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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020815011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902081501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902081501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-08
- Tag1902-08-15
- Monat1902-08
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Morgen-Ausgabe. MWM.TaMM Anzeiger. ÄmisUatt -es Königliche« Land- und Amtsgerichtes LeWg, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Freitag den 15. August 1902. Anzeigerr-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 2L «eclame» mrtrr de« Stedaetümsstrich (^gespalten) 75 vor deu Famllttmmch- richt« («gespalten) 50 H. Labellarischer «ad Htffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisung« and Offertenauuaym« LS (exel. Porto). Extra-Vetlog« (gefalzt^ «ar mit der Morg«»Au-aab«, oha« PostbefSrderuug ^il 60.-^, mit Postbesörderung 70^—. Annahmrschluß für Anzeige« Lbead-AnSgaber vormittags 10 Uhr. Morgea-Lasga-a: Nachmittags 4 Uhr. Tnzetgm Pad stets aa dm Expedition za richt«. Die Expedition ist Wocheataas aaaatechrocheu geöffnet vo» früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag voa E. Pol- i» Leipzig. S6. Jahrgang. Bezugs-Preis i» der Haupleipedittou oder den im Stadt» bezirk und den Vorort« errichteten Aus» gabestellen ab geholt: vierteljährlich 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- ^l 5.50. Durch die Post bezöge« für Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich S, für die übrigen Länder laut Zeitung-Preisliste. Redaction und Erpedition: Johaanisgaffe 8. Fernsprecher 153 und WL FiitatoNpodittMu« r Alfred Hahn, Buchhaudlg^ Uaiverfltütsstr.S, L. Lösche, tkathartueupr. 14, a. KöntgSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehleaerstraß, S. Fernsprecher Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Lerlin: tköuiggrätzerstraße IIS. Fernsprecher Amt VI Nr. S3SS. Nr. 412. Der König von Spanien vnd die Reliquien von Oviedo. 8. Daß es im dunklen Spanien, dem Lande des Aber glaubens und der Inquisition, nachgerade anfängt, selbst in religiösen Dingen etwas aufzuleuchten, beweisen fol- gende Notizen, die dem „Jmparcial", dem am weitesten verbreiteten politischen Blatte Spaniens, ent nommen sind. Dasselbe berichtete am 4. August dieses Jahres über -es Königs Besuch in der Kathedrale zu Oviedo, die einen ansehnlichen Reltquienschatz be sitzt, in dem sich unter Anderem ein Stück von dem Stabe befindet, mit dem Moses das Nothe Meer schlug, ferner die rechte Schuhsohle des Slpostels Petrus, ein Stück von dem Grabe des Lazarus und einige Brocken von der Speisung der SOM; außerdem giebt es dort, wie der ge druckte Bericht besagt, noch viele andere Reliquien, „deren Zahl Gott allein weiß". Ferner erklärt der officielle Be- richt, daß alle die, welche diese herrlichen Stücke besuchen, den Erlaß des -ritten Theiles der für ihre Sünden ver dienten Strafen erhalten; außerdem gewinnen sie 1004 Jahre und 6 Quarantänen Jndulgenz. „Mit diesen Gütern hat die göttliche Barmherzigkeit diese heilige Kirche bereichert." Natürlich bringt das viel Geld ein. Bei der Besichtigung der in der Kirche aufbewahrten Reliquien, wobei ihm der Bischof als Cicerone diente, fragte der König nach dem berühmten Engclkreuz. Der Bischof zeigte es ihm. Daraufhin fragte der König weiter, warum man es das Engelkreuz nenne; der Bischof ant wortete: „Weil man sagt, daß die Engel es als Belohnung für Alphons den Keuschen angefertigt hätten." König: „Gut, aber worauf stützt sich denn dieser Glaube?" Bischof: „Majestät, auf nichts. Die Zeiten der Legenden gehen zu Ende." Nachher zeigte der Bischof dem Könige einen kleinen, verschlossenen Schrein von sehr hohem Alter. Der König fragte, warum er geschloffen sei. Bischof: „Es besteht eine Ueberlieferung, daß der jenige, der den Schrein öffnet, eines plötzlichen TodcS sterben werde." König: „Nun, ich würde ihn ohne Bedenken öffnen " Bischof: „Auch ich, Majestät, aber ich habe ihn nie geöffnet, einfach, weil kein Schlüssel dazu existtrt.. Am S. August kam derselbe „Jmparcial" in einem Leitartikel auf diesen Dialog zurück, der mittlerweile natürlich großes Aufsehen in der Presse und in anderen Kreisen gemacht und manche Erörterungen hervorgerufen hatte. Unter dem Titel „Ein merkwürdiges Gespräch" weist er die strafenden Bemerkungen eines klerikalen College« zurück und nimmt den jungen König in Schutz gegen den Borwurf, daß er seinen gesunden Menschen verstand auch in religiösen Dingen nicht aufgebe. In dem Artikel heißt eS: „AuS den Commentaren des „Correo Espavol" über das Gespräch, welches der König mit dem Bischof in der Kathedrale von Oviedo vor dem Engel kreuze und vor einem sehr alten Schreine hielt, kann man sich ein Bild machen von dem, was das Spanien der Vergangenheit war und was das Spanien der Zukunft sein sollte, nach -en Plänen gewisser lichtscheuer Geister. In diesem Gespräch wollte der König, indem er dabei sein gesundes Urtheil und eine lobcnswerthe und nützliche Wißbegier bekundete, welche das Reffen als eine Quelle unerschöpflicher Belehrung ansieht, den Grund erfahren, warum man jenes Kreuz als von den Engeln verfertigt ansieht; und er gab seinem Erstaunen und Zweifel Aus druck, oder, besser gesagt, er erklärte es für unmöglich, baß das Ocffnen eines Schreines -en Tod dessen, welcher ihn öffnet, zur Folge haben könnte. Und der Bischof von Oviedo, in vernünftiger Erkenntniß, rcducirte die zwei Legenden auf ihr richtiges Verhältntß. „KurioS" nennen wir dieses Gespräch. „Traurig" nennt es der „Correo ESpaüol". Traurig? Warum? Wie sollte denn das ein Grund für Traurigkeit fein, wenn die Träume des großen Haufens, durch die ja oft der Hauch der Poesie weht, nicht als Glaubenssachc oder Glaubensartikel betrachtet werden? Die Worte deö Königs zeugen nicht vom Geiste Voltaire's: sie beweisen einfach seinen gesunden Menschen verstand und weiter nichts. Wenn man Alles annehmen wollte, was eine hysterische Betschwester erfindet oder zu sehen glaubt und, weil cs interessant oder schön ist, durch Generationen hindurch fortlebt, so würde die katho- lische Religion nichts als einen Haufen von Albernheiten bedeuten, während sie doch in Wirklichkeit ein Gefüge von absoluten Wahrheiten ist. Der „Correo Espaüol" möge sich nur nicht ereifern. Mögen die Herren nur nicht böse werden, welche, wie es scheint, den Spaniern noch jetzt solche Bären aufbinden wollen. Weder sie, noch wer einen mittelmäßigen Ver stand hat, kann glauben, daß beim Oeffnen eines Schreines derjenige, welcher sich dazu untersteht, wie vom Blitz getroffen niederfallen wird. In den Zetten des Mittelalters umgab der Glaube die geheiligten Gegenstände mit einem Nimbus einfacher und kindlicher Poesie. Mit Recht sagte der Bischof von Oviedo, daß die Zeiten der Legenden vorüber sind. Und der „Espaüol" jauch ein gut katholisches Blatt), in seinen beredten Randbemerkungen zu den ehrwürdigen Worten des Bischofs fügt hinzu: „Nur alte Frauen und Kinder bezaubern noch die Erzählungen von Abenteuern, wobei Kobolde und Gespenster ihr Wesen treiben; nur sehr un schuldige Leute ergötzen sich noch an der Erscheinung himm- lifcher Gestalten, welche in die Geschäfte der Menschen ein greifen; die ein Kreuz aufertigen, nm die Tugenden eines Königs zu belohnen, die das Feld eines gottseligen Mannes Ides Schutzpatrons von Madrid) bestellen; — kurzum, nur recht einfältige Seelen glauben, daß man den Schutz des Schlachtengottes durch Aufheben von unbewaffneten Händen erwirkt, wenn die Gefahr näher kommt . . ."" „Auf die Poesie des Jrrthums", fährt der „Jmparcial" fort, „ist die Poesie der Wahrheit gefolgt. Die Tradi tionen, die Legenden, die mystischen Fabeln, welche manch, mal einer unwürdigen, von der Kirche verurtheilten und oft als Ketzerei betrachteten Ausbeutung dienten, bleiben dem Archiv der Poesie Vorbehalten, als Thema für dich- terischc Begeisterung, als historische Dvcumcntc, oftmals voll unbeschreiblichen Reizes. Durch das Verschwinden dieser Legenden, die ja der Kritik der Gottlosen ein leichtes Ziel bieten, kann das inmatcricllc Gebäude des Glaubens nur an Stärke, Festigkeit und Zusammenhang gewinnen. Der König und der Bischof von Oviedo haben in dem interessanten Dialog den Ton der modernen Zeiten an- geschlagen. Um zu glauben, braucht nmn wahrltch nicht dem Verstände seine Rechte abzusprechen/" , , Soweit der katholische „Jmparcial". Nur gut, daß die heilige Inquisition nicht mehr besteht; die ihm nach gesagte Verbindung mit den Jesuiten würde seine Ne- dacteure schwerlich vor dem Feuertode bewahren. Sein Artikel ist aber deshalb von großer Bedeutung, wett er das ausdrückt, was die Mehrheit der gebildeten Spanier denkt. Deutsches Reich. -s- Leipzig, 14. August. Gegen den Reisenden Edo Becker aus Wolfcnbüttcl wurde Anklage wegen Ver- rathes militärischer Geheimnisse erhoben. Der Proceß vor dem Reichsgericht wird, wie wir erfahren, bald nach Beendigung der Gerichtsferien statt- finden. fD Berlin, 14. August. (Bennigsen undLieb- knech t.) Es ist gewiß anzuerkenncn, daß, wie die Presse der meisten Parteien^ so auch die socialistischen Or gane den Tod Bennigsen s im Großen und Ganzen in würdiger und ruhiger Weise besprochen haben. Das wäre aber eine merkwürdige Blume, aus der die socialistischen Bienen nicht Honig zu saugen verstünden, und so sehen wir denn die „Süchs. Arbeiterztg." an der Arbeit, den großen Patrioten und Parteiführer für ihre Zwecke aus- zubeuten, indem sie ihn mit dem socialdcmokratischen Todten, dessen TodeStag letzthin von der social-emo» kratischcn Partei ostentativ gefeiert wurde, Wilhelm Liebknecht, vergleicht; cs versteht sich von selbst, daß dieser Vergleich in allen Stücken zu Ungunstcn Bennig- scn's auSfällt. Der politische Lebenslauf beider habe zwar in der deutschen Einheitsbewegung seinen Ursprung genommen. Liebknecht aber habe wie eilt wilder Sturz bach sich seinen Weg durch die Wildnis; gebahnt, um in dem ungeheueren Strome einer weltgeschichtliche» Bewegung zu münden, während Bennigsen's Laufbahn gemächlich von Teich zu Teich geschlichen sei, um im Sumpfe der arnffeltgsten Realpolitik zu enden. Betrachtet mau 'ne Laufbahn beider Männer vom persönlichen Standpnucte aus, so war der Uebrrgang von dec „Norddeutschen Allgemeinen Zkg." zur Locialdemokratie für den bürgerlichen Liebknecht wohl keine größere Leistung, als die straffe Oppositions stellung, die der Abkömmling eines uralten Adclsge- schlechtes gegen das rcaetionäre hannöversche Herrscher haus und die große Masse seiner Standesgenosscn cinnahm, eine Stellungnahme, durch die er sich eine viel größere Carriörc verscherzte, als Liebknecht sie wohl je hätte machen können, wenn er sich auch von einem Demo- kraten in einen konservativen Mann umgewandclt hätte, statt die entgegengesetzte Wandlung der Socialdemo- kratie zu vollziehen. Der Vergleich vom Stnrzbachc und dem träge dahinschleichendcn Flüßchen ist wohl also nicht ganz zutreffend. Geht man von den sachlichen Ergeb nissen der Lebensbethä'tignng beider Männer aus, so hat Bennigsen in namhafter Weise an der Begründung des Deutschen Reiches mttgcwirkt, Liebknecht an der Begründung der deutschen socialbemokrattschen Partei. Welches von beiden Ereignissen die „weltgeschichtlichere Bewegung" ist, darüber wollen wir ruhig das Urtheil der Weltgeschichte überlassen. Liebknecht's angeblicher großer Erfolg gegenüber den Leistungen Bennigsen's wird von dem socialdemokratischen Organe auf den großen Willen, den er im Gegensätze zu Bennigsen besessen habe, zurückgeführt. Gewiß, von Liebknecht stammt das berühmte Wort „wer nicht parirt, der fliegt hinaus". Bennigsen hat diese Art von Willenskraft allerdings niemals besessen, denn er ließ auch Männer in seiner Partei, die nicht in allen Stücken mit ihm über- etnstimmten, weil er von dem Gvundsatze ausging, baß ebenso wie nach dem bekannten Sprichworts Wohlthätig- keit zu Hause beginnen soll, auch freiheitliche Gesinnung zunächst im eigenen Heim sich bethätigen muß, während Liebknecht gleichmäßig geschorene Schafe hinter sich her trotten sehen wollte. Bennigsen wurde denn auch bis znm letzten Athemzuge von allen Parteifreunden aufs Innigste verehrt, während Liebknecht's letzte Jahre durch die Jntrignen, die ihm aus dem „Vorwärts" heraus graulen wollten, verbittert wurden. Erst nach seinem Tode, als er ja Sttemand mehr etwas anthun konnte, wurde er in einer Weise vergöttert, die die Socialdemo- kraten bei anderen Parteien widerwärtigen Byzantinis mus zu nennen pflegen. L. Berlin, 14. August. (Die Unglückshäufig, keit in -er deutschen und der englischen Handelsflotte.) In der „Socialen Praxis" ver öffentlicht Redacteur Fitger aus Bremen eine inter essante Vergleichung -er Häufigkeit von Unfällen in de2 deutschen und in der englischen Handelsmarine. Zunächst ist mit Genugthuung sestzustellen, daß die Häufigkeit der Todesfälle durch Unglück in der deutschen Handelsmarine sich in den letzten Jahren verringert hat, und zwar sowohl wenn man die Reichsstatistik, die nur -en Verlust von Menschenleben der Besatzung bei Totalverlust des Schiffes berücksichtigt, zu Rathe zieht, als auch wenn man die Zahlen der Seeberufsgenossenschaft, die die Todes fälle überhaupt zusammenrechnet, zu Grunde legt. Nach der Reichsstatistik betrugen die Todesfälle auf deutschen Handelsschiffen bei Totalverlusten pro 1000 Mann Be satzung in dem Jahrzehnt zwischen 1878 und 1885 durch schnittlich 8 Mann, in dem Jahrzehnt 1885 und 1895 durch schnittlich etwa 6 Mann, und in dem halben Jahrzehnt zwischen 1806 und 1900 noch nicht ganz 5 Mann. Nach der Statistik -er SeebcrufSgenoffenschaft sind die Ziffern schwankend; so ist beispielsweise das Jahr 1890 mit 0,10 Todessällen auf 1000 Versicherte unver gleichlich günstiger, als das Jahr 1895 mit 16,4 Todesfällen. Nimmt man aber den Durchschnitt der letzten beiden Halbjahrzehnte, so ergicbt sich in dem Halb jahrzehnt zwischen 1890 und 1895 die Ziffer von 12,57 Todesfällen auf das Tausend, im letzten Halbjahrzehnt nur eine solche von 10,45. Das allergünstigste Jahr ist das letzte Jahr, 1901. mit nur 8 Procent. Auch hiernach also ergicbt sich eine Verringerung des ProccntsatzeS der Todesfälle. Vergleicht man nun die deutschen Todesfälle im letzten Jahrzehnt (1891 bis 1900> mit den englischen, so beträgt der Durchschnitt des Jahrzehnts auf je 1000 Mann Besatzung für Deutschland 11,85, für England 9,35. Dieser Unterschied fällt aber fort, wenn man verschiedene Um- Feuttletsn. Serg- und Seekrankheit. Von vr. msck. F. Bernhardt. Nachdruck verbotr«. Wenn man von hohem Berggipfel aus den Blick in die Runde schweifen läßt, dann überkommt die meisten Men schen, namentlich die eines solchen Anblickes Ungewohnten ein eigenthümliches Gefühl der Angst, in die Tiefe zu stürzen, das nicht selten auch mit dem merkwürdigen Drang wechselt, freiwillig hinabzuspringen; daneben tritt starkes Herzklopfen auf, Beklemmung und ein so heftiges Schwindelgcfühl, daß der Wanderer die Augen schließen muß, damit er nicht wirklich einem Unfall erliege. Manch- mal wird der ungeübte Bergsteiger sogar für einige Zeit unfähig, weitcrzugehen, so daß er geführt oder getragen werden muh, bis er sein Selbstvertrauen wiedergewonncn hat. Man faßt diese Erscheinungen unter dem Namen des Höhenschwindels zusammen; sie haben zweifellos ihren Ursprung in seelischen Vorgängen, in der Unge wohntheit des Anblicks, der cigenthümlichen Leere des Gesichtskreises, welche das Auge erst in weiter Entfernung einen Ruhepunct finden läßt, auf dem cs haften kann; dazu kommt dann noch die Unsicherheit -es Standpunktes auf gebirgigem Boden. Die wichtigsten Sinne, welche der Erhaltung des körperlichen Gleichgewichts dienen, Haut- und Muskelsinn einerseits, das Auge andererseits sind also in ihrem Zusammenwirken gestört, sie functioniren nicht mehr harmonisch miteinander und das nothwendige Resultat ist dann der Höhenschwindel. Ganz ähnliche Erscheinungen können auch auftreten, wenn man sich inmitten einer weiten, öden Fläche findet; namentlich kommt dies bei nervösen Personen in Form der sogenannten Platzangst als krankhafte Erscheinung vor, aber auch Gesunde können unter ungewöhnlichen Verhältniffcü davon betroffen werden, Wüstenreisende wissen von solchen Vorkommnissen zu erzählen. Beson ders leicht treten derartige Störungen auf weiter See auf, wo zu der Leere und Oede des Horizontes auch noch die Schwierigkeit kommt, unter den Schwankungen des Schiffes das Gleichgewicht zu behaupten. So sehen wir denn nainentlich bei Personen, die zum ersten Male auf See sind, Schwindclanfälle auftreten, die sich, wie jeder stärkere Schwindel, mit Nebelkeit und heftigem Erbrechen verbinden können. Angstgefühl, hochgradige Muthlosig- keit, die sich zu vollkommenem Lebensüberdruß steigern kann, sind die Begleiterscheinungen. Die Dauer des Lei- den- ist recht verschieden; bet Bielen tritt schon nach kurzer Zeit erhebliche Besserung ein. bei Anderen yttedcr halten die Beschwerden unter stärkeren oder geringfügigeren Schwankungen während der ganzen Dauer der Seereise an, aber nahezu regelmäßig schwinden alle Krankheitser- scheinungen. sobald -er Reisende wieder festen Boden unter den Füßen fühlt. Wir haben gesehen, wie der Aufenthalt auf beträcht lichen Höhen und auf -em Meere insofern ähnliche Er scheinungen auölöst, als in beiden Fällen Schwindclan fälle auftreten; zweifellos wird aber die Seekrankheit nicht einzig und allein durch -en Anblick der Oede und Leere der Meeresfläche hervorgerufen, wie schon er wähnt, ist auch die Unsicherheit des Standpunktes in Folge der Schwankungen des Schiffes von erheblichem Einfluß, und ferner lehrt die Erfahrung, daß die Er schütterungen durch die Schiffsschraube, das sogenannte Stampfen des Schiffes, eine wichtige Rolle spielen; je heftiger bet unruhiger See das Stampfen, um so schwerer die Äraukheitscrscheinungen, um so größer die Zahl der Leidenden. Es sind also eine ganze Reihe von Momen ten, welche in ihrem Zusammenwirken das eigenartige Bild der Seekrankheit Hervorrufen, und es ist begreiflich, daß die verschiedenen Beobachter bald den einen, bald dem anderen Factor die größere Bedeutung zugcmessen haben. Sehr verbreitet war früher die Anschauung, daß durch das Stampfen des Schiffes eine Erschütterung des Körpers, namentlich der Untcrleibsorgane hervorgcrufcn werde, deren weiterer Folgezustand dann Uebelkeit und Erbrechen sei. Zweifellos sind auch diese Erschütterungen von großem Einfluß, aber sie betreffen nicht allein den Unterleib, sondern ebensowohl auch die nervösen Central organe, Gehirn und Rückenmark. Auch in Muskel- und Hautgefühl müssen jene Erschütterungen Veränderungen Hervorrufen; alle diese Momente lösen dann im Verein mit den anderen oben erwähnten Factoren jene Störun gen des Gleichgewichts mit ihren Folgezuständen aus. So ist also auch die Seekrankheit weniger durch körperliche Störungen im eigentlichen Sinne als durch seelische Vor gänge bedingt und in gewisser Beziehung ein seelisches Leiden; dafür spricht auch schon das beinahe momentane Wohlbefinden, sobald der Reisende das Schiff verlassen hat oder die See wieder ruhiger geworden ist. Der Seekrankheit entspricht in ihrer Entstehung wie in ihren Aeußerungen -er Höhenschwindel, dessen Symp tome in der Regel nur weniger schwere sind. Was man aber „Bergkrankheit" nennt, das ist ein ganz anderes Leiden, welches im Wesentlichen die Erniedrigung des Luftdruckes in beträchtlicheren Höhelagen zur Ursache hat. Mit der Minderung des Druckes, welcher auf dem Körper lastet, kommt es zu einer Erweiterung der Blutgefäße in Haut und Schleimhäuten, die Gefäße füllen sich stärker an und nicht selten treten Blutungen auf aus der Haut, Zahnfleisch, Nase, Ohr und selbst auS den Lungen. Auch das Trommelfell wölbt sich bei der Abnahme des äußeren Luftdruckes stärker nach außen, Schwerhörigkeit und Ohrensausen stellen sich ein, weiter macht sich ein Gefühl der Beengung merkbar, während andererseits Muskel bewegungen leichter von Statten gehen, so daß das Kraft gefühl zunächst erhöht erscheint. Von besonderer Wichtig keit ist aber der geringere Sauerstofsgehalt in den dünne ren Luftschichten; in Höhen von 2000—2500 Meter ist der Gehalt an Sauerstoff schon um in 5000 Meter gar auf die Hälfte herabgesetzt, das müßte an und für sich zu einer Stockung der inneren Gewebeathmung, zur Herabsetzung des Stoffwechsels, der Ernährung und aller übrigen Lcbcnsfilnetionen führen. Glücklicher Weise verfügt aber unser Organismus über vorzügliche RcgulirungSeinrich- tungen; indem die Athmung sich beschleunigt und das Herz rascher arbeitet, wird trotz der geringen Sauerstoff menge, welche der einzelne Athemzug den Lungen zuführt, doch schließlich im gleichen Zeitraum das gleiche Quantum dieses Gases zu den Organen geleitet, wie unter gewöhn lichen Verhältnissen, und der Gesunde ist dadurch im Stande, auch in Höhen von 2000—2500 Meter ohne Ge fährdung seiner Constitution zu leben, ja in geeigneten Fällen kann die Anregung des Stoffwechsels im Hoch gebirge sogar günstig auf gewisse Krankheitszustände ein wirken. Auch noch bedeutenderen Höhen vermag der Ge sunde durch allmähliche Gewöhnung seinen Organismus mit der Zeit anzupassen, und jedenfalls sind die eingebore nen Bewohner des Hochgebirges in ihren Gcsundheits- verhältnssen nicht übler daran, wie die Bewohner der Niederungen, man beobachtet sogar gewisse dauernde Ver- änderungen des Organismus, welche wir als Folgen der Anpassung an die besonderen Lebensbedingungen auf fassen müssen. Der Brustraum und die Lungen sind näm lich beträchtlich vergrößert und die freien Adcrhautgc- flechte in den Lungen vermehrt und erweitert. So wird der Blutstrom in diesem Organ verlangiamt, während gleichwohl vermehrte Blutmengen mit der eingeathmeten Luft in Wechselwirkung treten können. Freilich hat auch das Regulirungsvermögen unseres Organismus seine Grenzen, auf Höhen von über 4'" oder 5000 Meter sind auch di: Eingeborenen schwächlich, blutarm, von schlaffer, wenig leistungsfähiger Muskulatur und gegenüber krankheitserregenden Einflüssen weniger widerstandsfähig. Das ist die eigentliche sog. Bergkrank heit, die allerdings nicht einzig nnd allein durch die Min- dcrung des Luftdruckes hcrvorgerufen wird, sondern auch durch die Kälte, die intensive Sonnenstrahlung und die dürftige, wenig zweckmäßige Nahrung, welche unter großen körperlichen Anstrengungen dem unfruchtbaren Boden abgcrungen werden muß. Der an die Verhält nisse der Höhenlagen nicht Gewöhnte wird natürlich noch leichter jenen Einwirkungen unterliegen und auch schon bei dauerndem Aufenthalt in viel geringeren Höhen -er Bergkrankheit in -er Regel zürn Opfer fallen. Mit der Erkenntniß der Entstehungsweise üeS Leidens sind uns auch schon die Gesichtspunkte gegeben zu seiner Verhütung; Heilung ist ja nur dadurch möglich, daß der Kranke in andere Verhältnisse versetzt wird, d. h. daß er vorsichtig und allmählich nach einem niedriger gelegenen Punct übersiedelt. Ebenso ist auch die systematisch^, An passung an die veränderten Lebensbedingungen des Hoch gebirges, -as allmähliche Hvhersteigcn mit vorüber gehendem Aufenthalt auf mittleren Bergen das geeig netste Mittel, um üble Folge» zu verhüten, und das gilt nicht allein für die Bergkrankheit im engeren Sinne, sondern auch für jene oben angeführten vorübergehenden Gesundheitsstörungen, welche beim Besteigen hoher Berg gipfel aufzutrcten pflegen. Es versteht sich wohl von selber, daß überhaupt nur völlig gesunde Personen der artige Wagnisse unternehmen sollten; Herz- oder Lungen kranke, Personen mit brüchigen Arterien und überhaupt mit Neigung zu Blutungen gehen besser nicht über mitt lere Höhenlagen hinaus. Leider ist die Heilkunst bis heute noch nicht in der Lage, für die Vermeidung der Seekrankheit ähnliche feste Grund sätze aufstcllcn zu können. Zwar ist eine Unzahl medica- mentvser Mittel empfohlen worden, thcils zur Linderung der quälendsten Symptome, theils zur Verhütung ihres Auftretens, und zweifellos ist auch das eine oder andere in einzelnen Fällen von günstiger Wirkung. Auch das Tragen einer festen Leibbinde, um die Erschütterung der Gedärme möglichst cinzuschränken, hat sich häufig bewährt; auf Zuverlässigkeit können aber alle jene Mittel und Methode» keinen Anspruch machen. Ein Trost ist es wenigstens, daß in vielen Fällen eine gewisse Gewöhnung stattfindct, so daß bet wiederholten Seereisen die Be schwerden sich mehr und mehr mindern und schließlich auch ganz ausbleibcn. Im Uebrigcn dürfte zweckmäßiges Ver halten an Bord, regelmäßiges Leben, reichlicher Luft genuß, seelische Ruhe, Ablenkung der Aufmerksamkeit von dein ungewohnten Anblick noch am meisten nutzen; die Firirung eines vcrhältnißm.ißig ruhenden Punktes, bei spielsweise eines beliebigen Gegenstandes auf dem Schiffe, soll oft im Stande sein, einen drohenden Anfall zu ver hüten. Vielleicht werden Verbesserungen -er SchiffScon- structton, die das lästige Stampfen während der Fahrt einschränken, mehr Erfolge staben. Versuche in dieser Richtung sind bereits gemacht worden, ohne indcß bisher zu einen, praktisch brauchbaren Resultat geführt zu haben. Vielleicht wird die Technik, die seit -en letzten Dezennien in so mannigfacher Beziehung Hervorragendes geleistet hat, uns auch auf diesem Gebiete noch weiter fördern.
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