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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021215022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902121502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902121502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-15
- Monat1902-12
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Anzeigen-PreiS die 6gespaltene Petüzeile SS Reklamen unter do« Nedakttonsftrich (4 gespalten) 75 vor d« Familiennach. richte» (S gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühr« für Nachweisung« und Offertenammhm« L5 (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgeu-AuSaabe, ohne Postbeförderuug 60.—, mit Postbeförderuug ^l 70.—» Annahmeschluß für ArSgeu: Abend-Slu-gab«: Vormittag- LV Uhr. Morges-eiu-gabe: Nachmittag- < llhr. Anzeigen find stet» an di« Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag- ununterbrach« geöffnet von früh 8 bi- abend- 7 Uhr. Druck uud Verlag von <k> Polz tu Leipzig. Vir. «37. Montag den 15. Dezember 1W2. S6. Jahrgang. Die dritte Lesung des Zolltarifs. Mit einer Krafileistung ersten NangeS, einer 18V, stündigen ununterbrochenen Sitzung, hat der Reichstag am Sonnabend und in den ersten Morgenstunden des Sonnlagö seine dies- jährige Tätigkeit beschlossen und zugleich die dritte Lesung d«S Zolltarifs bewältigt. Daß einer solchen Leistung die Berichterstattung nicht zu folgen vermochte, ist begreiflich. Erst heute treffen über die letzten Stunden der Dauersitzung eingehendere Berichte «in, und auch in diesen siud noch Lücken bemerkbar. Um so mehr ist ein Ueberblick über den Verlauf geboten. Schon beim Beginn der Sitzung lag ein Antrag Herold vor, der die Durchführung des Kompromisses dadurch verbürgte, daß er die Getreideminimalzölle der Regierungs vorlage wiederherstellte, für Malzgerste einen Minimalzoll von 4 hinzusügte und die Bindung der Viehzöllr be seitigte. In letzterer Beziehung suchte eine von den Mehr heitsparteien mit Ausschluß der Nationalliberalcn ein- aebrachte Resolution, einen gewissen Ersatz zu schaffen. Die Parteien der Rechten mit einem Teile der National- liberalen verlangte« weiter in einer Resolution die Kündigung der Meistbegünstigungsverträge und Erneuerung derselben nur bei voller Reziprozität. Eine minder radikale, auf „reine" Meistbegünstigung-Verträge beschränkte Resolution lag vom Zentrum vor. Die Sozial demokraten brachten ihre sämtlichen Anträge zum Zolltarif gesetze und zum Tarife selbst wieder ein und verlangten, ob- gleich nach Annahme des Antrags Kardorff dafür jeder formelle Borwand fehlte, gesonderte Diskussion über alle Positionen — eins der kleinen VerschleppungSmUtel, die sie obne Aussicht auf einen Erfolg und lediglich auS Chikane wieder in Anwendung brachten. Durch einige namentliche Abstimmungen kam man darüber hinweg. Die Freisinnige Vereinigung verzichtete auf Anträge und unterstützte die Sozialdemokraten nicht mehr. Die Debatte wurde durch die Erklärung de-Reichskanzlers Grafen Bülow eröffnet, daß die verbündeten Regierungen dem Gesetze in der durch die Mehrheitsanträge gewonnenen Fassung zustimmeu würden, insbesondere auch bereit seien, ihre ernsten Bedenken gegenüber der Aufhebung der städtischen OctroiS zurücktreten zu lasten, nachdem der Zeitpunkt für den Eintritt der Maßregel hinauSgeschoben sei, und ihre Zustimmung dazu zu geben, daß Zollertrage für eine spätere Arbeiter-Witwen- und Waisenversicherung verwendet werden. Sie gehen dabei von der Erwartung aus, daß un geachtet Lieser weitgehenden sozialpolitischen Maßregel eine die wirtschaftliche Entwickelung der Eiazelstaaten berück sichtigende Regelung der ReichSfinanzen möglich sein und der Reichstag hierzu seine Mitwirkung nicht versagen werde. Die Sozialdemokraten begleiteten diese Ausführungen mit Gelächter und störendem Lärm, der seinen Höhepunkt erreichte, als der Reichskanzler mit dem Ausdrucke der Hoffnung schloß, das große Werk der Tarifreform möge durch die Einigung zwischen BundeSrat uud Reichstag seine Vollendung finden zum Segen des Vaterlandes. Die Vertreter der Mehrheits parteien gaben in kürzeren Erklärungen ihrer Zustimmung znm Kompromiß Ausdruck; für die Zentrumspartei Graf Hompesch, für die Reichspartei Abgeordneter Gamp, für die Natioualliberalen Abgeordneter Paasche, für die Konservativen Graf Limburg, während Frei herr v. Wangenbein« dem Mißvergnüngeu deS Bundes der Landwirte Über dieses Ergebnis der Verhandlungen unter Ausfällen gegen die Miitelparteien ven in üblicher Weise zugespitzten Ausdruck gab. Hierauf zu ant worten und das Verhältnis speziell der freikonservativen Partei zum Bunde der Landwirte zu beleuchten, behielt sich der Abg. v. Kardorff für die Eiatsberatung vor. Vo» der Opposition der Linken sprachen der Sozialdemokrat Molkenbuhr, der Abg. Richter und Or. Barth. Ter letztere wies der Regierung eine„Mitschuld an derZertrümmcrung der Geschäftsordnung" zu und bestritt die Möglichleit, auf Grund des Kompiomigtarifö brauchbare Handelsverträge zu erreichen. Diese Aeußerungen veranlaßten den Reichs kanzler, nochmals das Wort zu nehmen und zunächst zu bemerken, daß er sich mit den Bestimmungen der Ver fassung in Widerspruch setzen würde, wenn er sich in innere Angelegenheiten deS Reichstags einmischen wollte, daß er sich aber das Recht niemals bestreiten lassen würde, in einer für das Wohl des Landes >o bedeutungsvollen Frage in materielle Verhandlungen mit Fraktionen und Ab geordneten einzutreten. WaS die Möglichkeit des Ab schlusses von Handelsverträgen anlange, so werde Herr Barth sich in diesem Pankle als so schlechten Propheten erweisen, wie in andern. Die verbündeten Negierungen seien überzeugt, daß die Tarisvorlage eiu gangbarer Weg zu für Deutschland annehmbaren Handelsverträgen sei. Tas Wort annehmbar unterstreiche er, und er mochte daS Ausland davor warnen, solchen Aeußerungen wie denen deS Abg. Barth zu große Bedeurung beizulegen. Deutschland mit seinem Einfuhrüberschuß von über 1 Milliarde sei der beste Käufer der Welt und habe kein größeres Interesse an Handelsverträgen als daS Ausland. Darum weide die Regierung in HandelsvertragSoerhandlungen ein treten zwar mit der loyalen Absicht, einen billigen Ausgleich herbeizuführen, aber auch mit dem Selbltbewußlsein, das ihr die wirtschaftliche Kraft des deutschen Volkes verleihe. Schließlich sprach noch der Abg. Roesicke (Dessau) über die Differenzierung der Gerste, deren Möglichkeit er bestritt. Nach dem Schlüsse der General debatte erklärte der Abgeordnete Hilp er t, daß die süddeutschen Bauernbündler mit der Differenzierung der Gerste nicht ein verstanden seien und gegen das Gesetz stimmen würben. Die SpecialdrSkusfion über 8 1 eröffnete der Sozialdemokrat Antrick gegen 4^, Uhr mit einer fast endlosen Obstruktionsrede. Man hätte, da wahrlich genug geredet war, diese Rede mit um so größerem Rechte durch einen Antrag auf Schluß der Debatte absckneiden können, je offener Herr Antrick vorher damit geprahlt balle, er wolle über vier Stunden reden. Aber die Mehrheit wollte sich so duldsam wie möglich zeigen und außerdem auch durch einen sozialdemokratischen Redner vor dem Lande den Beweis führen Ia>scn, daß das summa,iscke Beratungsvcrfahren der Mehrheit wirklich eme Notwendigkeit war angesichts der immer von neuem verübten sozialdemo kratischen ObstluktionSexzeste. So spann denn Herr Antrick seinen Faden weiter und weiter und man ließ ihn ge währen, obgleich eS den Zuhörenden nur selten gelang, ein Wort zu erlauschen: denn eine solche Dauerrede macht schon beim Beginn eine sorgfältige Schonung deS Organs notig. Etwas lauter erhob der Redner seine Stimme nur, als er von derBeute- gier und der Profitwut der besitzenden Klaffe sprach. DaS zog ihm sofort einen Ordnungsruf zu und so verfiel der Redner wieder in den Ton, den der Bonze beim Gebet innehLlt. In das ruhige Gleichmaß kam eine Bewegung, als gegen 10fl, Uhr zwei Bogenlampen erloschen und die Besorgnis erlegten, die Sitzung werde abgebrochen weiden müssen. Aber eS kam anders. Tas Präsidium batte für alles gesorgt. Die Bogenlampen wurden herabgclasten, neue Stifte cmgesügt und bald durchflutete die gewohnte Helle den Saal. Währenddessen halte Antrick immer weiter gesprochen, sogar über das ZuchlhuuSgesetz. Endlich, nachdem er sich noch einen Ordnungsruf geholt, schloß er um l2VrUhr seinen Vortrag. Nun ging es in etwas rascherem Tempo vorwärts. Ein Antrag Spahn auf Schluß der Beratung wurde mit 236 gegen 72 Stimmen bei einer Stimmenthaltung angenommen und nach einigen weiteren Abstimmungen auch der Antrag Herold mit lS9 gegen 105 Stimmen bei eurer Stuitmentbaliung; ebenso 8 1 in der nunmehrigen Fassung mit einer Mehrheit von 93 Stimmen. Etwas Abwechslung in diese Ab- stimmerei brachte der Abg. Singer dadurch, daß er noch mals das Wort zur GeichäslSoidnung wünschte, eiu Ver langen, dem der Präsident cutichieden entgegentral. Nach 2 Uhr begannen endlich die namentlichen Abstimmungen über die einzelnen Paragraphen der Vorlage, die bis nach 4>/« Uhr dauerten. Mit ihnen war die dritte Lesung ge schlossen und eS konnte zurG e sa m mtabstim m u ng geschritten werden. Nicht weniger als 303 Abgeordnete hatten ausge halten; von ihnen ilimmten für die Vorlage 202, gegen dieselbe 100; ein einziger Abgeordneter enthielt sich der Ab stimmung. Als das Resultat bekannt wurde und mau vernabm, daß daS so lange und so beiß umstrittene Gesetz seine Sanktion von einer so bedeutenden Mehrheit erlangt hatte, ta brach minutenlanger Jubel bei den MehiheilS- sraktivnen los. Und wie im Leben die Gegensätze, Tag und Nacht, Freude und Schmerz, immer nahe bei einander wohnen, so tönten auch in den Jubel der Mehrheit EnUÜstungs- und Pfuirufe ter Minde>heil hinein; aber sie wurden übertönt von den Bravos. An den Reichskanzler und an den Grasen Pviadowüky drängle man sich heran und beglück wünschte beide. Dann noch einige herzliche Worte deS Graten Balleslrem und die Mitglieder Les Hauses trennten sich bis zum 13. Januar nächsten Jahres. So leidenschaftlich, wie im Reichstage, werden sich außer halb desselben die durch den Schiußakl deS großen Dramas hervorgerufenen Stimmungen nicht äußern; taiüber aber darf man sich nicht tätlichen, Laß die Unterlegenen — die radikale Linke auf der einen und der Band der Land wirte Mit seinem Anhängsel auf ter anderen Seite — sich nach Kräften bemühen weiten, die Sieger bei ihren Wählern anzu schwärzen, um bei den bevorstehenden Wahlen ihrerseits Sieger zu werden. Um so dringlicher wird für die MehrbeilSparteien die Aufgabe, durch klare Darlegung aller Phasen dcü Kampfes auch solchen, denen ein eigenes Urteil über wirtschaftliche Fragen fehlt, nachzuweisen, daß eS eine Pflichterfüllung war, den verbündeten Regierungen endlich die Waffe in die Hand zu geben, die sic bei ten HandelSvertragsverhanklungen be dürfen, um günstige Verträge zu erlangen. Taö Zeugnis des Reichskanzlers, daß die gebotene Waffe eine brauch bare sei, wird schwer ins Gewicht fallen bei der Bildung der öffentlichen Meinung, und nicht nunter schwer die Tat sache, daß dre beruseneu Vertretungen der Industrie, des Handels und ter Landwirtschaft un großen und ganzen dem Werke daS Wort geredet Haden, das nach einer Krast- entfaltung, wie sie der Reichstag noch nie geleistet, endlich zu stände gekommen ist. Wenn vielleicht kein einziges Mitglied der Mehrbeitö- parteien sagen darf, daß alle seine Wünsche durch dieses Werk erfüllt seien, so liegt die Hauptschuld an ven Ob- struktionisten, die die kostbare Zeit vergeudeten, deren rechte Benutzung jevensallS manche Verbesserung ter KommissionSbeicknüsse ermöglicht hätte. Und wenn zur Eriwinznlig einer rechtzeitigen Entscheidung Mittel nötig wurden, zu teuen auch die Mehrheit nur ungern griff, so fällt wiederum die Schuld auf die Obstruklionisten, die i,i vollständiger Verkennung deö Wesens des Parlamentarismus den Willen der Minderheit der Mehrheit auszudrängcn juckten und dadurch die Mittel zur Rettung des Parlamentarismus der Mehrheit geradezu in die Hände zwangen. Mit der Sache selbst haben indes diese Mittel nichts zu schaffen; sie bilden eine Angelegenheit für sich und nehmen weter ten deutschen Unterhändlern etwas von ihren Vollmachten, noch sügen sie kiesen etwas hinzu. Auf tem Geschicke und ter Festigkeit dieser Unterhändler beruht jctzt die Hoffnung aller, die ein Interesse an vorteilhaften Handelsverträgen haben. Daß eS den Waffen, die den BeovUmächtigien in die Hand gegeben sind, an Schärfe nicht fehlt, lehren die unzufriedenen, zum Teil iogar drohenden Stimmen teS AuSlantcü. Mögen nun die Bevollmächtigten ihren Tank an die Hersteller dieser Waffen durck Klugheit und Energie aktragen. Dann wird auch den Mehrheits- paneieu, unter denen die n atio n all ib e ra le fick am meisten verdient gemacht hak, m späterer Zeit ter Dank des Lautes nickt fehlen, ten ihnen die Minderheit jetzt streitig zu machen sucht. Oie Errkution gegen Orneruela. s/- An der venezolanischen Küste haben Eonnabent morgen bereits die Kanonen gesprochen und rie Sacke be ginnt damit einen höchst ernsten Eharalter anzunchmen, da nun auch cie Vereinigten Staaten wegen der Monroe-Doktrin näher berührt erscheinen uud zwar deshalb, weil das Vorgehen der Koalition nunmehr den Ebaraltcr einer S l rafexpedition angenommen bat. TaS war bereit-, wenn auch »och in geriugeiem Maße, mir ter Versenkung venezolaniscker Schisse der Fall. U-ber die Stimmung in New Hork erfahren die .Times': „Es wäre vergeblich, leugnen zu wollen, daß die Vorgänge der letzten Tage einen ungünstigen Eindruck hervorgkrusen Haden. Man hat nickt- gegen die Anweienheit der englischen und deutschen Flotte einzuwendcu. Selbst wenn diese Floite zehn mal so groß wäre, wiude man nichts dagegen bemerken. Daß die Zollhäuser beschlagnahmt werden würden, nahm man als selbitverstäutlich an. Dagegen tadelt man daü Versenken der Schiffe, da tie Unternehmung dadurch irrer eine einfache BeitrelbungS-Expeciuon hinauswächst." Es ist merlwürtig, daß man im allgemeine» dazu neigt, dieses Vorkommnis ten Deuijcken und nicht den Engländern zuruschreiben. Ter „Eommeicial Atvcruser' sagt beispielsweise: „Wenn die Engländer allein vorgegangcn wären, so würden sie es wahr- ickeinlick nicht ter Mühe wert cracktet haben, vier oder fünf Schleppkähne, die die wgenanntc venezolanische Flotte dar stellen, wegznnehmen. Jedenfalls würden sie nicht un Traume daran gedacht haben, L>eie Sckifse m den Grund zu bohren." Wir teilten schon mit, daß das deutsche Geickwater nur Befehl hatte, die venezolanischen Schiffe auszubringen, nicht i, Nhenania sei's Panier! Roman aus dem Studentenleben von Arthur Zapp. Nachdrua vcrvoiei». I. „Frei ist -er Bursch, frei ist der Bursch!" trällerte der junge Mann in elegantem Sportanzug, der auf flinkem Zweirad auf der Landstraße dahinsauste. Er hatte noch eine gute Viertelstunde bis zur Stadt. Es war schon bei nahe halb acht. Da mußte er sich sputen. Heute war Mitt woch; nm acht Uhr begann die offizielle Kneipe. Die kleine Strafe, die die Säumigen dem Kassenwart zu entrichten hatten, schreckte ihn nicht, aber in der Rhenania, dem patentesten Korps der Universitätsstadt X., galt es nicht für schicklich, an den beiden offiziellen Kneipabenden, die xsöchentlich stattfanden, zu spät zu erscheinen. „Stoßt an, Männerkraft lebe! Hurrah hoch! Wer nicht singen, trinken und lieben kann, Den sieht der Bursch voll Mitleid an. Frei ist der Bursch, frei —" Der Student hörte unwillkürlich mit dem Singen auf und trat noch kräftiger in die Pedale. Er flog in einem Tempo dahin, als gälte es eine Wettfahrt. Da hemmte plötzlich ein Hindernis die rasende Fahrt. Auf der rechten Seite der Straße hielt ein Radler, — nein, es war eine junge Dame. Mit der Rechten hielt sie ihr Rad, von dem sie abgestiegen war. Bei feinem Hcranstürmen stieß sie einen instinktiven Angstschrei aus und machte eine Bewe gung nach dem Straßengraben hin. Er hatte gerade noch Zeit, link- abzubiegen. Dann mäßigte er sein Tempo, lenkte um und kam zurückgcfahren. Zwei Schritte vor -er Radlerin sprang er gewandt aus dem Sattel. Sie hatte dem Borüberrasenden betrübt, enttäuscht nachgesehen. Jetzt lief ein Freudenschimmer über ihr Gesicht. Er lüftete höflich seine Sportmütze. „Haben Sie Pech gehabt, Fräulein?" fragte er. Sie deutete betrübt auf daS Hinterrad, dessen Gummi reifen schlaff Herabbing. „Aha, Pneumatikdefekt", sagte er. Sie nickte. „Ich muß wohl über einen Nagel oder einen Glas scherben gefahren sein", antwortete sic kleinlaut. „Nun wird mir wohl weiter nichts übrig bleiben, als zu Fuß nach der Stadt zrrrückzuckehren " hoffentlich doch nicht, Fräulein. Wenn Sie mir ge statten, will ich 'mal zunächst nachsehen, wie groß der Schaden ist." Er legte sein Rad auf den Erdboden und griff nach dem ihrigen, das sie ihm mit einem dankbaren Blick bereitwillig überließ. Während er dasselbe übernahm, sah er sie prüfend an. Sie war elegant gekleidet. Der geschmackvolle Sportanzug von graugrünem Wollstoff, besten Rock nicht ganz bis zu den Knöcheln reichte, kleidete prächtig ihre schlanke, jugendfrischc Gestalt. Ein Mützchen aus demselben Stoff saß ihr zierlich auf dem reichen, dunklen Haar, ohne ihr jedoch den Ausdruck von Keckheit zu geben, der oft von der Radlerinnentracht unzertrenn lich zu sein scheint. In den Mienen ihres feingezeichneten Gesichts mit den dunklen, ernsten Augen und den stolz geschweiften, schwarzen Brauen lag etwas Achtung gebietendes. Auch der flotte Bruder Studio konnte sich dieser Wirkung nicht entziehen. Seine Haltung nahm unwillkürlich etwas Verbindlicheres und Bescheidenes an, und auch in seiner weiteren Anrede äußerte sich der Respekt heischende Eindruck ihrer Persönlichkeit. Er hatte mit kraftvoller Hand ihre Maschine empor gehalten und das Hinterrad in langsame Drehung ver setzt. Zum Glück war cs noch hell genug; trotzdem schien er nicht gleich die schadhafte Stelle finden zu können. In seinen Blicken lag etwas Zerstreutes, Nachdenkliches, denn im Stillen beschäftigte ihn die Frage: Wer konnte das sein? Er hatte sich bisher mit der Einbildung ge schmeichelt, die jungen Damen der Musenstadt zu kennen. Wie hatte ihm nur ein so ausgesucht reizendes Exemplar deS Xstäbtcr Damenslors entgehen können? Hatte sic so zurückgezogen gelebt? Oder war sie noch nicht lange im Orte? Er hätte sie gar zu gern gefragt, aber er wagte es nicht. „Da sehen Sie, gnädiges Fräulein", sagte er jetzt und beutete auf einen einen halben Finger langen Riß in dem Pneumatik, „da haben wir'S! Na, dem Schaden wollen wir schnell abhelfen." Sie blickte ihn erstaunt, fragend, zweifelnd an. „Bitte, halten Sie einmal ein bißchen, gnädiges Fräulein!" forderte er sie auf. Sie griff rasch zu. Er trat zu seinem Rade zurück, öffnete die Satteltaschc und nahm ein paar Gegenstände heraus. Daun kam er zurück. Sie hatte jetzt Gelegenheit, ihn ungeniert genauer be trachten zu können, den» er begann sogleich emsig zu arbeiten, während sie das in Reparatur genommene Rad festhielt. Er goß zunächst aus einem kleinen Fläschchen ein paar Tropfen — der scharfe, den Atem benehmende Geruch bezeichnete es als Benzin — auf einen Lappen und säuberte die schadhaft gewordene Stelle. Tann schnitt er von einer Gummirollc ein Stück ab, betupfte cs mit Klcbestvff, den er aus einer Tube hcrausdrücktc, und verklebte den Riß. Sie sah ihm interessiert zu, ab und zu den Blick auf sein vor Eifer sich rötendes Glicht heftend. Er mochte etwa vierundzwaiizig Jahre alt sein. Seine Züge zeigten einen heiteren, unbefangenen, lebensfrischcn Ausdruck. Sein braunes Haar war über den Schläfen leicht gelockt; seine braunen Augen folgten aufmerksam dem Werke seiner geschickten Hände. Als er jetzt, sich ausrichtend, das Gesicht hob, flog ein auflcuchtender, ein wenig kecker Blick zu ihr hinüber. „So, mein gnädiges Fräulein!" sagte er lächelnd. „Jetzt können Sie sich wieder getrost in den Sattel schwingen. Halt! Beinahe hätte ich das Wichtigste ver gessen. Ja, ja —" Er vollendete nicht, sondern lächelte wieder und sah ihr dabei vielsagend in die Augen. Sic runzelte un willkürlich die Brauen und nahm eine straffere Haltung an. Sic konnte sich eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren, so dankbar sie ihm auch für die Hülfe war. Seine etwas burschikose Art verstimmte sie. „Eine Luftpumpe haben Sic doch?" fragte er. Sie schüttelte betreten mit dem Kopf. „Nicht?" Er lachte laut. Diese Damen! . . . Pardon!" fügte er rasch hinzu, als er ihre unwillige Miene bemerkte. „Es fuhr mir «ur so heraus! Ich wollte Sie nicht verletzen." Er wandte sich wieder zn seinem Rade und kam mit seiner Luftpumpe zurück. Sie hatte iudcs ihre Empfind- lichkcit bemeistcrt. „Sie haben ganz recht", sagte sie. „Es ist leichtsinnig. Man sollte wenigstens das nötigste Handwerkszeug immer bei sich haben." Aus seinen Augen blitzte der Schalk. „Können Sie denn damit umgehen?" „Freilich!" Zugleich machte sic eine Bewegung, als wollte sie ihm die Pumpe aus der Hand nehmen. Aber er wehrte lächelnd ab. „Nein, nein! Sic gestatten." Er beugte sich herab, befestigte das Instrument an dem Schlauch und puinpte mit raschen, krästigen Stößen. Nach wenigen Sekrmden richtete er sich wieder in die Höhe. „Sv! Nun können wir satteln." Er barg Luftpumpe und die anderen Tinge, die er gebraucht hatte, in seiner Satteltaschc und nahm sein Rad in die Hand. Sie stand noch zeternd neben dem ihren. „Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll." „Aber bitte, bitte", wehrte er galant ab. „Im Gegen teil, ich habe zu danken — dem gütigen Zufall, der mir das Glück verschaffte, einer so anmutigen, jungen Dame einen Dienst leisten zu können." Er schwenkte seine Mütze und machte eine leichte Ver neigung. Sie biß sich auf die Lippen; ihre Mienen, die rasch einen frostigen Ausdruck annahmeu, belehrten ihn, daß sie sein kecker, freier Studcntenton, an den sie nicht gewöhnt zu sein schien, wieder verletzt hatte. „Pardon!" entschuldigte er sich. „Tie Wahrheit darf man doch sagen." Damit schwang er sich, das linke Pedal wie einen Steigbügel benutzend, in den Sattel. Auch sic setzte ihr Rad in Bewcgimg. Ein paar Sekunden radelten sie schweigend neben einander. Tann lüftete er plötzlich wieder seine Mütze. „Ich glanbc, ich habe mich dem gnädigen Fräulein noch gar uicht vvrgestcllt. Gravenhorst libouLniav t-uvalpstrckiavguo." Sic sah erstaunt, verständnislos zu ihm hinüber und schien offenbar den Sinn des Nachsatzes nicht zu be greifen, den er seinem Namen angehängt hatte. Er be merkte es. „Pardon!" sagte er. „Sie sind wohl noch nicht lauge in unserer Musenstadt?" „Nein. Erst seit zwei Wochen." „Und Sie haben früher nie in einer Universitätsstadt gelebt?" „Nein." „Tas dachte ich mir. Also daS Ulmnaniao tluosipstalicwguo bedeutet, daß ich attivcr Bursche des Korps Rhenania bin, und daß ich früher der Gucstphalia in Bonn angchörtc." „Ah, Sic sind Student?" rief sie und betrachtete ihn, wie es ihm schien, mit lebhafterem Interesse. ,Tmben Sie denn das nicht gleich bemerkt, gnädiges Fräulein?" fragte er lächelnd. Auch sie lächelte jetzt schalkhaft, während sich ein paar Grübchen in ihre Wangen zeichneten, waS er im Stillen überaus reizend sand. „Sie entschuldigen gütigst", antwortete sie, „daß ich Ihre akademische Würde nicht sofort erkannte. Sic
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