Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020125022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902012502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902012502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-01
- Tag1902-01-25
- Monat1902-01
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich >6 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. 8. Man abonnirt seiner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Russland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Dir Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaction und Erpe-Mon: Johannisgasse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm's Sortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, part. und Künigsplatz 7. Abend-Ausgabe. KiWM TllgMlllt Anzeiger. Amtsblatt des Aömglichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 80.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß sür Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpedition zu richten. Tie Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 45. Sonnabend den 25. Januar 1902. 86. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Keine FriedenSvcrhandlnngen. Die Correspondenz „Nederland" schreibt: Wir sind von zuständiger Stelle ofsiciell ermächtigt, die Mit- tbeilung des „Morning Leader", wonach sich die Glieder der Boerendelegaticn Wessels, WolmaranS und Fischer im August des vorigen Jahres von der englischen Regierung zur Eröffnung von FriedenSunterhandlungen batten bereit sinken lassen, als von Grund auS erdichtet zu erklären. Daß die Be hauptung des englischen Blattes jeder Grundlage entbehrt, gebt schon daraus hervor, daß der Schritt der Sonder gesandtschaft nie in der geschilderten Einseitigkeit, sondern immer nur im innigsten .Zusammengehen mit der Gesandt schaft der südafrikanischen Republik in Europa hätte erfolgen können und auch erfolgt wäre. Gegenüber den von englischen Blättern immer und immer wieder ausgesprengten und hartnäckig aufrecht erhaltenen Gerüchten über FriedenSunterhandlungen können wir ein sür alle Mal die Erklärung wiederholen, daß von Boerenseite weder gegenwärtig noch früher einmal Friedens unterhandlungen angeknüpft worden sind, ja daß nicht einmal irgend eine Vorbesprechung mit irgend einer officiellen Persönlichkeit statt gefunden hat. Was sollen dann aber diese fortwährenden FriedenS- geriichte? Sollen sie und ihre Dementirung vielleicht den Ein druck bervorbringen, daß sich die Boeren jedem Friedens angebot gegenüber ablehnend verhalten? Dann ver weisen wir darauf, daß die Boerenrepräsentanten in Europa noch immer tbätig gewesen sind, einen ehren vollen, ihre eigene absolute Unabhängigkeit und die Amnestie der Capboeren verbürgenden Frieden zu Stande zu bringen, und jeden darauf abzielenden ernsthaften Vor schlag stets gerne in Erwägung ziehen werden. Oder sollen die Vertreter der Boeren durch sie veranlaßt werben, irgend welche erste Anregung für Friedensverhandlungen zu geben? Demgegenüber müßten Wirerklären, daß der erste Schritt zum Frieden nur von England auSgehen kann, neben gewichtigen anderen vielleicht schon aus dem Grunde, weil — auf dem Papier wenigstens — die südafrikanischen Republiken bereits dem britischen Reiche einverleibt sind. Tie Lage in den Concentrationslagern. I. 6. London, 23. Januar. Die vom Comitö zur Prüfung der südafrikanischen Gefangenlager abgesanvle Frauen-Abordnnng befindet sich auf der Heimreise. Ein vorausgesandter kurzer Bericht theilt mit, daß sämmt- liche Damen auf der Reise ernstlich krank wurden und daß sie ihre Aufgabe nur unvollständig bätten lösen können. DaS Schlimmste in Südafrika sei der Pestgeruch, der über das ganze Land ausge breitet sei. Hunderttausende von Thiercadavern liegen im Lande unverscharrt, oder wo man sie etwas vergraben habe, hätten Aasgeier die Leichname wieder freigelegt. Die Damen hätten jedoch auch Hunderte von menschlichen Leichnamen in einem unbeschreiblichen Zustande der Verwesung gesehen. Leider sei die Luft in den Lagern der gefangenen Frauen und Kinder nicht besser. * Pretoria, 23. Januar. („Reuter's Bureau") Oberst Keke- wich meldet, daß vorgestern eine aus 12 Mann Peomanry bestehende Patrouille unter Leutnant Woodhouse von 150 Boeren um zingelt wurde. Die Patrouille kämpfte, bis 4 Boeren getödtet (?) und 6 verwundet waren, und mußte sich dann ergeben. politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Januar. Die Specialberatbung des Etats für das Reicks amt des Innern ist im Reichstage auch gestern fortgesetzt worden, aber der Staatssekretär Graf Posadowsky hat nicht gesprochen. Er hatte auch keine besondere Veranlassung dazu, denn nachdem vorgestern der Abg. Wassermann so ziemlich Alles vorgebracht batte, was das Haus an berechtigten und erfüllbaren socialpolitiscken Wünschen auf dem Herzen bat, konnten die gestrigen Redner im Wesentlichen nur die bekannten Wünsche wiederholen, einzelne naher begründen oder nach ihrem Parteistandpuncte etwas anders formuliren. Das machte sich namentlich der conservative Abg. I)r. Oertel zur Aufgabe, die er mit Geschick erledigte. Besonderes Ge wicht legte er auf die beschleunigte Einführung des Be fähigungsnachweises sür das Baugewerbe und die Abänderung der Bäckereiverordnung. Was jene Ein führung betrifft, für die auch der Centrumsabgeordnete Schwarze eingetrcten war, so hatte der bayerische Ministerialdirektor v. Hermann, weil auf die große Anzahl von Bauunfällen in Bayern hingewi-sen worden war, die von der bayerischen Regierung getroffenen Vorbeugungsmaß regeln ausgezäblt und dann binzugefügt, diese Maßnahmen be dürften allerdings noch der Ergänzung durch den Befähigungs nachweis; hierauf habe die bayerische Regierung längst hinzu wirken versucht, allein aber könne sie nicht Vorgehen. Tie Mah nung, die hierin an die übrigen Regierungen lag, verstärkte Herr Or. Oertel; man kann nur wünschen, daß sie nicht fruchtlos bleibt. Was die Bäckerei-Verordnung betrifft, so erklärte der preußische Handelsminister Möller, daß zwar nach den eingcgangenen Ministerialberickten eine Ergänzung der Verordnung bezüglich der sanitären Einrichtungen nothwendig scheine, daß aber andererseits mit Rücksicht auf die mittleren Betriebe eine gewisse Vorsicht in der Anwendung der Vorschriften geboten sei, die einzuschränken, nachdem man sie einmal erlassen habe, sehr schwer sein würde. Das läßt nicht darauf schließen, daß eine Einschränkung der bestehenden Verordnung in Aussicht genommen sei. Diese dürftigen Angaben vom BundeSralbc- tische cingeschlosscn, war die Ausbeute des gestrigen Tages sehr gering, am allergeringsten freilich für die Socialdemokratie, die sich sehr ungern in dem Spiegel betrachten wird, den I)r. Oertel ihr vorbielt, und deren gestriger Redner, Abg. Wurm, sicherlich mit schwerem Herzen zu dem Geständnisse sich genöihigt sah, daß der in Deutschland bestehende Arbcitcrsckutz besser sei, als in den meisten anderen Ländern. — Heute wird neben der Er ledigung kleinerer Vorlagen die gestrige Berathung fortgesetzt. Wie es beißt, soll in der nächsten Woche der erste SckwerinS- tag in diesem Jahre eingelegt werden und bei dieser Gelegen heit der Toleranzantraz des EentrumS zur zweiten Lesung kommen. Die römische Curie zu einer Mahnung an die polnische Geistlichkeit zu bewegen, ist der preußischen Regierung augenscheinlich bis jetzt noch nicht gelungen, und wenn Graf Bülow noch boffen sollte, der Papst werde ebenso, wie er durch sein Schreiben an die Bischöfe in Böhmen und Mähren der Staalsautorität in Oesterreich gegen unter- wüblende Bestrebungen des tschechischen Klerus zu Hilfe ge kommen ist, auch der preußischen Regierung in ihrem Abwehrkampfe gegen die polnischen Umsturztcndenzen durch Mahnungen an den polnischen Klerus beispringen, so sorgt der Cardinal-Staatssekretär Rampolla durch seine „Voce della Veritü" dafür, daß der deutsche Staatsmann unsanft aus seinem Traume geweckt werde. Das genannte Blatt veröffentlicht nämlich einen Artikel, der mindestens beweist, daß der Cardinal mehr Wohlwollen für Rußland und Frankreich, als für Deutschland hegt und in dem Kampfe des PolentbumS gegen das Deutscktbum nicht einmal zu neu traler Haltung geneigt ist. Der Artikel lautet nach einer Uebersetzung der Berliner „Volksztg.": Die Umklammerung. „Das Slawenthum ist in unaufhaltsamem Fortfchreiten. Die Ostsee-Provinzen und Finland sind russisch geworden. Das russische Polen darf als ruhige und glückliche Provinz gelten. Wie gründlich hat sich seit der Drei-Kaiser-Begegnung in Skierniewice die politische Welt geändert! Los von Preußen und Oesterreich, hat Rußland zwei bewunderungswürdige Fort- schritte gemacht durch sein Bündniß mit Frankreich und durch die Ueberlastung der Polenfrage zu Deutschlands Un- gunsten. Im Jahre 1863 bildete sich im Stillen zu Warschau eine Partei mit dem Programm, sich mit Rußland aus zusöhnen, weil offensichtlich gegen diesen Riesen jeder Wider- stand aussichtslos schien; dagegen lockte das Ziel, sich als polnische Nation innerhalb der großen Slawenfamilie erhalten zu können. Viele Jahre lang machte diese nationalpolnische Partei geringe Fortschritte; aber heute ist die russenfeindliche Agitation der Polen still geworden. Sie bildet keine Quelle mehr der Verlegenheit sür die Regierung des Zaren Nicolaus II.; mit Recht, denn dieser Zar hat stets seinen guten Willen bethätigt, die gerechten Ansprüche der Polen zu befriedigen. Preußen dagegen, dessen Polen in Len Siebziger Jahren ruhig und ergeben waren, muß erleben, daß die in Rußland er loschene Agitation der Polen in seinem eigenen Hause jäh emporlodert: Ein literarisches Meisterwerk offenbart den neuen Geuiüthszustand der polnischen Nation in ebenso bezeichnender Weise, wie der „Don Quixote" dasE» oeder Nitterzeik, „Onkel Toms Hütte" lsas Ende der Sklaverei und Siltrio Pellicos „Meine Gefängnisse" das Ende der österreichische» Herrschast über Italien, das ist „Vartek der Sieger" von Heinr. Sienkiwicz. Diese kurze Novelle voll Blut und Thränen hat mehr dem slawischen An kämpfen gegen Las Germanenthum vorgearbeitet, als alle Romane desselben Dichters zusammen. Bartel, der selt same Held von Sedan, hat dec Berliner Regierung eine bittere Lektion ertheilt. Nach den Ereignissen von Wreschen aber heult der Solm Bartek's noch stärker seine Ver wünschungen Deutschlands als je zuvor, und der deutsche Schulmeister, sein erbarmungsloser Durchprügler, ist glücklich zu Dem geworden, was der „Kroa t" für das unter Oesterreichs Tyrannei seuf zende Italien bedeutete. So wurde die polnische Frage, welche bisher stets gegen Rußland gerichtet war, Feindin des deutschen Reiches genau in dem Augenblick, wo Frankreich und Rußland fester denn je vereinigt sind und Italien Deutschland gegenüber vom Gähnkrampf befallen wird — mau weiß nicht, aus Hunger oder aus Langeweile. Auch in Oester reich, wo die Polenfrage erheblich ruhiger liegt fals anderswo, haben wir den Kampf der Tschechen gegen das Deutschthum; auch in Ungarn ist der Kampf der vielen slawischen Stämme mittelbar gegen Deutschland gerichtet. Lesterreich-UngarnS Staatsmänner denken nicht daran, dem Freunde an der Spree zu Liebe die Polen-Nation mit Grausamkeit ouszutilgen. Tas kann auch nicht geschehen, die Slawenfamilie ist zu groß geworden, zu stark, Mittel- Europa wie mit einer Zange umfassend; denn ihr Gebiet reicht vom Japanischen Meer bis zur Ostsee und zur Adria. Haben sich erst die Söhne dieser gewaltigen Familie geeinigt, so kann der winzige Westen Europas, sich auf die Sterbesacrameute vorbereitend, Reue und Leid erwecken!" Selbstverständlich würde die „Voce della Veritn" eine solche Sprache nicht führen, wenn die Beziehungen zwischen Berlin und dem Vatikan so freundlich wären, wie die Berliner Officiösen gelegentlich behaupten. Darüber wird auch das Cent rum sich nicht täuschen, von dem man sich nun wiever heftigerer Angriffe gegen die preußische Polenpolitik versehen darf. Für die Regierung ist das bei der parlamentarischen Macht dieser Partei unangenehm genug. Graf Bülow wird aber hoffentlich einsehen, daß das Experiment, seine PolenpolUik nach russischem Muster umzugeftalten, gefähr licher wäre, als ein consequentes Vorgehen auf dem ringe- schlagenen Wege. Ein merkwürdiges Verbot hat sich der magyarische Oberstadthauptmann mit einer noch merkwürdigeren Begründung geleistet. Wie der Allg. Deutsche Schulverein mittheilt, wollte der bekannte deutsche Professor Georg Müller, der sich um die Volksbildung so außerordentliche Verdienste erworben hat, auch iu Temesvar eine Reihe populär-wissen schaftlicher Vorträge halten. Diese deutschen Borträge naturwissenschaftlichen Inhaltes wurden untersagt, weil dadurch das dortige rein magyarische Stadt theater Einbuße erleiden könne. Natürlich handelt es sich dabei nur um einen übrigens recht plumpen Kniff des deutschfeindlichen Chauvinismus, der zur Zeit in Ungarn seine Blütben treibt. Wie stimmt übrigens dieses Verbot zu einer Anordnung, die vor noch nicht einem Jahre ein magyarischer Minister gerade in Bezug auf solche Borträge ergehen ließ und in der es hieß: „Die Vorträge können in beliebiger Sprache gehalten werden. ES wird hierauf keinerlei Einfluß geübt" ? Die St. Petersburger „Nowoje Wremja" protestirt in ihrem Leitartikel gegen die Neigung der russischen Presse, die russischen Interessen im Schwarzen Meer im Vergleich zu den russischen Interessen in anderen Theilen der Well aus dem Auge zu verlieren. Das Blatt sagt: „dir Frage der Erschließung eines Weges durch die wasserlosen und unfruchtbaren Wüsten der Mongolei nach dem südlichen Meere sei zweifellos interessant, aber sicherlich nicht interessanter als die Fragen, die sich auf I das Schwarze Meer bezögen. ES sei Rußlands Interesse, i einen Ausweg auS diesem Meere zu sichern oder es wenigstens > zu einem russischen See zu machen, der sür alle anderen Feuilleton. Rittmeister Eckhoff. Roman von A. von Trystedt. Nachdruck derbsten. Frau Döring erhob sich, trat auf ihre Tochter zu und nahm ihren Kopf liebkosend zwischen ihre beiden Hände. „Nicht wahr, mein Herzchen, Du dankst es mir, daß ich Dir die Wahrheit enthüllt habe und Du ziehst auch die Lehre daraus. Denke nicht weiter an Glanz und Reichthum, jeden falls opfere ihnen nicht Dein Herzensglück. Du bist leiden schaftlich und eigenwillig, wie schwer müßte es Dir werden, an der Seite eines ungeliebten Gatten dahinzuleben. Du loiirdest zusammenbrechen unter solcher Schicksalslast, das glaube mir. Und nun schlafe tüchtig aus. Du hast Vorwürfe durch Papa nicht zu fürchten, ich werde ihn von Deiner Sinnes änderung unterrichten" — sie lächelte trübe — „es wird die erste Scene in unserer Ehe sein, aber ich werde Siegerin bleiben, verlasse Dich darauf!" Stephanie hatte immer still vor sich hingesehen. Nun schien sie heftig zu erschrecken. Bebend strich die kleine Hand über die feuchte, blasse Stirn. „Bitte, Mama", flüsterte sie hastig, aber doch in einem Ton, der Widerspruch nicht zu dulden schien, „bitte, enthalte Dich auch ferner jeder Einmischung in diese Angelegenheit, ich selbst möchte mit Papa sprechen." „Stephanie!" „Bitte, quäle mich nicht. Einen Entschluß kann ich in dieser Stunde unmöglich fassen —" „Aber bedarf cs dessen denn, nachdem Du gehört hast —* „Mama", bemerkte Stephanie gepreßt, „Du darfst nicht vergessen, daß ich erzogen wurde in dem steten Gedanken an diese Erbschaft. Die Zukunft liegt so klar und wolkenlos vor mir, und nun plötzlich verlangst Du, daß ich einen dunklen, unsicheren Weg gehen soll, den dornigen Weg der Armuth, den Du so sehr fürchten gelernt hast —' Die Mutter sah die Sprechende auS traurigen Augen an. „Sie hat mich gar nicht verstanden", dachte sie, „aber darf ich ihr einen Vorwurf daraus machen? Muß ich ihr nicht das eigentlich Gravirende meines Unglücks verschweigen?" Und laut fügte sie hinzu in sorgenvollem, mütterlich mahnendem Ton: „Kind, hast Du mir nichts weiter zu entgegnen auf meine Mittheilungen?" Stephanie schüttelte wie abwesend das dunkle Haupt. „Vielleicht nicht, Mama, ich weiß es nicht. Darf ich nun schlafen gehen? Hch bin so müde —" Die Mutter nickte, sie hob die Arme, um ihr Kind noch ein mal ans Herz zu ziehen, Stephanie aber wandte sich schnell ab nach einem flüchtigen Gute-Nacht-Kuß. Frau Döring konnte sich in diese Abfertigung nicht finden. „Kind, Liebling, so höre mich doch!" rief sie laut. Aber Stephanie winkte nur abwehrend mir der Hand. Dann schloß sich hinter ihr die Thür. Viertes Capttel. Das war ein Wintertag! Lichtblau, wolkenlos der Himmel, und schneidend, durch dringend die Luft, obgleich die Sonne unter Mittag strahlte und leuchtete, wie an einem Frühlingstage. Eitles Bemühen; der eisige Ost, der den losen Schnee emporwirbelte und selbst den dichtesten Pelzverschluß durchdrang, siegte! Es blieb bitter kalt trotz Sonnenschein und Wärmeflaschcn! Dafür war es auch das rechte Wetter zu einer Schlitten partie. Hei, wie die leichten Gefährte dahinflogen unter sicherer Führung! Wie die lustigen Augen der winterfreund- lichen Jugend hervorblitzten unter den zahllosen Ver mummungen, die fürsorgliche Mutter- oder Tantenhände ge schaffen, wie mit Hellem Klang die silbernen Glockenspiele der Pferde das Geleit gaben! Eitel Lust und Freude! Hinter dem dichten Schleier läßt sich'S so ganz besonders vergnügt plaudern, man fühlt sich freier, einander näher als sonst, säst wie bei einem Maskenball! Strahlende Mienen und erwartungsvolle Gedanken, lustiges Zurufen, inniges Aneinanderschmiegen! So manches Herzens- bündniß wird perfect unter Pelzhüllen, während der Schnee sturm sein tolles Spiel treibt und die dunklen Baumäste ihre eisige Last auf die Insassen der Schlitten abschütteln. Und unter all' den Froherregtrn doch ein Augenpaar, das finster blickt, ein gequältes Antlitz, wirre, peinvolle Gedanken hinter der weißen, heute so ernsten Stirn. Vor einer Stunde stand Stephanie in ihrem neuen, tief- rothen Sammetcostüm in der Mitte der Wohnstube und ließ ihre Schönheit bewundern und anstaunen von den Ihrigen. Ihr Mund lächelte schon wieder. War in ihrem Innern auch noch alles ChaoS, ahnen sollte Niemand etwas von diesem Zustande. Mit unbefangenem Lächeln gedachte sie auch heute alle Huldigungen entgegenznnehmen, ebenso herablassend und selbst verständlich, wie sie die Bemerkungen kindlichen Entzückens und aufrichtiger Begeisterung von der jüngeren Schwester empfing. Für Eva fand weder der Vater noch die Mutter ein Wort der Anerkennung, und doch war sie heute in ihrem lichtblauen Tuchcostüm unstreitig die Schönere von den beiden anmuthigen Schwestern. Um Stephanie drehte sich Alles. Sie war die Bevorzugte, der Liebling ihrer Familie. Diese Auszeichnung hatte sich unbeabsichtigt eingebürgert, man wußte vielleicht kaum, wie man sie verwöhnte und verzog und dadurch benachtheiligte. Eva hatte sich erst in der allerletzten Zeit aus fallend zu ihrem Nvrtheile entwickelt, und in der Familie be merkte man diese Veränderung nicht einmal. Hier war sie immer noch die „kleine, blasse Göre", die wohl der Nachsicht und Schonung bedurfte, zu 'weiterer Beachtung aber keine Veranlassung gab. Stephanie war vielleicht die Einzige, welche mit klaren Augen sah, und zu ihrem und Eva's Glück war sie neidlos genug, um sich herzlich dieser knospenhaften, thaufrischen Schönheit zu er freuen, den Ntuth freilich, sich selbst in den Schatten zu stellen und Jener den Vorrang zu lassen, fand sie nicht. Aber begönnern mochte sie Eva wohl, als Lückenbüßerin erschien sie ihr wie geschaffen. Vergeblich bemühte Frau Döring sich, auf «in« kurze Viertel stunde nur ihre Aelteste zu einer vertraulichen Aussprache zu be wegen. Noch einmal wollte sie Stephanie dahin zu beeinflussen suchen, daß sie dem Zuge ihres Herzens folge. Stephanie aber war auch jetzt nicht gSwillt, auf daS Ver mögen Malchow's zu verzichten. Sie fand Gründe genug, sich selbst zu entschuldigen. Sie fürchtete nicht die Ehe mit einem ungeliebten Manne, wohl aber di« Zukunft, wie sie sich für sie gestalten mußte, wenn sie ohn« Geldbesitz blieb. Seit jenem Ballabend war ungefähr eine Woche verflossen. Vater und Tochter hatten sich sehr eingehend verständigt und ein festes Bündniß geschlossen. Die Mutter «rgatb sich endlich resignirt. Sie mußt« den Dingen ihren Lauf lassen. Die Schlittenpartie war seit Wochen geplant, und Stephanie selbst hatte Eckhoff zu ihrem Kavalier gewählt. Wenn sie nicht die Neugierde und den Klatsch geradezu herausfordern wollte, ließ sich an den beschlossenen Dingen nichts ändern. Nach jenem Balläbend jedoch erschien es ihr Wünschenswerth, solch' eine gemeinsame Fahrt mit Eckhoff zu vermeiden, und sie sann auf eine List, durch die sic sich Eckhoff's mit Chick ent ledigen könne. Plötzlich, noch tm letzten Moment, kam ihr «in rettender Gedanke. Sic winkte Eva zu sich an's Fenster und flüsterte nun ein dringlich auf sie ein. „Ein Scherz, Eva, nichts weiter, und was «die Hauptsache, Du kannst zufrieden sein mit dem Tausch, statt des langweiligen Rendant Lamm einen Bernhard Eckhoff zum Caoalrer zu haben, kann Dir gefallen! Ich werde mit dem Herrn Rendanten schon fertig zu werden wiss«n. Nicht wahr, Du thust mir den Ge fallen, Kleinchen, ich verlasse mich darauf. Das kleine Complot läßt sich mit Leichtigkeit ausführen. Wenn die Schlitten vor- gcsahrcn sind, geschieht das Platznchmen ja doch in voller Eile. Später entschuldigt man sich lachend wegen des „Versehens"." Stephanie war so eingenommen von ihrer Angelegenheit, das; sie die Enttäuschung in Eva s Zügen gar nicht bemerkte. Die älter« Schwester wartete auch eine Antwort nicht ab. sie war überzeugt, daß Eva froh sei, der Gesellschaft des ältlich.-n, süßholzraspelnden Junggesellen enthoben zu sein. In diesem Moment kam die Mutter wieder herein, tvelche Ausschau gehalten hatte, und nun meldete, daß die Schlitten in Sicht seien. Stephanie eilte hinaus, um sich mit Hilfe ihres Vaters ein zuhüllen und gegen Sturm und Kält« zu wappnen. Frau Döring gab Eva einen Wink, noch im Zimmer zurück zu bleiben. „Was wollte Stephanie von Dir?" flüsterte sie. „Ich soll mit Eckhoff fahren", schnrollt« Eva. Thuc es nicht!" gab die Mutter schnell und eindringlich zurück, „versprich es mir, es liegt mir Alles daran, daß eine Aussprache zwischen den Beiden erfolgt. Ich hoffe, Eckhoff's Persönlichkeit, sein heißes Liebeswerben werden ihren Eindruck auf Stephanien's irregeleitetes Herz nicht verfehlen. Sie fürchtet sein«» Antrag, aber wenn er den Muth findet, sie um das Ja wort zu bitten, so wird sie nicht Nein sagen können — sie liebt ihn doch!" Dieses l«hte Argument wiederholte Frau Martha sich immer wieder, ohne zu bedenken, daß sie auch «inst geliebt hatte, und doch schmählichen Verrath übte, um auf die Tausende eines un geliebten Mannes zu speculiren. Eva athmete erleichtert auf. Ein« gute Freundin hatte ihr nämlich vrkrathen, daß der Rcndant Lamm in letzter Stunde abgesagt habe, aus Furcht vor Rheuma. Statt seiner wurde nun «in Cousin der guten Freundin Eva's Begleiter. Eva aber kannte di« Photographie dies«s Cou sins nicht nur, sondern sic schwärmte längst im Stillen für daS hübsche, offene Gesicht der jungen MannrS, nxlcher gleichfalls Ingenieur war.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite