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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020813023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902081302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902081302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-13
- Monat1902-08
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Während eine Untercommission von sieben Mitgliedern bereits am 18. September ihre Thätigkeit zur Redaction der Beschlüsse und BerathunzSergebnisse der ersten Lesung aufnimmt, tritt die Gesammlcommission vier Tage später, am 22. September, zusammen. Sie wird viel leicht selbst erschrecken, wenn ihr die Untcrcommission die Beschlüsse der ersten Lesung, sorgsam geordnet, vorlegt; denn ein so wundersames Machwerk wie das, was sie in erster Lesung zu Stande gebracht, hat vielleicht noch keine Reicds- tagscommission geliefert. Zum Theil mag daran die Schuld der Wechsel tragen, der wiederholt im Personalbestände der Commission vorgenommen werden mußte, zum größten Theil aber ist die Verworrenheit der Beschlüsse die Folge der un klaren Stellung, welche die meisten Fraktionen der Vorlage gegenüber einnehmen. Infolge dieser Unklarheit, die sich noch steigerte durch allerhand Gerüchte über Regierungsabsichten und durch Verständigungsversuche und Zerwürfnisse einzelner Gruppen, wechselte die Stimmung der Commission wie das Wetter in diesem glorreichen Sommer. Ohne verständlichen Grund wurden hierPositionen des TarijS erhöht, dort herabgesetzt, und wenn die deutschen Unterhändler mit dem Tarife, wie ihn die Commission in erster Lesung „verbessert" hat, denen des Auslandes gegenüber treten sollten, so würden sie in der ersten Woche die Erfahrung machen, daß auf Grund einer solchen Unterlage neue und günstigere Handelsverträge schlechterdings nicht zu erreichen wären. Dieses fast negative Resultat der langen ersten Commissionsberalhung ist aber der Sache vielleicht dienlicher, als manche Pessi misten glauben. Die Commission muß, wenn sie ihr Mach werk im Ganzen überblickt, zu der Ueberzeugung kommen, daß sie, ohne sich bis auf die Knochen zu blamiren, dieses Opus nicht dem Plenum, geschweige denn den verbündeten Regierungen bieten darf, und die einzelnen Gruppen, der Bund der Landwirthe nicht ausgeschlossen, werden sich dieser Ueberzeugung gleichfalls nicht verschließen können. Beginnen nun zunächst in den einzelnen Fractionen und dann von Fraktion zu Fraktion die VerständizungSversuche, so wird sich mehr und mehr Herausstellen, baß eine Verständigung nur möglich ist, wenn in den wesentlichsten Punkten auf tie Regierungsvorlage zurückgegangen wird, die zweifel los — von einigen Mängeln abgesehen — die Mitte zwischen den extremen Forderungen der verschiedenen zoll- sreundlichen Gruppen bildet. Für so ganz aussichtslos, wie viele Blätter, halte» wir also die weiteren Verhandlungen nicht; auch deshalb nicht, weil das „ausschlaggebende" Centrum darauf bestand, daß die Commission in ihrer gestrigen Sitzung noch über den Antrag der klerikalen Mitglieder berieth, auS den Mehreinnahmen infolge der Erhöhung der LandwirthschaftSzölle einen Fonds zu schassen, mit dessen Hilfe spätestens zum 1. Januar 1910 eine Arb eiler- Wittwen- und Waisen-Versicherung eingerichtet werden soll. Man sucht doch keine Verwendung für bas Fell eines Bären, dessen Erlegung man nicht herbeizusühren denkt. Der Antrag wurde nun zwar ebenso wie die social- Lemokratischen auf Aufhebung der Salz-, der Branntwein- und der Zuckersteuer abgelehnt, weil die Mehrheit der Com mission sich sagte, daß erstens noch gar keine Klarheit über die finanziellen Ergebnisse des festzustellenden Tarifs herrscht und daß zweitens, wenn diese Ergebnisse wirtlich günstig sein sollten, die Finanzlage des Reiches und der meisten Einzel staaten viel zu schleckt ist, um eine Verwendung von Mehr einnahmen zu anderen als Finanzreformzwecken zu gestatten; aber wenn im Herbste sich heraussiellt, daß die Geldklemme in der NeichScasse sowohl, wie in Len Cassen der Bundes staaten noch gewachsen ist, so werden die Herren im Centrum sich doch wohl sagen, daß eS ein eben so gutes wie nützliches Werk ist, wenn sie den Bären Zolltarif zur Besserung der ungünstigen Finanzlage erlegen Helse» Wiederholt haben wir darauf hingewiesen, daß das Ccn- trum und die Welsen für alle Annäherungsversuche des Bundes der Landwirthe nichts übrig haben als Holm. Diese Thatsache tritt wieder angesichts der bekannten Erklärung der „BundeScorrespondenz", worin das Bedauern darüber ausgesprochen wird, daß der Bund sich genöthigt gesehen habe, gegen das ihm sonst so nahestehende Centrum im Wahlkampfe Partei zu ergreifen, deutlich hervor. Das welfischc Hauptorgan nennt diese Abbitte ebenso lächer lich wie beschämend und spricht die Hoffnung aus, daß das Centrum dem Bunde keine Absolution cr- tbeilen werde. Diese Hoffnung bat sich schnell erfüllt; die „Köln. VotkSztg." hat für die Abbitte nur zwei Worte, die aber deutlicher sind, als es ganze Artikel sein könnten, näm lich die Worte „Faule Redensarten"! Ter Ausdruck ist hart, aber nicht unzutreffend. In derselben Weise hätte sich Ludwig XIV. im Jahre 1693 entschuldigen können, Laß er genöthigt gewesen wäre, durch seinen General Mülac die Pfalz verwüsten und LaS Heidelberger Schloß zer stören zu lassen. Die einzige „Nölhigung" für den Bund der Landwirthe, in dem Lieber'scheu Wahlkreise einen eignen Candidaten aufzustellen, kann doch wohl nur darin bestanden haben, daß weder der CentrumS- candidat noch der nationalliberale Bewerber auf dem extremen Standpunkte des Bundes in der Zollfrage standen. Reichte aber dieser Grund für eine eigene Bundescandidatur aus, so müßte der Bund der Landwirthe bei den nächsten NeichStagswablen in allen CciitrumSivahlkreisen Candidaten aufstellen, zum Mindesten im Rheinlante, in Westfalen und in Oberschlesien. Tie „Köln. Vslksztg." ermahnt soeben ihre Partei zur Einigkeit in dem entscheidenden Stadium der Zollfrage. Eö ist aber ganz klar, daß diese Einigkeit niemals auf dem extremen Boden der händlerischen Forde rungen, sondern nur auf einer mittleren Linie erfolgen kann, wofern nicht das Centrum die Neigung verspürt, seine industriellen Wahlkreise im Westen und im Osten LeS Reiches der Socialdemokratie in Lie Hände zu spiele» Der Vorschlag der dänischen Regierung zur Re vision der isländischen Verfassung von 1874 ist jetzt in der Kopenhagener „Ministerialzeitung" veröffentlicht worden. Er ist nach den Grundsätzen aufgestellt, welche nach der im Januar dieses Jahres von König Christian an die Isländer gerichteten Botschaft bei der zu schassen den Selbstverwaltung zn Grunde gelegt werden sollten und damals die Forderungen der Isländer noch nm ein Bedeutendes übertrafen. Nach dem Entwürfe hat — wie der „Schles. Ztg." geschrieben wird — der König selbstverständlich auch ferner die höchste Gewalt über Is land und übt dieselbe durch einen Minister aus. Dieser darf kein anderes Ministerium verwalten und must is ländisch sprechen und schreiben können. Er soll in Reykjavik wohnhaft sein, sich aber, so ost es erforderlich ist, nach Kopenhagen begeben, um im Ltaatsrath Gesetz entwürfe und wichtige Regieruugsangelcgcnheiten vorzu legen. Der Minister bekleidet die Posten, welche bisher der Gvuvernenr inne hatte, und er ist dem Althing für seine Regierungshandlungen verantwortlich. In jedem zweiten Jahre beruft der König ein ordentliches Althing, welches ohne königliche Genehmigung nicht länger als acht Wochen versammelt sein darf. Das Althing besteht aus 34 vom Volke gewählten und sechs vom Könige ernannten Mitgliedern. Es ist in zwei Abtheilungen, die obere und dte untere, getheilt, deren erstere 14 und letztere 26 Mit glieder zählt. Wahlrecht zum Althing besitzen alle Land leute, welche kommunale und andere öffentliche Steuern entrichten (sind sie durch besondere Bestimmung von Steuern befreit, so verlieren sie dadurch nicht ihr Stimm recht); ferner alle männlichen Personen in den Städten und auf dem Lande, welche nicht in persönlichem Dienst verhältnis; stehen, falls sie eine Gemeindesteuer von min destens vier Kronen jährlich zahlen; endlich alle Beamten und solche Personen, die ein Eramen auf der Univkrsität, dem geistlichen Seminar oder der Medieinalschule in Reykjavik oder auch ein anderes öffentliches Eramen ab gelegt haben, sofern sie nicht in einem persönlichen Dienst verhältnis; stehen. Bedingung für das Wahlrecht ist ferner, oast der Betreffende ein Lebensalter von 25 Jahren er reicht hat, guten Leumund, sowie die Dispositionsfähigkeit über sein Vermögen besitzt und nicht Unterstützung aus öffentlichen Mitteln bezieht — oder bezogen hat, sofern solche nicht wiedererstattct worden ist. Das ordentliche Althing tritt jedes zweites Jabr am ersten Wochentage des Juli zusammen, wenn der König nicht einen anderen Zeit punkt bestimmt. Unmittelbar nach dem Zusammentritt wird das Budget für die nächste zweijährige Periode vor gelegt. Dieses Budget must in beiden Abtheilungen des Things in je zwei Behandlungen angenommen werden!. Wird auf diese Weise keine Einigkeit erzielt, so erledigt das Gesammtthing die Vorlage in einer einzigen Behandlung. Der Minister für Island hat Litz im Althing, jedoch kein Stimmrecht, falls er nicht Abgeordneter ist. Er kann sich im Thing vertreten lassen. In den Motiven zur Vorlage heißt eö nntcr Anderem, das; der im vorigen Jahre vom Althing angenommene Vcrfassnngsenkwurf für Island die königliche Genehmigung erhalten wird, wenn das Thing darauf besteht und den Entwurf jetzt abermals an nimmt. Da aber die Regierung Kenntnis; davon habe, das; in Wirklichkeit die Wünsche der Isländer sich weiter erstreckten, als auf den vom Althing vorläufig genehmigten Entwurf, io habe die Regierung ihrerseits den vorstehen den, bedeutend weiter gehenden Vorschlag ansgcarbeitet. Ueber den bevorstehenden Sturz des ökume nischen Patriarchen Joachim III. wird uns aus Kon st antinvpel, 10. August, geschrieben: Der ökumenische Patriarch Joachim III., an dessen vorjährige Wiederwahl sich so grvstcErwariungen geknüpft hatten, wird wahrschein lich wegen heimlich gegen ihn gerichteter Jntriguen in kurzer Zeit von seinem Amte freiwillig zurücktreten. Der Kirchcnfürst fängt schon an, an der Durchführung der von ihm übernommenen Aufgabe zu verzweifeln, da er von einer sehr mächtigen Stelle aus alle seine Bemühungen planmäßig bekämpft sieht. Als er die Wiederwahl zum Leiter des Patriarchats annahm, ist er nicht von persön lichen ehrgeizigen Absichten geleitet worden; sondern er hatte den Versuch machen wollen, die innere Kirchen organisation so weit zu kräftigen, das; sie ihrer Aufgabe als leitende christliche Eulturmacht im Orient wieder ge recht werden könne. Zu diesem Zwecke aber brauchte er die Mitarbeit aller Glieder der Kirche, während er jetzt leider erkennen muß, daß zahlreiche Bischöfe seinen Re- fvrmvorschlägen einen bis zur Gehässigkeit ausartendcn Widerstand entgegensetzen. Diese Bischöfe sehen freilich nicht ein, daß sie mit ihrem Verhalten nur die geheimen Pläne der grundsätzlichen Feinde der griechischen Kirche unterstützen. Das Haupt der gegen Joachim III. ar beitenden Partei ist der frühere Patriarch Niko demus von Jerusalem, welcher sich auf der Insel Ehalkis im Marmarameere aufhält. Der Letztere harte sich in seiner früheren Stellung wegen seiner ausgesprochen r u s s e n f r e u n d l r ch e n Haltung unmöglich ge macht, und man weist, dast er auch heute noch enge Be ziehungen zu russischen Stellen unterhält. Insofern wird die jetzige Feindschaft gegen Joachim offenkundig von russischer Seite unterstützt, da sich der jetzige Parriarch gegenüber den neuen Plänen der russischen Politik völlig ablehnend verhält. Es wird nämlich von russischer Seite darauf hingcarbeitct, das bulgarische Schisma auf- zuhcbcn, was den Erfolg haben würde, das; mehrere bul garische Bischöfe in die Heilige Synode der griechischen Patriarchatskirche ausgenommen werden müßten. Dann aber würde sehr bald die Synode mitsammt dem Patri archat gänzlich dem Slawenthnm ausgelieferr sein. Hierin liegt die Bedeutung der jetzigen Patriarchatskrisis nnd würde somit der Rücktritt Joachim's III. einen wesentlichen Erfolg der russischen Kirchenpropaganda im Orient darstcllcn. Nikodemus wnstte schon für seine Zwecke gegen Joachim III. drei einflnstrciche Mitglieder der Hei ligen Synode zu gewinnen, nämlich die Metropoliten Joachim von Tanthi lZenitze), Jeronnmus von Kallipoli nnd Nikifvros von Zititza, ferner die Metropoliten Ehry- svstvmns von Drama und Apostolos von Stavrupolis, Letzterer ist zugleich Direktor der Theologieschnle zu Halki. Außerdem sind noch mehrere Laien, frühere Anhänger des Patriarchen Joachim ins feindliche Lager übcrgetreten, so daß des Letzteren Stellung als ernstlich erschüttert gilt. Deutsches Reich. ^.)1.6. Berlin, 12. August. (Anheuerung und De sertionen von deutschen Schiffsleuten.) Mit dem 1. April Les nächsten Jahres tritt neben der Seemanns ordnung u. A. auch Las Reichsgesetz, betreffend die Stellen vermittelung für Seeleute in Kraft. Durch dieses Gesetz wird den Behörden die Handhabe geboten/j den Geschäftsbetrieb der Heuerbase eingehend zu über wachen. Die Bundesseestaaten widmen dieser Angelegen heit bereits eingehende Beachtung, und so steht zu er warten, daß die Frage möglichst einheitlich für das deutsche Reich geregelt wird. Eine solche Regelung erscheint schon nothwendig, nm einen möglichst einheitlichen Gebühren tarif festzusetzen. In Wielen Hafenstädten werden die Gebühren für Anheuerung eines Schiffsmannes noch von diesem allein ge tragen, während in anderen Städten, namentlich dawo einzelne Nhedereien oderNbedereivereinigungen Heuerburcaus eingerichtet sind, jedenfalls ein Theil der Kosten von der Nhederei aufgebracht wird. Die Summen, welche von den Seeleuten, falls diese allein die Kosten der Stellenvermittlung übernehmen, auf zubringen sind, sind manchmal nicht unbeträchtlich. Wie man in anderen Berufsständen danach strebt, diese Lasten gleichmäßig auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu ver- theilen, bezw. die Stellenvermittelung für den Arbeitnehmer unentgeltlich zu machen» so sollte bei der Regelung dieser Feuilleton. Das Fraulein von Saint-Sauveur. 9j Roman von Groville. (Nachdruck verboten.) Zehntes Capitel. Es war am Dienstag, gegen drei Uhr Nachmittags, als Herr und Frau Ehantefleur der Victoria entstiegen, die sic von der Bahn abgeholt hatte, und ihrlen feierlichen Einzug in das Schloß ihrer Base hielten. „Sie weiß nicht einmal, mit welchem Fuß man vom Wagen steigen muß", sagte Nvlande zu ihrer Mutter, mit der sie hinter einem Vorhang versteckt war. „Die Leute werden sich nicht behaupten können." „Na ja!" versetzte die Mutter. „Ich wußte es auch nicht und Du wußtest cs ebensowenig.. Man hat es Dich gelehrt, als Du noch klein warst, und dije Beiden werden es auch erlernen." Und damit schritt sie durch den Salon den Ankommen den entgegen. Die beiden Ehegatten waren sehr erregt und suchten ihre Erregung hinter einer steifen Haltung zu verbergen. Er war groß und hielt sich ganz stattlich; denn (ehemals war er gewesen, was man einen „schönen Menschen" nennt; sie war ein wenig wohlbeleibt, blond, bleich, hatte kaltblickendc Augen, die wie Kohle glänzten, und ein ganz merkwürdiges Gesicht; denn wenn man dasselbe von vorn betrachtete, so wies es nichts besonders Unange nehmes auf; dagegen erinnerte ihr Profil an das der elastischen Gorgone, noch verschärft durch einen sperber artigen Ausdruck, der ihm anhaftete. Langsam schritten Beide über das glatte Parquet, steif, gleich zwei Holzpfählcn, gleichsam erstarrt in der feier lichen Haltung, die sie für äußerst vornehm halten mochten. Die Begrüßung entsprach allen Anforderung!«!». Der Mann hatte eine gute Erziehung genossen, deren letzten Uebcrreste noch nicht ganz verschwunden waren. Seine Frau, die sich ganz nach ihm richtete, war fest entschlossen, lieber nicht eine Silbe zu sprechen, als eine Dummheit vom Stapel zu lassen; denn gleich allen einfältigen Men schen besaß sie einen ungeheuren Stolz und sic glaubte, du«ch eine anmaßende Miene sich mehr zur Geltung bringen zu können. „Liebe Nichte, lieber Neffe", sprach die Schlvßfrau von Tournelles mit großer Würde, ,^es freut mich, Sie bei uns zu sehen." „Weshalb hast Du uns nicht eingeladen, als wir nichts hatten?" fragte sich Frau Ehantefleur in aller Stille und neigte den Kopf mit der Anmuth eines Pfahles, der mitten entzweibricht. „Sie sind sehr gütig, Tantle", erwiderte Ehantefleur eisigen Tones. Nolande trat einen Schritt vor, drückte ihrer Base die Hand, nach englischer Manier, und ließ sie dann gleich einem unnützen Gegenstand los. Dieselbe Ecrcmonde vollzog sich mit dem Vetter, worauf sich alle vier Personen gegenseitig anblickten. „Wollen Sie sich auf Ihre Zimmer begeben, um sich von den Reiscstrapazcn ein wenig auszuruhcn?" fragte Aolande, nachdem alle Hilfsmittel bereits erschöpft waren. „In einer halben Stunde wird der Thee hier auf getragen und werden Sic sich bis dahin bereits umge- kleidet haben . . . Ich werde Sie führen." Und ohne eine Antwort abzuwarten, schritt sie voraus, die Heiden Gatten folgten ihr wie in einer Procession und stiegen die Treppe steif wie der steinerne Gast aus „Don Juan" hinauf. Die Tochter des Hauses begleitete die Gäste in zwei Helle, schöne Zimmer, die einzigen nebst denen ihrer Mutter, die nicht mit englischem Mobilar ausgcstattet waren. Sie hatte sich gedacht, das; cs angezeigt wäre, die mit einem Male entdeckten Verwandten nur allmählich in die Schönheiten des Aesthetischen cinzuführcn, start sie ur plötzlich mit derselben zu überraschen. „Nun lasse ich Sie allein", sprach sie. „Hier sind Ihre Koffer. Mit dem Gong wird das Zeichen zum Thee ge geben." „Mit was?" fragte Fran Ehantefleur. V «Mit dem Gong", wiederholte ijhr Gatte. „Schon recht, Nolande, ich danke Ihnen." ! Nvlande blickte ihn an. Er nannte sie schon jetzt so ohne Weiteres bei ihrem Vornamen? Doch schließlich, wie hätte er sie sonst nennen können? Hätte er „liebe Base" fügen sollen? Das wäre doch recht spießbürgerlich ge wesen .... „Trotz seiner steifen Außenseite gcberdete er sich sehr vertraulich", sagte sie sich. „Ließen wir ihn gewähren, so würde er uns ans der Hand fressen; doch werde ich schon Ordnung machen", fügte sic nach dieser zartfühlenden Be merkung im Stillen hinzu und ging. „Hör' mal, Eölestine", wendete sich Ehantefleur an seine Fran, sobald er mit ihr allein war; „ich hatte Dir doch eingcschärft, die Worte, die Tu nicht verstehst, ja nicht zu wiederholen." „Laß mich doch zufrieden", erwiderte sie achselzuckend. „Du willst durchaus, ein jeder möge mich für eine Gans halten." „Du wirst weit eher für eine Gans gehalten, wenn Du die Leute merken lässest, das; Du absolut nichts verstehst." „Als Tu mich gcheirathet hast, war ich Dir klug und gebildet geling . . ." „Ich habe Dich weder Deiner Klugheit, noch Deiner Bildung wegen gcheirathet, Eölestine. Wenn Tn als der „feinen Welt" angehörig erscheinen willst, so darf kein Mensch eine Ahnung von Deiner Herkunft haben, lind wir müssen „Sic" zn einander sagen. In der feinen Welt sagen die Ehegatten immer nur „Sie" zu einander." „Lassen Sic . . . Sie . . . mich zufrieden. Tu machst mich wüthcnd! Ich habe Geld und werde thnn, was mir beliebt." „Aber dann hätten wir ja nicht hierher zu kommen brauchen, um uns die Manieren der feinen Welt anzu eignen! Deine Tante benimmt sich sehr freundlich, und denke ich . . ." „Das will ich meinen! Wir entstammen ja derselben Familie! Wenn ich Schneiderin war, so war sic Wirth- schastcrin; so gleicht sich eines mit dem anderen ans. Auch verdrießt cs mich, ewig diese steife Haltung beiznbehaltcn, weißt Tu!" i „Lo kehre zu Deinem Wischlappen nnd Kochlöffel zu rück!" rief Ehantefleur aus, seine gekünstelte Haltung mit einem Male vergessend. Ein langgczogcncs, dröhncndesWimmern zitterte durch die Luft, das; die Fensterscheiben leise zu klirren begannen. „Großer Gott, was ist denn das?" rief Eölestine entsetzt ans. „Das ist der Gong, verstehst Dn? Und nun vorwärts! Und daß Du mir so wenig wie möglich sprichst!" Um die zn nnvcrbosftcm Ncichthnm gelangten Ver wandten würdig zn empfangen, hatte Nvlande ihre ästhe tische Kleidung abgelegt nnd sich wie andere junge Mädchen gekleidet. Vor dem silbernen Thcekesscl sitzend, goß sie den dampfenden Trank in die feinen, buntbemalten Tassen aus chinesischem Porzellan, das durchsichtig war wie Eier schalen. Der etwas schreiende Luxus, den die Frau des Hauses liebte, und der absichtlich überall gedämpft ward, kam in diesen zum täglichen Gebrauch bestimmten Gegen ständen um so aufdringlicher zur Geltung. Alcide Ehantcflenr wußte keinen Bescheid in Dingen, zu deren Benrtheilung einiges Kunstverständnis; erforder lich war; allein, er kannte denWerth reinen Silbers, denn er hatte früher wiederholt mit dem Pfandlelhamt zu thnn gehabt, wenn er die silbernen Bestecke, die man ihnen ge schenkt hatte, verpfänden mußte. Eben deshalb ward er auf der Stelle von geringschätzendem Mitleid für die Schlvßhcrrinncn von Tvnrnellcs erfaßt, die sich Porzcllan- ,tasten bedienten, während ihre Mittel ihnen doch die ausschließliche Benützung von Silber gestattet hätten, selbst wenn cs vergoldet gewesen wäre. Wenngleich jeglicher Verdienste entbehrend, besaß er eine gewisse Kenntnis; der gesellschaftlichen Sitten und Gebräuche, und im Stillen sagte er sich, daß, wenn er anderthalb Millionen in Baarem und Landgütern besäße, er ganz gewiß eine bessere Ver wendung für sein Geld fände. . So lange der Thee in den Tassen vorhielt, genügte das Klirren der silbernen Löffel und das Hcrumreichen des Thccgcbäcks, um die nothdürftige Unterhaltung im Gange zn erhalten. Sie stockte aber, als Nvlande ge klingelt hatte, um abränmen zn lassen. „Das wird fürchterlich amüsant werden", sagte sic sich dabei, „wenn cs nicht gelingt, den Leuten den Lclmabct zu öffnen. Mama", wendete sic sich an diese, „ick werde meiner Base den Park zeigen. Kommst Du mit uns?" Die Nvtarswittwc war keine begeisterte Fußgehcrin, dafür aber batte sic eine solche Angst davor, ibre Tochter mit Eölestine allein zu lassen, daß sie sich auf der Stelle erhob. Die vier Personen stiegen die wenigen Stufen hinab, die von der Terrasse in den Park fübrten, und ohne daß Nvlande zu sagen gewußt hätte, wie es tam, war Eölc- stine mit ihrer Tante alsbald durck eine beträchtliche Entfernung von ihr getrennt, während Ehantefleur gleich sam als ihr Ritter an ihrer Leite verblieben iv-ar. Sie war damit ganz zufrieden; denn sie beschloß, ihn gründlich ansznfragcn, nm Alles zn erfahren, was sie zn misten wünschte. Doch sic batte einen geriebenen Gegner vor sich, nnd nach Ablauf einer Stunde, während welcher sie Ihm Alles gesagt batte, was er erfahren wollte, mußte sie so gut mic gar nichts von ihm, außer daß er ein großer Freund der Pferde und Hunde sei, das; er die Wettrennen besuche und in den Rennwetten sehr gut Bescheid wisse.
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