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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040520028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904052002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904052002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-05
- Tag1904-05-20
- Monat1904-05
- Jahr1904
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Nirtodi«» F«r. Io li sr »r»t «>o- mr «iiw U>, «LL- ordotmu» t ttit« «aoo a loso <1 Sr»t »a Lr, 8—. a»»- «pv». : o-ü. vezugS-PreiS t» b« Houptrlpedttio» »der der« Nusaade- stell« ad geholt: vtrrtrliShrlich S.—, bet zweimaliger täglicher Kastel laug in« Hau» -4 L7L. Durch di» Post bezöge» für Deutsch- laud u. Oesterreich vierteljährlich 4.K0, für die ädrig« Länder laut Zeitvnqspreislist«. Redattton: Johauuisgasse 8. Sprechstunde: ö—6 Uhr Rachm. Fernsprecher: 1b» Erpedttton: Johaunl-gass» st. Ferusprecher: LL2 FiltalexpedMon«: Llfred Hahn.Buchdundlg, Unt»erfi1S1«str.3 Aernspr. Str. 4046^ L Lüsche, statharin«- straße 14 tFerusprecher Sir ÄLb- u. Lünigs» platz 7 ! Fernsprecher Nr. 7K0S). Haupt-Ktttale Dresden. Marienstroß« 84 < Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Hanpt-Ftltale Berit«: LarlDnncker, tzerzgI.Bayr.tzostuchdandla^ Lützowstraße 1O(F«rnsprrcherAmtvINr.46O3.) Nr. W. Abend-Ausgabe. LciMger Tageblatt Anzeiger. Ämtsvlatt -es LtSniglichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates und -es Nokizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Freitag den 26. Mai 1904. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem Redattion-strich (4gespalten) 7V nach den Familieunach- richten <6 gespalten) SO Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme 2S Extra-Vetlagea «gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poftbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschlutz mr Anzetgru: Sbend-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabr: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet« au dir Exprdttioo zu richt«. Die Expedition ist wochentags ununterbrocheu geöffnet von früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck nnd Berlaa von E. Pol» tu Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Lltnkhardt). 98. Jahrgang. Var wichtigrte vo» rage. * Kaiser Wilhelm spendete der Päda ¬ gogischen Zentralbibliothek in Leipzig zum Bau ihres Bibliothekaebäudes einen Reichs- beitrag von 10 000 (S. Leipziger Angelegenheiten.) * Eine Deutsche, Schiffahrtsausstel lung soll auf Anregung des Vereins deutscher Schiffs- Wersten 1905 in Düsseldorf abgehalten werden. * Die deutsche Flottendemonstration gegen Haiti ist beendet. * PrinzAdalbertvonPreußen weilte vor- gestern und gestern inTientsin. (S. Dtsch. Reich.) Ci« rurrircber Urteil. In der vorigen Woche wurde zu Petersburg über den Privatdozenten Anitschkow und die Schriftstellerin Bor- mann das Urteil gefällt. Die Angeklagten hatten die Stuttgarter „Oswobosckdenie" aus Finnland über die russische Grenze gebracht. Der Anwalt bat die Richter, sie möchten die Angeklagten nur mit derselben Strenge beurteilen, wie etwa Diebe und Räuber, dann sei er der Freisprechung sicher. Das Urteil ist aber äußerst hart ausgefallen. Anitschkow hat drei Jahre Zuchthaus, Frau Bormann — eine an Gelenkentzündung erkrankte Frau— zweieinhalb Jahre Gefängnis erhalten. Bemerkenswert ist noch, wie die „Vossische Zeitung" meldet, daß ein be sonderer Erlaß deS Zaren notwendig war, um das ge richtliche Verfahren möglich zu machen. Unseres Wissens vertritt das Stuttgarter Blatt ledig lich den Standpunkt der Derfassungsfreunde. Von einer revolutionären oder anarchistischen Tendenz kann nicht die Rede sein. Ein Blatt mit solcher Richtung würde ja in Deutschland nicht geduldet werden und im Deutschland unserer Tage weniger als je. Die Angeklagten haben also kein anderes Verbrechen begangen, als daß sie eine Anschauung propagierten, die in Rußland von Tausenden von Gebildeten geteilt wird und die zeitweilig von dem Träger der Krone geteilt wurde, wenngleich die liberalen Grundsätze sich noch nicht in die Promis umgesetzt haben. Wir möchten dieses Urteil mit den ängstlichen Warnungen des Reichskanzlers, die russische Empfindlichkeit zu schonen, in Beziehung bringen. Es ist für deutsche Blätter, die mehr sein wollen als ein Sprachrohr, völlig unmöglich, derartige Vorfälle mit Stillschweigen zu über gehen, denn abgesehen davon, daß die Menschlichkeit zwingt, gegen ein Urteil von solcher Härte zu protestieren, so werden ja nicht nur die Angeklagten, sondern auch die Prinzipien, die sie vertreten, verdammt. Diese Prin- zipien aber sind uns heilig. Auf sie haben unsere Fiirsten den Eid abgelegt und auf ihnen basiert die Wohlfahrt des Vaterlandes, daß nur dadurch zu seiner jetzigen Größe gediehen ist, daß einsichtige Herrscher und weit- Des Pfingstfestes wegen wird am 2. Feiertag (Montag) das „Leipziger Tageblatt" nicht erscheinen; die nächste Nummer nach dem Feste am 2. Feiertage (Dienstag). Für die Festtage (Sonntag und Montag) bestimmte Inserate muffen daher für die pfingstnummer rechtzeitig aufgegeben werden, spätestens bis Sonnabend nachmittags 3'/» Uhr. Vergnüguiigranzeigeir oder grstzere Geschästsenipfehlungen erbitten wir möglichst bis mittags (2 Uhr, da sonst für eine zweckmäßige Plazierung keine Garantie übernommen werden kann. Inserate für die Dienstagsnummer werden bis Sonnabend abends 7 Uhr in unserer Hauptexpedition, Johannisgasse Nr. 8, angenommen. Die Ofingftnrrniiner liegt volle zwei Tage arrf und ist daher für Insertionen besonders wirksam. blickende Staatsmänner die Völker, die erwachsen waren, auch rechtzeitig mündig sprachen. Wir sind davon über- zeugt, daß auch für Rußland dieser Weg der einzig heil same und richtige ist, wenn wir auch nicht wünschen möchten, daß dort ein jäher Uebergang von dem heutigen Regierungssystem zum Konstitutionalismus erfolgte. Rußland mag. langsam von Etappe zu Etappe vorwärts schreiten, aber diese Notwendigkeit muß prinzipiell aner kannt werden und diejenigen, die sie literarisch verfechten, dürfen nicht gleich schweren Verbrechern in den Kerker geworfen werden. Auch die Erwägungen der sogenannten großen Politik nötigen uns, in diesem Sinne zu sprechen. Die Konstel lation Europas spricht in vieler Hinsicht für einen engeren Zusammenschluß mit Rußland, aber ein Bündnis zwi- schen Deutschland und Rußland ist unmöglich, so lange die russische Regierung nicht mit einem Tropfen liberalen Oeles gesalbt ist. Eine gewisse Gleichartigkeit der Re gierungsmaximen ist doch immerhin unentbehrlich. Frei- lich ließe sich diese Gleichartigkeit ja auch leicht erzielen, wenn wir uns entschlössen, im Sinne der Konservativen innere Politik zu treiben. Wenn wir rückwärts gingen, so wäre es freilich nicht nötig, daß Rußland vorwärts gehe. Aber das deutsche Volk wird in seiner Mehrheit schwerlich geneigt sein, sich den Krebsgang anzugewöhnen. ver st«frta«ä Oer Herero. Donnerstag abend fuhr von Berlin ein von Major v. Redern geführter Äerstärkungstransport für Süd westafrika ab, der aus den Feldverwaltungsbehörden und Etappenkommandos, ungefähr 75 Offizieren und 500 Mann besteht. Zur Verabschiedung waren er schienen der Kronprinz, die Generalobersten v. Hahnke und v. Schlieffen, sowie das Offizierkorps des 2. Garde regiments. Die Darlehen «nd Verhülfen. Die „Deutschen Stimmen" verweisen darauf, daß der Almosenbeschluß des Reichstages infolge der Ver handlungen während der dritten Lesung des Etats eine andere Deutung erhalten hat, als nach dem Kommis- sionsbeschluß zu erwarten war. Sie schreiben: Die Dudgetkommission hatte, immer mit Mehrheit von Zentrum und Sozialdemokratie, eine Zweckbestimmung geformt, die geradezu Anstoß erregen mußte. „Zu Darlehen an Ge schädigte und zu Beihülfen an Bedürftige" sollten die zwei Millionen bewilligt werden, und die Regierung sowohl als die klerikal-sozialdemokratische Mehrheit hatten die Sache so be handelt, als ob mehr als diese Dumme überhaupt nicht zu er warten wäre. Der Not- und Entrüstungsschrei der Ansiedler selbst hat schon di« rechte Antwort darauf gegeben. Nun be antragten die Nationalliberalen mit der Rechten, wenigsten» die Worte „an Bedürftige" zu streichen, und verlangten von der Regierung, daß sie den Ansiedlern gleichzeitig Trost ge währe, indem sie sich bereit erklärte, dem etwaigen dringenden Bedürfnis entsprechend weitere Bewilligungen vom Reichstage zu verlangen. Die anstößigen Worte sind zwar vom Zentrum und von der freisinnigen und sozialdemokratischen Linken auf recht erhalten worden. Ihren demütigenden Charakter behält also leider jede Beihülfe, die als solche, nicht zunächst al» „Darlehen" gewährt wird. Aber nur in der Form hat daS Zentrum seinen Willen behalten, in der «Sache hat eS sich weit sehr weit zurückgezogen. Herr Gröber hat sich im voraus damit einverstanden erklärt, daß die Darlehen zunächst als zinslose und für lange Frist gegeben werden und daß die Regierung . nach Prüfung der Verhältnisse von Fall zu Fall auf die Rück forderung der Darlehen verzichtet. Wenn die „regierende" Partei dazu im voraus ihren Segen gibt, braucht die Regie rung „Beihülfen an Bedürftige" überhaupt nicht zu leisten, sie kann zunächst das ganze Geld in Form von „Darlehen an Geschädigte" hingeben und — warten, bis diese „Geschädigten" um Verzicht auf die Rückforderung nachsuchen. Tie ent würdigende Feststellung, daß ein Geschädigter „bedürftig" ge worden, d. h. aufs Armenrecht angewiesen ist. kann umgangen werden. Der Kolonialdirektor aber hat ausdrücklich erklärt, daß er für seine Person und seine Verwaltung gern bereit ist, die Frage weiteren Bedürfnisses zu prüfen und nach Bedarf mit Forderungen zu Gunsten der „Geschädigten" an den Reichstag heranzutreten. Das mag den Ansiedlern das Ver trauen zum Reiche und die Freude an der Wiederinstandsetzung ihrer Betriebe neu beleben. Wir Deutsche aber brauchen uns nun wenigstens nicht vor aller Welt zu schämen, als führten wir unsere Kvlonialpolitik in Formen, die ebenso gefühllos wären, wie sie die Unternehmungslust auf die Tauer abstoßen müßten. Hoffentlich bebalten die „Deutschen Stimmen" mit dieser Auffassung recht. Der nttttrch-japanirche Krieg. Nirrtsehwang von -en Japanern besetzt. Der Wirrwarr der Nachrichten vom Kriegsschauplätze ist heute so groß/ wie selten, und man tut gut, die vor liegenden Nachrichten mit größter Vorsicht aufzunehmen. Was sich aus dem Wust der einander widersprechenden Depeschen als Kern herausschälen läßt, ist etwa folgen- des: In dem Vormarsch der Japaner, namentlich von Süden her, ist ein augenblickliches Nachlassen einge treten; nach der Meinung russischer Offiziere handelt es sich sogar um eine zeitweilige Rückwärtsbewegung von den Stellungen, die infolge der letzten, anscheinend am 17. Mai beendeten Kämpfe eingenommen worden waren. Den Russen ist die Nachricht zrmegangen, daß die Aapaner sich 14 Meilen von der Stellung Kaitschou zuruckgezogen haben. Jedenfalls handelt es sich dabei um die Maskierung einer anderen Bewegung, über die man wohl in den nächsten Tagen näheres hören wird, denn es darf als sicher angenommen werden, daß die Japaner Riutschwang besetzt haben, während schon drei Feuilleton Tamms Garten. ss Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten Der Unterricht in der französischen Sprache auf dem Gymnasium war nicht danach angetan, zu ihrer münd lichen Anwendung und Nutznießung zu verhelfen, doch gelangten dem jungen Hörer die an sein Ohr klingenden Lätze einigermaßen zum Verständnis, wenigstens ihrer Wortbedeutung nach, wenn er auch in manchen keinen Sinn aufzufoflen vermochte. Zu dem von ihm Be- griffen«» gehörte indes die, Servante müsse die schwarz, haarige Aufwärterin in der Gaststube sein, und sie werde für die Dame das Mittagessen hierher bringen. Aus dieser Vorstellung kam seiner Brust eine Atem bewegung zurück, er wollte nm nichts wieder mit ihr zu sammentreffen, und seine Augen richteten sich unruhvoll auf die Uhr, deren Zeiger bereits wett über die Mittags stunde hinauSwiesen. Leine Aimmergefährtin dagegen hatte bei ihren letzten Dorten die Hand deutend nach dem Stahlstich über dem Sekretär aufgehoben und wiederholte: „Vo^er, woomeur — voici l'emperenr «t «es m»rSciisI<; — moosiour I« wru-sck»! vavonst, (tue ck'^uerstttät — moy- ,ivur le warsckal ä'^ugersu, tiuc <i» 8»ttgliono — moa- „ieur le m»rSeliaI ciao <ie l» dloskM» — monsieur le m^rSckal dlurat. roi <ie kkaple^ — voici le gsoSral — d I'iv^tsnt j ne mo aonvimni P»» ciu nom — le plus de»u <ie ton« le* antre? »u-ckessou'* äe son panacbe, n'e*t-c« pas? — le tavori <ie I'smpersur—" Die Sprechende glitt sich einmal, wie in ihren Ge danken suchend, mit den Fingerspitzen über die Ltirn, wiederholte ..äe I'ems>eieur" und setzte, den Blick von dem Bilde in das Gesicht des neben ihr Stehenden abwendend, hinzu: „Lavor, il revienckr» dieotHt, il a'«n qy'empeeks psnäant quolque tempy —" In» letzte hinein siel mit feintünig - Hellem Klang ein Glockenschlag der Uhr, die halb Eins verkündete, nnd e» überlief Dieter Lindenhoh plötzlich mit unheimlichem Ge fühl. Bon andrer Art war's, als vorhin auf dem Divan des SchäntzimmcrS, -och kaum minder beängstigend. Nicht aus dem Geschichtsunterricht, denn der behandelte einzig Kriege des griechischen und römischen Altertum», aber aus einem Bibliotheksbuch wußte er, daß der Kaiser Napoleon seit Jahren tot sei, auf der Insel St. Helena be graben liege, während die Lippen der Dame mit einem ruhig - gewissen, leicht lächelnden Ton sagten, er sei nur noch für einige Zeit verhindert, doch werde bald zurück kommen. Dazu gesellte sich der eigenartig leis nach zitternde Uhrschlag, als durchklinge er die Stille einer mittägigen Geisterstunde; der Primaner raffte auf einmal seine Besinnung und Willenskraft zusammen, brachte einige abgerissene Worte vom Mund, er müsse nach HauS, seine Mutter warte auf ihn mit dem Essen, und eiligen Schrittes ging er, noch sprechend, der Tür zu. Hinter ihm klang'S: ,F'sn suis kacbö, Monsieur, ich hoffe, daß Sie bald Ihre simable Visite wiederholen; Sie finden mich immer ober moi und ein Besuch bei mir ist ein« Singularitö." Nun befand er sich wieder draußen auf dem kleinen Vorplatz, sein Blick glitt verworren, ohne deutliche Auf fassung, über ein schmales, zuvor von ihm nicht wahr genommenes Porzellanschild, das die Inschrift: „Haron«,!»c Lllenästisim" trug, dann hatte er schnell die gegenüberliegende Tür geöffnet, und diese führte ihn richtig auf den bretteren Korridor und zur Treppe. Hastig lief er die Stufen hinunter und über den Erdgeschoßflur zum AuSgang; hier empfing ihn blendend die mittägige Sonne, ihr Strahlengewoge über das gelbe Gebäude und das gleichfarbige Ahornlaub ausgiehend. In regloser Schweigsamkeit stand da» DäulenhauS wieder vor ihm, er wußte nicht zu bemeffen, vor wie langer Zeit er den Fuß durch die Tür hineingesetzt habe. Im Gefühl lag's ihm, wie nicht am heutigen Tag, und zugleich, al» ob sein Aufenthalt d rin nur ein einbildnerischer Traumspuk im Hellen MtttagSlicht gewesen sei, keine Wirklichkeit. So empfand er's auch noch vor den Augen, die vteltausendmal von ihm begangene Straße iah i-hn wie mit einem fremden Gesichü an, er mutzte sich besinnen, ob ihn die Richtung recht»- oder linkSbin nach HauS bringe. Erst, als von der Sette her Rufe einer Anzahl halbwüchsiger Bauernjungen aufklangen: „Do kummt de Lateiner to Hu»!", geriet's ihm zu sicherer Erkenntnis, datz er sich aus dem richtigen Wege befind«, und zum ersten Male rührte der Anblick de» Dorfe» ihn wie der einer glücklich wieder erreichten, vor ademtKrsetzend gespenstischem Treiben bergenden Heimat an. « * Das Schuljahr ging jetzt zugleich mit dem September zum Ende und die herbstlichen Michaelisferien standen vor der Tür. Für Dieter Ltndenholz aber war damit der Tag gekommen, den er lange als Lichtschein am AuSgang des eintönig - dämmrigen Stollens vor sich gesehen, und an den sein tröstliches TaliSmanwort ihn vorausversetzt gehabt. Auch die Schulfeierlichkeit schloß, der Gym nasiumsrektor händigte den ausschetdenden Primanern ihre Abgangszeugnisse ein, knüpfte für jeden einige lehr reich bedachte und ermahnende Geleitsworte daran. Zu Dieter wandte er sich mit der Kundgebung: „Es ist uns zu Ohren gelangt, daß Sie Verbotenem nachtrachten und vor kurzem ein Haus — ich will mich hier nicht d rüber anslaffen, welcher Art — betreten haben, doch dessen Schwelle, als der einer öffentlichen Wirtschaft, zu über schreiten, Ihnen untersagt war. Dieser Ungehorsam wirst ein betrübsameS Licht auf Ihren Charakter, sonder lich in Anbetracht Ihres Vorhabens, sich dem höchsten Studium der Theologie zu widmen; e» steht zu befürchten, daß Sie nicht geeignet sein werden, alS ein Beispiel christ licher Befolgung göttlicher Gebote auf der Kanzel zu stehen und zu lehren. Hätten wir von diesem Vergehen vor dem Bestehen Ihrer Prüfung Kenntnis erhalten, so würde uns die Pflicht obgelegen haben, zu erforschen, wie weit Ihr Fehltritt sich erstreckt hat, und danach die gebührende Strafe für Sie zu bemeffen. Allein, wir be trachteten Ihr Verhältnis zu unserer Anstalt al» bereit» abgeschloffen, und müssen Die der Führung durch Ihre eigene Moralität überlassen, allerdings mit der sorgen vollen Bekümmernis einer Mutter, deren Auge nicht mehr die Wege eines zur Verirrung geneigten «Sohne» zu überwachen vermag. Doch sind wir unserer Verpflich tung nachgekommen, dem sittlichen Bedenken, da» wir für Ihre Zukunft hegen, in Ihrem Abgangszeugnis «uSbruck zu geben.? Damit überreichte der Rektor dir» dem wortlos, ver dutzt stehenden Abiturienten, auf den, sichtlich al» ein verlorenes ^schöpf, sich die männlichen und weiblichen Augen aller zu der Schulfeier geziemend etngeladenen Gönner und Freunde des Gymnasium»" hinrichteten, und noch wie in halber Betäubung, stand Dieter um etwas nach» her allein draußen auf der Straße. Ihm war verständlich geworden, durch irgend jemand müsse ruchbar geworden sein, baß er in das HauS ,Zur Fortuna" hineingegangen sei, weiter indes reichte seine Fassungsgabe nicht, und er verband kein Begreifen damit, welcher so schweren Misse- tat er sich dadurch schuldig gemacht haben sollte, daß ihm eigentlich nur Gnade für Recht widerfahren und er ver dient hätte, noch in der letzten Stunde von der Schule ausgestoßcn zu werden. Verworrenen Kopfes ging er, der Notwendigkeit gehorchend, das Zeugnis seinem Vor mund zu überbringen, in dessen Stube er mit einem zag haften Herzklopfen eintrat. Der alte Justizrat empfing ibn verwunderten Blicks mit der Frage: „Was steht dir denn für Wasser am HalS? Du siehst nicht wie ein Bogel aus, der eben glücklich aus der Sprenkel loSgekommen ist." Stumm gab ihm der Befragte da» Blatt hin, da sein Vormund nahm, überlas, wieder zusammenfaltete und danach, ihn kurz mit den Augen bemessend, sagte: „Hm, der Schlußpassus macht sich ja hübsch; erimen capitalc »rquo Irrosao üekolasncae majcstLtits. E- scheint, daß dein Kopf dir eigentlich ohne die inckuigvntia «t minerioorriia mat«rua vor die Füße gelegt werden müßte. Erzähle mir mal, wie du zu solcher Schandtat gekommen bist." Dem leistete Dieter Folg«, berichtete von feinem jähre- kangen Wunsche, einmal da» Innere de» Fortuna-Hause» anzusehcn, und von seiner Ausführung diese» Ver langens, wie er sich dort in der Wirtschaft ein Gla» Pfeffermünz habe geben lassen und beim Weggehen ver sehentlich in die Wohnung einer sonderbaren, französisch sprechenden Dame geraten sei. Al» er dann sttllschwteg, versetzte der grauhaarige Advokat, kurz mit dem Kopfe nickend: ..ffinc illae lacriwae magistri. 8empor i<Icm ot «uxivm, über mich hat sein seliger Vorgänger sie auch ge weint. Ein bischen vorsichtiger hättest du freilich da- Ob jekt für deine Wißbegier auswahlen können, die Fortuna ist allerdings nickt gerade danach angetan. Aber dafür hat dein Scholarch gottlob ArguSaugen vorn und hinten, und du haft es jetzt zwar nicht begriffen, doch erfahren, quLntuIk ^»pientia juvoatu^ e<iuc»tm Oxenstierna wußte schon, daß die Ochsen in allen Ländern gleick und überall nnvergänglich sind Das gute Beste mutz jeder für sich selbst dabei tun, man kann » vielleicht auch dlw gute Glück beißen. Also die Parlirendc mit ihreui Hofstaat von Marschällen ist dir auch zu Augen und Ohren gekommen,
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