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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020421029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902042102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902042102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-04
- Tag1902-04-21
- Monat1902-04
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Delarey gab darin Zcugniß für die barbarische Art, mit der die Engländer in diesem von ihnen „mit beispielloser Menschlichkeit" geführten Kriege gegen die Frauen der Boeren verfahren sind, wie sie sie des Nachts um ihre Lager postirt haben, um sich gegen einen Ueberfall der Boeren zu sichern, wie sie auf sie geschossen, wie sie sich gegen seine Frau und seine greise Mutter betragen haben. Vervollständigt war dieser Berichtstheil durch beeidigte Er klärungen, wie die Engländer gegen Wehrlose und Ge fangene gewüthet haben. Delarey'S Bericht umfatzt jedoch auch noch folgende, für die Art der englischen Kriegführung, die Kriegslage, die Stimmung der Boeren u. s. w. höchst bezeichnende und gewiß allgemein intercssirende Puncte. Der Bericht, der so wörtlich als möglich übertragen ist, lautet in den wich tigsten Stellen: An Seine Hochedlen, den Staatspräsidenten der Südafrikanischen Republik. Zu Felde, December 1901. Ich glaube, daß während der abgelaufenen Zett viel Licht auf unseren düsteren Zustand gefallen ist, und er achte es als meine hohe Pflicht, keine Mühe zu sparen. Ihnen diesen Bericht zuzusenden und zu wissen zu thun, wie es noch um die Republiken und auch um die Colonien steht, in fürdcrer Erwartung dessen, was meine Regierung und die des Oranje-Freistaates zu thun beabsichtigen. Meine Regierung und die des Oranje- Freistaats sind bereit — wie ich auch an Lord Kitchener bekannt gegeben habe —, für ihr Recht zu streiten bis zum bittersten Ende, und es i st beiunsbisjetztketneRededavon,einen Frieden zu schließen, bei dem die Unab hängigkeit der beiden Republiken nicht anerkanntwird, wie auch die von unseren Brüdern aus -en Colonien, die ihr Loos mit uns in die Urne ge worfen haben. Unser Land liegt in Trümmern. Man findet nichts mehr, als die Mauern der Häuser, ausgenommen, wo auch diese mit Dynamit in die Luft gesprengt wurden. Dem Zerstörungswerk ist Niemand entgangen. Sowohl das Bcsttzthum von Neutralen, wie das von -en Burghers, die gefallen sind, und -,uch von den Kriegsgefangenen, die heute auf fernen Inseln sitzen, und von Wittwen und Waisen, Alles ist vernichtet. Kirchen, Pfarrhöfe und Schulen wurden ebenfalls nicht verschont. In meinem Gebiet sind die Dörfer Wolmaranstad, Bloemhof, Schweizer-Rcneke und Hartebeestfontetn, die vom Feind nicht besetzt gehalten werden konnten, voll ständig niedergebrannt. So ist es auch im Oranje-Freistaat und auch in den östlichen Distrikten der Südafrikanischen Republik, wo sich General Botha befindet. Unser Bieh ist Alles geraubt. Und wo eS nicht wcggeführt werden konnte, wurde cs zusammeir- getrieben und erschossen ober mit Säbeln und Messern todtgestochen. Die nicht -»gerittenen Pferde wurden in KraalS gejagt und dort zusammen todtgeschoffen; und wo sie ungezäumt weideten, wurden die Maxims auf sie ge richtet und wurden sie nicdergemäht. Nachdem das Korn in die Erde gelegt war, wurde eS vom Vieh zertreten oder abgefressen. Und wo es groß ist, ziehen die Lager nach den verschiedenen Plätzen und werden die Soldaten und Kaffern vom Fein- zu Hunderten aus gesandt, um die Saat mit Sicheln abzuschnetden ober sie mit Besten und Zweigen zu vernichten. Die bereits ge ernteten Vorräthe wurden in Brand gesteckt. Betreffend das Rothe Kreuz. Mit unfern Ver wundeten haben wir große Schwierigkeiten. Ich hatte mehrere Feld-Hospitäler eingerichtet, aber in den meisten Fällen wurden sie von den Feinden nicht respccttrt, die die Verwundeten wegführten und dann Alles verbrannten und auch alle Arzneien und Verbandstoffe an sich nahmen. Wie es nun einmal liegt, müssen alle Verwundeten, so bitter daS auch ist, sich flüchten, wenn der Feind in die Nähe kommt. Ich habe das Ersuchen um Medtcinen gestellt, gegen Bezahlung. Aber noch immer ist mein Ersuchen unerfüllt. Im Laufe des Krieges sind alle Aerzte von uns gegangen. In meiner Abthetlung habe ich nur einen Arzt, nämlich vr. v. Rennenkampf, einen Russen, der wirklich treu ist und viel für unsere Leute gethan hat. Soviel mir bekannt, befinden sich im Oranje- Freistaat nur noch zwei Aerzte bei den Burghers, nämlich vr. Fourie und vr. van der Poel. Wir werden aber ver- pflegt von Leuten, die sich im Anfang als Assistenten bei Len Aerzten befanden, und sie leisten ganz Gutes. * Balmoral, 19. April. („Reuter's Bureau".) Lucas Meyer und Reitz trafen gestern Abend aus Pretoria hier ein. Heute Vormittag traten sie mit einer englischen Escorte die Reise nach dem nördlich von hier gelegenen Silberminenfelde an, wo sie auf ein Boerencommando zu stoßen glauben. Politische Tagesschau. * Leipzig, 21. April. An daS bekannte Wort, daß Deutschlands Zukunft auf dem Wasser liege, wurde -er Reichstag in der letzten Zeit während der zweiten Berathung der Seemanns ordnung sehr oft und auch am Sonnabend wieder bei der zweiten Lesung der Nebcngesctze zu dieser Ordnung, betreffend die Verpflichtung der Kauffahrteischiffe zur Mit nahme heimzuschaffender Seeleute, Stellenvermittelung für Schiffsleute und Aenderung der seercchtlichen Vor schriften des Handelsgesetzbuchs, erinnert. Das Haus nahm an diesen Vorlagen nur einzelne Aenderungen vor, die in Cvnsequenz -er zur Seemannsordnung selbst ge faßten Beschlüße verständlich waren, und genehmigte sie im Uebrigcn in der Commissionsfafsung. Eine längere Debatte knüpfte sich an die vom Centrum im Zusammen hang mit der ScemannSordnung vorgeschlagene Reso lution, durch die die Regierung ersucht wir-, dem Reichstage mit thunlichster Beschleunigung einen Gesetz entwurf vorzulegen, durch welchen die Frage einer be hördlichen Aufsicht über die Seetüchtigkeit, den Tiefgang, die Bemannung und Berproviantirung von Kauffahrtet- schiffen geregelt, für Abstellung etwaiger Mängel Sorge getragen und zu diesem Zwecke eine der Oberaufsicht -es Reiches unterstehende Instanz bestimmt wird. Veranlaßt wurde die Debatte dadurch, daß Herr Lenzmann an dem Worte „Tiefgang" Anstoß nahm; er beantragte deshalb, es zu streichen und statt besten ein besonderes Gesetz über den Tiefgang und die Ladelinie vorzulegen, dem die auf diesem Gebiete von der Handelsmarine gemachten prak tischen Erfahrungen zu Grunde zu legen seien. Hierbei kam es zu einem interessanten Meinungsaustausch über den Werth oder Unwerth der Tiefladelinie. Es verdient Anerkennung, daß Herr Lenzmann, trotz seiner demokratischen Allüren, mit seiner skeptischen Auf fassung der von den Socialdemokraten so laut geforderten Tiefladelinte nicht Hinterm Berge hielt. Er maßte sich als Laie kein eigenes Urtheil in der Sache an, verwies aber darauf, daß die Sachverständigen über den Nutzen des betreffenden, in England bestehenden Gesetzes sehr getheilter Meinung seien. Da sei cs doch wohl rath- samer, eine deutsche Nachbildung dieses Gesetzes nicht zu überstürzen. Der Svctaldemokrat Schwartz glaubte ihn darüber belehren zu müssen, daß die Acten über die Frage -er Tiefladelinte längst ge schloffen seien, während Herr Naab behauptete, daß -er Mangel einer Tiefladelinte schuld daran sei, wenn die Zahl der Schtffsunfällc sich in Deutsch land erheblich höher stelle als in England: auch die be kannte Stellungnahme des Kaisers zur Tiefladelinie er wähnte Herr Raab. Contreadmiral Schmidt kam bei Er örterung der Frage zu einem entgegengesetzten Ergcbniß als der Vorredner, dessen statistische Angaben und tech nische Ausführungen er bekämpfte. Er trat auch der Be hauptung entgegen, daß die Rheder die Tiefladelinte auS Habgier bekämpften; nicht die Tiefladclinie an sich fürchteten die Rheder, sondern die falsche Tiefladelinte, die richtige Tiefladelinte aber generell festzustellen, sei für Sachverständige einfach unmöglich. Die Herübernahme des englischen Gesetzes würde für unsere Handelsmarine mit ihrer wesentlich anderen Bauart ein Unglück sein. Schließlich gelang es dem Berichterstatter Herrn Semler, den Streit zu schlichten, indem er darauf auf merksam machte, daß tn der Resolution von der Ladclinie überhaupt nicht die Rede sei. Zu der Resolution im All gemeinen bemerkte Graf Posedowsky, daß die Wahr nehmung der in ihr erwähnten Aufgaben in erster Linie Sache der Sccbcrufsgenosscnfchaft sei. Diese sei auch be strebt, alle ausgesprochenen Wünsche mehr und mehr zu erfüllen, auch solle im Reichsamt des Innern ein be sonderer Schiffsbausachverständiger angcstellt werden. Eine besondere Behörde aber, wie sie die Resolution fordere, zu errichten, werde die Negierung kaum bereit sein. Zur Abstimmung wird die Resolution erst in dritter Lesung gelangen. — Nach Erledigung der Schiffsfragen kam die lox Rinte len, diese ewige Seeschlange, mit Rücksicht auf die auch im vorigen Jahre die Session nicht geschloffen, sondern nnr vertagt wurde, an die Reihe, jedoch nicht um bcrathen, sondern um begraben zu werden. Mit Rücksicht auf die Geschäftslage des Hauses beantragte Herr Rintclen selbst, über daS weitschichtige Werk zur Tages ordnung überzugchcn, mit dem gleichzeitigen Ersuchen an die Regierung, nm baldige Vorlegung eines Gesetzent wurfes wegen Wiedereinführung der Berufung. Staats sekretär Nieberding konnte die Erfüllung nicht ver sprechen, da verschiedene Regierungen gegen die Berufung seien. Das Haus — wenn man die wenigen Anwesenden so nennen will — nahm aber die Resolution einstimmig an, und mit diesem Erfolg zog Herr Rintclen vergnügt von dannen. In den zahlreichen Preßerörterungen über die parla mentarische Geschäftslage begegnet man vielfach der An sicht, daß der oaldige Schluß oder eine längere Ver tagung sowohl deS Reichstages, als auch des preußischen Abgeordnetenhauses zu er warten sei. Wir halten diese Ansicht, die hier und da in die Form der ganz positiven Behauptung sich kleidet, beide Parlamente würden sich kurz vor Pfingsten bis zum Herbste vertagen, für die Frucht baarer Cvmvinationen, da wirk lich Niemand weiß, wohin der „Parlamentshase" läuft. Die Regierung kann kein Interesse an einer Verkürzung der Sessionen, bei welcher eine große Anzahl von Gesetz entwürfen unerledigt bleiben müßte, hegen, und wird des halb ihrerseits schwerlich den Anstoß dazu geben, vor zeitig die Zelte abzubrcchen, zumal da bet einer Weiter tagung der Zolltarifcommission, die doch höchst wahrschein lich erfolgt, die Verbindung zwischen den Commissions mitgliedern und ihren Fracttonen sehr erschwert oder abgeschnttten würde, wenn ein frühzeitiger Sessionsschluß eintreten sollte. Die Anregung hierzu dürfte deshalb nicht von der Regierung, sondern aus den Parlamentskretscn hcrvorgehen und damit auch die Diätenfrage in Fluß gelangen. Die Entschädigung der Zolltarifcommtsstons- mitglicder durch eine Pauschalsumme oder Diäten stößt im Bundesrathe nicht auf die geringsten Schwierigkeiten, ausgeschlossen ist dagegen die Lösung der prin- cipiellcn Frage der allgemeinen Diätengewährung in dieser Session. Dem nächsten Reichstage in der folgen den Legislaturperiode steht der Bundesraty voraussichtlich wohlwollender in dieser viel erörterten Frage gegenüber, als jetzt in einem Augenblicke, wo der gegenwärtige Reichs tag baldigst liqutdtren muß. Der russische Für st MeschtscherSki will, wie er in seinen Tagebüchern des „Grashdantn" erzählt, einen Brief aus Paris erhalten haben, in welchem von der „niederschmetternden" Wirkung die Rede sei, die der unerhörte Erfolg der neuen russischen Anleihe aus alle Pariser Bank- und Börsenkreise ausgeübt habe. Man spreche in Paris sogar von trskissn, mauvais proceckss und Idso-alllLnoe und sehe die neue Anleihe nicht nnr als eine Beleidigung für die Franzosen, sondern geradezu als eine Beraubung Frankreichs an. Diese seltsame Erscheinung werfe ein charakteristisches Licht auf die „maßlose Unbeständigkeit", mit welcher die Franzosen so ernste Fragen, wie das Ver- hältniß zu Rußland, behandelten. Früher habe man Ruß land den Vorwurf gemacht, eS exploitire in seinem Inter esse das franco-russische Bündniß und thue von sich aus für Frankreich nichts; jetzt aber, wo eine neue russische An leihe in Berlin abgeschlossen werde, betrachte man dies als Verrath an dem franco-russischen Bündnisse. Diese neue Episode aus dem französischen Leben beweise, daß Fürst Mcschtschcrski mit seinem Skcpticismus gegenüber der Be harrlichkeit der öffentlichen Meinung Frankreichs hinsicht lich des franco-russischen Bündnisses Recht habe. Der Leichtsinn und die Wankclmüthigkcit der französischen Logik in politischen Fragen machten es eben unmöglich, „fest und sicher an Frankreich zu glauben". Es fehle in Paris an einem „Ccntrum -es vernünftigen russischen Denkens", durch welches die „leichtsinnige Einbildungs kraft" der Franzosen gegebenen Falles gehindert werden könnte, in einem dem franco-russischen Bündnisse feind lichen Sinne zu wirken. Feuilleton. Eva oder Anneliese? 18j Roman von Ern st Georg y. Nachdruck »«rbotni. Sie sah sich rund um und lachte: „Aber wo, warten Sie, ich räume rasch auf. Die Eltern werden sofort kommen und wollen auch sitzen. Sie werden einen netten Begriff von unserer Ordnungsliebe erhalten. Aber «ostsstni slo, sonst ist es nicht so arg! Wir haben jetzt keine Jungfer! Meine Zofe wollte nicht nach Rußland mit, glaubt wohl, da laufen die Bären auf der Straße umher! Und die meiner Mutter hat gestohlen und ist von einem Gardevoi vorgestern abgeholt worden!" — Während sie schwatzte, ergriff sie die herumliegcnden Sachen und schleppte sie nach dem Divan» wo sie die Dinge übereinander thürmtc. Stephan folgte ihren weichen, gleitenden Bewegungen ganz benommen. Mit ungewöhn licher Grazie legte sie dann die Ringe an und ordnete die Gegenstände auf dem Tische. Darauf bot sie ihren Gästen Cigaretten an und steckte selbst eine in den Mund. Mit einer ihr eigenen Art schmiegte sie sich dann tn die Sophaccke, sofort zusammenkaucrnd, als hindere sic weder Corfage noch die eigenen Knochen. — Unaufhörlich plauderte sie, bis die Eltern eintratcn. Dann brachten zwei Dienstboten den Samovar und ein üppiges Früh stück herein. Bernd und Stephan mußten thetlnchmen, so sehr sie sich auch sträubten. Die Ruffen verstanden ihre steife Ablehnung gar nicht. Feodora credenzte ihnen Wein und stieß mit ihnen an. Ihre Augen bohrten sich in die des Reisegefährten ein: „Auf gute Freundschaft, Graf, wir bleiben noch einige Monate hier! Kommen Sie oft, bann musictren wir. Sie geigen und ich singe. Oh, unsere Balladen, Sie sollen unsere Balladen hören!" — Brandau fühlte wieder die seltsame Beklommenheit, welche diese unmittelbare Nähe der Fremden schon während der ge meinsamen Reise auf ihn ausgeübt hatte. — Ein in ihrer Sprache gesprochener Satz brachte Feodora zur Be sinnung. Sie wandte sich Stephan zu und ließ ihr Glas auch an dem seinen erklingen. „Auch Sie werden uns immer willkommen sein, Graf Warell!" „Heißen Dank, Feodora Alexandrowna, so darf ich auch kommen, wenn Bernd verhindert ist, darf Ihnen Berlin zeigen?L — — „Aber selbstverständlich, welche Frage!" entgegnete sie, ge schmeichelt von der unverholenen Bewunderung des statt lichen Mannes. „Oh, dann schiebe ich meine Abreise noch auf. Wir brauchen erst nach Weihnachten etnzutreten! Topp, ich bleibe bis zum vterundzwanzigsten December hier und erfcheine erst zum Fest in Linden-Aue. Die Meinen haben mich dann ja lange genug in der Nähe!" rief er freudig. „Haben Sie eine große Familie, Herr Graf?" fragte Krau Mamönow. „Nur Vater und Schwester, gnädige Frau!" „Ist die Schwester jung oder ist sie schon ver- heirathet?" — Warell blickte schnell zu Brandau hinüber, der tief erblaßt war. „Nein, gnädige Krau, sie ist ledig und wird bald neunzehn Jahr!" sagte er kurz. Feodora be obachtete plötzlich Bernd mit spähender Aufmerksamkeit. Sie wollte wiffen, worauf sein Farbenwechsel und der starre Ausdruck seines schönen Gesichtes zurückzuführen war. „Ist Ihre Schwester hübsch? Wie heißt sie? Haben Sie kein Bild von ihr?" sprudelte sie hervor, trotz Stephan s ab lehnendem Stirnrunzeln. „Sie heißt Eva; leider habe ich keine Photographie von ihr hier!" entgegnete er zurück weisend. — „Ein Bruder kann darin nie urtheilen!" „Aber Sie können eS, Bernd Julianowitsch! Wie sieht Comtefle Eva auS?" „Nach meinem unmaßgeblichen Geschmack ist sie eine Schönheit ersten Ranges!" meinte Bernd gequält. „Neunzehn Jahre und noch nicht ver- heirathet?" fiel die Mutter ein. — „In Petersburg ist man ärgerlich, daß wir Feodora noch nicht verlobt haben. Sie ist auch bald neunzehn Jahre alt. Aber sie wollte ihren eigenen Willen durchsetzen nnd Künstlerin werben!" „Glauben Sie nicht, daß eS Comtesse Warell an Freiern fehlt, gnädige Frau!" sagte Bernd jetzt raub. — „Ich glaube wir werden bald von einer frohen Botschaft überrascht werden, nicht wahr Stephan?" Dieser rückte unruhig hin und her. Seine wahre Natur sträubte sich gegen eine Lüge; aber er wußte, daß gerade diese Unwahrheit für Bernd heilsam werden konnte. So lachte er kurz auf: »^Vielleicht! Vor Gott ist nichts unmöglich. Unsere Eva hat einen ernsten Verehrer! Doch wozu diese kostbaren Minuten mit Kamtltensimpeln vergeuden? Lasten Sie uns lieber etwas hören, was mit Ihnen zusammenhängt, Feodora Alexandrowna!" „Ich glaube, wir stören die Herr ¬ schaften. Unser Besuch hat lange genug gebauert!" unter brach ihn Bernd und erhob sich, trotz des Widerspruche» der Familie. „Wir lasten Sie aber nicht fort, ehe Sie uns nicht ver sprochen haben, am Mittwoch Abend unsere Gäste zu feig. Wir sehen einige Petersburger Freunde bei uns!" sagte Frau Mamonow. „Meine Tochter will ihnen ihre Fort schritte zeigen und etwas Vorsingen!" Obgleich Bernd noch immer innerlich beschäftigt war, verbeugte er sich doch weltmännisch gewandt. „Unter diesen Verhältnissen giebt eS kein Nein, gnädigste Fran! Der Gesang Ihres Fräulein Tochter ist ein solches Lockmittel, daß wir uns mit Freuden cinstcllen werden. Für meine Person nehme ich Ihre gütige Einladung an." — Er drehte sich nach Stephan um, der mit dem jungen Mädchen eifrig plauderte. — „Nun nnd Du, Steff, wirst sicher nicht auf das Vergnügen ver zichten wollen, das gnädige Fräulein singen zu hören!" — Brandau lächelte über des Freundes hastige und begeisterte Zusage. „Feodora Alexandrowna und ich haben eben ver abredet, morgen bet Norm zu reiten. Wenn das Wetter cs erlaubt, wollen wir sogar in den Grünewald. Du schließt Dich doch an ; denn ich fürchte, ich allein bin nicht genügen anziehend!" sprudelte Warell hervor und lachte, als ihm Feodora eifrig widersprach. Denn trotz ihrer Gegenrede hingen ihre Augen an Bernd und leuchteten auf, als er sein Mitreiten versprach. Dann wurde endlich Abschied ge nommen, nnd zehn Minuten später schritten die beiden Freunde bereits die belebte Straße entlang. Beide waren schweigsam und in Gedanken versunken. Stephan dachte über den eigenthümlichen Reiz der Russin nach. Bernd aber wühlte der alte Schmerz um die verlorene Eva, und mit Bitterkeit versetzte er sich nach Nizza zurück. Dort weilte die Unglückliche, die er nicht zu lieben vermochte, und die dennoch sein Weib werden sollte! Die Augenlose! — — — Plötzlich stand Feodora Alcranbrowna vor seinem Geiste. Ihre leicht geschlitzten, leuchtenden Augen blickten ihn an, lockend und bittend. Die dunklen, von Wimpern verschleierten Sterne schienen eine geheime Sprache mit ihm gesprochen zu haben. Oder was bedeuteten all diese leidenschaftlichen oder flehenden Blicke der Fremden? Er hatte Eindruck auf sic gemacht, da» spürte der müde Kämpfer. Ein Gedanke blitzte durch sein Hirn, den er verwarf; denn zu einem zerstreuenden Spielzeug war daS intcrcffantc Mädchen zu schade. Aber er suchte Vergessen: Ableitung von den zermürbenden Seelcnqualcn. Schutz vor Anneliesens ihn grausam ver folgendem Schatten. Schutz auch vor Eva Warell's nicht zu vergessenden Retzen! — — Bernd von Brandau wünschte sich beinahe eine Dritte, die ihn aus all den un seligen Wirren hcrausrtß, ihm seine Frische, seine Jugend zurückgab, und wäre eS auch nur für ein paar Wochen. — Gleich «ach dieser Erwägung reckte er sich stolz empor und verwarf sie als hcrabwürdigend. Er war ein Mann und seine Pflicht, rein den Weg zu gehen, in den das Schicksal ihn gestellt hatte. — Aber ? „Bernd! Ich bin diesem Weibe von Herzen dankbar; durch sie bist Du ohne Krage aufgehcitcrt worden! Wer hätte geahnt, daß die „Schlangendame" solch guten Ein fluß ausübcn würde?" — rief Franz Neubcrt, der auf dem steifen Sopha in dem Gastzimmer ausgcstreckt lag und dem Freunde bei der Toilette zuschaute. Bernd war bereits im Frack uud befestigte nur noch die weiße Cravattc vor dem Spiegel. Prüfend trat er zurück und betrachtete sich: „Du bist ein Narr!" sagte er lachend. „Die Russin intercssirt mich außerordentlich, das ist wahr! Sie zerstreut mich: aber an ein ernsteres Gefühl ist gar nicht zu denken. Ich halte mich ihr sogar fern, um unserem Steff nicht in die Quere zu kommen. Er hat sich ernstlich die Flügel ver brannt!" „Das stimmt; aber darum sei kein Trottel, sondern nimm Deine Chancen wahr!" unterbrach ihn Warell und trat ein. „'n Abend Franz! Menschenskinder, ich behalte den Mantel gleich an, Bernd ist ja schon so weit fertig. „Setz' Dich noch eine Minute, ich komme sofort. Na türlich, Stephan hält es nicht mehr aus, jeder Nerv in ihm zittert. Sich ihn Dir nur an!" „Hat sich 'was zu zittern!" murrte dieser uumuthig. „Seit unserer gemeinschaftlichen Reiterei und dem MuscumSbcsuch habe ich die Segel gestrichen. Fcodörchcn hat ja doch bloS Augen für Dich, und Du intcrcssirst Dich weit mehr für sic, als Du zugestchcn willst. Mir kannst Du nichts vormachen! Ucbcrdies, wie die Dinge nun ein mal liegen, freut cs mich beinah!" Mit verfinstertem Gcsichtsausdruck war Brandau auf ihn zugetrctcn. Er legte ihm die Hand auf die Schulter: „Ich will Dir 'mal waS sagen, Stephan. Wie der Er- irinkende nach dem Tau, habe ich nach dieser Gelegenheit gegriffen, um über so Manches fortzukommcn. Es sieht schlimm genug tn mir aus! Aber noch bin ich mit keinem ernsten Gefühl bcthetligt, ich spiele Va banque mit mir und der, welche sich mir so entgegenkommend zcigt. Wenn Du mir aber jetzt sagst, baß Tu das Mädchen lieb hast, ihr mit irgend einer ticsercn Neigung oder gar einer ernsteren Absicht gcgenübcrtrittst, — dann, mein Wort darauf, ist die Geschichte von diesem Augenblicke an für mich endgiltig erledigt!" Warell sprang lachend auf; „Benrb, Mensch, theurcr,
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