Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011002026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901100202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901100202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-02
- Monat1901-10
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vezrrg»-Preis H, d« Hauptexpedition oder des t» Vted^ bezirk und den Borort«» errichteten Lu«- -adestellen abgeholt: vierteljährlich 4b0, bet »wetmaltger täglicher Zustellung in« Hau« LckiO. Durch die Post bezogt« für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. 6. Man abouuirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstaltrn in der Schwei», Italien, Belgien, Holland, Luxem- bürg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di« Ez^edttton diese« Blatte« möglich. Di« Morge»»u«aab« erscheint um '/,7 UL; di« «beudGnsgabe Wochentag« um S Uhr. Nr-actio« und Lrpe-Monr Johanui-gaffe 8. Filiale«: Alfred Bah« vorm. v. Klemm'» Sorkkm» Uuwerfitätöstraße S (Poulinum), Louis Lösche, chathartueustr. »«r. «d KSntOSPlatz 7. Nr. 503. Abend-Ausgabe. UchMtr.TagMM Anzeiger. Amtsölatt des Königlichen Land- und Äurtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämles der LtadL Leipzig. Anzeige«-Prel- die 6 gespaltene Petitzeile SS H. Reclameu unter demRedactiouSstrich f4 gespalten) 7b vor den Familiennach richten (S gespalten) SV H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechen» höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme LS H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—, Annahmeschluß für Anzeige«: Abend-AuSgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag vou E. Pol« r» Leipzig. 95. Jahrgang. Mittwoch den 2. October 1901. Der Krieg in Südafrika. Der Kampf bet den Forts. * Melmoth, 1. October. („Reuter's Bureau".) Der Ge- sammtverlust der Boeren bei idem Angriff auf das F o rt I t a l a Werd auf 500 Mann geschätzt (geschätzt. D. Red.). Das Ge fecht dauerte 19 Stunden; zwei Tage hatten die Boeren zu thun, ihre Todten zu begraben. General Louis Botha, sowie die Commrurdanten Grobelaar, Emmett, Danhauser, Oppermann, Scholz und Potgiet« r nahmen an dem Kampfe Theil; die drei Letztgenannten sind gefallen. Der Kampf bei dem Fort Prospekt währte 10 Stunden und endete damit, daß der Angriff der Boeren abgeschlagen (?) wurde. Ob der officiöse Draht in Verbreitung seiner haar sträubenden Lügen über die Verluste der Boeren bei Fort Jtala auch nach dem letzten amtlichen Telegramm Kitchener's noch weiter fortfahren wird? Von „Reuter" ist der Verlust der Boeren an Todten schon auf 305 Mann hinaufgeschwindelt, während nach Kitchener's eigener Feststellung die Gesammtzahl der in der ganzen Woche seit dem 23. September Gefallenen nur — 27 beträgt. Der Antrag der Boerenftaaten im Haag und das Völkerrecht. Professor vr. Niemeyer-Kiel schreibt in der letzten Nummer der „Deutschen Juristen-Zeitung": Am 10. September wurde ein Antrag an den „Raad van Leheer van het permanente Hof van Arbitrage" (d. h. an den „Conseil administratif de la Cour permanente d'arbitrage") im Haag von Or. W. I. Leyds, A. Fischer, A. D. W. Wol- marans als Bevollmächtigten der südafrikanischen Republik, so wie von A. Fischer und C. H. Wessels als Bevollmächtigten des Oranje-Freistaates eingereicht, welcher darauf hinausläuft, daß der „Conseil administratif" England auffordern möge, sich der Entscheidung der „Cour permanente d'arbitrage" hinsichtlich der dem Kriege zu Grunde liegenden und der in dem Kriege hervorgebretenen kontroversen zu unterwerfen. Die Presse und die öfftniliche Meinung haben sich mit der Frage, inwiefern dieser Antrag correct und angemessen, ob er überhaupt nach Lage der Sache völkerrechtlich möglich sei, be reits so lebhaft beschäftigt, daß eine kurze Erörterung der Sach lage vom Standpunkt der positiven Rechtslage an dieser Stelle «wünschenswerth erscheint. Sieht man, diesem Standpunkte entsprechend, von allen politischen und Humanitären Wünschen ab, so kann die Boeren- eingabe nur als rin das Wesen und die Befugnisse des so genannten Haager Schiedsgerichtshofes verkennender, nicht nur chatsächlich aussichtsloser, sondern rechtlich unmög licher Schritt bezeichnet werden. Es muß daran erinnert werden, daß der Ausdruck „Tri bunal arbitral" oder „Schiedsgcrichtshof" miß verständlich ist. Es giebt im eigentlichen Sinne keinen Haager Schredsgorichtshof. Es gtebt auf Grund der Acte vom 29. Juli 1899 im Haag Einrichtungen, welche dir Constituirung von Schiedsgerichtshöfrn gegebenen Falles erleichtern, sowie deren Verfahren in bequemer Weise vorbereiten und fördern. Aber das Alles ist weit davon entfernt, einen ständigen Schiedsgerichtshof für international« Streitigkeiten darzustellen. Der Haager Schiedsgerichts-Apparat besteht aus 3 Gliedern: dem „Bureau international de la Haye", dem „Conseil ad- minrftratrf permanent" und der „Cour permanent« d'arbitrage". Das Bureau ist eine, in dem Hause Prinsengracht 71 untergebrachte, zur Zeit aus einem Secrötaire-Gvneral (jetzt Minister L. H- Ryssenaers), einem geschäftsführenden Sekretär (jetzt Jonkheer I. I. Nochussen) und einigen Unterbeamten be stehende Verwaltungsinstanz, Ivelche das Archiv und die Biblio thek unterhält, sowie di« Corrspondenzen führt. Der „Conseil administratif" besteht aus den diplomatischen Vertretern der Signatarmächte im Haag und dem niederländischen Minister des Auswärtigen, welcher den Vorsitz führt. Der Conseil ist im Wesentlichen nur berufen, einerseits das Bureau einzurichten, zu unterhalten und zu beaufsichtigen, andererseits den Signatarmächten Bericht über die THörigkeit des Bureaus, sowie über etwaige sonstige Vorkommnisse zu er statten. Die „Cour permanente d'arbitrage" endlich ist nichts Anderes, als die listenmäßige Zusammenfassung der Persönlichkeiten, welche von den Signatarmächten (höchstens je vier von jeder Macht) vorgeschlagen sind und sich bereit erklärt haben, vorkommenden Falles als „Arbitres" zu fungiren. Die Gesammtheit dieser drei Potenzen wird allerdings in der Haager Convention „Tribunal arbitral" genannt. Aber es ist klar, daß hier nur ein Rahmen gegeben ist, in welchen künftige Schiedsgerichte eingefügt werden können, der aber zunächst des gewünschten Inhaltes entbehrt. Die unbedingte Voraussetzung für irgend welche materielle Thätizkeit des sogenannten Tribunals ist die, daß zwei streitende Mächte sich darüber geeinigt haben, daß ein Schiedsgericht ein gesetzt werde. Kein Wort der Convention giebt einem der drei Glieder des Apparates, insbesondere etwa dem Conseil atd- imnistratif, das Recht, geschweige die Pflicht, einen einseitigen Antrag auf Einleitung eines Schiedsgerichtsverfahrens entgegen zu nehmen und an den Gegner zu bringen. Das, was der Boerenantrag dem Conseil zumuthet, wäre völkerrechtlich eine Vermittelung, Mediation, ein Vorgehen, welches diplo matisch-politischer Natur und nach geltenden Grundsätzen ledig lich den souveränen Regierungen Vorbehalten ist. Für die gedeihliche, wahrhaft friedenfördcrnde Thätigkcit der Haager Einrichtungen kann nichts verhängnißvoller sein, als wenn man, wie es jetzt die Bosrendelegation thut, unternimmt, sie zu einer diplomatischen Instanz zu machen, wozu sie sich ebenso wenig eignen, wie sie durch die Haager Convention dazu be stimmt sind^ Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. October. Die „Germania" kündigt ein energisches Auftreten des Centrums im Reichstag und im preußischen Landtag an. Das Blatt verzeichnet einen neuen Fall, in dem eine Jesuitenmission verboten worden ist, und zwar in Beckum in Westfalen. Das formelle Recht der aus führenden Behörde kann das klerikale Organ nicht bestreiten, nachdem vor einigen Monaten die öffentliche Erörterung eines ähnlichen Falles die Sachlage hinlänglich klargestellt hat. Um so entschiedener wendet das Blatt sich gegen den Bundesrath und seine gegen das Centrum bewiesene „Rücksichtslosigkeit". Für die Centrums-Abgeordneten im Reichstage heiße es jetzt: „Centrum werde hart!" Zum Hartwerden im preußischen Ab geordnetenhause soll ein anderer Fall veranlassen, der auf dem Gebiete der Pole »frage liegt. Ein Landrath hat von einem Lehrer einen Bericht darüber eingefordert, wie oft in der katholischen Kirche seines Ortes deutscher Gottesdienst ab ¬ gehalten wird und wie viele von den katholischen Confirmanden l der polnischen, wie viele der deutschen Abtheilung angehören.l Die „Germania" klagt nun über eine Degradirung der Lehrer j zu „Polizeispitzeln" und meint, Niemand werde bestreiten können, daß beide Fragen, sowohl diejenige bezüglich des deutschen Gottesdienstes, als auch hinsichtlich des Confir- manden-Unterrichts, lediglich rein-kirchliche Fragen seien, die mit der Schule und der Stellung eines Volksschullehrers nichts zu thun haben. Dabei giebt sich die „Germania" den Anschein, nicht zu wissen, daß polnische Geistliche selbst diese Fragen von dem rein-kirchlichen Gebiet in ein Gebiet hinüber gelenkt haben, das die Schule sehr nahe berührt. Es ist aus neueren Vorfällen auch in weiteren Kreisen genugsam bekannt geworden, wie polnische Geistliche ihre Stellung zur ungesetz lichen Ertheilung polnischen Unterrichts und zur polnischen Propaganda unter der Jugend mißbraucht haben. Wenn Geist liche auf diese Weise die Arbeit der deutschen Schule durch kreuzen, so ist das für die Lehrer keineswegs gleichgiltig, sondern Anlaß genug, ihre Aufmerksamkeit auf eine derartige Tätig keit der Geistlichen zu lenken. Es liegen hier freilich triftige Gründe vor, hart zu werden, aber nicht für das Centrum und nicht gegen die Regierung, sondern gegen die betreffenden Ele mente im polnisch-katholischen Klerus. Hoffentlich läßt die preußische Negierung die Anwälte dieser Elemente nicht im Zweifel darüber, daß sie schlechterdings nicht gewillt ist, die Arbeit der deutschen Schule durchkreuzen zu lassen. Was die „Rücksichtslosigkeit" des Bundcsraths in Sachen des Jesuiten gesetzes betrifft, so kann man nur wünschen, daß die hohe Körperschaft sich wirklich aneignet, was ihr vorgeworfen wird. Daß der TarifuuSschutz der deutsche» Buchdrucker dem Reichskanzler und dem Staatssekretär des In nern in einem Telegramme Mittheilung von der Erneuerung der Tarifgemeinschaft im Buchdruckgewerbe auf 5 Jahre Mittheilung gemacht hat, ist der socialdemokratischen Presse ungemein verdrießlich. Man hütet sich auf Seiten der letzteren zwar, dem Grolle hierüber scharfen Ausdruck zu geben, weil man den ohnehin gegen die Socialdemokratie einigermaßen verbitterten Buchdruckerverband nicht allzu sehr reizen möchte. Aber gleich dem socialdemokratischen Centralorgan kann auch die socialdemokratische Provinzpresse nicht den Tadel darüber unter drücken, daß Graf Posadowsty, der „Vater des Zuchthaus gesetzes". der „Erbettler" der 12 000 antelegraphirt und mit der Bitte um Schutz für die Einrichtungen des Tarifausschusses angegangen wurde. Wer unbefangen ist, muß sagen, daß di« im Tarifausschusse vertretenen Principale und Gehilfen durchaus richtig handelten, als sie die Aufmerksamkeit der höchsten Staats beamten auf die hocherfreuliche, socialpolitisch ungemein wichtige Erneuerung der Tarifgemeinschaft lenkten, die den Frieden im Buchdruckgewerbe für weitere 5 Jahre sichert. Da die social demokratische Presse wegen des Telegramms an den Grafen Posadowsky an das Arbeitswilligengesetz erinnert, so ist es nicht ohne Komik, das Organ des angegriffenen Buch druckerverbandes heute über den Beschluß des socialdemo kratischen Parteitages in Sachen der Hamburger Accord- maurer das Nachstehend« sagen zu hören: „Der Partei tag hat sich mit Annahme dieses Antrages auf den Boden der Motive zum verflossenen Zuchthausgesehe gestellt, daß die Arbeitswilligen, i-cx-w Streikbrecher, als nützliche Stützen des Staates geschützt werden müssen." — Der socialdemokratischen Presse wird dieser Hinweis auf die „Zuchthausvorlage" um so schmerzlicher sein, als er ein Symptom dafür ist, daß die übrige I Gewerkschaftspresse die Angriffe auf die socialdemokratische I Partei wegen des Schiedsspruchs des Parteitages in Sachen der I Accordmaurer baldigst erneuern wird. , Weder in Frankreich noch in Belgien wird der General streik der Grubenarbeiter trotz der früheren Beschlüsse, zur Ausführung gebracht werden. Bor einigen Tagen wurde auf dem Kongresse der französischen Arbeiterpartei, der in Lyon tagte, der Ausstand aller Grubenarbeiter Frankreichs für den 1. No vember im Princip beschlossen, falls nicht alle Forderungen der Grubenarbeiter bewirkt werden sollten. Diese gehen dahin, daß zunächst der achtstündige Arbeitstag eingeführt werden soll, wobei die Zeit der Ein- und Ausfahrt mitgerechnet werden soll. Ferner soll ein Minimallohn je nach den Ortsverhältnissen festgesetzt, sowie jedem Arbeiter nach 2ojähriger Arbeitszeit eine tägliche Pension von 2 Francs gewährt werden. Inzwischen haben ein zelne Führer der Grubenarbeiter sich überzeugt, daß der Beschluß eines allgemeinen Ausstandes im Hinblick auf die wirthschaft- lichen Verhältnisse, sowie auf die gesammte innere Lage unaus führbar ist. Auch treten die Kammern erst in mehreren Wochen wieder zur außerordentlichen Session zusammen, so daß der acht stündige Arbeitstag gar nicht gewährt werden kann. Wie wenig günstig die Verhältnisse für den allgemeinen Ausstand sind, er- giebt sich auch daraus, daß die wirkliche Mehrheit der Gruben arbeiter im nördlichen Frankreich überhaupt nichts von einem allgemeinen Streik wissen will. Bezeichnend ist andererseits, daß der Sekretär des Syndicates der Eisenbahn arbeiter, Guörard, wieder als Streikapostel besonders her vortritt. Sein Ideal wäre, alle Verkehrsanstalten im ganzen Lande für socialistischc Zwecke zum Stillstände zu bringen. Hier muß die Regierung besondere Vorsicht walten lassen, da auf diesem Gebiete durch einen Streik nicht blos die wirthschaftlichen Verhältnisse Frankreichs schwer geschädigt werden würden. Dem Ministerium Waldeck-Rousseau müßte eine Streikbewegung auch aus politischen Rücksichten besonders bedenklich erscheinen. Ein Streik, der in der nächsten Zeit ausbräche, wäre in der That nicht gegen die Grubengesellschaftcn, auf die es doch abgesehen sein soll, sondern gegen die Regierung gerichtet. Eine Versammlung der Grubenarbeiter in Lens beschloß dessenungeachtet am 13. October eine neue Abstimmung über den Generalstreik in den Grude.n- revicren des Nordens zu veranstalten, machte aber Vorbehalte wegen des Datums, da der Regierung und den Kammern eine genügende Frist bewilligt werden müsse. — Was die Strenk- bewegung in Belgien betrifft, so hat, wie gemeldet, der Nationalcongreß der Grubenarbeiter Belgiens die Vorschläge über einen allgemeinen Ausstand abgelehnt. Ueber chinesische Wirrnisse tmd deutsches Eingreifen wird uns aus Swatau, 17. August, geschrieben: In der Präfectur Chao chow fu treten schon seit langer Zeit oftmals Clan- und Dorfkriege auf, die zuweilen so erbittert geführt werden, daß sie zur Verarmung der Streitenden, natür lich auch zum Verluste vieler Menschenleben, ja in besonders erbitterten Fällen selbst zum Kannibalismus führen. Denn vom Herz oder der Leber eines erschlagenen Feindes zu essen, macht nach Ansicht der hiesigen Eingeborenen stark und kühn, und der Haß bis in den Tod, den man gegen den anderen Clan hegt, kann nicht besser manifestirt werden, als durch den Genuß eines, wenn auch nur kleinen Theiles des erschlagenen Feindes. Selbst Kinder sollen sckon zu diesen schrecklichen Orgien herangezogen werden, denn auf diese Weise verfallen sie der Blutrache des anderen Clans und werden dadurch ihrem eigenen Familienverband um so enger angeschlossen. Man trinkt Blut freundschaft; nur eben, in echt chinesischer Weise, nicht im eigenen Blute, sondern in dem des erschlagenen Widersachers. In den Provinzen Kuang tung und Fokien sind diese Fehden von Alters her bekannt gewesen und müssen wohl ebenso tief ein gewurzelt sein, wie das Nationallaster der Spielsucht. Sie haben stets zu den Zeiten am meisten florirt, wo die Regierungsgewalt am schwächsten war. In neuerer Zeit haben Feuilleton. A Olof Thoroldsen. Roman von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachdruck verboten. Die Brummfliege mußte den Weg aus dem Fenster gefunden haben — vor Olof's Augen gaukelte ein Netz von Spinnweben und Sonnenfäden. Plötzlich fuhr er mit dem Gefühl, in einen tiefen Abgrund zu stürzen, empor. Dicht neben ihm hatte man ihn beim Namen gerufen. „Was ist's? Wasgiebt's?" „Ein Loch in Deiner Weste! Da! Die Cigarrette hat es ein gebrannt! Warte, Du!" Olof richtete sich vollends auf. Neben ihm stand ein kleines Mädchen von zehn ober elf Jahren. Sie trug ein rothes Blousenkleid, hatte goldbraunes Lockenhaar, das rings um das zierliche Köpfchen abstand, treuherzige braune Auge, runde rosige Wangen, «in keckes Stumpfnäschen und ein Grübchen im Kinn. „Wahrhaftig, ich muß eingeschlafen sein", gestand Olof. „Was fangen wir nun mit dem Loch an, Lissi?" „Ja, das sieht böse auS", meinte Lissi, den Schaden sach verständig untersuchend. Ei, was, ich stopf' es schon zu. Siehst Du, das kommt vom Ungehorsam. Du sollst ja nicht rauchen. Du List wohl vor Hunger eingeschlafen. Willst Du gar nicht Mtkag essen?" „Nein, paßt mir nicht. Alle Tage Mittag essen! Stupide GewohnheitSphilistrrei! Was gab's denn heut', Lissi?" „Ach, wir Zwei bekommen blos Milchsuppe und gewärmten Braten", berichtete Lissi, ihr Näschen rümpfend. „Auguste hat natürlich vergeffen, Dich zu rufen als Edwin aus der Schule kam. Sie vergißt ja Alles. Und der Edwin ist ja auch solch' ein Schlummerkopf. Papa undMama haben früher gegessen, und dann kam da« neue Kleid, und dann saß es nicht, und Mama mußte gleich zu Kohn <L Samter deswegen. Alles ist aus Rand und Band wegen des Sängerfestes. Aber nun komm', wir essen zu sammen." „Was, Du hast auf mich gewartet?" „Ach, eS ist ja Freitag, und ich habe Clavierstunde nach der Schule und komme erst um Zwei nach Hause. Heute konnte das Fräulein gar kein Ende finden, weil es die letzte Stunde vor den Ferien ist. — Ach, Olof, freu' ich mich auf die Ferien! — Sonst hätte es nicht so lange gedauert. Komm, steh' auf!" »Du bist ein gutes Thierchen, Lissi", sagte Olof gerührt und zupfte die Stirnlöckchen der Kleinen. „Wahrhaftig, ich bin am Verhungern." Sie aßen zusammen, Lissi machte mit allem Eifer die Wirthin, holte auch eine Flasche Bier für Olof, was sonst nicht üblich war. Als er gesättigt war — oder vielmehr mit Allem aufgeräumt hatte, was Auguste auf den Tisch gestellt, trat er mit Lissi auf den Balcon, setzte sich auf das Geländer und zündete eine neue Cigarette an. „Willst Du auch eine, Lissi? Siehst Du, eine ist noch da. Die bekommst Du dafür, daß Du mich vom Hungertod« gerettet hast. Neue werden nicht angeschafft." Lissi hielt die Hand vor den Mund, ließ sich dann aber doch die Papierhülse zwischen ihre kirschrothen Lippen und blinkenden Zähnchen stecken, rauchte sachverständig an Olof's Cigarette an, hustete, lachte, verschluckte den Rauch, ließ die Cigarette ausgehen und zündete sie wieder an. „Olof, Du mußt mir bei meinem Aufsatz helfen." „Ach, laß mich zufrieden. Ich wollte, die Buchstaben wären nicht erfunden." „Ach, die Buchstaben! Das wäre das Wenigste. Ich wollte die Dampfmaschine wäre nicht erfunden." „Die Dampfmaschine, oho! — Das ist eine kluge und menschenfreundliche Erfindung, weil sie Einen aus einem alten, verdampften und versumpften Erdtheil, wo Tinte und Feder regieren, in einen anderen, jungen, lebensfrischen bringen kann, wo es Ellenbogenraum und Luft zum Athmcn giebt." „Du redest immer, als ob es hier so gräßlich und fürchterlich wäre", schalt Lissi. „Du bist ein unruhiger, unzufriedener Mensch. Ich finde es wunderschön hier." „Für kleine Mädchen ist es ja auch wunderschön." Das nahm Lissi übel. „Du, höre! Ich spiele nicht mehr mit der Puppe. — Kleine Mädchen sind manchmal verständiger als große Jungen. Die wollen Alle zur See und nach Amerika und Gott weiß wohin." „Einige gehen auch, Lissi — ab«r holla! Jetzt muß ich Wohl wieder ins Loch." „Olof, mein Aufsatz!" „Schreib' ihn selber, kleines Faulthier, Du kannst das ganz gut." „Ja, aber tvir sollen ja eine Dampfmaschine beschreiben!" rief Lissi verzweifelt. „Was? Ihr? Ihr eine Dampfmaschine? Rappelts bei Eurem Lehrer? Na, sei ruhig, Lis, ich helfe Dir, übrigens, möchtest Du wirklich eine Idee von einer Dampfmaschine haben? „Hm — ach ja!" „Na, gut. Wenn wir wieder spazieren gehen." Lissi sorgte dafür, daß es noch am nämlichen Abend dazu kam. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzte, mußte cs geschehen, „eoüte guv evüte", sagte die Mutter. Heute paßte es ihr aber selber so. Die Kleine war von der Handarbeitsstunde dispensirt worden, um öfters ins Freie zu kommen, aber Frau Bergau hatte heute hunderterlei Dinge vor und keine Zeit, mit ihr spa zieren zu gehen. Olof wurde zuweilen mit Alice geschickt, im Winter auf die Eisbahn, im Sommer auf die Hufenpromenade. Die Beiden vertrugen sich gut, und der große Junge war doch eine Art Beschützer für das Kind. Von seinem Vergehen von heute früh hatte Frau Bergau officicll nichts erfahren, also auch nicht nöthig, davon Notiz zu nehmen, zumal da ihr Gatte verreist war. — Der alte Herr Müller, der Lissi gar nichts abschlagen konnte, erbot sich bereitwillig, zwei Briefe für Olof zu schreiben, damit er früher fort komme. So gingen sie, Lissi mit ihrem hübschen weißen Strohhütchen, zierlichen Stiefelchen und neuen Handschuhen, Olof ohne solche, in einem billigen blauen Jacket, das ihm aber paßte und gut stand. Lissi plauderte unaufhörlich und ließ sich durch die Foppereien ihres Vetters nicht aus dem Concept bringen. Im Grunde war sie stolz darauf, mit einem erwachsenen jungen Herrn zu gehen, der nicht einmal mehr zur Schule ging und recht gut hätte Student sein können. „Wohin gehen wir?" fragte sie, stehend bleibend. „Wir hätten doch nach dem Steindamm einbiegen müssen." „Ja, wenn wir nach den Hufen wollten. Dampfmaschinen giebt es da nicht." „Ach, die Dampfmaschine! Wo ist sie denn?" „Komm nur!" Sie kamen über eine Brücke, wandten sich dann rechts uno gingen am Fluhufcr entlang. Auf dem Pflaster lagen Scherben, Theertonneu, Taurollen, leere Heringsfäfler. Auf dem Wasser schaukelten kleine und größere Schiffe und Boote, vom stattlichen Haffdampfer bis zur winzigen Jolle. „Pfui, wie gräßlich es hier riecht, meinte Lissi naserümpfend. „Nach Steinkohlen, Thran und Fischen." „Ja, der Fluß ist kein Friseurladen", gab Olof zu. „Wollen wir aufs Wasser?" Eine Anlegebrücke, an der verschiedene Boote angekettet lagen, sprang ein Stück in den Fluß vor. Lissi faßte erschreckt Olof's Hand, als er dorthin einlenkte. „Aber — Olof! das dürfen wir doch nicht?" Er that, als höre er nicht, ging weiter die Brücke hinab, unter der das Wasser graugrün und trübe dahinfluthete. Lissi hatte seine Hand nicht fahren lassen und mußte daher wohl oder übel mit. Olof pfiff einem Jungen zu, der in einem kleinen, zwei-, ruderigen Nachen saß. Der schien ihn zu kennen, setzt« sein kleines Fahrzeug mittels einer Stange in Bewegung und drängte es dicht an die steile kleine Holztreppe, deren schlupfrige Stufen von der Brücke ins Wasser führten. „Also, Du willst nicht, Lissi. Du hast Angst. Na, gut, dann lassen wir's!" „Aber, Olof, was wird der Vater sagen!" Olof zuckte die Achsel. Er stand schon im Boot und prüft« Steuer und Riemen. „Schöpf' das Wasser aus!" gebot er dem Jungen. „Nun, Lissi!" «ie setzte vorsichtig ein Füßchen vor das andere auf den glitschrigen, abgetretenen Treppenstufen. Olof reichte ihr die Hand, um ihr ins Boot zu helfen. „Pfui, wie schmutzig da unten!" rief sie voll Abscheu. „Da kann ich ja nirgends sitzen." „Gieb Deine Jacke, Fritz!" Das in der Sommerwärme entbehrliche Kleidungsstück wurde auf eine der beiden schmalen Bänke gebreitet und ein Brett ge sucht, um Lissi's Füßchen vor Nässe zu schützen. Seelenvergnügt, mit kleinen interessanten Angst- und Gewissensschauern, saß sie da. Olof führte die Riemen, Fritz das Steuer. Nicht ohne Mühe schlängelte der Nachen sich zwischen größeren Fahrzeugen aller Art in das offene Fahrwasser. Die Strömung war hier, nahe der Mündung, nicht stark, half aber doch, die leichte Nußschale von Boot ohne große Anstrengung seitens dec Riemen rasch und gleichmäßig dahin tragen. Schwieriger war die Aufgabe des Steuers, da es mehrmals galt, vorüberzrehenden großen Dampfern auszuweichen. Einmal geriekh der Nachen doch in das Fahrwasser eines solchen, und wurde von den starken Wellen, die seine Schraube aufregte, tüchtig auf und nieder ge schaukelt. Liesst schrie und klammerte sich an Olof's Arm. Aber die Gefahr war bald glücklich überstanden. Immer breiter wurde der Fluß, immer größer die Schiffe, die auf ihm verankert lagen. Reihen von Riesenspeichern, Schmieden, Schiffswerften, Holzplähen, Fabriken begleiteten seine Ufer. Zur Rechten, wo diese sich in sanften Linien erhoben, schimmerten Landhäuser zwischen grünen Baumwipfeln. Zur Linken dehnten sich grüne Wiesen, auf denen Kühe weideten. Am Horizont sah man fünf oder sechs Windmühlen, die lustig ihre Flügel drehten. Kleine Häuschen, Zollstellen, Matrosenkneipen lagen hier und da am Ufer. Auf dem Flusse verkehrten kleine und größere Dampfer auf- und abwärts in rascher Fahrt. Lissi war ganz still geworden, sie schaute mit großen Augen rechts und links. Olof hatte genug zu thun, seinen Nachen sicher zwischen den großen Fahrzeugen hindurch zu bugsiren. Endlich
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite