Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020115021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902011502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902011502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
- Tag1902-01-15
- Monat1902-01
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich4.50, -- zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. ti. Man abonnirt seruer mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem bürg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Dvnaustaaten, der Europäischen Türkei, Egnpten. Für alle übrige» Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen Ausgabe erscheint um ^7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ue-action und Expedition: Johannisgasse 8. Filialen: Alfred Halm vorm. O. Klemm's Sortim. Umversitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Künigsplatz 7. Abend-Ausgabe. lcipMer TaMal Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Votizei-Ärntes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die (»gespaltene Petitzeile 25 H. Reclameu unter dem Redactionsstrick l4 gespalten) 75 H, vor den Familirnnacb- richten («gespalten) 50 H. Tabellarijcker und Ziffernsatz entsprechend hoher. — Gebühren sür Nachweisungen und Osfertenannahme 95 H (excl. Porto). Grtra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung «0.—, mit Postbesürderung .41 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. F-rrillrtsn. Gesühnt. llj Roman von E. Esch richt. Nachdruck verholen. Sie wußte nicht, daß auch die Verzweiflung sich in Aschen verbrennt, aus der der Phönix eines neuen Menschen erstehen muß — sie wußte nichts von der Grausamkeit des Lebens, die den Boden umpfliigt, in dem die Tosten ruhen, und das goldene Korn aus dem Vergessenen erstehen läßt, das uns ^sas Dasein fristet! Sie weinte, sie weinte und schrie in den kalten Winter- Himmel hinauf, bis cs still in ihr ward, wie nach ausgetobtem Sturm. Und sie hatte den Muth der Ohnmacht wiedergefunden, der sic beugte unter seine- Last, daß sie still und dehmüthig heim wandelte und mechanisch that, was die Gewohnheit sie gelehrt. Sie kaufte Weintrauben, Datteln und Mandeln, dazu ein paar Rosen und Veilchen; sie sah im Voraus das frohe Gesicht ihres Vaters, der schon so lange einen freundlichen Schmuck der Tafel entbehrt hatte; denn Louise verschmähte den Luxus. Obst, wi es bei ihr im Garten wuchs, und Blumen, so lange sie selbst sie pflücken konnte — für so was gab sie nicht Geld aus. Aber der Eapitän liebte diesen Luxus, uns ein: schöne Schale mit Obst und Blumen, mit den Früchten der Ferne führte seine Gedanken an die sonnigen Ufer der Fremde, an die Rosenhaine des schwarzen Meeres, unter die Palmen der indischen Inseln. Und mit dem kräftigen Pinsel einer form- und farbengetreuen Rückerinnerung wußte er die Bilder des Südens heraufzuzaubern, des Südens, in dem er dereinst jung und stark, im Herzen die Sehnsucht, die nie erlöschende, nach der fernen Heimath, seine wissensdurstigen Blicke satt getrunken hatte im Reiz der Paradiese unserer Erde. — Und sie saß ihm nun gegenüber und lauschte; und er lockte aus ihr den fröhlichen Ton der alten Plauderei heraus — von den Häusern, in denen sie gewesen war, von den Gräbern, an denen sie gdweilt, von den Lebenden und Todten sprachen sie nun wie in alter Zeit. Der alte Mann wurde ganz frisch und lebendig, daß es Emilie wie einen Vorwurf empfand, "ihn so unter ihrem Leid immer mitleiden zu lassen — Gott sei Dank, sie hatte ja noch ein« Pflicht zu erfüllen! „Sahst Du Jemand von Theuerdanks?" ES war dieselbe Frage, di« «r dann und wann auch an Louise richtete. „Nein, Vater, aber ich Höri«, daß sie noch lange fortbleiben und daß sie Ernst gleich nach der Hochzeit zu sich berufen haben — nun wundere Dich nicht mehr, daß Dein neuer junger Freund scheinbar lässig war!" „Nun — da erklärt sich ja sein Fernbleiben — es ging aber auch ohne ihn!" Ja, es ging auch ohne ihn — wenigstens die Pein war ihr erlassen, die ungestüme Neigung dieses jungen Menschen kühl ab zuwehren. Ihre anerzogene Zurückhaltung hatte sich so sehr ge steigert, Saß sie selbst die tägliche Begegnung mit dem Arzte ihres Vaters mied. Seine Liebe war ihr lästig, seine traurigen Augen thaten ihr weh und gruben nur das eigene Leid tiefer in ihr Be wußtsein. So rann die Zeit, und die Möglichkeit eines Wieder sehens trat als der letzte Tropfen im Kelche ihres Schmerzes näher an sie heran — und dabei zerriß eine unbeschreibliche Sehnsucht ihre Brust. Ihre blühend« Gestalt verlor an elastischer Frische; etwas Ungelenkes, Erstarrtes veränderte den Charakter ihrer Erscheinung. In den kalten Dccember-Spätstunden, wenn Alles im Hause schlief, schlich sie oftmals ohne Schuhe auf den Thurm; sie sah lange in den oft von jagenden Wolken zerrissenen Himmel hinauf, folgte dem Laufe der Gestirne und knüpfte wie an vertraute Seelen die sehnsuchtsvolle Klage, die Wonncschauer der Erinnerung aus dem kurzen Glückstraum ihres Lebens; kühl und bleich, wie die freudlosen Morgen dieser Jahreszeit, schritt sie dann nach kurzen Stunden eines schweren Schlafes zu den Ihrigen hinunter, gehorsam und sanft in Pflichterfüllung und Liebe. In den großen Städten der Welt hielt inzwischen das junge Ehepaar mit den drei Söhnen Hof, bezog die vornehmsten Zimmer in den großen Hotels und machte mit den Zerstreuungen und Reizen, die dem Fremden geboten werden, «inen jeden Tag zum Festtag. Schon Vormittags machte Emilie Besuche; denn überall lagen Fäden des großen Netzes ihrer Bekanntschaft auf dem Markte der Welt und des Lebens. Von vornherein zog sich Theuerdank von diesen Umfahrten zurück. Seinem ältesten Sohne war es überlassen, die neue Mama zu geleiten, und bald ließ er auch die jüngeren Söhne kommen. Er schützte immer Börsenbesuche und Korrespondenzen mit seinem Hause vor — nur unter der Bedingung, darin nicht gestört zu werden, gab er scheinbar dem Fernbleiben der kleinen Heimathstadt nach, die er nun fliehen mußte, fliehen sollte, und zu der er glaubte nie wieder zurückkehren zu können. So scheinbar seinen Söhnen Platz machend, schob er diese vor. Es war Emilie nicht unlieb. Sie fühlte sich weit mehr am Vlatz, mit diesen jungen Menschen sich umhrrzutreiben, sie wie ihre Ehrengarde mitzuführen, Restau rants mit ibnen besuchend, in den Kaufläden die Unsummen aus« Nr. 26 Mittwoch den 15. Januar 1902. SSW 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Ritterlichkeit Ser Boeren. Der Berner „Bund" veröffentlicht den Brief einer seit Jahren als Gattin eines Missionsarztes in Trans vaal lebenden Bernerin aus Elim (Zoutpansbcrg), bei der Anfang November 1901 in Abwesenheit ihres Gatten 80 Boeren unter GeneralBeyers erschienen. Die Frau bot den Boeren Erfrischungen an und lud den General ein, in das Haus zu treten und sich zu erwärmen, was er gern annahm. Dann berichtet die Frau weiter: Als er sich niedergesetzt hatte, stützte er seinen Kopf in beide Hände wie ein müder, müder Mann. „Ich bedaure sehr, den Doctor nicht zu Hause zu treffen", sagte er dann, „denn ich habe ein kleines Geschäft mit ihm zu ordnen." Ja, fügte er hinzu, er hätte sogar die Absicht gehabt, ihn mit sich zu führen, wogegen ich lebhaft protestirte. Der General erklärte mir dann, daß mein Mann, wie alle Anderen, die Friedensproclamationen unter die Boeren vertheilt hatten, zum Tode verurt heilt sei. Ich war hierüber natürlich sehr erschrocken. Beyers fügte jedoch so fort hinzu, daß er den Doctor als einen Mann von gutem Herzen kenne, der die verrätherifchcn Schriften sicherlich nur aus purem Mitleid mit den Boerenfrauen und Kindern verbreitet habe. Man werde ihn deshalb nur milde bestrafen, indem man seine zwei Pferde und drei Maulesel mitn-ehme. Ich verlegte mich aufs Unterhandeln, indem ich ihm vorstellte, daß wir unmöglich alle unsere Reit- und Zugthiere entbehren könnten, und schließ lich gab er sich auch wirklich zufrieden mit „Rybock", einem vor trefflichen Reitpferde, und zwei Mauleseln. Dafür erhielten wir 60 L blue buelrs, Transvaal-Noten, die im Mai 1900 unter Präsident Krüger ausgegeben worden sind. Ihr Werth ist zur Zeit wohl sehr problematisch. Inzwischen war dec Thee fertig geworden und die Bewirthung begann. Eine Tischgesellschaft nach der anderen wurde mit Thee und Butterschnitten bedacht, bis schließlich Alle mehr oder weniger erhalten hatten. Sie ließen sich sehr gern einladcn, denn sie waren ordentlich aus gehungert und durchfroren. Als sie sich zum Abschied rüsteten, bat ich den General noch, seinen Namen in unser Fremdenbuch zu schreiben, was er ohne Einwendung that. Er hat sich überhaupt während der ganzen Zeit seines Besuches als vollendeter Gentleman benommen und streng darauf gehalten, daß sich auch seine Leute nichts zu Schulden kommen ließen. Wie ich bemerken konnte, wird er von ihnen hoch geachtet; sie gehorchen ihm aufs Wort. Gegen 8Z4 Uhr nahm er ritterlichen Abschied. Dann rief er seine Leute. Das ging Alles ganz militärisch. Auf Befehl nahm zuerst seine Leibgarde Stellung: etwa zwanzig Boeren traten in Reih' und Glied neben ihre Pferde, auf einen weiteren Befehl saßen sie auf, gingen wieder in Stellung und ritten dann zu Zweien davon. Und der General folgte mit verbindlichem Gruße. Das Herz schnürt sich mir zusammen beim Gedanken an diese seit zwei Jahren Herumirrenden Leute, die ohne Dach, ohne Ruhe, ohne Hoffnung sind, je in ihr Heim zurückkehren zu können. Sie haben einen schweren Stand — sich ergeben, heißt so viel als aus wandern müssen — unter den Waffen bleiben, bedeutet vielleicht noch Schlimmeres. Giebt es auch nur eine einzige Boerenfrau, die unter ähnlichen Umständen Aehnlichcs über eine Begegnung mit englischen Offi- cieren und Soldaten berichten könnte? Englische Krücken. * Melbourne, 14. Januar. (Reuter's Bureau.) Im Bundesparlament brachte der Bundespremierminist-e: Barton eine Resolution ein. in der erklärt wird, das Haus ergreife im Hinblick auf die Absen'duug eines australischen Kontingents nach Südafrika die Gelegenheit, um seiner Entrüstung über die im Auslande gegen die Ehre des britischen Voltes und gegen dis Menschlichkeit und den Werth der britischen Soldaten erhobenen Beschuldigungen Ausdruck zu geben. Weiter heißt es in der Resolution, das Haus erkläre, daß Australien bereit sei, dem Mutterlande alle erforderliche Hilfe zu leisten, um den Krieg in Südafrika zu Ende zu führen. Barton fügte hinzu, daß, wenn auf Verlangen Großbritanniens nach Truppen vom australischen Bunde, die Re gierung vom Parlamente angewiesen worden wäre, die verlangten Truppen zu verweigern, so würde die Regierung zurückgetreten sein. Wenn man von der Regierung verlangt hätte, zwei- oder dreitausend Mann Truppen zu senden, so würde sie «diese Anzahl ebenso bereitwillig entsandt haben, wie eintausend. Hierauf wuüde der erste Dherl der Resolution mit allen Stimmen bis auf fünf Stimmen der Arbeitervertrcter angenommen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. Januar. Gestern endlich hat der Reichstag die erste Berathung deö Etats zu Ende geführt. Er verwies am Ende der Budgetcommission einen weit geringeren Tbeil des RcichShaushaltsentwurfS als in früheren Zähren. Zn diesen wurden in der Commission vorberathen die gesamiuten Etats für das Auswärtige Amt, das Reicksheer, die Marine, den Allgemeinen Pensionsfonds, den Znvalidcnfouds, die Post- unv Telegraphenverwaltung, sowie die Neickseisenbalmen. Zetzt soll sich die Commission nur beschäftigen beim Etat für das Auswärtige Amt mit den Dotationen neuer Consulate und der Auskunftstelle für Aus wanderer, sowie einzelnen Positionen aus den einmaligen Ausgaben, beim Militäretat mit einzelnen Titeln der dauernden Ausgaben, wie Geldverpflegnug, Bekleidung, Ankauf von Remonten :c., bei der Marineverwaltung mit den Jn- dicnsthaltungen, sowie sämmtlicken einmaligen Ausgaben des Militär- und Marineelats, bei der Post und den Eisen bahnen nur mit einzelnen einmaligen Ausgaben rc. Die Budgctcommission wird also diesmal weit weniger Arbeit haben als sonst. Man bat ihr Berathungsmaterial — abgesehen von inneren Gründen — wohl hauptsächlich deshalb beschränkt, weil der Zeitraum bis zur Fertigstellung des NeichshaushaltsctatS diesmal recht kurz ist und außer dem die Arbeit in der Zolllarifcommission die Kräfte der in Betracht kommenden ReickötagSmikglieder außergewöhnlich stark in Anspruch nimmt. Zn der Debatte, die gestern dem Schluffe der Berathung vorauSging, war vom Erat selbst gar nicht mehr die Rede, und was sonst zur Sprache kam, wurde zumeist recht oberflächlich behandelt. Dies gilt besonders vom „Falle Spahn". Daß man auch gestern nichts darüber erfuhr, ob und welches Schutzes Prof. vr. Spahn sich eventuell von der Regierung zu erfreuen haben wird, ob die Besetzung von Lehrstühlen in Straßburg noch weiter nach confessionetlen Perbältniffcn und nach den Wünschen deS reichsländischen LaudeSauSschusieS erfolgen soll u. s. w. u. s. w., war haupt sächlich das Verdienst des Abg. Schlumberger, der die von Abg. vr. Sattler gegebene Anregung als eine Anfachung religiöser Streitigkeiten ansah und dadurch dem Staatö- rkretär von Elsaß-Lothringen v. Köller willkommenen Anlaß aab, sich an der Debatte nicht weiter zn bctbeiligen. Die Besprechung des Themas ging also aus wie das Hornberger Schießen. Vom Abg. Liebermann v. Sonnenberg er fuhr das HauS, daß er für seine Copie der Cbamberlain'- scken Schimpferei 311 Zustimmungs-Telegramme und Briefe erhalten hat und sich durch diese Zustimmungen über die Zu rechtweisung trösten läßt, die ihm vom Reichskanzler und von anderen Seiten zu Tbeil geworden sind. Herr v. Liebermann scheint sonach Zustimmung und Tadel nach der Zeilen zahl und nicht nach dem Ursprung und der Begründung ab zuwägen. Ein gewisses Verdienst erwarb er sich nur dadurch, daß er den Staatssekretär v. Richthofen nöthigte, endlich Aufschluß darüber zu geben, daß s. Z. ein Waffenausfuhr verbot nickt erlassen worden ist und mithin die Firma Krupp sich ohne Recht auf ein solches Verbot berufen hat, als sie die Lieferung von Waffen an die Boerenrepubliken ab lehnte. Eine eigenthümliche Rolle spielte endlich der reichs parteiliche Abg. Stockmann dadurch, daß er die Versuche, die Kriegervereine von Protestkundgebungen gegen die Schmähungen Chamberlaiil's abzuhalten, mit der Behaup tung vertheidigtc, ein Hineintragen der Erregung in diese Vereine würde die Gefahr ernster internationaler Verwicke lung nahe gerückt haben. Nachdem der Reichskanzler in der bekannten Weise Herrn Chamberlain abgefertigt und die im Volke herrschende Erregung als berechtigt anerkannt hat, hätte dock eine solche Vertheidigung der BremSversuchc, die augen scheinlich die Billigung deö verantwortlichen Leiters der deutschen Politik nicht haben, unterbleiben sollen. Von deutschen Krieger vereinen wären Entgleisungen wie die Liebcrmann'sche nicht zu besorgen gewesen. Für die Besprechung der PolcniutcrpcUatiollcn im prcu- tzischrn Abgeordnetenhause waren ursprünglich zwei SitzungS- tage für auöreickend erachtet worden. Allerdings zwei volle Sitzuugstage. Nun konnte aber die gestrige Sitzung wegen des Empfanges des Präsidiums beim König erst zwei Stunden später als gewöhnlich beginnen, und so reichte die Zeis nicht aus zur Erledigung der Tagesordnung. Leider; nachdem Graf Bülow vorgestern die Stellung der preußischen Negierung zur Polenfrage gekennzeichnet hatte, war das Interesse des Reiches an dieser Frage nur noch gering, so daß eine Beschränkung der gestrigen Redner auf das Nöthigste wohl am Platze gewesen wäre. Aber das Nedcbedürfniß war stärker als das Hör- bedürsniß. So kam denn auch bei der Debatte nicht viel heraus. Es waren ja interessante Culturschilderungen, die von den deutschen Vertretern der gemischtsprachigen Gegenden im Osten, wie den Abgg. Sieg (nl.) und von Ticdc mann- Labischiu (freie.), gegeben wurden; im Allgemeinen aber waren es doch die alten, bekannten Miltheilungen über Bedrückung und Bedrohungen nicht nur der deutschen protestantischen, sondern auch der deutschen katholischen Bevölkerung jener Gegenden durch die Polen. Be sonders interessant waren die Ausführungen des Abg. v. Tiede mann nach der Richtung hin, daß ihm ein polnischer Abgeord neter im Zähre 1896 gesagt habe, cs müsse doch zu einem Kriege zwischen Rußland und Preußen kommen. Daö siegreiche Preußen möge daun LandeStheile Rußlands occupiren und gemeinsam mit reu preußischen polnischen LandeStheilen ein neues Königreich Polen errichten, zu dessen König die Polen gern einen hohenzollern'schen Prinzen wählen würden! Abg. von CzarlinSki (Pole) zeigte sich, wie wir zur Ergänzung des sehr summarischen Berichts in unserer heutigen Morgenausgabe bervorbebeu müsse», noch erregter, als vorgestern sein College Abgeordneter Zazdzcwöki. Er sagte, wenn eö so weiter gehe, setze sich die Regierung dem Hohngclächter der Gebildeten aus, sprach auch wieder von Barbarei, von Rohheiten u. s. w. und schloß mit dem Wort: „Wir hassen die Deutschen nicht, aber daö preußische System hasse ich aus tiefster Seele." Seine von Beleidigungen geradezu strotzende Rede rief den preußischen Minister deS Innern Freiherr» v. Hammerstein auf den Plan. Der Minister, der seine erste Rede in seiner neuen Stellung hielt, betonte mit allem Nachdruck, daß seit jeher die deutsche Sprache die allgemeine Schulsprache in ganz Preußen sei. Eine Nebenregierung eristire nicht, die preußische Regierung trage die volle Verantwortung für alle ihre Maßregeln, Abgeordneter v. CzarlinSki aber schwärme für ein national-polnisches Reich, wie er auch 1882 vom Reichstage gesagt habe, die Polen säßen in ihm lediglich als in einer polnischen National-Versammlung. Die Regierung werde ihre Schuldig keit thun und dafür sorgen, daß Deutsch oben bleibt. Nach dem noch Abg. Kopsch (freis. Ap.) sich gegen die jetzige Polcnpolitik erklärt und Abg. Glowatzki (Ctr.) auch für Oberschlcsien die polnische Sprache als Unterrichtssprache (!) gefordert hatte, wurde dir Besprechung auf Henle 1 Uhr vertagt. Am Donnerstag soll die erste Etatöberathunz beginnen Aus London, 14. Januar, schreibt man uns: Mit auf fälliger Schtveigsamkeit behandeln die englischen Blätter die Nachrichten über den Austausch von Begrüßungsdepcschen zwischen dem Scutschcn Kaiser und dem Prasiücntrtt Roo,e- vclt und noch mehr von der bevorstehenden Entsendung des Prinzen Heinrich auf der Kaiscryacht „Hohenzollern". Wenn man sich erinnert, daß gelegentlich des Aufenthaltes des Prinzen von Wales in Kanada die bloße Möglichkeit einer Begegnung des Prinzen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu langathmigen politischen Betrachtungen den Anlaß gab, so wird man die Tendenz, die diese plötzlich eisige Schweigsamkeit hat, wohl verstehen. Daß die Nachricht ein wenig wie ein Sturz bad gewirkt hat, ist freilich auch für den blödesten Blick ohne Weiteres zu erkennen. Allerdings die Thatsache selbst steht auf den Placatcn aller Londoner Tageszeitungen mit fetten Buch staben angekündigt. England hat schon seit geraumer Zeit eine Art Monopol auf die Freundschaft Amerikas und auf die Pflege freundschaftlicher Beziehungen mit der Union zu besitzen ge glaubt und diesem Glauben allerdings schon manche Opfer ge bracht. Darum ist man — und zudem in diesen Tagen der kalten Wasserstrahlen zwischen hier und Berlin — nicht sonder^ lich erbaut, plötzlich zu finden, daß freundschaftliche Beziehungen auch mit anderen Nationen bestehen und daß sie gepflegt und durch so markante Kundgebungen, wie es im Zusammenhänge mit der für Kaiser Wilhelm in Amerika gebauten Aacht ge schicht, besiegelt werden. Man hüllt sich in den Mantel der Gleichgiltigkeit, der aber sehr löcherig ist, und durchblicken läßt, wie »»gerne man, namentlich jetzt, wo man in gewaltiger Preß fehde mit dem deutschen Volk liegt, jedes Zeichen freundschaft liche» Einvernehmens mit Deutschland sieht. Was dabei am meisten kränkt, ist die rückhalt-lose Befriedigung, die dieser an gesagte Besuch des deutschen Prinzen in den Vereinigten Staaten hcrvorgerufe» hat und die Vorbereitungen, die aus dem Volke heraus, zu seinem Empfange getroffen werden. Mit süßsaurer Miene spricht man der „außerordentlich geschickten Diplomatie" des Kaisers, bei dem „seine im Dienste ergrauten Minister noch zustreuen und Einkäufe für die »och fehlenden Nothwendigkeiten im neuen Haushalt zu machen. Die ernsten Augen des Mannes bedrückten sie; seine strenge Anschauung über diese Art der Ver schwendung hatte sie gar nicht erwartet. Es lvar ihr recht, daß er zurückblieb und las oder seinem Geschäft nachqiug. Er aber schlenderte zwecklos umher; dann und wann besuchte er wohl ein Museum, zumeist aber stand und ging er in den volkreiche» Straßen umher, dem Handel und Wandel zusehend. Manchmal überkam ihn ein heißer Wunsch nach seinem Comptoir, nach einer wirklichen Arbeit. Mit Sehnsucht wartete er und empfing die Geschäftsbriefe seines Procuristen; er antwortete immer um gehend — auch auf die unbedeutendsten Sache» — ihm hatte nur das Werth und Bedeutung. Anfänglich besuchte er noch die Theater und koncerte mit seiner Familie; aber der laute und kokette Ton, die herausfordernde Schönheit dieser Molly, die seinen eigenen Söhnen einen galanten Ton aufzunöthigen und abzugcwinnen verstand, war ihm unerträglich. Er blieb zurück, die liebgcwordene Gewohnheitsruhe seiner Jahre vorschützend; er löschte das Licht und sah in den späten Stunden, da die Seinen nach dem Theater noch auswärts speisten, am Fenster, binauf blickend zum gestirnten Himmel: und wie eine verhaltene Fluth quoll die Sehnsucht empor, und aus thränenumflorten Augen hingen seine Blicke an dem zitternden -Gewirr dort oben. Dahin — er wußte es — flüchtete in diese» selben Stunden auch ihre Seele. Sie hatte ihn nie so schrankenlos besessen, wie jetzt, er hatte nie so alle Stunden des Tages sich ihrem Gedenken hin gegeben, wie jetzt! Immer laut lachend und scherzend, von Abend zu Abend später, erschien die schöne junge Mutter mit den drei Söhnen. Schon wenn er die Kommenden hörte, entzündete er die elek trischen Flammen und schritt auf und ab; mit heißer Zärtlichkeit warf Molly sich ihm mtgcgen, strahlend und glücksdurchdrungen. Und das Bild der anderen Emilie unlösbar im Herzen, sinkt er in die Arme dieser endlich im Dunkel der Nacht verstummenden Frau. Und kühl und bleich wie der freudlos« Morgen dieser Jahreszeit, begann auch er den neuen Tag. Aeußerlich ruhig, entgegenkommend allen verabredeten Zerstreuungen der Seinigen — nur fort, fort mit ihnen — nur allein mußte er sein mit der gänzlichen Zerrüttung seiner Seel«. In Paris erreichte ihn Ende December eine Depesche von seinem Hause; eines seiner großen Schiffe, der „Triglaff", war verunglückt; die Mannschaft verloren. Es ging ihm nahe wie rin jeder Verlust, nur tiefer empfand er diesmal den Jammer der Hinterbliebenen, der Mütter, Wittwen und Waisen! Aber es war auch ein pekuniärer Verlust — und plötzlich klammerte er sich an diesen mit einem festen Entschlüsse. „Wir müssen Heimreisen", sagte er nach einer kurzen Be sprechung, „das wird das Richtige sein!" „Um Gottes willen — der Verlust ist doch nicht so groß — welch' ein Einfall — jetzt hcimkehren — schon in vierzehn Tage» müssen unsere Söhne ja doch zurück! Willst Du nicht so lange wenigstens warten? Ach — lind ich hatte mich so namenlos auf die Riviera gefreut!" „Nun — dann laßt mich einige Tage heim — Ihr bleibt Alle hier — und später reisen wir weiter." Und er benutzte schon den nächsten Zug — fuhr Tag und Nacht ohne Aufenthalt, ohne besondere Erregung; es war mit einem Male stiller in ihm, und flatternde Gedanken an Un bedeutendes und Nebensächliches lösten nur selten die langen Stunden eines schwere», ununterbrochenen Schlafes ab. * H rsr Es war der letzte Tag im alten Jahr — der Kapitän lehnte in Decken gehüllt auf seinem Sophaplatz, die Lampe zwischen sich und seinen! Kinde, das ihm gegenüber saß. Sie las mit ihrer lieblichen, immer etwas schleppenden Stimme, die im müo-n Tonfall nun wie sanfte Musik hinklang, aus Dante's Göttlicher Komödie: „Wie kann cs sein, daß ein oertheiltes Gut, Das mehrer« Besitzer reicher macht, Als wenn von Wenigen es besessen wäre? Und er zu mir: Indem Du die Gedanken Nur auf die ird'schen Dinge richtest, glaubst Du In wahrem Licht nur Finsterniß zu sehen. Das Gut dort oben, welches unaussprechlich Ist und unendlich, eilt der Liebe entgegen, Wie sich der Strahl zum lichten Körper wencket, Je nach dem Maß der Gluth gewährt es sich, So daß, wie sehr die Liebe sich erweitert, So sehr die ew'ge Kraft darüber fortwächst —" Emilie hielt an, und die Augen erhebend, blickte sie traurig in das Licht der Lampe und sagte dann: „Vater, wie hier die un durchsichtige Fmsterniß den kleinen Lichtstrahl in sich aufnimml und rings verbreitet, so glüht die Liebe wohl im Herzen, und wie aus tausend Spiegeln strahlt sie tausend Mal zurück und mehrt sich im Vertheilcn. l^o darf man bei dem Schimmer dieses kleinen Lichtes der Tiinkelhei! vergessen, die uns rings umgicbt. Wie Mutterliebe, die mit jedem Kind sich mehr vertheilt und in der Theilung immer mehr erstarkt — so liebt uns Golt und wächst die ewige Liebe. Vater — glaubst Du, daß Liebe «wischen Mann uns Weib sich theilen läßt und wie die Mutterliebe Im Verthellen wachst?"
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite