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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.03.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-03-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040329024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904032902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904032902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Paginierfehler: nach S. 2171 folgt S. 2180
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-03
- Tag1904-03-29
- Monat1904-03
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Abend-Ausgabe 98. Jahrgang. Nr. 162 Dienstag den 29. März 1904 ripMer. TllgMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RrdaktionSssrich (4gespalten) 7K -H, nach den Famtlienoach- richten (6 gepalten) 50 Tabellarischer und Zisiernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 4- Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesvrderung 60.—, m t t Postbeförderuug 70.—. Annahmeschlutz für Anzeigern Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgra-AuSgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richte«. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von 8. Palj in Leipzig tJnh. vr. B., R. L W. Klinkhardt). Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder deren Ausgabe- stellen abgrholt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau« 3.75. Durw di« Post bezogen für Deullch- land u. Oesterreich vierteljährlich >il 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitung-preiSliste. N-sattta« und Expedition: Aohanntsgasse 8. Fernsprecher 153 a. 222. Atlialexpedttioneu: LlfredHah n »Buchbandlg., UniversitätSstr.3 (sternspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen- ftraße 14 (Fernsprecher Nr. 2935) u. SSnigS- platz 7 (Fernsprecher Nr. 7505). Hnnpt-FUtale Dresden: Narienstraßt 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-FUiale Berlin: EarlDuncker, Herzgl-BayrHofbuchbandlg- Lützowstraß« 10(FernjprecherAmtV1 Nr.4603.) Amtlicher Teil. Versteigerung. Mittwoch, den 30. März 1004, vor«. 10 Uhr, solle« ferner an AmtSstelle folgende Gegenstände öffentlich meist bietend gegen Barzahlung versteigert werden: 1 Dreirad mit Korb, 1 Mandelmühle, 1 Eisichrank, 1 Warenschrank, 1 Zentri fuge, WirtschaftSgegenstSnde und Betten. Leipzig, am 28. März 1904. Der Gerichtsvollzieher des K. Amtsgerichts. Var Wchtigrte vom Lage. * Nach -om «Len «sächsischen Ständen zugegangenen Dekret über den Umbau der Leipziger Bahn» Höfe -werden sich die Gesamtkosten für den sächsischen Teil auf 49V2 Millionen Mark stellen, gegen 53 Millionen Mark, die zuerst Veranschlagt waren. * Die Pirnaer Duellangelegenheit wird in nächster Zeit Vor dem Dresdner Oberkriegs, ge richt noch einmal zur Verhandlung gelangen, da die verurteilten Leutnants Verlach und Korn gestern Bc- rusung eingelegt haben. * In BundeSratSkretsen wirb es als sehr sraglich an- gesehen, ob der Gesetzentwurf bozüglich der Kauf mannsgerichte noch in der laufenden Tagung des Reichstages zur Verabschiedung gelangen kann. * Der Münchner Prozeß des Einjährig-Frei- willigen Eras endigte Wit der Verwerfung der EraSschen Berulfung. Eras will an das Reichsmilitär gericht appellieren. * Die französische Deputiertenllammer nahm das Gesetz, betreffen- die Aufhebung -es Unterrichts durch O r - e n S msi t g li e d e r, im ganzen mit 316 gegen 269 Stimmen an. Vie lragilr äer Luirunlültaume;. Die hochgemute Stimmnug, in der sich die Sozial- demokratie nach den allgemeinen Wahlen befand, ist in letzter Zeit durch mancherlei Ereignisse, insonderheit aber durch daS Ergebnis einer Reihe von Ersatzwahlen, herab gedrückt worden. Wo immer solche Wahlen stattsanden, hatte die Sozialdemokratie einen Rückgang an Stimmen zu verzeichnen; der herbste Schlag aber war die Ersatzwahl im Kreise Zschopau, wo die sozialistische Partei nicht nur 3000 Stimmen, sondern auch das Mandat verlor. Weit über die Reihen der sozialdemokratischen Partei hinaus erhebt sich die Frage nach dem Grunde der sozialdemokratischen Niederlage. Wenn ein großes frei- konservativeS Organ den Stimmenrückgang darauf zu- rückführt, daß die „Wahlmogeleien" den Sozialdemo, kraten bei den allgemeinen Wahlen auch im Wahlkreise Zschopau-Maricnberg zahlreiche Stimmen verschafft hätten, während jetzt Dank schärferer Aufmerksamkeit diese Mogeleien unmöglich wären, so ist die Anführung dieses Grundes weder objektiv berechtigt, noch politisch klug. Sicherlich hat es am 16. Juni nicht an solchen Mogeleien gefehlt, aber wir glauben nicht, daß in einem einzigen Wahlkreise die Sozialdemokratie auch nur 100 Stimmen mehr erhalten hat, als ihr sonst zugefallen wären. Politisch unklug aber ist es, einen solchen oben- -rein gar nicht zu beweisenden Verdacht zu äußern, wo doch der wahre Grund der Niederlage für die Sozialdemo- kratie viel schmerzlicher ist, weil er die Grenzen ihrerKraftund ihrerMacht klarlegt. Diesen wirklichen Grund gibt der „Vorwärts" an, wenn er, freilich erst ganz am Schlüsse eines langen Artikels, schreibt: „Die Organisation der Sozialdemo- kratie baut sich organisch von unten auf und wurzelt in der Selbstverwaltung der Kreise". Diesem Grundsätze hat die Partei bei der Wahl in Zschopau-Marienberg bekanntlich ins Gesicht geschlagen. Denn die „Selbstverwaltung des Kreises", d. h. die dortige sozialdemokratische Organisation, hatte fast ein- stimmig Herrn Göhre als Kandidaten nominiert, die Parteileitungen in Berlin und Dresden aber zwangen ihr die Kandidatur des Herrn Pinkau auf. Es ist ganz 'unzweifelhaft, daß tausende von Wählern, die am 16. Juni v. I. sozialdemokratisch gewählt hatten, sich aus diesem Grunde, und n ur-aus ihm, der Wahlurne fern hielten; ja, manche von ihnen mögen in ihrem Zorn wegen der von der Zentrale ausgeübtcn Bevormundung für den antisemitischen Kandidaten gestimmt haben. Und doch hat Herr Bebel, dessen diktatorisches Gelüst von den Parteigenossen wie von politischen Gegnern an- gegriffen und bespöttelt wird, in einem gewissen Sinne reckt. Je größer die Partei wird, desto straffer wird ihre Organisation sein müssen, und desto gefährlicher sind für sie starke sachliche Differenzen der Führer, wie sie zwischen den Revolutionären und den Revisionisten tatsächlich be- stehen. Darin aber liegt die Tragik des Zukunfts- traumes, an dem niemand so sehr hängt, wie gerade Bebel. Die Anhängerschaft der Sozialdemokratie empfindet nicht nur sozialistisch, sondern mindestens eben so sehr demokratisch. Je mehr nun die Partei anwächst desto mehr sind die Führer, um die Partei zusammen zu halten, gezwungen, den Massen einen Vorgeschmack von der „Freiheit" im Zukunftsstaate zu geben. Sie müssen denn, wie es Herr Bebel im Falle Zschopau getan hat, das demokratische Prinzip verletzen, und damit stoßen sie wiederum weiten Kreisen ihrer Anhängerschaft vor den Kopf. Tenn es wird doch tausende und hunderttausende von Arbeitern geben, die ein Butterbrot bei leidlicher per- sönlicher Freiheit einem belegten Brote im Zuchthause vorziehen. Die Sache steht also so: je mehr Anhängerschaft, desto mehr Diktatur, je mehr Diktatur aber, desto weniger An hängerschaft. Wir haben hier die Quadratur des Zirkels, oder die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, oder wie man es nennen will. In diesem Sinne hat die Wahl in Zschopau eine weit über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Sie zeigt, daß die Sozialdemokratie an den Grenzen ihrer Macht und ihrer Ausdehnungsfähigkeit angelangt ist und daß cs ihr nicht gelingen wird, diese Grenzen zu überschreiten, wofern die bürgerlichen Parteien und die Negierung ihr nicht durch gar zu große Torheiten dazu verhelfen. Der rilssrfch japamschr Krieg. Ni«tfchu>ang. Der russische Civilverwalter in Niutschwang hat auf Ansuchen des Konsularkorps seine Zustimmung da;u gegeben, die rücksichtslose Inkraftsetzung des Kriegsrechts so lange zu suspendieren, bis die Konsuln Anweisungen ihrer Re gierungen erhalten, damit dadurch die G fahr von Ver wicklungen vermindert wird. Die amerikanischen Einwohner Niutschwango erklären ganz offen, daß die Verhängung des KriegSrechles eine Niederlage für die Politik der Bereinigten Staaten, Konsuln in der Mandschurei zu ernennen, bedeute. Von den Häusern, in denen ameri kanische uud britische Untertanen wohnten, sind die be treffenden Landesfahnen durch russische Soldaten heute ent fernt worden. Der Arieg «n- -er sibirische Solöbergba«. Der Krieg macht sich auf allen Gebieten der sibirischen Bergwerksindustrie, besonders aber auf dem des Goldberg baues in unangenehmer Weise fühlbar. Bei allen Goloberg- werken Sibiriens ist es üblich, für die ganze Zeit der Sommer kampagne sich mit den nötigen Utensilien und mit gewissen unverderblichen Lebensmitteln schon während deS Winters zu ver sorgen, wo die Zufuhr infolge der zugefrorenen Flüsse und Wege mittels Schlitten sich ziemlich leicht gestaltet. Auch in diesem Jahre wurde die Methode eingehalten, aber nicht gänzlich durchgeführt. Die Kriegsoperationen und der damit in Vc oindung sichende allseitige Aufkauf haltbarer Lebensmittel tn rrs^r Linie ore Verringerung des PrivattranSporteS auf der sibirischen Eisenbahn haben den einzelnen Bergbauunterneh- mungen bedeutenden Schaden zugefügt. Am härtesten betroffen erlcheint der Golkbergbau aber dadurch, daß aus den Reihen der praktisch bestinsormierten Arbeiterschaft die größere Zahl zur aktiven Dienstleistung im Heere einberufen worden ist. Das ist für den Goldbergbau der schwerste Schlag, denn ohne fachmäßig ausgebildete Arbeiter läßt sich in den sibirischen Goldwerken absolut nichts unternehmen. Im Goldbergbaubezirk LenSkoi, Gouvernement Irkutsk, in dem Kreise Borguzin deS Transbaikalgebietes, ebenso in einigen Bezirken des AmurgebieteS sind fast sämtliche Arbeiter zu den Fabnen eingerückt. Um nun diese Industrie nicht ganz brach liegen zu lassen, haben, wie die „Now. Wremja" meldet, die Goldbergwcrke Sibiriens eine Abordnung zu den Ministern deS Ackerbaues, der Domänen und der Finanzen mit der Bitte entsendet, beim Kriegs ministerium dahm zu wirken, daß die im Goldbergbau bewanderten Unteroffiziere des Reservestandes vom aktiven Dienste befreit und zur Arbeit in die Goldberg werke kommandiert werden, da sonst in ganz Sibirien der Betrieb der Werke bis lange nach Beendigung deS Krieges eingestellt werden müßte, wodurch der Staat und die Unter nehmungen unabsehbaren Schaden zu erleiden hätten. Die betreffenden Ministerien sagten der Deputation zu, die Sache bei der Kriegsverwaltung in Anregung bringen zu wollen. Politische Tagesschau. * Lechzt«, 29. März. Fassadenpolitik. Für -en Bau <-cs Kofferschlosses ln Posen sollen, wie die „Zwkunst" berichtet, fünf Millionen vom Landtage gofovdert werden. Es liegt kein Grund vor, die Mitteilung anzugreifen; wir wirtschaften ja in Preußen neuevdings gern aus dem Vollen, wenn es sich um dekorative Politik handelt. Der Bau eines Kaiser- schlosses tn Posen hat aber nur eine geringe reale, vor wiegend eine snmholifche Bedeutung, und für ein Sym bol sind fünf Millionen etwa teuer. Es braucht nicht ge knausert zu werden, und für -le Hälfte ließe sich ein recht anständiges Schloß bauen. Der Kaiser wird höchstens acht Tage im Jahre dort verweilen; fünf Millionen für ein Absteigequartier, die Forderung dünkt uns etwas übertrieben. Es gibt in der Ostmark Bauten, die mindestens ebenso wichtig find wie das projektierte Schloß: das sind die Schulen. Denen lasse man die etwa ersparten .zwei Millionen zufließen. Der Prinz, -er in Pofen residieren wird, braucht eine so ungeheure Re- Präsentation nicht zu entfalten. In -er Provinz Posen müssen Fundanrente gelegt, aber nicht Fassaden errichtet werden. Die Jesuiten in der Ostmark. In dem ausgezeichneten Buche „Die Polennot im deutschen Osten" von W. v. Massow finden wir folgende Stelle, die wir Wiedergaben möchten, well sie, ehe man's ahnt, höchst „aktuell" werden kann: „Damals (zur Zeit Sigismunds I.) fand die Reformation Eingang und weckte in beiden Bekenntnissen den Eifer, daS Volk auS dem geistigen Schlaf zu Wecken und eine nationale Bildung zu schaffen. Aber wie ein Reif in der FrühlingSnacht fiel in dieses Aufwärtsstreben die Wirksamkeit -eSJesuiten- ordenS. Sehr frühzeitig scheint der nationale Eifer, der Deutschenhaß, dabei eine Rolle gespielt zu haben. Der neue Glaube kam aus Deutschland, und mit ihm unterdrückte mau -en deutschen Einfluß. TZ scheint wenigstens, als ob bei -et Persönlichkeit, die vorzugsweise den Jesuiten den Weg in Polen geebnet hat, dem Bischof HosiuS von Ermland, der kirchliche Eifer vorzugsweise auf nationalen Beweggründen beruhte; Hosius war jedenfalls ein Todfeind des Deutschtum» und der rücksichtsloseste Polonisator seines Sprengels." Lang, lang ist's her. Aber im Jesuitenorden versteht man es, Traditionen durch die Jahrhunderte hindurch zu wahren, uwd so sind wir zu diesem historischen Rück blicke voll berechtigt. Mit den Dankees must man deutsch reden. Im Berlage von K. G. Th. Scheffer in Leipzig ist eine Broschüre erschienen, auf die wir unsere Leser aufmerksam machen möchten. Der Titel kautet: „Da- amerikanische Zollgesetz un- -er deutsche Handel"; ihr Verfasser ist ein Kaufmann, Alfred Petschow, -er New Varker Repräsentant einer an gesehenen Simbacher Firma (Karl Scherf). Herr Petschow weist in lebhafter, allgemein Verständlicher Darstellung nach, in wie unerhörter Weise die deutschen Importeure „jenseits -es großen Teiches" chikaniert un- gemaßregelt werden, wie besonders die Hochzollliga (American kroteatio Dsrikk Dosgue) nichts unterläßt, um zu einer gehässigen Handhabung des Zollgeseyes anzustacheln und wie Amerika das Neziprozitätsverhältnis zu -en euro- Feuilleton. q Das Testament des Lankiers. Roman von A. M. Barbour. Nach, ruck verboten. „Sie Kegen also offenbar einen Verdacht", sagte Ralph erstaunt, und Thornton, der dasselbe fühlte, fragte: „Hatte denn unser Vetter Feinde?" Herr Whitney antwortete nur mit einem jener Blicke, die nicht ja, nicht nein sagen und dem Fragenden die Aus- legung überlasten. Thornton fuhr deshalb fort: „Könnten ihm nicht vielleicht geschäftliche Manipula tionen die Feindschaft von irgend jemandem zugezogen haben?" „Nein", erwiderte der Anwalt bestimmt, „davon ist mir durchaus nichts bekannt. Herr Mainwaring hatte zwar wenig vertraute Freunde, stand aber bei allen, die mit ihm verkehrten, in Achtung. Wenn er Feinde besaß", setzte er mit Betonung hinzu, „so sind diese hier, in seinem Hause, zu suchen." Ralph sah den Anwalt groß an, Thornton aber rief: „Sagen Sie um alles in der Welt, Sie hegen doch nicht etwa Argwohn gegen einen der augenblicklichen Haus genossen?" „Wie ich schon erklärt habe", entgegnete Whitney ernst, „bin ich nicht berechtigt, anszusprechen, was ich ver- mute, bevor nicht Dinge zutage treten, die meine Ver mutung zur Gewißheit machen." „Natürlich, das können Sie nicht", stimmte Main waring bei, „Sie werden es uns aber nicht versagen, sich als unseren Rechtsbeistond und Ratgeber in der Sache zu betrachten, und uns als solcher, sobald Sie es an der it halten, wissen lassen, worauf sich bei Ihrer genauen nntniS der hiesigen Verhältnisse Ihr Verdacht gründet." Der Anwalt verbeugte sich und sagte geschäftsmäßig kurz: „So würde ich vor allen Dingen bitten, Sorge zu tragen, daß niemand das Haus verläßt und inir Frau La Grange hierhergeschickt wird. Ich muß sie sprechen." „Gut, dann -Men wir Sie allein lasten", erwiderte Ralph. „Ich werde alles anordnen." Er entfernte sich, begleitet von seinem Vetter, und befahl einem auf dem Korridor wartenden Diener: „Frau La Grange soll so gleich zu Herrn Whitney nach der Bibliothek kommen, und Wilson, sowie der Kutscher hierher zu mir." Der Mann schritt eilig davon. Bald darauf erschien John Wilson, der langjährige Diener Ralphs, und Brown, der Schöneicher Kutscher. Mainwaring redete zuerst den letzteren an: „Brown, begeben Sie sich vor das Portal und halten Sie nach Mög lichkeit das Volk zurück. Es darf vorderhand niemand das Haus betreten, außer dem Coroner nebst seiner Be gleitung und den, Arzt. Haben Sie mich verstanden?" „Sehr wohl." „Für Sie, John", fuhr er fort, nachdem sich der Kutscher entfernt batte, „für Sic habe ich einen Auftrag, den ich keinem anderen geben mag, weil dazu eine Ver- traucnspcrson gehört und ich Ihre Treue und Ver schwiegenheit kenne. Es handelt sich mir darum, zu er fahren, was hier im Ganse vorgeht. Das verlangt scharfe Beobachtung, feines Gehör und Geschicklichkeit. Alles das besitzen Sie. Ich wünsche also, daß Sie alle zum Haus stand gehörigen oder hier verkehrenden Personen im stillen genau beobachten, darauf achten, was gesprochen wird, und mir alles melden, was Ihnen in dieser oder jener Richtung besonders in Beziehung zu dem Vorge fallenen auffällig erscheint. Außerdem haben Sie mit Strenge darüber zu wachen, daß niemand von dem Dienstpersonal ohne meine spezielle Erlaubnis das HauS verläßt. Ich erwarte, daß Sie mein Vertrauen recht fertigen werden." „Werds schon machen, gnädiger Herr." Als Wilson eben fortgegangen war, kehrte der zu Frau La Grange entsandte Diener zurück und meldete, sie wäre von dem Schreck über den Mord noch zu sehr außer Fassung, um augenblicklich erscheinen zu können, würde aber, sobald sie sich einigermaßen erholt hätte, Herrn Whitney aufsuchen. Ralph machte mit dem Kopfe eine entlassende Ge berde, und Thornton, der inzwischen auf dem Korridor hin und her gewandelt war, trat wieder zu ihm. „Meiner Seel', Maimoaring, mir will es, seit wir gestern den Inhalt des Testaments kennen lernten, nicht mehr aus dem Kopfe, daß doch wohl noch etwas zum Vorschein kommen wird, was auf dieses Weib Bezug hat — hm — hm — etwas ganz Besonderes, weißt du." „So? Und mir scheint es", erwiderte Mainwaring, auffallend langsam und jedes Wort betonend, mir scheint es daß vielleicht mit dieser Frau La Grange sogar etwas sehr „Besonderes", wie du es nennst, ans Licht kommen wird. Whitney denkt wohl ebenso." „Wie meinst du das?" Hältst du es am Ende gar für möglich, sic könnte in irgend einer Art mit dem Morde in Verbindung stehen? Wenn es überhaupt Mord ist." „Nun, unzweifelhaft bat Whitney auf jemand im Hause Verdacht, und uns steht es vorläufig frei, Schlüsse zu ziehen. Ich muß offen gestehen, diese Verfügungen im Testament, auf die du anspiclst, finde ich höchst sonderbar und auffällig. Meiner Ansicht nach bestätigen sie nicht allein das, was wir mutmaßten, bevor wir noch den In halt des Testaments kannten, sondern geben auch einen sehr deutlichen Fingerzeig betreffs der Personen, die möglicherweise mit Ansprüchen auf den Besitz hervortreten werden. Vielleicht sogar sind sie nicht ohne Bedeutung für die Auffindung eines Fadens zur Lösung des Rätsels, vor dem wir augenblicklich stehen." „Meiner Seel', es sieht beinahe so auS! Aber sollte die Frau wirklich rechtskräftige Ansprüche erheben können?" „Rechtskräftig oder nicht, jedenfalls scheint sie irgend welche Rechte geltend machen zu können, denn wenn ein Mann vom Schlage Hughs für seine Haushälterin ein so schöne» Jahrgeld aussctzt und ihrem Sohn ein Vermächt nis im Werte von fünfzig- oder fünfundsicbzig Tausend Dollars macht, so gibt das wohl zu denken und kann für einen Beweis gelten, daß " Auf einen warnenden Blick Thorntons brach Ralph plötzlich ab, und sich umwendcnd, sah er Frau La Grange geräuschlos den Korridor herunterkommen. Sie war mit noch ausgesuchterer Sorgfalt als sonst gekleidet; herr liche Spitzen umgaben ihren wohlgeformten Hals und die feinen Handgelenke und Hände. Ihr brünettes, schönes Gesicht zeigte große Aufregung. Schweigend ging sie mit einer Verbeugung vorüber und trat so leise in die Bibliothek, daß der in Gedanken vertiefte Anwalt ihr Kommen nicht eher bemerkte, bis sie vor ihm stand. Er fuhr leicht zusammen; doch keiner sprach; es war ein Augenblick gegenseitiger stiller Ausforschung. Seit einiger Zeit hatte Frau La Grange gefühlt, daß Whitney einer der wenigen war, die sich von ihrem liebenswürdigen Wesen nicht täuschen ließen. Dazu kam, daß seine bei Hugh Mainwaring eingenommene Vertrauensstellung sie über seine Gesinnung gegen ihre Person beunruhigte. Er war ein hervorragender Anwalt, und es lag ihr viel daran, gerade in diesem Augenblick einen guten Eindruck auf ihn zu macken. Wenn cs ihr gelang, seine Gunst zu gewinnen und sich seinen Beistand zu sichern, so würde sie damit einen glänzenden politischen Schachzug getan haben. Ihr Plan stand fest; sie war vor bereitet, jede Rolle zu svielen; es handelte sich nur noch um das Stichwort. Dieses ließ nicht lange auf sich warten; der Blick des Anwalts sagte es ihr. Auf der Stelle erkannte sic aus den fast mit Verachtung auf sie gerichteten scharfen blauen Augen, daß — weit enlfcrnt seine Gunst zu gewinnen— sie in ihm ihren erbittertsten Gegner finden würde. Ebenso schnell, wie ihr das klar wurde, stand ihr Entschluß über das von ihr zu beob achtende Benehmen fest. Ihre leuchtenden Augen wurden plötzlich kalt, und ihr Gesicht nahm die gewöhnliche hoch mütige Miene an. Nach einigen, daS schreckliche Ereignis berührenden Worten fuhr Whitney fort: „Der heutige Tag ist anders geworden, als wir gedacht hatten." „Ja", erwiderte sie mit spöttisch gekräuselten Lippen. „Er hat den Verwandten statt der Erwartungen für die Zukunft die Erfüllung ihrer Wünsche gebracht." „Es läßt sich in keiner Weise annehmen, daß auch nur einer von ihnen das schreckliche Ereignis in diesem Lichte betracktet", entgeanete-er sckarf. „Mag sein", gab sie leichthin zu, „mir jedoch erschien es, als ob wcniasicns einem von ihnen die Freude an ver verheißenen Erbschaft durch den Gedanken an daS vor aussichtlich lange Leben des Testators beeinträchtigt wurde." „Von wem sprechen Sie?" fragte er barsch. „Es ist unnötig Namen zu nennen", antwortete sie kühl, „aber hätten die Londoner Mainwarings gewußt, was ich weiß, würden sie niemals über das Master gekom- men sein, um eine Rolle in der Posse zu übernehmen, die gestern hier in Scene gesetzt wurde. Es gibt Mainwarings, ivie Sie bald rrfabren werden, die bessere Rechte und Ansprüche auf das Erbe haben." (Fortsetzung folgt.)
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