Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.04.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-04-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040418027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904041802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904041802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-04
- Tag1904-04-18
- Monat1904-04
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-PretS k der tzauptrxprditton oder deren Ausgabe stellen ab geholt: vtertrliährlich 3.—, bei zweimaliger tügltchrr Zustellung tnS Hau» 3.7b. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitung-Preisliste. Nedaktto« und Expedition: Johannt-gasse 8. Fernsprecher Ib3 «. 222. Kiltalexpedttionen. AlfredHa h n, Buchhandlg, Universität-str.S Arrnspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen- Maße 14 (Fernsprecher Nr 2935) u. KvnigS- platz 7 (Fernsprecher Nr. 7505). Haupt-Filiale Dresden: Marienstraße 84 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale verlin: EarlDuncker, Herzgl.Bayr.Hofbuchhandlg^ Lützowstraße 10(FernfprechrrAmtV1 Nr.4L03.) Mend-Ausgabe. WpMLr TaMatt Anzeiger. Nmtsökatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Votizeiamtes der Ltadt Leipzig. Nr. 198. Montag dm 18. April 1904. Anzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RrdaktionSstrich (»gespalten) 7b nach den Famtlteuaach- richten (6 gespalten) bO Tabellarischer und Ztfsernsah entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 2Ü Extra-Vetlagen (gefalzt), nur mU der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. «nnahmeschluf, für Anreisen: Nb end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expeditiou zu richten. Dir Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polt in Leipzig (Inh. I)r. B., R. L W. SltnlhardtX 98. Jahrgang. Var Mcbtigrte vom läge. * Das Arbeitspensum des Reichstages besteht zur Zeit außer dem Etat noch aus 12 Gesetzesvorlagen und 32 Resolutionen sozialpolitischen Inhalts. * In Pest beabsichtigen 800 Lohnkutscher ausständig zu werden, falls ihre Forderungen, Lohnerhöhung und Herabsetzung der Arbeitszeit, nicht bewilligt werden. In Debretzin, wo die Bürstenfabrikarbeiter ausständig sind, kam es zu Ausschreitungen. Es mußte Militär aufgeboten werden. * Die 170-Millionenanleihe der Stadt Paris für den Ausbau der Stadtbahn soll mehr als achtzig Mal überzeichnet worden sein. * Der Vizekönig von Indien, Lord Curzon, sandte dem Emir von Afghanistan, der sich durch einen Unfall mit einer Schußwaffe ziemlich schwer verletzt hat, seinen eigenen Arzt, Major Bird, nach Kabul. „siurrirche trauer ist aeutrGe trauer." Auf die Nachricht von dem Untergange des russischen Flaggschiffes und von dem Tode des Admirals Makarow soll Kaiser Wilhelm an den Zaren telegraphiert haben: „Russische Trauer ist deutsche Trauer". Seit wir diese Nachricht lasen, ist ungefähr eine Woche verflossen. Sie rst nicht dementiert worden, ist also leider wahrscheinlich wahr, das Telegramm leider wahrscheinlich echt. Wir sagen „leider" und wollen unser Bedauern motivieren; wir haben dazu um so mehr Grund, als die gesamte Presse über das Telegramm schweigt. Allerdings ist es bequemer, die Depesche als nicht authentisch zu betrachten. Wir halten es aber für eine Pflichtversäumnis, nicht offen zu sagen, daß es durchaus nicht den Tatsachen entspräche, wollten wir uns in so weitgehendem Mähe mit Rußland identifizieren. Was zunächst die Volksstimmung in Deutschland be trifft, so kann gar nicht davon die Rede sein, daß die breiten Schichten der Nation russische Trauer als deutsche Trailer empfänden. Das Regierungssystem, das in Ruß land herrscht, ist nicht dazu angetan, besondere Sympa thien mit den maßgebenden Kreisen Rußlands zu er wecken; von der russischen Nation selbst aber sind wir durch die unübersteiglichen Schranken der Rasse, Sprache und Geschichte getrennt. Das Interesse, das die Ge bildeten Deutschlands an Rußland nehmen, ist aus dem Boden der Literatur erwachsen. Wir lieben Turgenjeff, Gontscharow, Dostojewsky, Tolstoi, aber die Freude an diesen feinen und tiefen Persönlichkeiten ist auf einen relativ kleinen Kreis beschränkt; wir lieben auch Müsset, Verlaine und France und doch wird es keinem von uns einfallen, über die Grenze zu rufen, französische Trauer sei deutsche Trauer. Glaubt also der Kaiser wirklich, das deutsche Volk empfinde so, dann ist er im Irrtum und da die Irr tümer mächtiger Herrscher den Völkern leicht gefährlich werden, so ist es Pflicht der Presse, zu sagen: Nein; dem ist nicht so. Es wäre auch wunderlich, wenn es so wäre. Die rus sische Politik des letzten Jahrzehnts war nicht dazu ange tan, lo warme Empfindungen in uns zu zeitigen, auch die Haltung des Zaren war cs wahrlich nicht. Wir freuen uns, daß die Beziehungen beider Reiche sich verbessert haben, wir erinnern uns gern freund-nachbarlicher Tra- ditionen und erwägen, daß wir keine gegensätzlichen Inter essen haben und daß wir in mancher Beziehung sogar zu sammen gehen können; wir beobachten in Bezug auf die innere Politik Rußlands eine Zurückhaltung, die uns nicht immer durch die Negierung des Zaren erleichtert wird, aber wir können nicht von heute auf morgen eine derartige Temperaturdifferenz in uns erzeugen und von lauer Wärme zum Siedegrad Hüpfen. Solche Wand lungen erfordern Zeit. Und endlich eine letzte, ganz aktuelle, ganz praktische Betrachtung. Seit Beginn des Krieges sprechen „wir" — nämlich das offizielle und offiziöse Deutschland — von unserer ».loyalen und korrekten" Neutralität, ärgern „uns", wenn das Ausland nicht an sie glauben will, schelten über die „Quertreibereien" der englischen und der französischen Presse. Wirklich, es ist höchste Zeit, an die Brust zu schlagen und zu bekennen, daß „wir" nach dieserTrauer-Be- kundung jedenfalls nicht mehr als neutral gelten können. Kaiser Wilhelm — es wäre Heuchelei, das zu leugnen — ist der Träger der deutschen Politik; er gibt die Direktiven, die Graf Bülow ausführt, und so ist auch diedeutsche Politik nicht mehr neutral, wenn der Wortlaut des kaiserlichen Telegramms nicht bündig dementiert werden kann. Denn wenn russische Trauer deutsche Trauer ist, dann ist' auch russische Freude deutsche Freude. Dann müssen wir slaggen und illuminieren, wenn ein russischer Sieg über Japan gemeldet wird. Der Kanzler legt mit Recht viel Wert auf seine friedliche Politik und täglich lesen wir in wohlwollenden Blättern, es sei erstaunlich, wie dieser ge schickte Lotse unser Staatsschiff unversehrt durch die Klippen führe. Wir aber finden, daß das hoffentlich apokryphe Telegramm uns festzulegen im stände ist, und werden in diesen Tagen aufmerksam die „Nordd. Allg. Ztg." lesen, in der wir bald die offiziöse Mitteilung sehen möchten, daß der Kaiser die erwähnten Worte nicht tele graphiert habe und daß daher unsere Betrachtungen gegenstandslos seien. Ein solches Dementi würde uns aufrichtig erfreuen. ver lurrircd-japsnkcbe Krieg. De» Mika-» „leuchtende Lugenden". Aus Tokio wird telegraphiert: Marineminister Namamoto beglückwünschte gestern telegraphisch Ad miral Togo zu dem Erfolge seines achten An griffes auf Port Arthur. Das glänzende Er gebnis. sagt der Minister, ist zwar auf die leuchten- den Tugenden des Kaisers zurückzu- führen (I), aber die treue und tapfere Haltung der Offiziere und Soldaten hat hervorragenden Teil daran. An ihrem Verhalten ist nichts auszusetzen. Ich sende Ihnen, den Offizieren und Mannschaften Glückwünsche in der Hoffnung, daß die gleiche, edle Pflichterfüllung an halten werde, so lange das jetzige, große nationale Pro- blem vor uns liegt. DaS Ziel ist noch weit ab. Laßt uns darum Sorge tragen, daß wir alle im stände sind, das große Werk, das von uns erwartet wird, zu vollenden. Russische Truppenbewegungen nördlich vsm Jalu. Aus Söul meldet Reuters Bureau: In der Nacht zum 16. besetzten 33 Kosacken Sön-tschön, der ja panische Konsul und Flüchtlinge kamen in Gensanam Morgen des 17. an. Es geht das Gerücht, daß 5000 Russen dieser Vorhut folgen, um die Ja- paner vom Jalu abzuziehen; doch ist dieses Gerücht wenig glaubhaft, da sie durch eine Landung der Japaner abgeschnitten werden könnten. Alexejew an Berd de» „Sebastopol". Aus Port Arthur meldet die Russische Telegr.- Agentur: Statthalter A l e x e j e w hat sich am 17. April an Bord des „Sebastopol" begeben und seine Flagge als Kommandant des Geschwaders am Stillen Ozean gehißt. pMftcbe LageuÄau. * Leipzig, 18. April. Unsere Dpilomalen. Der Alldeutsche Verband hat in einer Ein gabe an den Reichskanzler die Wahrung der deutschen Interessen in Marokko erbeten. Selbstverständlich sind dieser Eingabe praktische Folgen nicht beschicken: sie hat nur den Wert eines Protestes. Interessant ist im Text die Behauptung, daß „unser Aus wärtiges Amt Ansprüche, wenn auch in bescheidenstem Umfange, angemeldet habe". Tas war unseres Wissens bisher nicht bekannt, und auch Graf Bülow hat in seinen bisherigen Reden nicht von einer solchen Anmeldung ge sprochen, was er doch gewiß nicht unterlassen hätte, wenn sie wirklich erfolgt wäre. Die Eingabe macht mit vollem Rechte darauf aufmerksam, daß zur Sicherung des Ver kehrs mit unseren Schutzgebieten und Handelsmärkten in Afrika, Ostasien und in der Südsee die Erwerbung eines marokkanischen Landgebiets dringend erwünscht sei. Nun pflegen solche unbescheidenen Forderungen vom Grafen Bülow immer mit der Frage abgewiesen zu werden, ob er um des erstrebten Kolonialgebietes willen etwa einen Krieg beginnen solle, und dann ertönen für gewöhnlich Beifallrufe zur Estrade hinauf. Wir möchten aber mit der Gegenfrage antworten, wozu wir denn eigentlich den kost spieligen diplomatischen Apparat erhalten, wenn Erfolge nur noch mit Kriegsdrohungen erzielt werden können, und warum andere Nationen, z. B. Frankreich, ungeheure Er folge im schönsten Frieden erringen? Auf ihre eigentliche Aufgabe, auf friedlichem Wege greifbare Erfolge zu er zielen, hat unsere Diplomatie in den letzten Jahren voll ständig verzichtet. Noch immer sind die Herren ganz aus gezeichnet angezogen und verfügen über die etwas müde, aber unerschütterliche Liebenswürdigkeit der Kavaliere aus der alten Schule. Aber unsere Zeit, die nun einmal mit einem Tropfen demokratischen Oels gesalbt ist, will Lei st ungen sehen, bei denen es nicht darauf ankommt, ob sie im schwarzen Rock oder im gelben Jakett L la Cecil Rhodes verrichtet wurden. Eine notwendige Ergänzung der Reichsverfassung. Die Freisinnigen und die Süddeutsche Volkspartei haben im Reichstage den Antrag eingebracht, den Reichs- kanzler um Vorlegung eines Gesetzentwurfs zu ersuchen. durch den Art. 5, Abs. 1 der Reichsverfassung dahin er- gänzt wird, „daß die zu einem Rvichsgesetz erforderliche Ueberem- stirmnung der Mehrheitsbeschlüsse des Reichstages und des Bundesrats im Laufe einer und derselben Legislaturperiode hevbeigeführt werden muß." Die Tatsachen beweisen, daß eine derartige Ergänzung oder Erläuterung der Neichsverfassung durchaus not- wendig ist. Nach der Auffassung der Regierung könnte der Bundesrat eine ihm gerade genehme zwanzig oder dreißig Jahre zurückliegende Resolution des Reichstages in Kraft setzen. Ter Beschluß des Reichstages über die Aufhebung des 8 2 datiert aus dem Jahre 1899. Wo ist die Grenze und was hindert den Bundesrat, statt fünf Jahre zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre zurückzugreifen? Man braucht nur diese Möglichkeit zu erwähnen, um zu erkennen, wie absurd das Verfahren ist, das man einge schlagen hat, wie formalistisch und lebensfremd die Ver teidigungsgründe der Regierung sind und welche Kon sequenzen aus dem Präzedenzfall gezogen werden könnten, wenn der Reichstag nicht diese sehr günstige Gelegenheft benutzt, um eine authentische Interpretation der Ver fassung herbeizuführen. Der Kongreß der italienischen Sozialisten. Der italienische Sozialistenkongreß, der am 8. April in Bologna zusammentrat, hat auch für das Ausland Interesse, insofern er den Parallelismus der sozialistischen Entwickelung für Deutschland und Italien dartui. Es sind dieselben Probleme, die hier und dort die denkenden Köpfe der Partei beschäftigen und erregen. Hier wie dort bat man eingesehen, daß die Verelendungstheorie falsch ist, daß vielmehr die Lage der Arbeiter sich auch im Gegenwartsstaate allmählich bessert und daß die Zu sammenbruchstheorie, die spätestens um 1900 den „großen Krach" erwartete, die Widerstandsfähigkeit und Gesund- heft der heutigen Gesellschaft sehr erheblich unterschätzt hat. Diesen Tatsachen gegenüber fragen sich natürlich die Intelligenzen der Partei, ob man nicht gut tue, dem Bei spiel der englischen Arbeiter, das Eduard Bernstein einst bitter schalt, zu folgen und in erster Linie Gegenwarts politik zu treiben. „Was du an dem Momente ausge schlagen, bringt keine Ewigkeit zurück!", sagen mit Recht die revisionistischen Führer. Und die Versuchung einer praktischen, radikalen Reformpolitik tritt in den romani schen Ländern, wo die Leiter der sozialistischen Partei „ministrabel" sind, natürlich noch viel lockender an sie heran. Anderseits wollen die Massen, denen man allzu oft den nahen Anbruch der sozialistischen Herrlichkeit vor gespiegelt hat, nicht sogleich von dem holden Wahn lassen. Aus diesen einander entgegenwirkenden Strömungen er- giebt sich dann schließlich ein Kompromiß, eine verklau sulierte Resolution, zu der sich jeder bekennen kann und durch die eine offene Spaltung verhütet wird. In diesem Falle fand der ziemlich radikale E n r ic o F e r r i die er lösende Formel, die man nur zu lesen braucht, um zu er kennen, wieviel da unter der mühselig geglätteten Ober fläche „wallet und siedet und brauset und zischt". Sie lautet: „Der Kongreß ist der Ansicht, daß die Methode des Klassen kampfes keine Unterstützung irgend einer Regierungsrichtung oder den Eintritt von Sozialisten in ein Ministerium gestattet, und bekräftigt, daß für das Gesamtwerk der sozialistischen Parte: vielfache Aktionsformen notwendig sind, die auf die Er ziehung der Masten ,zum sozialistischen Bewußtsein, zur kriti schen Demolierung des Systems der Ausbeutung und des Para sitismus im Staate gerichtet sind, sowie auf die proletarische Eroberung wirtschaftlicher, politischer und administrativer Re formen, wobei die Minderheit erklärt, sich den Beschlüssen der Feuilleton. Das Testament des Bankiers. Roman von A. M. Barbour. Nachdruck verboten. Er durchfurchte schon draußen die lang rollenden Wogen, als Lizzy sich endlich von dem zurückweichenden Strande abwandte, um die Ihrigen aufzusuchen. Ver geblich hatte sie eine Erklärung für die Worte des Detek tivs gesucht, aber sie fühlte, das sie irgend eine besondere Bedeutung hatten. Schon nach wenigen Stunden begannen die Wetter prophezeiungen in Erfüllung zu gehen. Der Wind nahm zu, die See wurde unruhiger und das Schiff begann un angenehm zu schaukeln. Als die Zeit des Mittagessens kam, erschienen nur Herr Thornton mit seiner Tochter und Fräulein Carleton in, Sveisesaale. Frau Mainwaring und Tochter hatten sich ein leichtes Mahl in ihre Kajüte bringen lassen. Der Kapitän, der in Thornton einen Jugendfreund entdeckt hatte, lud ihn und seine Damen an seinen Tisch. Hier fanden die jungen Mädchen gute Unterhaltung, indem sie die zahlreichen Mitpassagiere beobachteten. Nach beendeter Mahlzeit begaben sich beide Damen auf Deck. Doch bald begann sich Edith unwohl zu fühlen und mußte sich in^ihre Kajüte begeben, die sie mit Frau Hogarth teilte. Somit auf sich allein angewiesen, hüllte Fräulein Carleton sich warm ein und ging wieder auf Deck, wo sie sich ein aescbütztes Plätzchen vor dem immer heftiger werdenden Winde suchte. Das Deck war ziemlich leer, doch ihre Einsamkeit und der Sturm paßten gerade zu ihrer Stimmung. Sie ge dachte der Abjchiedsunterredung mit Whitney; an seiner Stelle stand aber ein anderer. Die halb geformte Frage, die sie seit dem Abgänge des Schiffes beharrlich verfolgt hatte, nahm jetzt eine feste Gestalt an. Ja, welche Ant wort würde sic wohl gegeben haben, wem: dieser andere, dessen Bild vor ihrer Seele stand, gefragt hätte, was Herr Whitney fragt«? Während sie so ihren Gedanken nachging, fiel ihr ein anscheinend junger Mann auf, der mit tief über die Stirn herabgezogener Mütze und hochaufgeschlagenem Rock kragen, die Hände auf dem Rücken, in einiger Entfernung umherwandelte. Trotz des Sturmes und starken Schwan ken desSchiffes schritt er so sicher wie auf einer Straße da hin. Ihre Blicke verfolgten ihn, und plötzlich fühlte sie, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Irgend etwas in seiner Haltung erinnerte sie an den, der sich immer wieder in ihre Gedanken drängte. Ein Freudenschauer durch bebte sie. Mit blitzenden Augen und glühendem Gesicht beob achtete sie seine Bewegungen. Sie ahnte es nicht, daß auch der Fremde, der da so festen Schrittes dem Sturme Trotz bot, sich in einer fast gleichen Verfassung wie sie befand. Ohne Ahnung von der heimlichen Beobachtung, den seine Ähnlichkeit nut einem anderen heraufbeschworen hatte, versuchte auch er Gedanken zu verbannen, die ihn peinigten und quälten, kämpfte auch er machtlos siegen die allgewaltige, alles beherrschende Königin — Liebe. Der Sturm raste die ganze Nacht. Der Morgen fand sämtliche Mainwarings auf der „Verlustliste", wie Fräu- lein Carleton es nannte. Sie selbst war als letzte im Kampfe endlich auch dem grauen Elend erlegen. Sie verbrachte den Tag mit traurigen Gedanken, und als sich mit Eintritt der Dunkelheit der Sturm etwas ge legt hatte, beschloß sie, auf Deck Erfrischung zu suchen. Sie wollte auf ihr Plätzchen vom Abend zuvor und ge langte auch ohne Schwierigkeit dahin, wenige Augenblicke später aber zwang erneutes Unbehagen sie zur Rückkehr. Während sie sich seufzend erhob, bemerkte sie den Frem- den. genau wie gestern angetan; er kam vom vorderen Teile des Decks herab. Sie wußte nicht recht warum, aber sein elastischer, freier Gang, der ibn von den Tücken des Meeres noch völlig unberührt erscheinen ließ, rief in ihr eine Art Erbitterung gegen ihn hervor. Schwall), wie sic war schleppte sic sich lanasain zu der nach unten führenden Treppe: aber gerade als sic diese betreten wollte, neigte sich das Schstf so stark zur Seite, daß sic ousglitt und unfehl bar gefallen wäre, wenn sie nicht in demselben Augenblick ein paar kräftige Arm« umfaßt und «mvorgehob«n hätten Mit einem leisen Aufschrei wandte sie den Kopf, um zu sehen, wer sie hielt. Sie dachte, es würde Wohl ein Schiffs offizier sein; ein kurzer Blick belehrte sie aber, daß sie in den Armen des Mannes mit der beinahe über die Ohren gezogenen Mütze und dem heraufgeschlagenen Rockkragen lag. Als sie bei dieser Entdeckung ihr Gesicht schnell wieder abkehrte und dabei Licht darauf siel, hörte sie den unterdrückten Ausruf: „Himmel, kann es möglich sein?" Bei diesem Tone zuckte sie förmlich zusammen; ge spannt lauschte sie, ob er noch mehr sprechen würde. Das geschah nicht, dagegen entging es ihr nicht, mit welcher fast zärtlichen Sorgfalt er sie die Treppe hinuntertrug und der Stewardeß übergab. Bei den wenigen Worten, die er hierbei sprach, klang seine Stimme verändert. Während der folgenden vierundzwanzig Stunden, in denen Fräulein Carleton krank auf ihrem Lager lag, be herrschte sie fast ausschließlich der Gedanke, wer der Passagier sei. Ihre Neugier wurde nur insoweit befrie digt, als man ihr sagte, daß es ein allein reisender, augenscheinlich reicher Herr sei, der außer einem eng- lischen Offizier keinen Bekannten an Bord zu haben scheine. Sie beschloß, ihn: bei nächster Gelegenheit für seine Hülfe zu danken, zumal er, wie sie vernahm, mehr- mals Erkundigungen über ihr Befinden hatte einziehen lassen. Sonntag nachmittag, an dem vierten Tage der Fahrt, hörte der Sturm auf, und das Wetter begann sich Lieder zu klären. Zwar noch etwas blaß, aber sonst völlig her gestellt, ging Fräulem Carleton auf Deck, um Luft zu schöpfen. Sie fand das Promenadedeck belebt von Passagieren, ihre suchenden Augen konnten aber zunächst nichts von dem Gegenstände ihrer Neugierde entdecken. Endlich sah sie ihn in kurzer Entfernung in Unterhaltung mit dem großen dunkeläugigen Manne, mit dem Herr Merrick geiprochen hatte. Er war diesmal nicht so ver mummt wie während deS Sturmes, und auf der Stelle erkannte sie ietzt das edle, in seiner Schönheit fast klassische Profil des Sekretärs. Ihr Herz begann heftig zu schlagcn. Sie fühlte ein Beben der Freude, dabei aber auch den Stick> den sie vor wenigen Tagen bei der Nach- richt-vzn- Fortgehen «mpfunden hatte. Einen I Augenblick war sie unschlüssig, was sie tun sollte, dann I aber sagte sie sich: „Ich will ihm wenigstens danken. Ich bin doch kein liebesieches Bauernmädchen, das ihre Gedanken zur Schau trägt!" Damit schritt sie ruhig auf ihn zu. Schon hatte sie ihn unbemerkt fast erreicht, als ein junger englischer Marineoffizier an ihn herantrat, ihm vertraulich auf die Schulter klopfte und rief: „Nun, Mainwaring, mein Junge, du hast dir deine alten Seebeine gut erhalten!" Der große Mann mit den dunklen Augen entfernte sich, und Fräulein Carleton kehrte, völlig verblüfft, lang sam um. — Mainwaring! — Was bedeutete das? — Ganz deutlich war der Name an ihr Ohr geklungen, und er hatte ihn als etwas Selbstverständliches hingenommen. Ruhig und heiter hatte er darauf erwidert, als ob er nie einen anderen Namen getragen hätte. Was sollte sie ietzt denken? — Die muntere Stimme des Kapitäns ent- riß sie ihrem Sinnen. „Ah, Fräulein Carleton, freue mich. Sie zu sehen! Gratuliere zur schnellen Genesung. Wie befinden sich die anderen Damen? Wie geht's meinem alten Freund Thornton?" Heiter plaudernd, spazierten sie ein paarmal hin und her, dann blieb sie auf einmal stehen und sagte, dem herzgewinnenden, von fröhlicher Laune übcrsprudclndcn alten Seebären ins Gesicht blickend: „Herr Kapitän, ich möchte Sie um etwas bitten." „Schießen Sie los, mein liebes, junges Fräulein; be willigt, alles im voraus bewilligt, bis auf die Hälfte meines Königreiches!" „Ich wollte gern die Liste der .Kajütenpassagiere sehen." „Aha!" Ein schalkhaft blinzelnder Blick lachte aus den von buschigen Brauen überschatteten lustigen Augen. „Begreife, begreife. Begierig, zu erfahren, ob ein bc sonders lieber Freund an Bord ist. Sprach mich schon neulich abends jemand an. der nach Ihnen fragte." (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite