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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.10.1906
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-10-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19061015026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906101502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906101502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-10
- Tag1906-10-15
- Monat1906-10
- Jahr1906
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Stelleu-Anzrigen, sowie An- und Verkäufe 20 Pf, finanzielle Anzeigen SO Pf, für Inserate von auswärts 30 Pf. Reklamen 75 Pf, auswärts 1 Mark. Beilage- gebühr 4 Mark p. Tausend exkl. Postgebühr. Geschäftsanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarif. Anreigen-Annahme: AugUftuSplatz 8, bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen des In- und Auslandes. ür daS Erscheinen an bestimmten Tagen u. ilätzea wird keine Garantie übernommen. Haupt-Filiale Berlin r CarlDun cke r.HerzglLayr.Hofbuchhandlg, Lützowslraße 10 iTelephon Vl, Nr. 4603). Kilial-«rpeditton:TreSden.Marienstr.34. Nr. 512. Montaß 15. Ottober 1906. 1ÜÜ. Jahrgang. Vas Neueste vom Lage. (Die nach Schluß der Redaktion eingegaugeneu Depeschen stehen auf der 3. Selle des HauptblatteS.) Des Kaisers Reise nach «fseu. Der Kaiser fuhr gestern abend 11'/, Uhr zu dem Hof zuge auf dem Cronberger Bahnhöfe, der dann auf ein totes Geleise gefahren wurde. Heute früh 5»/, Uhr erfolgte die Abreise deS Kaisers nach Essen. Reichskanzler Fürst Bülow mit Gemahlin und die übrigen geladenen Gäste fuhren gestern im Wagen nach Homburg zurück. Die Bergarbeiterbewegung. Die Bergarbeiterbewegung im Ruhrrevier hatte gestern einen wichtigen Tag, da etwa 130 kleinere und größere Ver sammlungen stattfandeu. In Bruckhausen sprach Hu 6. Er führte aus, er begreife, warum bei dieser Lohnbewegung von einer Katastrophe und von Streik geredet werde, warum sollte er nicht auch möglich sein? Ein Mißverständnis sei es, zu meinen, daß es unter keinen Umständen zum Streik kommen werde und solle. Man zeige aber nun den guten Willen zur Verständigung. Bei einer glatten Ab lehnung der Lohnforderung sei der Sturm kaum zu beschwö ren, selbst wenn die Führer dies wollten; alles hänge von der Antwort deS Bergbaulichen Vereins ab. Wie wir schon kurz telegraphisch berichteten, fanden gestern auch im Lugau- Oelsnitzer Kohlenbecken einige sehr stark besuchte Berg arbeiterversammlungen statt. Referenten waren Krause- Zwickau und Drescher-GerSvorf. Beschlossen wurde, sofort in eine Lohnbewegung einzutreten. Einstimmig angenommen wurde eine Resolution, nach welcher sich die Bergarbeiter einverstanden erklärten, die von den vereinigten Berg- arbeiterverbänden Deutschlands eingereichten gemeinsamen Forderungen bei den hiesigen Werksverwaltungen einzure>chen. Ferner verpflichteten sich die Anwesenden, während der Lohn bewegung nur auf die Anweisungen der Gesamtleitung zu hören und sich zu keinen unüberlegten Schritten verleiten zu lassen. Die von den Bergarbeiterverbändcn ausgestellten Forde rungen sind hauptsächlich: Erhöhung des Schichtlohnes um 15 Proz., auch sollen die Gedingelöhne so erhöht werden, daß durchschnittlich 15 Proz. mehr ausgezahlt werden, Aufhebung der noch auf vielen Gruben bestehenden Bergsperre, sowie Beseitigung der getrennten Gedinge. Wie bekannt gegeben wurde, sind die gegenwärtigen Zeilen sehr passend für eine Lohnbewegung. Auf den Gruben des hiesigen Kohlenbeckens sind Kohlen vorräte so gut wie gar nicht vorhanden und Aufträge liegen aus sehr lange Zeit vor. Im Lugau-Oelsnitz-Hohnrorfer Becken kommen ungefähr 10 000 Bergarbeiter in Frage. Antwort wird bis zum 25. Oktober verlangt. Tic Treibundö-Tiplomatcn. Das „Eco de Paris" meldet aus Mailand, der Staats sekretär v. Tschirschky und Bögendorff werde vor seinem Besuch in Rom einige Tage in Mailand Aufenthalt nehmen und u. a. auch die Ausstellung besuchen. Es sei nicht aus geschlossen, daß er bereits in Mailand eine Unterredung mit einem hervorragenden italienischen Diplomaten haben werde; auch sei wahrscheinlich, daß er vom König auf Schloß Raccomighi empfanden werde. — Dem Blatte „Lombardi" zufolge wird demnächst eine Zusammenkunft zwischen dem Grasen GoluchowSlv und dem italienischen Minister deS Aeußern Tittoni in Venedig oder Mailand erfolgen. Posadowsky und die soziale Frage. Bei der Einweihung des PosadowskyhauseS in Bankow kielt der Staatssekretär deS Innern, Graf PosadowSlH, eine Rede, worin er aussührte, er habe kürzlich in einer Schrift gelesen, daß Berlin im Jahre 1950 nicht weniger als 14 Millionen Einwohner zählen werde. Nach ganz zuver lässiger Wahrscheinlichkeilsberechnung werde er vielem Ereignis nicht mehr beiwohnen, aber, die statistische Angabe sei ein Fingerzeig, welche ungeheuren Aufgaben dem Staat und allen Gutgesinnten in der Zukunft gestellt würden. Selbstsucht und gänzlichen Mangel an sozialem Verständnis bewiesen diejenigen, die die soziale Frage schon heute beschränkt sehen möchten. Ein jeder müsse nach seinen Kräften für den wirt schaftlich Schwächeren eintreten. Prinz Alexander zu Hohenlohe. Prinz Alexander Hohenlohe, der Herausgeber der Memoiren seines Vaters, war am 13. Oktober in Homburg und hatte mit dem Reichslanzler eine längere Besprechung. Abends reiste er wieder ab. — Wie der Straßburger Korrespondent der „Frlf. Ztg." aus sicherer Quelle erfährt, hat Prinz Alexander Hohenlohe dem Statthalter sein Entlassungsgesuch eingereicht. Einigung des Liberalismus. Wie unö «in Privattelegramm aus Oldenburg meldet, haben die beiden freisinnigen Parteigruppen des Landes, Vereinigung und Voltspartei sich auf Grund deS sogenannten Frankfurter Minveslprogramms geeinigt und auch eine Verständigung mit den Nationalliberalen erscheint wahrscheinlich. Gräfin Montignoso. Anderweitigen abweichenden Meldungen gegenüber kann festgestellt werden, daß Abänderungen des Vertrages mit der Gräfin Montignoso nicht beabsichtigt sind. Im Gegenteil sind Verhandlungen wegen Realisierung der Ver- tragsbestimmungen über ern Wiedersehen der Gräfin mit ihren älteren Kindern und Uebernahme der Prinzessin Monica Pia angebahnt. Angebliche Garung in Lüb-Marokko Aus Sida-bel-AdbeS wird berichtet, daß infolge der unter den Stämmen von Südinarokko herrschenden Gärung der Handel an der algerisch-marokkanischen Grenze vollständig gelähmt sei. vahnunglück in Frankreich. Nach Telegrammen aus Chartres hat sich ein Eisen bahnunglück bei Epernon in der Weise zugelragen, daß der Personenzug, der auf dem Bahnhöfe auf die Vorbeifahrt des Brester Expreßzuges wartete, in dem Augenblicke, als er aus einem Nebengleise heraussuhr, von einer einzelnen Lokomotive schräg angefahren wurde. 9 Personen wurden getötet und 17 verletzt, darunter 2 schwer. Zahl reiche Personen erlitten leichtere Verletzungen. Der Minister der öffentlichen Arbeiten ist nach Epernon abzereist. Spanische Minister-ArifiS in Sicht. Angesichts der Schwierigkeiten, welche der spanischen Regierung auf handelspolitischem und kirchlichem Gebiet ent standen sind, glaubt man an eine baldbevorstehende Ministerkrisiö. Tic Kruppsche Hochzeit. Ein Privattelegramm aus Essen meldet uns: Aus An laß der heutigen Vermählungsfeier im Hause Krupp hat Krau F. A. Krupp eine Stiftung von einer Million Mark beschlossen, die vor allem der Wobnungssürsorge für die unbemittelten Klassen der Stadt Essen dienen soll. Außerdem stellt Frau Krupp der Stiftung ein Baugelände im Wert von mehreren Millionen Mark zur Verfügung. Die Neuvermählten spendeten gleichfalls ei ne Million Mark der Kruppschen Arbeiterschaft. In der diesbezüglichen Bekanntmachung betont das junge Paar besonders, daß es ihm stets am Herzen liegen werde, die persönlichen Be ziehungen zu den Fabriken zu erhallen, die Fürsorge für die Werksangehörigen, Beamte und Arbeiter weiter zu pflegen und daß sein ganzes Bestreben darauf gerichtet sein^ werde, im Sinne der verstorbenen Herren Alfred und Friedrich Alfred Krupv die Werke auch in Zukunjt als persönlichen Besitz erhalten zu sehen. Tic Kupfcrhausse macht weitere Fortschritte. Wie aus der Handelszeitung zu ersehen ist, hat die Mansselder Gewerkschaft ihren Kupfer preis abermals bedeutend hinaufgesetzt. politisches. * Tänlscher Schulst»'«!. Aus HaderSlebeu wird den „Berl. N. N." geschrieben: Politische Schulstreiks sind das Neueste aus dem Gebiete der Kämpfe in der Nordmark. Die vom Kreistage des Kreises Habersleben beschlossene Er richtung von Fortbildungsschulen für Lehrlinge von Hand werkern, Gewerbetreibenden und Kaufleuten mit pflicht mäßigem Besuch in allen größeren ländlichen Gemeinden ist den Protestlern ein Dorn im Auge, und diese versuchen durch Won und Schrift die Bete'L'g'en zum passiven Wider stand zu veranlassen, indem sie ihnen Vorreden, daß niemand zum Besuch dieser „GermanifierungS-Aiistalten" gezwungen werden könnte, da die Gründung der Schulen nicht auf rechtlicher Grundlaae erfolge. Daraufhin streikt in der großen Gemeinde Scherrcbek der größte Teil der Schul pflichtigen, denn trotz genügender Beianntmachung sind am Eröffnungstage der dortzgen Fortbildungsschule von 40 Schulpflichtigen nur acht erschienen. Vorläufig will es die Polizeibehörde versuchen, auf gütlichem Wege die Wider spenstigen zum Aufgeben des Streiks zu bestimmen. ^V. ^k. 0. Drahtlose Telegraphie. Die Bedeutung, die die drahtlose Telegraphie in der kurzen Zeit ihres Bestehens erlangt hat, wird auch durch die Zahl der bestehenden radio telegraphischen Stationen gekennzeichnet. Ter italienische Ingenieur M. A. Monte! hat jetzt statistische Erhebungen veröffentlicht. Es handelt sich dabei im wesentlichen um die Zahl der von den drei großen Gesellschaften Marconi, Tele- funken und De Forest eingerichteten Stationen. Die Mar co n i - G e s e l ls ch a f t hat im ganzen 69 Stationen ge schaffen. Die deutsche Gesellschaft Telefunken errichtete folgende Stationen: 26 in Deutschland, 1 in Deutschostasrika, 2 in Oesterreich-Ungarn, 6 in Dänemark, 8 in Schweden und Norwegen, 4 in Holland, 2 in Spanien, 1 in Portugal, 7 in Rußland, 26 in den Vereinigten Staaten, 2 in Mexiko. 2 in Kuba, 2 in Ekuador, 2 in Peru, 1 in Brasilien, 1 in Uruguay, 3 in Argentinien, 1 in Kleinasien, 2 in Siam, 2 in Tongking, 2 in Holländisch-Jndien, 4 in China, im ganzen 107 Stationen. Endlich stammen 41 Stationen von der amerikanischen Gesellschaft De Forest. Die Zahl der au Schiffen befindlichen Stationen ist noch viel größer. Bereits im Jahre 1904 waren 40 englische Kriegsschiffe mit Marconi- Apparaten ausgerüstet, auch hatten mehrere Dampfschiffs- gestllschaften ihren Passagieren einen funkentelegraphi'chen Verkehr ermöglicht. Ende 1904 hatte die Gesellschaft T.'le- fnnken 200 Stationen ans Kriegsschiffen und eine ganze Reibe von Stationen ans Postschiffen eingerichtet. Seitdem ist ihre Zahl erheblich vermehrt worden. Die Kriegsmarine der bedeutendsten Länder ist lieute mit Marconi-Apparaten reichlich versorgt. Voraussichtlich werden in kurzer Zeit auch sämtliche größeren Handesschiffe Funkensprechapparate erhalten, da die Sicherheit dadurch bedeutend gesteigert wird. * Zentrum und Nationalliberale. Von allen Seiten, vor nehmlich aus der Rheinprovinz und aus Hessen, gehen der „Natl. Korresp." Zuschriften zu, welche das immer wieder holt in gegnerischen Blättern behauptete Kompromiß zwischen Nationalliberalen und Zentrum auf das energischste demen tieren und erklären, daß an diesen Behauptungen kein wahres Wort ist. Insbesondere verwahrt man sich im Wahlkreise Duisburg-Mülheim a. d. Ruhr, Degen welchen speziell der Vorwurf einer solchen Kompromißneigung erhoben wurde, nationallibcralerseits gegen derartige Unterstellungen. Letz- tere wären auch auf dem Goslarer Parteitage mündlich durch hessische Delegierte widerlegt worden, wenn die Ungunst der Rednerliste diese nicht verhindert hätte, das Wort zu er greifen. * „Genosse" Singer, der Parteitags-Vorsitzende, hat in den Kreisen der Gewerkschaften seinen Nimbus als Prä sident anscheinend völlig verloren. Denn das gewerkschaft liche Zentralorgan wäscht ihm gründlich den Kops, weil er im Gegensatz (u der ans fozialdemvkrtiiischeit Parteitagen be obachteten Regel dem Korreferenten Legien vor dem Referen ten Bebel das Wort erteilen wollte und nach dem Wider- spruch Legiens „einfach den Parteitag beschließen ließ, der Korreferent solle vor dem Referenten sprechen". Das Organ der gewerkschaftlichen Generalkommission schildert sehr ärger- lich den Tatbestand und fügt hinzu: „Von einem unpartei ischen Vorsitzenden muß man verlangen, daß er allen Red nern, ohne Ansehen der Person, gleiches Recht widerfahren läßt. — Ihren hochgepriesenen Präsidenten von gewerkschaft licher Seite dermaßen kritisiert zu sehen, wird die Partei leute nicht wenig verschnupfen. Feuilleton. Ls ist grausam, menschlich ru hanckeln, unck mensch lich, grausam ru sein. kg»,»ring von Meäici. 4Ver sich nicht auf dienen versteht, ist immer grau samer unck gröber als anckere l-eute; ckesivegen kann man auch gegen kleine Tiere eher grausam sein. Wellenberg. Uber im Menschen liegt eine furchtbare (Grausam keit; so vie ckss Mtleicken bis rum 8chmerre, so kann ckas strafencke l.eicken-Sachen bis rur Lästigkeit an- ^6)Ieo. 3«,» ?sul. Bunte Bilder aus Operettenlanv. Von Dr. Hanns Heinz Ewers (Düsseldorf). IV. „Morgen Punkt zehn Uhr Gerichtssitzung!" sagte der Zahlmeister des Dampfers „Präsident" der H. A. L., als Morgen punkt zehn Uhr Gerichtssitzung!" sagte wir Port de Paix in Sicht bekamen. «So? Woher wissen Sie das? Haben Sie eine Ladung durch Funkspruch bekommen?" «Nicht nötig! Seit sechs Monaten habe ich jedesmal hier Termin, wenn wn: Herkommen; die Sache wird dann stets wieder vertagt. Es ist eine alberne Baaatelle: irgend ein armer Teufel hat von Bord ein paar Flaschen Bier ge stohlen und wurde von den Zollbeamten dabei erwischt. Diese tranken das Bier dann selber aus, ließen den Kerl einsperren und verschafften imr das zweifelhafte Vergnügen, jeden Monat einmal als Zeuge erscheinen zu muffen, ohne jemals vernommen zu werden." „So bleiben Sie doch einfach weg!" „Geht nicht! Darauf lauert der biedere Richter ja nur. Von dem Dieb kann er nichts bekommen, von den Zoll beamten auch nicht; bleibt der Zeuge: ich. Der Herr wartet nur auf mein „unentschuldigtes Fernbleiben", um mir cine Geldstrafe auszuerlegen!" „Na, und die bezahlen Sie nicht!' „Nicht befahlen? Der Herr Richter, der zugleich mit seinem Kramladen d-r beste Kunde für Kochtopfe von unserer Agentur hier ist, zieht einfach die Summe von der Rechnung ab. Unser Agent stellt sie der Kompagnie in Rechnung und das Ende ist: ich muß bezahlen, ob ich will oder nicht. Und dcShalb pche ich lieber pünktlich zur Gerichtssitzung jedesmal, wenn wir nach Port de Paix kommen." Wir gingen am andern Morgen zu dem Justizpalaste; um neun Uhr war der Termin angesetzt. Da wir einstweilen allein waren, hatte ich Zeit genug, mir das Gebäude, das der schwarzen Themi» geweiht war, genau anzusrhen, ES bcstand aus vier Holzwänden, von denen eine am Boden lag; ein Dach hatte es nicht. Ein Tisch stand in der Mitte, dahinter eine Bank; an den Wänden waren eine Reihe von Illustrationen aus der „Vie Parisienne", der „Berliner Illustrierten Zeitung" und der „Jugend" angeklebt, wahrscheinlich zur Unte.» Haltung der Zeugen; im Raume hatten ein paar schwarze Ferkel und gelbe Hunde ihr Heim aufgeschlagen. Nach einer halben Stunde erschien ein Mann mit einem Esel, der schwer mit Aktenstücken beladen war; cs war der Gerichtsschrciber. Nach einer weiteren Stunde erschien der Richter und einer der Beisitzer; der zweite Beisitzer kam überhaupt nicht, aber das genierte nicht weiter, die Sitzung wurde eröffnet. Ter Gerichtsschrciber setzte eine große Brille auf die Nase und buchstabierte langsam die Nolle; die Diebstahlssache stand als erste darauf. Aber der Friedensrichter erklärte gleich, daß diese Sache „wegen ihrer großen Wichtigkeit" zuletzt ver handelt werden müsse. Inzwischen hatte sich eine Menge Publikum versammelt; auch der arme Teufel, der wegen der zwei Flaschen Bier nun schon sechs Monate im Loch saß, ohne abgeurteilt zu werden, kauerte zwischen vier Polizei soldaten am Boden. Der Gerichtsschreiber nahm einen mächtigen Stoß Akten von dem Esel, der neben ihm stand, und ries die Sache auf gegen Chlo» Hccatombe Beauflenr, „pic-vaoiia ck'aroir cxareö la kötiabimno »nr an enkant" Nicht ganz leicht zu verstehen, dieses Delikt! Der Haitianer — wir haben an anderer Stelle darüber berichtet — ist zwar dem Namen nach Christ, in der Tat aber Anhänger des Vaudouxkultus, der viele Opfer verlangt. Und wenn auch die Regierung das Opfern von Hähnen und Ziegen geschehen läßt, so tritt sic doch manchmal gegen das Opfern von Kindern ein, das trotzdem jahraus, jahrein in Haiti vorkommt. In diesem Falle war es freilich bei dem Versuch geblieben; das Kind, ein zehnjähriges Mädchen, war der liebenswürdigen Mama wcqaelaufen, ehe sie ihre Absicht ganz ausführen konnte und stanv nun als Zeuge im Raume Uebrigens war die Sach lage denkbar einfach, der Tatbestand war durch Zeugen und Geständnis durchaus klaraestellt; das Negerweib machte nur den Einwand, daß es nicht bestraft werden könne, da eS ja „noch" nichts getan hätte. Trotzdem dauerte dieser Prozeß nun schon vier Jahre und füllte einen riesigen Stoß von Akten; das kam daher, daß die Angeklagte fortwährend ihren Namen wechselte. Sie wurde verfolgt als Chlo« Hccatombe Beauflrur, aber sie verweigerte die Annahme der Ladung, da sie inzwischen (durch Inserat im Wochenblatt!) den Namen Marie Louise Champagne angenommen hatte. AIS sie nach einem halben Jahre eine neue Ladung auf diesen Namen erhielt, existierte eine Frau Champagne schon lange nicht mehr, sondern nur eine Dame Euterpe Mac-Mahon, aus der sich bald eine Delila Carmen Rousseau entpuppte. Wie eine Schlange warf diese schwarze Enkelin deS ProteuS eine Haut nach der andern ab, immer zur rechten Zeit, um die Ladung zurückzuweisen. „Aglaia Philippine Roosevelt? Aber da« bin ich nicht! Ich selbst heiße Sarah Lafayette!" — Und die Akten wuchsen. . beute war oie würdige Dame nicht erschienen und die Geschichte gerade so lästig war wie dem GcrichtSschreiber, und der wahrscheinlich selost Anhänger de» Vavdoux war, vertagte die Sache gleich auf ein Jahr — der Gerichtsschrciber schrieb: zwei Jahre. Dann wurde der Fall des Generals Sirius Aurore ver handelt, der den Fiskus um einen Zoll von etwa 10 000 Gourdes betrogen hatte; ihn verteidigte der Advokat General Cosinus der Aelterc mit der ganzen Fülle schwarzhäutiger Bcredtfamkcit. Von dem Delikte tvar überhaupt nicht die Rede, der Verteidiger stellte nur die ungeheuren Verdienste seines Klienten um das teure Vaterland im besonderen und um die ganze Welt im allgemeinen in das rechte Licht; nach dem er eine volle Stunde geredet hatte, bedauerte er nur, fo wenig Zeit zu haben, um Worte, würdig dieses wahren Helden von altem Schrot und Korn, zu finden. Ter An geklagte bemerkte seinerseits nur, daß ein Mann wie er wrlanaen könne, daß drei, nicht nur zwei Richter auf der Bank säßen. Aber diesem kleinen Mangel half der ältere Cosinus sogleich nach, mit kräftigem Ruck stieß er den Altencsel zur Seite und setzte sich an den Nichtertisch. Richt.r oder Advokat — ganz gleichgültig, wenn nur drei Leute da fitzen! Natürlich wurde der Herr General zum Segen für sein dankbares Vaterland sofort frcigesprochen. Dann kam Victor Alexander Dumas dran, ein ein beiniger Bettler, der seit Monaten im Gefängnis saß, ohne zu wissen, weshalb. Seine Akten waren nämlich verloren worden, deshalb wurde die Sache immer vertagt. Auch jetzt setzte der Vorsitzende wieder einen neuen Termin an; aber General Cosinus, der neue Richter, milde gestimmt durch seinen eben erfochtenen Sieg, erklärte, daß die Sache oft genug vertagt worden sei und daß Dumas sreigesprochcn sei. Der Vorsitzende protestierte, aber der Gerichtsschrciber, der augenscheinlich froh tvar über jeden Aktenschluß, er klärte, daß er es nun schon mal so ausgeschrieben habe uud daß es dabei bleiben müsse. Und er las laut vor: „Victor Alexander Dumas ist von der Anklage freigcsvrochen." Von welcher? Ja, das wußte kein Mensch! — Ter Richter rief den Fall Hippolyte Carneval gegen Eva Clotildc Carneval wegen Ehescheidung auf. Während der alte Bettler forthumpclte, kam schweiß- triefend ein kleiner Negerbub hergelaufen und brachte dem Zahlmeister cine Karte, die ihn in dringender Angelegenheit zur Hapag-Agentur rief; er bat mich, zu warten, bis er, in zwanzig Minuten etwa, zurückkchre, und ging fort. Kaum hatte er sich entfernt, als der Vorsitzende den be gonnenen Prozeß abbrach und den Fall Themistokles Valen tin aufricf: uns«e Sache. Da ich selbst dableiben wollte, beauftragte ich gleich einen neben mir stehenden halb wüchsigen Burschen, dem Zahlmeister schnell nachzulauf-n und ihn zurückzuholen. Das bemerkte der ehrliche Richter und rief sogleich Ferdinand Lassalle Perrin — so hieß wohl der Junge — als Zeugen auf; da dieser aber schon heraus war, schickte er ihm dr« Soldaten nach, um ihn zurückzubringen. Augenscheinlich waren die Soldaten fixer als Ferdinand Lasalle; sie brachten nach wenigen Minuten den oeulenden Bengel zurück, während mein Zahlmeister sortblieb. Und nun entwickelte sich mit unglaublicher Schnelligkeit ein höchst summarisches Verfahren; augenscheinlich wollte der Herr Richter die Zeit wieder cinbringen, die er durch sechs monatige Vertagungen verloren batte. Zuerst wurde der „Zeuge" Ferdinand Lassalle in eine „O»ruingSstrasr" von drei Tagen Gefängnis genommen: eine Minute. Dann wurde der Zahlmeister als Zeuge aufgerufen, und nachdem die vorschriftsmäßige Ladung und seine Abwesenheit fest gestellt war, in eine Ordnungsstrafe von hundert Gourdes (etwa 70 .4lj genommen: zwei Minuten. Dann wurde Themistokles Valentin, der arme Teusel, der wegen des Bieres, das die Zollbeamten getrunken hatten, nun schon ein halbes Jahr im Loch saß, rasch freigesprochen und zu gleich mit Ferdinand Lassalle aus der Haft entlassen: wieder zwei Minuten. Beide wurden mit ein paar kräftigen Fuß tritten von den Soldaten aus dem Ju tizpalast entfernt, worauf der Vorsitzende die Sitzung aufhob! Die Vertagung der übrigen Sachen besorgte der Gerichtsschrciber aus eigene Rechnung. Ich bin überzeugt, daß ich für meine Person nur aus dem Grunde einer Strafe entging, weil der Richter meinen Namen nicht wußte; sonst hätte er mich gewiß rasch noch mitverurteilt. Wenn ein Kind Köpfe zeichnet, malt cs einen Kreis, setz! ein paar Striche auf als Haare, ein Dreieck als Nase uac ein anderes als Mund. Ob nun Profil oder Enface „zwei Augen aber fehlen nie, denn die, das weiß es, haben sie." Genau so steht der Haitinegcr zur Jurisprudenz. Bei einem Prozeß — „das weiß er" — müssen Richter da sein. Wer, ist gleichgültig; ko fungiert der Verteidiger ebenso gut als Richter, auch wob! ein Zeuge; ja, cs soll vorgekommen sein, daß irgend ein Angeklagter während der Sitzung ein fach den Richter „ablehnte , d. h. von sein'M Stuhle beruntcrschmiß, sich selbst draussetztc und natürlich sreisprach! Bei einem Prozeß — das weiß der edle Haitianer auch — muß ctivas verurteilt werden. Ob das nun gerade der Angeklagte ist oder ein Zeuge, der stets in Gefahr schwebt, oder ein völlig unbeteiligter Zu'chauer, wie Fer dinand Lamllc — das ist völlig gleichgültig. Mit Vorliebe werden Kälber, Hühner, Ziegen und Schweine, die irgendwie Streitobjekt zwischen den Parteien sind, verurteilt; sie werden „vom Staate konfisziert", d. h. vom Herrn Richter geschlachtet. Eine Farce ist, wie alles in dicstm Lande, auch die Justiz. Die Gesetze sind nur für die Fremden gemacht, und werden auch dann nur in dem seltenen Falle anaewendet, daß der Betreffende nicht Geld genug bat, um 'yre Tigerklauen in weiche Katzenpfötchen umzuwandcln. Aber vielleicht ist S gut so, denn wenn man die Bewohner dieses schönen Landes mit dem nicht to völlig durchlöcherten Siebe eines europäischen Strafgesetzbuches sieben würde, so würden wohl sehr wcniac nur durchschlüpfen, neunundneunzist vom Hundert würden gewiß aus dem Zuchtbaust gar nicht mehr hcrauskommeu. Und das wäre doch sehr schade! * Larl Reinecke in Dresden Unser Dresdner Mitarbeiter schreibt unS: In Pro fessor Bertrand Roths Musiksalon, diesem intim-vornebmcn Sammelpunkt des musikalischen Dresdens, wurde die Reibe der dieswinterlichen «Aufführungen zeitgenössischer Ton- werke", die dort an Sonntag-Vormittagen veranstaltet zu werden pflegen, mit einer kleinen Sensation eröffnet. Ter gestrig« Vormittag war nämlich dem Leipziger Altmeister
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