Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.06.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-06-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190206083
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19020608
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19020608
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-06
- Tag1902-06-08
- Monat1902-06
- Jahr1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.06.1902
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-.Preis. tn der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus sr 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich 6, jür die übrigen Länder laut Zeitung-preiSliste. -, Ne-action und Erpeditio»; Zjvhannlsgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Filtatevpedttio«»« r Alfred Hahn, Buchhandlg., UniversrtLt-str.S, L. Lösche, Äatharinenstr. 14, u. Königspl. 7. - Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. > <»-» Haupt-Filiale Serlin: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 33Ü3. MpMer. TaMalt Anzeiger. Imtsötatl des KömgNchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Vokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen. Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich s4 gespalten) 75 L,, vor den Familirnnach- richten («gespalten) 50 L,. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 28 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbesSrderung ./L 60.—, mit PostbesSrderung 70.—. Äunahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an tue Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 286. Sonntag den 8. Juni 1902. 96. Jahrgang. Das Befinden König Mert's. * Sibyllenort, 7. Juni, 7 Uhr Abends. Se. Majestät der König hat heute den Tag über gut geschlafen, doch ward die Ruhe durch Athemnoth öfter« unterbrochen. Eine Besserung in dem Befinden deS hohen Kranken ist nach keiner Richtung hin eingetreten. Dr. Fiedler vr. Selle, vr. Hoffmann. * Dresden, 7. Juni. Am Donnerstag Abend hatte Se. Majestät etwa eine Stunde auf der Veranda liegend zugebracht. Als der König nach 8 Uhr sich zur Ruhe begeben wollte und sich bereits im Schlaf zimmer befand, trat plötzlich ein Anfall von Herz schwäche und Athemnoth ein, der zu den größten Besorgnissen Anlaß gab. Eia ähnlicher schwächerer Anfall, vermuthlich durch eine Blutung veranlaßt, war bereits am Montag vorauSgegangen. Ihre Majestät die Königin, welche sich im Zimmer befand, ließ auf Wunsch Sr. Majestät den Geistlichen herbeirufen. Mit Andacht empfing der König die heiligen Sterbesacramente, ihm selbst zur großen Be ruhigung, Bald darauf trat bei Sr. Majestät eine Erholung ein, so daßerselbstanordnete,dieUmgebungen,dieinzwischenda«Zimmer angesüllt hatten, möchten sich zur Ruhe begeben. Dem schweren Anfalle folgte tiefer Schlaf. Die besorgnißerregendeu Er scheinungen von Seiten de« Herzen- kehrten nicht wieder. Am Freitag verbrachte der König mehrere Stunden schlafend; trotz des vorhandenen Schwächegrfühle« ist der Appetit reg«, die Stimme kräftig. Der König verlangte wiederholt nach Zeitungen und nahm an Berichten aus der Residenz lebhaften Antheil. Der Tag verlief ohne wesentliche Störungen. Die Nachtruhe wurde durch asthmatische Beschwerden unterbrochen. Heute Vormittag empfing der König den Prinzen Georg, welcher längere Zeit am Krankenbette verweilte. Die Königin verläßt daS Krankenzimmer nur auf kurz« Augenblick« und während der heiligen Messe in der anstoßenden Capelle. Der König liegt in dem geräumigen rothseidenen Wohnzimmer, nach der Gartenseite hin. In dem Nebengemache hält sich jederzeit einer der königlichen Aerzte, sowie daS Kammer personal auf. Die Theilnahme an der schwere» Erkrankung des Königs ist allgemein. Das Telegraphenpersonal im Schlosse Sibyllenort mußte verstärkt werden, um die zahl reich ein- und ausgehenden Telegramme zu bewältigen. Zur Ergänzung der vorstehenden amtlichen Meldung mögen die folgenden Abschnitte auS einem Stimmung-- bilde dienen, daS der „Schles. Ztg." auS Sibyllenort zugmg. Im Schlosse zu Sibyllenort gehtS still her, sehr still. Die inneren Theile des schönen, in herrlichster Frühsommer pracht prangenden, duftenden Parks sind abgesperrt. Nur Gartenarbeiter sieht man bei der Arbeit und auf kurze Minuten ergehen sich, meist mit der brennenden Cigarre im Munde, schweigsam einzelne gerade ein wenig abkömmliche Herren deS Gefolges Seiner Majestät. Sein Schmerzenslager ist in einem ebenerdigen Gemache an der entgegengesetzten, nördlichen Seite deS Schlosse« auf geschlagen, unmittelbar westlich neben der dort dem Mittel bau vorgelagerten kleinen Terrasse, wo er gestern Abend noch ein Stündchen im Lehnstuhle liegend verweilen durfte. Dort foltern ihn die Schmerzen, die besonder« in de» spä teren Abendstunden ihren Höhepunkt erreichen, so zwar, daß zum Beispiel gestern Abend gegen 10 Uhr der Hofcaplan Plewka, ein würdiger älterer Herr und seit langen Jahren Beichtiger der Allerhöchsten Herrschaften von Sachsen, eS sich nicht nehmen ließ, in alleruächster Nähe seines königl. Herrn zu verweilen. Wer aber unausgesetzt und unermüdet Tag und Nacht an König Albert'S Kranken bette weilt, mit liebender Hingabe pflegend und lindernd, da« ist seine Hobe Gemahlin, Königin Carola. Auch eines Königs Leben rubt in Gotte- Hand, und die Möglichkeit ist immer noch gegeben, daß der hohe Kranke sich wieder erholt. Freilich, zu einer auch nur einigermaßen vollständigen Wiederherstellung wird e« selbst im günstigsten Falle, bei den diesmal so überau« schweren Angriffen der Krankheit, voraussichtlich vieler, vieler Wochen bedürfen. Der Nachmittag bringt neue, theilnehmend« Gäste auf« Schloß, weitere Glieder des sächsischen Königshauses, dessen Angehörige sich mehr und mehr vollzählig am Krankenlager König Albert'« Stelldichein geben. Sorgenvoll sucht ihr Blick bei der Anfahrt die Zinnen d«S Schlosse-: ob noch von der Spitze des FlagaeustockeS auf dem Hauptthurme das königliche Banner von Sachsen weht. Groß ist die Zahl der besetzten Räume, besetzt nicht allein von den Mitgliedern deS königlichen Lause«. Luch der Dienst Seiner Majestät unv de« Königreichs Sachsen ist großentheils besetzt. Der Vortragende Rath ine Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, Geheimer LegationSrath Frhr. vock Salza und Llchteuau, lauste im Lause des Nachmittags an. Auf dem Bahnhofe treffe.»ch mit Sr. Majestät Hofcaplan, Herrn Plewka, zusammen, der «inen von Dresden herüber gekommenen und nun »ach Dresden wieder zurückreisenden Coufrater zur Bahn geleitet hat. Daß dieser sich zur Heimreise entschlossen hat, ist mir «»Trost und «iue Beruhigung. Wäre Schlimme« nah« zu befürchte», er würde gewiß in Sibyllenort bleiben. So nehme »ch sein Gehen als gute« Zeichen und hoffe mit allen Denen, die hier nah und fern um deS König« theure« Leben bangen, daß doch noch einmal volle« Genesen ihm zu Theil werde, daß e« ihm, seinem und seiner hohen Gemahlin lebhafte», Wunsche entsprechend, vergönnt sein möge, am 18. Juni nächsten Jahre« das goldene Ehejubiläum zu begehen. . " ! / - — LreStzrn, 7. Juni. Di« Bulletin« und die Listen zum Einschreiben liegen im königlich«» Hofzahlamt im großen Schloßhof au« und »war täglich von Bormittag« 10 Uhr bi- Abend« 7 Uhr. — Kaiser Wilhelm hat die preußische Gesandtschaft in Dresden zur fortgesetzten Meldung über da« Befinde» de« König« telegraphisch aufgefordert Aus der Woche. Wüßte da« sächsische Volk noch nicht, wa« es an seinem König Albert besitzt, die Presse aller anderen deutschen Staaten würde e« ihm sagen. 'Nicht durch lange Erörterungen, sondern durch jen« kurzen, abgebrochenen Sätze, in denen tiefe Herzen-sorge nach Ausdruck rmgt und unbewußt den ganzen Werth dessen zusammenfaßt, der Gegenstand der Sorge ist. Da« ganze Reich blickt bangend nach dem Krankenlager in Sibyllenort, eiomüthia in dem Bewußtsein, daß seit den Tagen, in denen besorg» ißerregende Meldungen über da« Befinden Kaiser Wilhelnv« I. und seine« großen Kanzler« vo» Mund zu Munde gingen, da« Drohen keine« so großen Verluste« empfunden worden ist, wie beute. Wenn Menschenbitte e« vermag, solchen Verlust abzuwenden, so bleibt er dem Sachsenvolke und der deutschen Nation erspart; den» welcher Mund könnte von der Bitte, um die Erhaltung diese« segensreichen und kost baren Lebe»« sich «»«schließe»? Außer dieser Sorge beherrscht der Frieden« schluß in Südafrika da« allgemeine Interesse nach wie vor. Auch in Deutschland. Die Gemüther bewegt unausgesetzt der politische Untergang de« wackere» Volke- und nicht minder da- bedaueruSwertbe Schicksal de- greisen Paul Krüger, über dr» die Politik, mitgeleitet von seinen StammeSgenossen, hinwegaeganaeu ist wie über «in Nicht«. Die Aufmerksamkeit der Realpolitiker wendet sich lebhaft den Handel-au-stcktev zu, die au- der formellen Pacification der Heiden bisherigen Freistaaten wie auch de« Caplaade« sich ergeben könnten. Man räth in dieser Richtung den deutschen Geschäfts leuten zu Kaltblütigkeit und Vorsicht, und gewiß mit Recht, denn wenn auch alle» Anzeichen nach die thatsLchliche Unterwerfung ayer Afrikander eine auSgemachle Sache zu sein scheint, so er fordert die unaeheuere Verwüstung der weiten Landstriche zunächst und wohl auf längere Zeit hinaus Anschaffungen, an denen betbeiligd-zu werde» der deutsch« Gewerbefleitz kaum hoffen darf. Haven die Engländer doch derartig« Zustände entstehen lassen, daß nach der Ansicht ihrer Machthaber noch nicht einmal rasch auf die Befreiung der Frauen und der Kinder au« der Qual der Con- centratiou-lager grrechaet werde» darf. ES fehlt offenbar im weiteste» Umfange am Nötbigsten, nicht nur an Unter- kuuftSgelegenheit, sonder» auch an Material, sie zu bieten, — in diesem fast ausschließlich Viehzucht treibende Lande anVieh! — Für deutsche Absatzkreise dürfte vorerst wenig Spielraum geboten sein und die deutschen Börsen haben auch die ver allgemeinernde» englischen Illusionen, die Verbreitung deS Glauben« an eine wirthschaftlich« Wunderwirkung der bloße» Thatsache der Einstellung der Feindseligkeiten, nur schwach auf sich wirke» lassen. E- ist nicht unbekannt geblieben, daß schon nach dem Tode der Königin Victoria, insbesondere aber bei Bekanotwerden der FriedenSaoreguug de« holländischen Ministerpräsidenten vr. Kuyper, deutsche Erzeugnisse, namentlich auch Luxusartikel, wie die Beeren sie vor dem Kriege gern erworben haben, nach Durban, zum Theil auch nach Lorenzo-Marque- gingen, überwiegend aller ding- durch Vermittlung englischer Firmen. Mit dieser Speculation wird wohl schon ei» recht erheblicher Verlust verbunden sein, und was nun über die wirthschaftlich« Lage in Transvaal und am Oranje bekannt wird, scheint eine rasche Nachahmung au« Anlaß de« Fried«n«schlusse- mit noch größerer Schädigung zu bedrohen. Auf der anderen Seite wird wohl die Au-beute der Goldmine» wird bald flott von Statten gehen. Man darf wohl hoffen, daß die deutschen Consul» und di« Handelskammern, die dem Verkehr mit Südafrika nabrstehr«, eS de» beimischen Producenten und Kaufleuten nicht an der »öthigen Einzelbelehruug über di« Aussichten de« Absätze« fehlen lassen werden. Bor Einem wird sich der Export wohl nicht zu fürchte« haben, nämlich vor einem „drmnächstigen Boerenkriege", den einzeln« deutsch« Federn, darunter die «ine« Osficier«, der sogar seinen Namen nennt, al« gänzlich unabwendbar hinstellrn. Selbst wenn der Rachegedanke unter den Unter- worfrnen w«it verbreitet sein sollte: dj« Briten werden dafür sorgen, daß da« von Laus« au« wenig zahlreich« und nun so sehr zusammrngeschM0lz«ne Borrenvolk bald eine Minderheit unter der weißen Bevölkerung Transvaal« und de« Oranje- gebiete- bilden wird. Ob die mit Sicherheit zu erwartenden australischen Utld amrrikanischen Abenteurer nicht manche harte Nuß zu knacken geben werden, ist eine ander« Frage. Hat man doch sogar die freilich nicht s«hr glaubliche Behauptung aufgestellt, der Zweck de« vo» Cecil Rhode- arrangirten Jamesou-Einfall« fei nicht sosehr di« politisch«Unterdrückung der Doerr», al« d»e Unschädlichmachung de« Amerikauerthums geweseu. Mit dies«« Element, weu» e« wieder bedrohlich werden sollte, werdrn sich aber di« Boer«» kaum einlassen. Graf Bülow hat für seine Nichterklärttug im preußischen Abaeordnetenhause an Ort und Stelle vielen Beifall bei der Minderheit geeradet und er wird ihm auch in der Presse nicht voreathalteu. Soweit uatioaalliberale Abgeordnete ihm zustimmte» und oatioaallib«rali Zrituuge» an seine Seite treten, ist die Erscheinung erklärlich «ad für die Regierung volitisch w«rthv»ll. Aber di« Hrilruf« drr Linke» und be sonder« da« mit komischer G«walt hervorgebrachte Brav» des tzrrr» Richter werden de» Kanzler und die Bundesregierungen schwerlich befriedig vor Allem dem Grafe» BÜlow liest doch Vorlage so viel wie an d«r Zurückweifl._„ liche« Gesetzentwurf hinausgehendea agrarischen Forderungen. Hiustchtlich der Regierungs-Vorlag« versagt ' ' " ' noch gewisser als selbst die äußerst« Rechte. ..anzier und »erlich befriedigen. Jhuea und " an ihrer Zoll- u»g der über diese» amt- I aber di« Linke .... . .... Die erstere hat also nur eine recht platonisch« Liebe bekundet. Und um gekehrt — es ist da« ein merkwürdiges ze tliche« Zusammen treffen — hat die Rechte beim Poleugesetze, be» dem der Freifin» gleichfalls Uuterstützugg verweigert«, hinter der Negierung gestanden. Diese kann also nicht daran denken, sich der überdies in der Minderheit befindlichen Linken in die Arme zu werfen. Da- mag Wohl auch der Hauptgrund ge wesen sein, au- dem von conservativer Seite der Versuch unternommen wurde, den Grafen Bülow zur völligen Unter werfung unter ihren Willen zu zwingen. So ungeschickt aber dieser Versuch auch unternommen wurde: den Linken wird er jedenfalls nicht znm Vortheile gereichen. WaS kann dieser „arme Teufel" geben? Lin Rückblick auf die sachfische Steuerreform, il. So lagen die Dinge, als im November 1901 der Land tag wieder zusammentrat. Wie entsprach nun das von der Negierung dem Landtage vorgeleZte Decret, die Weiter- fübruuz der Reform der directen Steuern betr., dem von der Zweiten Kammer ausgestellten Programm? In einer den vorgelegten Gesetzentwürfen beigrfügten Denk schrift begründete die Regierung zunächst durch ein Zahlen werk di« Nothwendigkeit dauernder Vermehrung der Staats einnahmen. Bei der Prüfung der „zur Sanirung ein- zuschlagenden Wege", wie sich die Denkschrift nickt gerade glücklich auSdrückte, erklärte die Regierung merkwürdiger Weise, daß e« der Regierung vom rein finanzwirthschaftlichen Standpunkte au« aleichgiltig sein könne, ob der jeweilige Fehlbetrag durch Zuschläge zur Einkommensteuer oder durch eine organische Steuerreform gedeckt werde, ,,verhehlte sich aber doch nicht, daß der Gedanke einer organischen Steuer reform in weiten Kreisen schon zu tiefe Wurzeln gefaßt habe, als daß er nicht wiederum in ernsteste Erwägung zu ziehen wäre." Also auch jetzt wieder, wie schon mehrfach in der sächsische» Steuerreform, wollte die Regierung sich schieben lassen. Gleichwohl erklärte sie, dem Antrag Mehnert-Georgi nur in Bezug auf die Abänderung deS Einkommeusteuer- tarifs, nicht aber iu Bezug aus die Einführung einer Steuer auf daS bewegliche Vermögen beitreten zu können. In der ersteren Richtung legte sie einen neuen Taris vor, welcher neben einer gleichmäßigen Fortführung der Progression — also unter Beiseitlgung der sog. Horizontale, auf die die Regierung früher so entscheidende« Gewicht gelegt hatte — mit 5 Proc. bei einem Einkommen von 100 000 endete. Diese Scala brachte also ein« dauernde Eröhung der Einkommensteuer um 25 Proc., ihr Mehrcrgeboiß wurde auf 9 Millionen Mark geschätzt. , , . Gegen die Steuer auf da« bewegliche Vermögen allein wurden folgende Gründe angeführt: Der Begriff de- unbeweglichen Vermögen- sei durch die Grundsteuergesetzgebung nicht festgelegt, eS gebe werthvolle Bestandtheile de» Grundbesitze«, welche nicht durch die Grund steuer betroffen würden, wie z. B. vor Allem Stein- und Braunkohlen. Weiter sei eS oft schwer zu entscheiden, ob eine beweg liche Sache durch Verbindung mit einem Grundstücke ein Bestandtheil deS letzteren geworden sei oder nicht; dies werde namentlich bei gewerblichen Anlagen hervortreten. „Geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten" müßte die richtige Veranlagung einer auf das bewegliche Vermögen be schränkten Vermögenssteuer bei denjenigen Gewerbtreibenden begegnen, bei Venen sich die Zusammensetzung des BetriebS- capitalS aus beweglichen und unbeweglichen Bestaydtheilrn fortgesetzt ändere, z. B. bei Grundstücksspeculanten, Bau unternehmern. „Ein kaum lösbare- Problem" biete ferner bei einer auf da« bewegliche Vermögen beschränkten Vermögenssteuer die Frage de« Schuldenabzugs. E« sind die« genau dieselben Gründe, die bereit- in der Verhandlung über den Antrag Mehnert-Georgi vom Geh. Rath vr. Diller entwickelt worden waren, die aber weder die Regierung abhielten, eine Erwägung der Vorschläge zu zusagen, fall- sie durch ständischen Antrag an sie gelangten, noch die Zweite Kammer behinderten, den gestellten Antrag nahezu einstimmig anzunehmen. Dagegen stimmten nur die Abgeordnete» Leupold, Liebau, Matthes, Rüder, Ahnert, Engelmann. Der Vorschlag der Regierung ging nun auf Einführung einer allgemeinen Vermögenssteuer, beschränkt auf physische Personen al« Steuersubjecte und verquickt mit einer fakulta tiven Grundsteuer durch den vielfach besprochenen H l9 deS Entwurf«. Durch diesen sollte bestimmt werden: Grundstücke (Liegenschaften und Gebäude), welche dem Betriebe der Land- oder Forstwirthschaft oder etwaigen Nebenbetrieben diene», sowie da- der Bewirthschaftung derselbe» dienende, dem Grundeigeothümer gehörige Anlage- und BetriebScapital werden auf Antrag des Eigeuthümer« auS dem nach dem gemeinen Werthe rin- zuschätzeuden Vermöge» desselben au-geschieden und mit S Pfennigen von jeder zur Zeit der Einschätzung auf den Grundstücken haftenden Grundsteuereinheit zur Ver mögenssteuer veranlagt. Diese Vorschrift sollte aber keine Anwendung finden auf solche Grundstücke, für welche bereit« «in Bebauung-plan festgestellt oder bei der zur Feststellung zuständigen Behörde eingereicht ist, und für unterirdische Ablagerungen vo» Steia-, Braunkohlen oder Kaoli». Vielleicht war für manchen Abgeordneten der Zweiten Kammer dieser Vorschlag bestimmend, dem Gesammtplane der Regierung beizustimmen, während von anderer Seite eine scharfe Kritik daran geübt wurde- jeden- fall« wurde unter Beachtung der von der Regierung gegen die Durchführung de- in der vorigen Session von der Zweiten Kammer aufgestellten Programm- aufgestellten Be denken diese« fallen gelassen, gleichzeitig aber der Vorschlag einer fakultativen Gruudsteuer dahin erweitert, daß der An- trag auf Besteuerung nach 3 Grundsteuer al- gestellt gelten sollte, wen» nicht vor der ersten Veranl<mung das Gegeotheil erklärt worden war, und daß jeder Nacheigen- thümer den Antrag sollte «achholen oder rrneuern können. Al« uu» di« Vorlage so an die Erste Kammer kam, hatte dies« sich zu «»tscheidrn, einmal ob sie in Uebereinstimmung mit dem früheren Beschluß der Zweiten Kammer die Auf rechterhaltung der Grundsteuer neben der Einführung einer Vermögenssteuer von dem nicht durch die Grund steuer betroffenen Vermögen für wünschen-werth hielt, sodann ob sie die von der Regierung hiergegen geltend gemachten Bedenken als durchschlagend ansah, und endlich ob sie den von der Regierung durch tz 19 dem ländlichen Grundbesitz angebotene Steuererleichterung dafür an nehmen wollte. Bekanntlich hat sich die zweite Deputation der Ersten Kammer in eine Mehrheit und eine Minderheit gespalten,'; die erstere empfahl mit einigen Aenderungen und Zusätzen den Beitritt zu den Beschlüssen der Zweiten Kammer, während die Minderheit die Ablehnung vorschlug. Die Mehrheit der Kammer hat sich mit 34 gegen 8 Stimmen der Minderheit der Deputation angeschlossen, und da derUnterzeichnete der Mehrheit der Kammer angehört, für dieselbe gesprochen und gestimmt hat, so möge ihm vergönnt sein, die Gründe, die ibn bestimmt haben und die auch für die Mehrheit bestimmend gewesen sein dürften, in Kurzem darzulegen: Auf zwei wesentliche Bedenken gegen die gänzliche Er setzung der Grundsteuer durch eine allgemeine Vermögens steuer war ja bereits in den Ausführungen zu dem Antrag Mehnert-Georgi hingewiesen worden; sie bestanden einmal in der Schwierigkeit, für die Abschätzung der Grundstücke einen zutreffenden Maßstab zu finden. In einem industriellen Lande wie Sachsen, ist der Verkauf-Werth der Grundstücke meist ein hoher, der mit dem Ertragswerth zumal bei der gegenwärtigen Lage der Landwirthschaft in einem auffälligen Mlßverhältniß steht. Es erscheint deshalb gerade der gegen wärtige Zeitpunkt als ein äußerst ungünstiger, in die alt- -gewohnten Verhältnisse der Grundsteuer hiueinzugreifen uad entweder durch Annahme hoher, den Marktverhältniffen ent sprechender Verkaufswerthe jenes Mißverhältniß zum ErtragS- werih noch zu steigern, oder durch Annahme deS letzteren häufig zu ganz minimalen Wertheu zu gelangen. Die Ver suche, durch gesetzliche Definition des »gemeinen WertheS", oder durch Instruction oder durch eine procentual ge ringere Heranziehung des Grundbesitzwerthes über diese Schwierigkeit hinweg zu kommen, haben bis jetzt doch nirgends zum Ziele geführt; daS haben die Erfahrungen in Preußen bestätigt. Und namentlich in der Schweiz, dem eigentlichen Heimathlande der allgemeinen Vermögenssteuer, hat man sich von diesem Mangel der letzteren immer mehr überzeugt. Es ist deshalb auch die Theorie nicht mehr so einstimmig für diese Steuerform. Namentlich aber ist dabei zu beachten, daß in Sachsen die Hauptsteuer ja die Einkommensteuer ist und bleiben soll; alle Bedenken aber, die gegen Ertragssteuern vom theoretischen Standpuncle auS geltend zu machen sind, schwächen sich ab, sobald dieselben nur noch ein geringes Präcipuum als Ergänzung zur Einkommensteuer darstellen, und aufhören, Hauptsteuer zu sein. Auch Schriftsteller, die sonst principiell gegen Ertragssteuern sind, halten sie deshalb als Ergänzung der Einkommensteuer doch für wohl geeignet. Ein weiteres hauptsächliches Bedenken, daS in den Aus führungen zu dem Anträge Mehnert-Georgi gegen die Be seitigung der Grundsteuer geltend gemacht wurde, lag in der großen Lastenverschiebung, welche bei dem Grundbesitz durch den Abzug der Schulden eintreten muß. Es wurde daran erinnert, daß die Berücksichtigung der Schulden durchaus nicht als eine Maßnahme zu Gunsten der wirthschaftlich schwächeren Grundbesitzer angesehen werden könne, indem die Hypothekenstatistik zeige, daß die zunehmende Realverschuldung durchaus nicht als ein Symptom abnehmenden Wohlstände- anzusehen sei, sondern daß vielmehr der erweiterte Grund- credit der intensiveren Wirthschaft auf dem Fuße folge. Diese Lastenverschiebung vorzunehmen, erschien aber gewiß in dem Augenblicke um so bedenklicher, wo eS sich darum handelte, dem Staate in seiner finanziellen schwierigen Lage zu helfen. Zu diesen Hauptgründen kamen aber noch verschiedene andere. Wenn man sich auf das Vorgehen Preußens und anderer deutscher Staaten, die dessen Beispiel gefolgt seien, berief, so ist unter den letzteren eigentlich nur Hessen an- »uführen, aber gerade der Ersatz, den man dort für den Ausfall an der Grundsteuer eingefübrt hat, eine Lotterie, Verpachtung der Eisenbahnen, Hundesteuer rc., ließen für Sachsen diesen Weg als ungangbar erscheinen. Braunschweig, auf daS man sich besonders berief, hat neben der Vermögens steuer 25 Proc. der alten Grundsteuer beibehalten, und diese liefert noch mehr als die Ergänzungssteuer. Eine gleiche Häufung von Grund- und Eraanzungssteuer bei unS vorzu nehmen, war ja, wie früher bereits bemerkt, ausgeschlossen. Dagegen haben eine ganze Reihe deutscher Staaten, die sich infolge der steigenden finanziellen Bedürsnisse geuöthigt ge sehen haben, ihre Steuern zu reformiren, eö positiv abgelehnt, dem Beispiele Preußens zu folgen, so Bayern, Württemberg, Elsaß-Lothringen, Anhalt, Altenburg; auch in Badeü geht man sehr vorsichtig vor und wird wohl keinesfalls dazu ge langen, daS Beispiel Preußens rein nachzuahmen. In Preußen aber liegen die Verhältnisse insofern wesentlich anders als in Sachsen, als man dort einerseits in den Eisenbahnen und dem sonstigen werbenden StaatSvermögen, Bergwerken, Domänen rc. viel größere Ueberschüsse hat, andererseits eine Menge von Functionen, die bei unS der Staat auSübt, dort auf Provinzen und Kreise u. s. w. über tragen sind und dort durch Grundsteuern mit gedeckt werden. Weiter kam dazu, daß der finanzielle Erfolg der von der Regierung vorgeschlagenen Reform '«iu recht geringfügiger und zweifelhafter war. Die Regierung berechnete den Mehr ertrag der Vermögenssteuer gegenüber der Grundsteuer auf nicht ganz 4 Millionen, dabei war sie aber nur mit 2 angesetzt und ginge» noch 400,000 Schulvotationen für die kleineren Gemeinden ab. Die rechnerischen Grundlagen dieser Schätzung waren aber sehr allgemeine, und es war sehr leicht möglich, daß da- Ergebniß ein noch viel un günstigere- war. War e« gerechtfertigt, angesichts der schwierigen Finanzlage rin solche« Wagniß zu unternehmen? Jedenfalls war soviel klar, vaß ein Theil der vom beweg lichen Vermöge» aufgebrachten neuen Steuer doch verwendet werden sollte und mußte, um den beim unbeweglichen Ver wogen entstehende» Steuerau-fall zu decken. Mau mag von
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite