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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-03-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040307024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904030702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904030702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-03
- Tag1904-03-07
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DezugS-PretS in der Hauptexprditlon oder deren Ausgabe stellen obgrholt: »ürteliShrlich ^1 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau» 3.7k. Durch die Post bezogen für Deulich- lond u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitung-prei-list«. Resstti»» «ns Erpestti»«r JohanniSgassr 8. Fernsprecher ISS u. L2S. Fillalertzedttisnen: Alfredtzah n.Buchhandlg., Universität«str.- (Fernspr. Nr. 4O4S), L. Ldsche, Katharinen- slraße 14 iFernsprechrr Nr. 293k> u. Kvntg«- platz 7 iFernsprechrr Nr. 7505). Han»t-Filiale Dresden: Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 171SX Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzgl.Bayr.Hofbuchbandla.. Lützowslraße lOiFrrniprecherÄmtVI Nr.4603.) Abend-Ausgabe. MpMer TagMü Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichles Leipzig, des Aales und des Volizeiamles der Ltadt Leipzig. Anzrigen-Pret» die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktion-strich (4 gespalten) 7K nach den Famüccnnach- richten (6 gespalten) SO tabellarischer und gisfrrnsatz entsprechend hoher. — Gebühren für Nachiveilungen und Osserteaannahme 2Ü Ertra-Vetlagr« (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefärderung >tl VO.—, m t t PostbrsSrdrrung ^l 70.—. Annahmeschluh für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen« AuSgabr: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition za richte«. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Polz in Leipzig (Inh. Or. R. L W. KltnthardK Nr. 121. Montag den 7. März 1904. 98. Jahrgang. Var Mcdligrte vsm cagr. * Die Erste Kammer des sächsischen Landtage« ver abschiedete in ihrer heutigen Sitzung das Lotteriegesetz. * Der Nat der Stadt Leipzig ist dem Deutschen kolonial-wirtschaftlichen Comits in Berlin, das eine lebhafte Tätigkeit um die wirtschaftliche Hebung unserer Kolonien, insbesondere aber der Baumwollkultur ent wickelt, mit einem Beitrage von 100 jährlich beigetreten * Die Beisetzung de« Grasen Waldersee wird am Donnerstag mittag gegen 1 Uhr in WaterneverStorf statiflnden, wohin sich der Trauerzug vom Bahnhof Lütjen burg aus begibt Der Kaiser wird zu den Trauerfeierlich- kriten erwartet. * Die neuesten Meldungen vom russisch-japanischen Kriegsschauplätze wollen wissen, daß der japanische Bor marsch in Nord-Korea nicht eher beginnen werde, als bi- 100 000 Mann in Pjöngjang zusammen seien. sich zum Teil lediglich auf Kosten des Volkswohls und des Volksvermögens; denn die schlecht bezahlten und elend ernährten Arbeiter fallen schließlich doch nur der Armen verwaltung, den Krankenkassen und Krankenhäusern zur Last. Voraussichtlich wird der Kongreß dazu beitragen, auch zur Beurteilung dieser Fragen klärendes Material zu liefern. Wir halten die öffentliche Erörterung dieses wichtigen wirtschaftlichen Problenis für notwendig und segensreich, die Initiative dazu für verdienstlich, und glauben, im Gegensätze zu manchen andern bürgerlichen Blättern, die öffentliche Meinung auf den Kongreß hin- weisen zu sollen. Von welcher Seite solche Anregungen ausgehen, kommt unserm Ermessen nach erst in zweiter Linie in Betracht, wennschon die einseitige Ausbeutung aller dieser Dinge es auch dem ehrlichsten Sozialpolitiker schwer genug macht, die Temperatur seiner Gefühle nicht auf lauwarm sinken zu lassen. ver sieimarbeittrzchmr-siongrez«. Ti« Generalkommission der Gewerk- schäften Deutschlands hat für den 7. bis 9. März einen allgemeinen Heimarbeiterschutz. Kongreß nach Berlin einberufen. Die Anmeldungen zur Teilnahme sollen außerordentlich zahlreich ein- gelaufen sein. Das wäre leicht erklärlich, wenn man be denkt, daß bei der Berufszählung im Jahre 1895 fast eine halbe Million Heimarbeiter gezählt wurden. Ja, man muß aus Gründen, deren Darlegung hier zu weit führen würde, der Annahme Raum geben, daß die Zahl der Heimarbeiter in Deutschland noch weit größer ist. Das traurigste Bild, das die Heimarbeit bietet, ist die Kinderarbeit. Festgestellt ist, daß die Kinder in vielen Lrten ihren Eltern morgens vor der Schule und sofort nach Schluß des Unterrichts vielfach bis in die späte Nacht „helfen" müssen. Die Gewerbeaufsichtsbehördc ist in Be zug auf die Heimarbeit vollkommen machtlos, auch die Polizeibehörden versagen. Hier muh vor allem ein- gegriffen werden, wenn nicht ein guter Teil Volkskraft schon vor der Entfaltung vernichtet werden soll. Unter welchen Lohn- und Arbeitsbedingungen aber die in der Heimarbeit Beschäftigten existieren, wie die Konkurrenz die Löhne drückt und eine völlig unzureichende Lebenshaltung schafft, das wird der bevorstehende Kongreß vor der breiten Leffentlichkeit enthüllen. Die- jenigen, die sich mit diesen Fragen näher beschäftigt haben, wissen, daß auf diesem Gebiete durchgreifende Reformen dringend wünschenswert wären, daß ihnen anderseits aber auch außerordentliche Schwierigkeiten ent- gegenstehen. Tas Verschwinden der Heimarbeit würde übrigens nach der Ansicht vieler Sozialpolitiker keinen Schaden, sondern einen Vorteil für den nationalen Wohlstand bedeuten. Die Industrien, die von der Heimarbeit leben, bereichern GkmralMiMsW 6lSk Aalckerree f. (Erinnerungen.) Der Kaiser soll sehr schmerzlich bewegt gewesen sein, als ihm die Nachricht von dem Tode des Mannes zuging, der sein Lehrmeister in der modernen Strategie gewesen war. Das ist leicht zu verstehen. Häufig hat man den Kaiser auf den stillen Wegen des Tiergartens mit dem Grafen frühmorgens wandeln sehen in ungemein leb hafter Unterhaltung. Es gab eine Zeit, zu der Prinz Wilhelm jeden Morgen vor dem Generalstabsgebäude vorfuhr. Im Hanse des Grafen Waldersee fand denn auch seinerzeit die vielbesprochene Konferenz des prinzlichen Paares mit dem Hofprediqer Stöcker statt. Graf Waldersee war übrigens nicht das, was man einen Hofmann nennt; er bildete sich seine Meinungen und wußte diese auch durchzusetzen. Es ist bekannt, daß Moltke die denkbar höchste Meinung von dein Grafen Waldersee hatte; als der Kaiser sich ent schlossen hatte, dem Wunsche des großen Strategen auf Enthebung von der Stellung als Chef des großen Gene- ralstabes zu entsprechen, begab er sich zum Grafen Moltke und fragte ihn, wen er jetzt als Generalstabschef Vor schläge. Die Antwort lautete: „Graf Waldersee!" Die ersten Manöver, welche Graf Waldersee mit dem Kaiser Wilhelm zwischen dem Gardckorps und dem dritten Armeekorps leitete, führten viele Journalisten mit dem neuen Generalstabschef zusammen. Die Manöver fanden bei Müncheberg, einem kleinen Städtchen in der Mark, statt; am Marktplätze in einem bescheidenen Kauf- mannshause wohnte Graf Waldersee; der Kaiser vor dem Städtchen in einem Gutshause. Uns Zeitungs bericht e r st a t t e r n kam Graf Waldersee mit einer aus gesuchten Liebenswürdigkeit entgegen, jeden Morgen be kamen wir die orärs 6s bLtsiUv, ein Adjutant erklärte uns, wo der Hauptzusammenstoß erfolgen werde; selten wurde uns das mühselige Amt so leicht gemacht, wie dort. Wie konnte der Graf scherzen, wenn er uns müde auf dem stillen Marktplatze traf! Er war immer gefällig, immer liebenswürdig; nie seine soziale oder Fachüberlegenheit hervorkehrend. Sieht man von dem Könige Georg von Sachsen ab, dessen Name in der Zusammenstellung der Generalfeld, marschälle nicht geführt wird, so hat nach dem Hinscheiden des Grafen Waldersee die Armee nur nocheinen Generalfeld m artchall, den Prinzen Albrecht von Preußen; es kommen dann noch acht Generaloberste an zweiter Stelle, von denen ja die Mehrzahl den Rang eines Generalfeldmarschalls hat, ohne aber Generalfeld marschall zu sein. Ter rangälteste Generaloberst ist der Grobherzog von Baden. . O. L. Der russisch-japanische Krieg. Vie Beschießung Wladiwostok» wird nun auch aus amtlicher russischer Quelle bestätigt. Man berichtet unS: * Petersburg, 6. März. Stadtbalter Alexejew hat heute aus Mukden folgendes Telegramm an den Kaiser gerichtet: Ich melde Eurer Majestät daß der Kommandant der Festung Wladi wostok mitteilt, daß heute früh 8 Uhr 50 Minuten südlich der Askold-Jnsel sieben Schiffe gesichtet und daß diese Schiffe um 9 Uhr 45 Minuten als Kriegsschiffe erkannt wurden, die Kurs auf die Askold-Jnsel hielten. Gegen Mittag befand sich daS feind- liche Geschwader in der Mitte zwischen der Küste und der Askold-Jnsel auf die Ussuri-Bucht zufahrend, außer dem Bereich des Feuers der Uferbatterien. Um 1 Uhr 30 Minuten nachmittag eröffnete der Feind das Feuer. In dem feindlichen Gcfchwader find wahrscheinlich die Kreuzer erster Klaffe „Jfumo" und „Jakumo"; die Namen der anderen Schiffe sind unbekannt. Neber den Erfolg oder Mißerfolg der Beschießung schweigt sich das Telegramm leider vollständig aus. Bor Port Arthur ist es ruhig geworden; vielleicht weil die Feste sich von der Seeseite anscheinend als uneinnahmbar erwiesen hat. Mit Wladiwostok, dessen Flotte sich ja auf hoher See in den nord koreanischen Gewässern befinden soll, hofft man eher zum Ziele zu kommen. Au» Hart Arthur wird von Flüchtlingen berichtet, die Arbeiten auf dem Dock, wo der „Zäsarewilsch" repariert Werken sollte, seien ein gestellt. Der fremde Ingenieur, der den „Retwisan" heben wollte, verlaße Port Arthur, nachdem der Versuch mißglückt sei. Es bestätige sich, daß die Befestigungen von Port Arthur durch das Feuer der Japaner beträchtlichen Schaden erlitten haben. lkunbsperationen. „Reuters Bureau" meldet aus In kau: Der Umstand, daß aus dem russischen Polizei- und Militärbauptguartier Niutschwang Ausmusterungsgegenstände sortgeschafft werden, ferner, daß aus der Eisenbahnstation alles unnötige rollende Material entfernt wird und daß die Russisch-Chinesische Bank ihr Silber wegschickt, scheint darauf hin;udenten, daß die Russen den Platz zu räumen beabsichtigen. Die Russisch-Chinesische Bank traf Vorkehrungen, französischen und anderen Agenten die Wahrung ihrer Interessen iu über tragen. In hier eingetrosfenen russischen Privatbriesen beißt eS, daß bei dem jüngsten Zusammenstoß auf koreanischem Gebiete zwischen dem Jalu und Pinjang die Russen die Japaner mit überlegenen Streitkräften ge schlagen, aber selbst schwere Verluste erlitten haben. Auch diese Nachrichten scheinen ru bestätigen, daß Alexejew die russischen Streitkräfte von den Küstenplätzen in das Innere znrücksieht, um die entscheidenden Schläge am Jalu herbei- zuführen. Japanisch« Eanönnge«. * London, 7. März. (Tel.) Der Korrespondent der „Daily Mall" telegraphiert au- Tschifu von gestern: Ich komme soeben von Tschinampo und Pjöngjang, wo große Vorbereitungen für das Ausschiffen der japanischen Truppe» getroffen worden sind. Ein starke Abteilung Infanterie ist schon dort. Die Hauptmacht mit dem Generalstab soll in der nächsten Woche ein- treffen, doch höre ich, werde kein Vormarsch unternommen werden, bis 100 000 Mann in Pjöngjang beisammen sind. Welter« Nachrichten. * London, 7. März. (Tel.) „Daily Ehronicle" meldet an« Tokio, Rußland hab« China zu verstehen gegeben, daß «S keine Truppen über die Linie Kintschan-Tschaujang hinaus senden dürfe. Infolgedessen würden di« chinesische» Truppen wahrscheinlich bei Jungptng Halt machen. — „Standard" meldet aus Tientsin von gestern: 300 Mann russischer Truppen besetzten die Eisenbahnstation Hsinmintun »nd unterwerfen alle Telegramme der Zensur. — Da Eisenbahn und Telegraph der chinesischen Regierung gehören und Hsinmintun westlich vom Liao fluß, also auf neutralem Gebiete liegt, ist diese- Vorgehen un berechtigt. — „Standard" meldet aus Söul, daß die letzten 22 verwundeten Matrosen vom russischen Kreuzer „Warjag" heute vom Hospital in Tschemulpo auf den Dampfer „Hakuaimaru" des japanischen Roten Kreuzes gebracht seien, um nach Japan befördert zu werden. Lin Interview mit Anrin». Der frühere japanische Gesandte in Petersburg Kurino ist, auf feiner Rückreise nach Berlin und Part«, in Kopenhagen über die Aussichten eine« eventuellen Welt krieges befragt worden. Kurino antwortete, daß es sehr begreiflich sei, daß Hirse Frage Kopenhagen interessiert, weil die Situation für Dänemark eine sehr schwierige werden könnte, wenn ein Krieg zwischen Rußland und England auSbreche« würde. Er sehe durchaus keine solche Gefahr. Von großem Interesse waren die Auslassungen Kurino- über di« Frage, ob wohl Cbina seine Neutralität aufrecht erhalten Werve. Kurino meinte nicht, daß China die Gelegenheit benutzen werde, um mit Rußland abzurechnen, und er hoffe eS nicht. Die Meinung gewisser Kreise in China ist Wohl gegen Rußland zugespitzt, aber die großen Schichten der Bevölkerung kennen keinen Unterschied zwischen Russen und anderen Europäern; für sie existiert nur der Begriff „Fremde" Eine Erhebung der Chinesen gegen die Nüssen könnte sehr leicht eine Erhebung gegen alle Europäer und entsetzliche Greuel zur Folge haben. Ans die Frage, ob eS wahr sei, daß eine starke Animosität der Koreaner gegen die Japaner herrsche, antwortete Kurino, daß wohl in Korea zwei Parteien existieren, wovon die eine antijapanisch sei, weil sie für die Selbständigkeit Koreas fürchte, obwohl Japan ja gerade die Selbständigkeit garantiere. Darin sieht Kurino keine Gefahr, weil die Koreaner viel zu schlecht orga nisiert sind, um etwa- Ernste- tun zu können. Feuilleton. 22j Em angenehmes Erbe. Roman von Viktor von Reisner. Nachdruck verboten. Der Pfarrer hingegen freute sich innerlich; da es ihm aber darum zu tun war, Frieden und nur Frieden zu säen, so beeilte er sich, die bittere Pille zu verzuckern „Wie Sie daö halten wollen, ist natürlich Ihre eigene Sache, mein bester Herr von Höchstfeld" — sagte er deshalb mit freundlicher Bonhomie — „im übrigen beurteile ich den Menschen nicht nach der zur Schau getragenen Frömmig keit. Ich kenne Leute, die sich, außer an den hohen Feier tagen, nie in der Kirche sehen lassen, und doch bin ich überzeugt, daß sie unfern Herrgott im Herzen tragen; hin gegen finden sich auch in meiner Gemeinde Exemplare, die bei keiner Messe fehlen, und denen ich trotz alledem nicht einmal mein leeres Portemonnaie anvertrauen würde. Tas ist nun einmal nicht anders in dieser ver kehrten Welt." „Wenn Sie das wissen, dann wäre es doch Ihre Pflicht, diese verstockten Sünder auf den rechten Weg zu führen" — meinte der Major kalt. Der Pfarrer schmunzelte ganz zufrieden vor sich hin. „Nun, Sie sollten nur einmal hören, wie ich denen die Hülle einheize" — sagte er, und mit wohlbcrcckmeter Harm losigkeit setzte er hinzu — „selbst Ihnen, der Sie doch gewiß kein Falsch und keine Verstellung kennen, würde dabei ganz heiß werden. Was an mir liegt, geschieht also; die Besserung indes kann ich nicht erzwingen, die muß von innen heraus kommen — ich wecke nur das Gewissen. Bei dem einen tue ich'S durch Grobheit, bei dem anderen durch Güte, aber jedem bin icki vor allem der Freund, der seine Sünden begreift und verzeiht, wie ich mir auch die meinen verzeihe." Der Major hatte ihn schon die längste Zeit von der Seite angesehen und nicht gewußt, wie er auf diese, doch sicherlich nur auf ibn gemünzte Anspielung antworten sollt«. Jetzt glaubte er es -u haben, und mit tiefer Bitter keit sagte ers »Ja, ja, sich selbst verzeihen ist freilich leichter, als anderen!" „Sagen Sie bas nicht" — meinte der Pfarrer mit un erschütterlicher Ruhe — „ich für meine Person finde eS sogar viel schwerer, denn gegen niemanden ist der Mensch so streng, wie gegen sich selbst, — das heißt, wenn er sich wirklich einmal ernstlich und ehrlich in sein Inneres ver kriecht und ohne falsche Scham den angesammclten Sündenunrat aufwirbelt und ein gründliches, ordentliches Reinemachen abhält." Herr von Höchstfeld zwirbelte nervös an seinem Bart. Diesem Menschen war nicht beizukommen; aber noch ein mal wollte er es versuchen, ihn aus seiner Scheinheiligkeit herauszutreiben, und ohne jeden Uebergang, nur um ihn plötzlich zu überrumpeln, fragte er: „Lagen Sie einmal, wie erklären Sie sich die ganz unmotivierte Aufsässigkeit der Leute gegen mich und meine Anordnungen?" Erich war bei dieser herausfordernden Krage mehr als der Pfarrer erschrocken, und um dieselbe möglichst zu mildern, begann er erklärend hinzuzusetzen: „Papa meint nämlich, daß .. ." „Der Herr Pfarrer wird schon verstanden haben, wie ich eß meine" — unterbrach ihn der Vater scharf. „Ich weist nur eines, und zwar: „Daß dicke Aufsässig keit nur in Ihrer Einbildung existiert" — entgegnete der Pfarrer, sich noch immer zur Gelassenheit zwingend. — „Wenn unser Bauer wirklich einmal Befehle nicht auS- sührt, dann hat er sie entweder nickst verstanden, oder aber er war zu faul zum Befolgen. Und sehen Sie, mein lieber Herr von Höchstfkld, die Faulheit ist hier eine Krank heit, und wie man eine solche nicht auf Böswilligkeit zu- rückfüßren kann, so auch jene nicht. Man muß nur die richtige Medizin dagegen anwenden — Milde, Geduld und Güte, und wenn man damit wirklich nicht mehr ans- kommt, nun, dann greift man eben zum Radikalmittel, bas heißt, zu Prügel, und haut so lange -rein, bis die Faulbett kuriert ist." „Ich will mir J-re Lehre zunutze machen" — brummte der Major ingrimmig — „von nun an soll es nur mehr Prügel geben — wirkliche und moralische — gegen alle, die sich mir in den Weg stellen." „Ta» wäre zu weit gegangen" — hielt ihm der Pfarrer mit bedächtigen Worten und sebe Silbe scharf betonend, vor — „erst muß man von der Schuld imb dem bösen Willen auch überzeugt sein. Die Prügel dürfen nicht das tägliche Brot lein, sonst verlieren sic ihren erzieherischen Wert. Nm übrigens ans Ihre Beschwerden detaillierter rinzugehen, so sagen Sie mir nur einen einzigen Fall von absichtlicher Nichtachtung." „Ich dächte doch, daß Sie davon wissen, wie mir gleich zu meinem Empfang mitgespielt wurde" — fing der Major zu raisonnieren an — „die l>albe Nacht mutzte ich mit meiner Familie auf der Landstraße liegen bleiben, und ich kann noch unserem Herrgott danken, nicht als Extra zugabe wieder das Podagra in die Glieder bekommen zu haben." „Und warum sind Sie nicht in meinem Hanse gastlich eingekehrt?" — fragte ihn der Pfarrer vorwurfsvoll Der Major zögerte mit der ihm auf der Zunge schwebenden Entgegnung und schwieg, als Erich für ihn antwortete: „Wir hatten damals noch nickst da» Ver gnügen, Sie zu kennen, und selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, würden wir wahrscheinlich doch gezögert haben. Sie in Ihrer Nachtruhe zu stören." Der Pfarrer schüttelte ein um das andere Mal den Kops. „Das will mir nicht einleuchten" — sagte er endlich, und sich sveziell an Erich wendend, fügte er hinzu: — „ich denke, wenn das kleine Malheur Ihnen allein zugestoßen wäre, so hatten Sie sich doch zu mir gefunden, aber . . . ." „Wie soll ich daS verstelxcn?!" — interpellierte ihn Herr von Höchstfeld, sich stramm in die Höhe richtend. „Ganz einfach" — entgegnete der Pfarrer gelaßen, „ich will damit gesagt haben, daß die Jugend solche, doch nur von der Etikette diktierte Bedenken leichter beiseite schiebt — und das ist auch ganz recht. Ich bitte Sie, wo sollen wir denn hinkommen, wenn wir uns das bißchen Leben selbst noch schwerer machen, als es ohnehin schon istl Wenn ich Ihnen also einen Nat geben darf, dann werfen Sie all dielen unnötigen kulturellen Ballast, zu dem auch daS Mißtrauen gegen Ihre Mitmenschen gehört, von «sich, und Die werden sehen, wie wohl Sie sich dann bei uns fühlen werben." „Sehr verbunden für Ihren Rat" — dankte ihm der Major reserviert — „ehe ich aber diesen kulturellen „Ballast" von mir schüttele, müßte ich doch erst überzeugt sein, etwas Besseres dafür einzutauschen. Meine bis herigen Erfahrungen..." „Diese existieren nur in Ihrer Einbildung" — unter brach ihn der Pfarrer, diesmal schon etwas ungeduldiger. „Da möchte ich denn doch sehr bitten!" „Jawohl, nur in Ihrer Einbildung" — wiederholte der Pfarrer bestimmt, und sich, wie er es in der Erregung stets zu tun pflegte, mit dem Taschentuch über Schädel und Gesicht fahrend, fuhr er fort — „Sie hielten e- damals auch für Bosheit, baß die Wagen »n spät zur Station kamen, während die Schuld doch nur an dem zu frühen Eintreffen des Dampfers lag." „Wenn ich geahnt hätte, welche Unannehmlichkeiten mir daraus entstehen würden" — brummte der Major, „dann wäre es mir beinahe lieber gewesen, er hätte seine „landes- üblichen" Verspätungen eingehalten, und es wäre mir in diesem Falle gar nicht eingefallen, über diese Lotterwirt schaft zu raisonnieren." Die Erinnerung an letzteres entlockte thm sogar ein zufriedenes Lächeln, und da ihm der Pfarrer nicht gleich antwortete, setzte er noch selbstgefällig hinzu: „Ich habe aber diesem Bummler von Kapitän, der da glaubte, daß das Publikum seinetwegen da sei, gehörig auf die Strümpfe geholfen. Wenn ich noch einmal mit ihm fahren sollte, wirb er es sich wohl von Anfang an nicht einfallen laßen, die AbfahriSzeiten nach seinem persön lichen Gutdünken zu bestimmen — dein ist durch mein energisches Auftreten ein Riegel vorgeschoben!" Der Pfarrer hatte ihn, ohne eine Miene zu verziehen, ausrcden laßen. Nun irrlichterte es aber doch von ver haltener Heiterkeit über sein Gesicht, und nur schwer seinen Ernst bewahrend, sagte er: „Sehen Sie, mein lieber Herr von Höchstfeld, da be finden Sie sich wieder einmal auf dem Holzweg. Nicht Ihrer Energie, sondern einzig «nd allein einem Irr- sinnigen haben Die die schnelle Fahrt zu verdanken." Der Major sah ihn betroffen an. „Ja, ja" — nickte der Pfarrer — „so kann man sich täuschen! Ich erfuhr es durch einen Zufall, daß an dem fraglichen Tage ein armer Verrückter auf dem Dampfer war. Der Kapitän befürchtete bei diesem, -er sich ganz rabiat gebärdet haben soll, den Ausbruch der Tobsucht, und nur, um seine Passagiere nicht unnötig lange einer möglichen Gefahr auszusetzen, die für ihn wahrscheinlich Scherereien im Gefolge gehabt hätte, beschleunigte er die Fahrt!" Erich, dem nach und nach ein Licht aufging, wollte schon etwas sagen, als der Major voller Empörung aus ries: „DaS ist ja die hirnverbrannteste Rücksichtslosigkeit! Anstatt einen zu verständigen, damit man sich vorsteht oder, wie am richtigsten gewesen wäre, solch einen Rerl in die Zwangsjacke zu stecken, läßt man ihn frei Herum laufen!" — dann sich zu Erich wendend, sagt« er — „mir ist übrigens nichts Besonderes ausgefallen, hast du etwa» bemerkt?" „Ich müßt« wirklich nicht" — e«t»r»uet« dieser »er,
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