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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.12.1906
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1906-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19061207017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1906120701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1906120701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1906
- Monat1906-12
- Tag1906-12-07
- Monat1906-12
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Letzte Dep.) * Wie die „Agence HavaS" meldet, ist die Note über Marokko, die den Signatarmächten der Akte von Algeciras seitens der Vertreter Frankreichs und Spaniens überreicht worden ist, an keiner Stelle mit Einwen dungen ausgenommen worden. * Die Mannheimer Reichstagsersatzwahl ist auf den 25. Januar 1907 in Aussicht genommen. * Gegenüberder Meldung Stuttgarter und anderer Blätter, daß mit dem jetzt eingetretenen Ministerwechsel in Württemberg die Aenderungen im Ministerium noch nicht abgeschlossen seien, teilt der Staatsanzeiger mit, er sei zu der Erklärung ermächtigt, daß diese Vermutungen jeder Grundlage entbehren. * Die Bremer Bürgerschaft nabm gestern einen Gesetzentwurf an, der den staatlichen Arbeitern und Angestellten vom 1. April 1907 ab Pensionsberech tigung gewährt. * Der Reichstag ist gestern bei seiner Sitzung nickt Über die Besprechung der Interpellation betreffend die Zollbebaud luna von Malz und Futtergerste hinauSgekommea. (S. Bericht 2. Beilage.) * Der Oberbürgermeister von Karlsruhe Dr. Schnetzler ist gestern gestorben. ftsorevelt; prrrönlicbe; Regiment. Der jetzige Präsident der Vereinigten Staaten hat nie- vrals daran zweifeln lasten, daß er kein Partei-Präsident ist, gleich so vielen seiner Vorgänger. Die Arthur, Harrison, Mc. Kinley — was waren sie anders als unselbständige Werkzeuge der republikanischen Organisation, deren „Bosses" die Maßregeln der Regierung bestimmten im Geiste der herrschenden Cliaue; in Einzelheiten, in Personenfragen nur zu oft nach persönlicher Laune, die mehr Macht besaß, als die Wünsche des Schattenpräsidenten, der im Weißen Hanse residierte. Allein Grover Cleveland, Amerikas einziger demokratischer Präsident seit dem Sezessionskriege, war kein Maschinenpolitiker. Er brach mit dem Grundsätze: „Dem Sieger die Beute!" und unterließ es, nach seinem Amts antritt unterschiedslos den gesamten Reamtenstab der Union zu erneuern. Als aber Harrison, als Mc. Kinley kamen, wurden auf der Stelle alle demokratischen Briefträger und Nachtwächter durch stramme Republikaner ersetzt. Roosevelt ist viel weiter gegangen als Cleveland. Es dürfte schwer sein, zu behaupten, daß er überhaupt noch der republikanischen Partei angehört. Er hat so viel Eigenartiges in seine Regierungszeit bineingetragen, die voraussichtlich sich über 7^ch Jahre erstrecken wird. Er hat seiner Lebens- Haltung beinahe den Charakter einer monarchischen Hof haltung gegeben. Seine Tochter machte in der breitesten Oeffentlichkeit eine Figur, um die sie manche europäische Prinzessin beneiden wird, die als Veilchen im Schatten blüht. Teddys jüngste Botschaft ist ein ganzes Negierungs programm. Ein Programm des herrschenden Mannes, nicht der herrschenden Partei oder gar der Gesamtnation. Die amerikanische Nation ist trotz ihrer bunten Völkermischung alle- andere als kosmopolitisch. Sie enthält alle Elemente der europäischen Bevölkerung: Germanen, Romanen, Slawen und Kelten, und ist auf dem Wege, aus diesem Gemisch eine einheitliche Nation europäischer Rasse zu bilden: sie ist heute erst auf dem Wege dazu. Aber der englische Be- standteil wird den Charakter bestimmen. Indessen vom kosmopolitischen Weltbürgertum ist Ame rika weiter entfernt als je. Im Neger, im Mongolen den Menschen zu sehen — davon will das amerikanische Volk nicht- wissen. Den Negern die Lynchjustiz, den Mongolen ei» Einwanderungsverbot! Anders Roosevelt. Die furchtbare Last einer millionen starken Fremdraste mit minderwertiger Kultur, des Erbstückes aus der unseligen Sklavenzeit, wird mit keinem Worte gewürdigt, durfte auch wohl nicht gewürdigt werden, nachdem einmal der grenzenlose Fehler der hastigen Emanzi pation gemacht war. Dem Volksempfinden soll bloß in einer Kleinigkeit entgegengekommen werden, indem auf Notzucht der Tod gesetzt werden soll. Auf keinen Fall ist mit dieser nebensächlichen Maßregel das amerikanische Rastenproblem an seiner Wurzel gefaßt. Verdankt Karolina sein schwarzes Nebel den Sünden der Vergangenheit, so zittert Kalifornien vor der gelben Gefahr der Zukunft. Mit den wenigen Zehntausenden von heute würde man noch fertig werden. Wenn aber Herr Roosevelt den Karolinern wenigstens noch ein paar neue Galgen be willigen wollte, so hat er kür Kalifornien gar nichts übrig. Im Gegenteil: die Naturalisation der Japaner soll erleichtert werden, und d-n widerspenstigen Leuten vom Sakraments wird mit der Bundesexekution gedroht! Nun, dazu wird'S nicht kommen. Schon sind im Re präsentantenhaus von Abgeordneten aller Parteien, aller BundeSftaaten Anträge gestellt, welch« dem Programm de» schnurstracks entgegenlaufen. Wär« eß anders, so erlebte die Union auch gewiß einen neuen Sezessionskrieg. I Man braucht kein radikaler Nassentheoretiker zu sein, um in I der unvermittelten, massenhaften Ausnahme eines s o fremd artigen Volkselementes das Gegenteil einer gesunden Staatskunst zu erblicken. Dieser Initiative Roosevelts ist kein Erfolg zu wünschen. Wir können nicht denken, daß sie von blasser Furcht vor Japan diktiert war. Japan ist all- mählich lange genug mit dem europäischen Völkerrecht be kannt geworden, um gelernt zu haben, daß dieses eine schrankenlose Seßhaftmachung und Einbürgerung noch nicht einmal unter seine anzustrebenden Ideale ausgenommen hat. Größere Sympathie tragen wir dem Teile der Roosevelt- scheu Botschaft entgegen, der sich mit der Sozialgesetz, gebung belaßt. Einführung des achtstündigen Arbeits- tages und obligatorischer Schiedsgerichte, Kontrolle des Kohlenbergbaues und Feststellung der staatlichen Eigentums rechte an noch nicht in Betrieb genommenen Gruben, pro gressive Erbsckafts- und Einkommensteuer: das sind greis- bare und dankbare Ziele. Gelingt cs Roosevelt, auf diesem Gebiete gesetzgeberische Erfolge zu erringen, so wird die amerikanische Nation ihm zu großem Tanke verpflichtet sein, vielleicht auch ihm als dem ersten den tsiirck torm bewilligen. Ta von der Schaffung eines Berufsheeres und ähnlichen ge fährlichen Tingen nicht die Rede ist, so mag man sich von Roosevelt gefallen lasten, was bei Grant unerträglich gewesen wäre. Die gesetzlichen Befugnisse des amerikanischen Präsidenten sind so weitgreifend, daß seine kräftige Ini tiative durchaus in deren Nahmen hineinfällt. Mag Teddys Eitelkeit es schmeicheln, ein bißchen den legitimen Wil helm II. zu kopieren; zum Julius Cäsar fehlt ihm, glauben wir, die revolutionäre Energie und Rücksichtslosigkeit. Zur kalifornischen Frage sind im Laufe des gestrigen Tages folgende Nachrichten eingegangen: Die Anregung zu der Weisung an die in San Francisco weilenden Vertreter des Dundesjustizdepartements, die gerichtliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des kalifornischen Staatsgesetzes über den Schulunterricht von Kindern mongolischer Abstammung zu veranlassen, ist, wie verlautet, von dem Staatssekretär Root ausgegangen. Seine Uebcrzeugung ist, daß eine solche Untersuchung M't Sicherheit die BcKeg"ng dos Sckulstrestes herbeiführen werde. Die Vertreter Kaliforniens im Kongreß haben von dem Präsidenten über die sie beunruhigenden Er klärungen der Botschaft zufriedenstellende Versicherungen er halten. Darüber sind die Mitglieder des Kongresses einig, daß die Japaner für den Fall, daß sie den Gewalttätigkeiten der Menge ausgesetzt sein sollten, das Recht auf militärischen Schutz haben. Ein Telegramm aus Washington berichtet, daß der Bundesgerichtshof die Gesetze, auf Grund deren die japani schen Kinder aus den kalifornischen Schulen ausgewiesen wurden, einer genauen Prüfung unterziehen werde. Ein kalifornischer Rechtsgelehrter erklärte, daß die Ausschließung lediglich aus hygienischen Gründen geschehen sei und keines wegs eine Uebertretung der Verträge bedeute. Vie ZMtroräimng uns Ser öiirgereiS. Gesetze sind wie Kleider. Sie werden auf die zur Zeit ihres Erlasses bestehenden Verhältnisse zugeschnitten. Dann entwickeln sich diese Verhältnisse, und die Gesetze passen nicht mehr. Nun muß eine Revision der Gesetze eintreten. Man muß den neuen wirtschaftlichen Zuständen und den ver änderten Anschauungen Rechnung tragen. Freilich sind die Bedürfnisse der einzelnen Völker in dieser Richtung ver schieden. In manchen Ländern hängt man zäh am Her gebrachten und achtet mehrhundertjährige Gesetze heilig. In Deutschland herrscht jetzt aber ein frischer Zug, der alles Veraltete hinwegweht. Ist es doch sogar in Sachsen möglich gewesen, das Waffcnmandat aus der Mitte des 17. Jahr- Hunderts, das das Tragen von „heimlichen mörderlichen Ge wehren" verbot, und das Hundemandat aus dem 18. Jahr hundert, das die Beschwerung der Hunde mit einem Klöppel oder das Aussehen eines „Beißriemens" vorschrieb, aufzu heben und durch zeitgemäße Bestimmungen zu ersetzen. Jetzt tritt das Bedürfnis nach einer Aenderung der Städteordnung hervor. Die sächsische Städteordnung wurde am 2. Februar 1832 erlassen und damals als Mustergeieh betrachtet. Nach 40 Jahren hat man sie revidiert. Im April 1873 wurde die revidierte Städteordnung gleich zeitig mit einer Reihe anderer Gesetze über die Verwaltung?- organisation vom Könige vollzogen und danach bekannt ge macht. Seitdem ist nun ein drittel Jahrhundert ins Land gegangen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich ge ändert; die Bevölkerung ist gewaltig gewachsen; die An schauungen haben sich in manchem Betracht gewandelt. Die Gesetzgebung des Reiches wurde ausgcbaut und verdrängte das Partikularrecht. ES ist nunmehr an der Zeit, auf unsere Städteordnung wieder einen kritischen Blick zu Wersen. Wir finden darin eine Reihe von Vorschriften, die sich als nicht elastisch genug erwiesen, um hervortretenden Be dürfnissen entsprechen zu können. Starr ist die Bestimmung in 8 9, wonach das Stammvermögen der Stadtgemeinde in seinem Gesamtbestande unvermindert erhalt-n werben 'oll. Das ist eine lästige Fessel der Selbstverwaltung, deren Zwang auch nicht dadurch gemildert wird, daß eine bevor mundende Aufsichtsbehörde aus dringlichen Gründen Ab weichungen von der starren Regel gestatten kann. Unzeit gemäß ist die Vorschrift in 8 40, wonach die Hälfte der Stadt verordneten mit Wohnhäusern im Gemeindebezirke ansässig > sein muß. Unzeitgemäß ist ferner die Vorschrift in 8 59, die bestimmt, daß bei der Stadtverordnetenwahl die relative I Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. Damit ist eine Verhältniswahl ausgeschlossen; eine Vertretung von Minderheiten kann nur au' Umwegen erreicht werden. Von der Bestimmung in 8 59 kann freilich „von dem Ministerium des Innern auf Antrag des Stadtrats und der Stadtverord neten nach vorheriger Begutachtung der Aufsichtsbehörde" dispensiert werden. Damit ist eine ganz unnütze Bevor mundung und Beschränkung der Selbstverwaltung geschaffen. Bei genauer Durchsicht der einzelnen Bestimmungen drängt sich noch dieser und jener Wunsch auf. Doch mag seine Aeußerung für später Vorbehalten bleiben. Heute toll nur noch der Blick auf 8 16 geworfen werden, weil sich kürzlich das Oberverwaltungsgcricht mit ihm zu beschäftigen hatte. Er lautet: „Bei der Erteilung des Bürgerrechts bat der Bürger mittels Handschlags anzugeloben, die ihm als Bürger obliegenden Pflichten treu zu erfüllen, der Obrigkeit gehorsam zu sein und der Stadt Bestes nach Kräften zu fördern." Diese Vorschrift mutet sonderbar an. Der Handschlag widerstreitet unseren hygienischen Anschauungen. Mit Recht hatte jener französische Untersuchungsrichter an keine Amtszimmertür geschrieben, daß das Berühren seiner Hand verboten sei. Daß der Bürger seine Pflichten erfüllen muß, ist so klar, wie nur irgend etwas; das braucht er nicht erst anzugeloben. Der Kreis der spezifischen Bürgerpflichten ist übrigens nicht groß. Er erschöpft sich in einem Zwange zur Uebcrnahme gewisser Ehrenämter. Dieser Zwang wUd mit Haft- und Geldstrafen geübt, wenn's mit der freiwilligen Uebcrnahme zu lange dauert. Der „Gehorsam gegen die Obrigkeit" ist etwas ganz Veraltetes; er gehört in den Polizeistaat, aber nicht in den Rechtsstaat. Früher mußten die Gutstagelöhner vor dem Patrimonialgerichtsdirektor schwören, daß sie der Herrschaft „treu, hold und gewärtig" sein wollten. Daran erinnert der Bürgereid. Jetzt sind die Befugnisse der Obrigkeit und die Pflichten der Untertanen in Gesetzen sestgelegt; gleichzeitig ist bestimmt, welche Rechts- folgen eine Pflichtverletzung auf der einen Seite und eine Befuznisüberschreitung auf der anderen Seite nach sich zieht. Irrungen in der einen oder der anderen Richtung können im Instanzenwege entschieden werden. Das Ge- horsamsvcrsprechen ist also inhaltsleer und bedeutungslos. Ganz zwecklos ist das Versprechen, „der Stadt Bestes nach Kräften zu fördern". Niemand kann wegen Nichterfüllung dieses Versprechens gestraft oder aus dem Gemeindeverbande ausgeschkrsten werden. Der ganze Büvgcreid ist ein Nest verklungener Zeit. Man muß sich wundern, daß man r8',3 diese Ueberblcibsel nicht hinwcggeränmt hat. Sagt doch das lsreilich in Berlin gemachte) Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit pom 1. Juni 1870 in 8 6: „Die Aufnahme, sowie die Naturali sation erfolgt durch eine von der höheren Verwaltungs behörde ausgefertigte Urkunde." Hierin drückt sich die moderne Denkweise aus. Die Verleihung der Staats angehörigkeit wie die des Bürgerrechts ist eine konstitutive Entscheidung, die in einer Urkunde niedergelcgt und dem Be- treffenden mitgeteilt wird. Ein Mehr ist im Nechtsstaare und für den modernen Menschen nicht erforderlich. Alle Solemnität ist unnütze Zeitvergeudung. Die Feier lichkeit wird überdies zur Farce, wenn sie im Großbetrieb erfolgt. Wenn man sich vorstellt, daß auf dem Stadthause an manchen Nachmittagen in Hatz und Eile Hunderte von Bürzcrcidcn nur so hintereinander geschworen werden müssen, dann kommt einem fast ein Lächeln an. Und sie müssen geschworen werden. Tas Obervcrwaltungsgericht hat erst am 6. Oktober 1906 dahin entschieden. Ein Leipziger Anwalt >var unter Strafdrohung zum Bürgerrechtserwerbe ansgesordert worden. Er erklärte sich dazu bereit, ver weigerte aber das Handgelöbnis. Er rief nun die Entschei dung der Kreishauplmonnkchaft an und führte in fast über zeugender Weise aus, daß die Vorschrift über den Bürgereid nicht zwingend, sondern nur instruktionell sei; er wies ferner daraus hin, daß das Versprechen sich nicht nur aus die gerade bestehende, sondern auf die jeweilige Obrigkeit beziehe, also auch auf eine solche, der man wegen der Unsittlichkeit oder Rechtswidrigkeit ihrer Anordnungen den Gehorsam versagen müsse. Uebcr die Durchschlagskraft dieses letzten Grundes, der an die Lehren des Jesuiten Vcllarmin erinnert, wird man streiten können. In der Sache selbst muß man dem Reklirrenwn im übrigen recht geben. Er zeigte mit der Unterscheidung von zwingender und nichtzwingender Rechts norm der Nekursinstanz einen Weg, auf dem sie dem modernen Empfinden Rechnung tragen konnte. Die Kreis hauptmannschaft ließ sich aber den Fingerzeig nicht dienen, sondern wies den Rekurs zurück, indem sie erklärte, daß man nicht nur verpflichtet sei, das Bürgerrecht zu erwerben, sondern auch das Handgelöbnis archaischen Inhalts dabei abzustatten. Die Anfechtungsklage gegen die Entscheidung der Krcis- hauptmannschaft wurde abgewiesen. Das Urteil des Obec- verwaltungsgerichts steht vollständig aus dem Boden der Vor instanzen. So muß denn der verpflichtende Stadtrat nach wie vor die Runde um den großen Tisch in dem Zimmer auf dem Stadthause machen und männizlich die Hand schütteln wie der Unionspräsident im Weißen Hause. Nur ist zwischen diesem Händeschüttcleien der Unterschied, daß dort der erste Staats- diener sich von seiner Majestät dem souveränen Volke die Hand drücken läßt, hier aber der Untertan sich beschcidcntlich der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, naht und zu etwas verpflichten muß, wozu er ohne Eid auch schon verpflichtet sein würde. ?oliti»che UM. „Symptome sind die Boten deS Kommenden, sie sind die lcisen ersten Noten von fern erwachtem Wind. . . Ein anonymer Barde, der „Deutsche Gedanken und Sorgen"*! in Vers und Neim gebracht bat, singt es. Aber ein Barde soll doch etwas vom Seher haben, allein dieser Sänger scheint nicht» davon zu besitzen. Denn wüßte er die Zeichen der Zeit richtig zu deuten, so würde er Wohl auch finden, daß prosaische Worte zu den Streitfragen de» Tages bester passen als dichteri'cher Schwung. Nicht weil es Goethe mit seinem: „Pfui! Ein politisch Lied!" jo zu wollen scheint — dieses MißlaUen an politischer Lyrik ist wohl ins geheim- rötliche Konto zu buchen —, sondern weil das tzauvtvroblem der deutschen Politik wirklich kaum etwas „Poetisches" bai. Früher war's anders. In Deutschlands bösester Zc:r hatten die Dichter gute Tage. Was aber blieb ihnen noch zu singen und zu sagen, als im Versailler Schloß Deutschlands Sehnen Erfüllung fand, als es einig geworden war und frei? Ta das Ziel erreicht war, aalt es, das Gewonnene auszubauen und zu sichern — nüchterne, aber notwendige Arbeit. Grade in unteren Tagen jedoch kommt es dem deutschen Volke mehr und mehr zum Bewußtsein, daß diese Arbeit von denen, die es dazu berufen hat, nicht nach seinen, Wunsch und Willen geschieht. Und selbst die Schweigsamen und die Zaghaften öffnen den Mund, um zu, fordern, daß das Wort: blulu« popuki snproma lex! nicht länger Phrase sei, und daß man dem Volke, das mündig ward, das Reckt nicht kürze, über sein Wohl und Webe ein entscheidend Wort mit- zusprcchcn. Dieses mit bedächtiger Entschiedenheit durchzu setzen, muß der Gegenstand „deutscher Sorgen und Ge danken" sein. Unser Barde aber denkt anders. Vor der eigenen Tür zu kehren, empfiehlt er dem deutschen Volke. Daß es Fehler bat, wer wird das leugnen. Allein auch das Sckwarz'ehen ist eine Kunst, und wer gar zu eifrig „geißelt", verfällt leicht in Flagellantcnwabn. Da kommt's denn nicht so genau darauf an, ob man Fehler tadelt, von denen man selbst nickt frei ist. Unsere Selbstzufriedenheit und Selbst überhebung kommt in diesen Gedichten oft zur Sprache. Dars jemand für berufen gelten, hierüber zu Gericht zu sitzen, der cs in Deutschland so über alle Maßen herrlich baß er voller Ucbcrschwang bekennt: „. . . . ich wenn ich aus Uto pien stammte, ein Deutscher wär' ich lieber noch!" Auch über die deutsche Bedicntenhaftigkeit, Titel- und Ordenssehnsucht wird ordentlich gewettert — aber wer da meint, daß dafür dann der Männerstolz vor Königsthronen zu seinem Rechte käme, wird arg enttäuscht. Die Sehnsucht nach dem starken Manne schimmert überall durch: „Wir brauchen Männer unter Kronen und bringen ihrem Zepter Dank", „. . . . wo — ihr uns auf lichten Pfaden — zum Segen führet, beißen froh — wir euch von Gottes Gnaden". Volk und Maste kommen dabei natürlich schlecht weg. Da» ist schließlich Geschmacksache, wenn man ober die Be strebungen des vierten Standes mit folgenden Worten glaubt abtun zu können: „Ihr Spruch beißt Ruinieren — ihr Ziel Zertrümmerung", so vermag keine liosntia xootioa eine wlche Unkenntnis zu entschuldigen. Zu erklären aber ist derartiges wohl nur damit, daß unser Poet meint, er müsse zu jeder Frage „Stellung nehmen . Die Anschauung, daß im modernen Leben ^sich Niedergang und Tollheit paaren , scheint die für diese Stellungnahme maßgebende gewesen zu sein. Allerdings, wer diesen Spuk bestaunt, „stutze schwei gend". Schade, daß er selbst sich an diese Vorschrift nicht gebunden hält — wiederum eine mißbräuchliche Dehnung des Begriffs der liooiitia pootios. Tie Gedichte sind nun ober einmal geschrieben, und wenn man sie wahrscheinlich auch nicht allzu viel lesen wird — da- zu sind sie zu „philosophisch", zu unkünstlerisch und vor allem zu teuer — so wird ibr Verfasser doch fedensalls eine freudig irre Anhängcrschar finden, die mit Wonne das Dort vom Niedergang ausgreisen wird, der sich mit Tollheit paart. Und das ist eben das Bedauerliche, denn das war sicher nicht des Dichters Absicht. Er übt nickt nur Gesellschaftskritik, son- dern will uns auch Wege weisen. Aber wohin? Viel Gläu bigkeit, viel ehrliches Wollen und viel Ernst sollen wir mit nehmen, damit wir „Emsige zur Arbeit" werden, „im Dienste derer, die das Leben wollen". Wollen wir ni^'t "ll? das Leben? Wie wir es wollen, darauf kommt c? an. Und die Menschen der Gegenwart — trotzdem oder vielleicht auck weil sie so hasten und jagen — sehnen sich nack einem ruhigen Leben; in stiller, treuer Arbeit wollen sie erme^n. wallen sie aber auch genießen, all die guten Tinge genießen, die in dem milden Klima des Friedens gedeihen. Im Rbvtbmus des weltgeschichtlichen Geschehens kämpfen und wacksten die Völker, im Zeichen der Leidenschaften, und ruhen und ge deihen unter der Herrschaft des Verstandes. „Svmvtome sind die Boten des Kommenden". Dos deutsche Volk bat richtig erkannt, daß eine Zeit der Rübe hcraistdämmern will; deutlich spricht das aus dem fast alle Kreise erfassenden Streben einer Politik des durch seine Unruhe gefährlichen Hin-und-Her cntgegenzutretcn. In den deutschen Sorgen und Gedanken aber spricht jemand, der ein Dichter sein will und die Zeiten der Zeit doch nicht zu deuten weiß. Darum nennt er Niedergang und Tollheit, was nur Unkraut 'wischen den Halmen der reifenden Ernte ist. Daß sich das deutsche Volk rüstig und unverdrossen müht, diele Ernte, die ibm Wohlstand geben soll, trocken unter Tack und Fach zu bringen macht ihn stutzig. Wie Meister Anton, kennt auck er die Welt nicht mehr. Die Pflege materieller Kultur ver drießt ihn, aber daß all das, was er bei uns so schmerzlich vermißt, nur aus solider materieller Grundlage entstehen kann, das freilich scheint er übersehen zu haben. 8nob. Marsklrs «na Sie snglo-ru55i§che kmeme. lVon unserem Londoner Korrespondenten.) Das französische Abenteuer in Marokko und die Energie, welche England plötzlich in der mokedonsickcn Frage zur Schau trägt, gaben unserem Mitarbeiter Veranlassung zu einem Ge'präch mit einem Diplomaten, der seit langem aus eigener Anschauung mit den Wegen der englischen Politik im fernen und nahen ,-sten vertraut ist. Tie r u s s i t ck - c ng l i s ch c V c r st ä n d ig u ng bat nach dieser Quelle in den letzten Jochen im Zeickcn abnehmender Ge'ck'windigkcit gestanden. Seit "ne Sacke ans den Händen des Grasen Vcnckendorff in militärische Hände gelangt ist, sind die Schwicrigleiten erst reckt -ulage getreten. Mau tut unrecht, wenn man hier die Wilbe'msira' 'ür ' u Tempowechsel verantwortlich macht. Deutschland kann in der Tat ein Abkommen über Persien, daS Rußland akzeptiert, nur willkommen iein. Tenn darin läge Gewißheit, daß die siidpcrsi'cke Frage -um mindesten nickt au-S'chließlich im eng lischen Sinne gelöst wird. England muß sich in dieser Frage ebenso mit Geduld ngppn'n. wie Rußland das tut. Man bat in Persien mit zwei neuen in ihrer Wirkung noch unbekannten Faktoren zu rechnen. Tie eine Kraft ist der neue Parlamentarismus, daS andere Jmpondcrabile ist die Möglichkeit eines Thronwechsels. Tie englische Ge sandtschaft in Teheran ist daS Asyl der Nationalen; die Anleihcsrage ist zurückgestellt, möglicherweise kann sie plötzlich wieder auftauchcn, das würde die Schwie- *) Vor der eigenen Tür — Deutsche Sagen und Ge- danken lJ. Bielefelds Verlag. Freiburg 1906s.
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