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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020729027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-29
- Monat1902-07
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Reklamen unter dem Redaction-strich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richtrn (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—» Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Erpeditiou zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 381. Dienstag den 29. Juli 1902. W. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. Juli. Das Central-Comits der deutschen Ver eine vom Rothen Kreuz hat über die Thätigkeit des deutschen Rothen Kreuzes während der Expe dition nach Ostasien einen ausführlichen Bericht er stattet. Bon allgemeinem Interesse sind darin besonders die Angaben über die Erfolge, die dem Rothen Kreuz anläßlich der vstasiatischen Expedition erwachsen sind. Durch die Wucht der Krankenziffcrn oder durch die Be deutung wissenschaftlicher Entdeckungen zeichnen sich diese Erfolge nicht aus. Wie bei der fechtenden Truppe Bielen es nicht vergönnt war, die ruhmvollen Waffenthaten zu verrichten, von denen sie bei ihrer Ausreise wohl geträumt haben mochten, so haben auch die eigenartigen Verhält nisse in dem China-Feldzuge den Heilstätten des Rothen Kreuzes nur eine beschränkte Wirksamkeit zngcmicsen. Aber das Wie der Leistungen im Allgemeinen und im Besonderen läßt die Segnungen der verschiedenen Expe ditionen unzweifelhaft erscheinen und berechtigt zu dem Schluffe, daß die Abordnungen nach ihrer personellen und materiellen Zusammensetzung wohl im Stande gewesen wären, gegebenen Falls bedeutend größere Aufgaben gleich gut zu bewältigen. Die Verletzungen, welche zur Beob achtung kamen, entbehrten nach ihrer Entstehung und Gestaltung zum großen Theile des Reizes der Neuheit; die vielen Ruhr- und Typhuserkrankungen, welche den Abordnungen zum Transport und zur Behandlung übergeben wurden, unterschieden sich wenig von den jenigen Formen, welche die Aerzte auch im eigenen Lande tagtäglich zu sehen bekommen. Aber die Leistungen der Letzteren müssen gerade um so höher eingeschätzt werden, je mehr die Eintönigkeit ihrer Aufgaben die Aerzte er müdet und je größere Anforderungen infolge dessen an ihre Gewissenhaftigkeit nnd Ausdauer gestellt werden. Nur wenige von den im Ganzen hinausgesandten 81 Frei willigen haben den Anforderungen nicht entsprochen, welche man billigerweise an sie stellen konnte. Das Ccntral-Comite wird die Erfahrungen, welche es bei Zu sammenstellung des Personals für überseeische Abord nungen gesammelt hat, nicht ungenutzt vorübergchcn lassen und Vorsorge treffen, daß bereits in Frie de n s z e i t e n e i n f ü r u n s e r e C o l o n i c n u. s. w. geeignetes und geschultes Personal vor handen ist. Auch auf die Vereinsorganisa- tion selbst haben die Unternehmungen für Ostasien eine wohlthätige, belebende nnd klärende Einwirkung entfal tet, indem sie nicht blos eine annähernde Taxe über die Leistungsfähigkeit des großen deutschen Vereinsnctzes für den Fall nachhaltiger Inanspruchnahme der Landes- und Provinzialvcreine zur Eröffnung der vorhandenen Hilfs quellen ermöglichten, sondern auch die Kenntnisse bezüglich der Zweckmäßigkeit einzelner Formationen, ihrer Zusam mensetzung, Vorbereitung und Ausstattung beträchtlich er weiterten. So haben der Eifer und die Erfahrung der in der Heimath zu den Vorbereitungen berufenen Per sönlichkeiten einerseits , und der kritische Blick der in dem Operationsgebiet angestelltcn Aerzte andererseits eine A u s r ü stn n g s n a ch w ei s u n g geschaffen, welche für künftige Unternehmungen einen grundlegenden Werth be anspruchen kann. Ein förmliches System haben die veranstalteten Sammlungen von Geld und vor Allem von Materialien gezeitigt, und dem planmäßigen und rührigen Vorgehen der Landes- und Provinzialver- einc sind denn auch höchst erfreuliche Erfolge auf diesem Gebiete zu danken. Zum ersten Male seit dem Bestehen der deutschen Marine sind vollständige Laza re th- schiff c bei überseeischen Unternehmungen in Anwen dung gekommen und das Rothe Kreuz darf sich des Vor zuges rühmen, an deren Ausstattung mit Personal und Material in ansehnlichem Umfang betheiligt gewesen zu sein. Auch in dieser Beziehung hat das Central-Cvmitä reiche Erfahrungen gesammelt und ein Urtheil über den Grund der Brauchbarkeit solcher schwimmenden Kranken häuser gewonnen. Ebenso haben unsere Kenntnisse über die Verwendbarkeit von Doccker'schen Baracken zu Laza- rethen in Tropenländcrn und die wirksamsten Schutz vorrichtungen derselben gegen Sandstürme, Sonnen brand und eisige Kälte durch die Sachkenntnitz und den schöpferischen Geist des Professors Küttner eine sehr schützenswerthc Bereicherung erfahren. Die „Krz.-Ztg." nimmt ebenso wie die „Sckles. Zig." -u den Erörterungen über das Verbältniß zwischen Conserva- tivcn und Landwirthschastsbund Stellung uns sagt dazu: „Wir brauchen weiter nicht darauf einzugehen, weil wir bei unseren Gegnern deutlich die Absicht erkennen, die conservative Partei und den Bund der Landwirthe von einander zu trennen. Der Bund kann keine Partei spielen wollen und kann in seinem eigenen Interesse die conservative Partei nicht bekämpfen; die letztere hat aber ebenscweiiig ein Interesse daran, dem Bunde in seinen wirthschaftlichen Zielen, die sie ihrer Tendenz nach lebhaft billigt, entgegenzutreten." Die Conservative» können da» natürlich kalten, wie sie wollen; aber darin haben die „Krzztg." und ihre politischen Freunde Unrecht, daß sie den Wunsch nach einer Trennung derConservativenvom Bunde für den Ausdruck feindseliger Gesühle ausgeben. Es gicbt Leute, die gerade auf den Kitt zwischen Bund und Conservativen ihre schönsten Hoffnungen setzen, und diese Leute kennt die „Krzztg." so gut wie wir. Die osficielle Wiederaufnahme der regelmäßigen diplo matisch en B eziehungen zwischen Italien und der Schweiz steht unmittelbar bevor. Die Leitung der beiderseitigen diplo matischen Vertretungen wird zunächst GcschäfiSträgern anver- traut, dieses Interim wird jedoch m kürzester Frist durch die Ernennung von Gesandten in Rom und Bern sein Ende finden. Die Beilegung des Zwistes wird von den politischen Kreisen Italiens, welche dessen Ausiaucheu mit Bedauern wahr nahmen, mit lebhafter Befriedigung begrüßt, da man in Nom immer von dem aufrichtigen Wunsch nach der Pflege freund schaftlicher Beziehungen mit der benachbarten Republik erfüllt war und die Wahrung eines solchen Verhältnisses auch für die Zukunft mitZuversicht erwartet. Die Genugthuung über die Aus- löhnung zwischen den beiden Staaten wird durch den Umstand erhöht, daß die Beschleunigung dieses Erfolges der Ver mittelung Deutschlands zu verdanken ist. Die deutsche Reichsregierung hat die Initiative zu freund schaftlicher Vermittelung zwischen Rom und Bern ergriffen und die Verhandlungen über die Wiederaufnahme der diplo matischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind vom Reichskanzler Grafen Bülow mit Unterstützung seines Bruders, deS Gesandten.v. Bülow in Bern, gejährt worden. Dieses spontane Eingreifen des Berliner Cabinels bildet einen allgemein sichtbaren Beweis dafür, daß der Dreibund nicht nur nach dem Buchstaben des Vertrags, sondern auch seinem Geiste nach mit unvermindertem Werthe erneuert worden ist und daß die verbündeten Mächte auch außerhalb deS Rahmens verbriefter Pflichten zu gegenseitiger Unterstützung, we sie einem engen Freundschaftsverhältnisse entspricht, bereit sind. Die französischen Nationalisten blicken bekanntlich immer nach Rußland und rufen eS namentlich dann an, wenn es sich um ihre chauvinistischen Pläne handelt. Da ist cs denn sehr interessant, daß sich die „Petersburger Nowosti" in einem scharfe» Artikel gegen die hysterischen Klagen der Pseudopatrioten wendet. Bei allen Gelegenheiten stimmten sie das alte Lied von der Revanche mit neuen Varia tionen an, und wie sie früher Iauröö wegen seiner Rebe für die Abrüstung angegriffen hätten, so machten sie sich jetzt über Waldcck-Nouffe.ru her, weil dieser mit dem deutschen Kaiser eine Unterredung gehabt batte. Die „Nowosti" spreche» von dem unglaublichen Leichtsinn und der unbezähm baren Bosheit der Nationalisten, gegen die mit allen Kräften angekämpfl werden müsse, da sie eine beständige Gefahr für den europäischen Frieden bildeten. „Kaiser Wilhelm selbst", so schließen die „Nowostr" ihren Artikel, „hat seine Friedens liebe in genügendem Maße an den Tag gelegt, so daß man irgend welche Zweifel wegen seiner Absichten nicht hegen kann. In Frankreich denkt die ungeheure Mehrheit des Volkes nicht an-die Revanche. Die Pflicht der europäischen Presse ist eS, diese friedliche Stimmung auf jegliche Weise zu unterstützen und gegen die verbrecherischen unv empörenden Versuche ter angeblichen Patrioten, zwei große Culturvölker vom rechten Wege abzulenlen, unablässig Front zu machen." Im Stamm buch eines Nationalisten müßten sich diese Ausführungen aus gezeichnet ausnehmeu. Deutsches Reich. --- Berlin, 28. Juli. (Polnische und deutsche Socialdemokraten.) Es wurde letzthin auf die rück sichtslose Behandlung hingewieseo, welche die polnische Social demokratie Oberschlesiens den deutschen Parteigenossen hat zu Theil werden lassen, indem sie von der Aufforderung, in einer gemeinsamen Conferenz die Aufstellung von NeichStagscandivaten zu erledigen, einfach keine Nouz nahm und selbstständig Candidaturen ausstellte. Jetzt richtet daS Mitglied des polnsich-socialistischen ParleivorstandeS in Berlin, August BcrsuS, eine Zuschrift an den „Vorwärts", die Wohl eine Art Enisckulbigung deS rücksichtslosen Vorgehens der polnischen Genossen sein soll, thatsäcblich aber die Sache nur noch verschlimmert. Herr Berfus gicbt nämlich zu, auf die Auf forderung des schlesischen „Genossen" Winter zu einer gemein samen Conferenz erwidert zu haben, daß cs den polnischen Socialdemokraten leider nickt möglich sei, an derselben theil- zunebmen, „da unsere oberschlesiscke» Genossen eine solche schon am Sonntag, den 13. Jul«, in Oswiecim abhalten und die Frage der Candidaten für Oberschlesien erledigen werden". Der „VoiwärtS" hat gewiß Recht, wenn er erklärt, diese Zuschrift trage zur Erledigung der Differenzen nichts bei, denn deutlicher, als eS seitens des polnisch - socialistischcn Parteivorstandes geschehen ist, kann jedoch den deutschen Socialdemokraten gar nicht gesagt werden, daß sie nach polnischer Ansicht in Oberschlesien nichts zu suchen haben. Wie zum Hohne haben nun die polnischen Socialdemokraten OberschlcsienS Herrn Winter in dem Wahlkreise Glciwitz, in dem er bei den letzten all gemeinen Wahlen candidirt har, abermals ausgestellt, aber sie haben dies in einer Werse gethan, die eine neue Beleidigung enthält, denn vr. Winter sieht sich veranlaßt, in der sozialistischen „Breslauer Volksmacht" zu erklären: „Eine Anfrage an mich in Betreff der Annahme des Mandats ist weder vor noch nach der Oswiecimer Confc- renz erfolgt." Die polnischen Socialdemokraten verfügen also selbstherrlich über die Mitglieder der officielleu deutschen Social demokratie, ohne auch nur 10 Pfennige für eine Anfrage daran zu wenden. Mau darf wirklich gespannt darauf sein, wie die deutsche Socialdemokralie diese Brüskirung praktisch beantworten wird. Wir betonen ras Wort „praktisch", denn es kommt natürlich nickt auf eine Abwehr in der cfficiellen socialdemokratischen Presse an, sondern darauf, wie die socialdemokratische Partei bei den Wahlen verfahren wird. * Berlin» 28. Juli. (Staatliche Gewerbe förd e r u n g.) Vor einiger Zeit blieb eine Notiz in den interessirten Kreisen nicht unglossirt, daß der preußische Handclsminister eine Eingabe, im Auslande Schuhwaarcn zu Ausstellungszweckcn in Deutschland anzukaufen, aus Mangel an Mitteln für solche Zwecke abschlägig beschieden hatte. Das nehmen die „Berl. Polit. Nachr." zum Anlaß, um sehr wichtig zu erklären: Daß die Einzelstaaten, wenn ihnen die nöthigen Mittel zu Gebote ständen, noch in manchen Beziehungen die Entwickelung des Ge werbes fördern könnten, ist nicht zu bestreiten. An dererseits läßt sich aber auch nicht wcglcugnen, daß in dieser Förderung die Einzelsraatcn während der letzten Jahrzehnte ganz bedeutende Fortschritte gemacht haben. Ein Blick auf das gewaltige Anschwellcn der von Preußen für das gewerbliche Unterrichtswesen aufgcwcndeten Aus gaben beispielsweise gicbt den Beweis dafür. Das pre ri tz ischc Gewerbcministerium sowohl als das Finanz ministerium, das erstere dadurch, datz es immer von Neuem auf eine Erweiterung der staatlichen Thätigkeit auf dem Gebiete des geiverblichen Unterrichts hindrängtc, das letztere dadurch, daß es diesen Bestrebungen jederzeit, so weit nur die Finanzlage es gestattete, Verständnis) ent- gcgenbrachtc, haben sich um das Gewerbe hoch verdient gemacht und dürften cs auch fernerhin thun. So werden dem Vernehmen nach auch wieder für das n ä ch st c CtatSjahr Erweiterungen des betreffenden Etats- capitclS vorgenommcn werden. Einem solchen Ver halten der zuständigen Ministerien gegenüber erscheint es nicht angebracht, ihnen Vorwürfe daraus zu machen, datz sie hier und da Wünsche, die in einem engeren Kreise von Gewerbetreibenden austauchen, wegen Mangels an Mitteln zurückwciscn müssen. Die betreffenden gewerb lichen Kreise, die sich in der Oeffentlichkeit vorüber be schweren, bedenken nicht, datz einmal und für ein einzelnes Gewerbe bewilligte Ausgaben Conscquenzen zu haben pflegen, deren Bestreitung ganz erhebliche Mittel in An spruch nehmen können. Denn selbstverständlich würde der einem Gewerbe gewährte Wunsch anderen nicht ab geschlagen werden können. Es wäre angezelgt, wenn in den betreffenden gewerblichen Kreisen abschlägige Bescheide der bcthciligten Ministerien auch einmal unter diesem Ge sichtswinkel betrachtet würden. * Berlin, 28. Juli. (WirthShauS-Reformer im Reichstage.) Die kurze Meldung über einen conservaliven Antrag zur Bekämpfung der Trunksucht kann nun folgender maßen ergänzt werden: Erst jetzt wird bekannt, daß sich am 5. Juni ReichstagSabgeordnete verschiedener Fractionen zu Feuilleton. s) Zwei Welten. Roman von Arthur Sewett. Nachdruck verboten. Sie lächelte. „Ach, Herr Doctor, das sind wieder die Ansichten Ihrer Welt. Da mag solch ein Schutz vielleicht nothwendig sein für die Mädchen, in unserer nicht. Die ist nüchterne Arbeit trotz alles Flitters, weiter nichts! Aber glauben Sie denn wirklich, daß mein Vater und meine Mutter mich schützen könnten, wenn ich mich selbst nicht schützte? Und schließlich, könnte nicht einmal die Stunde kommen, wo ich nicht mehr geschützt sein wollte'?! Wo ich mich selbst nicht mehr schützen wollte, wo ich frei sein wollte, ganz frei und ungehemmt'?!" Wieder derselbe leuchtende Blick, aber in ihm jetzt etwas anderes, das dem Doctor das Blut ins Gesicht trieb, als dieser Blick kurz und scheu zu ihm emporlodertc. „Fräulein Elli", sagte er, und seine Stimme hatte mit einem Male etwas Schleppendes. „Sie haben Recht. ES giebt Dinge, in denen wir uns nicht verstehen, uns viel leicht nicht verstehen können. Lassen wir diese! Ein für alle Mal. Eins aber möchte ich Ihnen noch sagen. Ich habe cs schon lange gewollt. Sie sehen Ihr Verhältnis zn Ihren Eltern in einem falschen Lichte. Sie vergessen den Dank, den Sie ihnen schulden." „Dank? Wofür? Ich allein verdiene das Geld, von dem wir leben." „Wer aber hat Sie so weit gebracht?" fragte er, seinen Ingrimm niederkämpfend. „Wer wird für Sie eintreten, wenn Sie einmal fremder Hilfe bedürfen? Was wären Sic ohne Ihre Eltern? Oder wie — kennt Ihre Welt der Freiheit auch nicht einmal die natürlichsten Bande der Familie? Sind auch die nichts anderes, als ein lästiger Zwang?" Er hatte mit so heiliger Strenge zu ihr gesprochen. Sie wollte ein Wort erwidern, sie konnte es nicht. Ihre Lippen stammelten ihm entgegen, wie Vergebung suchend. Da dauerte ihn wieder dieses Mädchen. Es war mehr Leichtsinn und Uebermuth, der aus ihr gesprochen hatte, als Schlechtigkeit deS Herzens. Er wußte cs. Und doch war es ihm recht, daß diese kurze Lection so empfindlich auf sic gewirkt hatte. Jetzt aber wollte er sie nicht länger strafen. „Fräulein Elli", sagte er deshalb mit milderer Stimme, „wir haben heute nun einmal sehr ernste Dinge berührt. Und da möchte ich eine Bitte nicht unterlassen: Seien Sie etwas vorsichtiger in Ihrem Berufe. Ich habe letzt in letzter Zeit so schlimme Dinge von dem Pferde gehört, das Sic täglich in der Manege reiten." „Und wenn eS mich einmal an die Bande schleuderte und ich zerschmetterte mir den Kopf, wem würde es schaden? Sie wären dann eine ungezogene, ungelehrige Schülerin los, die Sie täglich kränkt und erzürnt." „Fräulein Elli", sagte er mit ruhigem Ernst, „würde ich Sie um alles das bitten, wenn ich Sie nicht wirklich lieb hätte?" „Sie mich lieb?! Mich wirklich lieb?!" Leise hatte sic cs gesagt, wie im Traum, und wie im Traum lächelten ihre Lippen. „Also Sic versprechen mir, Fräulein Elli, fortan vor sichtiger zu sein?". „Ja!" rief sic, und wie sie stets aus einer Stimmung rasch in die andere umschlug, so hatten ihre Worte jetzt ganz die alte Lebhaftigkeit wieder. „Ich will es gern ver sprechen! Aber an mir und meiner Vorsicht liegt cs nicht, sondern an Mr. Francois." „Wer ist Mr. Kransois? Sie haben mir den Namen noch nie genannt." „Er heißt Martin Schultze und arbeitet Clown und Kantschukmann. Er hatte es auf mich abgesehen und stellte mir nach. Und als er sich einmal eine kleine Dreistigkeit erlaubte, sehen Sie, Herr Doctor, da hat mich kein Vater und keine Mutter geschützt. Da habe ich mich selbst ge schützt mit diesen meinen Händen und ich habe ihm eine recht tüchtige Maulschelle gegeben, die er lange gefühlt hat. So ists in unserm Circusleben. Ein Jeder fchützt sich, oder schützt sich nicht. Ganz wie er will! Frei sind wir auch darin. Zu Hause habe ich von der ganzen Lappalie kein Wort erzählt. Aber seitdem sinnt der niedrige Mensch auf Rache." „So müssen Sie auf der Hut sein und ihm aus dem Wege gehen. Sie haben doch im Circus nichts mit ihm zu thnn?" „Das ist eben das Schlimme. Er hat die Zwischen- Entr6es, wenn ich reite. Die Diana ist bet der ersten Tour immer ganz ruhig. Aber dann kommt er als Clown und macht mit Absicht seine schlechten Späße, immer mit dem Pferd, und zieht sein Entree möglichst in die Länge, denn er weiß, daß die Diana das lange Stehen nicht verträgt. Und wenn sie dann wieder laufen mutz, ist sie aufgeregt und unruhig. Sie glauben nicht, wie uns diese Menschen in der Hand haben, und hier ist es besonders schlimm." Dem Doctor war der Ernst der Sachlage sofort klar. Er fühlte sein Herz ängstlich schlagen, er wollte ein Wort sagen, er vermochte es nicht. — Es war weit über die gewohnte Zeit, in der Miß Ellida zu gehen pflegte. Endlich zog sie sich das kleine Jackct an. „Ich weiß nicht, sagte sie dabei mit einem leisen Seufzer, warum es mir heute so schwer fällt, von Ihnen zu gehen. Ich habe mit einem Male solche Angst, ich könnte Sic nie Wiedersehen." Er scherzte über ihre Empfindung, aber sie blieb ernst. Und als sic ging, mußte er seine Hand erst aus der ihren lösen, so fest und heiß hatte sie die seine umschlungen. Er war allein. Er wußte, daß seine Mutter auf ihn wartete, aber er vermochte nicht einen Fuß ins Wohn zimmer zu setzen. Er hörte sic nebenan sprechen mit Gabriele, er merkte, wie diese ordnend nnd aufräumend hin und her ging, aber er hörte und merkte das alles wie in einem Halbschlafc. Etwas Unbeschreibliches lastete auf ihm, ein Druck, ein Furchtgcfühl, dann wieder ein Em- psinden, das nichts mit Sorge und Furcht gemein hatte, das vielleicht ein glückliches gewesen wäre, wenn es nur nicht so schwül, so lähmend gewesen wäre, wie der Blick von Miß Ellida, dieser unvergeßlich suchende Blick. War er unberührt von ihm geblieben? War er gefeit gegen die Versuchung, wenn sie in solcher Gestalt an ihn herantrat'? Und schließlich, könnte nicht einmal eine Stunde kommen, wo ich nicht mehr geschützt sein wollte, wo ich mich selbst nicht mehr schützen wollte? Warum hörte er diese Worte immer wieder, und genau in dem cigenthümlichen Tone, in dem sie gesprochen wurden? Und wie? Wenn auch in seinem Leben, das bisher so ruhig, so unbewegt durch Versuchung und Leidenschaft dahingefloffcn war, die Stunde einmal schlagen sollte, wo auch er sich nicht mehr schützen konnte, nicht mehr schützen wollte, wo er frei sein wollte und ungehemmt? Er er schrak. Solche Gedanken waren ihm noch nie gekommen. Die fremde Welt hatte immer mehr Gewalt über ihn ge wonnen. Stückweise eroberte sie sein Leben. Zum ersten Male trat dieStunde an ihn heran, wo ihm bange ward auf der Bahn, die er bis jetzt so sichern Fußes gegangen war. Die Thür öfncte sich, das Antlitz seiner Mutter schaute in das Zimmer hinein, so fragend, so bekümmert. Richtig! Heute war ja die Gesellschaft, die sie alle Jahre einmal gaben, um den kleinen Kreis ihrer Bekannten bei sich anfzunchmen. Wie hatte er sonst der Mutter geholfen, wie an jede Kleinigkeit gedacht, das einfache Fest zu ver schönern. Tie Ttschordnung, die Besorgung und das Aus schreiben der Tischkarten, das Alles war sogar seine aus schließliche Sache gewesen. Und heute? Nichts hatte er besorgt, an nichts gedacht ? Das fragende, traurige Antlitz der Mutter war ihm ein Stich ins Herz. Kein Wort des Borwurfs kam von ihren Lippen, aber dieses Schweigen traf ihn um so tiefer. „Gleich, liebste Mutter, ich komme sofort." Eine Stunde wenigstens blieb ihm noch, da konnte er noch manches gut machen. — Er trat in das Eßzimmer, die Tafel stand fertig gedeckt. Blumen waren sogar über den ganzen Tisch verbreite^ keine theurcn und künstlich gezogenen, sondern anspruchs lose, dazu Herbstlaub in den verschiedensten Farben, gelb und roth und grün, zwischen ihm das ernste Dunkel kleiner Tanncnzweige, so hübsch zusammengestcllt, datz kein Kunst gärtner der Welt es hätte schmuckvoller machen können, und so einfach zugleich! Und siche! Da lagen selbst die Tischkarten schon auf den Gläsern, und als er nun näher trat, da merkte er, daß es nicht die üblichen aus der Papierhandlung gekauften waren, sondern eigenhändig gemalte, ohne grötzerc Kumt, im Gegentheil recht dilettantenhaft, dafür aber auch gar nicht aufdringlich, von einer so schüchternen Zierlichkeit vielmehr, datz er sie aufmerksamer besehen hätte, wenn ihm nicht immer noch gar zu viele andere Gedanken durch den Kopf gegangen wären. Also malen kann sie auch, murmelte er vor sich hin, wo sie nur zu allem die Zeit hernimmt? Ich dachte, die ge hörte ausschlictzlich ihrem Studium! Und inmitten der Tischkarten^ von zierlicher Hand ge schrieben, die Namen der Gäste. Oho, also auch die Tischordnung hat sie gemacht! Das ist ein Eingriff in meine Hausherrenrechte. Aber heute mag es ihr hingehen. Ich bin froh, daß ich mich mit dem Kram nicht ^n beschäftigen brauche. Er wollte sich die Placirung nicht einmal ansehen. Aber eins intereffirtc ihn schließlich doch: Wen sie sich wohl zu ihrem Herrn ausgesucht hatte ? Er ging schnell um den Tisch herum und überflog die einzelnen Namen. Richtig! Fräulein Gabriele Hellwig, Herr Doctor Baumann! Dachte ichs mir doch! Und was für eine
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