennt wie Du!' Sepp zuckte zusammen. War das blöde Renommisterci oder —? Der Gedanke peinigte den Müller und trieb ihn dazu, den Knecht auszufragen. „Was willst Du damit sagen?" „Hihi! Was der Müller nicht Alles wissen möcht'?! Aber die Wally sagt nix mehr auf Erden und ich red' auch nixen. Schweigen ist Gold, mein lieber Müller!" „Du redest, oder, bei Gott, ich prügle Dir jede» Wort heraus!" „Schlag' nur zu! Hast vielleicht noch zu wenig auf 'm Gewissen, he? Von mir erfährst aber nixen!" Sepp war aufgesprungen und stand mit schlagbereiter Faust vor dem Knecht, der nun doch einlenkte und lallend sprach: „Laß Dich nicht auSlachen! Ich mein' ja blo»: die Wally kenn' ich länger wie Du, weil ich ja schon „Moar" (Oberknecht) zu Leb zeiten von ihrem ersten Mann war! Ein fesche» Weiberl ist sie schon gewesen damals! Hihi, und verstanden hat sie's, das Männer-Drangsaliren! Ist aber sonst ganz gut zum haben gewesen! Wir haben nie gestritten miteinander, höchsten» —". Franzl fiel vor Trunkenheit von der Bank herab, lachte auf, und fing alsbald zu schnarchen an. Von Ekel erfüllt, verließ Sepp die Wohnstube, schloß alle Thüren ab, verlöschte die Lampen und begab sich in der für ihn frisch hergerichteten Schlafstube zur Ruhe. Gegen Morgen erwachte der Knecht, der eine Weile nach, denken mußte, wie er in die Wohnstube und statt in» Bett auf den Fußboden zu liegen gekommen, und still schlich er davon, um das Tagwerk zu beginnen. Frühzeitig erschien auch der Müller und forderte Abrech nung, die genügend Anlaß zum disputiren gab, denn e» fehlte bedeutend an Geld. Franzl, der heute nachgiebig sich zeigte, erklärte da» Manko damit, daß die abgegangenen Dienstboten bätten "r Lohnes und für Kost gefordert und erhalten Kaum hatte der Müller dagegen gewettert, war der Knecht d." Bemerkung zur Hand, daß die Leute eben nicht langer in einer — Mördergrube bleiben wollten und mit
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