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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020405022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902040502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902040502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-04
- Tag1902-04-05
- Monat1902-04
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Amtsblatt des Hönigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Matizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Necla men unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 171. Sonnabend den 5. April 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die von australischen Buschmännern i« Südafrika begangenen Gräuel. Man schreibt uns aus London, 3. April: „Morning Leader" veröffentlicht heute in Verbindung mit den auS Australien herübergekommenen Meldungen von der Erschießung zweier Offtciere der Buschmänner einen Bericht über die Schandthaten, welche von dem Corps und speciell von zwei Officieren desselben während der Dienstzeit in Südafrika begangen worden sind. Der Betreffende, von dem der lange Bericht stammt, hat die Thatsachen von einem Angehörigen des Buschmänner» Corps direct schon vor Monaten ans Afrika erhalten, und da die Sache nun einmal in die Oeffentlichkcit gedrungen und gröblich ent stellt worden ist, indem den Boeren die Schuld in die Schuhe geschoben wird und die Australier sich einbilden, ihren Lenten sei Unrecht geschehen, hält sich der Betreffende für verpflichtet, Alles, was er weiß, zu veröffentlichen. Mr. Barton, der Premierminister von Australien, und General Huttvn, der Generalcommandant der australi schen Truppen, haben Beide in der Angelegenheit unlängst gesprochen, der Eine im Parlament und der Andere bet einer Ansprache an scheidende Truppen, und Keiner hat ein Wort zur Vertheidigung des Corps sagen können. Der Premier hat vielmehr seine Australier darauf auf merksam gemacht, daß es keine Svndcrgesetze für Austra lier gäbe und daß sie unter den Armeebefehlen stünden, wie jedes andere Corps. Der General hat aber den Leuten klar nnd deutlich zu verstehen gegeben, daß die den Buschmännern vorgeworfenen unmenschlichen Schandthaten leider nicht zu leugnen seien und daß er im Besitze von Nachrichten sei, welche er zwar nicht bekannt geben dürfe, welche aber ein schlimmes Zcugnitz gegen die Australier seien. Bon der britischen Militärbehörde oder der Negierung sind auch die Schauergeschichten in keiner Weise dcmentirt worden, nnd so kann man wohl annehmen, daß es sich um die Wahrheit handelt bei dem, was der Correspondent des „Morning Leader" heute zu berichten hat. Das Folgende ist ein kurzer Auszug aus dem langen Berichte des „Morning Leader", wie ihn ein anderes James Gazette", wredcrgiebt, und da auch andere britische Blätter die furchtbaren Einzelheiten, die air die dunkelsten Zeiten des Heidenthums erinnern, ohne Reserve wicdergcben, kann man wohl annehmen, daß nichts übertrieben ist. Der Bericht klingt auch nicht danach. Ein englischer Capitän (der Name ist vom Ccnsor ge strichen oder absichtlich ausgelassen) und die australischen Leutnants Morant und Handcock waren im Commando der.^-Escadron, welche in den Busch nördlich von Pieters- bnrg zu Beginn des Jahres 1901 gesandt wurde. Bald entdeckten die Leute, daß ihre Officiere ganz eigcnthümliche Leute sein müßten, denn „sie schossen die Neger nieder wie die Kaninchen". Ein Beispiel wird angeführt, wie der ungenannte Capitän in der Unterhaltung mit einem an deren Officicr war, plötzlich den Revolver zog, einen in der Nähe befindlichen Neger nicderschoß und dann das Gespräch fortseyte, als sei nichts geschehen. Hatten der Capitän oder Leutnant Handcock irgend etwas gegeq einen ihrer Leute, so erhielt dieser den Befehl, auf dem Marsche in der rechten Flanke zu patrouilliren, und selten kehrten die Betreffenden zurück. Als die Buschmänner sich 200 Meilen nördlich von Pictersburg befanden, erfuhren sie, daß eine Nbtheilung unbewaffneter Boeren, die Geld mit sich führten, sich zu ergeben wünschten. Die Boeren näherten sich friedlich — aber das Geld, welches sie mit sich führen sollten, bestand aus Transvaal-Papiergeld. Sic baten, nach Pictersburg Weiterreisen zu dürfen, aber die Officiere der Busch männer hielten, um den Schein zu wahren, ein Kriegs gericht über sie ab, und ein Sergeant erhielt Befehl, sie erschießen zu lassen. Er weigerte sich aber einfach, dies zu thun, und so mußte es ein Anderer ausführcn. Die zehn Boeren mußten niederknteen und wurden nacheinander erschossen. Als dann ihre Wagen untersucht wurden, stellte cS sich heraus, daß das Geld aus Papiergeld bestand. — Der Sergeant und ein Anderer sollten bald die Rache der Officiere für die Weigerung verspüren. Sie wurden aber gewarnt und entflohen in der folgenden Nacht-nach Pictersburg. Ein deutscher Missionar hat ans irgend welche Weise Kunde von dem Morde der Boeren erhalten und Leutnant Handcock ritt zu ihm und schoß den in seinem Zelte Ruhenden nieder. Ein mit ihm reisender „Boy" entkam aber und benachrichtigte die deutsche Mission. Diese klagte beim Consnl und so veranlaßte Kitchencr die Untersuchung, die mit der Execution der Officiere ihren Abschluß fand. So weit die hauptsächlichsten Züge des Berichts. Welche Schande für England, mit solchen Leuten Krieg — Vernichtungskrieg — gegen einen ehrlichen Feind zu führen. Wir haben den Brief unseres Londoner Korrespon denten ungekürzt wiedergegeben, obwohl er einige be kannte Einzelheiten wiederholt, da er im Uebrigen das schaucrvolle Bild britischen Culturfortschrittes in charak teristischer Weise ergänzt. Zu bemerken wäre nur, daß, wie gemeldet, nun auch die englische Regierung das Ge schehene unumwunden zugiebt. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. April. Je mehr eS sich herausstillt, daß die Ferienreise des StaatSsekre«ärs Grafen PosadotvSky weder den Zweck noch den Erfolg gehabt hat, Bundesregierungen zu einem Hinausgehen über die iu der Zolltarifvorlage enthaltenen Minimalsätze für Getreide zu bewegen, und je zahlreicher andrerseilS die Stimmen aus conservativen und aus CentrumS- kreisen werden, die zur Beschränkung auf diese Sätze mahnen, um so trüber sehen begreiflicher Weise die Führer Les Bundes der Landwirthe dem bevorstehenden Sessionsabschnitte des Reichstags entgegen. Die „Deutsche Tageszeitung" erwartet bereits von der Arbeit deS Reichstags nur noch ein einigermaßen befriedigendes Ergebniß, nämlich die Erledigung der Seemannsordnung. Die ver schiedenen kleineren Gaben, die den Agrariern geboten werden sollen, Schaumweinsteuer, Süßstoffgesetz, Brannt weinsteuer-Reform, betrachtet sie dagegen als werthlose Bazarstücke. Einen aussichtslosen Kampf prophezeit das Blatt auch auf dem Gebiete der Diäten. Die Be trachtungen, die die „Deutsche TageSztg." über diese Frage anstelll, kann man auf sich beruhen lassen; auffallen aber muß es, daß das Blatt nicht auf die naheliegende Folgerung kommt, daß es, um einen unnützen Streit und eine neue Complication zu verhindern, das Beste wäre, wenn die Reichsregierung Vie Session mit keiner Art von Diälrnvorlage belastete. Am besorgtesten zeigt sich die „Deutsche TageSztg." natürlich wegen der Rückzugsbestrebungen innerhalb des (Zentrums und der conservativen Parteien, denen es folgende Mahnung zuruft: „Obwohl die Sätze des Eompromisses mehrfach und unzweideutig als das Mindestmaß dessen bezeichnet worden sind, wa» der Land- wirthschast gewährt werden müsse, tauchen doch hier und da in der Presse, die auf dem Boden des Kompromisses steht, Vorschläge auf, die unumwunden dahin gehen, die Mehrheit der Zolltarifcommission solle sich sofort nach ihrem Wirderzusammentritte mit derRegierung ver ständigen, koste es, waS cS wolle. Wenn dieser Vorschlag ernst gemeint ist, so kann er nichts Anderes bedeuten, als daß die Commissionsmchrheit sich nötigenfalls auf den Standpunkt der Regierung zurückziehen solle. Was wir über eine solche Zumuthung denken, welche Wirkung die Be folgung eine- solchen RalheS für daS Ansehen der ihn be- folgenden Parteien haben würde, das brauchen wir nicht zu wiederholen. Wer eS gut mit den in Betracht kommenden Parteien meint, wer ihnen die politische Achtung und Selbst ständigkeit wahren will, der muß solchen Rathschlägen unbedingt auf das Schärfste wiederstreben. Wir erfüllen eine politische Pflicht, wenn wir dies immer wieder thun und das mit solcher Warnung verbundene Odium ruhig aus uns nehmen." Schärfer konnte die „Deutsche TageSztg." sich selbst und ihre Hintermänner nicht charakterisiren, als durch diese Sätze, die keinen höheren Gesichtspunkt kennen, als daS An sehen, die Selbstständigkeit der Parteien — selbstverständ lich der bisher im Schlepptau der Bundesleitung befind lichen. Ob daS Ansehen und die Würde der verbündeten Regierungen, die so schwer zu einer Einigung gekommen sind, durch Unterwerfung unter den Willen einer Parteigruppirung leidet, ob diese Reaierungen durch Zurücknahme einer feierlichen Erklärung sich selbst discrediliren: das ist der „Deutsch. TageSztg." so gleichgültig, wie etwa den Herren Singer und Bebel. Und doch war eS die „Deutsche Tagesztg.", die wer weiß wie lange nach dem „starken Manne" rief, der wie Bismarck es verstände, seinen Willen gegen widerstrebende Parteien und Partei gruppen zur Geltung zu bringen. Kaum zeigt sich aber ein starker und fester Wille, der sich dem der Herren vr. Hahn und Oerrel nicht beugen will, so werden die Parteien beschworen, an ihr Ansehen zu denken, ihre Würde als daS höchste aller Güter zu wahren und dem Regieruugswillen den noch festeren Parteiwillen ent- gegenzusetzcn. Hoffentlich findet der Reichskanzler, der durch seine den Bundesführern gegenüber nur allzulange bewiesene Lammesgeduld den Glauben an die Stärke seines Willens nicht recht hat auskommen lassen, nunmehr die rechte Form, die den Herren beweist, daß sie nicht vergebens nach einem „starken Manne" gerufen haben. Bei der dritten Lesung dcS Etats wird im preußischen Abgeordnete n hau sc Abrechnung mit einem jener polnischen Fanatiker gehalten werden müssen, die dem Abg. Bebel darin gleichen, daß sie ihre Gegner aller und jeder Nieder» tracht für fähig ballen, deshalb eine Prüfung der ihnen zu getragenen Verdächtigungen gegnerischer Personen gar nicht für nöthig erachten und ihre Behauptungen so vortragen, als ob der Thatbestand gerichtlich festgestellt sei. So hatte, wie erinnerlich sein wird, am 15. März der polnische Abg. v. CzarlinSki in der genannten Körperschaft unter dem Schutze der Anonymität einen an gesehenen deutschen Schulbeamten, den Kreisschulinspector Neuendorff, durch Erzählung einer „Badegeschichte" auf daS Schärfste angegriffen und sein angebliches Verhalten als charakteristisch für die Gesittung bezeichnet, welche mit der deutschen Cultur und Ordnung in den ehemals polnischen Landestheilen eingezogen sei. Die Geschichte, die er erzählte und die hier nochmals wiederholt sei, lautete: „Bei Pieschen hat die Mühlenbesitzerin, Frau Ionas, eine Bode- einrichtung eröffnet mit der Anordnung, daß bts Mittag Frauen und Nachmittags Männer baden sollten. Eines schönen Sonntags des verflossenen Jahres begaben sich drei junge Damen mit höherer Bildung und auS den besseren Ständen der dortigen Stadt nach der Mühle, um zu baden. Ein paar Minuten nach 12 Uhr kam nun der Kreisschul inspector Neuendorff mit seinem Sohn, der vor Kurzem das Abitu- rirntenexainen gemacht haben soll, und unwillig darüber, daß die Badebude noch verschlossen war, brach er sie mit Gewalt auf, nahm die Kleidungsstücke der jungen Damen und brachte sie auf eine unweit gelegene Wiese, sodaß diese armen Wesen genöthigt waren, in dem Costüm der Stammmutter des menschlichen Geschlechtes bei den Herren vorüberzugehen und unter freiem Himmel sich anzukleiden. So viel mir bekannt ist auS dem Briese meines Gewährsmannes, hat zum Mindesten ein Vater dieser jungen Damen eine Beschwerde bei der Regierung eingereicht. Aber die Regierung war äußerst human; sie schickte einen Lommissar, um die Zurückziehung der Sache zu bewirken, und der Kreisschulinspector soll heute noch an Ort und Stelle sein. Wenn es daraus ankommt, kann ich die Namen nennen; ich thue eS nur nicht mit Rücksicht auf die Domen, denen eS gewiß heute noch unangenehm ist, daß so wa- in die Welt ge langt ist." Abg. v. CzarlinSki fügte am Schluß dieser Erzählung hinzu: „Wenn die Regierung so etwas duldet bei Beamten, die der Jugend zum Muster dienen sollten, ist da- doch wirklich etwas Unerhörte-, und wenn da- deutsche Gesittung sein soll, dann danken wir schön, dann bleiben wir lieber bei unserer." Der damalige Ministerialdirector vr. Kügler, dem der wahre Sachverhalt nicht bekannt sein konnte, bezweifelte sofort die Wahrheit der Erzählung Czarlinski'S und sagte dann: „Die Kreisschulinspectoren sind die bestgehaßU»^iKe polnischer Seite; eS wird ihnen alle Augenblicke etwa- am Zeuge zu flicken gesucht, was sich später nie bewahrheitet." Ur. Kügler hatte Recht: die Babegeschichte des Herrn von CzarlinSki beruht aut Unwahrheit, er bat sich einer Ver leumdung des Kreisschulinspector- Neuendorff schuldig gemacht. Der „Nat.-Lib. Corr." geht folgende Darstellung des richtigen und einfachen Sachverhalts zu: Am 10. Juni 1901 ging Kreisschulinspector Neuendorfi nach der Badeanstalt und traf dort ungefähr zehn Minuten nach der Zeit ein, welche für den Beginn der Badezeit für Herren angesetzt ist. ES badeten ober noch Damen, und Herr Neuendorff wartete, in der Annahme, daß die Damen das Bad bald verlassen würden. Al- dies nicht geschah, rief er ihnen die Bitte zu, sie möchten sich ein wenig beeilen. Die Damen folgten sofort diesem Ersuchen; eine derselben zog in ihrer Eile erst nach Verlassen der Badeanstalt ihre Blouse an; eine andere hatte ihr Badrhandtuch liegen lassen. AlS er, Neuendorsi, die- bemerkte, schickte er seinen jüngeren Sohn zurück, um es der Dame zuzustellen. Da Neuendorff jun. zu sehen glaubte, di« be treffende Dame kehre um, da- vermißte Handtuch zu holen, legte er es auf der vor der Badeanstalt befindlichen Bank nieder. DaS ist der einfache Sachverhalt einer Badegeschichte, die Feuilleton. Eva oder Anneliese? 5s Roman von Er n st Georgy. Nachdruck »erboien. Es war der Todestag ihrer Mutter. Marie trug darum heute ciu schwarzes Spitzenklcid, das den Hals frei ließ nnd ihr zu ihrer deutsche« Schönheit besonders gut stand. Sie ergriff eilig einen großen Hut, der sie gegen die Sonne schützen sollte, nnd ein Tuch. Dann stürmte sie hinaus. Es war schon ziemlich spät geworden. Die Sonne hitzte nicht mehr. Elu frischer Wind kräuselte die Wellen, welche iu langen Rethen mit weißen Schaum» tämmen heranbrßusten nnd auf dem weichen Ufersande leise plätschernd verrannen. Sie kehrte ihr heißes Gesicht der kühlen Brise zu. Wie wohl das that! Tief sog sie die erfrischende Luft ein. — An den Badehäusern für die Damen spielten ihre Kinder mit den anderen. Alle stürmten ihr jubelnd entgegen Von den Erwachsenen fand sie nur den Professor, seine Gattin nnd Frau Mottek vor. „Guten Abend, meine Herrschaften!" — sagte sic, heran» tretend. — „Ich habe Lust zu einem weiten, langen Spa ziergang. Wer von Ihnen würde sich mir anschließen?" „Ich bedauere außerordentlich, Frau Gräfin; aber ich habe mir den Fuß vertreten und will ihn heute schonen!" — erwiderte die Mottek klagend. „Und ich habe diesen Anzug fertig zu nähen, sonst kann mein Paul am Sonntag nackend herumlaufcn!" — lachte Frau Emma. — „Verführen Sic mich, bitte, um des HimmelSwillcn nicht. Es kribbelt schon in allen Zehen; aber ich darf nicht! Doch Dn, Willi, Du mutzt mit. Du hast schon wieder über Kopfschmerz geklagt, und der Arzt hatte Dir ausdrücklich weite Wege ancmpfohlen! Ist es Ihnen recht, wenn mein Mann mitkommt, Fran Gräfin? Dann vertraue ich ihn Ihnen eine Stunde und länger noch an; aber bringen Sie ihn mir, bitte, heil zurück!" — Sie stieß den Professor an, der sich zögernd erhob. — „Ich verspreche Ihnen mein Möglichstes, Frau Professors — entgegnete Marie — „Ja, kommen Sie ein wenig mit, mein Freund! Wix gehen immer am Meere entlang nach Ost doch nein, beute wollen wir der Abwechselung halber lieber nach West»Dievenow zu wandern. Dort sollen so wunder volle Düncnpartien fein. So sagte mir Vater Marten!" — Ihr Herz klopfte wieder. „Dann können Sie auch von alten Zeiten ein wenig schwatzen! Na, viel Vcrgnügep denn, und auf Wiedersehen zum Abcndbrod. Bring' tüch tigen Hunger mit, Will!" rief ihnen die Professorin nach. Neubert nahm ihr mit einer Verbeugung das Plaid ab. Dann schritten sie langsam vorwärts. Sie waren zum ersten Male allein. Eine ganz natürliche Beklommen heit umfing Neide. Sie fühlten, -aß eine Aussprache kommen mutzte. Wohl eine halbe Stunde gingen sie stumm nebeneinauder. Nur der Wind, daS Rauschen des Wassers und das Kreischen der Möven unterbrach ein lullend die Stille. Zur Linken bas Meer, zur Rechten Haide und ein struppiger, sandiger Nadelwald. Die mit Strandhafer und Disteln bewachsenen Dünen traten mehr an den Strand heran, wurden höher. Der Weg, immer schmaler werdend, zwang sie, neben einander zu schreiten. Schulter an Schulter. — Manchmal mußten sie sogar einzeln, eng an die lehmig aufsteigcnden Wände ge drückt, gehen. Marie unterbrach zuerst die Ruhe. „Ihre Gattin empfahl uns, von alten Zetten zu plaudern, Neubert! Aber Sie wünschen eS wohl nicht?" „Warum nicht?" — zwang er sich zu sagen — „Die schwere Wunde, die Sie mir schlugen, ist längst vernarbt!" Sie senkte den Kopf, denn sie fühlte die ihre schmerz licher brennen, als jemals. „Glücklicher Mann!" — sagte sie dumpf — „Heute so beneidcnswerth, wie damals hart und unerbittlich!" „Ich?" „Ja, drei Briefe nicht gelesen! Sie gaben ja dem Verurteilten nicht ein mal Gelegenheit, sich zu vertheidigen!" „Giebt ober gab es in jenem Falle eine Verthctdigung?" — murmelte er bitter. „Nein, Neubert, — nein!" stieß sie hervor — „DaS Leben hat Ihnen Recht gegeben! Man ist ein Narr, wenn man sich für Andere opfert. Egoismus. Durchkämpfen wäre richtiger gewesen! Nach rechts und links beiseite stoben, di« Familie über Bord werfen und sich sein Glück schassen! DaS wäre besser gewesen! Aber in uns sitzt etwas, daS ist Familiengefühl, Ehre, Stolz, und Uber dieses EtwaS kommt man, kam ich nicht fort!" „So haben Sie auch die romanhafte Ausrede, sich für Andere geopfert zu haben?" — meinte er rauh. — „So haben Sie die Millionen, der Rang Ihre» Zukünftigen gar nicht gelockt?" — „Neubert, wir wenig haben Sie mich gekannt, wie kleinlich beurtheiltl Selbst die edelsten Naturen scheinen den Maßstab zu verlieren, wenn ihr eigene» Ich in Frage kommt!" — schleuderte sie ihm herb entgegen. — „Da haben Sie sich stolz in Ihr Tugendmäntelchcn gehüllt nnd un gelesen die Briefe retourntrt- Ungchört das Mädchen verdammt, das Ihnen das Theuerste auf Erden war! Oh über Sie!" „Ich sehe, daß ich jetzt zum Schuldigen werbe!" — spottete er. — „Stückweise hätte ich mich damals für Sie zerreißen lassen. Ich war dem Wahnsinn nahe, als Ihre Verlobung mit dem Grafen das Tagesgespräch meiner Zöglinge wurde. War es da nicht begreiflich, daß ich nicht nach der Motivirung Ihres Schrittes verlangte!" Sic rasten jetzt, von innerer Aufregung getrieben, vor» wärts. Aber plötzlich hatte der Weg ein Ende. Sie standen vor einer hohen Düne, die mit Bäumen bis zum Rande bestanden war. Zwei riesige Steine schienen den Abhang heruntergerollt und bildeten einen Sitzplatz, den der Zu fall geschaffen. Marie ließ sich, schwer athmend, auf einen der Blöcke nieder. Der .Hügel hinter ihr schützte ihren Rücken. Sie riß den Hut vom Kopfe und ließ den Wind mit ihren krausen Haaren spielen. Er setzte sich neben sie- Der Anblick ihrer Schönheit, ihrer Erregtheit begann, auf ihn zu wirken, ihn versöhnlicher zu stimmen. „Sprechen Sic doch!" drängte er. „Was soll ich Ihnen sagen, eS ist ja doch zu spät!" flüsterte sie und starrte vor sich hin. Dann raffte sie sich auf. — „Nein, ich will Ihüen wenigstens das Andenken an jene Zeit reinigen und verklären, Wilhelm, Sie sollen Alles wissen!" Hastig sprudelte sie daS Folgende heraus. Er lauschte, ohne zu unterbrechen. Nur manchmal zuckte er schmerz bewegt zusammen. „Sie waren mit den beiden Knaben abgereist, als Brandau mit seiner Werbung hcrvortrat. Justine und ihre Eltern bestürmten mich, „Ja" zu sagen. Ich blieb fest und lachte Alle auS. Mein Glück waren Tie- Dann holte man meine Mutter zu Hilfe. Sie kam in das Schloß, bohrte, drang in mich. Ich hielt meine Weigerung auf» rrcht. Tief betrübt über meinen Starrsinn, reiste sie nach zwei Tagen ab. Sic hatte genug Kummer mit meinen Brüdern. Der eine war bereit» Officier und ein Leicht sinn. Der andere sollte in das Regiment etntretcn, aber die schmale Wittwcnpcnsion reichte nicht zu zweimonat lichen Zulagen. Die Verwandten verweigerten die Unter stützungen. Der Ruf, den die beiden Burschen hatten, war nicht geeignet, ihnen zu nützen. Was soll ich Ihnen die analvollen Stunden eingehend vorsühren? Beide sind tobt. Der Aeltcste endete durch Selbstmord. Der Zweite starb im Duell, als er die Ehre deS eben Begrabenen, des Bruders, vcrtheidigte. Meine Mutter starb vor drei Jahren in meinen Armen in Großbrandau. Bernd war die Sonne ihrer letzten Tage geworden!" — Sie machte eine Pause, ehe sic fortfuhr. „Mein erster Brief ent ¬ hielt die flehentliche Bitte an Sie, unter allen Umstünden 8000 Mark aufzutrciben. Ans Ihren makellosen Namen hin. Erich hatte die Regimentscaffe angegriffen, die Re vision stand bevor, kein Geldverleiher borgte ihm mehr. Der zweite Brief flehte Sie au, sofort nach Bromberg zu fahren und dem Unglücklichen zur Seile zu stehen. Auch diesen erhielt ich ungeöffnet zurück. — Die Minuten waren kostbar. Ich mußte mich Brandau ent decken. Er half großmuthig, unterdrückte einen Lcandal und — — — — ich war der Preis! Nichts weiter! Und es konnte nicht einmal meine Brüder auf die Dauer retten. Sie verfielen ihrem Schicksale einige Jahre später! — — — — Mein drittes Schreiben enthielt Erklärung nnd Abschied. Auch dieses wurde nicht gelesen!" — Sic ächzte. — „Marie Marie!" stöhnte er. Dann riß er ihre kalte Hand an sich und bedeckte sie mit Küssen. Sie fühlte heiße Tropfen aus seinen Augen auf ihren Ann rinnen. Ganz gebrochen saß er an ihrer Seite. Ein warmes Mitleid mit seiner Pein fühlte sie. Leise strich sie mit der freien Hand über seinen Kopf. „Ich bin Fata listin, Neubert, beruhigen Sie sich doch. Ich habe nie mit Ihnen gerechtet, sondern Sic und mich immer beklagt. Einmal aber wollte ich mich doch vor Ihnen rechtfertigen, darum habe ich gesprochen! Jetzt wollen wir Freunde werden, nicht wahr, Wilhelm? Sic sind inzwischen glücklich geworden, so, wie Sie eS verdienten. WaS wollen Sie mehr? Ich habe einen unschätz- .baren Rcichthum in meinem Sohne, in metnem Pslegc- töchtcrchcn! Wir sind Beide glücklicher geworden, al» wir damals dachten! Dafür mutz man au« dankbar sein!" Er richtete sich ans und sah sie an. Mit schwimmenden Angcn blickte sie in s Weite. Ueber dem stahlblauen, setzt stürmischer wogenden Meere versank langsam, roth- glühend die Sonne. Goldige Wolken umsäumten die in die Flnth Tauchende. — Tas edle Gesicht war auch tu rosigen Glanz getaucht. „Marte!" — sagte er leise und tief erschüttert — „Sie haben mir ben Glauben an das Heiligste wiedrrgegeben. Ich kann an meine Iugendlicbe versühnt »urückdenken. Ich bin glücklich geworben über
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