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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021013028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902101302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902101302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-10
- Tag1902-10-13
- Monat1902-10
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Anzeigen «Preis die 6gespaltene Petitzeile 2S Reklamen unter dem Redaktioulstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familienuach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 Lj (excl. Porto). Ertra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbeförderung 70.—» Itnnahmeschluß fir Anzeigen: Abend-Au-gaSe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Pol- in Leipzig. Nu 522 Montag den 13. Oktober 1902. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Oktober. AuS den Verhandlungen des nationalliberalen Delegiertentages, der nach seiner Beendigung eine Be sprechung allgemeiner Natur erheischt, darf und soll heute bereits ein uns sehr wichtig dünkender Punkt herauSgehoben werden. In seinem Korreferat zu Herrn Bassermanns Darlegung über die allgemeine Stellung der Partei bemerkte der Geh. Justiz rat vr. Kahl über die Polcnpolitik Ser Regierung: „Wir wären schon weiter, wenn unsere Ostiuarkenpolitik wie früher eine beharrliche wäre. Hoffentlich wird sie eS nach den Versprechungen beS Reichskanzlers wieder werden." Jene Feststellung und diese Er wartung , nackt und klar auf einem nationalliberalen Parteitag ausgesprochen, sind hochwillkommen zu heißen. Sie besagen, daß der Weg der Beharrlichkeit beute, viele Monate nach der Abgabe der Zusicherung des Reichskanzlers, noch nicht betreten sei. Und daß dem in der Tat so ist, bezeugen zahlreiche Fälle aus neuerer und neuester Zeit, jedoch keiner eindringlicher, als eine viel zu wenig beachtete Regierungsmaßregel jüngeren Datums. Der preußische Kultus minister hat „an eine Regierung des Ostens" eine Verfügung ergehen lassen, die absolut kaum anders aufgesaßt werden kann, als eine Rechtfertigung der von einem polnischen Kaplan und teils direkt, teils durch ihre Eltern aufgehetzten Kinder von Wreschen, die sich weigerten, in der Schule deutsch zu reden, und dafür bestraft wurden. Eine allgemeine Wendung, die besagt, es sei vor körperlichen Züchtigungen zu Prüfen, „ob eine natürliche Scheu der Kinder vor körperlicherStrase sich geltend mackt",ankert an diesem Urteile nichts und ist höchstens als ein pädagogisches Kuriosum anzusehen. Der Schreiber lurjiw war in seinen ersten Schuljahren reichlich ungezogen und stellenweise auch gründlich faul, eine Scheu vor Prügeln hat er aber mit seinen durch die gleichen Vorzüge aus gezeichneten Mitschülern doch empfunden, und daß sie eine „natürliche" gewesen, konnte nicht bezweifelt werden, denn der Lehrer haute tüchtig zu. Von dem Nachfolger eines Bosse, der, wenn auch nur durch indirektes Verschulden, von einem „philosophischen" Prügelerlaß so viel Unannehmlichkeiten gehabt hat, hätte man eine derartige „allgemeine" Anordnung nicht erwarten sollen. Sie ist aber auch wohl nur eingekügt, um die besondere Vorschrift, auf die es ankommt, ein wenig zu bemänteln, und diese Vorschrift besagt: „Ihr Lehrer müßt eS ruhig binnehmen, wenn polnische Kinder, von denen ibr wüßt, daß sie deutsch verstehen, plötzlich erklären: Wir können nicht deutsch." Selbst ein Bialt wie die „Voss. Ztg." sagt von der Verfügung des Herrn vr. Stuvt: „Wir fürchten sehr, daß der Minister die Lehrer des OstenS den polnischen Machenschaften wehrlos preiSgibt." Herr vr. v. Frege-Wcltzic» hat an die „Kreuzztg.", resp. deren Chefredakteur, die folgende Zuschrift gerichtet: Hochverehrter Freund und Kollega! Seit meiner schweren Erkrankung am 15. Mai 1901 und dem argen Rückfall im November v. I., wo intrigante Federn, welche Sie in der „Kreuz-Zeitung" wiederholt so treffend bezeichneten, daß ich kein Wort hinzuzufügen habe, mir nicht einmal auf dem Kranken- lager Zeit ließen, das ärztliche Gutachten abzusenden, welches mir den Rücktritt von jeder öffentlichen Tätigkeit zur absolute» Pflicht machte, bin ich leider so wenig hergeslellt, trotz rührender Pflege und größter Schonung, daß ich nicht daran denken kann, meinen Platz im Reichstag einzunehmrn. Nur die Ueberzrugung, daß mein Wahlkreis bei einer Nachwahl gefährdet ist, der Sozial demokratie anheimzufallen, und dringende Bitten, biS zum Schluß dieser Wahlperiode auSzubarren, halten mich ab, mein Mandat nieder- zulegen — die „Deutsche T.-Zig." kann mich also ruhig zu den Toten Wersen, ich werde ihre Kreise nicht stören —; wohl aber hielt ich ,S nach meinen bald L5 jährigen zollpolitischen Arbeiten, als einer der ältesten Agrarier, für Pflicht, ein Wort aufrichtiger Warnung zu sagen im Kreise meiner Freunde der öksnomi- schen Sozietät in Leipzig. Ohne Mein Zutun ist diese Ansicht über die schwebenden Zolltarisfragen zum Gegenstände der Be sprechung geworden, zum Teil beifälliger Art, ober natürlich von gewissen Preßorganen auch in der Weise, die ich herzlich — gering schätze. Ich bin derselbe Agrarier, als welcher ich im Jahre 1878 in die konservative Fraktion eintrat. Wie aber schon damals trotz Fürst Bismarcks zollpolilischer Wandlung nicht alle unsere, gewiß berechtigten Wünsche erfüllt wurden und werden konnte» — die Nachwehen der Aera Delbrück- Camphansen waren auch unter unfern Gesinnungsgenossen noch zu stark vertreten —, so fürchte ich werden auch jetzt nicht alle an sich durch. auS richtigen agrarischen Forderungen durchsühi bar sein, weil die Aera Caprivi zu viel Fundamente erschüttert hat, aus denen ein einwands. freier Schutzzollturm sich errichten ließe. Daß gerade ich zufällig seinerzeit diese Befürchtung unmittelbar nach dem Angriff des Grafen Caprivi aus unsere damalige Haltung im Auftrag der Fraktion im Reichstag auszuiprechen hatte, erwähne ich nur, Weil man jetzt mir g ouvernementäte Gesinnung vorwirst, von der ich mich völlig frei weiß, da ich noch genau so denke, wie ich damals auSgrfiihrt habe. Scheitert der jetzt vorliegende Zolltarif, so sehe ich sehr pessimistisch tu die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands, welche nur durch ehrliche Bundesgenossen- schast der Landwirtschaft und Industrie «ine gesicherte ist. Wenn ich nicht irre, hat sich der Vorsitzende der Kommission, unser verehrter Here Kollege Rettich, in ähnlichem Sinne ge- äußert. Der Ertrinkende greift nach der schwankenden Planke, zumal wenn das rettende Boot in so unsicherer Ferne erscheint, wie eine feste Mehrheit Le« Reichstag- für einen uns ganz befriedigen den Zolltarif. Nur treues Bekennen der unveränderlichen Grund sätze des Konservatismus hat mir meine Worte am 4. Oktober in den Mund gelegt, ich nahm zugleich Abschied von Freunden, mit denen ich fast ein Menschenalter für unsere „ehrliche Arbeit mit reinen Händen", wie Graf Schulenburg-Beetzendorff die Gründung der Steuer- und Wirtschastsreformer bezeichnete, gekämpft habe. Gern will ich mich geirrt haben, wenn ein besseres Resultat als die Regie- rungsvorlagr zu erreichen ist, das Recht, an der Lauterkeit meiner Absicht zu zweifeln, räume ich nach meiner offen daliegenden, lang jährigen parlamentarischen Tätigkeit aber niemand ein, auch nicht den Matadoren der Maßlosigkeit, wo dieselben auch sitzen mögen. Indem ich Ihnen, verehrter Freund, ganz überlaste, von diesen Zeilen den Ihnen angemessen erscheinenden Gebrauch zu machen, bin ich i» aller Verehrung stet» Ihr ergebener vr. v. Frege-Weltzieu. Wiesbaden, den 10. Oktober 1902. Die „Kreuzzeitung" fügt dieser Zuschrift folgende Be merkungen hinzu: „Wir haben diesen Brief des Abg. vr. v. Frege seinem Wunsche gemäß gern zum Abdruck gebracht. Daß wir leinen Ausführungen nicht zustimmen können, wissen unsre Leser. In eine Polemik gegen einen unS so nahestehenden Parteigenossen einzutreten, kann unS natür lich nicht einfallen. Eines müssen wir aber hervorheben: die Meinung des Abg. vr. v. Frege, daß „nur durch ehrliche Bunde-gcnossenschast der Landwirtschaft und Industrie die Zukunft Deutschlands eine ge- sicherte sei", teilen auch wir. Wir haben Liese Anschauung stets vertreten. Der letzte Beschluß, in dem die konservative Fraktion zu den Arbeiten der eisten Kommissionslesung sich aussprach, stellte obenan den Satz: „Die konservative Partei steht nach wie vor fest aus dem Boden des ausreichenden Schuhes der gesamten nationalen Arbeit." Der gesperrte Druck der beiden Worte „aus reichenden" und „gesamten" hatte seine gute Be deutung. Der Abgeordnete vr. v. Frege läßt unserer An- sicht nach aber außer acht, daß die Industrie die ihr „ehrlich" von der Landwirtschaft dargebotene „Bundesgenostenschaft" nicht angenommen hat und noch immer daran sesthält: „Ihr müßt uns (denen es gut geht) alles zugeslehen, was wir wünschen; wir bekämpft» eure Wünsche (obwohl es euch schlecht geht)." TaS ist eben keine „ehrliche Bundesgenosjenichaft" mehr, sondern die Landwirtschaft soll einfach die Geschäfte der Industrie besorgen und dabei noch alles Odium und die Last des Wahlkampfes auf sich nehmen. Das lehnen wir kühl ab und bekämpfen daher jede Erhöhung industrieller Zölle. Scheitert schließ, lich die Zolltarifvorlage, so regt uns Las weder besonders auf, noch sehen wir so pessimistisch wie der Abg. vr. v. Frege in die Zukunft." Das klingt sehr stolz und zuversichtlich, soll aber jedenfalls nur die Verlegenheit verbergen, in die dis „Kreuzzlg." fick durch die Darlegungen „eines der ältesten Agrarier" versetzt fühlt, besten Stimme in landwirtschaftlichen Kreisen jeden falls mehr Gewicht hat, als dis der von ihm herzlich gering geschätzten „Matavore der Nftlßivsi,steil" an der Spitze des Bundes der Landwwte. Der Verzicht auf den Versuch, >u «ine Polemik gegen den Verfasser der Zuschrift -in- zutreten, beweist am besten, wie wenig Erfolge die „Kreuzzeitung" sich von einem solchen Versuche versplicht. UebrigenS ist dieses Blatt nicht die konservative Partei, nicht einmal die koniervative Neichstagsfraklion, und in dieser fehlt es gewiß nicht an Männern, die sich nickt einreden lasten werden, sie, die so viel für die Landwirtschaft verlangen, dürften, ohne Gefahr zu laufen, der Industrie jedes Zu geständnis verweigern. Die Stimmen solcher Männer sind ja bereiis laut geworden und sie werden sich mehren, je mehr die Mahnungen und Warnungen dcS Herrn I)r. v. Frege in das Volk dringen. Davon wird sich die „Kreuzztg." bald genug überzeugen können; vielleicht findet sie bann, raß auch sie anders kann. Seit der irischen Home-Nule-Frage hat kein innerpolitisches Problem in England die Gemüter so lebhaft in Bewegung versetzt wie die vor einigen Monaten eingedrückte Tchulvorlagr, die zu außergewöhnlicher Bedeutung emporzewach>en ist, nach dem in den Reihen der herrschenden Partei selbst eine ziem lich heftige Opposition sich geltend gemacht bat. Der Streit dreht sich um eine Neuregelung der sebr verwickelten Schul verhältnisse Englands, wobei namentlich folgender Tatbestand zu berücksichtigen ist: Bisher hat eS in England auf der einen Seite öffentliche Schulen gegeben, in Venen der Religions unterricht nicht nach streng konfessionellen Grundsätzen erteilt wurde; dieser Unterricht wurde vielmehr so eingerichtet, daß alle der anglikanischen und der katholischen Kirche nicht angehörigen, d. b. die sogenannten nonkonformistischen Kinder, daran teil- nehmen konnten. Auf der andern Seite stehen die streng konfessionellen Kirchenschulen katholischer oder anglikanischer Richtung. Die letztgenannten sind von der öffentlichen Kontrole befreit, erhalten aber auch keinerlei Geldunterstützung, während die ersteren unter Aussicht stehen und auS den Steucrgeltern unterstützt Werden. Nach der neuen Vorlage sollen nun auch die anglikanischen und katholischen Schulen als öffentliche Anstalten anerkannt und der Unterstützung durch öffentliche Mittel teil haftig werden, soweit es sich um den Unterricht nichtrtligiöser Gegenstände bandelt; der Religionsunterricht soll gleich zeitig leinen obligatorischen Charakter verlieren. Gegen diese Neuerung bat sich nun ein starker Widerstand unter Leitung des baptistischen Predigers Clifford erhoben unv, wie schon erwähnt, insbesondere auch einen Teil der der Regierung sonst anhängenden politischen Kreise ergriffen. Daß die Negierung die Bewegung nicht leicht nimmt, ging aus der vorgestern gemeldeten Ansprache Chamber lains hervor, der seinen Birminghamer Wählern den Sturz dcS Kabinett« mit all den bedenklichen Folgewirkungen, die er davon erwartet, in Aussicht stellte. Chamberlain mahnte, man möge schlimmsten Fall« über kompliziert« Punkte geteilter Meinung sein, aber doch ja nichts tun, um die In trigen jener Leute zu fördern, die Irland den Home-Nulern ausliefern, die südafrikanischen Probleme der Einstchtskrast uno dem Patriotismus der Pro-Boerett überlasten und die NeichSlnterestsn den Klein-Engländern preiSgeben und die inneren Reformen den Steckenpferdrcitern des radikalen linken Flügels überantworten würden. Gestern hat der Minister rat sich mit der Angelegenheit befaßt. Zur Kohlrnnot tu de» Brretnigtrn Etaaten wird der „Köln. Ztg." unterm 10. Oktober au- New Dort ge schrieben: Dir Lage ist sehr ernst. Die Versuch« der republikanischen Politiker, die Grubenbesitzer durch den Hinweis auf die sichere Niederlage der Partei bei den bevorstehenden Staats- unv Kongreßwahlen mürbe zu machen, suiv vollständig sebigeschlagen. Es herrscht Bestürzung unter den Politikern. Alle möglichen Gerüchte über eine Beilegung des Ausstandes einerseits und die drohende Beschlagnahme der Kohlengruben durch den Staat Pennsylvanien anbersrils geben in der gelben Presse um, doch ist das nur eine Tat sache, daß ter Koblentrust unbeugsam ist. Man hofft auf einen neuen Schackzug Roosevelt-. Die öffentliche Meinung wendet sich immer heftiger gegen den Kobleutrust, was sich auch durch die Beschlüsse der gestrigen, von neun Staaten beschickten Konferenz in Detroit auSdrückl: Beschlag nahme der Gruben, Sondertagung des Kongresses und sofortige Durchführung deS BundeSeisenbabngesetzeS. Dagegen werten Stimmen laut, die eine vollständige Außerachtlassung des Ausstandes verlangen, weil sonst eine Revolution unver meidbar sei. Co sagte in einer Versammlung in New fstork dec frühere Finanzsekretär Gaze, die Lage sei gefährlicher als jemals in der Geschichte Amerikas. Wenn dir Ordnung jetzt nicht aufrecht erhallen werde, ser die amerikanische Freiheit verloren. Ein namhafter Kanzelredner, Hillis, sagte, wenn nicht Bajonette genug vorhanden seien zum Schutze der Feuilleton. Compama Clyador. 11s Noman von Wold emar Urban. Si-Krruck verbot«».. Neuntes Kapitel. Der alte Vvggenhuber war eine stadtbekannte Persön lichkeit rind wegen seiner rücksichtslosen, scharfen und bissigen Bemerkungen gefürchtet und berüchtigt. Er hatte ein langes, arbeits- und svrgenrciches Leben hinter sich, in dem er sich einen gewissen Scharfblick für die Er scheinungsformen und die Beziehungen der Menschen untereinander ungeeignet, so daß er aus halben Worten, aus zufälligen Beobachtungeil von Nebensächlichkeiten und Kleinigkeiten leicht den Znsammenl-ang der Dinge erriet und dann mit verblüffender Ungeniertheit seine Glossen darüber machte. Dazu kam, daß er sich seit einigen Jahren vom Geschäft zurückgezogen — er war Zimmermeister und Holzhändler, letzteres gelegentlich auch jetzt noch — und nun viele Langeweile hatte, die er sich dadurch zu vertreiben suchte, daß er andere Leute in seiner Weise ankrakehlte. Daß er sich dabei mit ganz besonderem Behagen über den Rechtsanwalt Habicht k hcrmachte, war seinen sämtlichen Bekannten längst eine ausgemachte Sache. „Nun, Herr Doktor?" rief er eines Morgens den jungen Arzt, Doktor Herwarth, als dieser eben aus der Wohnung des Rechtsanwalts Habicht I hcrauskam, „wie ist's? Will's denn noch nicht vorwärts gehen? Darf man noch nicht gratulieren?" Der junge Arzt wurde rot und verlegen. Er schien diese Worte für eine Anspielung auf eine heikle An gelegenheit zu nehmen, die eine Erörterung ohne weiteres auf der Strafte nicht vertrug. „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Herr Boggenhuber", erwiderte er ausweichend. Der alte Herr lachte sarkastisch und fuhr sodann blin zelnd fort: „Na, nun tun Sic 'mal nicht so. Man soll's wohl nicht merken, was Ihre Besuche in dem Hause des alten Habicht zu bedeuten haben." „Fräulein Hedwig ist etwas unpäßlich", erklärte Doktor Hcrwarth naiv. „Ja, ja doch, und Fräulein Luise wollen Sic kurieren. Das sieht ein Blinder." „Herr Boggenhuber —" „Ach, lassen Sie doch das. Mein Gott, Sie haben ja so recht. Ist ja eine ganz gute Partie, sieht wenigstens so aus. Aber ich glaube nur, Sie kommen da in ein reserviertes Jagdgebiet." „Wie meinen Sie das?" „Fräulein Luise ist nicht mehr frei." „Davon wußte ich in der Tat nichts. Und ivarum heiratet sie nicht? Sie ist doch nicht mehr zu jung." „An ihr licgt's wohl auch nicht." „Sondern?" „Der Alte will nichts 'rausriicken. Da liegt der Hase im Pfeffer. Das ist nun heutzutage einmal so. Aus nichts wird nichts. Eine Haushaltung kostet (Äeld, und besonders, wenn der Betreffende dem Ofsiziersstandc an gehört, so reden da mancherlei Verhältnisse und Men schen mit." „Ah, er ist also Offizier?" Der alte Boggenhuber nickte. „Er ist nicht hier. Er steht jetzt, so viel ich weiß, in Straßburg. Aber er war hier und hat auch schon um Luise augehalten. Ich sehe den alten Habicht leibhaftig vor mir, als ob ich dabei gewesen wäre, wie er glatt und geleckt zu dem hochgeborenen Herrn Freier sagt: Habe nichts dagegen. Wenn Tie meine Tochter lieben und meine Tochter liebt Sic, so heiraten sie sich meinetwegen. Meinen Segen haben Tie, sonst aber gicbt's nichts. Ver standen? So lange ich lebe, nicht. Wer eine Frau heiraten will, muß sie auch ernähren." Wieder nickte der alte Boggenhuber mehrere Male und sah dem jungen Arzt lächelns ins Gesicht, als wollte er sagen: Jawohl, so ist cs, meru Schatz, nimm dich also in acht. „Und was ist nun?" fragte Doktor Herwarth interessiert. „Was soll nun sein? Nicht» ist. Sie schreiben sich, die alte Brigitte hat'» meiner Frau erzählt. Sic muß die Briefe besorgen. Er sitzt in Straßburg und verwünscht sich und die Welt, und sie sitz: hier und weint und seufzt und seufzt und weint" Dann nahm der alte Herr den jungen Arzt bei der Hand und sagte etwa» leiser und vertraulicher: »Ich sage Ihnen das, Herr Doktor, damit Tie wissen, wie cs steht, und sich nicht unnötig erhitzen und Ihre Zeit verlieren. Tie haben sa recht. Das siebt alles ganz hübsch auS und ein mehrfacher Millionär als Schwieger vater ist eine nicht zu verachtende Vorsehung. Aber die Millionen find noch sehr weit, wie die Sterne, und der alte Habicht ist ein alter Hallnnke, der seine Millionen am liebsten etnpökeln möchte, und noch lange nicht stirbt." „Kür mich kommt das absolur nicht in Krage, mein lieber Herr Boggenhuber", warf der Arzt leicht hin. „Na, ja doch, das kennen wir ja. Jetzt, wo Sic wissen, wie die Lache liegt, vielleicht nicht mehr. Aber ich meine es gut, Herr Doktor. Es ist vergebene Mühe. Mit dem alten Habicht ist nichts zu machen. Und wenn thm Fräu lein Lilisc vor die Füße fällt und seine ganze Familie von ihm fortläuft, was kümmert's ihn? Der Kerl ist von Stein. Nun fängt er sogar an, mit seinem eigenen Sohne zu prozessieren. Wissen Sie schon?" Der alte Boggenhuber lachte sich im wahrsten Sinne des Worte« einen Buckel. Er wurde ganz krumm dabei. „ES ist das Schönste bei der Geschichte", fuhr er dann halb außer Atem fort, „ich lache mir ja ein Bein ans. Da sieht man doch, daß es noch eine Gerechtigkeit in der Welt gicbt. Diese beiden Habichte, die mit der halben Stadt prozessiert und Hunderte und Tausende von Leid tragenden gemacht haben, im doppelten Sinne des Wortes, die mußten endlich selber aneinander geraten, zum Gaudium aller derer, die sie reingelcgt haben. Einer von ihnen wenigstens muß nun auch einmal ein Leidtragender werden und merken, wie eS tut, mit Leuten ihres Schlages zu tun zn haben. Einer von ihnen muß reinfallcn. Viel leicht alle zwei." Ein Wagen fnchr vor dem Hanse vor und hielt an. Gleich darauf stieg Herr Habicht I aus. „Habe die Ehre, Herr Rechtsanwalt, habe die Ehre", dienerte der alte Boggenhuber aufgeräumt und zog mit einem spöttischen Lächeln seinen alten Kitz bis zur Erde. Auch der junge Arzt grüßte resvcktvoll und vornehm, wie es sich für einen armen Teufel gehörte. Aber der alte Boggenhuber schien sich dem Rechtsanwalt in christlicher Nächstenliebe nähern zn wollen, vielleicht nm sich teil nahmsvoll nach dein Befinden seines Sohnes zn er kundigen. Herr Habicht I schritt rasch nnd flüchtig grüßend an ihnen vorüber und trat in seinen Garten ein. Er kannte die verdächtige Höflichkeit des alten Voggen- huber schon und wich ihr aus. Vor noch nicht langer Zeit hätte Rechtsanwalt Habicht für solche kleine Nancuncn eines seiner Leidtragenden nur eine lächelnde Verachtung gehabt. WaS konnten ihm denn diese Leute alle miteinander tun? Solche kleine Witzchen berührten ihn ntckit, und wenn sie gröber und zu dringlicher wurden, so machte er ihnen den Prozeß und ließ sie bestrafen. Jetzt aber war er äußerst empfindlich und bis zur Nervosität reizbar. Wenn ihn nur jemand von der Seite anfah, auch ohne dabei etwas Unrechtes zu denken, so glaubte Herr Habicht schon, daß er von den Zerwürfnissen in seiner Familie wußte und seine Glossen im stillen darüber mache. Wenn ihn jemand nach seinem Sohne fragte, in der unschuldigsten Weise, so wurde er so erregt, daß er keine normale Antwort zu geben vermochte und sich lieber abwandte, um einer Antwort übcrhobcn zu sein. Sein Sohn! Schon wenn er an ihn dachte, ergriff ihn Zorn und Aerger; wenn er seinen leeren Platz bei Disch sah oder er ertappte seine Frau, wie sie heimlich weinte — natürlich um ihn — geriet er in Wut. Eine unglaubliche und ihm bis dahin ganz unbekannte Stim mung beherrschte ihn, eine schmerzliche Trauer, eine Weh mut, in der er alles um sich herum hätte zerschlagen mögen. Sein Sohn war immer, so lange dieser auf der Welt war, sein zweites Ich gewesen. Sowie er laufen konnte, schleppte er ihn mit sich herum, zeigte ihn überall, lernte ihn an, beriet ihn, ebmahnte ihn', lenkte nnd leitete ihn. Er war sein Stolz und seine Fremde, seine Hoffnung — sein alles. Mit der ganzen Klugheit des Mannes, der das Leben in allen Höhen und Tiefen kennt, führte er seinen Sohn und erzog ihn nach seinem Willen, zn seinem Bilde. Er liebte ihn, u-nd feine Krau, seine Töchter, seine Verwandten — alles hätte zu Grunde gehen können, wenn nur seinem Sohne nichts Ueblcs geschah. Und nun lief dieser Mensch, ohne auch nur Adieu zu sagen, davon und ließ ihn im Alter allein stehen. Tein eigenes Ich trennte sich von ihm, der stftgenstand seiner Gedanken all' die langen Jahre her, der Inhalt seines Lebens, das, was allein noch sein Inneres belebte und erfüllte, ging seiner Wege wie ein junger Hund, der selbst laufen gelernt, nachdem er sich an der Mutter groß ge saugt. Das also war da» Resultat seiner Erziehung? Im Anfang hatte er nicht geglaubt, daß das möglich sei. Als ihn Herr von Theffen eines Tages besorgt ge fragt, was das alles zn bedeuten lwbe, hatte er geant wortet: „NichtsI Er hat de» Rappel. Ich will ihn schon wieder zu Verstände bringen. Er soll schon wieder weich werden." (Fortsetzung folgt.)
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