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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021115022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902111502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902111502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-15
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Durch dir Post bezogen für Deutschland u Oesterreich vierteljährlich «, für die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Redaktion und Lkpedition; Johanni-gaffe 8. Fernsprecher tS3 und L2L Filiakevvrdttlove« 1 Alfred Hahn, vuchhandlg., NniversttätSstr.S, L. Lösche, Katharineastr. IS» a. SünigSpl. 7. Haupt-Filiale Vresdm: Strehleaer Straße S. Fernsprecher Amt 1 Nr. I71L Haupt-Filiale Serlin: Nöniggrätzer Straße l16. Fernsprecher Amt VI Nr. 8398, Abend-Ausgabe. Anzeiger. Äitttslisalt -es Äönrgtichen Land- nnd -es Äönigttchen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates un- -es Votizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Neklameii unler dem Rednktiondstcich (4 gespalten) 7K vor den Familtenuach- richten (6 gespalten) KO H. Tabellarischer lind Zisfernsad enisprecheich Häher. — Gebühren ßtr Nachweisungen un» Lsferteiiaiiiiahmk LK (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbcsürderung 60.—, mit Postbesürderung 70.—» Annahmeschluk für Artigen: Abend-BuSgab»: Vormittag- lO Uhr. MorgeL-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sk 583. Sk. Jahrgang. Sonnabend den 15. November 1902. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. November. Da» Abstimmungsverfahren. DaS gestern im Reichstage zur Annahme gelangte neue Verfahren bei namentlichen Abstimmungen hat sich als bald bei seinen ersten Proben besser bewährt, als viel fach erwartet worden war. Daß der Schriftführer Himburg zueist einen Fehler dadurch beging, daß er einer kleineren oder größeren Zahl von Abgeordneten gestattete, ihre Stimmzettel selbst m die Urnen zu legen, kann bei der Neuheit des Verfahrens nicht befremden; jeden falls verdiente der Irrtum nicht die beschimpfende Bezeich nung „Mogelei", zu der der sozialdemokratische Abgeordnete Antrick sich hinreißen ließ. Diese Bezeichnung war aber charakteristisch für den Groll der Minderheit darüber, daß der Aichbichlersche AbiliininungsmoduS gleich die erste Probe bestand. Die weiteren sielen noch besser aus und be wiesen, daß das Haus bei diesem Verfahren weit rascher zum Ziele kommt, als früher. Und wenn nun gar, wie beabsich tigt wird, statt der gestern benutzten einfarbigen Slimmkarten solche in drei Farben zur Verwendung gelangen, die durch die Farbe erkennen lassen, ob sie ja, nein oder Stimment haltung bedeuten, so wird die Zeitersparnis noch größer werden. Ob sich später auch Uebeistände Herausstellen, muß abgewartet werden. Sollte es der Fall sein, so dürste wenigstens von konservativer Seite der Versuch gemacht werben, die Geschäftsordnung einer noch einschneidenderen Acnverung zu unterziehen, denn schon gestern erklärte der konservative Abg. v. Tiedemann, daß er zur Abwendung der von den Obstruktionisten drobenden Gefahr eine noch gründlichere Revision der Geschäftsordnung, als sie der harmlose Anirag Aichbichler bezwecke, sür unabweisbar ansehe. Auch die Annahme dieses Antrags vollzog sich rascher, als befürchtet worden war. Nur ein Redner für, einer gegen den Antrag, dann wurde der sozialdemokratische Antrag aus Uebergang zur Tagesordnung mit 194 gegen 76 Stimmen abgelehnt und der Antrag Aichbichler selbst mit l97 gegen 78 Stimme» angenommen und trat sofort in Kraft. Als man dann zum Zolltarisgefetze zurückkehrte, offenbarte sich die ganze polnische Weisheit der vom Richter- schen Freisinn kläglich an den Rockschößen der Sozialdemo kratie allein gelassenen Freisinnigen Vereinigung dadurch, baß der Abg. Broemel, Herrn Singer baS Geschäft ab- nehmenv, über einige Anträge trotz dcS Schlusses der Debatte einfachen Uebergang zur Tagesordnung beantragte und sich davurch die Möglichkeit zu einer nochmaligen Rebe ungeachtet des bereits erfolgten DebattefchiusfeS verschaffte. Dieser Antrag, der den vorgestrigen Be schluß der Mehrheit in Betreff der sozialdemokratischen Anträge benutzte, die Obstruktion um einen neuen Trick zu bereichern, wurde von den Sozialdemokraten mit um so stürmerischerem Jubel begrüßt, als damit ganz im Stile des Herrn Singer der Antrag auf namentliche Abstimmung über den TagesordnungSantrag verbunden wurde. Dank dem neuen Verfahren kam daö Haus über dieses und einige andere Hindernisse ohne allzugroßen Z-itveilnst fort nnv förderte die Beratung des ZolltarifgesetzeS nicht unwesentlich dadurch, daß eS die Htz 9 und 10 nach den KommissionS- beschlüfsen, doch beide mu einem Amendement Herold, annakm. Zum Schluffe mußte sich das Haus leider abermals ein Armutszeugnis ausstellen. Montag und Dienstag nächster Woche sollen, da ein beschlußfähiges Haus zwischen Sonntag und deck auf Mittwoch fallenden Bußtag ausgeschlossen ist, sitzungsfrei bleiben. Da selbstverständlich auch heute an Beschlußfähigkeit nicht zu denken ist, die Zollberatung mithin nicht fortgesetzt werden kann, während man sich anderseits scheut, einen weiteren Tag sitzungsfrei zu lassen, so einigte man sich, beute nur Petitionen auf die Tagesordnung zu setzen. Auf diese Weise findet man wenigstens Zeit, die Verst ändig u ngöversu che, die wieder begonnen haben, hinter den Coulissen fortzusetzen. Das „Fähnlein -er Aufrechten", wie die Fr ei s iu n i g e V e r c i u i g u n g des Reichs tages lobrednerisch von der ihr nahestehenden Presse ge nannt wird, hat die Anerkennung seiner eigenen Organe recht nötig, denn die Stellung dieser Partei ist nichts weniger, als beneidenswert, seitdem fcstgestellt ist, daß sie der Sozialdemokratie lediglich Handlangerdienste in dem Bestreben leistet, im Reichstage deren altes Partcistich- wort zur Wahrheit zu machen: „Wenn dein starker Arm cs will, stehen alle Räder still." Namentlich nach den Ver handlungen über den Antrag Aichbichler kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Sozialdemokraten mit ihrer jetzigen Obstruktivnstaktik nicht bloß in dem einen vor liegenden Falle den Reichstag verhindern wollen, ihnen nicht zusagende Beschlüsse zu fassen, sondern daß dies nur der erste Schritt ans dem Wege planmäßiger Versuche zur Unterwerfung unter den Willen dec Sozialdemokratie ist, indem man andernfalls einfach auf dem Wege der Ob struktion den Reichstag und damit bis zu ctuem gewissen Grade das Reich selbst lahm legt. Daß dadurch die Art an die Wnrzel des ans dem gleichen und geheimen Wahl recht beruhenden Parlaments gelegt wird, ist sicher, und man kann daher in der Tat die Freisinnige Vereinigung nicht um die Handlangcrdieuste beneiden, welche sie bei diesem Totengräbergeschäft mit einem einer besseren Sache würdigen Eifer verrichtet. Nicht beneidenswerter er scheint diese Stellung, wenn man erwägt, daß sic sich im Widerspruche mit einem beträchtlichen Teile der Hinter männer und Gesinnungsgenossen der Fraktion im Lande befindet. Von dem jüngst verstorbenen Führer der Frei sinnigen Vereinigung ist bekanntlich kein Sehl daraus gemacht worden, daß er mit dem taktischen Vorgehen seiner Fraktiouögenvssen durchaus nicht einverstanden war. Er bat seinen Widerspruch mit ihrer Auffassung auch außer halb des Privatgesprächs in einer Weise bekundet, die nicht nur berechtigt, Gebrauch von diesen Aeußerungen zu machen, die vielmehr zeigt, daß man damit den Absichten des Verstorbenen entspricht. Herr Rickert war eben nicht einer von denen, deren Religion der Freihandel ist; er hatte sich neben seiner entschiedenen wirtsthastspvli- tischen Auffassung ein volles nationales Gefühl erhalten. Dies hielt ihn naturgemäß davon ab, wie es seine Partei genossen tun, zur ttnterhöhlung eines der Fundamente der Verfassung des Reiches hülfrciche Hand zu bieten. Daß diejenigen Abgeordneten der Freisinnigen Vereini gung, welche durch ein Zusammenwirken aller bürger lichen Parteien, also auch unter der Beihülfe der National liberalen und der Konservativen beider Richtungen, ge wählt sind, sich mit ihrem Verhalten direkt in Widerspruch mit großen Teilen ihrer Wählerschaft setzen, unterliegt keinem Zweifel. Auch darf man als sicher annehmen, daß diejenigen, welche gegen Tchutzzöllner gewählt wurden, mit ihrem extremen Verhalten keineswegs der Auffassung eines großen Teiles ihrer Wähler entsprechen. Man wird schließlich in der Annahme nicht schlgehen, daß ein be trächtlicher Teil der Großindustriellen und Großkaufleute, die dem der Freisinnigen Vereinigung so nahestehenden Sandclsvertragsvereine sich angeschkossen haben, durchaus nicht mit der Unterstützung der sozial demokratischen Obstrnktionsbestrcbungen durch die Herren vr. Barth und Genossen einverstanden ist. Ohnehin sprechen sichere Anzeichen dafür, daß in den Kreisen des Handelsvcrtragövereins die Auffassung mehr und mehr an Boden gewinnt, daß das Zustandekommen der Zoll- tarisvorlagc aus der Grundlage des Negierungsentwurfes die besten Chancen für die Fortführung einer den deutschen Interessen entsprechenden Handelsvertrags politik bietet. Aber auch diejenigen, bei denen sich diese llebcrzcugung noch nicht durchgerungen hat, werden zweifellos ernste Bedenken gegen eine Taktik hegen, welche die ihrem Verein nahestehende parlamentarische Gruppe in das Gefolge der Sozialdemokratie führt. Man kann daher das „Fähnlein der Aufrechten" in der Tat nicht wegen der Stellung beneiden, in welche es durch den Abgeord neten Dc. Barth verführt wurde. Die parlamentarische Lage in Oesterreich. Tie ganze Wirkung der letzten großen Rede des Ministerpräsidenten v. Kocrbcr über die Sprache u- f rage besteht darin, daß die Tschechen gnädigst geneigt sind, die seit dem 16. Oktober d. I. — an welchem Tage Herr v. Koerber im Abgeordnetenhause seine bekannten Grundzü'ge für die Losung der Sprachenfrage erläuterte — abgebrochenen persönlichen Beziehungen zu dem Ministerpräsidentcn wieder aufznnehmen. Dabei hat Herr v. Kvcrber durch die freundlichen Worte, die er den Tschechen widmete, einigen unzufriedenen deutschen Fraltionsführcrn zu der Behauptung Anlaß ge geben, daß er die „mittlere Linie", d. h. seine Objektivität in der Sprachenfrage, aufgegcbcn habe. Er hat aber- weiter nichts verschuldet, als die Tschechen, die über seine vor kurzem getane Aeußcrnng, die Sprachenfrage müsse auf gesetzlichem Wege geregelt werde«, geradezu er schreckt waren, etwas beschwichtigt, indem er sich nun mehr willig zeigte, die Sprachenfrage auch im V erord- nungöwcge zu lösen, wie cs diese Herren wünschen, f a l ls die notwendigsten Bestimmungen die Zustimmung beider streitenden Teile, der Tschechen n n - der Deutschen, fänden. Auch das Gebiet der deutschen Sprache als Staatssprache hat er noch etwas enger umgrenzt. Daö hat die Tschechen etwas milder gestimmt, aber, wie gesagt, wieder das Mißfallen der Deutschen erregt. Das alte Lied, schreibt man dec „Schlesischen Zeitung" aus Wien. Zeigt die Regierung den Deutschen ein freundliches Ge sicht, toben die Tschechen, redet sie dagegen den Tschechen gut zu, wittern die Deutschen schon Verrat. In der Tat hat Herr von Koerber nicht ein einziges Wort gesagt, das seine „sprachlichen Grnndzügc" irgendwie irritiert hätte. Aber die Parteien urteilen eben nicht nach sachlichen Er wägungen, sondern werden durchaus von Stimmungen beherrscht; gerade darum aber ist auch an einen „Aus gleich" zwischen den deutschen und den tschechische» Parteien in svrachlicher Beziehung nicht zu denken. Der Geschicklichkeit des Herrn von Kocrber wird es vielleicht gelingen, die Tagesordnung sür die Wehrvorlage und sür das Budgctvrovisorium frei zu machen; ein Mehr iß von dec parlamentarischen Methode, an die Herr von Kocrber gebunden zu sein scheint, nicht zu erwarten. Im übrigen wird man sich sehr beeilen müssen, um bis zu den Weihnachtsfcricn auch nur das Notdürftigste unter Dach zu bringen: das Vudgetprvvisorium und die Wehr vorlage. Bezüglich des Schicksals der letzteren weiß man noch gar nichts. Gegenwärtig wird mit den Tschechen wegen Zulassung der Vorlage zur ersten Lesung verhandelt. Hinsichtlich ihres Inhaltes aber hört mau bis jetzt saft ausschließlich oppositionelle Stimmen; wie die Regierung eine Zweidrittelmehrheit dafür aufbringeu will, ist unter den gegebenen Verhältnissen ziemlich rätselhaft. Unruhe« in Marokko. Schon seit längerer Zeit lausen aus Marokko ziemlich beunruhigende Meldungen ein. Es herrscht in diesem Sul tanat eine gewisse Gärung unter der muselmanischen Bevölkerung und große Unzufriedenheit mit der Regie rung des jungen Sultans Mulen Abdul Aus, der als Re formfürst gilt und die Europäer protegiert. Insbesondere sind die Berber sehr ausgebracht über die Rolle, die ein geheimnisvoller Schotte namens Maclean am Hose des Sultans spielen soll. Diese Stimmung erleichterte es einem politischen Abenteurer namens Omar Zarahun, die Rolle des Mahdi zu spielen und sich für einen Bruder des Sultans und den wahren Thronerben auszugeben. Omar Zaharun soll aber in Wirtlichkeit ein ehemaliger Soldat der marokkanischen Armee sein, der Algerien und Tunis besucht und sich dort einige Bildung und Weltkenntnis er worben hat. Es wurde ihm daher ein leichtes, die eiu- sältigen, zum religiösen Fanatismus neigenden Berg bewvhner von Ghiata zu verleiten, au seine göttliche Mis sion zu glauben. Er ritt ans einer Eselin, von seinen An Hangern gefolgt, durch das Land und predigte den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen. In bellen Scharen folgten die Betörten dem „Vater der Eselin", wie Omar »arahun von seinen Parteigängern genannt wird. Als der Präten dent sich der Hauptstadt Fez näherte und bereits bis Tesa vvrgedrungen war, sendete ihm der Snltan seinen Bruder Mulen-cl-Kebir an der Spitze eines ansehnlichen Truppen kvrps entgegen. In den ersten Tagen des November tam es in der -Nähe von Tesa zu einem Zusammenstoß, den aber dic Aufständischen durch einen Nebcrsail ans das Lager der Marokkaner provoziert hatten. Wie aus Tanger ge meldet wurde, sollen sich die Truppen des Sultans rastb gesammelt, den Angriff der rebellischen Berber siegreich zurückgewiescn, ihnen große Verluste beigebracktt und sic durch lauge Zeit verfolgt haben. Dem Prätendenten selbst gelang cs, nach einem Schlosse zn entkommen, und als dieses von den Truppen ebenfalls erobert wurde, abermals zu entweichen. — Neuere Meldungen besagten, daß die Kabulcn der Stadt Tctnan im Ausstand begriffen seien und eine Anzahl der dort lebenden Europäer gesangcn genommen hätten. Durch das Aufgebot marokkanischer Truppen und die schleunigste Entsendung europäischer Kriegsschiffe in die marokkanischen Gewässer ist einem weiteren Umsichgreifen der iKabnlcnbewegung vvrgebeugt worden. Sie haben, wie gemeldet, eine Niederlage erlitten, nm Verzeihung ge beten und die Gefangenen ausgelicsert. Leider schweigt der Telegraph darüber, ob ein neuer Kabnlenausstand ausgebrvchen war oder ob der Prätendent Omar Zarabnn sich an die Kabulcn gewendet und nun mit ihrer Hülfe den Zug nach Je; wieder aufgenommen hatte. - Wir erhalten noch folgende Nachrichten: * Gibraltar, 14. November. Tie drei englischen Krcnzer, die nach Tctnan entsandt worden waren, sind hon dort biecbec zuriickgckehrt und berichten, daß die B e n n » u h i g u n g s i ch g c I c g t ha b e. * Tanger, 14. November. („Nemecs Bureau.) Der Sultan ist am Montag nach Meines avgercisr. Fruilleton. Das Findelkind. Roman von Ernst Georg y. 'Nachdruck verbolcu. Siebentes Kapitel. Das Palais Wosakin. Vom Newsky-Prospett zweigt sich bis zur Newa der belebte, schöne Liteinu-Prospekt ab. Dieser bildet eine schnurgerade Linie. Ungefähr in der Mitte, unweit der Preobraschcnslijlathcdrale, liegt das Palais, wclchesErna Beckmanns neue Heimat werden sollte. Tödlich abgespannt von der langen, anstrengenden Reise, bedrückt und ver- grübett, war sie in Petersburg cingetrvffcn. Die Fürstin Drnzin war in Wilna von ihrem Gemahl erwartet worden. Sie hatte liebenswürdig von dem jungen Mäd chen Abschied genommen und sie durch Belehrung und Ratschläge für die Zukunft vorbereitet. Erst als Erna allein durch die ziemlich öde Landschaft ihrem Ziele ent- gegenfuhr, konnte sie sich ihren Gedanken hingebeu. Und diese waren recht düster. Am liebsten wäre sie in einer Aufwallung von heißer Reue umgekehrt und hätte sich in die Arme der alten Bolmanns geworfen. Sie erschien sich so unendlich einsam, so ganz verlassen. Antoks „Bleib, Erna, bleib!" hallte ununterbrochen in ihrem Ohr, schien ihr aus dem Rattern der Räder entgegen zu klingen. Erna kämpfte mit allem Aufgebot ihres Verstandes gegen die wilde , unklare Sehnsucht in ihrem Iuuern. Hier in der Ferne erschien ihr ihre Handlungsweise gegen die Pflege eltern, gegen die treuen Pariser Freunde schlecht und un dankbar. Zum ersten Male ging sie mit sich ins Gericht und rechnete mit sich ab. Aber all die nutzlosen Grübeleien brachten ihr keine Klarheit über ihre Gefühle. Ueber alles andere fort tauchten zwei Gestalten immer wieder vor ihrem geistigen Auge aus: Otto von Londheim und Ludwig Antok. Gequält stöhnte sie vor sich hin. Wen liebte sic eigentlich? Wer war ihr mehr? Mit dem Entschluß, an alle Bekannte in Hamburg und Paris zu schreiben, traf sie in Petersburg ein. Die Wirt schafterin des Grafen, eine deutsche Witwe, Frau Krüger, empfing sie an der Station. Dann kam eine Zeit, wo sie wie im Traum einhergtng. Wie automatisch sprach und sie; wie unter einem Nebel sah sie die neue, fremde Umgebung, die Menschen an sich vorüberzleheu. Die Rück wirkung aller ihrer Schicksale, Sehnsucht, Schmerz und «eue Eindrücke schlugen sie in Fesseln. Sie war so glück lich, wenn sie abends in ihr Zimmer gehen konnte. Sic ließ die Vorhänge geöffnet und starrte hinaus in die dunkeln Baunuvipscl des Gartens oder darüber hinweg auf die blinkenden Metallkrcuze der fünf glänzenden Kuppeln einer russischen Kirche. Erst als sie ihre Briese an die fernen Freunde richtete, wurde sie ruhiger. Unter strömenden Tränen zwang sic sich, in ihren Schreiben ruhiger zu erscheinen. In der Stille der Nacht saß sic hier allein im fremden Lande und versenkte sich in alte Zeiten. Und Bolmanns, Werner von Neckenbnrg waren wehmütig ergriffen, denn der starre Trotz des teuren Mädchens schien einer milden Weichheit Platz gemacht zn haben. Ihr erster Brief in der Villa an der Alster erregte fast Revolution. Die Pflegeeltern, die Freunde kamen und lasen immer wieder Ernas Zeilen. Man freute sich ihres kindlich daut- barcn Tones. Mau hoffte auf vollständige Versöhnung mit dem geprüften Mädchen und ans ihre Hcimtchc. Anders wirkten Ernas Briefe in Paris. Fräulein Tonstark, Mademoiselle Tolllrt und Bvtlricd waren ent zückt darüber, wie wohl die Freundin sich in Rußland zn fühlen schien. Mir Antot fühlte, mit den» Feinempiinden der Liebe, daß nntcr der erzwungenen Heiterkeit sich müh sam verhehlte Schmerzen bargen. Er ersehnte de» Moment, wo er die Büste der Fürstin Druzina nach Petersburg überbringen konnte, nm die Geliebte miedcrzusehcn. Nack, und nach zog die Fremdartigkeit des russischen Lebens Erna von alten inneren Erwägungen ab. Ihre Augen wurden klar. Sic beobachtete und urteilte. Ernas Tätigkeit im Hause beschränkte sich auf ihr Zugcgcnscin bei den Mahlzeiten, auf das Eingicßcn von Tbce und auf für sic höchst interessante Ausfahrten mit der Gräfin oder der Komtesse. Sonst hatte sie absolut nichts zn tun und fragte sich manchmal, wozu sic eigentlich engagiert sei. Tatiana, eine häßliche junge Person mit ausgesprochen mongolischen Zügen, hielt sich von ihrer Gesellschafterin fern. Wenn sie über ihre Bücher gebückt in ihrem ge meinsamen Wohnzimmer saß, sprach sie nur selten. Erna machte Handarbeiten. Sie fühlte dann häufig die Blicke der Russin ans sich ruhen. Hob sie die Augen, so ertappte sie einen mißtrauischen Ausdruck ans dem Gesicht der anderen, prüfende Blicke und ein finsteres Aussehen. All ihre Annähernngsversnchc scheiterten an der eisigen Zurückhaltung der Komtesse. Schweigsam saß diese im Wagen neben ihr. Düster wanderte sic bei Spaziergängen an ihrer Seite, während ein Lakai ihnen stets in einiger Entfernung folgte. Selbst im Theater, in der Oper, klärte sich der verschlossene Ausdruck nicht. Tatiana blieb teil- uahmlos, sogar in den Gesellschaften, wenn die Herren die junge Erbin stürmisch umwarben. Nur in ihren reli giösen Hebungen schien sie von einem zelotischen Eifer. Stundenlang weilte sie in der Kirche, stundenlang kniete sie, wie Erna durch die Vorhänge bemerken konnte, vor den Heiligenbildern in ihrem Schlafzimmer. Alle Diens tage und Freitage machte die Komtesse in einfacher Kleidung Armenbcsuche. Keiner durfte sie begleiten. Auch Ernas Bitte, mitgchcn zu dürfen, wurde schroff zurück gewiesen. Und doch empfand Erna eine merkwürdige Smnpathic, ein herzliches Mitleid mit dem häßlichen Mädchen. Sic fühlte, wie unglücklich das von Glanz und Luxus um gebene Geschöpf war. Die Erinnerung an ihr eigenes Un glück kam ihr; geduldig harrte sie nnd warb nm Tatianas Liebe. Die Eltern nnd Brüder übersahen die Komtesse oder verfolgten sic mit spöttischen Witzen. Einsam und vlme Liebe lebte sic in dem Familienkreise, — meist in ihre Gemächer gebannt, welche im linken Flügel des Palais lagen. Hier batte auch Erna ihr freundliches Schlaf zimmer. Die Wohnränme teilte sie mit ihrer jungen, nn- sreundlichen Herrin. In diesem Teile herrschte wohltätige Rnhe, während in den prunkvollen Empfangsräumen und im rechten Flügel ein nnanfhörliches Kommen und Gehen war. Nach echt russischer Art waren die Gastzimmer be ständig mit Verwandten und Freunden von außerlialb be setzt. Von früh an kamen Besuche bis in die späte Nacht hinein. Die Freunde der beiden jungen Grafen, Kola und Sascha, speisten stets bei Wosakins. Nachts, zwischen ein und drei Uhr kamen Wagen vorgcfabrcn, und ganze Gesellschaften erfüllten das Palais mit lautem Jubel. Der französische Hausmeister, zwei Köche, die deutsche Wirt schafterin und noch sechzehn Personen sorgten für die Be dienung. — Nur zweimal batte Erna Bolmanu dem Treiben auf Wunsch der Gräfin bcigewohnt. Aber an gewidert von dem Gesehenen, hielt sie sich fortan in ihren Räumen nnd freute sich auf die Nebersiedelung nach PawlvwSk, dem Svmmersitz der Familie. Ihrem an Hamburger Steifheit gewohnten Wesen war daö ungebundene Betragen des HvchadeiS, der französische und englische Art falsch und übertrieben nachahmte, un ¬ angenehm. Das Prassen und ausschweifende Trinken während der Tafel düntte ihr vrgienhast. Und später, wenn Herren und Damen mit von Leidenschaft durch wühlten Gesichtern um die Spieltische saßen und hazar Vierten, erschrak sie vor der Wut und Gier dieser vor nehmen Leute. Im Raucksialon lagen die Damen auf den Divans oder in den Stühlen, uud ließen sich, dicke Ranch wölken ausstoßend, den Hof machen. Nur die ganz jungen Leute spielten im Musiksaal und tanzten. Ernas schöne, vornehme Erscheinung, ihre Aelmlichlcit mit der Gräti- Lautow, der Schwester der Fürstin Druziu, Halle Senia tion gemacht. Da ne aber doch nur als Gesellschafterin der Komtesse vvrgcstellt wurde, glaubten die Herren, sich ihr gegenüber mehr Freiheiten erlauben zu dürfen. Eine ganze Rotte junger Offiziere Halle das junge Mädchen in eine Ecke des Musiksaales gedrängt und trank ihr, gefüllte Ehainpaguerlclche in der Hand, zn, huldigte ihr und lud sie znm Rennen ein. Aengsilich und blaß vor Schrecken sah sie sich um. Ihre hülfesuchciideu Blute be gcgucteu denen Tatianas, die gelangweilt den Tiraden des Grase« Krotjcmkn, ihres Bewerbers, lauschte. Tic- Komtesse erhob sich und befreite iluc Gesellschaftsdame, die Bedränger mit herrischen, russisch gesprochenen Lätzen zurückwcisend. . . „Ter häßliche mongolische Asse! Schade, daß sic nicht die Begleiterin, und die andere eine Wvsakiu ist. Dann lohnt es sich, nm sic zu bewerben!" sagte ein Offizier halb laut französisch. Tatiana mußte es gehört haben, aber sic zuckte nicht mit der Wimper. „Menschliche Bestien!" muiunelte sie vor sich hin. Sic legte ihren Arm zum ersten Male freundlich in den der sic um vieles an Größe überragenden Deutschen. „Kommen Sic in unsere Gemächer, Erna Ateran- drvwna! Sie haben genug vom russischen Adel gesehen! Der Ehampa'gucr nnd die vierte Morgenstunde enthüllen die alte Barbarei!" sagte sic. „Ich möchte Sie der Gesellschaft nicht entziehen, Tatiana Nikolajewna!" meinte die Angeredetc dantbar. „Mau tonnte Sie vermissen — die Frau Gräfin!" „Kommen Sie, ich fehle niemandem! Mau ist von einem Alb befreit, wenn ich gehe. Und meine Mutter " Ein verächtlicher, herber Zug spielte um ihren Mund. Sie antwortete nicht. Langsam wanderten sic durch die Säle in ihre stillen Wohnränme. In ihren» gemeinsamen Wohn zimmer brannte der elettrischc Kronleuchter. Die >ivm- tesie warf sich auf einen Sessel: „Ekelhast!" rief sic. »Wie
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