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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021003027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902100302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902100302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
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- Monat1902-10
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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Rrdaktton-ftrich (4 gespalten) 7b vor den Famtltrana«^ richten (6 gespalten) bO Tabellarischer und Zissernsah entsprechend hoher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gesalzt), au, mit der Morgen Ausgabe, ohne Postbesörderuag .XL 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluk für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- in Leipzig. Stu 50t. Freitag den 3. Oktober 1902. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Oktober. Die Zolltarif-Kommission de-Reichstags hat gestern die zweite Lesung des Tarifgesetzes damit beendet, daß sie m>t 14 gegen 13 Stimmen den in erster Lesung ab gelehnten Verwendungsantrag des Zentrums annahm, obwohl der ReichSsckaysrkretär v. Tdiel mann von dieser Annahme dringend abgemahnt und mitgeteilt hatte, daß der für das nächste Etatjahr zu erwartende Fehlbetrag mindestens die Höhe von 150 Millionen Mark erreichen werde. Macht nun auch die Annahme dieses Antrags die Beschlüsse der Kommission — die, beiläufig bemerkt, am Montag ihren Bericht in ihrer IN. Sitzung feststellen wird — für die verbündeten Regierungen noch weniger annehmbar, als eine Reihe anderer Beschlüsse, so scheint doch, wie wir schon gestern andeuteten, die Verueifung des Zentrums auf seinen Antrag zu beweisen, daß diese Fraktion noch mit sich reden lasten will. Überhaupt mackt sich in den letzten Tagen selbst in solchen Blättern, die vor her daS Scheitern der Zollvorlage als unabwendbar an sahen, eine weniger pessimistische Auffassung bemerkbar. So schreibt heute der „Hamb. Corr.", der noch kürzlich eine Einigung zwischen Reichstag und Bundesrat für unmöglich hielt: „Wir haben auf Grund guter Informationen den sehr bestimmten Eindruck, erstens, daß in der jetzt noch Widerstrebenden Mehrheit, namentlich im Zentrum, starke Strömungen auf Annahme des RcgierungSentwursS im Plenum hinzielen, und zweitens, daß die Regierung, die davon genau unterrichtet ist, neuer dings mit wachsender Zuversicht auf die Annahme ihrer Vorlage rechnet. Das mag unter den obwaltenden Umständen paradox klingen, in der Politik aber muß man gegen Ueber- raschungen gewappnet sein. Wären beide Kontrahenten — Reichstag und Regierung — überzeugt, daß die Vorlage rettungslos in den Brunnen fällt, wie es nach den Kommissions beratungen ja allerdings aussieht, so müßten sie darauf bedacht sein, dem grausamen Spiele möglichst bald ein Ende zu bereiten. Dies würde geschehen, wenn man im Plenum bei der zweiten Lesung sofort daS Tarifgesetz mit dem Artikel 1 über die Minimalzölle für Getreide zur Beratung stellte. Hier könnte dann gleich die Ent'cheidung fallen und die Sache zu Ende sein. Doch gerade das will man auf beiden Seiten nicht. Nach den jetzigen Dispositionen wirb man, wie in der zweiten Lesung der Kommission, auch im Plenum erst den Tarif selbst und zum Schlüsse daS Tarif gesetz beraten, um Zeit für die endgültige Entscheidung zu gewinnen." Die „Times" dämpfen ein wenig ihren Ton in Bezug auf den beabsichtigten orer angeblich beabsichtigten Empfang der Boerengenerale De Wet, Delarey und Botha beim Kaiser. Dies aber schafft die Tatsache nickt aus der Welt, daß die bei der englisckeu Gesellschaft nach wie vor in erster Reihe aecreditierle Zeitung einen dreisten Einschüchterungsverfuch gegen die Person deS deutschen Kaisers unter nommen hat. Immerhin wurzelt der Einfluß der „Times", wie gesagt, vorzugsweise in der britischen Gesell- sckaft, also in einem nack diplomatischen Verkehrsregeln schwer faßbaren Faktor. Der „Standard" aber ist das Sprachrohr der englischen Regier»n g. Dieser Umstand gibt nach der subjektiven Seite hin der Äußerung des „Standard" eine im Vergleich zu den Ausfällen der „Times" erhöhte Bedeutung. Und daß daS balbamtlicke Blatt die Anmaßung der anderen Londoner Zeitung objektiv gesteigert bat, indem eS sckrieb, die Boerengenerale „müßten", wenn sie überhaupt vom Kaiser empfangen würben, vom britischen Bot schafter am Berliner Hofe eingesührl werden, das liegt auch für den auf der Hand, der gleich uns bieie Form der Vor stellung als im allgemeinen dem Brauche entsprechend an- eikannt hat. Der Brauch bestebt aber eben nur im allge meinen und zwar bei allen Höfen — den russischen nicht aus genommen — und er ist insbesondere in Berlin seit mehr als einem Jahrzehnt häufig unbeachtet geblieben. Das weiß man in London sehr genau und jedenfalls bat gerade die englische Regierung kein Neckt, durch ihr Organ die Beob acktung eines derartigen Herkommens mit der Begründung zu fordern, daß ein andres Venabren für Groß britannien verletzend sei. Herr Cecil Rhodes ist seiner zeit, wie damals alle englischen Blatter meldeten und wie uns von zuverlässiger Seite ncuerdinge bestätigt wird, vom Kaiser ohne Beisein des britischen Bot schafters empfangen worden und überdies in besonders „formloser Form", wenn dieser Ausdruck erlaubt ist. Ter englische Faiseur kam zum deutschen Neickeobrrbaupte in saloppem Auszuge, obne zurückgewiesen zu werken. Als das sich ereignet batte, protestierte kein englisches Blatt, geschweige ein RezierungSorgan. Ob die Boerengenerale wirklich empfangen werden, stebt noch dahin und ist inner- und außer politisch sehr gleichgültig. Aber es ist notwendig, der eng lischen Regierung gegenüber das Recht des deutschen Kaisers zu betonen, Fiemde zu empfangen, wie er will, ein Reckt, daS, wie gesagt, die englische Presse bei dem ihr freilich angenehmeren Besuche des Cecil RhodeS stillschweigend anerkannt hat. Der Tod ZolaS hat den Pariser Gemeinderats präsidenten Escudier in eine unaussprechliche Verlegen heit gebracht. Er erhält nämlich von allen Seiten BeileidS- kundgebuiigen von Vorständen und Gemeindeiäten auSwäriiger Städte zu dem Abicheiden des beiübmtcn Schriftstellers mit Hinweisen aus die Rolle, die dieser kreiwillig bei der V-r'eidigung VeS Recktes und der Enthüllung der Wahrheit übernommen batte. Nun ist Herr Escudier aber ein in der Wolle gefärbter Nationalist und man begreift danach, in welch peinlicher Lage er sich befindet. Einerseits kann er auS Höflichkeit diese Zuschriften nicht unbeantwortet lassen, und andrerseits ver bieten ibm seine nationalistischen und klerikalen Verbindungen, auf die Komplimente, die in diesen Kundgebungen an Frank reich und Paris als „Wiege der großen Kämpen für Wahr heit und Licht" gerichtet werden, einzugchcn. Wer hilft dem Armen aus diesem Dilemma? Inzwischen wird der „Franks. Zeitung" noch gemeldet: * Paris, 2. Oktober. Der Gemeinderat von Toulon ha« gestern zum Zeichen der Trauer seine Sitzung aufgehoben, unter Annahme einer Tagesordnung, welche besagt: „Ganz Frankreich muß den großen Schriftsteller betrauern, gegen welchen sich die ausgereizte Menge im unbewußten Delirium wandte." — Der Beschluß der Regierung, an dem Begräbnis offiziell Anteil zu nehmen, findet in der Presse keine nennenswerte Opposition. Die radikalen und sozialistischen Blätter hätten gewünscht, Laß die Regierung etwas weiter gegangen wäre und ein Begräbnis auf Staaiskoslen veranlaßt hätte. Sie fordern jetzt ihre Anhänger auf, in Mosten beim Begräbnis zu erscheinen, um den fehlenden offiziellen Aufwand durch eine imposante Bolkskundgebunq zu ersetzen. Das Centralcomits der sozialistischen Partei widmet Zola einen Nachruf und organisiert die Teil nahme aller sozialistischen Gruppen an dem Leichenzuq. Es ist bezeichnend für die im Grunde reckt leidenichaftslose Taqesstimmnng, daß die regierungsfeindliche Presse von der offiziellen Teilnahme des UnterrichtsministcrS ohne jeden Widerspruch Notiz nimmt. Der „Gaulois" findet die offizielle Ehrung ZolaS ganz natürlich, denn die jetzige Negierung verdanke Zola ihre Macht. Zola sei der Vater der gegenwärtigen Politik des Religionsbasjcs und der sozialen Revolution. Ter „Gaulois" fordert schließlich seine Freunde aus, sich höchstens als neugierige Zuschauer beim Begräbnis einzufinden. Die „Libre Parole" versucht einen letzten Appell an den Chauvinismus. Sie findet, daß die Ehrungen ZolaS auf eine Verherrlichung des Vaterlandsverrates hinaus- lausen und gibt das Titelblatt einer deutschen Ausgabe von ZolaS Roman „Der Zusammenbruch" wieder, aus dem ein preußischer Soldat, der einen Franzosen niekerstickt, abgebilbet ist. DaS klerikale Blatt fragt, ob Paris diese Schmach ver dienen wolle? Auch dieser Versuch zur Aufreizung wird am Begräbnietag keinerlei Eifolg haben. Di: Verlegung der Leichenfeier auf Sonntag kommt der Entfaltung der ganz-n sonalistischen Arbeiterschaft zugute und vor dieser Kundgebung wirk sich jede Lust zu klerikaler Opposition spurlos ver flüchtigen. Es ist ausgefallen, daß gleichzeitig mit der Ernennung des bisherigen Gouverneurs von Wilna, General« von Wahl, zum Gebülsen des russischen Ministers des Innern daS dortige Generalgouvernement wieder aufgetebt ist. Fürst Swjatopoik - Mirski ist bekanntlich nickt Gouverneur, sondern Generalgouverneur deS die drei Provinzen Wilna, Grokno und Kowno umfassenden Bezirks geworden. Im Herbste des vorigen Jahres hatte man das General gouvernement, dessen letzter Inhaber der verstorbene General adjutant Tiotzki gewesen war, aufgehoben und damit den Beifall der Polen und der Lütauer bervorgerusen. Man hielt eS in Petersburg für überflüssig, im crwäbnlen Gebiete, >n welchem einst der bekannte Diktator Gras Murawjew ge herrscht batte, eine Persönlichkeit als Cbcf einzusetzen, die mit ausgedehnten Vollmachten über die Polen und die Lütauer gebiete. Es war ein Ausvruck der bekannten ruisisch-pol- niicken VersöhnungStak'ik. Tie gegenwärtige Wiederherstellung des Generalgouvernements ist allerdings nicht auf die Polen politik, sondern darauf zurückzusübren, daß Wllna ein Mittel punkt der sozialrevolutionären Bewegung ist. Aber eö ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß der neue General gouverneur auch geg-n die Polen eine größere Strenge be kunden wird, weungleich sie mit der Umsturzstiömung nichts zu schaffen haben. Das bringt schon -seine ausgedehnte Machtvollkommenheit mit sich. Die Verjöhnungslattik hat sich offenbar nicht bewährt. Deutsches Reich. Berlin, 2. Oktober. (A u ö d e h n n n g derIn - validen- und Altersversicherung auf das Handrverk.f Auf dem letzten Handwerks- und Ge- wcrbekammertage ist bekanntlich der Beschluß gefaßt worden, dahin zu wirken, daß für sämtliche Handwerker die Invaliden- und Altersversicherung durch Gesetz ob.iga- torisch cingeführt werde. Damit soll ein Weg betreten werden, der von dem bereits im Invalidenversicherungs gesetz vom 13. Juli 1899 eingeschlagenen Pfade abiveicht. In diesem Gesetze ist nämlich d m Bundesräte die Vollmacht erteilt, die Versicherungspslicht auch auf Gewerbetreibende und sonstige Betriebsunternehmer auszudehnen, welche nicht regelmäßig wenigstens einerfi Lohnarbeiter befchri- tigen. Damit war beabsich igt, mich den kleinen Hand werkern die Segnungen einer obligatorischen Invaliden rind Altersversicherung zuteil werden zu lassen, selbstver ständlich aber nur dann, wenn der Bundesrat zu der Über zeugung gekommen sein sollte, daß eine solche Ausdel»»ung der Berstcherungspflicht durch die Sachlage gefordert wäre. Nun wiinschxn aber nach dem obigen Beschlüsse die Or gane der Handwerker nicht bloß eine Unterstellung der kleineren, sondern sämtlicher Handwerker unter die Invaliden- nnd Altersversicherungspflicht. Insofern weich- also der Beschluß von den bisherigen Absichten der gesetz gebenden Faktoren des gleiches ab. Ob die Handwerker Aussicht ans baldige Erreichung ihres Zieles haben, ist mindestens zweifelhaft. Ganz abgesehen davon, daß cs kaum angebracht sein dürste, die Invalidenversicherungs pflicht schon jetzt wieder auszudehnen, es auch garntchr sicher ist ob die Handwerker mit den Rcntenbeträgeu des bisherigen Gesetzes zufrieden wären, muß doch daran erinnert werden, daß schon einmal eine aus dem Ver- sichernngsgebiete unter den Handwerkern hervorgetret<ne Bewegung einen negativen Verlauf genommen hat. Wir meinen die Bestrebungen aus Ausdehnung der Unfall- versicherungspslicht auf das Handwerk. Die RcichSverwaltung hatte sich Mitte der neunziger Jahre durch eine in Handwerkerkreisen entstandene Bewegung veranlaßt gesehen, einen Gesetzentwurf anSznarbeitcn nnd zu veröffentlichen, der die Unterstellung der in Hand- werksbctrieben beschäftigten Angestellten unter den Unfall- verstcherungSzwang bezweckte. Sobald in den Handwerker kreisen bekannt geworden war, welche Lummen für diese Versicherung jährlich ausznwenden waren, schlug die Stimmung um. Der Gesetzentwurf ist denn auch nicht weiter gediehen, die gesetzgebenden Faktoren des Reiches haben sich damit begnügt, einzelne, besonders gefährliche Handwerkszweige in den Rahmen des allgemeinen Ge- werbeiinfallvevsichcrungsgesetzeSeinzufügen. Nuniftjazuzn- gcben, daß es sich in dem neuerdings verlangten Jnvaltden- und Altersverstchernngsgesetzc nm ein Vorgehen handelt, das den Handwerkern selbst zugute kommen soll, ob jedoch nicht, wenn erst die Kosten der Versicherung bekannt gegeben sein werden, die Stimmung eine ähnliche Wandlung er fahren tvird, wie Mitte der neunziger Jahre auf dem Ge biete der Unfallversicherung, wird adgewartet werden müssen. Jedenfalls werden erst ganz bestimmt nmrifsene Pläne für die Ha»dweAer-Jnvalide«Versicherung aus gestellt werden müssen, ehe zu der Frage «elbst Stellung ge nommen werden kann. Gegenwärtig scheint man sich über das Maß dessen, was erstrebt werden soll, in den Hand- wcrkcrkreiscn selbst noch nicht recht einig zu sein. * Berlin,2. Oktober. (Durchstechereien bei juristi schen Prüfungen in Preußen.) Die Zeitschrift der AnwaltSkammer im OberlandeSgenchtSbezirk Breslau ver öffentlicht solgendcs Schreiben, das derJustizministerSchön stedt über Durchstechereien bei der Assessorprüfung an den Voistaud der AnwaltSkammer in Naumburg a. S. gerichtet bat: „Im Jahre 1892 hat mein Herr Amtsvorgänger Veranlassung gehabt, dem beklagenswerten Mißbrauch rntgegenzntrelen, daß mehrfach Feuilleton. Compania Cazador. 3j Roman von Woldemar Urban. ^ach.ruck vkrt-otei'. Es wurde wieder still in dem Stübchen, nur die schweren, leise röchelnden Atemzüge Eslavas blieben hörbar. Vorsichtig und schonend legte Isa ihre Mutter zurück in die Kissen, küßte sie zärtlich auf die Stirn und strich ihr die langen, schwarzen Haarsträhnen aus dem Ge sicht. Bei dem Gedanken, ihre Mutter zu verlieren, preßte sich das junge Herz Isas krampfhaft ängstlich zusammen. Was sollte aus ihr werden, ohne ihre Mutter? Seit ihrer Kindheit war Eslava die trauteste Freundin, die beste Leiterin und Lenkerin ihrer Tochter. Gelernt — im gewissen Sinne — hatte Isa auf diese Weise freilich wenig. In dem ewig unruhigen Wanderleben, das sie führten, so lange sie denken konnte, war keine Zeit gewesen, trockenes Zeug aus Büchern und Heften zusainmcn- zuklauben. Gleichwohl kannte Isa Welt und Leben aus eigener Anschauung weit besser und war ihr Urteil schärfer, selbständiger und natürlicher, als das manches vornehm erzogenen und gebildeten Fräuleins. Ihre Ek- mütsbildung verdankte Isa zumeist solchen romantisch phantastischen Zauber- und Wundcrgcschichten, wie ihre Ntntter ihr soeben eine erzählt. Eslava war von solchen, hier und da gehörten, nmgebildeten und für ihre be sonderen Zwecke zurcchtgesetzten Erzählungen, die doch eines tieferen nnd gesunden Sinnes nicht entbehrten, ganz voll und konnte, wenn sic die langen Wandertage unterwegs in ihrem Wagen lagen, tage- und wochenlang erzählen, ohne sich je zu wiederhole». Das war für Isas Gemüt die heilsame Seite ihres sonst au unzarten, groben Berührungen mit der Außenwelt reichen Wanderlebens, so bildete sich in ihr die leidenschaftliche Liebe zn ihrer Mutter nnd die scheue, ängstliche Zurückhaltung vor der Welt, der stolze Trotz vor fremden Menschen. Mißtrantsch »nd scharfsichtig gegen alle Welt, war ihre Hekmat eigent lich nur im Herzen der Mutter. Die Romantik war die Wiege ihres Gefühls, die weite Welt die Wiege ihres Ver standes. „Wenn du wieder nach Sevilla kommst — ach! in das glückliche, sonnige Spanien", fuhr Eslava leise fort, als ob sie ihrer Erzählung noch einen besonderen Nachdruck geben müsse, „so gehe nach der Kathedrale. Ta wirst du heute noch auf den steinernen Armen des heiligen Isidro das Schwert Don Juan's mit der sündigen Inschrift sehen." Ein Männerschritt wurde von draußen hörbar, und gleich darauf trat der Direktor Cazador ein. Er hatte jetzt seinen Uebcrzicher vollständig ungezogen nnd zugeknöpft, auf dem Kopfe eine« dunkle» Schlapphut, so daß vo» seiner Direktvrherrlichkcit nur noch ein Stück der gelben Stieseln sichtbar war. Sein Blick fiel zunächst auf Fräulein Habicht, oic gleich neben der Tür auf einem Stuhl saß, sich aber erhob, als er eintrat. „Ich bitte um Verzeihung, wenn ich störe", begann Fräulein Luise, „ich wollte nur zusehen, ob Ihnen nichts fehlt, wußte aber nicht, wie ich mich verständlich machen sollte." Direktor Cazador sah sie etwas scharf prüfend an. „Sie sind Fräulein Habicht?" fragte er. „Ja." „Meine Tochter Isabel spricht deutsch ebenso gut wie französisch und spanisch", fuhr der Direktor nicht ohne einen Anflug von Stolz fort. „Aber ich hoffe, wir brauchen jetzt nichts und bitten unsererseits um Verzeihung für die Störung, die wir in Ihrem Hause verursacht haben — ohne cs zu wollen. Ich versichere Sic!" „Ich bin davon überzeugt. Wenn Sie also irgend etwas nöthig haben, so, bitte, verlangen Tie eö nur. Ich werde noch besonders mit der Kiitschcrsfrau davon sprechen", sagte Fräulein Habicht, im Begriff, sich zurück- zuziehcn. „Sehr liebenswürdig", bemerkte der Direktor und führte sie höflich nach der Tür. Isa hatte sofort bemerkt, wie die Augen der jungen, vornehmen Dame an ihrem Trtcot nnd an ihrer ganzen fragwürdigen Toilette hafteten. Das war ihr natürlich nichts Neues, aber zu ihrer eigenen Verwunderung empfand sie gerade in diesem Augenblick mehr als je das Bedürfnis, sich iimzuzichen »nd vor der jungen Dame in einer, wenn auch nicht so vornehmen, so doch gesellschaftlich weniger anstößigen Kleidung zu erscheinen. Mit dem ihr eigenen durchdringenden Scharfblick hatte Isa den Gc- dankengang des Fräulein Luise erraten. Wie? dachte diese, ein junges Mädchen, das viele Sprachen spricht nnd so stolz um sich blickt, kann eS über sich gewinnen, sich zum Spaß der Gassenjungen so entwürdigend und hanSwnrst- mäßig zu kleiden? Isa kannte diese Blicke wohl, nnd sie hatte nichts dagegen, als ihren ablehnenden Stolz. WaS wutzten alle diese Leute vom eisernen Druck der Not, vom Leben überhaupt? Wenn sie sich um all solche Blicke — und manche andere noch — Hütte kümmern wollen, so konnte sie mitsamt ihren Eltern in acht Tagen verhungern. DaS war ihr Herkommen, ihre Tradition, lhr Geschäft und ihr Schicksal. Schön oder nicht — cs war nicht anders. Kaum hatte Fräulein Habicht die Stube verlassen, als Isa zn ihrem Vater sagte: „Ich will mich umkleiden. Wirst du so lange hier bei der Mutter bleiben?" »Ja, geh' nur, mein Kind", erwiderte dieser, „es ist ja heute doch an keine Vorstellung mehr zu denken." Isa warf einen Umschlag nm Hals und Schultern und trat hinaus in den Garten. Es war im Dunkelwerden. Ais sie in der Nähe des Ausganges nach der Straße um eine Taxushecke bog, begegnete ihr ein junger Mann, der den Hut im Genick hatte und ein Liedchen pfiff. Als er sie sah, blieb er verdutzt stehen und sagte ganz laut, so daß sie es auch hören mußte: „Was, zum Teufel, ist denn das?" Dabei sah er ihr frech und übermütig ins Gesicht, so daß dem jungen Mädchen die Schamröte in die Wangen stieg. Sie hatte die Idee, daß der junge Herr wohl etwas angetrunken sein müßte. Zorn und Ekel erfüllten sie. Keine Straßcndirnc würde man in ihrer Heimat so er niedrigend behandelt und angercdct haben. Sic wollte rasch vorüber. „Erlauben Sie 'mal, Tic, mein schönes Kind", fuhr der junge, lustige Herr fort und suchte sic an dem kurzen Röckchen festznhalten, „das geht so rasch nicht. Was haben Sie denn hier zu thnn?" Die ganze Art und Weise war so ordinär, so un verschämt und zudringlich, daß sie empört mar. Wenn sie ihr spanisches Röhrchen bei der Hand gehabt hätte, so wäre cs sicher gewesen, daß er eine unliebsame Bekanntschaft da mit gemacht hätte. Tie hatte aber nichts in der Hand, und so mußte sic sich darauf beschränken, ihn ziemlich derb auf den Arm, den er nach ihr anögcstreckt, zu schlagen. Dan» lief sic, ohne sich umznschcn, rasch davon, zum Garten hinaus. „Donnerwetter!" hörte sie erstaunt hinter sich sagen. Ihr Gesicht glühte, vor Scham oder Zorn. Sie wußte eS selbst nicht. In atemloser Aufregung kam sic an dem Wohnwagen an. Aus der Treppe saß der Mozzo und kaute an den Nägeln. „Wo ist Monsieur August, Mozzo?" ries sie ihm im Vorübergehen zu. „In der Stadt, Seüorita, Platz ausmachen für die Messe." „Laß niemand herein, wenn jemand kommen sollte, Horst du, Mozzo ?" Der Mozzo iah sic an wie etwa eine Rothaut die Sonne, wenn er betet. Dann grinste er in einer unbeschreiblich wütenden und bissigen Art und sagte leise: „Nur Ruhe, nur Ruhe!" Im Wagen fühlte sich Isa sicher. Sie wußte, daß der Mozzo jeden eher anfgcgcssen haben würde, als ihn in den Wagen zu lasse». Gleichwohl war sie noch furchtbar erregt und ihr Herz klopfte laut und stürmisch. „Sv?" murmelte sie für sich, „das war also hier zu Lande eine Schande, für sich und die Eltern nm Brot zu arbeiten? Weil sie arm war und in ihrer Weise den Lebenskampf durchführtc, glaubte jeder Lump ihr frech und unverschämt gegenüber treten zu dürfen?" Wenn sie sentimental gewesen wäre, so hätte sie viel leicht gemeint nnd geseufzt. Aber das war Isa nicht, eben sowenig war eS ihre Mutter je gewesen. Sie ballte wütend die kleine, kurzfingerige Faust und drohte damit energisch in den Garten hinein. Drittes Kapitel. Der junge Herr Habicht, Rechtsanwalt Lorenz Habicht II, wie er zur Unterscheidung von seinem Vater allgemein genannt wurde, kam eben aus der Stadt zurück. Er war beim Regiernugsrat von Thessen zur Tafel ein geladen gewesen, und Isa batte trotz ihrer Aufregung sehr richtig gesehen, als sie ihn für etwas angetrunken hielt. Er hatte in der Tat einen kleinen Hieb sitzen. „Friedrich", rief er dem Diener zu, als er in das Haus cintrat, „was ist denn das für Gelichter, das sich da im Garten und vor dem Hause herumtreibt?" „Es sind herumfahrcu-c Leute, Herr Rechtsanwalt, JalirmarktSspicler", antwortete der Diener. „Die Frau wurde vor dem Hausc von einem Blittsturz befallen, und Ihr Herr Papa gewährte ihr eine Unterkunft bis zur Her- öeischaffung deö Krankenwagens dort drüben in der Untscherwohnung." „Hm! Wenn die Frau krank ist, soll man sic nur ruhig liegen lassen, wo sie liegt, verstanden, Friedrich?" „Jawohl, gnädiger Herr." „Das Krankenhaus ist weit, und arme Leute dürfen nicht so geschuhriegelt werden. Sic sollen dableiben, so lange cs ihnen paßt. Hören Sie, Friedrich?" Der Diener bejahte nochmals und sah -em jungen
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