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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020102026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902010202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902010202
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- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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Anzeigea-Pret- die 6gespaltene Petitzeile 25 Reelamen unter dem Redaction-strich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschlnß für Anzeigen: > Ab end-Au-gabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. < , Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 2. Januar 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Da- Blockhaus-System. Es ist schon so viel über den Werth bezw. Unwerth der britischen Blockhäuser in dem südafrikanischen Kriege ge schrieben worden, und die über die Zweckmäßigkeit des ganzen Blockhaussystems geäußerten Ansichten sind so verschieden, daß man sich nur an der Hand einer für diesen Zweck besonders hergestellten Karte, wie wir sie unseren Lesern beistehend bieten, ein Urtheil über den möglichen Erfolg bilden kann, welchen Lord Kitchener von dem werteren Ausbau des BlockhailsnetzeS zuversichtlich erwartet. In erster Linie sollten die nach ver schiedenen Plänen errichteten Blockhäuser nur zum Schutze der Eisenbahnen dienen, und wurden daher unmittelbar neben den Schienensträngen in Abständen von etwa 1000 Metern von einander erbaut und durch eine Stacheldrahtumzäumung gegen Ueberrumpelung der Boeren geschützt. Als sich dann heraus stellte, daß der beabsichtigte Zweck thatsächlich, wenigstens zum Theil, erreicht wurde, dehnte man das Blockhaussystem immer weiter aus und legte, nachdem die gesammtcn Bahnstrecken in beiden Boerenrepubliken ihre Blockhäuser erhalten hatten, solche auch im offenen Lande an den Hauptverbindungsstraßen an, um hierdurch die Bewegungsfreiheit der zahlreichen, aber numerisch schwachen Boerencommandos zu verringern. So hat man in Transvaal bis jetzt vier derartige Blockhauslinien angelegt, zwei östlich und zwei westlich von Pretoria, und im Oranjefreistaat hat man deren ebenfalls vier, darunter zwei von bedeutender Länge, errichtet. In unserer Karte sind nun die Blockhäuser durch schwarze, volle Kreise kenntlich gemacht, so daß man auf den ersten Blick das ganze Blockhaussystem, so weit dasselbe bis heute fertig gestellt ist, klar übersehen kann. Im östlichen Transvaal sind die Delagoa- und die Natal-Bahn linie durch zwei solcher Blockhausreihen verbunden. Eine der selben führt 130 Kilometer weit von „Burgspruit" direct nach „Greylingstad", und die andere, 80 Kilometer lang, von „Eerste Fabriken" über „The Springs" nach „Heidelberg". Westlich von „Pretoria" ist zwischen „Bredts Neck" in den „Magalies- bergen", unweit „Rustenburg" und „Frederikstad", nördlich von „Potchefstroom", eine solche Blockhauslinie von 120 Kilometer Länge fertiggestellt, und eine zweite, 80 Kilometer lange, führt von der Quelle des „Schoonflufles", nördlich von „Venters dorp", bis zur Einmüdung desselben in den „Vaalfluß". Die beiden letztgenannten sind 120 Kilometer bezw. 80 Kilometer lang. Im Oranjcfreistaat ist zunächst fast die ganze Süd grenze gegen die Capolome durch eine Blockhauslinie geschützt, die sich von Alival North im Osten bis zur Oranje-River- Station der Eisenbahn C-qpstadt-Kimberley hinzieht, und zwar genau dem Laufe des Grenzflusses folgend. Diese Linie hat eine Länge von 320 Kilometer und soll den Boeren den Ein fall in die Capcolonie erschweren. Eine zweite Blockhauslinie von 300 Kilometer führt von „Jacobsdal", südöstlich von „Kimberley", am „Modder River" entlang, bis nach „Bloem fontein" und dann von dort weiter über „Tabanchu" nach „Ladybrand". Weiter im Norden führt eine dritte Blockhaus linie, 180 Kilometer lang, von „Vierfontein" über „Kroon- stad" nach „Lindley", und eine vierte von 80 Kilometer Länge von „Heilbronn" nach „Lindley". Diese acht Blockhauslinien haben also eine Gesammtlänge von 1290 Kilometer. Hierzu kommen noch die speciell zum Schutze der Eisenbahnen selbst angelegten Linien, deren Länge in Transvaal 720, im Oranje freistatt 38,0 und in der Capcolonie 700 Kilometer beträgt. Dies ergievt für alle Blockhauslinien zusammen 3090 Kilo meter Länge. Rechnet man nun auf je 1000 Meter ein Block haus mit je 15 Mann Besatzung, so ergiebt sich, daß allein 45 000 Mann von diesen Blockhäusern absorbirt werden, die natürlich zu irgend welchen Operationen im freien Felde nicht verwendet werden können. Denkt man sich ferner zur weiteren Pacificirung des Landes und Einengung der noch im Felde stehenden Boeren die Zahl der Blockhäuser verdoppelt oder gar verdreifacht, wie dies beabsichtigt sein soll, so würde England, trotz aller Hilfscontingente, welche die britischen Colonien dem Mutterlande zur Verfügung stellen, keine nennenswerthe Truppenmacht mehr den Colonnen Botha's, Delarey's und De Wet's entgegenstellen können. Dagegen werden die an den Bahnlinien gelegenen Blockhäuser den Rückzug der britischen Truppen, wenn es zu einem solchen noch kommen sollte, sichern und erleichtern. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Januar. Die ReujahrSbeteichtungcn der deutschen Presse unterscheiden sich diesmal von den früheren durch einen etwas gedrückten Ton, stimmen aber mit ihnen insofern völlig überein, als sie fast sammt und sonders der Ueberzeugung Ausdruck geben, es könne nur anders und besser werden, wenn den Rathschlägcn der Parteien, deren Richtung die betreffenden V'ätter vertreten, Beachtung ge schenkt werde. Den leitenden Persönlichkeiten fehlt es also auch an der Schwelle des neuen Jahres an Rathschlägen nicht. Diese aber ihrer Buntscheckigkeit halber mit cu-em Lächeln abzuthun, scheint uns denn doch nicht rathsam. Wenigstens einige von ihnen sind lehrreich deshalb, weil sie gerade von solchen Seiten kommen, die am wenigsten Ursache hätten, Sen S^aatenlenkern Mangel an Entgegenkommen Vorzuwersen, uno trotzt n den längsten Wunschzettel präsentiren. Daß zu den unzufriedensten der eigentlich am meisten zu Danke verpflichteten Parteiorganen die Blätter des Centrums und des Bundes der Land- wirthe gehören, braucht wohl kaum gesagt zu werden. Auch die Regierenden werden darauf gefaßt gewesen sein. Aber sie mögen nun auch die Lehre daraus ziehen, daß weitere Zugeständ nisse nach diesen beiden Richtungen nur die Begehrlichkeit reizen und sie, die Regierenden selbst, einer völligen Abhängigkeit unter werfen würden. Was wir besonders im Reiche am nöthigsten brauchen, ist eine starke und zielbewußte Regierung, die sich nicht von herrschsüchtigen und begehrlichen Parteien hin- und herziehen und von Concession zu Concession nöthigen läßt. Unter den Rathschlägen werden also die am meisten zu beachten sein, die weniger den Parteieinfluß, als die Festigkeit und Unabhängigkeit der Regierungen zu stärken trachten. In welche Kategorie von Neujahrsbetrachtungen wir die des R e g i e r u n g s o r g a n s i m F ü r st e n t h u m R e u ß ä. L. einordnen sollen, wissen wir nicht. Erwähnt aber muß sie werden, weil sie zeigt, von welchen Stellen aus nach dunklen, selbst dem Umrisse nach unkenntlichen Zielen Volkstheile durch Herabsetzung des theuersten Helden der Nation geführt werden sollen. Das genannte Blatt bricht bei diesem feierlichen Anlaß mit der anmuthigen Gepflogenheit, seine Leitartikel dem „Bayerischen Vaterland" oder den „rechts- mrteilichen" Blättern zu entlehnen, und läßt unter dem Zeichen des Kreuzes einen Ritter vom Geiste specifischen Reußenthums zu Worte kommen. Dieser politische Falstaff aber führt seine publi- cistische Klinge im Wesentlichen folgendermaßen: „. . Unrecht und Gewalt regieren nach wie vor die Bismarckische Welt von heute: ein Völkerrecht giebt es nicht mehr, das Eine hat der „Jahrhundcrtmensch" („Säcalarmensch"), der große Prophet des „Gewalt geht vor Recht" durch seine frevelhafte und frivol« Po litik und ihre fluchwürdigenThaten wenigstens erreicht. Ind darum ist denn auch das Rechtsbewußtsein den großen Massen aller Orten völlig abhanden gekommen." — Nachdem der Vor kämpfer des wahren Reußenthums alsdann versichert hat, der nationale Koller habe anläßlich des China-Abenteuers seinen Siedepunct erreicht, die ostasiatische Expedition aber habe voll ständig Fiasco gemacht und dieses Fiasco werde hoffentlich d deutsche Volk veranlassen, „seine Auffassung von Kaiser ,id Reich und Allem, was damit zusammenhängt, endlich einmal einer gründlichen Revision zu unterziehen", kehrt er wieder zu Bismarck zurück. Die Wort« „Kaiser und Reich" sind „seit und durch Bismarck nureinePhrase und Farce"; der .Reichstag „ist und war seit und durch Bismarck nichts als eine Geldbewilligungsmaschine und ein Feigenblatt des Absolutismu s." — Dieses Alles und noch viel mehr Faselei ist dem Greizer Particularisten blutiger Ernst. Der arm« Mann hat zweifellos Anspruch auf das allgemeinste Mit leid. Ihm den Genuß dieses Mitleids verkürzen zu wollen, liegt uns durchaus fern. Aber man wird es Niemand verdenken können, wenn er sich mit Widerwillen vom Anblick eines „rechts parteilichen" Federheldrn wegwendet, der seinem ein Jahv lang angesammelten Groll an der Jahreswende dudurch Luft macht, daß er Bismarck's Grab bespuckt. Welches Heil die Regie rung von Reuß ä. L. von solchen Leistungen ihres Organs er wartet, giebt sie hoffentlich zu Nutz und Frommen der übrigen deutschen Regierungen vertraulich im Bundesrat-« bekannt. Der französische Minister Millerand sollte be kanntlich, weil er den Zarenfesten beigewohnt und sogar einen russischen Orden angenommen hatte, nach dem Liebknectzt'schen Recepte: „Wer nicht parirt, der fliegt hinaus", aus der franzö sischen socialtstische» Partei ausgestoßen werden. Nach An hörung aller der mannigfachen Schattirungen der französischen Socialdemokratie wurde über diesen Antrag mit 27 gegen 16 Stimmen, bei 11 Stimmenthaltungen, zur einfachen Tages ordnung übergeganHM. Dabei ist zweierlei zu berücksichtigen: 1) müssen die 11 Stimmen, die sich enthielten, doch denen zu- gerecl. -t mei-ven, die eine Excludirung Millerand's als zu schroff fanden, so das, dje radicalen Genossen noch nicht ein Drittel der Stimmen auf sich vereinigten (16 gegen 38), und zweitens wurde die einfache Tagesordnung votirt, d. h. es wurde nicht etwa gesagt: Genosse Mill-rand hat zwar durch die Be theiligung an den Zarensesten und die Annahme eines Ordens gegen die Grundsätze der Partei verstoßen und verdient einen Tadel, aber mit Rücksicht auf seine Verdienste um die Partei wollen wir noch einmal ein Auge zudrücken. Da wird man denn daran erinnert, daß vom Standpunkt-, der Socialdemokratie aus hochverdiente Parteigenossen, gewissermaßen Märtyrer der Partei, in Deutschland von den „Genossen" einen Rüffel erhielten, weil sie das ungeheure Verbrechen begangen hatten, sich in der officiell boykottirten „Philharmonie" in Berlin den geistigen Genuß eines Concerts zu gestatten. Ander« an» gesehene Mitglieder der Partei wurden gerüffelt, weil sie als Stadtverordnete von Berlin an der Begrabnißfeier für den um die Stadt hochverdienten und politisch sicherlich nicht reaktionären Oberbürgermeister von Forckenbeck theilnahmen. Ein künstle- Feuilleton. Gesühnt. 1s Roman von E. Eschlicht. Nachdruck »rrbotrn. Es klopft« — und ohne den Zuruf abzuwarten, trat der Consul Herbert Theuerdank «in und begrüßte den alten Schiffs- capitän Höinzer und dessen Tochter Emilie mit einem frohen „Guten Tag!" „Guten Tag! — Einer gleicht freilich bei uns dem Anderen, lieber Consul!" erwiderte der alte Herr und erhob sich van seinem Fensterplätze, wo er im langen blauen Rock saß und aus einer langen, silberbeschlagenen Pfeif« rauchte, deren Meerschaumkopf auf den: niedrigen maurischen Tischchen ruht«. Auch Emilie, die am anderen Fenster ihrem Vater gegenüber faß, zierliche Blumengewinde aus Frschschuppen anfertigend, grüßte freundlich den sich n«ben Heinzer niederlassenden täglichen Hausgast. „Nun, wie steht's, lieber alter Wettermacher", fragte Theuer dank, „das Barometer steigt so rapid — ich denke, es giebt Sturm!?" „Na — na! Nicht so ungestüm, Herr! — Wetterfahne steht noch auf Nord-Nord-Ost — es kommt aber wohl Südwind mit Regen, hier in meinen Fußspitzen sitzen die genauesten Qurck- silbrrröhrchen — und es zieht darin und sticht heute wie mit feinen Nadeln!" „Ja", sagte Emili«, „ich habe Bater schon ein« Decke um die Füße geschlagen — denn er fitzt mir immer heimlich mit ab gezogenen Schuhen!" Sie war aufgestanden und wickelte dem Vater die Decke, die bei der Begrüßung herabgerutscht war, wieder sorgsam um. Theuer ¬ dank sah mit einem wohlgefälligen Lächeln auf die braunen Zöpfe Emiliens, di« sie im Doppelkranz um «den Kopf gelegt trug, und die doch noch am zierlichen Hinterhaupte einen stattlichen Knoten bildeten; im Nacken spielten gelockt die kurz«n Härchen mit einem helleren goldigen Schimmer auf dem elfrn- beinweißen Hals und bis zu den rosigen kleinen Ohren. Wie sie so mit den schlanken Händen emsig und sorgsam auf und ab fuhr und er die feine biegsame Gestalt gebückt vor sich sah, blickte er ernsthaft an ihr hin und sagt«: „Heinzer, unsere Emili« ist ein« klassische Schönheit, Revers vnd Ader- find ja dello» l". Sie erhob sich rasch und erröthend und sagte: „Bkiben wir bei Nord-Nord-Ost, Herr!" „Nein, Kind! Du hörst doch, daß es Süd-West werden muß, aber, wie alle Frauen, hast auch Du keine Logik, obwohl Du für Frauenemancipation stimmst!" Sie zog die Brauen zusammen und sagte: „Was soll d«r Unsinn? Ich will nur, daß Frauen, di« ein Geschäft betreiben, oder mit ihrer Häckde Arbeit selbstständig Kinder erziehen müssen, stimmberechtigt sind — das ist keine Emancipationsforderung, sondern nur Gerechtigkeit! Erlaßt solchen Frauen denn auch 'wenigstens die Steuern, wo ist sonst ein Sinn darin, sie stimm los zu halten." „Na ja, klein; Emilie — ich will Deine Sache, wenn ich wiederoewählt werde, im Reichstage vorbringen, damit alle kleinen Hübschen Mädchen, die kkine, hübsche Bouquets aus Fisch schuppen fabriciren können, künftig wahlberechtigt sind! Richtig, richtig, — die dumme Geschichte soll anders eingerichtet werden, und Emili: soll rechtskräftig an die Wahlurne!" Emilie sagt« nichts, mit verhaltenem Lächeln warf sie ihm einen strafenden Mick zu, zuckte mitleidig die Achseln und nahm ihre Arbeit wieder auf, der Thmerdank mit unverwandten Blicken folgte, während er nach einer kleinen Pause fortfuhr: „Kinder, bei Euch ist es zu behaglich und hübsch! Ich fühle mich hier auch weit mehr zu Hause als jemals im Leben bei mir! Dort ist Alles zwar reich und schön — die erwachsenen Söhne kommen und gehen — Mnleschottrn führt mit knixender Anmuth und schwarzseidenen Filethandschuhen den Haushalt — und doch vermiss« ich mehr, als ich verstehen kann, meine verstorbene Frau, mit der ich bei ihren Lebzeiten doch gar nicht so innig verbunden war, daß sich heute eine solche Stimmung vollberechtigt erklärt; wenn ich bei mix im Comptoir fertig bin — denke ich beständig sehnsuchtsvoll hierher; di«s Haus ist wie eine Heimath für den Weltwanderer — ich denke auch aller Länder und Zungen —, Wirth und Wirthin stets am Platze, um Rede und Antwort zu geben. Die schönen, gedogenen, alten Möbel stehen an den Wänden seit einem Jahrhundert, künden den Wohlstand und zeugen für di« Pietät — Dinge von Alters her, über die unsere Zeit längst hinweg ist! Ich möchte hier auch nicht ein Stück entbehren — nicht einmal den Ecktisch mit den Pfeifen hinter Ihnen Heinzer obwohl er verteufelt nach Tabak riecht! Rings Ordnung und Ruhe! Gleich wird Kaffe« getrunken — ich sehe schon, der Tisch ist hergerichtet, im Nebenzimmer mit dem Oberlicht! Ach ein Zimmer mit Oberlicht, das ist ein Ideal; kühl im Sommer, warm und geschützt k» Winter — und immer wirst e» so schön« Reflexe auf Emiliens Näschen und ihre zarten, bleichen Farben! Hab' auch draußen an Louise ein Packet Kuchen abgegeben, und Louise mit ihrem einzigen Zahn, der doch von ihr wie ein köst liches Juwel in dem für ihn zum Alleingebrauch ausgeräumten Palais gehütet wird; Louise hat mich versichert, daß in zwanzig Minuten der Kaffee „klar" ist!" „Ja, ja, Herr Theuerdank — Louis« filtert den Kaffee nicht, sondern kocht ihn ganz altmodisch; und klar heißt nicht nur hier im seemännischen Sinne fertig, sondern gilt als Adjectiv!" sagt« Emili«. „Adjectiv!" lachte Theuerdank. „Heinzer, unsere Emilie ist schön emancipirt und gelehrt — ich darf nicht vergessen, daß sie ein Examen ouru Isucio gemacht hat — "das Kind ist mehr als wohlgerathen! Nun sagen Sie doch auch mal was!" „Das kann geschehen — es geht mir ja nicht ganz so schlimm, wie dem alten Mecklenburger Gutsbesitzer Rudolph Müller, der von sich sagt«: „As ick jung wir, harren de Ollen dat Wurt — nu ick olt bün, hebben de Jungen dat Wurt — so bün ick mien Leben nich tau Wurt koamen!" Was aber meine Emilie betrifft — ich weiß wohl, sie ist ein seltenes Kind. Sie brauchen es ihr aber nicht immer ins Gesicht zu sagen, sic hat sich schon manchmal darüber beklagt; auch was die Emancipation anbelangt — wenn ein Mädchen klug und umsichtig denkt, wie ein Mann; wenn «ine Frau 'den Hausstand ernährt — warum sollte ein« solche nicht mindestens den vielen faulen und vertrunkenen Kerls gleich berechtigt sein? Ja — und so ein Kind, wie Emilie! Sie Haden Recht — ihr Werk ist es auch, daß die hübsche alte Cajüte wie eine Heimath aussieht, in 'der es einem Jeden wohl sein kann! Und darum auch lebt man so hin, als könnt «s niemals anders werden mit uns paar Menschen hier im Hause zusammen. Gott schütze uns vor Veränderungen!" Jetzt erschien Louis« im Nebenzimmer und setzte prunkend die große silbern« Kaffeekanne auf den Tisch, rückt« noch an Tellern und Tassen und rief gebieterisch: „Es kann getrunken werden, aber, bitte, man gleich, eh' er kalt wird — «r hat nicht warten gelernt." „So?" lachte Theuerdank. „Mrd es aber doch wohl manch mal müssen, wie wir auch!" „Na — da wird er aber nicht besser von. Ob Herr Consul davon besser geworden ist, sieht man ihm freilich nicht an", fügte sie etwas leiser hinzu, den Vorderzahn ihres Unterkiefers bissig herausschiebend. „<Ne müssen wissen, Herr Consul: Haffen und Harren macht Manchen zum Narren!" „Ja, ja, Louise — schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort!'' Sie hüstelte, um besser überhören zu können und verschwand eiligst. Nun begaben sich die drei Kaffeegäst« an den Tisch; Theuer dank unterstützte den schwerfällig sich fortbewegenden Capitän, und Emilie trug ihm seine Decke nach und den Pfeifenfchemel. „Schon um des Zuckers willen lieb' ich Euren Kaffectisch: Dieser hohe Becher von englischem alten Goldfayence mit dem braunen Colonialzucker, der durchsichtigen Perlen glcicht — der schwer« Streulöffel dazu — Alles patriarchalisch treu — wie der Kaffee noch End« vorigen Jahrhunderts bei uns getrunken wurde, zur Zeit seiner Einführung in reiche Kaufmannsfamikicn durch dk Seeleute, die immer Feinschmecker waren; damckls nahm man, wie auf Batavia, Stückchen braunen Candiszuckers ldazu in den Mund! — Ja, Ihr wißt hier vortrefflich zu l«ben, laßt Euch die guten Vorbilder der Alten durch keine Neuerung schmälern! Alle Gewohnheiten und Ueberkommenheiten machen das Leben behaglich; denn eben sie tragen «den Heimbegriff mit sich, athmcn eine patriarchalische Ruhe, die doch sonst zu verdrängen, unser Zeitalter durch sich selbst gedrängt wird." „Nun, lieber Freund", sagte der Capitän, „auch unser Zeit alter zieht seine Gewohnheiten groß, sobald es sich nur mit seinen Empfindungen gesetiled hat; freilich drängt es die bewegliche Masse unter uns Menschen in den Vordergrund und auf die Bildfläche, die. wie der leichte Mehlstaub beim Drehen in der Mühle, übe- das Tuch wegsliegt und Staub macht; aber es sondern sich auch dabei vortrefflich die Werthe der Waare! Ich, obgleich ein gefesselter Mann, dem die scheinbare Ruhe doch nur «ine aufgedrungenr Nothwendigkeit ist, ich liebe dies unruhvolle Zeitalter, das den ganzen Bele'.gungs- und Entwickelungsgang der Menschheit in neue Bahnen gelmkt hat — ich alter Halb lahmer — denken Sie nur — ich warte auf die Flugmaschin«, ich warte auf ein plötzlich zu gewinnendes Hilfsmittel für diesen köstlichen Apparat, der das Gas nicht benöthigt — wie doch auch dermaleinst die Luftpumpe den Horror vnoui über den Haufen warf — ja, so lang« möchte ich gerne noch leben — es lebt sich ja auch so unaussprechlich schön hier mit meinem lieben Kinde und treuen Freunden — ich möchte die Uhr in diesem stillen Hause anhalten können und ungerechnete Jahr« so leben!" Emili« hatte die Hände um den Becher mit dem braunen Zucker gelegt und sah mit leuchtenden Augen der Pfeifenspitz; nach, die der lebhafte alte Herr in schwingender Bewegung nach dem einfallenden Lichte zu erhob. „Seht, Heinzer — sitz' ganz still, Emilie — ganz still — seht, Heinzer — ist sie nicht in diesem Augenblicke von verklärter, von entzückender Schönheit?"
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