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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011105021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901110502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901110502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-11
- Tag1901-11-05
- Monat1901-11
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Polizei-Amtes der Stadt Leipzig. Anzeigen »PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Fs. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 78 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördernng .6 60.—, mit Postbesördernng 70.—. Annahmeschluk für Anzeige«: Abend-AnSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr Bei den Filialen und Annahmestellen je «in» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 565. Dienstag den 5. November 1901. S5. Zahrgang. Der Krieg in Südafrika. Weitere «ämvfe. Dem „Reuter'schen Bureau" wird aus Aliwal North unter dem 2. November berichtet: Eine Patrouille unter Capitän Walker von der Colonne Taylor's machte gestern in der Nähe von Wolvekop 21 Gefangene und erbeutete 17 Ge wehre, 500 Patronen, sowie einige Pferde. Unter den Ge fangenen befindet sich die ganze Familie Duplas, die in letzter Zeit den Engländern viel zu schdffen machte. Die Patrouille ist noch nicht zurückgekehrt. Der Verlust der Eng länder beträgt nur einen Leichtverwundeten. In Folge von Regengüssen ist der Oranjefluß gegenwärtig nicht passir- bar. — Aus Worcester wird unter dem 4. November be richtet: Am frühen Morgen des 1. November wurde eine A b - theilung des Worcester-Di st ricts, bestehend aus 17 Mann berittenen Truppen, von einer Streitmacht der Bocren unter van Heerden sechs Meilen von Constable überrascht und nach dem Verbrauche ihrer Munition, mit Ausnahme von drei Mann, die auf Recognoscirung abwesend waren, g e - fangen genommen, van Heerden äußerte sich mit großer Bitterkeit über die Colon ialboeren, von denen man so viel Unterstützung erwartet und so wenig erhalten habe, wies auf den Afrikander-Congreß in Worcester, der zum Einfall in die Capcolonie aufgemuntert habe, hin und erklärte, die im Caplande eingedrungenen Boeren seien entschlossen, die wider spenstigen Farmer, die so viel mit Worten versprochen und so wenig in Thaten gehalten hätten, dem Untergange zu weihen. Die Boeren wüßten, daß sie keine Aussicht auf Wiederher stellung ihrer Unabhängigkeit haben, sie setzten aber den Kampf fort, um die Colomalboeren, ihre einstigen Freunde, die Sache empfindlich fühlen zu lassen (?). — Am gleichen Tage stieß eine andere Abtheilung der Localtruppe von Worcester in der Nähe des Tomo-Flusses auf die Boeren. Es entwickelte sich ein scharfes Gefecht, bei dem zwei Boeren getödtet und sechs verwundet wurden. Die englische Truppe, die von Zeerust aufgebrochen war, nahm acht Boeren gefangen und brachte dem Feinde einen Verlust von vier Mann an Tödten und Verwundeten bei. Blutsteuer». * Bristol, 4. November. Der Schahkanzler Hicks Beach hielt hier eine Rede und erklärte es für möglich, daß in Folge des Krieges in der nächsten Tagung des Parlaments weitere Steuererhöhungen erforderlich seien. Die Commission für Prüfung der Entschädigungsansprüche der aus Südafrika ausgewiesenen Personen hat in ihrer gestrigen Sitzung beschlossen, sich bis Mittwoch zu vertagen, an welchem Tage die Ansprüche eines russischen Unterthanen, die in dem mitRußland getroffenen Ultimatum nicht eingeschlossen sind, gehört und die Ansprüche eines griechischen Unterthanen geprüft werden sollen. Da die Verhandlungen mit dem fran zösischen Vertreter nicht zum Ziele führten, wurde be schlossen, die Verhandlungen über den Anspruch eines fran zösischen Reclamanten, in dessen Interesse ein langer Brief zur Verlesung kam, am nächsten Montag fortzusetzen. Kundgebungen für General Buller. General Buller verließ am Freitag mit seiner Gemahlin seine bisherige Amtswohnung im RegierunAsgebäude von Farn borough und reiste nach seinem Landsitze in Devonshire. Ob wohl die Zeit der Abreise geheim gehalten worden war, hatte sich doch eine große Volksmenge vor dem Regierungsgebäude eingefundcn und der Bahnhof war ganz mit Menschen gefüllt. Als Buller im offenen Wagen angefahren kam, warf eine Gruppe von Soldaten-Wittwen Blumen in den Wagen, und auf dem Bahnhofe wurde Buller mit lautem Jubel begrüßt, der sich beim Abschiede erneuerte. Eine alte Dame, Mutter eines Soldaten, dessen sich Lady Buller angenommen hatte, als er im Hospital war, warf, als der Zug abfuhr, einen Strauß weißer Blumen in das Coupö durch das Fenster. Die Dame war zu diesem Zwecke aus Woolwich nach Farnborough ge kommen. Auf jeder Station, an der der Zug hielt, gab es Demonstrationen. In Exeter, wo sich eine große Menschen menge angesammelt hatte, war der Enthusiasmus am größten, und in Crediton, wo Buller den Zug verließ, war die Bevölke- rung der ganzen Umgebung herbeigeströmt und Buller's Kutsche fuhr durch Reihen von Fackelträgern hindurch. Buller hat aus eine Anfrage der konservativen Vereine von Nordwest-Devonshire geantwortet, er werde jetzt oder für einige Zeit keine Candidatur für das Parlament annehmen. Die „Army and Navy Gazette" behauptet, es gebe keine mili tärische Bestimmung, auf Grund deren Buller wegen seiner Rede hätte entlassen werden können. I)r. Miller Maguire, ein Sachverständiger und Lehrer für militärisches Recht, be hauptet das Gleiche und fordert alle Juristen Englands auf, ihm das Gegentheil zu beweisen. Hicks Brach über Sie Lage. Der englische Schatzkanzler Hicks Beach hielt in Bristol eine Rede, in der er erklärte, er habe bereitwillig Geld für den Krieg in der Hoffnung auf eine baldige Beendigung her gegeben. Die außerordentlich große Anleihe, welche aus genommen worden sei, habe die Nation weniger schwer belastet, als die früheren Anleihen, und den Geldmarkt nicht so sehr beunruhigt. Die Zuckersteuer und die anderen Steuern seien nicht allzu drückend gewesen. Die Consumenten hätten dadurch nicht viel gelitten. Die E i n k o m m e n st e u e r sei jetzt höher als während des Krimkrieges, aber nichtsdestoweniger würde die Steuer von den Steuerpflichtigen gern gezahlt, weil sie gute Patrioten seien. Er bedauere, nicht erklären zu können, daß der schreckliche Krieg beendigt sei und die Steuern abge schafft werden können, es sei sogar möglich, daß in der nächsten Session die Steuern vermehrt werden müßten. Redner wies darauf hin, daß zwei Cavallerie-Regi- men ter am 19. November nach Südafrika zur Verstärkung abfahren, aber nicht, um andere Truppen abzulösen. Im Laufe des Novembers würden weitere 1200 Mann be rittener Mannschaften abgesandt werden, um andere abzulösen. Wenn 12 000 Mann erforderlich würden, könnten 12 000 Mann abgesandt werden, aber die Regierung habe vor Allem den Forderungen des Generals, dem sie vertraue, sofort nachzukommen, und das geschehe auch. Was die Concen trationslager betreffe, so könne er nicht verstehen, wie eine Handlungsweise, mit der so große humanitäre (?) Zwecke verfolgt würden, so falsch gedeutet werden können (?). Die Re gierung bcdaure (?) die große Sterblichkeit durch Krankheit in den Lagern so sehr, wie irgend Einer, und stehe gerade jetzt mit den Behörden in Südafrika in Verbindung, um eine Besserung er Lage (?) der in den Lagern Ünter- gcbrachten herbeizuführen und der großen Sterblichkeit Einhalt zu thun. Die Regierung sei auch, wie schon früher, immer bereit, Frieden zu schließen, aber sie würde auf einem ehrenhaften und vernünftigen Frieden bestehen, und um diesen zu erreichen, vor keinem Opfer zurückschreckcn. Er gebe sich der festen Hoffnung hin, daß Südafrika eventuell für das Reich ein ebenso stärkender Factor würde, wie heute schon Australien und Canada. * Pretoria, 4. November. („Reuter s Bureau".) Die Boeren haben beide Kanonen, die zur Nachhut deS Obersten Benson gehörten, mit sich weggeführt. * Halifax (Neuschottland), 4. November. 300 Mann der königlichen Artillerie gehen mit sechs Max im - geschützen diesen Monat von hier nach Südafrika ab; sie werden durch eine Abtheilung von Bermuda erseht. politische Tagesschau. * Leipzig, 5. November. Es hieße Vogel-Strauß-Politik treiben, wenn mav leugnen wollte, daß die Veröffentlichung der Ortefe des Generals Bayrou an den Feldmarschall Grafen Waldersee in Deutschland andere als unangenehme Empfindungen erweckt hat. Man ist mit Recht erbittert über die Taktlosigkeit und Indiskretion der Veröffentlichung, man fühlt nachträglich mit, welche bitteren Empfindungen den Grafen Waldersee bei dem Empfange derartiger, nicht der Form, aber dem Inhalte nach rüpelhafter Brief: bewegt haben müssen; man erkennt ferner, wie werthlos die mannigfachen gegenseitigen Bezeugungen von Freundlichkeiten zwischen Frankreich und Deutschland gewesen sind und wie man in Frankreich jede Gelegenheit, den Deutschen einen kleinen Rippenstoß zu versetzen, mit Freuden begrüßt; schließlich erhält man einen abermaligen Beweis dafür, wie wenig glücklich der Gedanke der Entsendung des Grafen Walder see nach China gewesen ist. Und doch werden es vielleicht, trotz deS jetzt in Deutschland herrschenden Mißbehagens und der in Frankreich deshalb bemerkbaren Befriedigung, nicht die Fran zosen, sondern die Deutschen sein, die zuletzt lachen. Denn die Veröffentlichung der Briefe beweist in erster Reixe: daß Frankreich kein bllndnißfäh'iger Staat i st. Die Briefe sind veröffentlicht worden entweder mit dem Vorwissen und der Genehmigung der französischen Regierung, oder aber ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung. Ist das Erstere der Fall, so fragt man sich natürlich, was der Grund einer so außergewöhnlichen Maßnahme sein könne. Daß die Regierung die Zustimmung gegeben haben sollte, nur um Deutschland einen Nadelstich zu versetzen, ist nicht wohl an zunehmen, denn so kindisch ist selbst eine französische Regierung nicht. Der Faschoda-Fall hat den Franzosen ja wohl klar gemacht, daß man manchmal für Nadelstiche derbe Ohrfeigen eintauscht. Man würde vielmehr als Grund der Zustimmung zu der Veröffentlichung den Wunsch der Regierung an sehen müssen, gelegentlich der demnächst in der Kammer bevor stehenden Chinadebatten der Kammer und dem französischen Volke den Beweis zu liefern, wie schneidig man die Selbst ständigkeit Frankreichs vertreten habe. Eine Regierung aber, die blos, um inneren Schwierigkeiten zu entgehen und eine gute Stimmung im Lande zu erwecken, geheime Aktenstücke preisgiebt und gleichzeitig ihr Verhältnis zu einem Nachbar staate verschlechtert, ist nicht bündnißfähig. Rußland mutz za dann jeden Augenblick befürchten, daß die französische Negierung gegebenen Falls auch einmal Aktenstücke in die Zeitungen ge langen lassen könnte, deren Veröffentlichung für Rußland recht unbequem sein würde. Zudem documentirt eine Regierung, die zu derartigen unnoblen und gewagten Mitteln greift, ihre innere Schwäche, und das Bündniß mit einem solchen Staate ohne festen inneren Halt ist natürlich nicht angenehm. Die zweite Möglichkeit ist, daß General Vovron die Veröffentlichung auf eigene Faust veranlaßt hat. Es könnte dies geschehen sein, ein mal, um sich der französischen Nation als geschickten Diplomaten in Erinnerung bringen, oder zweitens aus Gewinnsucht, weil ja die Zeitungen derartige pikante und wichtige Aktenstücke an ständig zu honoriren pflegen. Wie dem auch sei: in jedem Falle werden zwei Uebclständc dadurch vor die Oeffcntlichkeit gebracht werden, nämlich einmal die bedenkliche Neigung der französischen Militärs, sich in die Politik einzumischen und nicht sowohl die bestmögliche Ausbildung ihrer Truppen, als vielmehr die Popularität bei der großen Masse als crstrebenswerthestes (Ziel anzusehen; zweitens aber die vollständige Disciplinlosrg- keit der höheren französischen Officiere. Man kann sich in Deutschland gar nicht in den Fall hineindenken, daß etwa General vonLessel auf eigene Faust Briefe in den Zeitungen bringen könnte, die er müden fremdländischen Generälen inChma ausgetauscht hat. Wenn aber die Generäle das Beispiel der Disciplinlosigkeit geben, wie sollen dann die subalternen Officiere und die Mannschaften gute Disciplin halten? Vor einem halben Menschenalter hat Floque den berüchtigten General Boulanger einen Tingeltanael-St. Arnauld genannt; das Steckenpferd der Eitelkeit, das General Voyron reitet, ist nichts Anderes, als der berühmte Circusrappe Boulanger's. Und mit einer Armee verbündet zu sein, die von Tingeltangel-Generälen commandirt wird, ist Sache eines eigenen Geschmacks. So wird man sicherlich die Veröffentlichung der Voyron'schen Briefe in den maßgebenden Kreisen Rußlands mit sehr gemischten Gefühlen betrachten. Napoleon I. hat den unhöflichen Aus spruch gethan: „Man kratze dem Russen den Firniß ob und es kommt der Barbar zum Vorschein"; der ernst veranlagte Selbst- Herrscher aller Reußen mag denken: „Man kratz- den höchst gestellten Franzosen die Amtsmaske ob und es kommt der Hans wurst und der Plebejer zum Vorschein." Da der Reichstag, der bekanntlich am 15. Mai bis zum 26. November vertagt worden ist, schon in der Mitte des De- cembers die Weihnachtspause eintreten lassen wird, also in diesem Jahre höchstens 16—17 Sitzungstage abhalten kann und über dies gleich nach seinem Wiederzusammentritte einige Sitzungen ausfallen lassen muß, um den Fraktionen die Möglichkeit zu ge währen, zu den beiden wichtigsten Vorlagen der Wintertagung, dem Zolltarife und dem Reichshaushalte, Stellung zu nehmen, so verdient der Vorschlag der „Freis. Ztg." Beachtung, daß der Bunvesrath die fertiggesiellten Vorlagen bereits vor dem 26. November dem Reichstage zustellen möchte, damit sie durch das Reichstagsbureau den einzelnen Abgeordneten an ihrem Wohnorte brieflich zugestellt werden. Das würde namentlich in Bezug auf die Begründung des Zolltarifentwurfs sehr wünschens- werth sein, die voraussichtlich sehr umfangreich ausfallen wird, und deren gründliche Durcharbeitung vor ver ersten Lesung für die einzelnen Roichstagsabgeordneten unbedingt nothwendig ist. Je früher den Abgeordneten diese Drucksachen, wenn auch ab schnittsweise, zugehen, um so mehr wird das den späteren Beratkmngen zu Statten kommen, denn darüber scheint unter allen Parteien Einstimmigkeit zu herrschen, daß es im Interesse der Uebersichtlichkeit der Bemühungen nothwendig sei, die erste Lesung des Zolltarifes der des Reichshaushalts - entwurfs Vorgehen zu lassen. Tas hat sich im vorigen Jahre bei der Chinavorlage aufs Beste bewährt. Wenn aber die „Köln. Ztg." den Wunsch ausspricht, es möchten „möglichst wenig Abschnitte vom Zolltarif in die Dunkelkammer der Com- m i s s i o n s b e r a t h u n g e n verwiesen werden", so wird diesem Wunsche schwerlich stattgegeben werden können. Im All gemeinen ist es ja zweifellos, daß das Ueverwuchern der Com- missionsberathungen zur dauernden Beschlußunfährgkeit des Plenums und zur Minderung des Ansehens des Reichstags ganz wesentlich beizetragen hat, aber wie man cine Vorlage, wie das Zolltarifgcsetz und den Zolltarif ohne gründliche und umfängliche Vorberaihung in einer Commission zur Verabschiedung reif machen soll, ist uns unbegreiflich — es müßte denn sein, daß die verbündeten Regierungen von vornherein bestimmt erklären ließen, sie könnten sich auf wesentliche Abänderungen der Vorlage nicht einlassen. Feuilleton 41 * * Die vier Wochen, für die Lisbeth Urlaub bekommen, gingen zu Ende. Im Gesicht der Professorin erschien ein gespannter, ernster Ausdruck, und oft heftete sich ihr Blick forschend auf Herrn Platen. Sie und ihr Mann hatten an den Oekonomie- rath depeschirt, um Verlängerung deS Besuchs gebeten. Aber leicht heftig. Daß Fritz nicht gern Landwirth ist, ist sein größter Kummer, und darum ist er so streng mit ihm." Sie hatte es zögernd und nachsichtig gesagt und schaute nun verlegen vor sich hin. Um ihren Mund aber lag jetzt ein müder, beinahe ältlicher Zug. Sie erschien ihm rührend, und bc- gehrenswerth, ein Dornröschen, das der Befreiung harrte- „Armes Fräulein", murmelte Platen, ihre Hand ergreifend. Eine arme, harte, kleine Hand, der man die Arbeit an merkte. Innig drückte er seine Lippen darauf, immer wieder, bis sie sie ihm entzog. Er kämpfte einen schweren Kampf mit sich selbst. Vor sich das süße, liebe Mädel mit den prächtigen Augen, das arme, liebebedürftige Geschöpf ... Er brauchte nur aufzustehen, diesen schwellenden, schönen, jugendlichen Leib in seine Arme zu Pressen, den rothen Mund abzuküssen, bis ihr der Athem verging . . . Er fühlte, er wußte, daß sie ihm nicht widerstreben würde, und es trieb ihn dazu mit wilder Lust. Sein Herz pochte stürmisch, er blickte sic glühend an, schwer athmend. Er liebte sie, ja, er liebte sie . . . Plötzlich kam er zur Besinnung. War er denn immer noch das willenlose Opfer der Leidenschaft?! Was hatte er sich ge schworen?! Er wollte seinem Herzen nicht die Oberhand über den Kopf lassen; nicht das Blut und die Sinne, der Verstand sollte herrschen. War er denn sicher, ob er es morgen nicht bitter bereuen würde, wenn er diesen Schritt that? Lisbeth ahnte nichts von diesem harten Kampf. Er hatte ihr die Hände heiß geküßt. Und wie hatte er sie dabei an geblickt! . . . Ach, aufjauchzen hätte sie mögen. Welch' eine Stunde war dies! Sie brachte das Glück. „Die Frau Professor scheint nicht so bald zu kommen; ich muß also doch wohl gehen", sagte da plötzlich Platen gelassen, als sei nichts vorgefallen, indem er sich erhob. „Verzeihen Sie, mein gnädiges Fräulein, daß ich Ihre Zeit so lange in An spruch genommen! Grüßen Sie den Onkel und die Tante! Und auf Wiedersehen morgen! Wann reisen Sie?" „Ich weiß nicht ... in einigen Tagen wahrscheinlich", stammelte sie mit erblaßten Lippen. „Hm! Na, also bis morgen! Adieu, Fräulein Lisbeth!" die Antwort lautete nach des liebenswürdigen Schwagers Manier nicht gerade höflich: „Augenblicklich nach Hause kommen! Nicht einen Tag länger!" Es mußte also gehorcht werden. Es änderte sich auch nichts in den letzten Tagen. Herr Platen war heiter wie immer, wenn auch ein wenig zerstreuter. Lisbeth zeigte sogar eine fieberhafte Lustigkeit, als wolle sie die letzten Stunden noch recht auskosten. Als sie aber am Nachmittag des letzten Tages ihre Sachen einpackte, schlich sie müde und blaß von den Schränken zum Korb, vom Korb zu den Schränken, ohne etwas zu Stande zu bringen, die Mundwinkel wie zum Weinen herabgezogen. Das Fortgehen bereitete ihr Weh, bitteres Weh. Auch am Abschiedsabend wollte trotz der verschiedenen Sect- flaschen, welche die Professorin mit weiblicher Schlauheit aufs Eis gestellt hatte, keine rechte Heiterkeit aufkommen. Sogar Herr Platen machte recht matte Witze und schien nachdenklich und verlegen. Man trennte sich spät und recht kühl, und die Professorin wäre ohne Platcn's Versicherung, daß er morgen auf dem Bahn hof sein würde, vor Zorn über ihn geplatzt. Als er fort war, eilte sie Lisbeth in ihr Zimmer nach und nahm sie in ihre Arme. Fragen und sagen mochte sie nichts. Da war jedes Wort über flüssig. Lisbeth reiste am nächsten Morgen ab. Der Aufenthalt war wunderschön gewesen; sie dankte den Verwandten .von ganzem Herzen; aber jetzt war ihr todestraurig zu Muthe. Herr Platen erschien zur Abfahrt, elegant und heiter wie immer und überreichte ihr lachend ein Riesenbouquet. Man hob sie in ihr Coupö, diesmal natürlich zweiter Classe; der Zug dampfte ab, und sie winkte mit dem Taschentuch so lange, bis sie die Drei nicht mehr sehen konnte. Dann zog sie ihren Schleier vors Gesicht und weinte leise, aber bitterlich, hinter der Zeitung, die sie sich vorhielt. * Der Herr Oekonomierath saß in sehr schlechter Laune an seinem Schreibtisch. Der Februar neigte sich seinem Ende zu. Der Winter war milde gewesen, das Frühjahr zeigte seine ersten Vorboten. Der Landmann rührte und rüstete sich nach seiner Winterruhe zu frischer Arbeit. Er mußte durchaus einen neuen Inspektor haben. Das Gut, das er erst im vorigen Jahre durch ein Vorwerk mit Ziegelei arrondirt hatte — sein Nachbar, der Graf, den seine Herren Söhne langsam ruinirten, hatte eS billig hergegeben, Rittergut Tresstn. Roman von R o b e r t M i s ch. KaHtruck verb:t>n. Dann bat er sie, ihm von ihrem Leben zu Hause zu be richten, und wie sie ihren Tag zubrächte. Zu dieser Schilderung genüge allerdings ein Tag für alle, meinte sie lächelnd. Um sechs Uhr müsse sie aufstehen, im Sommer um fünf. Dann ebenso arbeiten wie eine Haus hälterin, eine „Gutsmamsell", die Mägde und die Küche be aufsichtigen, das Mittagessen anordnen und vor Allem die Milchkammer versehen. Da gäbe es viel zu thun mit Buttern und Rahmen. Das wisse er ja selbst als Landwirth. Und dann der Hühnerhof, der Eierverkaus, Obst- und Gemüse garten u. s. w. In einer so großen Wrrthschaft gäbe es immer zu thun. „So sind Sie also nicht nur Hausfrau, sondern auch Wirth- schafterin?" „Ich muß wohl." „Und wann kommt die Erholung, das Vergnügen? Ein junges Mädchen wie Sie will doch auch noch was Anderes als blos Arbeit." „Auch das habe ich", versicherte Lisbeth mit strahlendem Lächeln. „Da ist doch der Fritz, mein Bruder. Der arme Kerl hängt mir immer am Rockzipfel. Er hat ja sonst Niemand, der ihn versteht, als mich. Er ist ein rechter Träumer, möchte gern fiudiren und malen und hat Einfälle — so merkwürdig, ganz phantastisch. Ich glaube, er könnte ein Künstler werden. Nun, und mit dem gehe ich Abends spazieren, hinaus in den Wald oder die Landstraße entlang; und da plaudern wir und lachen und machen Pläne für die Zukunft." „Ein etwa» mageres Vergnügen für eine junge Dame." „Ach Gott, auS Gesellschaften mache ich mir nicht viel." „Aber Sie werden doch Freundinnen haben?" „Eigentlich nicht . . . mein Vater wünscht keinen Verkehr „Also ist er wirklich so streng?" Sie errothete leicht. „Die Tante hat Ihnen wohl erzählt? Mein Gott, er ist ein alter Mann, etwas wunderlich. Manchmal ist es ja nicht leicht, mit ihm auSzukommen; ober er meint eS gewiß gut mit un». Er hat ja auch viel Aerger mit den Leuten und wird weil er Geld brauchte — dos Gut war in den letzten Jahren ständig gewachsen. Und er fühlte sich nicht mehr MNg genug, es wie früher allein zu bewirthschaften. Wäre nur der Fritz ein paar Jahre älter und tüchtiger, statt so ein fauler Schlingel, der am liebsten träumend oder lesend im Grase lag. Oder wäre Lisbeth ein Mann statt ein Frauenzimmer. So mußte er sich mit einem Fremden herumärgern. Und was das Schlimmste war, d i e Sorte wurde immer anspruchs voller und leistete immer weniger. Früher, als er jung war und selbst Jnspector, ehe er sich mit Hilfe einer kleinen Erb schaft und einer reichen Heirath, durch rastlosen Fleiß und äußerste Sparsamkeit so hoch gebracht, früher, da war ein Jn spector mit Allem zufrieden. Ein Kämmerchen genügte ihm damals als Wohnung, und ans Essen stellte man auch nicht solche Ansprüche wie heute. Jetzt mußte Alles fein und elegant und vom Besten sein, Zimmer und Kost. Und behandelt wollten sie sein wie die Fürsten. Waren ihm nicht schon ein paar von den Kerls foriaelaufen, weil er sie „angehaucht" hatte und weil ihnen das Essen nicht schmeckte, das er doch selber aß? Und schimpften sie dann nicht in der Nachbarschaft herum und machten ihn schlecht? Aber das Allerschlimmste: wer was konnte und seinen Mann stand, der verlangte ein Gehalt, mit dem man früher zwei solche Kerle hätte bezahlen können. Und die billigeren taugten nichts, waren zweifelhafte, weggejagte, unfähige Subjekte. Das hatte er dem Vermittler nach Berlin geschrieben. Und was antwortete ihm der Mensch? „Für nichts ist nichts. Die Herren müßten heute so viel lernen und studiren. Wer was könnte, der fühlte sich eben und wollte darnach bezahlt sein." Keine Treue, keine Anhänglichkeit mehr an den Brodherrn. Sein letzter, mit dem es ja noch so ziemlich gegangen war, wenn man ihm auf dem Nacken saß, hatte ihn einfach im Stich ge lassen, weil er eine bessere Stellung bekommen konnte. Nach träglich hatte er das erst erfahren. Darum war ihm der Mensch gleich mit der Kündigung gekommen, als er ihn „angehaucht". Es lagen ihm einige Briefe von Bewerbern vor; aber alle machten sie zu hohe Ansprüche, oder die Zeugnisse waren mäßig. Einer war ein notorischer Trunkenbold, der andere sackgrob (das besorgte er selber). Der dritte verstand von der Brennerei nichts: und gerade dazu brauchte er ihn nöthig. Einen hatte er sich neulich zur Probe kommen lassen. DaS war ein ganz Lberstudirter Mensch, anmaßend und selbst bewußt. Der fand einfach Alles schlecht und verkehrt au?
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