Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.11.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-11-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011130027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901113002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901113002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-11
- Tag1901-11-30
- Monat1901-11
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis 1» der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus' aabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus ./6 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donanstaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-aclion und Expedition: Jvhannisgasse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'- Sortlm. Umversitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katkmrinenstr. 14, Part, und KSnigsvlatz 7. Abend-Ausgabe. MMcr TllgMaü Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Nedactionssrrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (tt gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Vrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./it 60.—, mit Postbesörderung .« 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Natizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. litt. Sonnabend den 30. November 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. 8ur Lage. Die englische Presse ergebt sich mit jedem Tage, d. b. soweit sie die Fabne der Kriegspartei bochbält, mebr und mebr in gefälligen Betrachtungen über die Dank der Tbärigkeit der britischen Truppen auf dem Kriegs schauplätze immer geringer werdenden Anzahl der kämpfen- den Boeren, und sie rechnet jetzt schon mit besonderem Bebagen aus, daß durchschnittlich 1500 Boeren per Monat unschädlich gemacht werden. Diese schone Berechnung baut sich auf den ossiciellen Wockenstatistiken des britischen Haupt quartiers in Pretoria auf und sieht daber für den »Mann in der Straße" der sich nicht die Mühe nimmt, sich über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der amtlichen An gaben den Kopf zu zerbrechen, recht plausibel und an nehmbar aus. ES fällt aber keinem dieser Jingoblätter ein, irgend welchen Nachweis zu führen darüber, daß die ver schiedenen Boerenfübrer, wie Botha, Dewet, Delarcy :c., die Zahl ihrer Mannschaften immer noch nach Tausenden zählen können, und die Versuche der weniger „Proboeren"-Zeitungen in England, die obigen Calculationen auf Grund der wahren That- sachen lächerlich zu machen und all absurÜLM zu führen, erregen regelmäßig nur das übliche höhnische und giftige Gezeter der regierungstreuen Blätter und ihrer Leser, ohne daß aber irgend welcher Versuch gemacht würde, die ernsten Aus führungen der Opposition sachlich zu widerlegen — natürlich aus dem einfachen Grunde, weil dies für die Herren Jingos einfach unmöglich ist. So wird das Lügengewebe immer unentwirrbarer, und je geringer die Aussichten werden, den Krieg irgendwie bald auf dem eingeschlageneu Wege zu beendigen, desto wüster und scrupelloser werden die ossiciellen und osficiösen Versuche, die Wahrheit zu entstellen und baS Volk im Unklaren über die wirkliche Situation zu halten. Inzwischen wird der Nuf von Südafrika nach frischen Truppen immer dringender, da die Feldarmee der vollstän digen Reorganisation und Verjüngung bedarf. Die wenigen Hundert Mann, die noch hmausgesandt werben können, zählen dabei kaum, zumal dieselben fast durchweg rohes Solvatenmaterial ohne Garantien für eine wirkliche Brauchbarkeit in dem schweren und aufreizenden Guerilla kriege repräsentiren. Die Unfähigkeit der britischen Feld armee gegen die kleinen Boerencorps erfolgreich zu operiren, ist beute nicht mehr allein auf die geringen Feldherrenqualitäten der englischen Generäle zurück- zusühren, sondern in der Hauptsache eben auf die sattiam bekannte Kriegs Müdigkeit und naturgemäße totale Erschlaffung der englischen Soldaten. Andernfalls wäre es unerklärlich, daß es einer so gewaltigen Uebermacht, wie die z. B. vor sechs Wochen gegen Louis Botha im süd östlichen Transvaal auSzog, nicht gelingen konnte, überhaupt nur irgend welchen E'folg gegen denselben zu erzielen, ge schweige denn seine Umzingelung und beabsichtigte Gefangen nahme thatsächlich durchzusühren. ES wäre sonst auch nickt denkbar, daß in der Capcolonie seit langen Monaten reckt beträchtlicke Abtheilungen der Boeren sich festgesetzt haben und großen Schaden thun, ohne daß irgend welche Möglichkeit vor zuliegen scheint, trotz der zweifellosen Tüchtigkeist des General French diese Eindringlinge envgiltig unschäd lich zu machen oder sie doch wenigstens von britischem Terri torium zu vertreiben. Auch der letzte Erfolg der Boeren am Vaalslusse bei Villiersdorp wäre ohne die kläglicken Zustände in der britischen Feldarmee undenkbar gewesen, denn dieses Gefecht trug sich zu in nächster Nähe zweier britischer Garnisonen und innerhalb Biicksenschußweite von einer der beiübinten Linien von Blockhäusern, die angeblich die Bewegungsfreiheit der „Boeren-Banden" gänzlich lahm legen sollen. Lord Kitchener braucht also frische Truppen, oder besser gesagt, frische Kämpfer, die er gegen die unbezwinglichen Boeren senden kann. Von England kann er solche nicht be kommen, und deshalb versucht er es mit einem andern Material, das ihm nahe zur Hand liegt. Er giebt die Er- laubniß. Eingeborene zu bewaffnen und aus ihnen specille „Polizeicorps" oder dergleichen zu bilden. Er probirt es, unter der Zahl der freiwillig capitulirten Boeren auf Grund guter KriegSlöbnung und der Zusicherung von reicher Beute neues Soldatenmaterial zu finden und die Boeren durch Boeren zu bekämpfen. Wie weit Kitchener hiermit Erfolg haben wird, braucht nicht erst abgewartet zu werden. Weder das allem Völkerrecht hohnspreckende Hineinzieben der Schwarzen in den Raubkrieg, noch die Einstellung mindestens zweifelhafter bolländiscker Elemente kann die Lage für die Engländer in Südafrika bessern, aber beide Ein richtungen werden sich über kurz oder lang an der britischen Sache rächen." Politische Tagesschau. * Leipzig, 30 November. Die Seemannsordnung ist gestern im Reichstage glücklich um eine der schroffsten Klippen berumgefübrt worden, welche die Commission in dem Fabrwasser des Gesetzentwurfs versenkt batte. Es handelte sich um das von dieser Com mission der Vorlage cingcfügie Verbot des Anlaufens transatlantischer Dampfer an Sonn- und Fest tagen. An keinem anderen Pnncte des Gesetzes ist so stark wie bei diesem der blinde Eifer Derjenigen entgleist, die das Interesse der Schiffsleute gegenüber den Vorgesetzten ober den Nhedereien ohne genügende Rücksicht auf Disciplin und wirthsckaftlicke Interessen im Ange be halten haben. Es ist di-S neben den Social demokraten namentlich die Centrumspartei, die in dem Gefühle des hier begangenen eklatanten Mißgriffs im Plenum einen Mittelweg einzuschlagen suchte, indem sie beantragte, die Reichspostdampfer von dem Verbote ausznnehmen, was indeß die Sache nicht verbesserte, sondern eher noch unhaltbarer machte. Für ihren Standpunkt beriefen sich die Antragsteller darauf, daß ausländische transatlantische Linien ihre Schiffe nicht am Sonntag auslaufen ließen. Der Staatssekretär Graf von Posadowsky verwies indessen auf die Curs- bücher, die das Gegentdeil ergeben, und legte dar, das; die Folge des beantragten Verbots, sofern eS auf ausländische Schisse ausgedehnt werden sollte, die Anwendung von Gegenmaßregeln seitens des Auslandes, sofern cs auf deutsche Schiffe beschränkt werbe, die Be günstigung der ausländischen Concurrenz sein müsse. Denn ausländische Gesellschaften wüioen natürlich nicht zögern, ihre Dampfer an Sonntagen von Bremen oder Hamburg auslaufen zu lassen, während die deutschen liegen bleiben müßten, was Handels- und wi> tbschastSpolitisch besonders be denklich erscheinen müßte angesichts ter durch reiche Capitalien unierstützten Bestrebungen gewisser Gesellschaften in anderen Ländern, den transatlantischen Schiffsverkehr in eigene Controle zu bringen. ES wäre dies geradezu eine ernste Bedrobung der deutschen Ueberseeschifffahrt. Einem so wichtigen Interesse gegenüber müsse die im Allgemeinen noch ausgiebiger den Arbeitern zu sichernde Sonntagsruhe an Bedeutung zurücktreten. Der Staatssekretär schloß mit der Erklärung, daß er im Namen der verbündeten Regierungen spreche und daß die Aufrecht erhaltung des CommissionSbeschlusses dem Gesetze die aller ernstesten Schwierigkeiten bereiten würde. Diese eindringende Mahnung verfehlte ihre Wirkung nicht; die Streichung wurde beschlossen und damit, wie gesagt, einer der Hauptgründe beseitigt, aus denen man das Scheitern des mit so großer Mühe dem Hasen nahe gebrachten Werkes besorgte. Heute dürfte die zweite Lesung des Gesetzes zu Ende geführt werden. Die von der „Nordd. Allgem. Ztg." in Aussicht gestellte „eingehende Beleuchtung" der von dem Senior der philo sophischen Facultät in Straßburg, Prof. Adolf Michaelis, im „Lotsen" gegen die preussische Nniverfitätsverwultung erhobenen Anklage ist das Regierungsoraan bisher schuldig geblieben. Einstweilen siebt sich Prof. l)r. A dol f H a rn a ck in Berlin durch eine Anregung der „Nat.-Ztg." veranlaßt, der angegriffenen Verwaltung beizuspringen. Er citirt zunächst die folgenden, von ibm vor drei Jahren in seiner „Ge schickte der K. Preußischen Akademie" niedergelegten Sätze: „Ein Monarch kann der Wissenschaft durch lebendiges Interesse und thatkrästige Förderung große Dienste leisten, noch größere, wenn er selbst die hervorragenden Geisler zu schätzen und anzu feuern weiß. Aber das höchste Verdienst erwirbt er sich um sie, wenn er über ihrer Unabhängigkeit wacht und ihre Pflege ein sichtigen Näthen anvertraut. Dieses Verdienst gebührt Friedrich Wilhelm III. in Bezug aus die Akademie". An die e Sätze knüpft Harnack die folgende, auf das ganze Reich bezügliche Auslassung: „In Bezug auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse bin ich der Meinung, Laß die Unabhängigkeit der Wissenschaft am stärksten von den parlamentarischen Parteien bedroht wird, und daß ihnen gegenüber die Regierungen zur Zeit Wächter und Schützer derselben sind a— soweit sie es vermögen In diesem Sinne habe ich Las ernste Wort Mommsen's freudig und dankbar begrüßt und hoffe, daß die große Bewegung, welche es hervorgerufen hat, die Regierungen in der Haltung stärken wird, das Heiligthum der Wissenschaft vor störenden Eingriffen des Consejsionalisinus und verwandter Gewalten zu schützen." Dann gebt er auf Preußen über und sagt: „Neben diesem Schutze ist es der wichtigste Dienst, der der Wisscmchaft seitens der Regierung geleistet werden kann, daß ihre Pflege einsichtigen Rathen anvertrant wird. Jüngst ist nun von Straßburg aus ein animoser Angriff auf die heutige Universiiätsvcrwaltung in Preußen ausgegangen. Da er so verstanden werden kann, als gebe er die allgemeine Meinung wieder, so halte ich mich für verpflichtet, diesem Mißverständ nisse zu begegnen. Ob die letzten neunzehn Jahre einst das schwärzeste oder ein schwarzes Blatt in der Geschichte der Uni- versitäten Larstellen werden — diese Frage kann nicht nach dem Maße des berechtigten oder unberechtigten Unwillens beant wortet werden, der in einigen Universitätskreisen herrscht. Hier kommt vielmehr Alles allein darauf an, ob die Re- gierung Len fortschreitenden Bedürfnissen und Ausgaben der Wissenschaft und der Universitäten ein verständnißvolles und thatkräftiges Wohlwollen entgegen gebracht, ob sie die Lehrstühle mit den rechten Männern besetzt und ob sie ihrer Wirksamkeit Raum und Luft gelassen hat. Diese Fragen werden, deß bin ich sicher, in weiten Kreisen bejaht — mag auch Jedem ein einzelner Fall vorschweben, in welchem die Dinge nicht so gegangen sind, wie man es hoffen durste. Werden sie aber bejaht, so sind wir der heutigen Universitäts verwaltung denselben Dank schuldig, der einst Altenstein und Johannes Schulze gebührte. Gewiß, Manches wünschen wir anders, aber das liegt nicht aus der Hauptlinie, und der Pessimismus, Len jener Angriff des Prof. Michaelis zur Schau trägt, ist ungerecht und gefährlich zugleich. Er würde, wenn er berechtigt wäre, außerdem auch gegen die Universitäten selbst zeugen; denn, wie keine andere Körperschaft im Staute, haben sie Recht und Kräfte und Mittel, sich zu wehren." Was nun zunächst die auf daS Reich bezügliche Aus lassung betrifft, so muß es befremden, daß Harnack behauptet, die Unabhängigkeit der Wissenschaft sei am stärksten von „den parlamentarischen Parteien" bedroht und habe Liesen gegenüber Wächter und Stützen bei „den Regierungen". Tbatiäcklich haben die Mittelparteien die Un abhängigkeit der Wissenschaft niemals bedroht und Kat sich in dem „Falle Spabn", der den Senior der philo sophischen Facultät in Straßburg zu seinen Angriffen veranlaßte, das Wächter- und Schützerthum der betreffenden Regierungen in einem freiwilligen Entgegenkommen gegen die Forderungen einer einzelnen parlamentarischen Partei offen bart. Harnack behauptet also in diesem Theile seines Abwebr- versucheS nicht nur mehr, als er beweisen kann, sondern auch in Bezug auf den brennenden Fall nachweisbar Falsches. Und das raubt dem speciell auf Preußen bezüglichen Theile seiner Abwehr der Michaelis'schen Angriffe die Ueberzeugungs- kraft. Es kommt hinzu, daß gerade Harnack sich des Schutzes der preußischen Regierung gegen seine ultrauiontanen und hochconservativen Feinde erfreut und mithin als ein unbe fangener Zeuge nicht Wohl gelten kann. Jedenfalls bat er die von der „Nordd. Allgem. Ztg." in Aussicht gestellte, auf amtliches Material sich gründende „eingehende Beleuchtung" jenes Angriffes nicht überflüssig gemacht. In dem Augenblicke, wo in Deutschland die tbeilweise Umgestaltung des Zolltarifgesetzes die öffentliche Meinung lebhaft beschäftigt, ist in Brüssel in dritter Auflage eine wirlksckaitSpolitische Encyklopäbie erschienen,deren Verfasser, der belgische Universitätsproscffor Brants, mit einer von jeoer Polemik und Parteilichkeit freien Darstellung und mit überzeu gender Klarheit daS Princip VesLchutzes Per nationalen A>beit vertritt. Herr BrantS constalirt zunächst, daß alle civilisirten Völker, soweit ihre geschichtliche Entwickelung übersehen werden kann, wenn auch nicht dauernd, jedoch ausnahmslos in sich wiedeihvlenden Perioden ihre Lanbwirthschaft, Industrie und Handel gegen den Wellbewerb des Auslandes geschützt haben. AuchdieEngländersind von dieser Regel nicht auszunehmen. Durch die Navigationsacte von 165 l, welche das republikanische englische Parlament auf Ciomwell'S Veranlassung genehmigte, hat diese, Staatsmann die spätere maritime und commerzielleEnt- wickelung deS vereinigten Königreiches vorbereitet, und wenn man in England späterhin diese Art der Wirtschaftspolitik aufgab und von dem im Anfang des vorigen Jahrhunderts befolgten Reciprocitätssystem allmählich zum völligen Frei handel Lberlenkte, fo geschah dies, weil sich England allen Feuilleton. Die Marmortiebe. Eine Hofgeschichte von Jean Bernard. Naidkruck vkrl-oNn. Er begab sich sofort nach dem Zimmer des Hofraths, um, wie er sagte, ein ernstes Wort mit ihm zu reden. „Ich stehe zu Ihren Diensten, Herr Graf", sagte der Baron höflich, „belieben Sie, Platz zu nehmen." Graf Vesan blieb stehen, als habe er die Aufforderung nicht gehört; er begann in feierlichem, ernstem Ton: „Es hat sich ein sehr bedauerlicher Umschwung der Dinge hier vollzogen. Sie werden sicher bereits davon wissen da Sie ein dienstliches Schreiben nach H. . . abgesandt haben." „Natürlich im Auftrage Seiner Hoheit." „Das setze ich selbstverständlich voraus; allein dieses Schreiben mußte vor seiner Absendung zu meiner Kenntniß gelangen, damit es ins Dienstjournal eingetragen werden konnte . . ." „So? Die von Merger gefertigte Copie des Schreibens hätten Sie dann Ihrer Hoheit der Frau Herzogin gesandt." „Ich verbitte mir dergleichen; Sie kennen die Vorschriften des Dienstes so gut wie ich — und ich muß das bestimmte Er suchen stellen, daß alle dienstlichen Schreiben in Zukunft durch meine Hand gehen . . ." „Hm! So weit Seine Hoheit es nicht anders zu befehlen belieben. Wenn Sie sonst leinen Wunsch an mich zu richten haben, so befinden Sie sich an der unrichtigen Stelle; sprechen Sie doch mit Seiner Hoheit selbst über die Sache!" „Wozu? Ich bin der Leiter dieser Reise und habe die amt liche Befugniß, von Ihnen gewissenhafte Auskunft über Alle» zu verlangen, was den Zweck dieser Reise betrifft.« „Sie verstehen, das Alles fo positiv hinzustellen. Vor läufig sind Sie nur Hofmarschall, als welcher Sie Vie Caffe führen und für die Bequemlichkeit Seiner Hoheit und des Gefolges zu sorgen haben. Der Leiter dieser Reise ist Seine Hoheit selbst. Bezüglich des Zweckes der Reise, der auf die Verheircrthung Seiner Hoheit abzielt, werden Sie allein die beste Auskunft geben können, da Sie mich thunlichst von allen Berührungen mit dem Hofe fern zu halten suchten. Ich lasse mich demgemäß in dieser Sache auch auf nichts ein; über das Derhältniß des Prinzen zur Prinzessin Petrowna fehlt mir Dank Ihren Anordnungen jede» Urthetl." „Wie kommt es aber, daß der Abbruch der Beziehungen mit Ihrem Besuch in G. zusammenfällt?" „Herr Hofmarschall, Sie thäten am besten, solche spitze Fragen nicht zu stellen, die mir zu seltsam sind, um darauf zu antworten. Daß der Prinz die Prinzessin nicht liebgewinncn konnte, ist weder Ihre noch meine Schuld. Weshalb sollen wir uns über eine Sache ereifern, die wir nicht ändern können, auf deren Gang wir keinen Einfluß haben?" „Sie begreifen eben nicht, wie dieser unerwartete Abbruch der Beziehungen auf mich gewirkt hat! Ich habe mehrere Be richte nach H . . . geschickt, in denen ich von dem besten Fort gang der Angelegenheit in den bestimmtesten Ausdrücken ge sprochen habe. Wie stehe ich nun da?" „Wie ein Voreiliger", sagte Eder ruhig. „Wie werde ich den Mißerfolg unserer Reise verantworten?" „Stellen Sie sich die Sache nicht zu schwer und wichtig vor. Wie sollte man Sie zur Verantwortung ziehen, die allein dem Prinzen zukommt? Sprechen Sie bei Seiner Hoheit nur nicht von Ihrer Verantwortung, der Prinz würde Sie einfach auslachen." „Das mag sein; aber in H . . . urtheilt man anders und wird mir den Mißerfolg in die Schuhe schieben." „Was kann Ihnen daran liegen, so lange der Prinz hinter Ihnen steht? Schließlich ist es doch persönliche Angelegenheit des Prinzen, wen er heirathen will, und nicht Ihre oder meine!" „Und können Sie mir denn nicht sagen, was in jenem Schreiben stand, das ohne meine Controle nach H . . . abging?" „O sicher! Seine Hoheit dictirte mir ein Memorandum an seinen Herrn Vater, worin er, ohne die Prinzessin im Geringsten zu belasten, die Gründe angiebt, weshalb er nicht um sie werben wolle und könne; der Hauptgrund war, so viel ich mich entsinne, daß er sie nicht lieben könne " „Er selbst hat dies dictirt? Seltsam, mir schien es stets, als ob er au der Prinzessin Gefallen fände, und ich kann es jetzt noch nicht fassen, wie es so hat kommen können! Wie ich hörte, will der Prinz nicht einmal direct heimkehren, sondern nach Moskau reisen. Wozu das?" „Vielleicht aus Reiselust. Ich könnte das verstehen! Ich bin oft von einer Stadt zur anderen gewandert, ohne recht zu wissen, warum. Ich pflege die Entschlüsse meines Herrn nicht zu deuten, sondern auszuführen. Das wird für uns Beide das Beste sein. Allerdings gestehe ich, daß mich auch einiger maßen die Neugier plagt, zu wissen, was der Prinz in Moskau will; da er mir jedoch nichts darüber gesagt hat, so nehme ich einstweilen an, daß er es vorläufig selbst nicht weiß. Hat er Ihnen denn schon Anweisungen gegeben?" „Bt, jetzt nicht . . / Die weitere Rede des Grafen wurde durch den Eintritt Embder's unterbrochen, der den Hofmarschall zu Sr. Hoheit entbot. Was ihm da mitgetheilt wurde, hätte sich der Graf nie und nimmer träumen lassen. Se. Hoheit war sehr ungnädig ge stimmt und beliebte nur im Befehlton zu reden, was er ge wöhnlich vermied. Der Prinz benachrichtigte den Hofmarschall, daß er mit dem Abendschnellzug nach Moskau reisen werde, wo er sich einige Wochen aufzuhalten gedenke. „Sie, Herr Graf", fuhr er fort, „werden sich mit Merger in einem Hotel niederlassen, bis ich nach Petersburg zurückkehre; denn nach Moskau sollen mich nur Baron v. Eder und Embder begleiten. Ihre Adresse werden Sie dem Baron angeben; wir werden in Moskau im Hotel France absteigen, was Sie sich notiren mögen." „Und unsere Beziehungen zum Hof?" „Sind geregelt. Doch ja, falls man Sie fragt, so sagen Sie, daß es sich nur um eine Erholungstour handelt und ich in Bälde nach Petersburg zuriickkäme. Dasselbe können Sie auch nach H . . . melden, falls von dort eine Anfrage kommt. Also warten Sie auf mich, bis ich die Tour vollendet habe, und vergnügen Sie sich, so gut es geht." „Ich kann es noch nicht fassen." „War ich denn nicht deutlich genug? Sie sollen hier bleiben!" „Ganz wohl, Hoheit, aber ich bin unglücklich, Ihr Vertrauen verloren zu haben." „Ach was, bilden Sie sich dergleichen Sonderbarkeiten nicht ein. Sie waren doch früher nicht empfindlich, wenn ich In Berlin ohne Sie ausging; es ist nur ein Zeichen meines Wohl wollens, daß ich Ihnen die Strapazen der Reise und der von Moskau aus zu unternehmenden Ausflüge ersparen will. So viel ich mich erinnere, begeisterten Sie sich nie sehr für Fuß partien. Also machen Sie sich's hier bequem!" „Wie Hoheit befehlen; allein wie soll es mit der Cafse ge halten werden? Befehlen Hoheit, daß ich eine ausreichende Summe auf eine Bank in Moskau anweise?" „Wegen der paar Wochen? Nun ja, für alle Fälle wird ein Credit gut sein; ich werde Ihnen durch Baron v. Eder die nöthige Summe nennen lassen." „Befehlen Hoheit sonst noch etwas?« „Danke, Herr Graf, ich wüßte sonst nichts." Der Hofmarschall verbeugte sich ceremoniell und entfernte sich zähneknirschend vor innerer Wuth. Aber eS half Alles nichts. So wie der Prinz es angeordnet, geschah es. Der Abendschnell« zug entführte die Reisegesellschaft gen Süden, und Hofmarschall Graf Vesan konnte nicht» thun, al» sich tief zu verneigen, da Hoheit geruhten, ihm aus dem geöffneten Abtheilfenster noch mals zuzuwinken. Eigenthümliche Gedanken bewegten den vom Bahnhof heim fahrenden Grafen. Hinter dieser Fahrt nach Moskau steckte mehr als Erholungsbedürfniß und Wanderlust. Das stand bei ihm fest. Aber was denn? Hm! Sollte der Prinz gar . . .?" Möglich wäre es schon, in Berlin liebte er auch bis weilen derartige Abenteuer! Allein wie sollte er in Rußland so rasch ein Mädchen kennen gelernt haben? Nein, das hätte er bemerkt. — In diesem Kreisläufe bewegten sich ständig seine Gedanken — und am Ende war er so gescheidt wie zu Anfang. Indeß berichtete er ausführlich über die Ereignisse der letzten Tage an Ihre Hoheit die Herzogin und seine Meldung endet« mit dem Satze: „Soeben fuhr Hoheit nach Moskau ab." Zehntes Capitel. Am Asowschen Meer! Welch' entzückenden Anblick bietet die unaufhörlich bewegte Wasserfläche! Dort Vie kleine Bucht, in welche das Meer unablässig seine Wellen hineinwirft, um sie dann wieder zurück zu empfangen, nebenan steil aufsteigende Felsenpartien, welche Weingelände tragen, daran sich schließend ein prächtiger Park, gegen das Meer zu mit Gartenanlagen ge schmückt, inmitten deren ein wunderbarer Marmorbau griechischen Stiles sich erhebt: das ist ein Besitzthum, um das man den glücklichen Inhaber beneiden möchte. Auf dem ganzen idyllischen Bilde ruht der Glanz einer südlichen Sonne; man könnte glauben, am Gestade eines großen italienischen Sees sich zu befinden, wäre nicht der Ausblick auf das Wasser so un begrenzt — und das Hin- und Herwogen der Wassermassen so ungestüm. Hier, wo die wilden Wasser des Asowschen Meeres am Ufergelände brandend anschlagen, hier endet auch der idyllische Charakter der lieblichen Uferlandschaft, aber hier be ginnt der Ernst, die Gefahr. Steil ist das Ufer, hoch auf gebaut auf Felsenuntergrund, so daß die Marmorvilla des Fürsten Gallitschin, vom Meer au» gesehen, wie auf einem Berge gebaut erscheint. Hier befindet man sich sozusagen schon im Sommer, während drinnen im Lande noch unfreundliches Wetter herrscht. Die Bewohner der Villa haben im Garten ein Zelt aufgeschlagen, um die Mittagsstunden und bisweilen den Nachmittag dort zu zubringen. In dem nach der Meerseite zu offenen Zelte saßen an einem Tischchen zwei Damen, eine ältere, die Fürstin Gallitschin, und ein junges Mädchen von lebhaftem Temperament. „In diesem Jahre beginnt der Wassersport früh", meinte die Fürstin, auf die Wasserfläche hinausdeutend, wo man ein Tegelboot erblickte. „Tiehe, verowna, ist da» nicht derselbe
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite