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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021124021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902112402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902112402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-24
- Monat1902-11
- Jahr1902
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Tabellarischer und gtsterniatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen uud Offertenannahme Lk H (excl. Porto). Ertra-Beilage« (gefalzt), nur mit der Morgru-AuSgabe, »ha» Postbeförderuag so.—, mit Postbefördernag 70.—» Ännaifmeschluß für I.r^igr«: Abend-AuSgab»: Vormittag» 10 Uhr. Morger-Äu-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige» stad stet« au die Expedition zu richte». Tie Expedition ist wochentags anunterbroche» geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck uad Verlag voa S. Pol- irr Leipzig. dir. 588. Montag den 24. November 1902. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. November. verständignngöausfichte». Die Zolltarifdebatte wurde am Sonnabend im Reichstag: durch die sozialvemokrati che Jnteipellation über die zahlreichen polizeilichen Mißgriffe der letzten Zeit unterbrochen. Tas Neiullat dieser Jnte»pellaiion werden wir im nächsten Morgenblatte beleuchten. Hier sei betont, daß anscheinend die Unterbrechung der Zelllanf- debaite nicht eine Unterbrechung der Verständigungs- versuch« über die strittigen Punkte der Zollvorlagen bedeutet. Einige Blätter wollen sogar w ffs n, baß am Sonnabend abend die „erste Konferenz der Vertreter der Mehrheitsparteien mit dem Reichskanzler und anderen Ve>- tretern der verbündeten Negierungen" liattgesunden habe ; andere fügen hinzu, daß das Zentrum zu dieser Conserenz nicht zwei, sondern vier Delegierte abgesenvet habe. Diese Meltun.>en werden nickt widerlegt vurch die Versickerung der „Nat. Ztg.", daß die Nationalliberalen Delegierte nickt gewählt und überhaupt die Frage der Teilnabme an den Besprechungen nicht erörtert hätten. Denn, streng genommen, geböten die Nalionalliberalen gar nicht zu den MebrheitSparteien, die eine Verständigung mit den Regierungen erst suchen müssen. Sie haben sich in allen wesentlichen Punkten für die Vorlagen erklärt und sind affo mit den Regierungen einig. Erst wenn diese mit den beiden konservativen Fraktionen und dem Zentrum über Abänderungen der Vorlagen sich verständigt haben sollten, würden die Nationalliberalen gezwungen sein, Stellung zu diesen Abänderungen zu nehmen. Voi läufig scheint es, als ob man regierungsseitig in der Verwen dung «frage mit sich reden lassen wolle und als ob wirklich daS Ergebnis der Freitagssitzung den ersten Schritt zur Ver ständigung bedeute. In dieser Sitzung winde bekanntlich mit 143 gegen 106 Stimmen der Antrag Trimborn angenommen, der den KommissionSbeichluß kahin einschränken will, baß die Mehrertiäge aus den Zöllen für Gerste und Haier und ein der Vermehrung der Bevölkeiung enNpiechender Prozentsatz der Mehrerträge auS den Lebensmittelzöllen von der Ve> Wendung für die Witwen- und Waisenversicherung auSgeschloss n sein sollen, lieber diesen Beschluß schreiben nun die offiziösen „Beil. Pol. Nachr.": „Unleugbar bedeutet die Form, in welcher der 8 11a deS Zolltarifgefetzentwurfs in zweiter Lesung angenommen worden ist, einen Fortschritt gegenüber dem Vorschläge der Tariskommission. Er beschränkt jetzt die Inanspruchnahme der Mehrertrüge aus den landwirtschaftlichen Zöllen auf die- jenigen Positionen, auf welche seine Begründung paßt, und trifft Fürsorge, daß nur der wirkliche Mehrertrag auS der Erhöhung der Zölle in der in Aussicht genommenen Weise festgelegt wird. Gleichwohl wird man auch diesem Beschlüsse des Reichtags gegenüber nicht ohne ernste Bedenken sein dürfen. Zunächst unterliegt es keinem Zweifel, daß durch die Festlegung eines Teile» der Mehreinnahme auS den landwirtschaftlichen Zöllen für die Versorgung der Witwen und Wallen der Arbeiter noch nicht entfernt ein ausreichend sicheres Fundament geschaffen werden würde. Auch wenn der Beschluß zweiter Lesung dauernd aufrecht erhalten würde, stände der Plan der Witwen- und Waisenversorgung noch so ziemlich in der Lust. Sodann ist e» immerhin ein etwas fragwürdiges Unternehmen, in einem Augenblicke, in dem zwischen den Einnahmen des Reich» und dem Bedarf an Mitteln zur Lösung seiner jetzigen Ausgaben ei» io argeS Mißverhältnis besteht, daß der Etat für 1903 einen Fehl betrag von nahezu ISO Millionen Maik auiweisen wird, einen beträchtlichen Teil der von der Neuregelung unserer Zoll und Handelsverhältnisse zu erwartenden Mehreinnahmen für neue große Aufgaben deS Reichs sestlegen zu wollen Wenn man schon die Mittel nicht hat, die Kosten de» bisherigen Krelles von Ausgaben zu b. streiten, so ist es an sich ein Gebot der Vorsicht, sich in neue große Unternehmungen nicht einzulassen, sondern die Krast darauf zu konzentrieren, das Gleichgewicht zwilchen Einnahmen und Ausgaben herzustellcn. Will man umgekehrt trotz dec Unzulänglichkeit der Mittel zur Bestreitung auch nur des g-genwäitigen AuSgabebedarsS sich für neue und überaus kostspielige sozial politische Unternehmungen engagieren, so kann dies ernstlich nur geschehen, wenn man sich zugleich stark macht, denjenigen Ausfall an Mitteln zur Deckung des lausenden Staatsbedcnf, welcher durch Festlegung eines Te leS der Mehreinnahmen auS den Zöllen entstehen würde, anderweit auSzu gleichen. Mit anderen Worten, wenn der Reichstag jetzt einen beträchtlichen Teil der anS den Zöllen zu gewärtigenden Mehreinnahmen für die Witwen- und Waisenversor- gung scstlegt, so stellt er damit einen Wechsel auf neue Steuern aus, den der nächste Reichstag einzulösen haben wird. Darüber, daß dem io ist, wird man innerhalb der Mehr heit, welche den Antrag Trimborn angenommen hat, nicht im Zweifel sein können, und es werden daher die Parteien, welche sich auf den Boden dieses Antrages gestellt haben, auch demnächst die Konsequenzen daraus ziehen müssen." Mit anderen Worten: wenn die Mehrheit deS Reichstag« einen Teil deS aus ven Zvllerböhungen :u erhoff nden Mebr- erirags für Zwecke der Witwen- und Wanenversoraung fest legen will, so wäsckt die Regierung ihre Hänee in Uusckuld, unter der Voraussetzung, daß diese Mehrheit für neue Re»chS- einnabmen sorgt. Für erfreulich könnten wir eine solche Verständigung, die sich auf einen keineswegs bindenden Wecktet aus die Zukunft gründet, nicht batten; aber es scheint, wie gesagt, alö ob der Bundes»at mit diesem Weckiet sich begnügen wolle, wenn ibm die verlangten Zugeständnisse in den Zollfragen gemacht Werren. An die Adresse der Straßburger Regierung ricktet fick folgende Mahnung der amtlichen „Karlsruher Zeitung": „Nach bisher unwidersprochen gebliebenen Blätter- meldunaen bat der kommandierende General deS fünften frai zösischen Aimeekorps in Orleans, General Farny, gelegentlich der Enthüllung eines Denkmals auf dem Schlacht felde von Coulmicrs eine Rede gehalten, in welcher folgender Passus vorlommt: „Und doch weiden eines TaqeS schmetternde Trompetentöne der Revanche dem Vaterlaube die Vernarbung der beiden Wunden ankündigen, die ihm beigebracht worden sind, und den großen Sieg, der Elsaß-Lothringen Frankreich zurückerstatten wird. Dann werten die Bewohner dieser Gegenden zu diesen Gräbern zurück- kehren und denen, die hier ruhen, sagen, daß man jetzt von der Höhe der Vogesen den Silberstreifen sieht, der sich durch Elsaß- Lothringen htndurchichlängelt. Das Schwert hat.« uns den Rhein entrissen, dos Schwert hat ihn uns wiedergegeben " Es wird nickt ohne Interesse sein, festzustellen, daß General Farny im Herbst dieses Jahres ein Gesuch um Gewährung eines vierzehntägigen Aufent haltes in Straßburg und Barr an die reichS- läudische Regierung richtete zum Zwecke deS Besuches seines alten Baier«, de» ehemaligen Mrygermeisters und Straß burger Bürger« Farny. Diesem Gesuche ist seilen« der Straßburger Negierung in entgegenkommendster Weise ent sprochen worden, wie auch gleichartige Wünsche des Generals Farny in fiüheren Jahren steiS dieselbe liberale Behandlung erfahren haben. General Fa»ny hat sich denn auch vom 2l. bi« 3l Oktober v. I. in Straßburg aufgehalten. Man wird von dem Taktgefühl des Generals Farny erwarten dürfen, daß er nach seiner obigen Reveleislung auf wenere Besuche in Elsaß-Lothringen ver zichtet. Erneute Gesuche seinerleitS in dieser Hinsicht wurden wenigsten« schwerlich die frühere Beiücksichllgung finden." Man wird es gerade der badischen Negiernng ruckt verdenken können, wenn sie die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Folgen lenkt, d»e allzu freundliches Entgegenkommen gegen französische Milnä S nicht nur für die nächsten 'Nachbarn der Reichslande haben könnte. Ter französische Senat gegen Vic ArbcitSrätc Millcrand«. Nack dreitägiger Beratung bat der französische Senat einen Ge setzeSvor i ch lag BvrcngerS angenommen, der die Einrichtung von Arbeit« raten zum Gegenstände hat. Nach dem Texte des Vorschlags darf durch Erlaß des SlaaiörateS die Wabl von ArbeiiSrälen überall angeordnet werden, wo die Arbeiter ober die Aibeitgcber, die Handels kammern oder die Generalräte der Depa»tement« re. sie bean tragen. Ein AibeiiSrat fetzt sich zusammen aus 6 bis 12 Arbertervertrelern und der gleichen Anzahl Unternehmer desselben GewerbSzweigeS. Beide Sektionen werden auf vier Jabre gewädlt, und zwar die eine von der Gesamtheit der zu polimchen Wahlen berechtigien Arbeiter und der im Besitz der bürgerlichen R chte befindlichen Arbeiterinnen, die andere von den Arbeitgebern. Der AibeitSrat soll die materiellen und moralischen Interessen de« be t' ff nden Industriezweiges verteidigen, soll auS freien Stucken oder auf Ersuchen der Regierung Gutachten über alle diese Interessen beiührenden Fragen abgeben und im Äujtrage der Regierung Umfragen und Untersuchungen vornehmen. Vergleicht man diese Grundlinien deS neuen Gesetzes mit denen der Dekrete vom 17. September 1900 und vom 2. Januar 1901, wodurch der sozialistilche Haudelsminiiter im Kabinett Waldeck Rousseau, M illerand, die Einrichtung der AibeitSräie ins Leben ries, so ergeben sich mehrere griintsätzlicheVerichiedenheiten. Nach M lleranvs Erlassen werden die Arbensräie nur von den Fach vereinen, Syndikaten der Arbeiter und Arbeitgeber ge wählt» wobei die Zahl der Wahistiinmen von der Mitglieder zahl der Vereine abhängig ist. Die keinem Fachverem ange- börenden Arbeiter und Unternehmer erhalten mittelbar eine schwache Vertretung dadurch, daß die gewerblichen Schieds gerichte, toiisoik cko I'rnähmnmos, sich an den Wahlen be teiligen. Jedenfalls liegt aber die Zuiammenlctzung der ArbeitSräte Millerand» in der Hauptsache in de., Händen der Syndikate. Diese zu begünstigen, rbre Auiorität zu stärken, die fernstehenden Arbeiter zum Eint'ilt in die Fackvereine zu bewegen und io eine immer vollständigere Organilaiion der Arbeitermaffen anzubahncn, war der eingeflancene Nebenzweck, den der Minister verfolgte. Der weniger sichtbare Hauptzweck aber war rbm, die Durchfüh rung des von ihm eingebrackten Gef.tzentwu>fs über das ZwangsschiebSgerickt bei Ausständen vorzubererten. Die Dekrete erlaubten nämlich den Arbeitsräten, auch die Rolle des Schiedsrichters bei Streitfällen zwischen Arbeit gebern und Arbeite,n zu übernehmen, „wenn sie darum an gegangen wir, den". In einem Rundschreiben vom 25 Fe bruar 1901 erweiterte der Minister diese Det'ugniS dabin, daß die Arbeitcrake sür die schiedsrichterliche Schlichtung der Zwiste „ihre guten Dienste anbieten" dürften. Von bier bis zu der in dem erwähnten Gesetzenlwuif entballrnen Be stimmung, daß „im Falle der Erklärung eine« Ausstande« die Arbeitsräie von Amts wegen berufen sind, den Streit ru schlichten", wäre, wie man sieht, nur noch ein kleiner Sckrilt gewesen. Die vom Senat angenommene Vor lage, die einmal besorgt ist, die Tätigkeit der ArbeitS- räte auf die rein beraiente Seite zu beichiänken, und sodann bei dem Wablmoduö die Syndikate nicht kennen will, geht auf nichiS Geruigeie« aus, als MillerandS klug ersonnenen Plan, auf dem Umwege über die ArbeitSräte zum ZwangS- iyneikaie und zur zwangsweisen Beilegung der Ausstände zu gelangen, rn seinen Grundlagen zu beseitigen; indem die Vorlage die Dekrete des Ministers ersetzt, bebt sie sie auf und macht sie unwirksam. Die gelehrten Auseinander setzungen, die in der Beraiung selbst gemacht wurden und die zu zeigen suchten, daß die Dekrete ungesetzlich gewesen wären und daß es eines Gesetzes bedürfe zur Schaffung der neuen Körperichasten, darf man füglich übergeben. Denn der bewegende Grund des Vorgehens deS Senats gegen daS Werk des Ministers liegt durchaus nicht in dieser formalen Rechtsfrage, sondern darin, daß der Senat das Werk MillerandS als versteckt sozialistisch empfand und er eS für seine Pflicht hielt, e« zu vernichten. General Viljoen veröffentlicht in den englischen Blättern nachstehenden Appell: „Während meine Kollegen, die Generale Botha, De Wet und Delarey, einen Appell zu Gunsten meiner leidenden Landsleute an die Welt richteten, fühlte ich mich kaum berechtigt, die Mission, zu deren Durchführung ich ursprünglich nach England gekommen war, zu verfolgen. Ich möchte nämlich einen Fonds zu Gunsten derjenigen meiner Landsleute ins Leben rufen, die durch den Krieg verstüm melt unk unsäbig gemacht worden sind, mit eigenen Händen ihren Lebensunterhalt zu erwerben, und die dadurch voll- stä> big veiarmt sind. Da der Fonds, den die Generale eiöffneten, jetzt geschlossen ist und ein Appell meinerseits mit dem ihrigen nicht nr Widerspruch steht, so richte ich die respektvolle, aber dringende Bitte an die Bevölkerung oeS englischen Reiches, zu einem Fonds beizusteuern, mit Hülse dessen wir das barte Geschick derjenigen zu mildern ooffen, die heute für ihre Existenz aus itne glücklicheren Miiineuschkn angewiesen sind. Für die verstümmelten ver armten Leeren ist keine solche Vorkehrung getroffen, wie für den engliickeu Soldaten, der durch den Krieg arbeitsunfähig wurde. Es ist deshalb unsere Pflicht, selbst wenn dieselbe auch unangenehm und demütigend zn sein scheint, unsere neuen Landsleute um Hülfe anzugeben. Die Freundlichkeit und das Entgegenkommen, da« ich seit meiner Ankunil in diesem Lande erfahren babe, beweist mir, daß ich nicht ver gebens appellieren werke, und ick bin überzeugt, daß es mehr als irgend etwas anderes dazu beitragen wirk, Freund- tchaft sür England und Zufriedenheit in Südafrika zu verbreiten, wenn die helfende Hand meinen Milbrütern enkgegengestrcckl wirk, während ihre Wunden noch nicht geheilt sind. ... W. I. Viljoen." Feuilleton. Das Finöelkind. Roman von Ernst Georgy. Nachdruck verboten. Des Morgens waltete Tatiana neben der Gräfin Lan- tow. Dann half Erna der Tjvtja bei den Inspektions gängen durch die Wirtschaft oder der Kontrolle der Haus- haltungSbncher. Zuweilen ließen sie sich spazieren rudern oder beschäftigten sich mit Handarbeiten im Park. Wäh rend Erna die Gräfin mit einer an Anbetung grenzenden Liebe verehrte, hing sie an Komtesse Ludvvilka wie an einem guten Kameraden, lachte und scherzte mit der allzeit Fröhlichen. Eines Morgens saßen sie auch beisammen und hatten wieder über die Gräfin geplaudert. „Bitte, erzählen Sie mir alles, was Sie von Ihrer Schwägerin wissen, Tjotja!" bat Erna. Diese ließ -en Strumpf sinken, der für die Dorfarmcn bestimmt war. „Unsere Karla hatte auch ein romantisches Leben!" be gann sie. „Wenn man all die sonderbaren Schicksale in den Romanen liest, dann will man sie nicht glauben. Aber das Leben selbst schmiedet die tollsten Romane, die keine Schriftstcllcrphantaiie so leicht zusammen erfinden könnte. Also hören Sie: Karla und Sonja waren die Töchter des polnischen Grafen TarianSky und einer baltischen Baronin. Die Mutter starb bei der verfrühten Geburt eines Knaben, als unser verstorbener edler Zar, Alexander der Zweite, den Gatten plötzlich verhaften ließ. Tariansky war an einer polnischen Verschwörung beteiligt. Am Abend war er noch zum Diner ins Wintcrpalais befohlen; schon dort in der (Garderobe wurde er in Haft genommen. Acht Tage später erschoß er sich in dem Zimmer der Peter- PaulS-Festung, in das man ihn gebracht. Die Kaiserin ließ die Töchter, zwei schöne, unschuldige Kinder, erziehen. Sonja, die ältere, wurde mit sechzehn Fahren an den Ftirsten Druzin, den Bruder der Wosakina, verheiratet. In Karla verliebte sich, als sie siebzehn Fahre geworden, der Graf Wingirsky, der fast dreißig Jahre älter war. Er vergötterte sein schönes Weib, das am Lose Napoleons Triumphe feierte. Dann wurde die Gesundheit der WingtrSkaja derart, daß sie sich auf ihr Schloß, in der Nähe der preußisch-russischen Grenze, zurückzichen mutzte. Dort wurde ein Töchterchen, Jutta, geboren. Las Kind war der Abgott seiner Mutter, die sich nie von ihm trennte und von keiner Reise mehr wissen wollte." Die Erzählerin machte hier eine kleine Pause, dann fuhr sic mit bebender Stimme fort: „So vergingen die Monate. Wingirsky war zu einer Wolfsjagd in Polen gccaden. Er wollte den Geburts tag seiner Gemahlin aber an ihrer Seite ver leben. So reiste er Tag nnd Nacht und benutzte zuletzt einen Schlitten, um über den vereisten F.utz zu fahre» und dadurch eine Postfahrt von zehn Stunden zu sparen. Der Schlitten brach ein. Der unglückliche Mann wurde noch lebend ins Schloss gebracht. Dort kämpfte er bis in das Frühjahr hinein mit dem Tode. Fm Februar mar das Unglück geschehen, gegen Ende Mürz starb er. Bald darauf genas Karla eines toten Kuabcn und lag bis zum Mai schivcrlrank darnieder. Ihr Erwachen war ein furchtbares. Die Wärterin ihres Kindes war ver schwunden, ebenso die kleine, c.f Monate alte Jutta. Man sand ein Mäntelchen des Kindes und den Hut der Njanja auf dem Treibeis, ein paar Stunden weiter im Lande, als man allenthalben forschte. Die Fran und das Kind mutzten unbegreiflicher Weise ans Wasser gegangen und dort er trunken sein. Die Leichen waren wahrscheinlich ins Meer getrieben. Sie wurden nicht gefunden, obwohl man die höchsten Summen als Belohnung ausgeschrieben." „Entsetzlich! Wie alt war das Kind ? Wie ertrug die Gräfin den Verlust?" fragte Erna. „Sic raste vor Schmerz und behauptete, daß das Un glück nie geschehen wäre, wenn sic nicht krank gelegen hätte. In der ganzen Gegend verbreiteten sich die tollsten Gerüchte, wie eS ja immer bei solchen Anlässen geschieht. Da hieß es, die beiden Wingirsky, der Bruder und der Neffe von Karlas Gatten, zwei verschuldete Lumpen, hätten das Kind mit Hülse eines französischen Gesinnungs genossen beiseite geräumt, um die Erbschaft anzutreten. Sie weilten im Sch'ossc als Gäste, wie immer» wenn sie kein Geld mehr zu verjubeln hatten. Sie haben das Gut bekommen, aber zu ihrem Unheil. Der Vater starb auf der Jagd. Der Sohn wurde, als er den schönen Besitz ruiniert hatte, von einen, seiner Bauern erschlagen." „Und was sollte der Franzose für Vorteile gehabt haben?" „Närrchen, er bekam Schweigegeld. Obendrein war er ein glühender Verehrer der schönen Witwe, hoffte aus ihre Hand und hätte sie am liebsten ohne ihr Töchterchen geheiratet. Er hat sic später noch umworben; aber sie hat ihn abgewiescn. Tas war kurz vorher, che sie meinen Bruder heiratete. Ter Elende wollte sie bei Wladimir nvch anschwärzen; aber ein Peitschenhieb war der Lohn. Nach dem Duell zog er mit einer k.cinen Armwundc rach süchtig nach Paris zurück nnd wurde nicht mehr erblickt, der edle Villant." „Wie hieß er?" fragte Erna erbleichend. „Marquis Antoine de Villant, ein netter Schurke! Kennen Sie ihn? Was ist Ihnen?" „Ja; aber, bitte, lassen Sic mich auf mein Ziunncr. Mir ist elend zu Mute, — Kvpfkrarnpf!" Erna sprang empor. „Ich komme mit und gebe Ihnen —!" „Nein, nein, bitte, lassen Sic mich allein! Nur Liegen, Schweigen und Dunkelheit helfen!" Erna lief durch die Alleen ins Schloß, auf ihr Zimmer. Dort verschloß sie die Türen, ließ die Vorhänge herab und warf sich auf das Sofa. Sie fieberte in heißester Auf regung. Wie war ihr denn? Träumte oder wachte sie? Frau Adelheid Bvlmann, ihre Pflegemutter, hatte ihr da mals gestanden, daß der Marquis von Villant sie, noch nicht einjährig, ihnen in der Schweiz übergeben hatte. War sie Jutta Wingirsky? Stammte daher die fabel hafte Achnlichkeit? — Sie grübelte und grübelte. Plötz lich fiel ihr das Kettchen ein., welches sie um den Hals trug. Sollte sie es der Gräfin bringen und fragen: „Bist du meine Mutter, du, die ich liebe und verehre wie eine Mutter?" Sie weinte vor süßer Qual bet diesen, Ge danken! Aber nein, die Kranke konnte den Tod davon haben, der Schreck wäre zu groß. Erst mutzte sie sich sorg lich erkundigen. Am liebsten wäre sie sofort nach Paris und Hamburg gefahren. Sie sann und sann. Endlich holte sie Papier und Feder und schrieb an Antol und Bvlmann. Jener sollte den Marquis zum Reben zwingen, diese ihr noch einmal den ganzen Hergang ihrer Aufnahme erzählen. Während sie schrieb, lachte und weinte sie durcheinander in ihrer matzlosen Unruhe. Dann siegelte sie die Briefe und atmete auf. Ihr war bedeutend leichter zu Mute. Gerade jetzt klopfte Ludovika au und fragte besorgt nach ihrem Befinden. „Tanke herzlich, cs ist schon viel bester!" rief sie, »vusch das erhitzte Gesicht, kühlte die Augen uub eilte dann, ihre wichtigen Schreiben in den Postkasten am Wasserturm zu stecken. Eine namenlose Unruhe, wechselnde Launen plagten das bis ins tiefste Innere erregte Mädchen mährend der folgenden Woche. Sic wartete fieberhaft ans die Ant worten. Die Gräfin fühlte ost die Blicke Ernas mit heiß-zärt lichem Forschen auf sich ruhen. Sic merkte den nervösen Zustand ihres Lieblings nnd fragte sic zuweilen neckend: „Nun, kleine Erna, hat „er" geschrieben, kommt „er"?" Zuerst traf ein ausführliches Antwortschreiben ihrer Pslegceltcrn ein, die alles offen erzählten, die Daten genau angaben, und die Marquise Eharbart und den Arzt des Ortes, den Besitzer des Hotels als Zeugen an gaben. Erna war ihrer Sache jetzt beinahe sicher. Sie wartete auf Ludwigs Schreiben, um sich dann dem Grafen Lantow zu offenbaren und ihm das Weitere zu überlassen. Inzwischen war Nikolai Wosakin seinen Eltern nach Karlsbad nachgcreist und hatte ihnen die ganze fatale Angelegenheit mit Tatiana mitgetcilt. So schonend er dies getan, so sehr er das gräfliche Paar zu beruhigen suchte, sic gerieten in unbeschreibliche Angst. Ter General depeschierte sofort nach Pawlowsk und ließ die ganze Ticnersckwft nach Petersburg dirigieren, nm dort das Palais in stand zu setzen. Er wollte alle seine Verbin dungen ausbietcn, nm zu hören, ob irgend eine Nachrickt von Tatianas Beteiligung an einer Verschwörung in die Oefsentlichkeit gedrungen wäre. Alsdann wollte er fick persönlich dem Zaren zu Füßen werfen und die entartete Tochter sofort in strengste Obhut eines Klosters über führen. Kola sah, daß bei dem Vater in seiner jetzigen Erregung kein Ratschlag oder Eingreifen hals. Er schwieg und hoffte, daß der Graf in den folgenden Tagen zn einer besseren Linstckt kommen würbe. Ende August trafen die Wojakins bereits in Peters bürg ein, zur höchsten Ueberraschung ihrer Freunde und ihrer Dienerschaft. Niemand aus ihren weisen war zn dieser Zeit in der glühend heißen, staubigen Stadt. In einem langen Telegramm wurden Erna und Tatiana be fohlen, ohne zu säumen, sofort hetmzukehren. In Lantowko herrschte große Betrübnis und dann Sorge, denn Tatiana erklärte einfach, daß keine Macht der Welt sie zwingen könnte, t» das Elternhaus zu gehen. Man beriet hin nnd her. Schließlich riet Gräfin Kmcka,
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