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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.11.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021127025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902112702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902112702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-11
- Tag1902-11-27
- Monat1902-11
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Anzeigen «Preis die 6 gespaltene Petttzeiie SS H. Reklame» untrr dem RedaktionSstrich (4gespalten) 7S vor den Familiranach« richten (6 gespalten) SO H. Tabellarischer und Zisferniatz entspreä-en»- höher. — Gebühren sür Nachweisungen uuv Offertenannahme 23 (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—» Iinnatsmelchlub für Irrigen: Abend-AuSgabe: vormittag« 10 llhr. Morg«2-«usgabe: NachmUtag» 4 Uhr. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 lnS abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» tu Leipzig. Nr. 60t. Donnerstag den 27. November 1902. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. November. Die zweite Beratung des Zolltarifgcsetzes. Der Reichstag hat gestern die zweite Lesung des Tarifgesetzcs beendet; über das ganze Gesetz konnte allerdings nicht abgestimmt werden, weil 8 1 Och auf den noch nicht erledigten Tarif bezieht, aber ans der Abstimmung über den 8 12, der den Zeitpunkt des I n - krafttretens des Gesetzes fesiseyt, ergab sich, daß die hinter den Coulissen betriebenen Berständigungs- versuche erfolgreich genug gewesen sind, um einen der umstrittensten Dtfferenzpunkte des Tarifgesetzcs zu besei tigen. Bei 8 12 wurde nämlich die Regierungsvorlage, welche bestimmt, daß der Zeitpunkt des Inkrafttretens dcS Tarifgesetzcs durch kaiserliche Verordnung mit Zustim mung des Bundesrats festgesetzt werden soll, wieder her- gestellt. Es geschah dies auf einen Antrag der natio- nalliberalen Partei und nach der vom Staatssekre tär Graf v. Posadvwsky abgegebenen Erklärung, daß die von der Kommission beschlossene Festlegung des Ter mins sauf den 1. Januar 1V03) für die verbündeten Regie rungen nicht annehmbar sei. Dies bestimmte, wie der Abg. vr. Spahn erklärte, neben sachlichen Erwägungen die Zentrumspartci, den K ommissions st andpunkt aufzugeben und für den Antrag der Nationallibc- ralen zu stimmen. Während der Zentrumsrcdner beson deren Nachdruck darauf legte, daß die Landwirtschaft in erster Reihe den Nachteil der Zwangslage zu tragen haben würde, in welche die Festlegung des Termins die Regie rung dem Auslande gegenüber setzen könnte, behielt aus Seiten der konservativen Partei die vcrtragSfcind- liche Stimmung die Oberhand über derartige Er wägungen. Graf Limbnrg - Stirnm erkannte zwar an, daß langfristige Handelsverträge der Industrie un entbehrlich seien, verlangte aber die sofortige Kündigung der bestehenden Verträge nnd ließ erkennen, daß seinen Freunden ein vertragöloser Zustand — den er als den wirksamsten Weg zu vorteilhaften Handelsverträgen an pries — nicht unwillkommen wäre. Die konservative Partei stimmte denn auch gegenüber der gesamten Linken und dem Zentrum für den Kommissionsbcschluß. Nach dem das Haus dann noch in die zweite Beratung deS Zolltarifs eingetreten war, dessen erste vier Positio nen — die Hauptgetreidearten — bereits im 8 1 des Tarif gesetzes erledigt sind, wurde die Weiterberatung auf heute vertagt und der Beginn der Sitzung auf 2 Uhr angcsetzt, jedenfalls deshalb, um den Fraktionen vorher Zeit zum völligen Abschlüsse der Verständigung zu lassen. Daß dieser nur noch die Konservativen Schwierig keiten bereiten, geht aus der oben erwähnten Abstimmung über 8 12 -cS Tarifgesetzcs hervor. Es heißt, sie ver steiften sich auf die Herabsetzung der Industriezölle. Aber man erwartet, daß sie in ihrer Mehrheit auch von dieser Forderung abgehen und daß dann eine hinreichende Majorität für folgendes Kourpromiß gesichert sei: Im Zolltarifgesetzc NahrungSmittcl-Zölle — d. h. Gctreide- und Biehzölle — nach der Regierungsvorlage, mit Aus nahme von Gerste, wo für Braugerste 4 für Futter gerste kein Mindestzoll eingesetzt werden würde; Witmcn- uud Waisenversicherun« nach Antrag Trimborn; städtische Oktrois nach Antrag Kardorff, sonst in allem wesentlichen Regierungsvorlage; im Tarif keine Herab setzung der Industriczölle. Wenn nun aber auch die Ver ständigung über die materielle Seite derVorlagen erreicht sein wird, so ist damit natürlich noch nicht gesagt, daß auch die Durchberatung im Reichstag auf keine Gefahren mehr stoßen werde. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß die Obstruktion bei den wachsenden Aussichten der Vor lagen schärfere Form annimmt nnd noch manchen kriti schen Wendepunkt herbeiführcn wird. Außerdem herrscht bei den Mehrhcitsparteien Uebcreinstimmung darüber, daß die Durchberatung des Zolltarifs undurchführbar ist, wenn man die mehr als 000 Positionen einzeln vor nehmen will. Die Einen sprechen dafür, daß der ganze Zolltarif en kloe angenommen und dazu die Bestimmung der Geschäftsordnung, nach der eine en bloe-Annahmc nur zulässig ist, wenn kein Mitglied des Hauses Widerspruch dagegen erhebt, abgeänidcrt werde. Andere wollen von den 10 Abschnitten des Tarifs einzelne im ganzen zur Debatte und zur Abstimmung bringen. Auch von der Rückverweisung des Tarifs an die Kommission und von seiner Neucinklcidung in eine geringe Anzahl von Para graphen wird gesprochen. Es tauchen überhaupt die selt samsten Gerüchte über die Absichten der Mehrheit auf. Hoffentlich verständigt man sich noch heute über einen Schlachtplan, in dem die Pflichterfüllung der Mitglieder der Mehrheit den Hauptgrundsatz bildet. Die lex Aichbichler. Wie vorsichtig man bei Abänderungen der Geschäfts ordnung des Reichstages zu Werke gehen muß, lehren die Erfahrungen mit der lex Aichbichler, die sich in der Praxis weniger bewährt, als ihre Befürworter glaubten. Es laufen nämlich den Schriftführern bei der Zählung der Karten und bei der Addicrnng der Stimmen Irrtümer mit unter. Der Präsident ist nie in der Lage, ein genaues Stimmenrcsultat zn publizieren. Am auffälligsten trat diese Erscheinung in der Dienstags-Sitzung hervor. Vier namentliche Abstimmungen über die sozialdemokratischen Verwcndnngsanträge waren vvrznnehmen, und in sämt lichen vier Fällen war das voch Präsidenten mitgcteilte Abstimmungsresultat, so wie cs in allen Parlaments berichten angegeben ist, ein anderes, als das schließlich er mittelte und in der schriftlichen Abstimmungslistc publi zierte Ergebnis. Es handelt sich dabei um ganz bedeutende Zahlendiffercnzen. Bei der ersten Abstimmung haben nicht, wie der Präsident angab, 30, sondern nur 34 Ab geordnete mit „ja" gestimmt, und nicht fünf, sondern nur drei sich der Stimme enthalten. Bei der zweiten Ab stimmung (Salzsteucrantragl haben nicht 100, wie der Präsident angab, sondern 188 Abgeordnete mit „nein" gestimmt; die übrigen Angaben stimmten. Um so größer ist die Differenz bei der dritten Abstimmung: der sozial demokratische Zuckcrsteuerantrag ist mit 193 gegen 03 Stimmen bei drei Stimmenthaltungen abgelchnt worden. Ter Präsident aber hatte verkündet, daß 138 Stimmen mit „nein", 90 Stimmen mit „ja" abgegeben wären und drei Abgeordnete sich der Stimme enthalten hätten. Schließlich hat man sich auch bei der vierten Abstimmung, allerdings nur um eine Stimme, verzählt. Hier stimmten nicht 203, sondern 202 Abgeordnete gegen den sozialdemokratischen Antrag auf Beseitigung der Branntweinsteuer. Alle diese Irrtümer lassen sich nur aus der -ßmst berleitcn, mit der die Ermittelung des Abstimmungsergebnisses-betrieben wird. Tie können daher nnangcnchmc Folgen haben, sobald cS sich um die Ermittelung einer zweifelhaften Mehrheit, die an wenigen Stimmen hängt, handelt. Bei der alten Abstimmungsmethvde war eine viel bessere Kon trolle möglich. Hier konnte jeder Abgeordnete, wenn er wollte, die öffentliche Stimmabgabe verfolgen und das Ergebnis privatim ermitteln. Außerdem führten zwei Schriftführer die Abstimmungslistcn und ermittelten jeder sür sich das Ergebnis. Jetzt aber zählen die vier Schriftführer, die die Abstimmungskarten einsammeln, den Inhalt ihrer Urnen. Das Resultat wird dann zusammen gestellt. Eine Verschärfung der Kontrolle wird sich nach diesen Irrtümern der Dienstags-Sitzung nicht umgehen lassen. Tie Beisetzung Krupps bat durch die Teilnahme des Kaisers und noch mebr durch Vie Ansprache, die daS Oberhaupt deS Reiches nack der Be- statmng an die Mitglieder des Tirekionums der Kruppichen Werke und an die Veitreier der Arbeiterschaft genchicl hat, eine hochpolitische Bedeutung erlangt. Nicht daru>ch, daß der Kauer siär als Freund des Verewigten bezeichnete unk für d-sscii „unantastbare Integrität" eintrat, denn jeder Vor urteilslose ist ohnedies davon überzeugt, daß das Andenken des giögten deuiichen Arbeit >ebe,S, ver seine ungeheure wirt- schas siche Macht nie mißbrauchte und zahllose Bcweiie edelster Mcuscheusreundllchkcil und Hüsisbereuschafk gegeben bat, selbst daun sür alle Zeilen in Ehren bleiben würde, wenn auf das belle Licht seines Namens der leichte Schalten e-ner Schwäche fiele. Wobl aber durch die Schärfe, mit der der Kaiser sich gegeu jene Hetzer richiete, die jene angebliche, von ihnen selbst in anderen Fällen wenn nicht gerade ver- leidigie, aber dock entschuldigte Schwache ohne Prüiung, aus unverbürgie Ge> richte bin ;u einem Verbrechen ausbausck'en, das Leu Namen Krupps unauSlösch ich brandmarken lollie. M-l dem ganzen Feuer icineS Naturells bezeichnete der Kai er sic als die Mörder, unwürdig des deutschen Namens, von denen jeder eorsiche Arbeiter sich lrennen müsse, wenn er nichl ihr Mil- schuldiger werden wolle. Sclbstvei stündlich ist sich der Kaiser, ohne Lessen Zustimmung der Wortlaut der Rede sicherlich nichl durch das „W. T.-D." veibreilet worden ist, nicht im Unklaren darüber gewesen, daß er durch seine -charfe Ver urteilung Vie Schuldigen ebensowenig zerschmeltern werde wie durch frühere Kundgebungen, daher vielmehr ihren Groll undilne Rachsucht nur noch mehr ansache. Um so tieferen Eindi uck erwartet er aber bei denjenigen Arbeuerkreifen, in denen das Dankbarkeits- gesühl sür edles Wohlwollen noch nicht erstickt ist und das Wort des Kaiseis noch etwas gilt. Dadurch, daß er sich zwischen sie und ihre Beiführer stellt, vertieft er zweifellos den Riß, der schon jetzt zwischen den Führern der Sozial- demosiatie und westen Arbeiterkreifen tlafft. Hoffmilich entspricht der Erfolg den Erwartungen des Kaisers. H>-'ffmt- lich aber beherzigt man die kaiserliche Mahnung auch in senen bürgerlichen Kreisen, die immer noch nicht einseben wollen, daß die Schürer des Hasses gegen Krupp die unversöhnlichen Feinde deS gesamten Bürgertums sind, deren gemeinsame Be kämpfung ein Gebot ter Selbsterhaltung ist. Holland und die südasrikanischc Krage. In der holländischen Presse hatte man bald nach dem Fricdcnsschluß in Südafrika Anklagen gegen den Ministerpräsidenten Ur. Kuypcr erhoben, weil er die Ver mittelung zur Anbahnung von Unterhandlungen ein geleitet. Man gab ihm Schuld, daß die beiden Republiken ihre Unabhängigkeit verloren haben. In der Zweiten Kammer wurde die Regierung interpelliert, ob die be kannte Note Or. Küppers an die britische Regierung mit oder ohne Vorwissen der Bocrcngesandtcn Fischer, Wol- marans und Wessels abgegangcn sei und ob zwischen dieser Note und den weniger günstigen Bedingungen sür die Boeren, unter denen der Friede geschlossen worden sei, eilt ursächlicher Zusammenhang bestehe? In seiner Antwort verweist I)r. Kuypcr auf die im Oranje - buch veröffentlichten Stücke, hält aber nähere Angaben über die dieser Note vorhergegangcnen vertraulichen Gespräche für un statthaft, legre aber der Kammer, jedoch unter dem Siegel der Geheimhaltung, zwei Aktenstücke vor, aus denen sich die Be antwortung der beiden genannten Fragen von selbst ergebe. Außerdem fügte vr. Kvhvcr, wie wir einer Amsterdamer Mit teilung der „Köln. Zlg." entnehmen, seiner Antwort noch ein für die Ocffentlichkeit bestimmtes Schreiben des früheren Staatsanwalts der südafrikanischen Republik, Reitz, bei, worin unumwunden zugegeben wird, daß Or. A. Kvhper durch seine an die englische Regierung erlassene Note „dem Volke eine große Wohltat erwiesen habe, denn", so heißt cs weiter, „gerade die niederländische Note ist cs gewesen, die bewirkt hat, daß die englische Regierung uns die Gelegenheit zu Unterhandlungen von selbst angeboren har, eine Gelegenheit, nach der wir uns schon lange gesehnt harten. Deshalb glaube ich auch, daß die Fortsetzung dieses Krieges eine Tat des Wahnsinns gewesen wäre, und ich berufe mich dabei auf die Worte des Hugo Grotius, der sagt, daß, wenn ein Voll Gefahr läuft, unterzugehen, und die Wahl zwischen dem Verlust seiner Freiheit und der vollständigen Vernichtung hat, cs seine Freiheit opfern muß." Das bereits mehrfach angelündigte Werk des Boercn- generals De Wet über den Krieg in Südafrika wird zum erstenmal das wortgetreue Protokoll der Verhand lungen der Boercnabgeordneten in Vcrceniging, sowie der in Pretoria zwischen den Boercnkommissarcn und Lord Milncr und Kitchcner geführten Besprechungen bringen; man wird sich aus ihnen überzeugen, daß das Wort des Or. Reitz, daß Or. Kuypcr den Boeren eme Wob tat erwiesen habe, keine leere Phrase ist, sondern vollständig den Tatsachen entspricht. Venezuela u»d seine Gläubiger. Präsident E a st r o gefällt sich darin, große, sehr große Worte zu machen. Wenn er der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck gibt, daß er am 1. Januar 1003 den Frieden sogar amtlich werde verkündigen können, so wollen wir ihm die Genugtuung darüber nicht ver kümmern. Denll wir gönnen ihm die friedvollste Präsi dentschaft, die in seinem schönen Hcimatlande überhaupt denkbar ist. Aber eigentümlich muß doch die Art bc- rühren, wie Eastro von der Monroe-Doktrin spricht uit- sie in Zusammenhang mit den zwischen Vene zuela ilnd europäischen Mächten schwebenden F rage n bringt. Eastro erklärt, daß er sich jedem Ver suche einer Verletzung der Souveränität Venezuelas oder eines Eindringens in venezolanisches Gebiet hartnäckig widersetzen werde, und betont demgegenüber die Mög lichkeit, die Streitfrage in Freundschaft beizulegcn. Nun, der letztere Weg würde ohne Zweifel sowohl von Deutsch land wie von Großbritannien beschritten werden, falls I Venezuela die Voraussetzung dafür böte. Dazu gc- I hört ganz einfach der Entschluß, die deutschen und die eng- I lischen Gläubiger zu befriedigen. Dadurch ist noch keines Lruilleton. Isotta Larberighi. Ein Erlebnis. t Nachdruck verbot«». In jenen Jahren — Si-„ wissen schon, welche ich meine — jene, von denen ich viel lieber rede, als von der Gegenwart und Zukunft —, jene, die in meiner Erinne rung immerdar umwittert sind vom geheimnisvollen Hauch der Wcrdczeit — da alle Möglichkeiten noch so mög lich schienen, und ich den großen Stoßseufzer „Wie wenig — ach! hat sich entfallet! Dies wenige, wie klein nnd karg!" noch für den unberechtigten Pessimismus älterer Herren hielt , in jenen Jahren habe ich einmal einen Sommer verlebt, einen ganzen, langen, bis zur Oktober grenze, auf einem Hintergrund, den man eigentlich nur in zarten Wasserfarben malen könnte; sür Oelfarben wäre alles zu duftig, zu zart hingchaucht. Ich bin später niemals wieder dort gewesen, obwohl sch cs ohne Mühe getonnt hätte, denn ich bitt an dem wundersamen Orte noch oft genug vorbei gefahren, und zwar nahe — ja, zuweilen legte der Dampfer, auf dem ich von Lugano nach Porlezza fuhr, sogar in San Mamette an. Die Schiffsplanke wurde zur Landungsbrücke herübergeworfcn. Sonnenbräune Kerle warfen Stricte um die Pfosten. Der Name wurde gerufen. Ein paar Landleute stiegen ein oder aus . . . dann war's vorbei. Das Rad des Dampfers furchte wieder die blangrüne Flnt und San Mamette verschwand. Sie müssen auch vorbeigekommen sein im letzten Jahr. Schade, daß Sie nicht besser hinsahen! Sie haben viel versäumt! Nicht gerade an dem kleinen Nest selbst — das ist vielleicht nicht anders, al<> die anderen Ufcrortc rechts nnd links — aber an gewissen raffinierten Zutaten, mit denen die Natur San Mamette anSgestatiet hat. Da ist zum Beispiel ein Felsbach, der unter einer Bogendrücke fort in den Luganer See hineinschießr - ich l-abc niemals ein Wasser so jauchzend und so ungestüm einem Ziel cntgegcnstürmen sehen. Eigentlich ist es auch töricht von dem kleinen Bach, sich so zn übereilen. Er hat es ja droben viel bester in der wilden, kühlen Felsencnge, aus der er kommt, unter dem Ntcderschauern der Olive und dem üppigen Gerank deS WeinS, der bis hoch hinauf, steigt in» Val Soldo und bi« Guven der Cere» bi» an die dolomitenartigen FelSzacken trägt, die über dem letzten Dorf hoch oben aufragen, in einer Schroffheit, zu der Italiens Boden, dem sie angehüren, kaum zu berechtigen scheint. Ja, zu dem Reiz dieses Tales kam die Empfindung: hier hat Italien begonnen! Sie kennen sie ja an mir, die Eigenschaft, nicht unbe dingt für das eine oder andere zu sein, sondern halb für beides, mit Vorliebe auf Grenzen schwankend. Sie lachen ? Ich weiß, woran Sie denken. Es ist richtig: ich bin auch gern auf der Grenze zwischen Freundschaft und Liebe — aber ebenso gern auf der Müschen Italien nnd der Alpenwelt. Ans solchen Ländergrcnzcn fühle ich mich stets als Herr und Besitzer der beiden. Nord und Süd liegen mir zu Küßen nnd mit einem Blick genießt mein Auge sie zugleich. Ganz zufällig hatte ich San Mamette entdeckt. Ich brauchte einen stillen Ort, ohne Touristcnschwärme, aber mit guter Postvcrbindung nach Norden — denn ich erwartete mit jedem Gottbardzugc einen „Ruf" — einen Ort, in dem ich ungestört grübeln und sinnen konnte, denn ich steckte gerade mitten in den schwersten Sorgen meiner Goethe-Biographie. Den ganzen Kopf hatte ich voll von literarhistorischen Problemen und voll von Frauenzimmern — wohlver standen: literarhistorischen! Unablässig schlug ich Gedankcnschlachten mit ihnen in den stillen Tagen nnd Nächten von San Mamette. Eine kleine Piazza liegt am See — dicht hinter der Landungsbrücke; „Piazza del Centro" heißt sie großactig auf der Marmortafel, die mit echt welscher Marmor verschwendung sogar in das kleine Mamette geraten ist. Links stand daS Wirtshaus, schräg gegen den Platz, rvsg angcstrichen — nun, es hatte seine Mängel — still davon! Der Name versöhnte mit allem! 8tvIIa ck'Italia hieß cs — Stern von Italien! Gärten hatte es mindestens vier, terrafsenartig e ne» über dem andern. In alle hinein plauderte von unten der See, zu den Rosen und Limonen herauf. Fürwahr, es waren poetische Giardini! Ich bewohnte ein Eckzimmer, das Zimmer des Wirts- sohneS, der tn Mailand bei einem reichen Deputats diente. Der Blick von meinem Fenster, eingeraymt von der viereckigen Form des Fensters, war etwas Erlesenes. Da lag vor mir ein anderer Uferort, umstanden von einer Reihe dunkler Cyprefsen. Oria hieb er. Da waren Billen mit Hellen Loggten — geisterhaft leuchteten sie tm Dunst deS Mittags — fast wie etwas Arabisches sahen sic aus, und ich hätte glauben können, man bete dort zu Allah —, trotz des Campanile, dessen kleines Glöckchen ich zuweilen bei der Klarheit der Luft deutlich sich hin und her be weget! sah. Vielleicht war Oria viel schöner als San Mamette — ich weiß es nicht, ich war niemals dort — trotz der Nähe, trotz der langen Wochen nicht. Ich wollte nicht. Ich hätte mir vielleicht den Zauber Orias zerstört. Es sollte an meinem Horizonte schweben jenen Sommer lang, wie etwas Unwirkliches, wie ein Märchcnbild, in dem kein Straßcnpstnsler ist, bcschrcitbar sür Menschcnfüßc. Und ebenso gewiß, wie ich niemals dort war, weiß ich auch, daß ich nie zurück kann nach San Mamette, daß ich nie wieder hinanfjchreiten werde auf den stcilgcwundencn Treppenstufen in das Bal Soldo, unter der Last der Wein ranken und den senkrechten Pfeilen des Himmclslichtcs. So etwas kann man nicht zweimal erleben — wenigstens ich nicht.... Wißen Sie, wie solche großen Fragen, wie die mich damals bewegenden, einem den Kopf heiß machen können — Fragen, mit denen man sich abfindcn, zu denen man einen festen Standpunkt gewinnen muß, auf dem man dann unbeirrbar stehen bleiben kann — allen Kritiker anfechtungen zum Trotz ? Und neben den objektiven Pro blemen die lebendigen Gestalten, namentlich die weib lichen, die durch das Leben meines großen Helden ge schritten waren! Ahnen Sie, was das heißt, der nächtliche Kampf mit solchen Gcstaltenreigcn in einem jungen Hirn, dessen Be sitzer Psychologe und Fraucnkcnner sein möchte und nur ein Stümper ist gegen den großen Sachverständigen und LiebcSkundigcn, wie Goethe cs war? Mit meinen Grübeleien wanderte ich täglich im Val Soldo umher. Ich möchte Ihnen den Weg beschreiben. Von den steilen Treppenstufen wißen Sie ja schon — aber noch nicht von der kleinen Kapelle, die am Felsvorsprung hing, steil über dem Lee. Sie stand in der Mitte eines kleinen Friedhofes. Wetnranken hingen über die bröckeln den Mauern und blaue Trauben senkten sich schwer zu den Gräbern hernieder. Bet der nächsten WegVtrgung sah man tn die Schlucht dcö Soldo hinab der tief unten toste. Tic hatte etwas vom Aniotale, diese Schlucht, und das kleine Häusernei't von Castello darüber etwas CampagnahafteS, in der Art. wie e» den Gipfel krönte. Recht» hinauf ging e» nach Puria und weiter oben lag noch eine Ortschaft. Alle diese Dörser waren eingesponnen in Wein und immer wieder Wein. Wie für Feste des Bacchus geschmückt erschien das Ta! - die Ricsenmclonen und goldenen Maiskolben drängten dazwischen und zuweilen wehte noch ein besonderer Dust durch die üppige Wildnis — der feine, spröde, süße Duft der Blüten des «Keurn krogi-ans — jener weißen Oe-baum- blütcn, deren Atem erst so berauscht und dann so schwer mütig macht — man weiß nicht warum . . . Und jeden Tag begegnete mir der junge Priester von Puria auf diesen Wegen, ja, als ich einmal in einer schwülen Nacht, von meinem Goethefieber getrieben, durchs Val Soldo irrte, um mir Gedanken von den Sternen zn holen, sah ich seine große Silhouette wie einen riesigen Nachtfalter nach Castello hinaufirrcn, den steilen Pfad oberhalb des Soldo. Aber ich dachte keineswegs darüber nach, was ihn so ruhelos umhertrcibcn mochte — einzig mit meinem „Buch" beschäftigt, wie ich mar. Ucbrigcns konnte cS keine geeignetere Staffage geben für dies Tal, als ibn mit seiner Soutane und dem Muschel hut, mit dem langsamen Dahinfchreitcn durch die Wein berge und dem leisen melodischen „s-'avai-ii-oe", das er mir im Vvrubergchcn zumnrmclte. Einen besonders romantischen oder sonst besonders interessanten Eindruck machte mir im übrigen der junge Priester eigentlich nicht. In seinem jungen bartlosen Gesicht, dessen angeborenes Elsenbcinwciß die Sonne in einen warmen Rronzeton umgefärbt hatte, las ich nie etwas anderes als jenes gewisse Priestcrwohlwollcn, zn dem leidenschaftslose Naturen es schon in jungen Jahren zu bringen vermögen. So sehr tyrannisierte Goethe meine Phantasie, daß ich keinen Sinn für Dinge der Außenwelt hatte, die mit ihm nicht Zusammenhang hatten, nnd nun denken Sic, wie selt sam mich das berührte, was ich nun erlebte! . . . Als ich wieder einmal bergauf stieg — zwischen den Ranken blitzten die Sicheln der ersten Schnitter, denn sehr früh am Tage war's und das Tal kaum erwacht — da sah ich in der Schlucht des Soldo zwischen dem Grau der Olivenzweige und dem grünen Gerank, das die Stämme umklannnerte, etwas Dunkles liegen — ein schwarzes Gc wand und einen Mnschclhnt. Tollte Pater Lilvio hier geschlafen haben? dachte ich — an so unbequemer Stelle? ist er solch ein Asket —? Ich stieg über da» steinige Geröll hinab. Go morgen« Im
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