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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020529025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902052902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902052902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-29
- Monat1902-05
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Letzterer will in der A m n e st i e f r a g e, sowie hinsichtlich der Selbstverwaltung reinen Tisch haben und Abmachungen ohne Clauseln derart treffen, dasi die Transvaal- und Oranjeboeren zufrieden gestellt werden, so daß die Wiederholung kpiegerischer Unternehmungen vermieden wird. Deshalb verzögere man die Bekanntgabe des Standes der Friedensverhand- lungcn. Es stehe fest, daß -er Fricdensschluß weit gehende Veränderungen im Ministerium im Gefolge haben wird. * Graaffrelnet, 23. Mai. Das Commando Malan Kurde am 27. Mai von dem Major Collat, der die Cavallerie vom Jansonville-District befehligt, an der Straße von Middelburg nach Ripon in der Nähe von Somerset East in einen Kampf verwickelt. Nach einem längeren Ge fechte zogen die Boeren ab und ließen den Comman- dantcn Malan mit einer tödtlichen Verletzung am Unterleibe zurück. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. Mai. Die Wochenbetrachtungen -er,Fkrer»zztg." über die ausländische Politik finden aus. gutem Grunde vielseitige Beachtung. Es ist daher doppelt angebracht, kritisch auf zwei Punctc der letzten Wochenschau des genannten Blattes hinznweisen, die in auffälliger Art auf die Polen Bezug nehmen. Die eine der in Frage kommenden Auslastungen gilt -em Empfange der galizischen Polen beim Papste, der nach unwidersprochen gebliebenen Mel dungen zu der polnischen Abordnun gesagt hat: „UnserHerz schmerzt uns wegen ganzPolen, und wir kommen auf den Gedanken, wie Euer Volk inmitten verschiedener, sehr schwerer und kummervoller Unglücksfälle den Glauben der Väter mit unerschütterlicher Festigkeit bewahrt hat und bereit ist, eher unterzugehen, als sich zu unterwerfen! Was kann bester sein, als dieser Muh, und was kann eine bessere Zukunft bereiten?" — Daß der Papst den Aus druck „ganz Polen" gebraucht habe, daran will die .„Kreuz zeitung" erst glauben, sobald Leo XIII. hierüber eine offi- ciellc Kundgebung erlassen hat. Ein solcher Sceptieismns ist nach den bisherigen Erfahrungen keineswegs am Platze. Mit vollem Rechte hat Rechtsanwalt Woltnski am 20. d. M. anläßlich der großen polnischen Kundgebung in Posen gesagt, daß Leo XIII. die Polen trotz der politischen Grenzen als eine einige, untrennbare Nation betrachte: das beweise die Encyklika an die polnischen Bischöfe aus dem Jahre 1894. In der That ist die päpstliche Encnklika vom 18. März 1884, deren Inhalt wir aus L. K. Goetz' „Leo XIII." kennen, in dieser Beziehung beweiskräftig. Der erste Thcil der Encyklika behandelt hauptsächlich bas Verhältniß von Staat und Kirche, die religiösen Pflichten der Laien in der Lebenshaltung der Erwachsenen, wie in der Erziehung der Jugend, verbreitet sich über die Er ziehung des Clerns und kommt schließlich zur socialen Frage. Im zweiten Theile geht Leo auf die einzelnen polnischen Landcstheile ein. Den russischen Polen spendet er Lob für ihre Glaubenstreue und fordert die Bischöfe auf, einerseits die Rechte und Freiheiten der Kirche zu vertheidigen, andererseits den Clerus und die Laien zum Gehorsam gegen die staatliche Obrigkeit anzuhallen. Die österreichischen Polen ermahnt Leo gleichfalls zu loyalem Verhalten. Den deutschen Polen sagt der Papst, daß sic auf die Hochherzigkeit des Kaisers vertrauen dürften. Die vorstehende Inhaltsangabe der päpstlichen Encyklika, die als solche ohne Zweifel darthnt, saß Leo XIII. die Polen als eine einige Nation betrachtet, läßt erkennen, wie viel mehr dem Papste das loyale Verhalten der russischen und der galizischen Polen gegenüber Rußland, bczw. Oesterreich, am Herzen liegt, als das loyale Ver halten der preußischen Polen gegenüber Preußen. An An lässen, die preußischen Polen zur Loyalität zu ermahnen, hat es auch im Jahre 1894 längst nicht mehr gefehlt, und der Verzicht auf solche Ermahnung ist um so seltsamer, ;c offener die russischen und die galizischen Polen vom Papste zur Loyalität angchaltcn werden. Die Erziehung zur Loyalität berührt die zweite Auslassung der „Kreuzztg." Das conservative Hauptvrgan stellt nämlich zur Erwägung, „ob die Mißerfolge unserer Polen Politik in den letzten Jahrzehnten nicht in direktem Zusammenhänge mit -er Thatsachc stehen, daß wir den polnischen Thetl der Provinz Posen in das Reich mit hineingezogen habe n". „Eine deutsche Gesinnung", heißt cs weiter, „haben wir von polnischer Seite gewiß nicht früher zu erwarten, als bis sie sich eine preußische Staatsgesinnung zu eigen gemacht haben." — Ist aber in Wirklichkeit anzunchmen, daß die Polen in den Besitz einer preußischen Staatsgesinnung leichter und sicherer ge langt wären, wenn der polnische Theil der Provinz Posen in bas Reich nicht ausgenommen worden wäre? Die ge schichtliche Erfahrung spricht gegen diese Annahme. Es bleibe unerörtert, wie „der" polnische Theil der Provinz Posen ans -em Reiche anszusondcrn wäre. Der Gang der geschichtlichen Entwickelung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, während welcher die preußischen Polen außerhalb des Deutschen Bundes standen, hat bewiesen, baß diese Sonderstellung lediglich der Ausbil dung nationaler Losreißungstendenzen förderlichgewescnist. Der Hinweis auf die wieder holten Revolutionen in jener Zeit mag hier genügen. Als ein Mittel zur Vertiefung der nationalen Eigenart ist auch von den Polen stets eine Sonderstellung der preußischen Polen betrachtet worden. Daher haben sie durch vcn Mund ihrer Abgeordneten gegen die Einverlei bung ehemals polnischer Landesthetle in -en Norddeutsch en Bund und später in das dc u t s ch e R e i ch p r o t c st i r t. Fürst Bismarck hat am 18. März 1807 im norddeutschen Reichstage den pol nischen Protest als gegen die Einheit der preußischen Monarchie gerichtet charakterisirt, und er hat den späteren Protest in der Reichstagssitznng vom 1. April 1871 zum Anlaß genommen, den Polen zu sagen: „Die Herren ge hören zu keinem anderen Staate und zu keinem anderen Volke, als zu den Preußen. ..." — Die Nvthwendigkeit, der preußischen Monarchie ihre Einheit zu wahren, muß nach wie vor maßgebend für die preußische Polenpvlitik sein. Deshalb kann der in der „Kreuzztg." vertretene Gedanke der Schaffung einer staatsrechtlichen Sonderstellung für einen Theil Posens nicht entschieden genug zurückgewiesen werden. In Bayern hat die klerikale Mehrheit der Zweiten Kammer abermals einen Erfolg zu verzeich nen, den sie um so eifriger auszunuyen trachten wird, je weniger sie im Zweifel darüber sein kann, daß sie ihn hauptsächlich der Regierung und dem präsumtiven Thronfolger Prinz Ludwig verdankt. Sie hatte be kanntlich in das Schulbedarfsgesetz Bestimmungen gebracht, die erstens in ein solches Gesetz nicht hinein gehören und nur in einem Schulorganisationsgesetze am Platze wären, und zweitens die Herrschaft der Kirche über die Schule sichern sollten. Der Ausschuß der ReichSraths- kammcr hatten die wesentlichsten dieser Bestimmungen ge strichen, darunter auch die, die den Simultan sch ulen allmählich das Lebenslicht ausblasen sollte. Die Negierung fürchtete nun, daß die Zweite Kammer das Gesetz scheitern lassen würde, und gab sich daher alle Mühe, die Mehrheit der Reichsrathskammer zu einem Entgegenkommen gegen die Zweite Kammer zu bewegen. Außer dem Prinzen Ludwig bethciligten sich an diesen Bemühungen besonders der protestantische Ministerpräsident Graf v. Crails heim und — natürlich — der Cultusministei v. Land- mann. Der Erfolg war, daß der Reichsrath Freiherr v. Würtzbnrg den vom Ausschüsse abgelehnten Simul tanschul-Paragraphen wieder cinbrachte mit der Modi fikation, „daß Gemeinden, in denen Schüler einer Con fessio» in größerer Anzahl die Schulen einer anderen Con- fession deshalb besuchen müßen, weil ihnen der Besuch der Schule der eigenen Confessivn er heblich erschwert ist, zur Errichtung weiterer Schulen oder Schulclasscn für die konfessionelle Minderheit angchaltcn werden können, sofern eine Abhilfe mittels einer anderen Schuleintheilung unmöglich ist." Diese Fassung weicht von dem Beschlüsse der Abge ordnetenkammer nur wenig ab. Die Minister betonten zwar, daß die Bestimmung einen rein facultativcn Charak ter habe und nicht hindere, auch in Zukunft Simultan schulen zu errichten. Demgegenüber erklärte aber Reichs rath Graf Törring: Ter Absatz gehört nicht in dieses Gesetz. Nun bildet die C o n f e s s i o n s s ch u l e in Bayern die Regel. Ich bin gegen die Confessicnsschule, weil einmal die Kinder kon fessionellen Unterschieden fern gehalten werden sollen, dann auch weil konfessionelle Minderheiten dort immer vergewaltigt wer den. Nun will ich an dem bisherigen Zustande nichts ändern. Der Absatz 3 aber will die Simultan schulen gerade da verhindern, lvo solche nothwendig wären. Es handelt sich nicht um die jetzigen Simultanschulen, son dern darum, daß Simultanschulen künftig nicht mehr errichtet werden sollen. Ich bitte also, daß der Antrag abgclchnt werde. Wird daun das Gesetz abgelchnt, so trifft nicht uns der Bor wurf, sondern in erster Linie die Majoritätspartei derAbgeordnetenkammer, in zweiter Linie aber auch die Staatsregierung, die in unbegreiflicher Nachgiebig keit der Majoritätspartci nachgcgeben hat. Die Annahme des Antrages erfolgte trotzdem mit 43 gegen 15, die des ganzen Gesetzes fpäter mit allen gegen 9 Stimmen. Nun wird die Zweite Kammer gegen die Abänderung ihrer Beschlüsse durch die Reichsrathskammer nichts mehr einzuwenden haben. Allerdings hat der Ministerpräsident -en Würtzburg'schen Simultanschul- Paragraphen dahin ausgelegt: daß die Fassung die Errichtung von Simultanschulen, wie sie in der Allerhöchsten Verordnung vom Fahre 1883 gewährleistet ist, nicht unmöglich mache; daß eine Ge meinde, der statt einer mit Lehrkräften vollkommen ausgerüsteten Simultanschule eine nicht vollständig besetzte konfessionelle Schule angesonnen wird, diesem Ansinnen durch den Beschluß begegnen kann, eine Simultanschule einzurichten; schließlich, daß die Faßung an dem geltenden Rechtsstande nichts ändere. Aber da die klerikale Mehrheit der Zweiten Kammer aus -em ganzen Verhalten der Regierung bet der Be- rathung der Vorlage ersehen hat, daß sie nur zu wollen braucht, um zum Ziele zu kommen, so wird sie nicht eher ruhen, als bis der Simultanschul-Paragraph in ihrem Sinne ausgclegt und dadurch der Stmultanschule das Lebenslicht ausgeblasen wird. In dem alten Gebäude in der Londoner Pall Mall, in dessen dunkeln und engen Stuben mit den verstaubten Fenstern die Verwaltung des britischen Heeres seit über 100 Jahren ihr Heim hat, gehen große Dinge vor, wenn man den vielen Gerüchten Glauben schenken soll, die in den letzten Tagen besonders in den militärischen Clubs der Hauptstadt verbreitet wurden. Ein gründliches Reinemachen soll nämlich bevorstehen, und zwar soll unter dem hohen und höchsten Personal des Kriegsmint- steriums eine von langer Hand vorbereitete, fürchterliche Musterung gehalten werden, als deren hauptsächliches Opfer der jugendliche Beherrscher der englischen Armee, Mr. Brodrick, der Confusionsrath ersten Ranges, zu fallen berufen ist. Diese Gerüchte haben sich letzthin mit einer Hartnäckigkeit behauptet, die auf eine sehr substantielle Basis schließen läßt. Frau Fama will sogar wissen, -atz endlich mit -cm alten, unsinnigen Princip gebrochen werden soll, nach welchem das Haupt des Kricgsamtes unter allen Umstünden ein Civilist sein muß, und nur um Gottes Willen nicht etwa ein im Waffendienste erfahrener und bewährter General. Mr. Brodrick selbst soll seines undankbaren Amtes ernstlich müde sein, und außerdem sogar persönlich vorgeschlagen haben, einen Soldaten an seine Stelle zu setzen, womit er jedenfalls den Wünschen der Armee und auch wohl des größten Thciles der Nation entgegenkommt. Im Zusammenhangs hiermit stehen die allerdings wieder holt desavouirtcn Gerüchte von dem bevorstehenden N ü ck- tritte des Lord Roberts von seinem Posten als Obercommandtrendcr der Armee, und nun heißt es, -atz entweder Lord Kttchencr oder — der Herzog von Connaught, der Bruder des König-, den Lord Roberts ersetzen soll, während gleichzeitig von anderer Seite behauptet wird, baß einer der beiden genannten Herren die Leitung des Kricgsamtes übernehmen wird. Selbst, wenn der Herzog die für einen königlichen Prinzen etwas eigen- Feuilleton. 4j Gesetlschaftssünden. Bon Irmgard Sorrau. em« Recht« »orbchawn. Eben hat Eharlotte ihre Arbeit so weit fertig, wie sie sich vorgenommen hat, sie ist zufrieden mit ihrer Leistung und auSruhend läßt sie die Augen über ihr kleines Reich fliegen. „Charlotte s Zimmer macht ganz den Eindruck eines Künstlerheims" pflegen ihre Verwandten und Be kannten ihr Urthetl abzugebcn. Sie haben Recht damit. Wohin man sieht, Harmonie in Farbe und Form, cs herrscht kein ausgesprochener Stil vor, aber jeder einzelne Gegen stand hat seine eigne Geschichte. Der hat seine Hcimath in Deutschland, dieser im sonnigen Süden, einen anderen hat sie sich aus Old-England herübergebracht, der stammt auS dem Norden und jener ist bas Geschenk eines in Kairo an gesessenen Verwandten. Im Laufe der Jahre ist so ein Stück zum andern gekommen, Alterthümlichcs und Moder nes, Fremdes und Einheimisches. Das Mehren und Sam meln macht ihr sehr viel Freude, sie liebt es, immer wieder ein neues Stück, daS ihr als besonders zweckmäßig, formen ¬ schön oder originell auffällt, für ihr eigenstes Winkclchen Erde -usammenzutragen. Da, wo ich daheim und Herrin bin, will ich es so haben, wie eS mir wohlthut, ich will dort auf keinen Gegenstand stoßen, der meinen Augen un lieb scheint, meine Umgebung soll für mich nicht in todten, glcichgiltigcn Dingen bestehen, sondern auS solchen, die mit mir leben können. — An den Wänden hängen viele Bilder in einfachen Holzrahmen, meist sind eS Stiche nach Böcklin'schcn Gemälden. AlS besonder» vorherrschend er kennt man ferner ihre Vlumenltebe, in einer tiefgehenden Nische ist ein richtiger Blumengarten eingerichtet, in dem es zu jeder Jahreszeit grünt und blüht. Schlingpflanzen klettern an den Wänden hinauf, Palmen und die einfach sten und farbenprächtigsten Blumen sind künstlerisch in Ständern und Tischen vertheilt. Zwischen diesen Lieb lingen gucken hier und da aus ibren Umrahmungen die Photographien all der Menschen, die ihr besonders theuer sind, auf winzigen Eonsolen stehen die vcrschiebcnfachsten Nippsachen, größtentheilS einfache, ungeschickte Dingelchen, trotzdem werden sie nicht wcggcräumt, denn eS sind ge heiligte Erinnerungen auS der K nder- und Backfischzett, hier in dieser Ecke dürfen sie ihr bescheidenes Dasein weiter leben. Lotte muß lachen, wenn sie daran denkt, welchen Eindruck c» wohl machen würbe, wenn sie das Scheusal von einem verliebt auSschauenden Amor auf ihren Diplo- matenschreibtisch mitten hinein in die Schriften über moderne Volksbildung oder Frauenbewegung setzen würde, oder was gar die krummbeinige Dackclfamilie denken müßte, wenn sie auf das gefüllte Bücherregal gerade vor Platen pvstirt würde. Einfach undenkbar! Fast eine halbe Stunde arbeitet die Baroneß schon in ihrem Blumenreich; da ist stets zu thun, dort giebt es gelbe Blätter, ein vorwitziges Unkraut oder eine welke Blume, die sie vorsichtig abnimmt, da wieder fehlt Wasser, die Zeit wird ihr nicht lang werden, bis Alles zur Zufriedenheit bestellt ist. Zuletzt setzt sie sich im Erker wieder auf eins ihrer Lieblingsstückc, einen venctianischen Stuhl, dessen Sttzfläche in seiner Form genau den Umrissen eines Gon- delvorderthetlcs entspricht. Die Sonnenstrahlen fallen durch die zugezogcnen Purpurvitragcn wie feurige Gluth in ihr Zimmer, sie selbst und den ganzen Raum mit warmem Schein umhüllend. Charlotte nennt dies: „Ihr Träumcrltcht". Ihre Be kannten lachen darüber, daß sie sich solches Licht gestattet, weil es so wenig zu ihrer rastlos thätigen Natur paßt. Gestern erst hat sie es einem ganzen Kreis gegenüber ver theidigen müssen. „Ich liebe das Licht ja nicht nur, weil eS sich gut dabet träumen läßt, sondern vor Allem, weil es verschönt, es zeigt die Dinge wie von einer Glorie um geben. Meine Zimmer verkörpern für mich eine eigne Welt im Kleinen, warum soll ich mir darin nicht von Zeit zu Zett den Luxus erlauben, mir eine Fata Morgan« vorzn- fpiegeln? ES wäre oft gut, aber eS ist leider nicht mög lich", fügt sie mit Spott hinzu, „daß ich der großen Welt draußen auch solchen verklärenden Schleier umhängen kann, dort muß ich Alles sehen, wie eS ist, mit allen Härten nnd Ecken." „Es wird schließlich so kommen, daß aus diesen Illusio nen im Kleinen sich Illusionen im Großen entwickeln. Was dann? Man muß das Leben jederzeit klar vor sich sehen und danach sein Handeln richten." „Unbesorgt, Schwager. Kommt einst der Tag, an dem ich selbst erkenne, daß das Träumerlicht auch im eigenen, kleinen Heim fallen muß, dann wird cs fallen, und ich werde jederzeit klar, ohne Illusion und meines Zieles bewußt, sehen." Eben muß sie an das gestrige Gespräch zurückdenken. Wie sich nur die Menschen über ihr harmloses, rothcs Licht ereifert haben. Heute scheint cs wieder zu den Fenstern herein, aber sic hat wenigstens Zeit, seinem Schimmer nachzugebcn. Ihre Gedanken beschäftigen sich mit dem Grafen Montlöart und damit, daß sie ibn hcirathcn wird. Sie hat ihn in letzter Zeit immer häufiger gesehen und ein jedes Sehen hat ihn ihr näher gebracht, mit jedem Mal hat sie seine immer leidenschaftlicher werdenden Huldigungen ruhiger angenommen, bis sie jetzt nicht mehr -aS Recht hat, ihn abzuwciscn, wenn er um ihre Hand bitten wird. Sic weiß es genau, er wird bitten, schon in wenigen Tagen kommt er von einem kurzen Aufenthalt von einem seiner Schlösser in Tirol zurück. Gestern ist ein Brief von ihm an ihre Eltern gekommen, und hente ist schon die Erlaubniß unterwegs, daß er am Donners tag Nachmittag zu einem Familiendiner kommen dürfe. Vor diesem Diner wird die Verlobung perfect gemacht und während des Diners wird sie veröffentlicht. Das ist Alles so klar und so wohl überlegt. Lotte überdenkt ihre nächste Zukunft und das ganze Leben, das sie an des Grafen Seite führen wird. Und auch dieses Leben liegt klar und ohne jedes äußere Hindernis; ihr vor gezeichnet, aber auch ohne jede Erwartung eines be rauschenden, kommenden Glückes. Das und Jenes wird genau so werden und das Andere so, das wird ihr an ihrem Manne gefallen, in Das und Jenes wird sic sich fügen müssen. Sie ist auf Alles vorbereitet, sie bringt keine unnützen Illusionen in ihre Ehe mit — eigentlich ist cs aber doch traurig, sie hat früher nicht gedacht, ein solcher Schritt könne ihr so erschreckend einfach und nüchtern sein. Wenn sic an Graf Montlöart denkt, zu nächst nur an sein Acußcrcs, wie verschieben ist cs von dem, was sic sich als junges Ding immer als ihr Ideal gedacht hat! Jlir hat da stets eine blonde, urdeutschc Er scheinung vorgcschwebt, etwas Hohes und Lichtes, etwas, waS wie ein Frühling in ihr Leben treten würde, um ein ganz neues, glückseliges inneres Erwachen hervorzurufcn. Nichts von alledem, kein Erwachen und kein Frühlings schein. Graf Montleart ist ein kleiner Mann, schlank und elegant, gewandt in seinen Bewegungen, ganz und gar das Ebenbild seiner dunklen, südländischen Mutter, einer italienischen Comtessa. Sein Wesen ist bewegt und un ruhig, er ist leidenschaftlich, heftig bis zum Jähzorn, aber sonst rührender Zartheit nnd Aufopferung fähig. Er hat viel von der Welt gesehen und weiß interessante Schilde rungen davon zu machen. Er ist eifriger SportSmann und leidenschaftlicher Jäger. Ohne eine der schönen Künste völlig zu beherrschen, weil es ihm an Ausdauer deS Lernens mangelt, hat er in jeder eine gewiße Fertig keit erreicht. In der Welt erzählt man sich, er habe da bei auch ein ganz besonderes Interesse für ausübende Künstlerinnen, nnd die Welt mag darin gar nicht Un recht haben. — Von „gelehrtem WiffenSkram" hält er gar nicht viel, man müsse halt das wissen, was fürs Gesell- schaftsleben nöthig ist, im klebrigen thut es Weitblick und Wcltgewandthcit. „Leben nnd leben lasten" ist seine Devise. Unter Menschen geht er sehr gern, besonders dann, wenn er eine Rolle spielen kann, was Dank seines Namens und seines Vermögen» auch meist der Fall ist. Für Charlotte Altenburg begeisterte er sich schon seit vollen zwei Jahren, auch daß sie sich anfangs sehr kühl, ablehnend gegen ihn verhalten hat, konnte ihn nicht ab schrecken, im Gegentheil, er ist erst recht gefesselt und will sie nun erst recht zu seiner Frau machen. Noch für Keine hat er solch eine tiefe, verzehrende Leidenschaft em pfunden, wie für sic. Er hätte sic am liebsten zwingen mögen, sein Weib zu werden, und weil er das nicht kann, versucht er in den zwei Jahren, ihr ganz langsam und allmählich näher zu kommen. Schritt für Schritt geht er seinem Ziel nach, und jetzt hat erS triumphirend erreicht. Er dünkt sich der glückseligste Mann unter der Sonne. Er kennt die Baronesse sehr genau und weiß, daß die halbe Zustimmung, die sic ihm gegeben hat, für sic genau so viel bedeutet, wie ein vor der Ocffcntlichkcit zu- gestandcncS bindendes Versprechen. Sic ist viel zu ge wissenhaft, nm wieder znrückzutreten — und er ist nicht der Mann, eS sich gefallen zu lasten. „Donnerstag kommt also Montlvart zurück", sagt das junge Mädchen, „Donnerstag, das ist übermorgen!" Sie ist ganz ruhig dabei, mährend sic cs sagt, denn sie stellt vor einer unabänderlichen Thatsachc, und da hätte es gar keinen Zweck, sich dagegen aufzulehnen, und außerdem, sie hat'S ja selbst so gewollt. Es ist so lange her, daß sie ihren Jugendtraum vergessen mußte, fast süns Jahre ist nicht der leiseste Hall mes seiner Welt herüber in die ihre gedrungen. Sie hat niemals mehr nach dem Manu ihrer Neigung gefragt, sic weiß nicht, wo er lebt und ob er noch lebt. Nur ganz im Anfang noch war hin und wieder sein Name genannt worden, aber sie halte gethan, als ob sie ihn nicht kennte, er war vor den Andern für sie ein todtcs Wort, ein fremder Name mehr in dem großen Wcltenbnch gewesen. Warum sie auch innerlich den Mann noch nicht vergessen hatte? — Weil einstens alle Ge danken ihres jugendlichen, unberührten Herzens ihm ge hört haben, weil sie um ihn gekämpft und schwer gelitten hat und weil der unharmonische, ungeklärte Abschluß ihres kurzen Glückstraumes noch heute nach Jahren als ein schwerer Druck auf ihr lastet. Mitten in ihr Denken hinein fällt der schrille Ton der Entreeklingel und läßt sie auffahrcn. „Wahrhaftig, gleich sieben Uhr, wie die Zeit vergangen ist. Es sängt schon an, dunkel zu werden." Sie geht und zündet ihre Lampen an, die haben sämmtlich große rothe Schirme nm, bts ans die eine, die auf dem Schreibtisch ihren Platz hat, bork kann sic kein unklares Licht gebrauchen. Während sic mit Anzünden beschäftigt ist, unterhält sic sich mit dem Diener, der in ihrem großelterlichen Hause «IS Stiefel- putzjungc seine Laufbahn begonnen hat und jetzt schon seit einer langen Reihe von Jahren bet ihren Eltern daS Amt des Dieners und dem Dienstpersonal« gegenüber dis Amt des Tyrannen und nnumschränkten Herrscher» anS- füllt. Mit dem Glockenschlag sieben ist er in» Zimmer ein-
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