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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.04.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-04-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040423022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904042302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904042302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-04
- Tag1904-04-23
- Monat1904-04
- Jahr1904
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Anzeigen-Preis die 6gespaltcne Petitzelle 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 -H, nach den Familicnnach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zissernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 -H. Extra-Veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. rlnnahnikschltttz sür Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Palz in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Kltnkhardt). Nr. 2««. Sonnabend den 23. April 1904. 98. Jahrgang. Var Wichtigste vom Lage. * Die sächsische Regierung weist in einem Bericht an die Finanzdeputation nach, daß die Vor- würfe des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Hue bezüglich der sanitären Verhältnisse beim sächsischen Bergbau unzutreffend sind. * Der Kaiser ist heute früh 5 Uhr von Gallipoli nach Bari abgefahren. Das Gerücht von einem Besuch des Kaisers inAbbazia taucht aufs neue auf. * Nach der englischen Wochenschrift „Truth" hat König Eduard beschlossen, dem König Georg von Sachfen den Hosenbandorden zu verleihen. * Zu der Nachricht, Deutschland habe z u Gunsten Rußlands auf die Ablieferung Schichau scher Torpedoboote verzichtet, wird an zu- ständiger Stelle erklärt, daß wir abnehmen, was w i r b e st e l l e n. ver Seamteaaurrtancl ii» Ungarn. „Alle Näder stehen still, wenn dein starker Arm es will!" Das kraftbewußte Wort hat sich noch niemals in wirklich großem Mas,stabe verwirklicht. Alle Aus- stände beschränkten sich bisher auf ein einzelnes Gewerbe und auf eine relativ eng begrenzte Oertlichkeit. Und auch innerhalb des Streikgebietes blieben die Arbeiter fast niemals eine festgeschlossene Macht. Der Streik der Eisenbahnbediensteten in Ungarn bietet in manchen Zügen ein anderes Bild. Sämtliche im Dienst der Eiscn- bahnverwaltung Angestellte erklärcn.fich in ganz Ungarn solidarisch und der Streik erhielt dadurch einen ganz be sonderen, wahrhaft sensationellen Charakter, daß nicht nur Arbeiter, sondern auch Beamte sich an ihni tätig und leitend beteiligen. Im Beamtentum erblickt der Staat überall eine seiner festesten Stützen ... „auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht". Es gibt zu denken, wenn Hunderte, vielleicht Tausende von Beamten ihre beschworene Dienstpflicht verletzen, um von der Re gierung eine Gehaltserhöhung zu erpressen. Wir glauben es, daß die Besoldung, die seit dreißig Jahren nicht ver bessert worden ist, ungenügend war; es mag sein, das; die Gehaltsverbesserung, die Graf Tisza dem Reichstag vorlegte, selbst bescheidenen Forderungen nicht genügen konnte; endlich sei zugegeben, daß der Handelsminister vielleicht mit ein wenig Entgegenkommen dem Schlimm sten vorgebeugt hätte: alles des erklärt das psychologische Rätsel noch nicht, wie so viele sicherlich gewissenhafte und ehrliebende Männer so rücksichtslos und scheinbar leicht herzig über das Hindernis des Diensteides Hinweg schreiten konnten. Auch die Bevölkerung urteilt merk- würdig nachsichtig über den Vorgang, dec doch öffentliche und private Interessen schwer genug schädigt und einen höchst bedenklichen Präcedenzfall zu schaffen droht. Man denke: ein Stand, der durch Gelöbnis verpflichtet ist, die staatlichen Interessen zu schirmen, setzt sich mit eineni brutalen Gewaltakt über jede Verpflichtung hin- weg, uni einen materiellen Vorteil zu erringen! Dec Staat, die Allgemeinheit, das große Ganze, das sind den ausständigen Beamten nur leere Abstraktionen, windige Phrasen; sie folgen nur ihrem Standesinteresse, ohne im mindesten nach den Konsequenzen zu fragen, die ihr Be ginnen für das Vaterland haben kann. Niemand wird uns der Schwarzseherei zeihen können, wenn wir eine derartige Dienstauffassung und Staats- anschauung eines ganzen Standes für äußerst gefährlich halten. Unwillkürlich fragen wir, wie sie überhaupt ent stehen konnte. Und da stellt sich die Antwort ganz von selbst ein, daß hier außer den oben angeführten Ursachen nicht zum wenigsten die politische Mode der letzten Jahre, die Obstruktion, als ein bestimmender Faktor be trachtet werden muß. Da hat das ganze Volk erlebt, wie eine Minderheit über ein Jahr lang das Parlament tyran nisierte, wie die Steuererhebung eingestellt, das Rekruten kontingent verweigert, die Gesetzgebung lahmgelegt wurde. Der Staat wurde als qumititö nörrllseablc, das Parteiprogramm als das einzig Wichtige behandelt. Und dieseTaktikhatteErfolg. Der Gedarike der nationalen Armee, den man ursprünglich nur schüchtern anzudeuten wagte, wuchs und schwoll; der eine suggerierte ihn dem andern, und die Krone wich Schritt vor Schritt zurück, bis endlich Tisza die „Harmonie" zwischen König und Volk wieder herstellte. Ter politische Laie sieht die Gründe nicht, die Ungarn das Uebergewicht in dem komplizierten dualistischen Verhältnis verbürgen, er sicht nur das eine: ein Häuflein zäher und skrupelloser Politiker Hot alles in allem seinen Willen durchgesctzt. Dieser Erfolg hat Schule gemacht, die parlamentarische Taktik ist eben auf das ökonomische Gebiet übertragen worden. Und wie, wenn nun wirklich die Gehaltsvorlage der Regierung modi fiziert würde, wenn der Ausstand einen realen Erfolg er- zielte? Tas wäre ein Ereignis, das weit über die Grenzen Ungarns hinausgreifen würde, und wir stehen nicht an, zu sagen: es ist geradezu ein wichtiges inter nationales Interesse, daß die ungarische Ne gierung fest bleibt, daß sie die Ausständigen niederzwingt und daß die Vorlage in keinem Punkte abgeändert wird. Dieser Streik muß unter allen Umständen erfolglos bleiben und mit einer vollständigen Niederlage der An greifer enden. Die Gebote der Menschlichkeit sollen nicht mißachtet werden und die Regierung mag denjenigen, die zu ihrer Pflicht zurückkehren, verzeihen, aber nicht mehr! Nicht um einen Fuß breit darf sie zurückweichen, wenn nicht hier ein Präzedenzfall geschaffen werden soll, ver nicht allein für Ungarn die schwersten Folgen zeitigen würde. Ueber den weiteren Verlauf des Ausstandes liegen folgende neue Meldungen vor. Pest, 22. April. Ministerpräsident Graf Tisza hat die Entgegennahme eines Memorandums der ausständigen Bahnbeamten abgelehnt. Die Zahl der heute von Pest abgegangenen Züge beträgt vier gegen 50—60 Züge, die sonst von Pest abgelassen werden. Die Züge werden durch Soldaten des Eisenbahnregiments und durch Beamte der Zentralverwaltung bedient. Auf den Stationen wird der Dienst durch die Stationsvor steher versehen. In Pest ist eine ziemlich rasche Steige rung der Lebensmittel eingetreten. Die Regierung hofft, bei längerem Andauern des Ausstandes in 4—6 Wochen eine Neuorganisieruug des Betriebes durch Anwerbung neuen Personals vollständig durchführen zu können, wo bei auch darauf gerechnet wird, das; von einem großen Bruchteil des Personals die weitere Beteiligung am Aus stande aufgegeben wird. Ungefähr 30000 Be amte, Unterbeamte und Eifenbahnarbeitcr nehmen an dem Ausstande nicht teil. Die Aussichten auf Beilegung des Streikes sind sehr gering, da die Streikenden auf ungesäumter Erfüllung der Gesamtforderungen beharren. Die Abgeordneten Vorös und Vassonyi haben ihre Ver- mittlertätigkeit eingestellt. ver rusrstch-japanirche strieg. Russischer Kun-schafterdieusi an, Jal«. Ein Telegramm des Statthalters Alexejew von heute lautet: Eine Reihe von Kund schafterritten am Jalu hat ergeben, daß die Japaner nörd- lich von Widschu bedeutende Streitkräfte bei Diwissi zu- jaminestgezogen, sowie begonnen haben, Truppen m Widschu zu vereinigen. Die dortige koreanische Be völkerung ist gezwungen worden, die Stadt zu räumen. Es ist eine Meldung eingegangen, wonach die Japaner Frachten, die Pontons ähnlich waren, befördert haben. Gegenüber Matche wurden auf einer Insel von unseren Freiwilligen zwei japanische Kundschafter getötet; einer ist anscheinend ein Offizier. Auf der rechten Flanke führten unsere Freiwilligen mehrere Tage laug eine kühne Kund- schafterfahrt am linken Jalnufer aus. Durch diese ist festgestellt worden, daß südlich vom Pomahuhafluß wenig Truppen stehen, die Japaner dort aber mit der Her stellung von Booten beschäftigt sind. Ein aus zwei Offi zieren und 32 Mann bestehendes russisches Kommando hat sich in drei Booten dorthin begeben, wurde aber be- merkt und verlor in einem Gefecht drei Schützen. Schwer verwundet wurden Stabskapitän Smeitzin und elf Schützen. Leutnant Puschkin und vier Schützen wur den leicht verwundet. Unter der Deckung des Feuers von zwei unserer Geschütze kehrte das Kommando auf unser Ufer zurück. Besitzt die japanische Llette Unterseeboote? Aus London wird gemeldet: Trotz der Erklärung des hiesigen japanischen Marineattaches, daß die ja panische Kriegsflotte weder vor Port Arthur Untersee boote verwendet habe, noch solche überhaupt besitze, be hauptet mau hier in Marinekreisen, daß Japan schon mehrere Monate vor Ausbruch des Krieges in Unter handlung wegen Ankaufs von Unterseebooten gestanden bat. Wenn daher auch bei dem letzten Kampfe vor Port Arthur noch kein Unterseeboot von japanischer Seite ver wendet worden sei, so dürfe man doch darauf rechnen, daß bei späteren Kämpfen derartige Boote auftreten würden. ver Humana aer Herero. Die militärische Lage. Glasenapp hat in oder bei Onjatu Halt gemacht und dort eine Beobachtungsstelle eingenommen. Aus der bis zum 15. d. M. ruhigen und gesicherten Lage dieser Abteilung geht zweierlei zweifellos hervor, einmal, daß die von ihr bei Okaharui geschlagenen und bis Onjatu verfolgten Herero nicht von neuem Halt gemacht, sondern ihren Rückzug in nördlicher Richtung, wohl auf Water berg, fortgesetzt haben, und zum andern, daß nach dem Gefecht bei Onjankira weitere Bewegungen des dortigen Gegners in nördlicher Richtung augenscheinlich nicht er folgt sind. Es scheint also ein Stillstand auch in den Operationen der Herero eingetreten zu sein. Vielleicht und wahrscheinlich erklärt sich diese Lage aus dem Umstande, daß sie einem von Oberst Leutwern beabsichtigten Umgehungsmarsch gegenüber eine ab wartende Haltung einnehmen, oder es erscheinen ihnen ihre jetzigen Stellungen in der Linie Okatumba-Katjapia und bei Oviumbo so stark, daß sie diese nicht ohne Not verlassen wollen. * Postverbindung. Die nächste Postverbindung für Brief und Paketsendungen nach Swakopmund wird her gestellt durch den planmäßigen Dampfer der Woermann. linie, dessen Abfahrt aus Hamburg für den 30. April in Aussicht genommen ist. Schlußzeiten und Fahrtdauer sind noch nicht sicher bekannt. politische Lagerrcha«. * Lechzt«, 23. April. Das „Recht" auf Entschädigung. Es wird jetzt in der Presse viel erörtert, und gestern hat sogar der Reichstag darüber beraten, ob die An siedler in Südwestafrika ein Recht auf Entschädigung haben. Das ist echt deutsch; bevor etwas geschieht, muß erst die Theorie gründlich festgelegt und jedes Für und Wider geprüft, jedes Haar sorgfältig gespalten sein. Ein Recht auf Entschädigung haben die Ansiedler nur dann, wenn der Regierung nachgewiesen würde, daß sie den Aufstand hätte vermeiden können oder daß sie ihn durch falsche Maßnahmen herbeigeführt habe. Und wer soll über diese Schuldfrage entscheiden? Exakt läßt sie sich niemals beantworten, es kann immer nur ein subjektives Urteil der unzähligen Einzelnen er zielt werden, die die Nation bilden. Wie aber soll dieses Urteil zum Ausdruck gelangen? Ein Volksreferendum haben wir nicht und Neuwahlen für den Reichstag unter der entsprechenden Wahlparole werden wir schwerlich er- leben. Man sieht, wie unfruchtbar rein juristische Auf- fassung in diesem Falle ist. Darüber, daß das Billihkeits- gefühl für die Gewährung der Entschädigungen, nicht von „Darlehn", spricht, kann wohl kein Zweifel sein. Vor allem aber vermissen wir die Betonung des poli- Feuilleton. 2k) Das Testament des Laukiers. Roman von A. M. Barbour. Nachdruck verboten. „Nun treten Sie einmal näher", fuhr der Vorsitzende fort, indem er dem Zeugen das Testament hinhielt. „Sehen Sie sich die Unterschriften genau an. Können Sie eidlich erhärten, daß dies die Unterschrift Ihres ehe maligen Herrn und die der anderen beiden Unterzeichner ist?" Wilson prüfte einen Augenblick aufmerksam die Schriftzüge, dann sagte er fest und bestimmt: „Ich will beschwören, daß dies die Unterschrift Herrn Mainwarings ist, obwohl sie mit zitternder Hand geschrieebn ist und dadurch etwas unsicher aussieht. Ebenso erkenne ich genau die Unterschrift Herrn Butlers. Selbst der Klecks bei seinem Namen ist Mir nicht unbekannt, da Herr Butler sich ärgerte, ihn gemacht zu haben. Die Unterschrift Hob- wnS dagegen ist mir fremd, weil ich ein Schriftstück von ihm nie gesehen habe, indessen", fügte der Alte mit schlauem Lächeln hinzu, „da sein Name dieselbe Hand-, schrift zeigt, wie sein Testament, daß er vor meinen Augen schrieb und unterzeichnete, wird es wohl auch mit seiner Unterschrift volle Richtigkeit haben." „Sie wollen also beschwören, daß dies — seinem In halt und seinen Unterschriften nach — dasselbe Testament ist, das in jener Nacht aufgesetzt wurde?" „Mit gutem Gewissen." „Haben Sie zu irgend jemand von dem Testament ge- sprockxm?" „Nur zu meinem Sohne. Ich wagte es nicht, Herrn Hugh nach seinem Bruder zu fragen. Nachdem ich durch den Tod des alten Herrn meine Stellung verloren hatte, erhielt ich eine Wohnung im Ort und hoffte immer auf die Heimkehr Herrn Harolds, denn ich dachte doch, daß er be nachrichtigt werden würde. Ihm hätte ich alles erzählt, was sich in seiner Abwesenheit zugetragen hatte. Als dann aber die Nachricht kam, daß er umgekommen wäre, da hielt ich es für unnütz, darüber zu reden, und erst wie der junge Herr plötzlich kam, erzählte ich ihm alles." Wilson wurde nun entlassen und Hobson aufgerufen. „Herr Zeuge", fuhr der Vorsitzende nach den General fragen fort, „haben Sic in der Nacht vom 17. zum 18. Noveyiber 18 .. das Testament des Herrn Ralph Maxwell Mainwaring ausgenommen?" Hobson tat, als ob er sich erst besinnen müßte. „Hm — es ist mir so." „Antworten Sie gefälligst bestimmt. Ja oder nein?" „Nun denn — ja." „Hatten Sie Kenntnis, daß das Testament noch existierte?" „Kenntnis?" wiederholte er langsam. „Nein. Nur unsichere Vermutungen." „Aber Sie erinnern sich noch an seine Form, die Aus- drücke und Bestimmungen?" ' „Ganz deutlich." „Sie bestätigen also die Richtigkeit des von mir ver lesenen Testaments?" Hobson merkte, daß er sich verfahren hatte. Er suchte nach einem Ausweg, zauderte, zuckte mit den Achseln und stotterte endlich: „Nach so viel Jahren —" „Aber", warf Sutherland schnell ein, „Sic erklärten doch soeben, Sie erinnerten sich ganz deutlich." „Nun ja, indessen kann ich trotzdem nur sagen — ich glaube, daß das vorgelesenc Testament der Form nach dem damals aufgestellten entsprechen kann." „Gut", fuhr der Vorsitzende fort, „dieser Zweifel läßt sich ja augenblicklich beheben, wenn Sie Ihre Handschrift und Namensunterschrift anerkennen. Treten Sie heran." Der Vorsitzende breitete das Dokument vor sich aus und ließ den Zeugen hineinblicken. Dieser setzte sich die Brille auf und prüfte bedächtig. Nach einer Weile sagte er langsam: „Ja, allerdings, meine Handschrift scheint es zu sein, beschwören aber kann ich es nicht, da sie so veränderlich ist, daß ich es schon ost schwierig fand, sie eidlich zu erhärten." „Vielleicht", fi^l hier Herr Barton mit leisem Spott ein, „vielleicht bin ich in der Lage, dem Zeugen behülflich sein zu können; ich besitze zufällig einige Schriftstücke von seiner Hand, die ungefähr aus derselben Zeit wie das Testament stammen." Damit überreichte er dem Vorsitzenden ein Päckchen mit dem Hinzufügen: „Ein Vergleich der Handschrift dieser Papiere mit der des Testaments wird den Beweis liefern, daß es dieselbe Hand war, die dies schrieb." Das Nichterkollegium überzeugte sich davon, und auch Hobson ließ sein Zugeständnis erkennen, da ein kurzer Blick in die Schriftstücke ihn in die größte Bestürzung ver setzte." „Geben Sie zu, diese Briefe geschrieben zu haben?" fragte der Richter. „Ja", antwortete Hobson stumpf. „Und Sie erkennen damit das vorliegende Testament als dasjenige an, das Ihnen Ralph Maxwell Main waring in der Nacht vor seinem Tode diktierte?" „Ich glaube, keinen Anstand mehr nehmen zu dürfen." „Warum wurde das Testainent nicht bald nach Herrn Mainwarings Begräbnis veröffentlicht?" , „Am Tage nach seinem Tode yab ich es seinem Sohn, Hugh Mainwaring, auf dessen Bitte zur Aufbewahrung. Später deutete er mir bei Gelegenheit an, daß es ihm ab- Händen gekommen sei." „Und gleichzeitig erkaufte er Ihr Schweigen über das Testament. Nicht wahr?" „Tas kann sein", antwortete der Zeuge in dem ver zweifelten Ton eines überführten Verbrechers. „Gut. Kehren Sie wieder auf Ihren Platz zurück." Eine kurze Pause folgte, in der die Advokaten sich mit- einander berieten, und die Zuhörerschaft in unterdrückter Aufregung leise untereinander zischelte, dann rief der Vorsitzende: „Harold Skott Mainwaring!" Eine Totenstille legte sich auf den Saal. Diese wurde jedoch sogleich durch ein allgemeines Gemurmel und leise Laute des Staunens unterbrochen, als, dem Aufruf folgend, der Privatsekretär sich erhob und nach dem Richtertische schritt. Wohl erreichten einige Bemerkungen sein Ohr, doch er schien sie nicht zu hören. Kalt und gleichgültig trat er dem Vorsitzenden gegenüber. Niemand konnte unter dieser Maske die Aufregung entdecken, die in ihm herrschte. Selbst die verwunder ten, neugierigen, ungläubigen Blicke des Publikums, das spöttische Lächeln von Frau La Grange und das höhnische Naserümpfen Ralph Mainwarings ver mochten nicht, ihm die äußere Ruhe zu rauben. Nur einen Moment nahm sein Gesicht den Ausdruck von Spannung an. Wie ein Pfeil, der nach seinem Ziele fliegt, so schoß sein Blick nach Hugh. Ihre Augen fanden und begegneten sich in derselben Erinnerung — in dem Gedanken an die sternhelle Nacht in Schöneiche, wo sie auf dem Balkon einander die Freundeshand reichten. Nur ein kurzer Blick, den sie tauschten, aber genügend für das gegenseitige Verständnis. Harold wußte jetzt, daß Hughs damalige Abschiedsworte: „Ich bin dein Freund, Skott, und was auch geschehen möge, du kannst auf mich zählen", ihm von neuem mit unverminderter Wärme zugerufen worden waren. Mit Beginn der Vereidigung trat wieder lautlose Stille ein, und selbst den sonst fast unbeachteten General fragen lauschte alles mit atemloser Spannung. „Wo sind Sie geboren?" „In Melbourne, Australien." „Wie erlangten Sie Kenntnis von dem von Ihnen vorgelegten Testament?" „Vor etwa sechs Jahren von James Wilson. Er erzählte mir, daß er dabei gewesen sei, als mein Groß- Vater es einige Stunden vor seinem Tode machte. Dann, vor etwas mehr als einem Jahre, entdeckte ich unter Privatpapieren des verstorbenen Hugh Mainwaring eine Notiz, die mir die Ueberzeugung brachte, daß das Testament noch in seinem Besitze sein müsse, und am 7. Juli, dem Tage seines Todes, fand ich es." „Fanden Sie es nur zufällig oder haben Sie eigens darnach gesucht?" „Ich babe darnach gesucht. Ich tat das von dem Augenblick an, wo ich die Notiz Hugh Mainwarings entdeckt hatte." „Stellten Sie nicht infolge der Ihnen von James Wilson gemachten Mitteilungen bald Nachforschungen über den Verbleib des Testaments an?" „Nicht direkt. Zu dieser Zeit hatte ich mich eben erst auf der Universität Oxford immatrikulieren lassen. Die nächsten vier Jahre war ich daher von meinen Studien völlig in Anspruch genommen. Indessen ließ ich keine Gelegenheit vorübergehen. Näheres über die Persönlichkeiten und das Leben Hugh Mainwarings und Hodsons in Erfahrung zu bringen. Erst nach Be endigung meiner Studien machte ich cs mir zur Lebens aufgabe, nach dem Testament zu forschen, das; an meinem Vater und an mir verübte Verbrechen anfzudeckcn und die Ansprüche auf das mir betrügerischerweise entzogene
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