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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.09.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020922024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902092202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902092202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-09
- Tag1902-09-22
- Monat1902-09
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (excl. Porto). Extra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung SO.—, mit Postbeförderung 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 96. Jahrgang. Montag den 22. September 1902. Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. September. In Köln haben gestern die über einen Zeitraum von vier Tagen sich ei streckenden Berathungen der Internationalen Bereinigung für geschlichen Arbctterschntz und der Gesell schaft für Sociale Reform begonnen. Au» freier Initiative von Männern aller Berufsstände in- Leben gerufen, können die Internationale Bereinigung und die Gesellschaft für Sociale Reform auf ihrer Kölner Tagung nach langen, müh seligen organisatorischen Borarbeiten an die Beratbung ganz bestimmter Maßnahmen zur Erreichung eine» Arbeiter schutze» in allen Culturländern herantreten. Solch» Maß nahmen sind in erster Linie die Beseitigung der Nachtarbeit für Frauen und die Berringerung der Gefahren in den gesundheitsschädlichen Betrieben. Der Gesellschaft für Sociale Reform hat sich die Arbeiterschaft mit ihren Organi sationen: christliche Gewerkschaften, Hirsch-Duncker'sche Gc- werkvereine, die evangelischen Arbeitervereine, katholische Arbeitervereine, kaufmännische Verbände, Eisenbahnervereine und GastwirtbSgehilfen-Organisationen angeschlossen und zeigt sich unermüdlich thätig, tue Bestrebungen der Gesellschaft zu fördern nur die socialdemokratische Arbeiterschaft hält sich fern und verweigert ihre Mitarbeit zur Erreichung von Zielen, dir in erster Linie, ja fast einzig und allein für die gesammte Arbeiterschaft von Männern aller politischen Par teien und aus allen socialen Schichten erstrebt werden. Dieses au» ungerechtfertigtem Mißtrauen und parteipolitischer Taktik bervorgegangene Beiseitestehen der Socialdemokratie kann indeß kaum auf längere Zeit vorhalten. Es macht sich bei der Socialdemokratie «in bemerkenswerther Umschwung in der Anschauung über die socialpolitische Arbeit und Gesetzgebung in Deutschland und die Mitwirkung der socialdemokratrschen Partei geltend. Durste doch der Abg. Molkenbuhr auf dem socialdemokratischen Parteitage in München die Genossen der Interesselosigkeit au den socialpolitischen großen Gesetzen zeihen, die doch nur gegen die Stimmen der Socialdemokratcn zu Stande gekommen sind! Und er konnte diesmal, ohne Tadel zu erdulde», darauf Hinweisen, daß bereits in den Iabren 1867 bis 1879 vor Allem liberale Männer, wie Hammacher, LaSker, Schultze-Delitzsch, Hirsch, Richter, daun aber auch Männer anderer Parteien, wie Stumm, Diest-Daber und Brauchitsch, Bahnbrecher auf den Wegen der socialpolitischen Gesetzgebung gewesen sind. Er ließ sogar der deutschen Regie rung volle Gerechtigkeit widerfahren mit der Feststellung der Thatsache, daß die Reichsregierung geneigt ist, auf dem Gebiete derReichSversicherungSgesetzgebung weiter zu gehen,vorausgesetzt, daß die anderen Staaten, die mit unserer Industrie concurriren, dem Beispiele Deutschlands folgen. Der socialden.okratischc Abgeordnete Molkenbuhr hat durch seine Mitarbeit an den Geschäften der früheren Commission für Arbeilerstatistik sein socialpolitisches Urtbeil scbulen und reiche Erfahrungen sammeln können. Hierzu wären auch andere socialdemokratische Führer in der Lage, wenn sie sich an Le» Arbeiten der Internatio nalen Bereinigung für Arbeiterschutz und der Gesellschaft für Sociale Reform bctheiligen würden. E» steht ihnen keinerlei Hinderniß im Wege. Wenn eS ihnen wirklich darum zu lhun ist, sociale Gegensätze auSgleichen zu helfen, so können sie sich dieser Mitarbeit nicht entziehen. Ueber Um fang und Zweck des polnischen Rational schatzes in RapprrSwyt, dessen Verwendung für agita torische Zwecke der großpolnischen Propaganda bekanntlich fortgesetzt von den Vertretern de« PolenthumS abgeleugnet wird, finden sich im „Przeglad WszechpolSki" folgende be- merkenswerthe Angaben: „Am 3. und S. August fanden in RopperSwyl Commission»- sitzungen des AufsichtSraths deS Nationalschatze» statt. Der SchatzfondS wächst langsam, aber beständig; er betrug zu Anfang d. IS. 222 385 Frcs. 65 Ctm., die Zinsen davon 8 528,40 Frcs. Nach der Versammlung der Controleure, in welcher der Cassenbestand und die Anlegung der Fonds geprüft und für richtig befunden wurden, beschäftigte sich die Lommiision mit der Unterbringung der Zinjen und überwies die verfügbaren zwei Drittel, im Betrage von 5 685,60 Frc». wie in den Vorjahren der Organisation der Nationalliga." Wie die Mitglieder der polnischen ReichStagsfraction, die, so oft die Zweckbestimmung de» Nationalschatzes in di« Erörterung der polnischen Angelegenheiten hinein bezogen wurde, den Gedanken einer politischen Verwendung der gesammelten Gelder entrüstet von sich wiesen, mit dieser Mit theilung sich abfinden werden, bleibt abzuwarten. Jeden falls dürfte auS der Sacke selbst wie aus dem Umstaube, daß die beiden Vorsitzenden der Schatzcommission in Zürich bezw. Paris ihren Wohnsitz haben, zur Genüge hervorgehen, wo die eigentlichen Leiter und Förderer der deutschfeindlichen Bestrebungen deS PolenthumS zu suchen sind. ES wäre auch durchaus irrig, zu glauben, daß die angegebene Summe die volle Höhe der auö dem Nationalsckatz für Agitationszwecke verfügbaren Geldmittel darstelle. Anläßlich verschiedener Borgänge, in denen die angebliche Vergewal tigung polnischer Landsleute den Agitatoren Anlaß bot, die Hergabe größerer Summen „zum Tröste der Unglück lichen" und „zur Linderung ihrer Nvthlage" anzuregen, sind nach den eigenen Veröffentlichungen der groß polnischen Tageszeitungen so bedeutende Summen aus polnischen Kreisen in aller Welt, besonder« au« Amerika, ein gegangen und in so hohen Beträgen an die verschiedenartigsten organisatorischen Verbände zur Stärkung de« PolenlbumS und zur Förderung seiner Bestrebungen abgefübrt worden, baß dagegen die angebliche Höhe des Nationalschatzes kaum in» Gewicht fällt. Jedenfalls kann man versichert sein, daß es den Schürern der Bewegung gegen das Deuti^thum, wenn alle anderen Mittel zur ferneren Agitation u zur Borbereitung des Kampfes für die LoSreißung der ebemals polnischen Gebietötheile versagen, an finanziellen Mitteln nicht fehlen wird. AuS dieser Erwägung heraus gebietet sich für diejenigen staatlichen Organe, die einen sicheren Schutz deutschen Besitzes und deutscher Arbeit im Osten deS Reiche« gewährleisten wollen, die Bereitstellung ausreichender Mittel zur Abwehr der großpolnischen Be strebungen von selbst. Mau schreibt »ns aus Athen: Allein Anscheine nach wird die Frage der griechischen Heeres-Reorganisation bei der Kammerwahlbcwcgung eine wichtige Rolle spielen. Der „Empros" hat viele Zuschriften erhalten, in denen angeregt wurde, Massenversammlungen zu veranstalten und in Re solutionen, welche der Krone zu übermitteln wären, die m ö g l i ch st rasche Durchführung der HeereSreform zu verlangen. Das genannteBlatt betont, daß dasBvlk nachge rade die Geduld verloren habe, erachtet jedoch die betreffen den Anregungen für überflüssig und meint, die Wähler schaften sollten diese Frage zur Platfovm machen und keinem Candidatcn ihre Unterstützung in Aussicht stellen, in dessen Programm nicht die Heeres-Reorganisation den Hauptpunct bilde und -essen Persönlichkeit und Charakter nicht die Gewähr biete, daß er an diesem Programmpuncte thatsächlich festhalten werde. Wenn dieser Standpunct des „Empros" den Beifall der Mehrheit der Wählerschaften findet, so dürfte der greise Hauptführer der Opposition, Delyanniö, nicht gerade gut beratheu gewesen sein, als er unlängst in der „Proia" seine Ansicht in folgender Weise darlcgen ließ. Er erkenne die'Nothwcndigkcit einer Heeres-Reorganisation an, zumal seit den Erfahrungen deS jüngsten Krieges, und wenn einmal eine „ernste Re- gierung, die sich auf das Vertrauen des Volkes stütze", ans Ruder gelange, so werde sic dieser Frage auch näher treten, jedoch erst dann, wenn Griechenland finanziell wieder völlig gekräftigt sei, wenn der darniedcrlicgendcn Land- wtrthschaft aufgcholfcn sein werde, wenn anderweitige dringende Reformen gesichert wären und wenn man wisse, welche Summe der Staat für das Heercsrcformwcrk eigent lich aufzubringen vermöge. Bemcrkcnswerth ist, daß der „Empros" ausdrücklich betont, den Kronprinzen Constantin treffe für den gegenwärtigen Zustand des Heeres keine Verantwortung, weil ihm eben die Macht und die Competenzen fehlten, Reformen zu bewerkstelligen, mit denen das Kricasministerinm und nicht das „Generalcom- mando des Heeres" Hütte betraut werden sollen, denn constitutionelle Competenzen habe nur das Kriegsministe rium und nur dieses vermöge auch parlamentarischen Ein fluß zu üben. Auch „Neon Asty" sagt, man habe feiner Zeit dem Kronprinzen eine Last aufgebürdet, die unter den ob waltenden Verhältnissen dessen Kräfte, bei all' seinem guten Willen und Eifer, übersteigen mußte. Man habe dem Kronprinzen ein Heer ohne Basis, mit polittsirenden Offi- cteren, ohne Waffen, ohne Pferde übergeben und verlangt, daß er dasselbe zu einer europäischen Armee nmgcstaltc, ihm jedoch die Mittel und die Competenzen hierfür verweigert. Die Nachricht, daß der Commandeur des amerikanischen Kreuzers „Ranger" die Panama-Eisenbahn durch amerikanische Truppen hat sichern lassen und daß der General Salazar von dem ainkrilamscken Consul informirt worden ist, dieser Act könne nicht als ein Columbien feind seliger ausgelcgt werden, da cs nothwendig sei, einen nn- uttterbrvchenen Verkehr zu sichern, war schon lange er wartet worden. Man könnte annehmen, daß die Ver sicherung des Consuls der Vereinigten Staaten, die Lan dung von Marinesoldaten und die Sicherung der Bahn linie durch dieselben bedeute keinen feindseligen Act, über flüssig sei, weil diese Handlung nur den Interessen Colum biens dienlich zu sein scheint. In Wirtlichkeit verhält es sich jedoch, wie -em „Hannov. Courier" aus Loudon ge schrieben wird, anders. Die Bahnlinie war nicht nur durch die aufständische Partei bedroht. Auch die Haltung der eolnmbischcn Regierung bedrohte die Actionäre der Pauamacanal-Gesellschast. Vor mehr als sechs Monaten erklärte I>. Silva, der damalige columbische Geiaudle in Washington, öffentlich, die Pauamacanal-Gesellschast sei informirt worden, daß — während sic Verhandlungen be treffs Abtretung ihrer Rechte an eine fremde Macht ein leiten könne — ein definitives Abkommen ohne Zustim mung Columbiens nicht abgeschlossen werde» tonne. Thatsächlich gicbt man die souveränen Rechte Columbiens natürlich zu, aber diese Erklärung bcunrnhstztc die Actionäre der Panamacaual-Gcscllschaft sehr, denn man legte sie in Washington dahin aus, Columbien beabsichtige, bedeutend bessere Bedingungen, als sic in dem Protokoll vorgesehen waren, zu erlangen. Auf beiden Seiten wird anerkannt, daß ein höherer Preis von den Vereinigten Staaten schwerlich zn erlangen ist, aber es schien wahr scheinlich genug zu sein, daß Columbien, indem cs seine Zustimmung versagte, einen Druck auf die Gesellschaft ausübe und sie zur Zahlung der festgesetzten Kaufsumme von 40 Millionen Dollars veranlassen würde. Dies würde einem E r p r e s s u n g s v e r f n ch glcichkommcn, und die Regierung in Washington hat, wie die „Mvrning- Post" ausführt, nicht die Absicht, sich an irgend einem Arrangement zu betheiligen, durch das, wenn auch nur indirect, eine Schädigung der Actionäre der Canalgesell schaft gebilligt wurde. Es war hohe Zeit, daß etwas zur Sicherung der Landenge, über die sowohl die Bahnlinie als auch die Route des geplanten Canals läuft, gethan wurde. Die Regierung in Columbien ist fast vollständig zu einer Farce geworden. Der Tod des Präsidenten Sau Clemente im vergangenen April hat die Usurpation des jetzigen Staatsoberhauptes vielleicht formell geregelt, aber nichtsdestoweniger befindet sich die Verwaltung des Landes in einem Chaos. Den letzten Consulartnrichten aus Bogota zufolge nvtirt die Papierwährung 210 Dollars per Pfund und schwankt der Wechsclcvurö zwischen 4000 nnd 5000 Proccnt Agio für Goldwechsel, während alle Verkaufscontractc, die die Bezahlung in irgend einer an deren Währung als columbischem Papiergeld bestimmen, nicht rcgistrirt werden können und daher reckftSungtltig sind. Bei solchen Zuständen kann -nrch diplomatisches Einschreiten keine Abhilfe geschaffen iverden. Die Ber- tragsrcchte aber berechtigen die Vereinigten Staaten, die Aufrechterhaltung ungehinderten Verkehrs über die Landenge zu fordern, nnd cs ist zu hoffen, oaß ihre jetzige Intervention zur Beendigung der anarchischen Zu stände in Columbien beitragen werde. Deutsches Reich. Berlin, 21. September. Zum Wiederbeginn der Verhandlungen in der Zolltarifcommission ist es nicht ganz unnölhig, einen Irrthum zuriickzuweisen, der, wenn auch nur vereinzelt, doch in angesehenen Blättern austaucken konnte. In einem Hinweise darauf, welche ArbeitSsreudigkeit und Unverdrossenheit der Staatssekretär deS Innern Graf Posadowsky wie im Plenum, so insbesondere auch in der Commission des Zolltarifs wegen entwickelt hat — einem Hin weis, den wir für vollständig begründet und berechtigt halten —, wurde gesagt, die Unterstützung, die der Stellvertreter des Reichskanzlers von preußischer Seite resp. von den hierbei zu ständigen Ministern bei seinem Bemühen erfahren habe, sei ganz unbedeutend gewesen. Speciell wurde ein Tadel gegen die drei Minister der Finanzen, des Handels und der Landwirtbsch ast ausgesprochen. Es ist schwer zu ver stehen, wie speciell dem Handelsminister ein solcher Borwurf gemacht werden konnte. Jedermann, der die Verhandlungen der Commission verfolgt hat, muß sich erinnern, den Namen des Herrn Möller fast in jedem Bericht ausgeführt ge sehen zu haben. Thatsächlich bat der HandclSminister von den hundert und einigen Sitzungen der Commission mindestens 95» besucht und sich angebrachtermaßen mit eben so großer Entschiedenheit wie Sachlichkeit an den De batten bctkeiligt. Wir glauben unö zu erinnern, daß Mit glieder der Commission gerade den Eifer und die sachver ständige Hilfe des Ministers für Handel und Gewerbe rühmend hervorgeboben und geäußert haben, Herr Möller habe, um auch seinerseits den ConimissionSverhandluligen beiwohnen und diese nach Möglichkeit fördern zn können, verschiedene ihm nicht wenig am Herzen liegende Dienst reisen (wie »ach Obekschlesien und nach Saarbrücken, um Feeeilletsn. A Das Testament. Eine oberösterreichische Erzählung v. Fanny Kaltenhauscr. (Nachdruck ohne Honorirung auch in Amerika verboten.) Der Sonntag kam, -er nächste nach seines Vaters Leichenbegängnis). Vincenz ging diesmal nicht zur Kirche, son-crn in die Stadt; er hatte dort Einiges zu thun, wollte aber auch nicht unter die Leute vvm Dorfe gehen und von ihnen nenc Trostrcden über seines Vaters Tod ver nehmen. Dieser hatte ganz anders in sei» Herz ge schnitten, als sie cs vermeinten. Am folgenden Sonntag konnte er dennoch nicht mehr fortbleibcn von der Kirche. Die Leute hätten zu viel geredet. So ging er ins Hochamt. Es regnete stark, und er schritt weit aus, nm den Weg bald zurückgelegt zu haben. Da schritt vom Weg zur Thalmühle Eine herüber; unter dem mächtigen, auf gespannten Schirm war der Kopf erst nicht sichtbar. Als der Vincenz die Daherwanderndc bemerkte, sah er nicht, wer cs war, nnd er bekümmerte sich auch nicht weiter darum. Es war aber die Müller-Agnes. Sie that große Schritte, als sie den jungen Bauer erblickte. Aber sic schien ihn nicht etnholen zu können. Da rief sic ihn an. „He, Hochgstettner, versäumst schon 'was? Ist nock lang' net am Zusammcnläutcn!" * „I fürcht' den Regen", erwiderte er und hielt nicht an. „Ah geh, Salzstöck' mag's -erweichen, unsereins net! Halt doch still, daß man einen kleinen Plausch haben kann! I balt's net gern mit der Langweiligkeit." Lachend hastete sie ihm nach. Und erreichte ihn nun ohne große Mühe, denn er verlangsamte seine Schritte. Sie ging eine Weile neben ihm und schwatzte von dem und jenem. Bis sie ans einmal mit scharfem Blick hcrübcrsah und fragte: „Je Du, ist das wahr, was i neulich vernommen hab', daß Du so einen Barmherzigen g'spielt hast? Bei der Nieder- gstettner Franzi. Sollst ihren Vatern völlig zum Leben er weckt haben und der Franzi eine Dirn' g'schlckt haben, daß s' ihr in der Pfleg' net zu weh thut bet dte^zwci kranken Leut'. Ist denn das wahr? I Hab s frei net glauben können!" Er sah sic nicht an. „Wegen was net?" fragte er. Sein Ton war unwillig und unmnthig sein Blick. Was ging das sie an? Weshalb sprach sie in einem solchen Ton, als hätte er ihr Rechenschaft aibzulcgcn von seinem Thun. Noch hatte sie kein Recht dazu, er hatte ihr keines gegeben. Wie würde die erst sein gegen ihn, wenn sie Rechte hätte ans ihn — wenn sie sein Weib wäre?! War's nicht besser, er holte sich von weither eine? Eine, die er nicht blos nm des Geldes willen nehmen mußte, sondern die auch sonst keine Zuwidere war. Und die da war ihm eine Zuwidere, das merkte er erst jetzt deutlich. Wennschon sein Herz still sein mußte und sich dreinfinden mußte ius Leben ohne Glück, da mußte es doch nicht so eine sein, die er nahm, die an ihm nörgelte und mäkelte, und rechthaberisch vor jedem seiner Worte, jeder seiner Handlung stand. Aber, aber — ob er so eine, die ordentlich was hatte, fand, da weiter draußen im Land. Er konnte nicht mit Wenigem zufrieden sein, er brauchte viel. Und — wenn er schon um deS Geldes willen in so ein Leben gehen mußte, daun mußte es sich auch schon auszahlen, dann mußte es schon eine besonders Reiche sein, baß er sein Gut nicht allein schuldenfrei halten, sondern auch noch vergrößern konnte. Der Bauernstolz erwachte in ihm — mußte er so schweren Preis zahlen, nm Hochgstettner zu bleiben, dann wollte er auch ein Hochgstettner sein, von dem man mit Neid sprach. Aber der Muth sank ihm wieder; — er zweifelte, ob eine besonders Reiche ihn nehmen würde, sobald sic er fuhr, daß er nur wenig Anrecht an sein Gut hatte, wenn er die Schuld an seine Stiefschwester abgczahlt hatte. Dann mußte er dennoch froh sein um diese da. Und er nahm sie wohl auch! Ja, ja, so einer war er —! Ein seltsamer, höhnischer Lachlaut drang von seinen Lippen. „Wegen was lachst?" fragte die Agnes erstaunt. „Weil i eben g'mcint hab', von Dir hält' i das net verhofft, daß Du so 'was thätst? Deswegen? I hab' 'glaubt, Du hätt'st mich gar net vernommen, weil so vor Dich hing'starrt hast und hast kein Wort d'ranf g'sagt." Und sich ereifernd, fügte sie hinzu: „Aber da ist doch nichts zu lachen -'rüber! Bist doch der Hochgstettner! Der braucht sich Loch net mit so einem Bettelvolk abzugebcn, wie die Franzt und ihre Leut' sind! I weiß von meinem Vatern, baß cS nur auf die Gutycit vom Huberwirtst und vvm Kramer im Dorf ankommt, ob die Leut' noch länger in ihrem Häusl ver bleiben dürfen; wenn die zwei wollten, könnten die Nieder, gstettncrischen all' Tag' wegg'schafft werde« vom Vütl, so viel Geld haben die zwei Manner d'ranf. Kaum ein Stein vom Hänsl g'hört der Franzi ihre Leut'. Wie kannst Dich da Du so weit erniedrigen, daß Du selber mit der gehst und hilfst ibr. Einen Knecht, wenn ihr mitg'schickt hätt'st, das hätt' es auch gethan." „Meinst?" Der Zorn faßte ihn, während er bei dem spottenden Wort in ihr Gesicht sah, das der Hochmuth jetzt entstellte. Deutlich erkannte er es, daß die Freundlichkeit ihres Gesichtes nur eine zur Schau getragene war nnd nicht aus dem Gemüthe drang. Und cs riß ihn zu den verächtlich verweisenden Worten hin: „Aber ich mein', Deinem Vater sind s' doch nichts schuldig, die Nicdcr- gstcttncrlcut'?!" In ihr Gesicht trat eine grünliche Färbung — vor Aergcr. Warum warf sich denn der als Schützer auf über die Bettelleut'? Und mit ihr redete er, als wäre sic ein „Nirel" ans der Welt! Sie warf die Lippen trotzig ans. „Na, i mein', bald sie meinem Vater nur d' Hälft schuldig wären, als was sic wahrhaftig sind, nachher säßen s' schon lang' nimmer im Hänsl!" „So ein Hartherziger wär' Dein Vater, meinst? Ja, und was möcht'st denn Du dazu sagen? Möcht'st Du's gelten lassen und keine Fürbitt' cinlcgcn?" Sie zuckte die Schultern. „Ah mein, was gehen mich so' Lent' an!" Von Vinzenz' Lippen kam ein gelles Lachen. „Das muß i aber schon sagen, Du bist eine Gute! Mit einem recht weichen Herzen eine!" Sie sah ihn an. Wie ungut der jetzt aussah! Er hatte eine Miene, die ihr keine gute Gesinnung für sie verrietst. Und da zuckte ein Erschrecken durch ihr Gcmüth. Jesus, jetzt hatte sic wohl gar verspielt bei dem? Mit den paar Aeußcrungcn, die sie erst eifersüchtig grollend, dann trotzig gethan. Das hatte sie nicht gewollt, daß so etwas heraus kam. Wo sie schon so sicher auf ihn gerechnet. Sic statte gemeint, mit ihren Worten seinen Stolz als angesehener Bauer aufzustachcln »nd ihn dadurch fernerhin von derlei Thnn abzuhalten. Statt dessen wurde er wie Feuer und Flamm' für die Nicdcrgstettncrlcnt'. Da that sie sa ganz verfehlt; statt ihn von diesen Leuten abzulenken, schob sie dieselben geradezu in fein Denken. Sie machte jäh eine schmollende Miene. „Wie Du Dir Alles auslegst von einem! Wenn i weiß, daß das Dirndl net so eine ist, die Erbarmen verdient, weid' i ihr o doch net aufdränaen! Was glaubst, so eine, die sich rühmt zu den Leuten, Du wärst gegen sie wie einer, den sie nm den Finger wickeln könnt', so weich nnd zn Allem bereit für sic, — ist die es wcrth, daß man sich gutherzig nm sic an nimmt? Ucbrigens, was gehen mich die Leut' an? M'r sind sie nichts schuldig. Und Dir wohl auch nicht." Der Vinzenz möchte tn sich hinein lacken, wenn er es könnte — vor Haß, vor Zorn könnte! Wie die da redet über die Franzi, nnd dabei weiß sic nicht, daß er sic viel, viel besser kennt, die Geschmähte! O, so gut kennt er sein Dirndl! Und wenn noch Dreie gegen sic ständen und sprächen istm Schlechtes von ihr, kein bischen nähmen sie ihm von seinem guten Glauben an sic. Die mit ihrem arnndgutcn Wesen kann ihm keines verlästern! Und wenn stc sich noch so Mühe gicbi, die da! Die falsche Katz' die, die so prächtig lügen kann! So 'was von der Franzi zu sagen! Er beißt die Zahne übereinander und schreitet schneller ans. Fort von der! Er will sic nickt mehr sehen, will nichts mehr hören von ihr! Aber cs glückt ihm nicht, das Loskvmmcn. Wie der Tenscl an eine arme Seele, so heftet die sich an seine Fersen! Erst in dem Gcschwarme der Kirchengänger, welche sich vor dein großen Hanptthvr stauen, entwischt er ihr. In der Kirche findet er keine Andacht. Im Gebetbuch tanzen die Buchstaben wirr durcheinander, wie er den Blick daraus senkt; er schließt cs nnd wendet die Augen znm Scitenaltar, vor dem er sivt. Aber vor das unbewegte Gesicht der Gottesmutter dort schiebt sich ein liebliches, tiefbewegtes Mädchengcsichk, das von blonden Haaren schlicht umrahmt ist. Und so ernsthaft fragende Augen sehen ihn an — nnd ihr Blick wird zu einem bangen, bittenden, traurigen. O, mein Jesus, wie wird sich die Franzi jetzt abgnälcn und sich immer wieder fragen, warum er denn nicht komme, warum er sich denn so lange nicht sehen lasse - er, der istres Lebens größte Hoffnung ist. Er, um dcsscntwillcn sie alt' ihren Kummer leichter ertragen würde, er läßt sie allein. Wenn er ihr doch wenigstens sagen würde, wie Alles steht, warum Alles anders kommen müsse mit ihnen, als wie sic beide cs sich bisher gedacht! Das wäre ein rasches Ende, welches sie aus allen tage- und wochcnlangcii Zweifeln risse — schroff, aber nicht so lange Zeit hinhaltend. Aber er hat keinen Muth dazu. In die lieben Augen sehen und so harte Worte sagen, das kann er nicht. Aber — muß er es denn sagen? Er hat dock schreiben gelernt, wenn auch nicht gut; so viel bringt er sicherlich zu Wege, daß sie sich bei der Sache auskennt. Ja, das will er, ihr Alles schreiben! Er kann es schon nicht mehr erwarten. Kaum daß das Hochamt zu Ende ist, drängt
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