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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.02.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-02-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040224022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904022402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904022402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-02
- Tag1904-02-24
- Monat1904-02
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Anzelgen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redoktionsstrich (4gespalten) 75 »j, nach den Famitunnach- richten (ügelvalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen. Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, m t t Postbeförderung 70.—. Annahmeschluh für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an dir Expedition zu richten. Die Erpedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig fJnh. vr. B., R. L W. Klinkhardt). Nr. 1V«. Mittwoch den 24. Februar 1904. 98. Jahrgang. Var Aicdtigrte vom läge. * Die gestern abend dem Reichstage zugegangene Novelle zum Börsengesetze will, wie an- gekündigt, das Verbot des Lerminhandels nicht aufheben, aber die Möglichkeit der Erhebung des Differenzeinwandes beschränken. * Der II. internationale Kongreß für Meeresforschung ist in Hamburg zusammen- getreten. Graf v. Posadowsky wird zu einem Fest mahl des Senats erwartet. * In London und in Amerika wird infolge russischer Großeinkäufe eine Erhöhung der Brot- preise angekündigt. * Die Konsuln in Niutschwang verlangen die Neutralisierung des nördlich von Port Arthur gelegenen Freihafens, da sie eine Beschießung des selben durch Japan befürchten. Der russisch-japanische Krieg. Wenn heute aus Tokio telegraphisch über die Lanboperattsnen berichtet wird, die bei Andschu stehenden russischen Truppen machten keine Anstalten nach Ping-Jang vorzurücken, so sind damit nur Rekognoszierungskolonnen gemeint, vor- irefflick berittene Kosaken, welche den Auftrag haben, die Telegraphenvcrbiudungen zu zerstören, die Stellung ves Gegners zu erkunden und die Japaner über den Aufmarsch deö Gros der russischen Armee am Jalu- flusse irrezuführen. Weiter nach Süden sich vorzuwagen, haben die russischen Borposten keine Veranlassung, sie könnten sonst leicht den Japanern in die Hände laufen, die bei dem südlich gelegenen Tschemulpo bereits in Armeekorps gelandet und ihre Vorhut bis Pina Jang vorgeschoben haben. Bis die Japaner ihre gesamte Streitmacht an dcrz Jalu- Grenrfluß gebracht Haden, kann noch eine Woche vergeben. Alle hier genannten Namen bis auf Tschemulpo finden sich auf unserer gut orientierenden Karte vom Kriegsschau plätze in der südlichen Mandschurei und Nordkorea, deren Sluvium wir besonders empfehlen, da auf diesem Terrain sich die nächsten großen Ereignisse abspielen werden. Weiter wird uns berichtet: * London, 24. Februar. (Eig. Meldung.) In Ping-Dang ist eine Panik ausgebrochen, die Einwohner flüchten. » Petersburg, 23. Februar. Zur Sicherung des regel mäßigen Verkehrs der Militärzüge aus der Bahnlinie Samara-Hatoust und der sibirischen Bahn wurden diese Bahnen in den Grenzen des zugehörigen, enteigneten Gebiets in Kriegs zustand erklärt. Den Kommandierenden der Trupven des kan- ianschen und sibirischen Militärbezirks, die die Aufsicht über diese Bahnen haben, wurden die Rechte eines Kommandierenden einer Armee verlieben. * Tientsin, 23. Februar. (Reuter.) Der Protest Rußlands gegen das Vorrücken der kaiserlich chinesischen Truppen in das Gebiet des Liaoflusses hat anscheinend bereits Wirkung getan, da die chinesischen Truppen nur mit der Bahn bis Lantschan, auf halbem Wege zwischen Tientsin und Schanhaikwan fahren, statt bis in das Gebiet des Liaoflusses. Der Kriegsschauplatz in der Südmandschurei und Nordkorea. Au» Port Arthur meldet uns ein Privattelegramm untcrm 23. Februar: Das Blatt „Norm Krai" sagt mit Bezug aus die Kriegführung Japans: Unwillkürlich steigt ein bitterer Vorwurf gegen die Staaten auf, die sich beeilt haben, Japan den civili- sierten Staaten zuzurechnen. — Vom Kriegsschauplätze ist nichts Neues zu melden. In Port Arthur treffen täglich Züge mit Proviant ein. Die Neutralität Lhina». Als der Staatssekretär der Vereinigten Staaten, Hay, die Mächte aufforderte, die Neutralität Edinas zu prokla mieren, nahm jedermann an, daß dies sich nicht auf die Mandschurei beziehen könnte, auf deren Gebiet zweifellos die Waffenkreuzung in der Hauptsache sich vollziehen muß. Jetzt scheint nun doch eine Ausnahme und zwar mit Niutschwang gemacht werden zu sollen. Wir erhalten folgende telegraphische Nachricht unseres Londoner Gewährsmannes: * London, 24. Februar. (Eigene Meldung.) Aus Niutschwang wird gemeldet: DieSousuln beschlossen, die Neutralitäts-Erklärung des Hafens zu fordern, da eine japanische Landung erwartet wird und die Nüssen die Ltadt verteidigen wollen. Durch das Bombardement sei eine Zerstörung des inter nationalen Eigentums zu befürchten. Die Morgen blätter erklären Japan für berechtigt, Niutschwang ein- zunehmen, da es die Nüssen besetzt halten. Eine Erklärung -er Neutralität wäre eine Parteinahme für Rußland. Niutschwang, an der Mündung des Liao am Golf von Liao-tung nördlich von Port Arthur gelegen, ist bekanntlich dem fremden Handel geöffnet. Die Stadt ist Sitz eines deutschen VizekonfulS, einer englischen evangelischen Mission und hat bedeutenden Handel mit Japan und Rußland. Im Hafen verkehrten 1893: 353 Dampfer (104 deutsche) und 38 Segelschiffe (l2 deutsche). Seitdem hat sich der Verkehr noch wesentlich gehoben. — Zur Neutralitätöfrage wird uns noch berichtet: * Lhanghai, 23. Februar. (Reuter.) Die Ankunft zweier chinesischer Kreuzer am Jangtsefluß wird für morgen hier erwartet. Die Kreuzer sollen die Frage lösen, die durch die Weigerung des russischen Kriegsschiffe-„Manschur" entstanden ist, der Aufforderung des Taotai zum Verlassen des neutralen Hafens Folge zu leisten. patriotische Uundgebnng in Petersburg. Im Wmterpalais in Petersburg empfing der Kaiser gestern in Gegenwart deS Ministers des Innern und des Gouverneurs von Petersburg eine Deputation der zu einer außerordentlichen Tagung zusammengetretenen Ze mstwo der Provinz Petersburg, die anläßlich der jüngsten Ereignisse im fernen Osten eine Ergeb en h eitsad resse über reichte. Die Adresse enthielt den Ausdruck unbegrenzter Ergebenheit und Entrüstung gegen den Feind, der den vom Kaiser gewünschten Frieden gestört habe, sowie daS Bekenntnis, daß die Zemstwo der Provinz sich einmütig um den Thron schare, ferner Wünsche für die Siegestaten der kaiserlichen Truppen und Wünsche für die Gesundheit und das Wohlergehen des Kaisers. Der Monarch erwiderte mit Worten des Dankes für die zum Ausdruck ge brachten Gefühle; er finde in diesen schweren Zeiten Trost in den einmütigen Kundgebungen der Vaterlandsliebe, die aus allen Provinzen Rußlands kämen. Er drückte ferner die Hoff nung auf die Hülfe Gottes für die gerechte Sache und die Versicherung aus, daß die tapferen Truppen und die Marine ihre Pflicht zur Ehre und zum Ruhme des Vaterlandes tun würden. Die Haltung Nordamerika». Die Petersburger Blätter erheben neuerdings heftige Anklagen gegen Nordamerika, welches in der Frage der Kriegskontrebande seine Parteinahme für Japan bekunde. Die nordamerikanischen Behörden hätten den Japanern alle neutralen Dampfer angezeigt, welche Lebensmittel aus Amerika für rulsische Rechnung an Bord hatten, um diese Sendungen abfangen zu können. — Sehr erregt ist die öffentliche Meinung in Petersburg auch darüber, daß der nordamerikanische Kreuzer „Bicksburg" als einziges der neutralen Schiffe jede Mitwirkung bei der Rettung der russischen Mannschaften nach der Seeschlacht bei Tschemulpo ablehnte. Aus New Nork, 23. Februar, wird unS berichtet: Unter dem Vorsitz des hiesigen japanischen Generalkonsuls hat sich hier ein Hülfskomitee für Japan gebildet, dem auch zahl reiche Amerikaner beigetreten sind, DaS Komitee will einen 'Kriegsschatz von 20 Millionen Mark zusammen bringen, wovon in den ersten Tagen 200 000 Dollar- (800 000 -<) gezeichnet wurden. Man rechnet mit Bestimmtheit daraus, daß mindestens zwei Drittel der Summe von Amerikanern beigetragen werden.— An Freiwilligen für die japanische Armee melden sich täglich bei dem japa nischen Konsulat Hunderte. Der Konsul hat daraufhin bekannt gegeben, daß Ausländern der Eintritt in die japanische Armee oder Marine nicht gestattet sei. Das Kon sulat werde aber die Namen der sich Meldenden vermerken, da die Bildung einer Fremdenlegion in Aussicht genom men sei. weiter« Nachrichten. * Petersburg, 23. Februar. Der Kommandant von Kronstadt, Vizeadmiral Makarow ist zum Oberbefehlshaber der Flotte des Stillen Ozeans ernannt. An seine Stelle tritt der älteste Flaggmann Bivilioff. — Der Chef der UI. Gardv- Jnfanterie-Division, General Moeller-Sakomelski ist zum Kommandierenden des siebenten Armeekorps ernannt worden. * London, 24. Februar. (Eigene Meldung.) In London, wie in Amerika wird eine Erhöhung der Brotpreise infolge rus sischer Grobkäufe angekündigt. * Stockholm, 23. Februar. Die Regierung erließ am 21. Februar eine Verordnung, wonach die zum Gotlanddistrikte gehörigen wehrpflichtigen Klassen und L der Jahrgänge Feuilleton. H Die Freundin aus NuMch-Polen. Von Elsbeth Meyer-Foerster. Nachdruck verboten. Es war spät am Abend und wir saßen in der Gast hausstube aus der mit russischen Kissen bedeckten „Dachde", in einem Kreise männlicher Gäste, welche Tee tranken und rauchten. Auch Helka rauchte, hatte die Schleppe ihres Kleides über ihre Knie gelegt und achtete nicht der Aschenstäubchen, die von der Cigarette auf den verschossenen Samt fielen. Ihr Vater saß am Klavier und spielte. Den Kopf mit der ergrauenden Mähne gebeugt, saß er bereits eine Stunde dort, wie unbeweglich, und nur seine Finger glitten hin und her. Helkas Mutter tronte auf ihrem Ehrenplatz hinter der Theke. Durch die Gläser mit Sooleiern und Heringen hindurch sah man ihre weißen, dicken Finger schimmern, die unablässig an einer Häkelet herumstocherten, wobei sie sich solchem Eifer hingab, daß ihr rundes, auf der Brust gepreßtes Kinn breite Falten annahm. Aber die Arbeit in ihren Händen schien nicht zu gedeihen, sie entwickelte sich immer zipfliger, und die Herren machten ihre Glossen darüber. Helka lächelte. Sie stand auf, trat an die Theke her- an, und indem sie Frau GleScanka mütterlich auf die Schulter klopfte, sagte sie: „Geh schlafen, Maman." Frau Glescanka hob den Kops und nun sah man, daß, was man für Eifer hätte halten können, in der Tat nur Schläfrigkeit gewesen war. Ihre Augen waren müde und blinzelten ins Licht, und mit dem breiten, freundlichen Lächeln, das ihren Gästen fortwährend Konzessionen zu machen schien, wickelte sie langsam ihr Knäuel auf und trat hinter der Theke hervor. Sie schritt leise auf ihren Gatten zu und küßte ihn auf die Stirn. Er aber, dem diese Ueberraschung galt, fuhr empor aus seiner Versunkenheit deS Spiels und starrte sie fast entsetzt an. Sofort aber verwandelten sich seine erschrockenen Züge wieder, ein Lächeln huschte über dieselben, und er drückte rasch die Hand der ungeschlachten Frau. Nun trat er zu den Gästen an den Tisch und setzte sich still ein wenig abseits. In dem Dunst von Tabaksnebel schienen seine fahlen Züge noch verfallener. Aber seine Augen, die groß und blau waren wie Helkgs, doch mit ihrem Ausdruck ganz nach innen gerichtet, schienen im Nachgenuß des vorhergegangenen Spiels glänzend und verklärt. Die jungen Männer sprachen lebhaft. Sie schienen Herrn Glescanka kaum zu bemerken. Ich hielt es darum für angebracht, meinen Stuhl neben den seinen zu rücken und ihn anzureden. „Sie spielen sehr schön, Pan Glescanka", sagte ich, „Helka hat das von Ihnen geerbt. Sie war auf dem Kon servatorium eine der Besten. Aber es liegt nicht derselbe Ausdruck in ihrem Spiel. Wenn Sie spielen, ist man mit ganzer Seele dabei. Es ist als wenn Sie Bilder entrollen, — greifbare, sichtbare Dinge" — Er lächelte, verschämt, wie ein Primaner lächeln würde. — „Ich habe lange studiert" — sagte er, den Blick von mir fortgerichtet. „Ich sollte Musiker werden." „Ist er doch aus einer Musikerfamilie", rief Helka, welche die letzten Worte gehört und ihren Vater hatte erröten sehen. „Seine Brüder sind Musikprofessvren in Petersburg — sie spielen beim Fürsten Mentschikofs", — und als ob wieder diese selbe Größensucht in ihr er wachte, welche sie veranlaßt hatte, ihre eigene Person in der Fremde mit einem Heer von Legenden zu umgeben, fügte sie gegen die Herren gewendet stolz hinzu: „Ach, wenn wir überhaupt wollten! Wenn wir Euch sagen wollten, meine Lieben, wer und was wir sind. — Zu schade, um Euch die Teegläser zu reichen, Ihr alle zu- samm!" Nach diesen Worten erwartete ich. daß die versammelten Herren empfindlich werden und ihre Rechte als zahlende Gäste lebhaft verteidigen würden. Ts geschah aber nichts dergleichen. Sie blieben gemütlich sitzen und lächelten. Und nur der eine, -er ihr am nächsten saß. beugte sich ein. wenig vor, legte seine Hand um ihre Taille und sagte, halb zärtlich, halb leicht, aber mit einer gewissen Drohung im Tone: ,D>alt, — nicht obstinat werden. Oder sollen wir -ur „Schönen Sonne" gehen?" „Nein", rief Helka, „nein! Bei uns ist es besser, — nicht wahr, Pan Subowsky?" Und mit einem Blick, in welchem Mutwille liegen sollte, — in dem ich aber ur plötzlich etwas ganz anderes gähnen sah, — blickte den Sprecher an. Auf einmal ward mir alles klar. Fetzt auf einmal sah ich alles in einem neuen Licht, — sie erschien mir nicht mehr ein frivoles Geschöpf. Ich ergriff ihre Hand, es war mir, als müsse ich sie fragen, sie um Vertrauen bitten. Aber mit einem großen, ängstlichen Blicke sah sie mich an, und wie um an diesem Orte jede Erörterung abzuschneiden, rief sie: „Aber die Herren trinken ja nicht. — Der Papa spielt einen Mazur!" Eine Stunde darauf, nachdem sich die Gäste entfernt hatten, brachte mich Helka aus mein Zimmer. Sie setzte ihren Leuchter auf den Tisch nieder und ließ sich in einen Stnhl fallen Sie sah erschöpft und müde aus. „Setze auch du dich", bat sie. „Wir plaudern noch ein wenig. Ich zog einen Stuhl ans Fenster, neben den ihrigen. Vor den Scheiben wirbelten große Schneeflocken vorbei, aber manchmal fuhr ein Windstoß auf und trieb sie aus einander, daß sie wie gescheuchte Wolken nach verschiedenen Seiten wichen. Im eisernen Ofen brannte ein Helles Feuer. Sein roter Schein huschte über das aufgedeckte, frisch bezogene Bett, über welchem ein Weihkcssel und ein gekreuzigter Christus hingen. Helka sah gedankenlos vor sich hin. Einen Moment schien sie mich und alles vergessen zu haben. Endlich, als sie noch immer stumm blieb, sagte ich zögernd: „Du wolltest mir etwas sagen, Helka." „Ja", entgegnete sie, indem sie aufblickte. „DaS wollte ich." Einen Moment schien sie mit sich zu kämpfen. Dann erhob sie sich, nahm ihren Leuchter, trat vor mich hin und sagte mit einem halb trotzigen, halb gepreßten Ausdruck in der Stimme: „Ein schönes Leben bei uns hier, waS?" Ich wußte nicht gleich zu antworten. Sie aber, als Hobe sie gar keine Antwort erwartet, fuhr in fliegender Eile fort: „Ja, ich habe dich belogen, über mich, wie ich dort, bei Euch in Berlin, alle Menschen getäuscht und belogen habe Aber sage, — konnte ich das eingestehen, — diese ganze Misere, — mein elendes Elternhaus — alle-?" — „Dein Vater ist so gut!" sagte ich, indem ich ihre Hände ergriff. „Hella, wie ist das alles gekommen?!" „Wie es gekommen ist", wiederholte sie, wobei sic mich fester an sich zog, „ja, frage mich! Wir Polen sind eine unglückselige Nation, — allenthalben in allen Familien siehst du den Niederbruch, — unter der fremden Knecht schaft sind wir verdorben, versumpft. — Uns ging es wie Tausenden, — Papas Güter verschuldeten — freigebig, wie er war, — sorglos — vielleicht leichtsinnig, ließ er alles gehen — verstand er nicht die Zügel zu führen — bis die Deutschen kamen, seine Güter an sich brachten , — uns von unserer Schwelle drängten. „O", fuhr sie mit flammenden Augen fort, indem ihrGe- sicht einen Moment von Leidenschaft ganz entstellt wurde — „wie wir Euch hassen. Euch kluge, sparsame, verständige Deutsche, die Ihr mit Eurer Energie, mit Eurem Bienen fleiß alles an Euch bringt, was wir andern nicht zu halten vermögen. Aber nicht davon wollte ich reden, welchen Zweck hätte es auch, zu dir davon zu sprechen, die das nie verstehen kann, und die mich tausendfach beschämt." Sie streckte mir bittend beide Hände entgegen, ihre Augen aber blitzten fast feindselig. „Ja", sprach sie weiter, „im Grunde unsres Herzens bewundern wir Euch, und es ist nur Neid, quälen der, brennender Neid. Papa also, siehst du, hatte weder Energie, noch Trieb, sein Besitztum zu halten. Er gab alles hin für ein Butter brot. Nun lebten wir ein paar Jahre so herum in War schau und Krakau und hier und dort und verzehrten das Kapital. Dann war das Ende bald da. Papas Ange hörige, alle von altem Adel, hatten sich, wegen seiner Heirat mit Mama, schon lange vorher halb und halb von ihm losgesagt. Mama war Wirtschafterin auf einem seiner Güter gewesen — sie haßten die Mittellose, Bürger liche und dazu Ungebildete. So blieb uns zuletzt nichts übrig, als Warschau zu ver lassen, und hier, in einem dieser elenden Orte, die erst beste Gelegenheit zu ergreifen. — Das Einzige, was der arme Papa außer seiner Musik je verstanden hat, nämlich als Wirt die Honneurs zu machen, entschied jetzt seine Be rufswahl. Wir wurden Gasthofsleute, — von denen jeder feine Talente verwerten konnte: Mama steht hinter der Theke, legt Heringe ein und kocht, Papa trommelt auf dem Klavier . — und ich — ich bin die Hebe und locke an." Während dieser letzten Worte war sie aufgesprungen und hatte sich aufS Bett geworfen. „Das ist meine Jugend", rief sie mit einem trockenen Schluchzen, „da- ist mein Leben." Aber sogleich wieder stand sic auf, trat vor mich hin und sah mich ruhig an. „Und darum", sagte sie, „weil ich wußte, wie Ihr dergleichen verachtet — Ihr da drüben, wo man so tngendstolz tick, darum log ich Euch
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