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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020725026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-07
- Tag1902-07-25
- Monat1902-07
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Tabellarischer und Ziffernlatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr- Anzetgerl sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 96. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Juli. Bon unterrichteter Sette wird uns geschrieben: Kaum ist bekannt geworden, daß der Dreibnnd am 28. Juni dieses Jahres in unveränderter Form erneuert wurde, da werden Preßmanöver zu dem offensichtlichen Zweck in Scene gesetzt, den erneuerten Dreibundvertrag als eine Abschwächung des alten erscheinen zu lassen. Vielleicht lag solche Absicht noch nicht vor, als kürzlich durch den „Pester Lloyd" bekannt wurde, daß Italien nicht mehr, wie früher verabredet, bei einem französisch deutschen Kriege ein italienisches Truppencontingent nach dem Rhein entsenden werde. Mit der Erneuerung des Dreibundes hat diese schon vor einiger Zeit aufgehobene Abmachung ebenso wenig zu thun, wie die von Wien aus verbreitete Nachricht, auf Wunsch Italiens sei aus dem erneuerten Dreibundvcrtrage die früher vorhandene Ver pflichtung Italiens gestrichen worden, im Falle eines russisch-österreichischen Krieges ein Armeecorps durch Ungarn an die rumänische Grenze zu senden, damit im Verein mit österreichischen und rumänischen Truppen unter dem Befehl des Königs von Rumänien ein Einfall in Beßarabien gemacht werde. Es ist grundfalsch, mili tärische Abmachungen solcher Art mit dem Dreibunde direct in Verbindung zu bringen. Der Dreibund ist ein politischer Vertrag, und die militärischen Folgen aus ihm find je nach den Umständen zu ziehen. Was von Wien ans jetzt berichtet wird, klingt an sich in höchstem Grade phantastisch. Läge aber dieser phantastischen Meldung ein realer Kern zu Grunde, so bliebe cs doch falsch, von einer Abänderung des Dreibundvertrages im Hinblick auf militärische Verabredungen von der in Rede stehenden Natur zu sprechen. Denn derartige militärische Stipu lationen hat auch der alte Dreibundvertrag nicht ent halten. Die Bedeutung des Dreibundes beruht eben nicht auf dergleichen militärischen Einzelheiten, sondern aus dem politischen System, das die Dreibundmächte durch ihren Zusammenschluß begründet haben und das seine militärischen Conscquenzen gegebenenfalls von selbst zeitigt. Die Form der Wiener Meldung läßt der Vcr- muthung Raum, daß ihr Urheber dem Königreiche Rumänien als einer dem Dreibund nahestehenden Macht in Rücksicht auf Rußland eine Unfreundlichkeit habe zu Theil werden lassen wollen. Aber wie dem auch sei, das Be ginnen, durch Ausstreuung unzutreffender Nachrichten die Bedeutung der Erneuerung des Dreibundes in seiner bisherigen Form herabzusetzen, ist ein Versuch mit un tauglichen Mitteln. Erst jetzt liegen an verschiedenen Stellen ausführliche schrift ¬ liche Consularberichte über die jüngsten Vorgänge im Vilajrt Monasttr vor. Wenn auch einige der ersten, von betheiligter Seite stammende Nachrichten über die seitens der Truppen im Vereine mit BaschibozukS verübten Gewaltthätigkeiten als übertrieben oder als nicht vollkommen sicher erklärt werden, so stimmt doch daS Gesammturtheil darin überein, daß die Lage im Vilajet eine abnormale und kritische und daß «ne baldige Beendigung der Bandenumtriebe und der Anwendung der von den Localbehörden als auch von einzelnen Notabeln ausgestellten Gegenbanden dringend wünschenSwerth sei, da sonst die allgemeine Unsicherheit außerhalb der Städte, am flachen Lande, ein Stadium erreichen würde, welches Katastrophen herbeisühren könnte. So weit dies constatirbar, treiben nicht weniger als vierzehn theils revolutionäre, theils gemeine Räuber banden ihr Unwesen im Vilajet. Zur Vertreibung und Bewältigung derselben sind, wie schon erwähnt, zahl reiche Baschibozukbanden thätig. Hierzu kommen noch die albanischen TerrorisirungSbanven, unter denen ins besondere jene von Tigrane herorzuheben ist. In Folge dieses Bandenkrieges und der starken Besetzung zahlreicher Dörfer durch Militärdetachements leidet die Landwirthschaft in allen Theilen des Vilajets in empfindlichster Weise. Am schwersten hcimgesuchl sind die Kreise Kröevo, Ochrida und Perlcpe. Die Gerechtigkeitspflege ist unter diesen Umständen fast gänzlich durch ein willkürliches administratives Regime verdrängt. Deputationen der Landbevölkerung bringen diese und andere Klagen sehr häufig den fremden Konsulaten in Monastir zur Kenntniß. Anläßlich der bevorstehenden Neubesetzung des Gouver neurpostens des Libanon schreibt man uns aus Eonstaniinopel: Bekanntlich ist der Libanon (arabisch „Dschebel Libnan", weißes Gebirge) den Türken niemals vollständig unlerthan gewesen. Im Jahre 1840, als Syrien nach kurzem egyptischen Regime wieder unter die Herrschaft der Pforte kam, forderten die europäischen Mächte für die christliche Bevölke rung administrative Maßregeln und cs wurden damals für die beiden einheimischen Elemente, Drusen und Maroniten, getrennte Verwaltungen eingesetzt. Diese vielfach ungenügenden Maßregeln erhielten sich bis zu den Metzeleien im Jahre 1860. In Folge der französischen Intervention wurde dann der Libanon von Syrien abgelrennt (mit Ausnahme der drei wichtigsten Hafenstädte Beyrut, Saida und Tripolis) und zu einer selbstständigen Pro vinz unter einem christlichen Gouverneur und unter der Garantie und Controle der Mächte gestellt. Im ersten Verwaltungsregle ment dieser Provinz vom 9. Juni 186l erscheint Italien noch nicht unter diesen Mächten, erst beim zweiten Reglement vom 6. Sep tember 1864 wurde es in die Reihe derselben ausgenommen. Der Gouverneur, welcher mit Zustimmung der Großmächte ernannt wird, erhält den Titel Vezier und hat alle Vorrechte eines Gencral- gouverneurS (Bali), führt aber nur die Bezeichnung eines Gouver neurs (Mutessariffs). Die bisherigen Gouverneure des Libanon waren: Dand Pascha seil Juli 1861; Nasri Pascha Franco seit 27. Juli 1868; Rustem Pascha seil 22. Juli 1873; Wasa Pascha seit 8. Mai 1883; der jetzige Gouverneur, Naum Pascha, seit 17. August 1892, dessen zweite fünfjährige AmISdaner am 17. August d. I. endet. Im Hinblick auf die Neubesetzung deS Postens macht sich in den näher oder entfernter bethei- ligten Kreisen bereits seit Wochen eine gewisse Rührigkeit be merkbar, da es unwahrscheinlich ist, daß der jetzige Gouverneur zum dritten Male gewählt werde. Deutsches Reich. A Berli«, 24. Juli. (N e i ch s s o c i a l p o l i t i k.) Die „Berl. Pol. Nachr." schreiben: Jedesmal wenn ein internationaler Arbeiterwohlfahrscongreß abgchaltcn ist, tauchen in Deutschland sofort die mannigfaltigsten Ideen auf dem Gebiete der 2 v c i a l p o l i t i k auf, und man verlangt von der Regierung neue socialpolitischc Thaten. Aber sowohl der Bundesrath wie der Reichstag sind auch so gegenwärtig noch mit Gesetzentwürfen dieser Art be faßt. Der von ersterem in Angriff genommene Entwurf bezieht sich auf die Regelung der Arbeitsbedingungen in Weißphosphorzündwaarenfabriken, der im Reichstag steckende Entwurf behandelt die wichtige Frage der Regelung der Kinderarbeit in gewerb lichen Betrieben. Man sollte meinen, daß der letztere Entwurf schon allein wichtig genug sei, um die Aufmerk samkeit der Socialpvlitiker für einige Zeit zu fesseln. Es wird eingehender Arbeit bedürfen, um ihn in seinen Einzelheiten durchzubcrathen. Da er mit der Regelung der Arbeitszeit der eigenen Kinder der Gewerbe treibenden ein ganz neues Princip in die Gewerbegesetz gebung einführt, so kann er einschneidend genug werden. Es dürfte demnach für die nächste Zeit kaum auf die Vorlegung noch größerer svcialpvlitischer Entwürfe zu rechnen sein. Was über dieWittwen - undWaisen- Versicherung der Arbeiter geschrieben und ge sprochen ist, ist noch so unbestilmnt, daß schon deshalb auf eine dcmnächstige positive Lösung dieser Aufgabe nicht zu rechnen ist, zumal die wichtigste dabei zu erledigende Frage, die nach der Aufbringung der Kosten, vorläufig noch in der Luft schwebt. Die neue Krankenvcr- s i ch e r u n g s r e v i s i v n ist zwar schon vor Jahren ein geleitet worden, zum cndgiltigen Abschluß ist sie in den Vorarbeiten aber noch nicht gelangt. Bei der Gestaltung der Geschäftslage des Reichstages in naher Zukunft ist es auch wenig wahrscheinlich, daß mit ihtzer Fertig stellung allzu sehr geeilt werden wird. Wegen des Zvll- tarifeutivurfes dürfte im nächsten Herbst und Winter die Einbringung neuer größerer socialpolitischer Entwürfe schwerlich erfolgen, man will in Ncgierungskreiscn das Zustandekommen des großen zolltarifarischcn Werkes nicht etwa durch Häufung von schwerwiegendem gesetz geberischen Material gefährden. Auf socialpolitischem Gebiete wird nach wie vor gearbeitet, aber zur Ein führung ganz außerordentlicher Neuerungen ist die Gegenwart durchaus nicht geeignet. S. Berlin, 24. Juli. (Die Reichstags-Ersatz wahl in Forchheim-Kulmbach.) Der Entschluß der Freisinnigen, im Wahlkreise Forchheim-Kulmbach, für die in Kürze stattsindende Reichstags-Ersatzwahl keinen eigenen Eandidaten aufzustellcu, sondern den national liberalen Bewerber zu unterstützen, und zwar ohne diesem die Annahme eines imperativen Mandats zuzumuthen, hat natürlich rechts und links, d. h. beim Centrum und der Soeialdcmokratic, sehr verschnupft. Das offieiclle baye rische Centrumsorgan bemerkt zu dem Beschlüsse kurz, aber scharf: „Die edlen Seelen finden sich halt immer da, wo cs gegen das Ccntrum geht." Die „Sächsische Arbcilerztg." aber spricht höhnisch von den Freisinnigen Idas Blatt schreibt das Wort nur in Gänsefüßchen), die mit den libe ralen Brodwuchercrn Hand in Hand gingen. Beide An griffe sind ebenso thöricht, wie falsch. Die „edlen Seelen", d. h. die Nationallibcralen und Freinsinigen, haben sich im Wahlkreise Forchheim durchaus nicht immer zusammen gefunden, wo cS gegen das Centrum ging; im Gegcntheil, die Freisinnigen haben wiederholt das Ccntrum unter stützt — so noch bei den letzten allgemeinen Wahlen — und dadurch den Sieg dieser Partei ermöglicht, obwohl der Wahlkreis zehn Procent mehr Evangelische als Katholiken zählt. Das b l i n d w ü t h i g e Vorgehen des Ccn- trums im bäuerischen Landtage hat wohl aber endlich auch die kurzsichtigsten Freisinnigen davon über zeugt, daß der Platz eines liberalen Mannes niemals an der Seite dieser Partei sein darf. Wenn andererseits die Socialdcmokratie den Freisinnigen vvrwirft, für einen „liberalen Brodwucherer" zu stimmen, so können diese mit Recht darauf erwidern, daß der nationalliberale Candidat in der Zollfrage denn doch auf einem gemäßigteren Stand- punet steht, als das bayerische Ccntrum oder gar die beiden agrarischen Bewerber. Ter Zorn des socialdemokratischeu Organs ist übrigens um so unbegreiflicher, als die Social demokratie in diesem Wahlkreise so gut wie gar keine Aus sichten hat; er gehört zu denjenigen Kreisen, in denen die Socialdcmokratie im letzten Jahrzehnt keine Fortschritte gemacht hat. Da die freisinnige Partei in diesem Wahl kreise immer ziemlich stark gewesen ist — auch bei den letzten Wahlen erhielt sie noch mehr als 3000 Stimmen —, so erscheint durch das Zusammengehen der beiden libe ralen Parteien gesichert, daß der nationalliberale Be werber unter allen Umstünden in die Stichwahl gelangt, selbst wenn die Eandidaten des Bundes der Landwirthe und des Bauernbundes einen Theil der ländlichen Wählerschaft der nationalliberalen Partei für sich ein fangen sollten. Dies ist an sich nicht unwahrscheinlich, denn der Wahlkreis gehört noch in viel erheblicherem Maße zu den überwiegend ländlichen Kreisen, als Bayreuth, wo letzthin die mit dem Siege des nationalliberalen Be werbers endende Ersatzwahl stattfand. Während nämlich im Bayreuther Wahlkreise nur etwas über 60 Proccnt der Wählerschaft Gcmeiuden von weniger als 2000 Ein wohnern angehören, sind cs im Wahlkreise Forchheim- Kulmbach 85 Proccnt. Trotzdem haben die Agrarier wohl schon darum keine Aussichten auf Erfolg, weil sie zwei Kan didaten ausgestellt haben, die sich natürlich im Wahlkampfe eifrig befehden. Danach darf man wohl als sicher an nehmen, daß es ebenso, wie bei den letzten allgemeinen Wahlen, zur Stichwahl zwischen der nationallibcralen Partei und dem Centrum konrmcn wird. Von den Agra riern und der Soeialdcmokratic würde cs alsdann ab« hängen, ob der überwiegend protestantische Wahlkreis abermals den Klerikalen anhcimsallen soll. * Berlin, 24. Juli. (Wohlfahrtspflege.) Von den jenigen Zuwendungen, die freiwillig von Arbeitgebern, Gesell, schäften, Banken und von der Privatwohlthätigkeit im Jahr« 1901 gemacht sind, um gemeinnützige und wohlthätige Zweck« zu fördern, hat Peter Schmidt im „Arbeiterfreund' eine Zusammenstellung gemacht. Wie er einleitend be tont, hat die sociale Versicherungsgesetzgebung zu keine; Verminderung derartiger Zuwendungen geführt, die eint willkommene und sehr bedeutende Ergänzung der au) gesetzlicher Grundlage aufgebauten Versicherung bilden. 1901 beliefen sich die gesammten Zuwendungen dieser Art au) mehr als 80 Millionen Mark gegenüber 60 Millionen iw Vorjahre. Die erste Stelle nehmen gemeinnützige Zwecke im Allgemeinen mit 20,5 Millionen in Anspruch; es folgen dann Pensions- und Unterstützungsfonds für Angestellte und Arbeiter mit 15,5 Millionen, Prämien, Gratisicätionen u. s. w. mit 6,4, Wohnungsfürsorge mit 5,7 u. s. w. Speciell für die Zwecke dessen, waS wir im engeren Sinne Wohlthäligkeit nennen, sind folgende Summen ausgebracht, unter denen wiederum die Fürsorge für Kranke und Genesende eine er hebliche Stelle einnimmt. Kinderfürsorge .......1 333 058 Altenheime, Stifte 4 369 378 - Kranken-, Genesenen-, Wöchnerinnensürsorge . . . 4 503 980 « GesunLheitcpslege, Ieriencoionien u. s. w 528389 - Gebrechlichenpflege 1121588 - Obdachlosen- und Entlassenenpflege 33 500 - Innere und äußere Mission 183000 - Armenunterstiiyungen im Allgemeinen 3414 410 - Arbeitslosenunterstützung 19000 » Feuilleton. «j Zwei Welten. Roman von Arthur Sewett. Nachdruck verboten. Nur eine Ecke des großen Zimmers hob sich von der dürftigen Umgebung mit einem Luxus ab, der wunderlich, fast komisch wirkte. Ein üppiges Bett mit weißem Himmel darüber von gebauschtem Mousselin, zwei Mahagoni-Nipp tischchen mit kleinen Candelabern von unechter Bronze, allerlei Figuren in plumper Ausführung, aber um so bunteren Farben und sonstigem Trödelkram, eine bunt gemusterte Chaiselongue schräg gestellt, mit langhaarigem, weißen Angorafell davor, ihr gegenüber einige gepolsterte Hocker auf kurzem, aber dickem Smyrnateppich. Und alles das abgeschlossen durch einen japanischen Wandschirm von verschossener und fadenscheiniger Seide, aber reicher, etwas schwärzlicher Goldstickerei. Es bedurfte keines Scharf sinnes, um hier das kleine Reich der Diva des Theaters zu vermuthen. Welch' ein sprechender Gegensatz zu den beiden eisernen Bettgestellen im Nebenzimmer, der mehr als einfachen Schlafstätte der beiden Eltern! Ueberhaupt zeugten schon diese Wohnräume von dem Cultus, den man mit Miß Ellida trieb. Wo sich an den kahlen Wänden ein Bild befand, stellte es sie dar, als Kind oder als Er wachsene im Reitercostüm oder im Straßenanzuge. Alle diese Bilder waren von guten Photographen ausgeführt und aufdringlich gerahmt, ja, über dem alten Svpha be fand sich sogar eine Kreidezeichnung von ihr, die nicht un geschickt gemacht war; hier und da war ihr konterfei von einem vergilbten Lorbeerkranz eingefaßt, dessen mächtige herabhängendc Schleifen in goldenen Lettern bombastisch ihren Ruhm verkündeten. Außer diesen Bildern sah er nur noch zwei schlechte Oelbrucke aus der heiligen Ge schichte und einen gemalten Bibelspruch in abgestoßenem Holzrahmen. Frau Koralli war eingetreten und hatte den Doctor auf einen möglichst wenig zerrissene»/ Rohrstnhl ge- nöthigt; sie selbst saß ihm an ihrer Nähmaschine gegen über. Gleich nach ihren ersten Worten merkte er, daß Miß Ellida von dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, nichts zu Hause erzählt hatte. Ihm war das wenig an- genehm; denn um so schwieriger war seine Aufgabe ge worden. Zudem machte ihn diese Umgebung, die Luft, die ihm hier cntgegenschlug, befangen. Wie anders hatte er sich diesen Besuch vorgestellt! Und Frau Koralli las das Erstaunen auf seinem Antlitz. „Es ist sehr schwer, für uns, in einer fremden Stadt eine Wohnung zu bekommen. Die Leute wollen von den Kunstreitern nichts wissen, sic fürchten vielleicht auch, wir könnten ihnen mit der Miethe durchgehen. Und in jedes Haus möchten wir auch nicht ziehen." „Wäre cs da nicht das Einfachste, Sie zögen in ein Hotel, wenigstens für die ersten Tage?" „Ach, wo denken Sie hin, Herr Doctor, in ein Hotel? Und märe es auch das kleinste, es wäre zu theuer für uns." „Aber bei fünfzehnhundert Franken Monatsgage!" Da lächelte Frau Koralli sehr wchmüthig: „So, das hat Ihnen mein Mann also auch erzählt! Ja, die hohe Gage, das ist so eine Liebhaberei von ihm. Er spielt so gern den großen Herrn, und ich lasse ihm diese kleine Freude. Er hat es sonst ja auch schwer genug!" „Also haben Sie nicht so viel?" „Wir haben jetzt monatlich neunhundert Frauken. Früher hatten wir weniger. Aber nun, wo die Elli so gut arbeitet, hat der Direktor zugclegt. Das Kind verdient ja allein. Unsere Arbeit, ach, Herr Doctor, wenn man älter wird beim Circus, ich habe überhaupt nie große Lust gehabt und bin übers Panneau nicht hinans- gekommen, und mein Mann thut jetzt auch meist nur Stallmeisterdienst." „Aber selbst bei diesem Gehalt . . ." „Gewiß, es ginge ja. Wenn wir nur die vielen, drückenden Schulden nicht hätten, noch vor der Zeit, als Elli mitarbeitete, und wenn wir uns von unserm Gehalt nicht unsere eigenen Pferde anschaffen müßten und die thcuern Kostüme! Ich brauche ja nicht so schöne und kann sie auch schonen. Aber Elli verlangt immer die kost barsten, und gute Stoffe müssen es sein! Denn ihre Arbeit, Parfvrcc und Voltige, greift die Sachen ganz anders an als die ruhige auf dem Panneau. Wenn ich da nicht den ganzen Tag an der Nähmaschine süße und meine Kostüme mir selber nähte und ab und zu auch eins für die Elli!" Und als sie alles das sagte, fiel dem Doctor eins mit niederdrückeirüer Wucht auf die Seele: daß er nun noch von den armen Kunstreitern ein großes Honorar für die ertheilten Privatstundcn erhalten sollte, und er überlegte im Stillen, wie er Herrn Koralli auf zarte Weise die Summe schenken könnte. Ach, er war in dieser ihm fremden Welt immer noch harmlos und unerfahren ge ¬ nug, nun zu glauben, daß Herr Koralli überhaupt jemals an eine Bezahlung seines Unterrichts denken würde. Aber zugleich fand er hier den besten Anknüpfungspunkt, seinem Ziele näher zu kommen. „Aber liebste Frau Koralli", sagte er deshalb schnell, „wie können Sic unter solchen Umständen so viel Kosten für eine Erziehung Ihrer Tochter anfwendcn, die doch schließlich für ihren Beruf zwecklos ist?" Diese Frage schien Frau Koralli zu verletzen. Das sind wir unserer Tochter schuldig", antwortete sie ruhig und bestimmt. „Sic soll nicht als Zigeunerin leben und sterben! Ich bin cs von Hause anders gewohnt, und sie soll es deshalb haben wie ich." Und verlegen setzte sie hinzu: „Mein Vater war Hauptmann." Und als der Doctor erstaunt zu ihr hinübersah, fuhr sie fort: „Wie ich dann zum Circus kam? Es ist eine kurze traurige Geschichte. Ich hatte eine vorzügliche Er ziehung genossen, aber kaum war ich sechzehn Jahre alt, da starb meine gute Mutter. Der Vater lebte seitdem nur noch für seine Pferde. Es war immer sein Sport ge wesen. Er kaufte sic roh, ritt sic zu und trieb dann seine Speculationen mit ihnen. Nach dem Tode der Mutter sing er an zu spielen und verkehrte viel mit Kunstreitern. Ich mußte die tollsten Ritte mitmachcn und that cs gern. Er war stolz auf meine Reitkunst und ich nicht minder. Eines Tages mußte er den Abschied nehmen, kurz darauf schoß er sich todt. Ich staud dem Nichts gegenüber. Ein Freund meines Vaters, der es gut mit mir meinte, nahm sich meiner an. Er war Schulreiter und hieß Koralli. Ich heirathcte seinen Sohn und wurde Kunstreiterin." Und während sie mit der verschleierten, resignirten Stimme die Tragödie ihres Lebens erzählte, klang auS dem geöffneten Nebenzimmer das Wimmern und unter drückte Schluchzen eines kleinen Kindes, und über eine alte Wiege beugte sich ein aufgedunsenes Gesicht mit blöden Angen, und eine knöcherne Hand fuhr mit deu langen Fingern über die Betten dahin. „Unser Jüngstes!" sagte Fran Koralli, und das Er- röthen, das über ihr melancholisches Gesicht zog, gab diesem ein fast mädchenhaftes Ansehen. „Das arme Ding, cs kam uns wenig zu paß, aber es ist einmal da. Auch für den Circus geboren. Das unglückliche Geschöpf, und kann doch nichts dafür." „Und die alte Frau?" „Sie ist eine Verwandte meines Mannes. Als die Elli geboren war, nahmen wir sie ins Haus. Sie paßte auf daS Kind auf, wenn wir des Abends arbeiteten, und kochte das Nachtessen. Jetzt ist sie taub und stumpf und ich muß Alles allein thun." „Aber Ihre Tochter hilft Ihnen gewiß." „Nein, die hat nicht Zeit dazu. Ihre Arbeit im Circus ist schwer. Und dazu lernt sie fleißig für Sie, und wie gern sie es thut. Ach, lieber Herr Doctor, wenn Sie wüßten, wie dankbar wir Ihnen sind für die Mühe, die Sie sich mit dem Mädchen geben." „Und doch, meine gute Frau Koralli" — nein, nein! So konnte er es ihr nicht sagen, es wäre zu unbarmherzig geiveseu! Und er rang nach einer milderen Fassung, ihr seinen Entschluß mitzutheilen. Ahnungslos und unbeirrt durch sein verlegenes Stutzen fuhr Frau Koralli fort: „Es ist ja meine letzte, meine einzige Hoffnung. Jeden Abend bete ich zu Gott, daß er sic zu einem tüchtigen Menschen mache, und wenn sie die einfachste Bauernfrau würde und sich durchschlagen müßte durch das Leben mit ihrer Hände Arbeit." Dazu braucht sie doch diese Art von Bildung nicht!" Schnell hatte er es gesagt und härter war cs heraus gekommen, als er gewollt; jetzt erst stimmte er seinen Ton milder: „Und dann, liebe Frau Koralli, hat Ihre Tochter wirklich zu viel im Circus zu thun und ist auch mit ihren Gedanken zu sehr bei ihrer Kunst, als daß sic irgend welche ernstere Neigung für diese Studien haben könnte. Sic hat es mir selbst gestanden. Und weil ich mir unter diesen Umständen von der Fortsetzung des Unterrichtes, in der bisherigen Weise wenigstens, keinerlei Vorthcil ver sprechen kann, bin ich heute selber zu Ihnen gekommen, um Ihnen zu sagen —" Was hatte er gcthan? Er hielt inne. Die Kunstreiterin sah ihn so bestürzt, so ttcftranrig an. Die Thräncn, die sic bis dahin mühsam zurückgehaltcn, rannen ihr jetzt über die abgehärmten Wangen. „Servus, Servus!" klang cs da mit einem Male dicht neben ihnen, nnd Herr Koralli in modern geschnittenem, auffallendem Reitermantel, die rothen Glacöhandschuhe lässig in den gepflegten Händen schwenkend, trat lautlosen Ganges in das Zimmer. „Servus, mein Schatz, Servus! Ach, Herr Mollinar, welch' eine Ebre! Willkommen hier, herzlich willkommen. Primitive Wohnung, natürlich nur vorläufig! Habe eben neue angesehen mit besseren Zimmern und Alcovcn nach der Straße zu, werden uns dann einmal die Ehre geben, den Herrn Doctor einznladen. Aber jetzt ein Gläschey
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