Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.12.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-12-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001211027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900121102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900121102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-12
- Tag1900-12-11
- Monat1900-12
- Jahr1900
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis chl dtr tzanptexpedition oder de« im Stadt» bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: viertrljährl. 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Poftausfchlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem« bürg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türket, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition diese» Blatte- möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abeud-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaction un- Lrpe-ition: IvhanniSgasse 8. Filialen: Tlsted Lahn vorm. O. Klemm'» Gortim. Umversität-straße 3 (Pauliuum), LouiS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. «3». Abend-Ausgabe. riMer TaMatt Anzeiger. ÄttttsAatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Dienstag den 11. December 1900. Anzeigen Preis dir 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familirnnach- richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zifiernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahnie 25 ,5, (exck. Porto). (Vrtra Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen Ausgabe, ohne Postbesörderung ./t «0.—, mit Postbesördenlng .« 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei deu Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. Die Wirren in China. Kaiserliche Sdictc. Im Namen des Kaiser» von China sind in der letzten Zeit wieder einige Edicte erlassen worden, die theilweise einen versöhnlichen Ton anschlagen, theilweise aber direct fremdenfeindlich sind und nur dazu dienen können, die Lage noch mehr zu verwirren. Das wichtigste dieser Edicte stellt nnter gewissen Bedingungen die baldige Rückkehr des Kaiser» nach Peking in Aussicht. Es ist der Form nach eine vom 13. October datirte Antwort auf die Eingabe, die Prinz Ebing, Li-Hung-Tscbang, Cho Ha--pu, Schön-Yin, Cbang-en, Schan-lien, Liu-kun-yi, Cbang-chih-tung, Kuei-chüng (Szechuan), Hsl-hing-kuei (Cbe-kiang), Wei-kuang-tao (Kansu), The-chou (Kiang-su), M-yin-lin (Honan), Jü-lien-sam (Hunan), Uuan-thi-kai, Liu-shu-tang (Chekiang), Wang-chih-chum, Me-chi, Kui (früher stellvertretender Gouverneur von Kiangs») und Generaldirectvr Sheng dem Thron unterbreitet hatten und lautet: Wir haben gefunden, daß eine Ausrottung der Boxerbcwegung ebenso schwierig wie eine Pacificirung der Insurgenten ist. Wir sind unter dem Donner der Kanonen aus unserer Haupt stadt geflohen und hatten schwere Mühsalen auf der Reise zu überstehen, von denen Ihr Generalgouverneure und Gouverneure nicht die geringste Vorstellung habt. Wenn wir nicht die richtigen Rathgeber erwählten, so war daS Unsere Schuld, wie wir das früher öffentlich erklärt haben. Unsere schlechten Rathgeber werden nichtsdestoweniger schwere Strafen er leiden. Ursprünglich ersehnten auch Wir immer raschen Frieden- Durch eine baldige Rückkehr nach Peking würden die Gemüther sich beruhigen und die Regierung sich ebenfalls festigen. Wir haben nicht das geringste Verlangen, noch weiter nach Westen zu gehen und Peking aufzugeben. Indessen haben Unsere Bevollmächtigten iu Peking noch keine Friedensverhandlungen anknüpsen können; die fremden Soldaten halten Peking in bestimmten Bezirken besetzt; Beamte und Volk können dort nicht nach Belieben verkehren. Wie sollten Wir Uns dazu verstehen können, von heute auf morgen plötzlich nach Peking zurückzukehren? Wenn es das Ausland wirklich mit China gut meint, so wird es Uns nicht die Herrschaft rauben wollen und Uns nichts Unmögliches zumuthen. Sobald die Verhandlungen eröffnet sind, werden Wir einen Tag für die Rückkehr fcstsetzen. Vorläufig werden Wir in Hsian-su Unsere Residenz nehmen. Unsere Ansicht haben Wir in den früheren Edicten klar ausgesprochen. Wir können angesichts der jetzigen Lage nicht anders. Beamte und Volk im Reich wissen das. Wie kommt es, daß Ihr Generalgouvcrueure und Gouverneure, die Ihr im Staatsdienst ergraut seid, Uns das nicht nachfühlen könnt? Die von Uns beliebten Maßnahmen haben Wir reiflichst zuvor in Erwägung gezogen. Ihr Generalgouverneure und Gouverneure verwaltet getreulich Euere Provinzen und laßt auch dein Hofe fernerhin Eure Hilfe zu theil werden. In diesem Edict wird die Bestrafung der schlechten Rath geber des Kaisers ausdrücklich in Aussicht gestellt. Wie weit das ernst gemeint uud wie weit selbst bei aufrichtigem Willen möglich, bleibt abzuwartcn. * Berlin, 10. December. Tas Oberkommando meldet am 9. ans Peking: Die Colon ne Gündell (I. Batl. 2. Jnf.-Reg., das in Schanhaikwan verblieben war) hat am 7. auf dem Marsche nach Peking über Nungsungfu die Gegend von Yutienhsien (etwa 125 l>m ---- 5 Tagemärsche östlich von Peking) erreicht. — Inter nationaler Ausschuß zur Verwaltung von Peking tritt morgen unter Vorsitz des Generals v. Gayl zusammen. * London, 10. December. Das heute Abend verlheilte Blau buch über die chinesische Angelegenheit enthält die Berichte des Gesandten Mocdonald über die Ereignisse vom 10. Juni bis 20. September mit Einschluß eines ausführlichen Berichts über die Belagerung Pekings. Darin werden die Ausländer besonders hervorgehoben, die sich während der aus die Gesandtschaften ge richteten Angriffe ausgezeichnet haben. Unter diese» sind auch Strauch, ein Mitglied der kaiserlichen Zollbehörde, der früher dem preußischen Heere angehört hat, und vr. Velde erwähnt. Mac- douald ersucht Lord Salisbury, diese beiden Name» der deutschen Regierung zu empfehlen. Der Krieg in Südafrika. Ter Alldeutsche Verband. Bereits am 15. November hatte der geschäftsführende Aus schuß des Alldeutschen Verbandes den Beschluß ge faßt, dem Präsidenten Krüger im Haag eine Adresse zu überreichen. Wäre Präsident Krüger nach Berlin gekommen, so hätte die Ueberrcichung natürlich dort stattgefunden. Am Montag, den 10. d. M., Vormittag 11 Uhr, sind nun, wie telegraphisch kurz mitgetheilt, Professor Hasse, vr. Lehr und weitere 13 Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses und des Vorstandes des Alldeutschen Verbandes vom Präsidenten Krüger im Haag empfangen worden. Professor Hasse hielt eine Ansprache, welche Sympathie und Bewunde rung für die Boeren, sowie für den Präsidenten Krüger aus drückte, und schloß mit einem von den Anwesenden begeistert aufgenommenen dreifachen Heilruf, indem er die Adresse über gab. Dann überreichte Verlagsbuchhändler Lehmann aus München Namens der süddeutschen Ortsgruppe des Alldeutschen Verbandes einen Edelweißkranz, worauf Baron v. Ziegesar aus Brüssel für die Ortsruppen in Belgien in holländischer Sprache das Wort ergriff. Präsident Krüger antwortete, er danke für die Liebe und Sympathie der deutschen Brüder für die Boeren, welche einem kleinen Kinde glichen, das gegen einen starken Mann kämpfe. Er setze seine Hoffnungen auf das Schiedsgericht und auf Gott. Sowohl bei der Ankunft wie bei der Abfahrt wurde die Abordnung durch die vor dem Hotel ange sammelte Volksmenge lebhaft begrüßt. Auf der Rückfahrt fand noch eine improvisierte Kundgebung vor dem königlichen Schlosse statt, wo Professor Hasse ein Hoch auf die Königin von Holland ausbrachte. Tie Zukunft der Bsercu. Aus dem Haag, 9. December, wird der „Frkf. Ztg." be richtet: Präsident Krüger ist nach seinem mißlungenen Ver such, dem deutschen Kaiser einen Besuch zu machen, in den stammverwandten Niederlanden angelangt, wo ihm nicht nur das Volk, sondern auch Regierung und Königin aufrichtig freundlich gesinnt sind. Hier wird der alte Mann sich von den Reisen und Aufregungen der letzten Zeit ausruhen; zwischendem wird er die größten holländischen Städte besuchen, wo er eines begeister ten Empfanges sicher ist, und so die Zeit abwarten, bis der Zar sich an die Riviera begiebt. (Was aber wahrscheinlich gar nicht stattfinden wird. Red.) Dort will Oom Paul ihn dann aufsuchen und eine letzte Anstrengung machen, mit Hilfe des sympathischen Anregers der Friedenskonferenz die nationale Selbstständigkeit seines Volkes ganz oder wenigstens theilweise zu retten. Nach den Eindrücken, die ich hier in den letzten Tagen aus zahlreichen Unterhaltungen mit hervorragenden Persönlichkeiten empfangen habe, die zumeist leider eine unüberwindliche Scheu verriethen, in der Zeitung mit Namen genannt zu werden, sind die Aussichten auf eine gütliche Vermittelung verschwindend geringe. Der Minister Pierson hat in der Kammer ganz offen ausgesprochen, daß es völlig ungewiß sei, wann der „psycho logische Moment" für ein Vermittelungsangebot noch kommen könne. Ein Mitglied des internationalen Schiedsgerichtshofes äußerte sich heute zu mir völlig skeptisch; das Schiedsgericht würde vorläufig, so meinte er, nur in solchen Fällen von einigem Nutzen sein können, wo es sich um specielle materielle Streitig keiten handle, nicht aber, wenn große Machtgegensätze in Frage kämen. Zudem habe England bereits damals nicht gestattet, daß Transvaal und der Oranje-Freistaat das Conferenz-Proto- koll unterzeichneten. Die letzten Erklärungen Lord Salisbury's ließen keinen Zweifel, daß England auch jeden Vorschlag einer anderen Macht, der auf eine gütige Vermittelung hindränge, :r limino zurückweisen werde. Aehnlich denkt man in parla mentarischen Kreisen. Ein Mann, der nicht nur ein großer Künstler, sondern auch einer der überlegensten Intelligenzen Hollands ist, Josef Israels, sprach wohl die allgemeine Ansicht der hiesigen ruhig denkenden gebildeten Kreise aus, als er heute zu mir äußerte: England habe zu große Opfer gebracht, als daß es jetzt noch gutwillig seine Beute fahren lassen würde. Deutschland könne es auf keinen Krieg ankommen lassen, und ein Krieg Frankreichs und Deutschlands gegen Großbritannien würde für die Eultur ein größeres Unglück sein, als der Unter gang der nationalen Selbstständigkeit der Boerenrepubliken. Wohl bemerkt, der greise Künstler ist ein ausgesprochener Boeren- freund; er wird wahrscheinlich demnächst in seinem Atelier den Präsidenten zu malen haben; aber er weiß den Unterschied von Gefühl und Wirklichkeit zu würdigen. Das kann man natürlich von der großen Masse des nieder- länsischen Volkes nicht voraussetzen und so darf man es ihm nicht verargen, wenn es die rücksichtslose Form, in welcher der deutsch- Kaiser den Besuch des von seinem Großvater hoch geehrten Krüger, der sich vertrauensvoll an ihn wandte, zurück wies, mit starken und höchst unfreundlichen Worten mißbilligt Ich fragte einen h e r v or r a ge n d e n P a r l a m e n t a r i e r, ob der Unwille gegen den Kaiser die gebesserten Gesinnungen der Holländer gegen das deutsche Volk im Allgemeinen beeinflussen werde. Er antwortete entschieden: „Nein!" Die Sympathien der Niederländer hätten auch bisher nicht dem Monarchen, son dern nur der Nation gegolten. Diese hätte klar und deutlich ge zeigt, daß sie in diesem Falle mit dem Kaiser nicht übereinstimme. Hierüber hätte man sich hier zu Lande zwar gefreut, aber sich auch gewundert. Denn man traute dem deutschen Volte soviel politische Selbstständigkeit nicht zu; man finde im Allgemeinen, daß wir Deutschen bei unserer glänzenden Entwickelung auf fast jedem anderen Gebiet in politischer Hinsicht weit zurückgeblieben seien. Besteht nun aber auch rm Haag wenig Hoffnung auf ein friedliche Vermittelung, so ist man doch andererseits weit ent fernt, an der Zukunft der Boerensache zu verzweifeln. Im Gegen theil! Man glaubt hier allgemein, "daß es den Engländern nie mals glücken wird, das Gebiet der Republiken dauernd zu be Haupte». Man ist fest davon überzeugt, daß der Krieg sich ins Unendliche verlängern und daß er, scheinbar erloschen, immer wieder von Neuem aufflackern wirs. Diese Ansicht gründet sich auf die Berichte aller Derjenigen, die aus Afrika Hier eintreffen, nicht nur Boeren und Holländer, sondern auch Italiener, Deutsche und Oesterreicher, nicht nur halsstarrige Kalvinisten, die es für unmöglich erklären, daß Gott ihre Sache verlassen könne, sondern auch Aufgeklärte. Es muß also schon etwas daran sein. Die Begeisterung für Krüger und die Sache des Boer «»volles ist im Haag naturgemäß eine sehr leb hafte. Man kann kaum einem jungen Mädchen begegnen, daß nicht iblau-weiß-roth-grüne Schleifen trägt; Der alte Präsident' muß sich aller paarStunsen von dem Balcon des Hotel des Ino«- dem immer wieder aufs Neue nach ihm verlangenden Volk zeigen; kein Straßenjunge, der nicht das Transvaallied pfiffe! Dennoch aber sind die Holländer zu vernünftig, um sich für ihre unglücklichen Stammesbrüder auf fruchtlose und gefährliche Abenteuer einzulaffen. Auch protestiren sie dagegen, caß sie mit denselben ein Volk bildeten; sie weisen auf die fehr großen Sprachabweichungen hin und betonen, daß auch die Charakter eigenschaften des Boerenvolkes mehr zu denen der Holländer der Befreiungskriege gegen die Spanier als zu denen der heutigen Holländer paßten. Präsident Krüger wirs hier in Holland „wie zu Hause", aber nicht in der Heimath sein. Man wird ihn in Amsterdam, in Rotterdam, in Leeuwarden, in Groningen glän zend und herzlich feiern; er wird, rechts und links eine Königin, im Palais in der Hoogstraat von silbernem »Geschirr speisen, aber helfen werden ihm die Holländer auch nicht können. Nur ihre eigene Zähigkeit und Tapferkeit vermag die afrikanischen Bauern noch von dem Aufgehen in das englische Weltreich zu retten. Wir glauben fast, daß dies die Ueberzeugung des unermüdlichen vr. Leyss geworden ist und wir fürchten, daß sich auch der alte Krüger über kurz oder lang zu dieser Ansicht wird bekehren müssen. Eine englische Liebenöwindigkeit. Mit Bezug auf den begeisterten Empfang Krüger's in Frankreich und Köln telegraphirt der Berliner Korrespondent des „Daily Telegraph" Folgendes: Wenn sie nicht schon davon unterrichtet sind, werden Herr 5krüger und vr. Leyds bald erfahren, daß die deutsche Regierung, ebenso wie die Regierungen in London und Paris vollständig unterrichtet sind von dem ungeheure» (monstrous) Betrag an Bestechung und Korrup tion, die durch den Leiter von Krüger's Rundreise angewendet worden sind, um den Volks-Enthusiasmus zu Gunsten der Boeren zu erregen. Die für diesen Zweck benutzten Agenten wurden bis Köln gebracht, und ich habe es von einer mit den Verhältnissen der rheinischen Hauptstadt durchaus vertrauten Person, daß ihr Betragen schlimmer als schamlos war. Es kann als sicher angesehen werden, daß Krüger und Leyds nicht wagen werden, sich wieder an die deutsche Regie rung zu wenden wegen etwas, was einer officiellen Aufmerk samkeit ähnlich sieht. Ihr Benehmen in Köln ist in gebührender Weise gekennzeichnet worden und ich zögere nicht, zu prophezeien, daß cs nicht lange dauern wird, bis ihre ganze Methode der Agi tation aufgedeckt und daß sie auch von dem allgemeinen Publicum hier nach ihrem wahren Werthe beurtheilt werden. Sofern ihre Reputation in dem officiellen Europa in Betracht kommt, könnte Herr Krüger wohl schon ausgerufen haben: „Alles ist verloren!", denn es wird bald aufdämmern, daß thatsächlich Alles für ihn in Europa verloren ist, einschließlich des größeren Theils des G e l de s , das e r und seine Agenten zu Be stechungen ausgegeben haben. Was sagen dic Kölner zu dieser Erklärung ihrer Be geisterung für den Präsidenten Krüger? Politische Tagesschau. * Leipzig, 1l. December. EtatSdcbattc im Reichstage! DaS sagte früher viel, seit Jahren wenig, und diesmal, wo das Gewichtige wie auch das Pikante durch die Cbinadebatten und die Woedtke- Inlerpellatiou vorweggcnommen waren, zudem der „Toleranz antrag" des Centriims schon für einige Sensation gesorgt hatte, will diese Verhandlung, wenigstens soweit der gestrige erste Tag in Betracht kommt, nicht viel besage». Allerdings, Feuilletsn. s, Lucie. Original-Roman von Ferd. Gruner. Nachdruck verboten. Endlich War die Zeugenvernehmung abgeschlossen und unter athemloser Spannung erhob sich Staatsanwalt Willman. Hager und groß, mit einem bartlosen, finsteren Gesichte, reckte er sich noch mehr empor, und halb zu den Geschworenen gewendet, halb gegen das Publicum, begann er zu sprechen. Erst leise und langsam, jedes Wort abwägend, dann lauter, mit lebhaften Gesten, dröhnend, jede Silbe scharf betonend am Schluffe. Hart und erbarmungslos war seine Anklage, die den jungen Künstler, der mit weit geöffneten Augen zu dem Staatsanwalt emporsah, zum Mörder seines Stiefvaters stempeln sollte. „Meine Herren! Es lag in dem Angeklagten schon von Jugend auf der Hang zum Ungesunden, zu Verbotenem und, wie Sie sehen, zum Verbrechen. Der Todte, dessen furchtbares Ende Sie hier durch einen Schuldspruch zu sühnen berufen sind, that für seinen Stiefsohn, was in seinen Kräften stand. Nie wurde es dem Knaben inne, daß er seiner eigenen Eltern ent behren mußte. Schloß Rawen war ihm eine Heimath im besten Sinne des Wortes. Der Todte ging soweit, daß er, um der Neigung seines Stiefsohnes willen, verzichtete, seinen Plänen Erfüllung zu schaffen. Der Angeklagte wurde, nicht wie es Herr Rawen wollte, Officier, sondern, wie er es erbeten hatte, ein Bildhauer. Reich« Mittel wurden ihm von seinen Stiefeltrrn hierzu bewilligt. Mit vollen Händen gab man ihm, damit er frei seiner Kunst leben könne. Aber wie liberal Herr Rawen auch für seinen Stiefsohn sorgte, es reichte nicht hin, um die kostspieligen Launen und Passionen des Max Horwart zu be friedigen. Immer größer wurden die Geldforderungen, die er an seinen Stiefvater stellte, und als dieser selbst ihn mit gutem Rath« zurückleiten wollte auf dir richtige Bahn, die er verlassen, fand er nur taube Ohren. Kein warnende» Wort konnte ihn zurückrufen au» dem Taumel, der ihn immer tiefer in den Sumpf zog, wo die verworfensten Leidenschaften ihre Orgien feierten. Er ergab sich dem Spiele. «Und in einer Nacht verlor er bei scheußlichem Gelage an ebensolche Kumpane zwanzigtausend Gulden. — Ein Vermögen! Ein Vermögen, das oft rin langes Leben bitterster Kümmerniß und unablässigen Eifers nicht zu erringen im Stande ist. 'In einer Secunde auf eine Karte frivol gewagt und verloren. Da fand er den Weg zurück zum Vaterhaus; aber nicht als Flehender, wie es dem verlorenen Sohne geziemt, nein, als Fordernder. Denn das Geld, um das er gespielt, er besaß es nicht, es war seines Vaters Erbe. Nun forderte er es ungestüm, denn sonst müsse er sich tödtcn. Und Rawen gab es ihm. Er mochte glauben, daß sein Stiefsohn im Stande wäre, seinen Vorsatz auszufllhren. Aber blutenden Herzens wies er den Ungerathenen, der so viel Kummer und Sorgen auf sein graues Haupt beschworen, für ewig von seiner Thüre. Und reulos, ohne ein Wort der Bitte um Vergebung, ging Dieser da von dannen." — Er deutete auf Max, der starr aufgerichtet im Sessel saß. — „Das war der erste Act dieser Tragödie. — Und nun nach Jahren kam der Ungerathenc zurück. Aber wiederum nicht als Bittender, nicht offen und ehrlich. Nein! Im Walde suchte er den Stiefvater auf, denn er hatte erfahren, daß derselbe dort in der Nähe oft zu treffen sei. Viel leicht, daß er zurückkam, weil es ihm in der Welt draußen nicht behagte, wo er nun mittellos dastand und auf seiner eigenen Hände Arbeit angewiesen, da die Goldquelle nicht mehr floß; weil Noth bei ihm zu Gaste war. Mit schroffen Worten mag er an den Tobten herangetreten sein. Als ihn dieser nicht wieder aufnehmen wollte, sondern ihn, wie es sein unabänderlicher Beschluß gewesen, neuerdings fortgewiesen aus dem Vaterhause, auf das er jedes Anrecht verloren, da mag in dem Angeklagten bei dem Gedanken, daß er ewig arm und heimathlos bleiben würde, die Leidenschaft jäh aufgezuckt sein. Finstere Rache loderte in ihm, und da sich Rawen zum Gehen gewendet, zog er blitzschnell den Revolver und meuchlings schoß er den Mann nieder, den er Vater genannt. Bei dem grollenden Donner, den grellleuchtenden Blitzen erwachte sein Gewissen und die feige Angst vor seiner That. Eilends wandte er sich zur Flucht. Das Verbrechen brannte ihm das Kainszeichen auf der Stirn, bleich waren seine Wangen, unstät und flackernd sein Blick. Das Schuldbewußtsein zwang ihn, die Leute zu fragen, was denn in Bärenstein geschehen sei, als ob man schon hätte Kunde ge habt von der gräßlichen That, von dem Manne, der draußen ver blutend im Walde lag. —" Den Verlauf der Untersuchung schildernd, schloß der An kläger seine grollende Red«: „Und nun, meine Herren Ge schworenen, führen Sie den Angeklagten seiner Strafe zu. Prüfen Sie Alles, was für und gegen ihn spricht, walten Sie der heiligen Pflicht, die Sie zu erfüllen haben. Bedenken Sie, daß hier ein Verbrechen verübt wurde, welches zu den scheußlichsten zählt, die entmenschte Kreaturen je vollbracht. Sie sind die Hüter des Rechtes und werden durch Ihr Votum bekunden, daß es für einen Vatermord nur eine Sühne geben kann." Wie ein Zittern, ein tiefes Aufathmen, ging es durch die Menge, als der öffentliche Ankläger sich wieder ruhig niederlieb auf seinen Platz. Mit einem Blicke nur streifte er dic Ge schworenen und eine Secunde lang zuckte es um seine Lippen, als er sah, wie die Volksrichter mit umdüsterten Gesichtern den Angeklagten betrachteten. Fahle Blässe lag über dessen Antlitz und die Brust hob sich in jähem Athem. Die Lippen bebten, er schien sprechen zu wollen, aber der Kopf sank ihm auf die Brust und ein Schauer durchschüttelte ihn. Dann begann vr. Sander seine Rede. Nach den dröhnenden Worten des Staatsanwaltes klang seine Vcrtheidigung ruhig, fast allzu ruhig. Wie eine leise Ironie leuchtete es aus seiner Rede. Den Geschworenen ausschließlich sich zuwendend, Hub er an: „Meine Herren! Der Herr Staatsanwalt hat Sie zu Richtern aufgerufen, hat an Sie appellirt als Hüter der Ge rechtigkeit. Auch ich thue das. Und in vollem Vertrauen dar auf überantworte ich Ihnen den Mann, den man des Vater mordes zeiht. Der öffentliche Ankläger hat Ihnen seine Ver gangenheit in den düstersten Farben gezeichnet. Er legte den Trieb zum Verbrechen in seine Seele, wo doch ein Unbefangener nur Leichtsinn sehen kann. Und solcher lag ja Künstlernaturen immer recht nahe. Blicken Sie, meine Herren Geschworenen, in Ihre Vergangenheit zurück, und Sie werden wahrscheinlich finden, daß im Uebermuthe der Jugend Sie manchen losen Streich vollführt haben, den Sie nicht gerne der Oeffentlichkeit Preisgeben würden, der aber doch noch lange kein Verbrechen war. Ich will nicht leugnen, daß der Angeklagte einer tiefen Ver irrung sich schuldig machte, als er den Mahnungen seiner Eltern kein Gehör gab. Aber die Schuld daran ist wohl weniger ihm, dem unerfahrenen jungen Manne, zuzuschreiben, als vielmehr der schlechten Gesellschaft, welche sich seinen Leichtsinn zu Nutzen machte und ihn eigentlich nie aus dem Taumel erwachen ließ. Aber die traurige Verirrung des Angeklagten ist nicht ohne eine herbe Sühne geblieben. Er wurde des Vaterhauses, an dem er trotz alledem stets mit inniger Liebe hing, verwiesen. Und gerade diese strenge, aber gerechte Strafe war es, die ihn zurück brachte auf den richtigen Weg, denn er war ein leichtsinniger, aber kein schlechter Mensch. Es mußte für einen Jüngling, der Zeit seines Lebens nie erfahren hatte, wie schwer es sei, auf eigenen Füßen zu stehen, hart, sehr hart sein, nun plötzlich arm und mittellos zu sein. Wenn je, so hätte er in d i e s e r L a g e verzweifeln müssen, wäre das Rachcgefühl bci einer niedrigen Natur erklärlich gewesen. Aber muthig nahm er den Kamps mit dem Leben auf. Wortlos trug er die ungewohnten Ent behrungen. Und er kam vorwärts. Der Name Mar Horwart begann sich in Künstlerkreisen schon Achtung zu verschaffen. Was war natürlicher, als daß er, nachdem er sein besseres Selbst wiedergefunden, daran dachte, den zürnenden Vater zu ver söhnen?" vr. Sander wurde wärmer. Man merkte seinen Worten die innere Ueberzeugung an. Aufmerksam lauschten die Ge schworenen seiner Rede. Da erscholl im Zuhörerraume plötzlich ein dumpfer Fall. Geängstigte Frauenstimmen wurden laut und eine allgemeine Bewegung machte sich im Publicum bemerkbar. Eine ältere, leidend aussehende Frau war in Folge der Schwüle, die im Saale herrschte, ohnmächtig geworden. Ein junges Mädchen be mühte sich schluchzend, die zu Boden Gesunkene aufzurichten, vr. Bollant sprang sofort herbei und hob die Bewußtlose auf, die durch einige kräftige Männer hinausgetragen wurde. Die Geschworenen waren sehr unruhig geworden, denn es hieß, es sei die Frau eines derselben. So dauerte es einige Minuten, ehe die jäh unterbrochene Verhandlung wieder ausgenommen werden konnte. Aber die Erregung zitterte noch leise nach und besorgt betrachtete vr. Sander die Geschworenen, welche zerstreut umhersahen. Unwillkürlich sprach er stärker und eindringlicher, und mit erhobener, ernster Stimme schloß er sein Plaidoyer: „Ueben Sic Gerechtigkeit, meine Herren! Lassen Sie sich nicht vom Scheine bethören. Erwägen Sie, daß ein Menschen leben auf dem Spiele steht. Möge Sie Ihre Einsicht davor be wahren, der gräßlichen That, die nach meiner Ueberzeugung noch immer in Dunkel gehüllt ist, eine noch viel entsetzlichere folgen zu lassen. In letzter Stunde, in letzter Minute bitte ich Sie, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen und einem schwer ge prüften Manne die Freiheit und damit das Leben wieder zu geben, dem eine leichtsinnige Vergangenheit allein zum Bor wurfe gemacht werden kann." Erschöpft ließ sich der alt« Doctor auf seinen Sitz nieder, leicht abwehrend den innigen Händedruck Maxens, der sich nicht enthalten konnte, dem wackeren Manne seinen Dank zu entbieten. Er selbst konnte nicht sprechen, wie schwer es ihm auf dem Herzen lag. Die Duplik und Replik klangen fast leidenschaftlich. Kurz und knapp war die Rechtsbelehrung des Präsidenten, die er an die Geschworenen richtete.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite