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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020104029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902010402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902010402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes nnd Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Nr. 7. Tonnabend den 4. Januar 1902. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile SS H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung ./i 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Atmahmeschluß für Anzeige«: Abend-Au-gab«: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. W. Jahrgang. A»Mil für die Miimmn IM Mmtag, dkl 6. md MMaz, dm 7. Imm erbitten uns bis heute Abend ? Abv. Der Krieg in Südafrika. Dewet'S Angriffe. Dem „Standard" werden jetzt auS Pretoria vom 31. December noch folgende Einzelheiten über den Kampf bei Tweefontein ,m Nordosten des Oranje-Freistaates gemeldet: Ehe Dewet die Engländer bei Tweefontein über fiel, hatte er am Langebera einen Angriff gemacht. Tie Boeren hatten sich dort in den Tongas versteckt und waren über das offene Feld gegen die Engländer gestürmt. Bis auf 130 m kamen sie der englischen leichten Reiterei nahe, wurden aber durch ein mörderisches Feuer an weiterem Vordringen verhindert. Die Boeren flohen, obgleich Dewet versucht haben soll, sie mit der Peitsche wieder zum Angriff zu treiben. Seine Verluste sollen damals 100 Mann an Tobten und Verwundeten betragen haben. — Bei dem Kampfe von Tweefontein soll Dewet 1500 Mann unter sich gehabt haben. Die Boeren hatten ihre Stiefel auSgezogen und krochen während der Dunkelheit schweigend die steilste Seite deS Hügels hinaus. Die Eng länder hatten dort keine Wacken ausgestellt, weil sie es für unmöglich hielten, daß die Boeren auf dieser Seite an greifen könnten. Nur auf der Spitze des Hügels war ein Vorposten aufgestellt. Dieser wurde von den Boeren über rascht und überwältigt, gerade als der Mond verschwand. Sämmtliche Leut« deS englischen Vorpostens wurden getödtet, ohne daß ein Schuß abgegeben wurde. Dann stürmten die Boeren den Hügel hinunter, an dessen Fuße daS englische Lager sich befand. Die Leute schliefen und nur einige Posten waren in unmittelbarer Nähe des Lagers auf gestellt. Einige Schüsse und Geschrei weckten die englischen Soldaten, allein zu dieser Zeit befand sich schon eine Anzahl Boeren innerhalb des Lagers, welche die Deomen mit den Bajonetten, die sie den englischen Soldaten auf der Spitze des Hügels abgenommen hatten, erstachen. Die Aromen, obgleich vollständig überrascht, vertbeidigten sich sehr tapfer. Eapitän Crawley und ein anderer Officier sammelten einen Theil der Leute um sich und schlugen den ersten Ansturm zurück, während Major Williams zu dem Geschütz lief und dasselbe bediente; allein dasselbe wurde, nachdem zwei Schüsse abgegeben waren, wegen Verstopfung unbrauchbar. Der Major leitete weiter die Vertheidigung, bis er siel. Er batte nicht weniger als 14 Wunden erhalten. Der Kampf schwankte eine Zeit lang hin und her, allein die überwältigende Anzahl der Boeren machte eine wirksame Vertheidigung unmöglich. Dennoch setzten die Engländer dieselbe fort, bis 70 Officiere und Soldaten gefallen und 80 verwundet worden waren. Die Uebrigen mußten sich dann ergeben und nur 50 Mann gelang es zu entkommen. Der Kampf hatte eine halbe Stunde gedauert. Das ganze Lager, ein Geschütz und ein Pompom fielen den Boeren in die Hände. Nachdem Dewet diesen Erfolg errungen hatte, beeilte er sich, seine Beute nach dem Langeberg in Sicherheit zu bringen. Den 200 Gefangenen wurde Alles abgenommen und sie selbst wurden dann an einem Puncle 16 km vom Lager entfernt freige-1 lassen. Dewet zog dann in der Richtung auf Reitz ab. I General Elliot folgte ihm und blieb zwei Tage mit ihm in Fühlung, allein Dewet vermied jedes Gefecht. Seinen Rückzug deckle er mit 500 Mann, zwei Geschützen und zwei Pompoms. Am Sonntag theilten sich nordöstlich von Lindley die Commandos und so wurde jede weitere Verfolgung un möglich. — In einer Zuschrift an die „Times" wird den englischen Officieren der Vorwurf gemacht, daß sie in Bezug auf Vorposten noch immer nichts gelernt hätten, denn die Affaire von Tweefontein gleiche sehr derjenigen von Majuba vor zwanzig Jahren. 6. 17. Der Botha, der die Boeren befehligte bei der Vernichtung der Damant'schen Colonne bei Tafelkop, ist nicht der Sohn des Generalcommandanten Louis Botha, sondern einer der beiden ältesten von den fünf Söhnen des im Anfang des Jahres 1901 gefallenen Philipp Botha, die alle unter den Waffen sieben. Louis Bvtha's ältester Sohn ist erst 15 Jahre alt; freilich befindet auch er sich schon auf Commando. * London, 3. Januar. Aus Johannesburg wird dem „Rcuter'schen Bureau" vom 28. December gemeldet, General Botha habe in einer Mittheiluug an sämmtliche Boerencomman- danten diese zur Fortsetzung des Kampfes aufgefordert; denn Anfang Januar werde das englische Parlament zusammeiitrelen und zur Bewilligung neuer Mittel zur Fortführung Les Krieges auf gefordert werden; dies aber würde Las englische Volk nicht zugebcn, und daher würden die Truppen aus Transvaal zurückgezogen werden. * London, 3. Januar. Das Kriegsamt veröffentlicht ein Schreiben, in dem der Obercommandircnde der Armee Lord Roberts in Beantwortung der Anfrage einer Dame die in aus wärtigen Blättern enthaltenen Behauptungen über grobe Aus schreitungen englischer Officiere und Soldaten gegen Boerenfrauen und -Mädchen, namentlich solche aus dem Flüchtlingslager von Irene, für vollkommen unbegründet erklärt. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Januar. Wie die „Nat.-Ztg." erfährt, bat sich Lie Unterredung, die der Reichskanzler am Mittwoch mit dem öster reichisch-ungarischen Botschafter hatte, auf die Kund gebungen der Polen im galizischen Landtage bezogen. Näheres hat das genannte Blatt über die Unterredung nicht erfahren; aber nach dem halbamtlichen Artikel der „Nordd. Allgem. Ztg." über diese Kundgebungen wird kein Zweifel über die Absicht bestehen können, die den Grafen Bülow zu der Unterredung veranlaßte. Fast gleichzeitig mit dieser hat in Wien der deutsche Botschafter Fürst Eulenburg mit dem Grafen GoluchowSki eine Besprechung gehabt, die, wie man hört, den Artikel der „Nordd. Allg. Ztg." zum Gegenstände hatte. Graf GoluchowSki soll bei dieser Gelegenheit betont haben, wie sehr die österreichische Regierung unter dem Drucke des Polenthums stehe. Diesen Druck kennt man auch in Berlin und zieht ihn in Rechnung. Aber so weil kann die deutsche Rücksicht auf die bedrängte Lage der befreundeten Regierung doch nicht gehen, daß sie von dieser die stillschweigende Duldung jeder polnischen Rücksichtslosigkeit und Hetzerei gegen Preußen und Deutschland nicht verübelt. Hoffentlich hat Fürst Eulenburg dies dem Grafen GoluchowSki eben so klar gemacht wie Graf Bülow dem österreichisch-ungarischen Bot schafter in Berlin. Und hoffentlich bestätigt es sich auch, was das „Berl. Tagcbl." aus Rom erfahren haben will, daß nämlich die preußische Regierung sich beim Batican über die Förderung beklagt habe, welche die polnische Geistlichkeit der polnischen Bewegung angedeihen läßt. Freilich hätte das schon längst geschehen sollen. Aber besser spät als gar nicht. Vielleicht entschließt sich der Papst, der soeben einen Hirtenbrief an die böhmischen und die mährischen Bischöfe über den deutsch-tschechischen Sprachenstreit gerichtet hat, denn doch, sich über die polnische Agitation vernehmen zu lassen, die in den gemischt-sprachigen preußischen Landestheilen die deutschen und die polnischen Katho liken einander mehr und mehr entfremdet und deshalb auch dem Vaticau nicht gleicbgiltig sein kann. Vor der Hand freilich ist von einem von Rom ausgehenden Versuche der Dämpfung der polnischen Bewegung noch nichts zu spüren. Der „Westfäl. Mercur" schreibt zwar: „Man kann wirklich nicht sagen, Laß die Polen sich wie eine unterdrückte und geknechtete Nation betragen, wenigstens gegenüber Preußen-Deutschland nicht. Ihr Auftreten ist vielmehr bei uns und noch mehr im Auslande oft ein so herausforderndes, daß man sich unwillkürlich fragt: wie würden sie sich gegen uns erst be- nehmen, wenn sie nicht die „Unterdrückten", sondern die Herren wären'? Deutsche Bischöfe und Geistliche werden von polnischer Seite dreist angegriffen und geschmäht, wenn sie sich nicht allen an maßenden Wünschen der Polen fügen. Das hat der frühere Bischof von Paderborn und jetzige Erzbischof von Köln vor einiger Zeit erfahren. Von den Klagen des Bischofs von Eulm haben wir noch ganz jüngst in dem Beleidigungsprocesse gegen einen polnischen Redacteur gehört. Wenn der verstorbene Erzbischof vr. Din der auferstehen und reden könnte, würde er wohl auch Einiges erzählen können. Die Ausrede, daß es sich da immer nur um einige räudige Schafe handele, gilt nicht. Ein paar Schreihälse müßten von der großen Mehrbeit der polnischen Bevölkerung sehr bald zur Ruhe zu bringen sein, wenn Liese ihr Auftreten ernstlich mißbilligte. Wir brauchen nicht nochmals zu betonen, daß wir die Prügelei in Wre sch en verurtheilen. Aber die Art und Weise, wie die zum Theil doch recht nichtsnutzigen Bengel durch maßlose Auf bauschungen und Uebertreibungen jetzt von polnischer Seite förmlich zu Märtyrern gestempelt werden, kann unsere Sym pathie nur abschwächen. Was man da kürzlich an Ergüssen polnischer Blätter über den Vorgang gelesen hat, würde grotesk und lächerlich genannt werden müssen, wenn man nicht so deutlich hindurch sähe, daß den Machern die Prügelei wegen ihrer agitatorischen Verwendbarkeit im Grunde nur will kommen ist. Die dreiste Einmischung der Polen deS Auslandes in diese Sache ist wahrlich nicht dazu angethan, uns die Vertretung der polnischen Rechte zn erleichtern. Was würde man im Au-laude wohl sagen, wenn bei uns im Reichstage oder preußischen Landtage eine Partei eine Erklärung abgäbe, worin mit Bezug auf die Be- Handlung der Deutschen in Rußland oder Ungarn gesagt würde, die Losung: „Macht geht vor Recht!" habe dort alle menschlichen Gefühle erdrückt, wenn von „Grausamkeit, Unbill und Bedrückung" u. s. w. die Rede wäre? WaS würden speciell die Polen in Galizien sagen, wenn eine solche Erklärung sich gegen ihre Behandlung der Ruthenen richtete? Aus den Phrasen des Fürsten Czartoryski kann man ohne Mühe herauslesen, daß großpolnische Hoffnungen die eigentliche Triebfeder für diese Demonstration sind. Wir deutschen Katholiken wollen das Freundschaftsbündniß zwischen Deutschland und Oesterreich ungetrübt aufrecht erhalten wissen. Es kann uns sür die Sache der Polen nicht sonderlich erwärmen, wenn sie es muthwillig zu stören suchen. Mögen sie sich nur ja nicht täuschen lassen über die Empfindungen weiter Kreise der deutschen Katholiken." Ja, selbst die „Köln. VolkSztg." eignete sich in ihrer Nr.4 die auf die Auslassung deS Fürsten Czartoryski bezüglichen Ausführungen des „Wests. Merk." mit geringen Abweichungen an. Sehr rasch aber ist in dem rheinischen CentrumSblatte der Wind wieder umgeschlagen, denn in seiner Nr. 6 richtet es unter dem Autorzeichen deS KrummstabeS einen heftigen Angriff gegen den Grafen Bülow, weil „derselbe Staats mann, der mit so großer Vorsicht bemüht war, die englische Empfindlichkeit nicht zu verletzen, nach einer anderen Seite, wo viel mehr Porzellan zerschlagen werden kann, anscheinend mit so leichtem Herzen vor gebt." Die „andere Seite" ist Oesterreich und als Zer schlagen von Porzellan betrachtet eS jetzt die „Kölmsche VolkSztg.", daß der Reichskanzler die maßlose Kundgebung deS Fürsten Czartoryski nicht für einen „Abschluß" galizischer Einmischungsversuche ,u preußische Angelegenheiten gelten läßt, sondern auf diese neue polnische Herausforderung mit einem „kalten Wasserstrahl" in der „Nordd. Allg. Ztg." geantwortet bat. An sich wäre es ja herzlich gleichgiltig, wenn die „Köln. VolkSztg." von heute die „Köln. VolkSztg." von gestern demenlirt nnd um die Obren schlägt; aber da daS Blatt eine solche Züchtigung an sich nicht vornehmen würde, wenn I es sich nicht dadurch an einer Stelle, auf deren Wohlwollen I es daS größte Gewicht legt, insinuiren möchte, so muß man an- I nehmen, daß von dieser Stelle (Rom) auS irgend ein Wink Fenilletsn. Gesühnt. 3j Roman von E. Esch richt» Nachdruck verboten. Das Schlüsselkörbchen am Arm, trat ihm seine Hausdame entgegen; sie hatte stark verweinte Augen und reichte ihm mit bitter-süßem Lächeln die Hände, die in halben Filethandschuhen steckten. Sie war ganz in Schwarz gekleidet; sie war sehr tüchtig, sehr bescheiden über sich selbst denkend, aber mit einer großen Meinung von ihrer Stellung, der zu Ehren sie auch immer noch Trauer um die längst verstorbene Hausfrau trug, zu der sie doch in gar keiner Beziehung stand, als daß sie schon in deren kränklichen letzten Lebensjahren dem Hauswesen vorgestanden hatte. Aber sie besuchte die Selige wöchentlich zwei Mal an Markttagen mit frischen Blumen und Kränzen auf dem Kirch hofe; nnd da sie auf dec Verstorbenen Wunsch und Willen den Dienstboten gegenüber sich mit so geheimnißvoller Strenge und Unverbrüchlichkeit zu berufen wußte, war unter ihnen traditionell angenommen, daß eine Art stillschweigenden Uebereinkommens noch immer zwischen ihr und der Seligen bestünde. Sie hielt Thränenvergießen für eine Nothwendigkcit in dieser feierlichen Stunde, indem sie jedoch Theuerdank's Thcil- nahme scheinbar abzulehnen wünschte. Auf dem blank pokirten Mahagonitisch stand zwischen zwei hohen brennenden Lampen ein herrlicher Blumenstrauß, au, den sie mit prächtiger Armbewegung hinwies: „Ja, ja — ach Gott, ja — Sauters brachte dies — und ich knüpfe daran meine innigsten und treuesten Glückwünsche, denen unsere edle Frau vom Himmel herab ihren Segen spenden wird!" Und da sich Theuerdank über die Blumen neigte und den Duft einsog, weil er nicht wußte, was er sagen sollt«, bemerkte sie mit ihrem gewöhnlichen sanften Ton: „Ja — ach Gott, ja! um Entschuldigung wegen der zwei Tropfen daneben — ich vergaß sie abzuwrschen — die Rührung entlockte sie meinen überquellenden Augen! Dennoch habe ich die Zimmer noch schön geordnet — auch den Blumen bereits Wasser gegeben —!" Endlich erwachte Theu«rdank's Humor, und um die Sache mit ihr kurz zu machen, sagte er: „Mulcschotten, halten Sie Ihr ver ehrtes Mäuleken — ich weiß, ich weiß: Sie sind eine Perle!" »Ach, Herr Consul, ach, Herr Consul Theuerdank", und sie hob di« Arme beschwörend gen Himmel. „Sie scherzen mit den -heiligsten Gefühlen eine- treuen Herzens! Aber ich weiß, ein» tiefe Seelengröße adelt Ihre Brust — ich thue ja auch Alles, was ich kann! Die Krammetsvögel sind schon gerupft — und harren bec gebräunten Butter, oder belieben Sie, daß ich noch etwas mehr Wasser auf die köstlichen Blumen gieße?" „Gehen Sie zu Bett, Muleschottcn — nun aber fix, es ist die höchste Zeit!" „Ach ja — ach Gott ja! Ich war so frei, den begleitenden Brief im Speisezimmer neben Ihr Couvert zu legen — Herr Theuerdank, wenn wegen vorgeschrittener Stunde nicht die Krammetsvögel — sehr schöner Spickaal dürfte —" „Mein Gott, Muleschotten, Sie könnten sieben Erzengel erwürgen, mich erstickt schon ein Wuthanfall!" Sie lief nun erschreckt ein bischen hin und her, und da Theucr- dank mitten !m Zimmer stehen blieb, rannte sie plötzlich hinaus und kehrte gleich mit dem Briefe zurück, ihn feierlich mit einem tiefen Knix überreichend. „Nun aber im Geschwindschritt, Muleschottcn!" und seiner hinauscomplimentirenden Handbcwegung folgte sie rückwärts schreitend, indem sie in der Thür noch einmal tief zusammen- knirte, während Theuerdank immer mit freundlichem Nicken rief: „Gute Nacht, alte, gute Muleschotten! — ich weiß, Sie meinen es treu!" Und sie schloß nun ganz leise die Thiire hinter sich zu und ging, als fürchte sie, ruhelose Geister aufzuscheuchcn, still nach oben hinauf. Mit znsammengepreßtcn Lippen öffnete er den Brief: „Mein Geliebter! Aus der Ueberstürzung von Glück und Unglück heraus kann ich Dir nur sagen, daß ich nie an das Gefühl einer Seligkeit geglaubt habe, wie ich sie Dir verdanke. Ich habe meinen Bruder benachrichtigt, und wenn ich auch nicht seine Freundin bin, so bin ich doch seine Schwester, und er war bis beute für mich das Familienhaupt; er erwartet Dich morgen Vormittag — dann empfange ich Dich noch einmal aus seiner Hand. In Ewigkeit di« Deinige." Er drückte den Brief in der Hand zusammen — ihr, der muthiqen Braut gehört« die Welt! Warum auch hatte er feige geschwiegen? Was konnte, was wollte er nun noch sagen? Er erlag einem Zufall — sein Schicksal war trotz der innerlichen Tragik lächerlich und unrecht! Nun waren die beiden Emilien sein geworden an einem und demselben Tage — er konnte nun wählen — nein! Vorläufig war die Wohl entschieden — mit ihrer ganzen Familie war die Verlobte Siegerin! Obwohl dem Bruder seit der Erbschaft-. theilung fast feindlich gegsnüberstehend, schwand durch ihre Ver lobung mit dem Geschäftsberather alle Zweideutigkeit und fand ihre natürliche Lösung! Darum auch halte Emilie nicht gesäumt, jetzt wieder den Bruder herbeizuziehen. Theuerdank knirschte in ohnmächtigem Zorn! Wie ihn das Schicksal äffte mit seinen eigenen Principien — gerade ihn. „Liebe, die wir geben, Pflichten, die wir erfüllen, Treue, die wir halten, — das''ist unser einziger, unantastbarer Besitz — sonst sind wir die Spielbälle des Schicksals, und rings um uns ist Alles unverläßlich, wie die Thorheit! Alle wahrnehmbaren Dinge gehorchen bestimmten Gesetzen; nur der Mensch steht außer halb der physikalischen Berechnung, mit seiner ganzen Psyche — sobald er sich auf Andere verläßt oder bezieht; nur uns selbst sind wir zuverlässig — den Anderen sind wir es so wenig, wie sie uns!" Wohin war nun das so klar entwickelte Sclbstbewußtsiin oerathen? In ivelche Wirren hatt« er sich und Andere gestürzt? Liebe gegeben, die keine war; Treue gebrochen, indem er sie schwur, und Pflichten nach allen Richtungen hin verletzt! Und die Dinge waren keiner schmerzlosen Lösung mehr zu unterstellen! Denn nach welcher Seite hin er sich frei zu machen gezwungen war — hier lag ein öffentlicher Skandal, den die Braut keineswegs ver dient hatte — und gegen den sich seine ganze Ritterlichkeit sträubte! Nach der anderen Seite hin war er erfaßt von einer so glühenden Leidenschaft, von jener letzten Leidenschaft des Mannes, die start und rücksichtslos mit allen Fibern die schon entschwindend« Jugend sich zurückreißt und ihn zum Sclaven seiner Empfindungen macht! Mit großen Schritten durchmaß er di« Flucht der schönen Zimmer in ihrer vornehmen Ccrrectheit. Vor dem Bilde der Ver storbenen blieb er stehen; «s war ein kühles, regelmäßiges Gesicht, dem doch der Reiz der Anmuth gänzlich fehlte; nur der besondere Ausdruck einer hochmülhigen Nichtachtung belebte die ge schwungenen Lippen und ihr überlegener Blick traf ihn wie mit schadenfrohem Blinzeln; er fühlte sich noch im Banne ihrer kühlen Tugend und verlor den Muth, vor ihrem Bilde sich selbst klar zu werden, und gewissermaßen unter ihr«m Einfluß sein« Ent schlüsse zu formen. An der Gegenüberwand hing, den schön««, freistehenden Flügel flankirend, der Stolz seiner Kunstschätze, ein großes Oelgemälde: Scipio auf den Trümmern von Karthago. Den Helm von der Stirn g«rllckt, die Linke auf das Schwert gestützt, den kurzen Mantel zurückgcworfen, den sandalenumschnürten Fuß kräftig vorgeschoben, die Rechte w«it au-gestrrckt, zeigt der Siegreiche auf di« in Rauch und Asche in dämmeriger MopgenröHe unter ihm vergehende Stadt. — Tausende hatte diese ausgestreckte Hand mit ihrem Wink vernichtet! Ist es denn leichter, Tausende ver nichten, die man nicht kennt, als eines Menschen Glück zerstören, den man kennt? Und er dachte >imm«r nur an das Glück oder Leid des scheuen Kindes, das, nicht zur sogenannten Gesellschaft gehörend, sie doch hundertfach überflügrlte mit seinem ruhigen, untrüglichen Sinn, seiner Betrachtung von Welt und Menschen aus der schncckenhaften Zurückgezogenheit heraus, in der sie ihr Leben verbracht«. Schon dämmerte in seiner S«el« «in kalter, egoistischer Ge danke — können nicht beide Emilien sein bleiben? Es giebt keine Sccnen, keinen Skandal, keine Auseinandersetzungen — er giebt feinem Hause eine neue Repräsentation, «ine glänzende Folie für den falschen Edelstein dieser neuen Ehe; und er trägt sein Glück und seine Liebe in das stille Haus unter dem Thurm. Und dann ist die junge Emilie frei — ihr kann noch ein großes Glück blühen an der Seite eines Mannes, der zu ihren Jahren paßt! Ist es nicht ein Wunder, fast eine Unnatur, daß dieses junge Mädchen ihn liebt? Muß nicht naturgemäß ein Tag kommen, de: sie in die Arme eines Anderen treibt? Kaltherzig führte die Logik der Eigenliebe ihr zweischneidiges Schwert, und die über ihn hcreinbrechende Katastrophe drängte er auf den Boden des Rechtsbegriffes, indem «r sich bemühte, sie seinem Gewissen zu entziehen; ec suchte vergleichende Anlehnungen rückwärts, indem er wiederum seinen Scipio betrachtete — dem waren Frauen nach Wahl vergönnt, mit dünnen Fäden war Binden und Lösen an das Gesetz geknüpft; seitdem hat das Gesetz stufenweise seinen paragraphischen Weg verschärft; nicht zum Schutze der Moral, sondern zum Schuhe des Staates; und doch ist der Mensch derselbe geblieben — Adam und Eva, Kain und Abel, Abraham und Hagar — sie sind nicht Typen vergangener Geschlechter, sondern Typen der Menschheit. Das Gesetz halten ist ebenso sehr Sache der Bequemlichkeit, wie der Moral; und vor einem Conflicte mit diesem Gesetze stehend, denkt die vornehme Natur zuerst an die Moral, die niedere Natur nur an die Unbe quemlichkeit des Gesetzes. Theuerdank war im Begriff, die Moral zu beschwichtigen — nun versuchte er, das Gesetz zu sondiren — er fand es in diesem Falle weit dehnbarer, als die Moral; er empfand mit berauschendem Triumphgefühl, daß ihm die kleine Emilie angehörte. wie sein eigenes Herz im Leibe, und daß sie in ihrer Eigenart viel leichter ihn lieben als ihn hcirathen könnte! Er wußte, als ob sie es ihm schon gesagt hätte — wie sie sich die Zukunft dachte — und er — er fühlte sich bereit, dies« Zukunft von ihr zu empfangen. Am folgenden Morgen begab sich Theuerdank tn dat Haut
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