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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.05.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020526012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902052601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902052601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-26
- Monat1902-05
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Auf eine fast achthundertfährige Geschichte kann das Schloß Stolpen zurückblicken. In einem kurzen historischen Berichte von dem Bergschlvsse Stolpen heißt es über dessen Gr ü ndung : „Ao. 1121 haben die Deutschen auf hiesigem Berge, der mit lauter Busch umgeben war, eine Burg vom geschroteucn Holz gebaut, sind aber von den Böhmen daraus vertrieben worden." Noch vor Erbauung des Schlosses Stolpen lag schon am Fuße des Schlvßberges ein sorbisches Dorf mit Namen Litschina, verdeutscht Letzschcn. In den kämpfen zwischen den Deutschen und Torben nach Gründung der Mark Meißen ging dieses Dorf unter. Zu Ende des ll. Jahrhunderts entstand an dem Berge eine neue An siedelung mit Namen Iochgrim, aus Jvchgrim entwickelte sich nach und nach das Städtchen Stolpen. Im Jahre 1218 besaß das Bergschlvß Stolpen und das Städtchen Jvchgrim ein wendischer Edelmann Mocco de Stulpen erb- und eigenthümlich. Dieser Mocco de Stulpen bedruckte die Unterthanen des Stiftes. Um den Be drückungen ein Ende zu machen, kaufte 1218 Bruno II., B ischof von Mciß e n, Iochgrim und das Bergschloß Stolpen um den Preis von 108 Mark Silbers von Mocco de Stulpen. Ueber diesen Kauf heißt es in dem oben er wähnten historischen Berichte: „Anno 1218 haben die Motten, Wendische von Adel, welche denen Nachbarn und ihren Unterthanen.sehr beschwerlich gewesen, das Schloß Stolpen und das Stüdtlein Iochern unter dem Schloß an Bruno II., Bischof zu Meißen, verlaust. Dieser Bruno nnd seine Nachkommen haben hernach oft, gemeiniglich aber ihre Officialen allhier residirt." Durch diesen Bcsitzwechsel vollzog sich auf dem Basalt kegel auch manche b a u l i ch e V e rä n d eru n g. Die noch setzt vorhandenen Nuinen deuten den Umfang an, den das Schloß durch die Bischöfe erhielt. Es bestand das Ganze ans dem Haupt- und Bvrschlvß, bei jedem ward ein oberer und ein unterer Theil unterschieden. In dem obersten Hauptschlosse befand sich die Schloßcapelle, die nach dem historischen Berichte Thimo, ein Herr von Eolditz, er baute, der 1410 starb. Traurige Zeiten brachten die Hussitenkriege für Stadt nnd Schloß Stolpen. Im Jahre 1427 ward Jo hann IV. Bischof von Meißen. Bor seiner Ernennung zum Bischof war er Professor an der Universität zu Leipzig gewesen. Als solcher hatte er 1415 an dem Cvncil zn Kvst- nitz theilgenommen nnd das TvdeSnrtheil Hussen s mit unterzeichnet. Ende September 1420 kamen die rache schnaubenden Heere der Hnssitcn in die Umgebung von Stolpen nnd verschanzten sich hier. Die Ucberreste der Hussitenschanzen sind noch heute sichtbar. Am 15. Octobcr 142!) ging ein Theil der unterhalb des Schlosses gelegenen Stadt in Flammen auf; an dem Schlosse selbst aber scheiterte ihre Macht. Was dem Grimme der Hussiten widerstanden hatte, das ging 1470 in Flammen auf. In diesem Jahre wurde die Stadt und das Schloß durch eine Feuersbrunst verheert, der Aufbau des in Asche gelegten Schlosses ward 1400 vollendet. Schloß Stolpen blieb bis 1558 Nesidenz der Bischöfe von Meißen. In diesem Jahre entbrannte die Carlo- witzische Fchde, in welcher das Schloß eine gewich tige Rolle spielte. Bischof Nicolaus II. von Earlowitz war 1555 gestorben, sein Nachfolger war Bischof Johann IX. Sobald Bischof Johann den bischöflichen Stuhl bestiegen hatte, erschien des verstorbenen Bischofs Neffe, der kur fürstliche Stallmeister Hans von Earlowitz und forderte von Bischof Johann IX. die Herausgabe des von seinem Onkel hinterlassenen Testamentes. Johann lieferte auch ein versiegeltes Testament nebst einer Lade Geld an die Erben des verstorbenen Bischofs ab. Diese behaupteten jedoch, cs sei dies nicht das richtige Testament, es sei das, welches Nicolaus noch als Canonicus errichtet habe; es müsse vielmehr noch ein Testament vorhanden sein, dieses habe Johann IX. unterschlagen. Für diese Beleidigung forderte Johann IX. Gcnngthnung. Dieses Ansinnen be antwortete Hans von Earlowitz damit, daß er am 13. Sep tember 1558 denk Bischöfe einen Fehdebrief übersandte und am folgenden Tage Stolpen umzingelte, um seinen Gegner in seine Gewalt zu bringen. Dieser aber hatte sich schleunigst nach Prag In Sicherheit gebracht. Da Hans von Earlowitz seines Gegners nicht habhaft werden konnte, ließ er seine Rache an dem bischöflichen Besitze aus. Er bedrängte Stolpen nnd Bischofswerda, so daß sich die Einwohner dieser Städte genöthigt sahen, die Hilfe des Landcsherrn anznrufen. Außer Stolpen und Bischofswerda drangsalirte von Earlowitz auch die bischöf lichen Besitzungen an der Mulde, seine Schaaren besetzten Mügeln nnd Wurzen. Ende November 1558 erschien Hans von Earlowitz wieder vor Stolpen. Um dem unleidlichen Zustande ein Ende zn bereiten, sandte K u r f ü r st V a t e r August, unter Anführung des Bruders von Hans von Earlowitz, dem Georg von Earlowitz, eine Anzahl be waffneter Bürger aus Radeberg und Dresden nach Stolpen ab. Diese besetzten ohne Schwertstreich Stadt nno Schloß. Die Earlowitzischc Fehde ward dadurch beendet, daß HanL von Earlowitz vom Stifte 4000 Gulden empfing, dafür mußte er alle besetzten bischöflichen Orte ränmeu. Kurfürst August nahm das Amt Stolpen für sich und ent schädigte den Bischof Johann IX. von Hangwitz mit dem Amte Mühlberg an der Elbe. Sv lange Schloß Stolpen in den Händen der Bischöfe war, bildete eS den festesten Sitz des Katholicis- m n s in Sachsen. Als nach dem Tode Georg's des Bärtigen die Reformation in ganz Sachsen Eingang fand, widerstand nur noch Ttolvcn. Luther äußerte deshalb: „Nur die Flegel auf dem Stolpen droben wollen sich nicht ergeben." Auf das feste Schloß retteten die Bischöfe alle wcrthvollen Reliquien des Stifts Meißen, als 1539 Hein rich der Fromme die Reformation in den Meißner Landen einführte. In der Schloßcapelle wurden aufbewahrt ein Finger des Apostels Paulus, die Gebeine des heiligen Benno und der Schädel dcv heiligen Donatus. Bis Ende 1558 hatte der Hnngcrthurm die katholischen Geistlichen ausgenommen, die sich der Reformation zu geneigt zeigten. Hatten schon die Bischöfe für eine weitgehende Be festigung des Basalt kegels Sorge getragen, so geschah dies noch mehr unter der kurfürstlichen Negierung. Das Schloß bestand nach dem völligen Ausbau aus drei durch Zugbrücken mit einander verbundenen Höfen. Jin ersten Hof befand sich der feste Donathsthurm, der Mar- stall, der Kornboden und die Marterkammer; außerdem eine große Cisterne. Ter zweite Hof dagegen enthielt die Hauptwache, rechts einen dicken Thurm, die alte Lchösserei genannt, und links den St. Johannisthurm, in welchem die Gräfin Eosel bis an ihr Lebensende gefangen saß. Der gleichfalls mit starken Mauern und tiefen Gräben um gebene dritte Hof enthielt die herrschaftlichen Gebäude, die später der Platzcvmmandant bewohnte. Diese Gebäude bestanden aus dem Scigerthurme, den Kursürst August. Bater August, aufführen ließ. Daneben befand sich das Dcstillirhaus, in dem Mutter Anna allerlei heilsame Tränke destillirte, sodann der Siebenspitzenthurm, welchen Bischof Schönberg von Meißen aufführen ließ, nnd daS Brunnenhaus. Der Brunnen ward unter der Regierung des Kurfürsten Christian II. durch den Hofbaurath Bern stein 1608 angefangen zu bauen. Es war dies Unter nehmen ein schweres Stück Arbeit. Der harte Basalt ließ sich nur schwer bearbeiten, er mußte erst durch Feuer er weicht werden, ehe er gebrochen oder gesprengt werden konnte. Nach 22jähriger Arbeit fand man das gewünschte Wasser. Im dritten Hose war außerdem auch noch die Schlvßcapellc und das Kunstthürrnchen, so genannt nach der darin befindlichen Wasserkunst, die 1563 angelegt und 1795 erneuert wurde. Die Wasserkunst trieb aus dem Dorfe Lauterbach in doppelten, eisernen Röhren das Wasser auf das Schloß. Der 85 Meter tiefe Brunnen ge währte einen überaus prächtigen Blick in dw Tiefe des Basaltfclsens, und ein in den Brunnen hinabgcworfener Stein verursachte ein donnerartiges Gepolter. Die Drangsale des dreißigjährigen Krieges berührten die Feste Stolpen mehrfach. Zu Anfang August 1632 erschienen die Kroaten unter dem Be fehle des Rittmeisters Romhof in Stolpen; sie plünderten und ermordeten Jeden, der sich ihnen widersetzte. Dem Schlosse selbst konnten sie nichts anhaben. An der Spitze der Schloßbcsatznng stand der Prediger Sperling, der durch seine Unerschrockenheit die Bcrtheidiger immer wieder mit neuem Muthe beseelte. Für die bewiesene Tapferkeit nnd Hinsicht machte ihn Kurfürst Johann Georg I. zum Superintendenten von Freiberg und ließ ihn, als 1639 dieses von den Schweden belagert ward, an das „Eremvel seines zu Stolpen gehabten, unverzagten Gemüthcs" er innern. Ueber den Mißerfolg ihrer Waffen waren die Kroaten so erzürnt, daß sie vor ihrem Abzüge das Städtchen an allen Enden anzündetcn, so daß es innerhalb dreier Stunden in Asche sank. Durch Flugfeuer ward der Brand auch auf das Schloß verpflanzt, der Siebenspitzcu- thurm und alle äußeren Gebäude wurden von dem oicrige.i Elemente vernichtet. Nach dem Prager Frieden erschien 1639 der schwedische Feldherr Bauer mit 6000 Manu vor Stolpen und forderte die Besatzung des Schlosses zur Uebcrgabe auf. Leutnant Hans Ulrich Hennig, der das Eommando hatte, leistete aber tapferen Widerstand und fügte den Schweden großen Schaden zu. Da zogen sie ab, zündeten aber am 26. April 1639 die Stadt abermals an. Als endlich der Friede geschlossen ward, wurde das Städtchen wieder aufgebaut und das Schloß noch weiter befestigt. Fast fünfzig Jahre lang weilte auf dem Schlosse Stolpen als Gefangene die Gräfin Cosel. Sie ward am 24. Deccmbcr 1716 hierher gebracht und starb hier am 31. März 1765. Nach sechsjähriger Ehe wurde sic, 25 Jahre alt, von dem Geheimrath Freiherrn von Hoyrn- gcschiedeu; nach dieser Scheidung war sie jahrelang die „unzertrennliche Begleiterin" des Kurfürsten und Königs August II. (der Starke-, der sich von seiner vorherigen Geliebten, der Herzogin von Teschcn, geschieden hatte. Als sic auf dem Söhcpuncte ihres Glanzes angekommen war, besuchte sie — 1708 — mit August dem Starken Schloß nnd Stadt Stolpen. Born Erhabenen zum tiefsten Falle ist aber ost nur ein Schritt, 1712 fiel sie in Ungnade, nach vierjähriger Verhandlung wurde sie zu lebenslänglicher Haft verurtheilt, und am 24. Dccember 1716 nach der Festung Stolpen gebracht. Alle Versuche, sich dem Kur fürsten wieder zu nahen, scheiterten. Nach Jnhaftirung der Gräfin Coiel kamen die sächsischen Fürsten nicht mehr nach dem Schlosse Stolpen. Nur August der Starke erschien am 23. Juli 1727, früh 1/26 Uhr, nochmals daselbst, er ließ Kanonen ausfahren und den Basaltfelsen beschießen, um zu schell, welche Wirkung die Geschosse ausübten. Bei dieser Gelegenheit soll die Gräfin nochmals einen An näherungsversuch gemacht haben. Von der Zeit ab hat sic ihn nie wieder gesehen, sie starb in der zuletzt frei willigen Haft am 31. Mürz 1765. Ihre Gebeine ruhen in der ehemaligen Schlosskirche unter Schutt und Gestrüpp, kein Denkstein bezeichnet ihre letzte Ruhestätte. Durch öftere Feuersbrünste, besonders durch die am 4. Mürz 1723, litt das Schloß schwer, und da der Schaden meist nur nothdürstig ansgcbessert ward, so büßte es viel von seiner Schönheit ein. Arge Verwüstung brachte dcr 7 jährige Krieg. Beim Anmärsche der Preußen zog in der Nacht vom 30. zmn 31. August 1756 die Besatzung von Stolpen ab, um die Besatzung auf dem Svnnenstciue zu verstärken. Nur der Commandant von Schloß Stolpen, der 74jährige Generalmajor Adolph von Licbenau, blieb mit noch zwei Officicrcn zurück. Am 3. September 1756 gegen 6 Uhr Abends rückten preußische Husaren in Stolpen ein nnd besetzten, ohne auf Widerstand zu stoßen, das Schloß. Es wird erzählt, daß der preußische Oberst Warnern den greisen Evmmandanten, als er seinen Degen überreichen wollte, erschossen habe. Pastor Gercken, der zu jener Zeit lebte und eine Geschichte der Stadt und Bcrgfestung Stolpen verfaßte, erzählt von diesem Vor- Feuilleton. Oie unleserliche Handschrift. Novellette von IulesRicard. Nachdruck verbot«». Es war vor ungefähr 15 Jahren bei Brignac, aiif dem Lande, an einem jener köstlichen Nachmittage, da die Sonne ihre warmen und schon blasseren Strahlen über die herbst liche Flur gleiten läßt. Während wir ans die Stunde warteten, wo wir die Wildenten ans der Marne jagen konnten, die sich mit den schläfrigen Windungen eines großen, silbernen Reptils durch die Fluren wälzt, plauderten wir auf der Veranda, die von dem schweren und berauschenden Dufte der auf blühenden Heliotropen erfüllt war. Ein reizender Mensch, dieser Brignac. Ein ehemaliger Gardevfficier mit einem majestätischen 2-rüstkästen, einem breiten, etwas rothen Gesicht, einem ungeheueren, weißen und weichen Bart nnd scharf geschnittenen Zügen. Ehe dem ein glänzender Lebemann. Er war zn der Zeit ins Leben getreten, da das große Fest des Kaiserreiches in seinem vollen Glanze stand, hatte die Freude überall da gepflückt, wo sie blühte, und ich muß sagen, die Republik war ihm kein genügender Grund, um auf die Genüsse dieser Welt zu verzichten; er amüsirte sich unter jedem Präsidenten. Erst vor einigen Jahren hatte cs die Gicht für angemessen gehalten, dazwischen zu treten. Brignac zählte damals..... Doch, wozu das Alter eines Ehrenmannes nennen, auf dessen Freundschaft man zählen kann und dessen Koch un erreicht dasteht? Man rieth ihm, die Seebäder zu versuchen. Er that eS und begegnete dort einer jungen Engländerin, die fein und schlank, wie ein hübsches Bambusrohr war. Er sah noch sehr gut aus, hatte auch ein nicht unbedeutendes Ver mögen; sic indcß war arm. Im folgenden Jahre hcirathcte die hübsche Engländerin den früheren Officicr. Sie haben ein Kind und sind sehr glücklich. Allein, Brignac ist sehr gealtert und äußerst ernst geworden. Für mich ist er ein guter Kamerad. Er hat mir, als ich sehr jung war, jene praktischen Rathschläge gegeben, die man nicht vergißt, und obwohl die berechtigten Pflichten der Ehe ihn ein bischen abgestumpft haben, so bin ich doch glücklich, von Zeit zu Zeit auf ein bis zwei Stunden mit ihm zu- sammenzukommcn. Als wir, in der Unterhaltung begriffen, an einem kleinen, auf das Treibhaus führenden Salon vorüber gingen, bemerkte ich in einem Winkel an einem Tische sitzend den Sohn incines Wirthcs. Gaston war ein bübschcS, blondes Kind; es hatte seine Feder auf den Tisch fallen lassen und folgte mit einem, mir melancholisch erscheinenden Blick dem schnellen Fluge der Schwalben, die leicht den Nasen streiften und sich dann hoch in die Wolken erhoben. * * An jenem schönen Tage, der mir diesen Salon, den die starke Helle der sonnenbestrahlten Veranda düsterer als einen Kerker des Dogenpalastes erscheinen ließ, that mir der Anblick dieses „gefangenen" Jungen weh; und ich konnte mich nicht enthalten, zu meinem Freunde zu sagen: „Wie kannst Du nur den Muth haben, den armen Kleinen bei einem solch' herrlichen Wetter einzuspcrren?" „Mein Lieber", erwiderte Brignac, „wenn er erst schreiben kann, werde ich ihn in Ruhe lassen, denn er ist noch keine fünf Jahre und sehr intelligent, doch er muß schreiben; ich meine damit, gut schreiben!" „Weil Du selbst dies nicht kannst?" „Erstens wäre das ein Grund; wir sollen versuchen, bei unseren Kindern die Fehler zu vermeiden, die uns selbst aus unserem Lebenswege hinderlich gewesen sind, und dann ..." „Mein lieber Brignac, ich weiß nicht, ob das daher kommt, weil Tu zu viel ans dem Lande wohnst, aber Du scheinst mir ein Philister zu werden!" Er unterbrach mich lebhaft. „Vielleicht bin ich ein Philister. . . Ein Philister ist ein Individuum, das übrigens sehr gut weiß, was cs will .. Soll ich Dir sagen, warum ich wünsche, daß mein Junge gut schreiben lernt? DaS ist eine Geschichte, eine Geschichte aus der Zeit, nw Du mich uicht einen Philister geheißen hättest... Es war vor langer Zeit.. . im Jahre 1863 ... Baden war damals Baden und Monte Carlo ein kleines Fischernest. Alles, was chic war oder cs zu sein glaubte, flog, so bald der Juli kam, dorthin. Zu dieser Zeit war Niemand in den Clubs, ebenso, wie jetzt in der Woche, in welcher die Rennen von Deanvillc stattfinden ... In jenem Jahre war ich in Paris geblieben, weil . . ." „Ich merke schon: war Dein Grund'blond? braun? oder roth?" „Still, Gaston kann Dich Hören. Kurz, in meinem kleinen Entrcsol in der Rue Taitboat laugwciltc ich mich uicht allzu sehr, als man mir eines Morgens einen Brief übcrgiebt. . . . Dieser Brief enthielt eine Bitte um tzkld ... . Doch nicht etwa eine jener gewaltsamen Anleihen, die wahre Räubergeschichten in sich fassen, ewige Dankbarkeit versprechen und auf alte Freundschaft zurückgrcifcn. Er war klar und deutlich und ohne Umschweife: „Ich habe keinen Sou mehr, schicke mir sofort 300 Francs, um meine Hotelrcchnung bezahlen und nach Frankreich zurückkchren zu können, oder noch besser, 50 Louisd ors, um mich wieder flott machen zu können." Dieses schrecklich gekritzelte Billet war aus Baden da- tirt, was die Unterschrift anbetraf, so war es unmöglich, sic zu lesen!" Ich versuche es, prüfe Buchstaben für Buchstaben, und suche in meinen Erinnerungen, wer wohl dieses entsetzliche Geschreibsel abgeschickt haben könnte ... ich kann tndeß absolut nichts finden, was mich auf die Spur zu bringen in der Lage war! .... In Baden? Ich hatte 300 Freunde in Baden, und von den 300 sind 299 wenigstens im Stande, sich bis auf den letzten Louisd'vr ansplündern zu lassen . .. Aber ich mußte diesen unglückseligen Namen trotzdem ent decken! . . . Zwei Tage that ich nichts weiter, als mir den Kopf zu zerbrechen, und gab diese verteufelte Unterschrift Allen zu lesen, die ich unterwegs traf. Es war eine un nütze Anstrengung! Jeder war anderer Ansicht. Du kannst Dir denken, in welche Aufregung mich das versetzt hatte. Damals hatte ich cigenthümliche Ideen! Ich bildete mir ein, es wäre eine Feigheit, einem Freunde etwas abzuschlagen! .... Man ist eben dunnn, so lange mau jung ist! ... . Und was mich namentlich ärgerte, war der Gedanke, daß diese gräßliche Handschrift von Jemand kommen konnte, für den ich wirklich freundschaftliche 6K- sinnungen hegte. Ich telegraphirtc an wenigstens zehn in time Freunde; keiner war der Verfasser des Briefes. Nun lief ich zu den Schrcibsachvcrständigen. Der eine sagte mir, der Name wäre zweifellos Casem'icr, das wolle er vor Gericht bezeugen; der zweite schwor hoch und theuer, der Absender heiße Sertinais, das wolle er auch vor Gericht bezeugen; endlich behauptete der dritte, es wäre gar keine Unterschrift, sondern ein Wort; er meinte, es heiße: Hoch achtung. Sertinais und Casemier waren mir unbekannt... Ich durchblätterte das Club-Adreßbuch, Ich sah mein Adresienbuch Namen für Namen durch, vermochte jedoch nichts zu entdecken. Ich hatte förmlich das Fieber, und sogar den Hauptgrund für all' mein Thun, einem Freund gefällig zu sein, hatte ich so ziemlich aus dem Gesicht ver loren; ich intercssirte mich nur noch für das Problem, diesen so gchcimnißvoll versteckten Namen zu entdecken. Am dritten Tage kam mir ein im Grunde höchst ein facher Gedanke in den Sinn; ich schrieb nach Baden und bat um die Liste der Franzosen, die in diesem Augenblick in dem von dem Pcchxogel bewohnten Hotel sich aufhielten. Ich brauchte dann nur noch an alle mir bekannten Gäste des Hotels zu schreiben. Das beruhigte mich, und ich hatte das auch wirklich uöthig, denn ich hatte die Sache mit einer unerklärlichen Wnth betrieben, als wenn ein gehcimniß- vollcs und verhängnißvollcs Etwas mich dazu trieb. Am Abend dieses dritten Tages legte ich mich frühzeitig nieder nnd schlief schnell ein ... . Ich muß Dir sagen, daß ich früher — und noch jetzt — eine wahre Manie für die Nachtlampen hatte; ich kann es nicht ertragen, mich auch nur eine Lecunde in der Dunkel- heil zu befinden. Nun, in dieser Nacht — es ist wirklich eine seltsame 6kschichte, und ich habe seitdem nie ohne eine cigenthümliche Empfindung daran denken können —, in dieser Nacht wurde ich von einem leisen Knarren mitten im Schlafe geweckt. Ich habe nie ergründen können, was das für ein Ge räusch war; jedenfalls war cs die Nachtlampe, die auS- ging; denn ich befand mich in tiefster Dunkelheit. Zuerst schnürte mir ein gräßliches Angstgefühl die Brust ein — ich empfinde im Dunkeln stets so etwas — und bevor ich noch Zeit hatte, ganz zu erwache», hörte ich — jawohl, mein Lieber, ich glaubte nicht, zu hören, sondern ich hörte thatsüchlich — Nervenüberreizung wirst Du sagen, gleich viel! —, ich hörte eine Stimme, die mir in einem ganz leise» Hauch die beiden Worte zuflüsterte: Jacques Lcrminier! Meine Hant war am ganzen Körper mit Schweiß be deckt, ohne daß ich begriff, warum. In einer Secunde war ich, diesmal vollständig wach, aufgesprungen, hatte eine Kerze «»gezündet und las den Bries aus Baden noch einmal durch .... Wie kam cs nur, daß ich ihn nicht gleich entziffert hatte? ... Es mar ja ganz klar und deutlich! Lcrminier, ein hübscher, gefälliger und etwas über spannter Mensch, den ich zur Zeit unserer frühen Jugend sehr lieb gehabt und dann aus dem Gesicht verloren hatte' Dann hatte ich ihn an jenen „Lebensecken" wicdergefunden, wo man sich schnell die Hand schüttelte und sich ein ge rührtes: „Weißt Du noch?" zuruft; darauf geht mau wieder auseinander und sieht sich oft erst nach Jahren wieder! Armer Jacques! ... So nannte man ihn immer ans der Schule von St. Gr. . . Natürlich sollte er seine 1000 Francs haben! Ich sah auf die Uhr: Mitternacht vorüber; jetzt war nichts mehr zu machen; aber gleich morgen früh . . . Und sogleich schrieb ich einen Brief, in dem ich Alles erklärte und mich entschuldigte, dann legte ich das Geld hinein nnd versiegelte das Schreiben .... Währenddessen kehrte mir die Erinnerung an die Flüstcrstimme zurück, die ich eben vernommen; diese Stimme klang durchaus -er Jacques' ähnlich, wenn er heftig erregt war. „Wie seltsam ist doch die Nachwirkung der Erinnerung in unserem tyehirn", sagte ich mir, „und wie habe ich nur gleichzeitig noch im Schlafe den Namen und die Stimme wicdererkennen können?" Dann legte ich mich befriedigt nnd ruhig wieder zu Bett und dachte im Dunkel des stillen Zimmers nicht mehr an die Flüstcrstimme. . . . Nein, ich dachte wirklich nicht mehr daran, bis zu dein Augenblick, da ich am übernächsten Tage eine Depesche ans Baden erhielt; man theilte mir mit, mein Geldbrief wäre von der Post znrückgcschickt worden .... Der arme Jacques! Er hatte sich am vorigen Tage nm Mitternacht erschossen! ... nnd zwar gerade in dem Augen blick, als meine Nachtlampe mit hohlem Knacken erlosch, einem hohlen Knacken, das dem eines geladenen Revolvers ähnlich klang . . ." Brignac hustete ein bischen, um seine Erregung zu be weisen, und sagte mit leisem, sehr traurigem Lachen: „Verstehst Du nun, warum mir so viel daran liegt, daß meine Junge sich eine schöne Handschrift aneignct?"
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