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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.05.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040527028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904052702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904052702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-05
- Tag1904-05-27
- Monat1904-05
- Jahr1904
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An zeigen-Preis die 6gespaltene Prtitzcile 25 Reklamen unter dem RedaklionSstrich (»gespalten) 75 nach den Familiennach- richten <6 gespalten) KO Tabellarischer und Zisternsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung X 70.—. Annahmeschlust sur Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von D. Pal» in Leipzig (Inh. vr. V., R. L W. Kltukhardt). Freitag den 27. Mai 1904. 98. Jahrgang. Var (vichligrte vom Lage. * Im Zittauer Lohnbezirke sind die Maurer in einen Streik eingetreten. * Der russische Minister des Innern beantragte bei dem Reichsrat die Aufhebung des Gesetzes, das den Juden die Ansiedelung und Aufenthalt an der Grenze bis zu einer Entfernung von 50 Werst verbietet. * Die Erstürmung von Kintschou durch die Ja paner bestätigt sich. (Siehe russisch-japanischer Krieg.) Der ttanrörirch-vatilranirche Konflikt. Aus Paris wird uns geschrieben: O. -l. Bezüglich des Charakters und der Bedeutung der Abberufung des französischen Bot- schafters beim Vatikan, Herrn Nisard, bestehen in den politischen Kreisen dreierlei Ansichten. Eine dieser Meinungen geht dahin, daß die französische Regierung nach Ablauf einer gewissen Frist einwilligen werde, einen neuen Botschafter beim heiligen Stuhle zu ernennen. Diese Eventualität würde, wie man glaubt, zur Vor- bedingung haben, dah der päpstliche Staatssekretär Merry de Val durch eine andere Persönlichkeit ersetzt werde oder wenigstens, daß Papst Pius X. eine Gelegen heit ergreife, um den durch die Note des Vatikans an die Regierungen der katholischen Staaten in Frankreich her- vorgerufenen, sehr tiefen Eindruck abzuschwächen. Nach einer anderen Hypothese wäre eine längere Dauer des durch die Abberufung des Botschafters Nisard geschaffe nen Standes der Dinge vorauszusehen. In diesem Falle würde bloß ein Geschäftsträger beim Vatikan be- lassen werden und die Botschaft tatsächlich als aufgehoben anzusehen sein, ohne daß die Beziehungen zwischen Frank reich und dem Vatikan abgebrochen wären. Schließlich ist die Anschauung zu verzeichnen, wonach die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich nunmehr in sehr naher Zeit zu erwarten wäre. Diesem Standpunkte neigen sich die Organe der vorgeschrittensten republikani schen. Kreise und eine gewisse Anzahl von Mitgliedern der republikanischen Majorität in den Kammern zu. Den Verfechtern derKündigungdesKonkor- dats ist durch die intransigeante Kundgebung des Vati kans sicherlich eine wirksame Waffe in die Hand gegeben worden. Nichtsdestoweniger darf man es als gewiß an sehen, daß die Verwirklichung dieser ernsten Maßregel, wenn sie auch durch das Vorgehen des heiligen Stuhls näher als früher gerückt sein mag, keinesfalls unmittel bar bevorstehe. Die Trennung von Kirche und Staat steht nicht auf dem Programm des Kabinetts, und es gibt in der gegenwärtigen Kammer nicht mehr als etwa hundert Deputierte, die sich gemäß den gegenüber ihren Wählern übernommenen Verpflichtungen als An hänger des erwähnten Planes erklärt haben. Die Politik des Ministers Combes zielt darauf ab, diese Neugestal tung vorzubereiten und sie mit dem vom Standpunkte der Unabhängigkeit des Staates, ebenso wie von dem der Freiheit der Gläubigen wünschenswerten Bürgschaften zu umgeben. Es herrscht die Ueberzeugung vor, daß es den Interessen des Staates wie denjenigen der Kirche zu widerlaufen würde, die erwähnte Aktion in einer Epoche der Feindseligkeit zwischen der französischen Regierung und dem Vatikan einzuführen, welches Gepräge der neue Zustand vielleicht dann für die Dauer behalten würde. Es ist demnach zu erwarten, daß die Beseitigung des Konkordats nicht die unmittelbare Folge des Konfliktes sein werde. Es könnte nur in dem Falle dazu kommen, wenn der Papst entschieden feindselige Absichten gegen die Regierung der Republik bekunden sollte. Wenn kein neuer Zwischenfall eintritt, werden die Dinge in ihrem gegenwärtigen Stande verbleiben und die französische Botschaft beim Vatikan wird bis auf weiteres von einem Geschäftsträger geleitet werden. ver Humana aer Herero. Der Entsatz von Okahandja nnv Ginarurn. Der Entsatz von Okahandja und Omaruru durch die Kompagnie Franke wird in einem vom „Mil.-Wochendl." ver öffentlichten Bericht sehr anschaulich geschildert. Wir heben einige der interessantesten Stellen nachstehend hervor: Der Sturm auf den Kaiser-Wilhelmsberg, der am 28. Januar dem Entsatz von Okahandja folgte, spielte sich folgendermaßen ab: Die Geschütze protzten an der Straße ab, die nach rechts entwickelten Schützen schoben sich, von oben beschossen, unter namenloser Anstrengung in dem zerklüf teten Gelände, teilweise auf dem Bauche unter den Dorn büschen durchkriechend, gegen das Okahandja-Rivier vor. Nachdem das mit großer Borsicht auf den rechten Flügel der Schützen gebrachte Gebirgügeschütz durch etwa 20 Schuß auf ZOO bis 600 m den Feind zur Flucht aus seinen Schanzen veranlaßt hatte, wurde unter teilweisem Einsinken bis zur Hüfte in dem Triebsande in Sprüngen das jenseitige Rivierufer erklommen und nach kurzer Ruhepause der Gipfel des Berges erstürmt. Zahlreiche Verwundete und Tote lagen in den natürlichen Felsenschanren; Felle, Decken und Hausgeräte bewiesen, daß das Hauptlager der Okahandja-Herero genommen war. Der rechte Flügel wurde um die Kuppe herumgeführt, so daß auch der letzte Schlupfwinkel nicht entgehen konnte. Schon rückwärts ge wendet, erhielt die Kompagnie nochmals von oben heftiges Feuer, wobei zwei Mann verwundet wurden. Nachdem auch dieser letzte bartnäckige Gegner überwältigt war, wurde Be fehl zum Sammeln gegeben. Der Sturm auf die auf steilen Höhen gelegene mächtige Stellung hatte sechs Stunden gedauert. Er hatte, mit einem Verlust von drei Verwundeten, von Offizieren und Mann schaften in vorzüglicher Haltung ausgeführt, die Kräfte der Sieger so völlig erschöpft, daß an einen Wcitermarsch nicht zu denken war. Vom Entsatz von Omaruru, der am 5. Februar erfolgte, war bereits bekannt, daß die Kompagnie auf einen heftigen Kampf nicht gerechnet hatte. Wie auS dem vorliegenden Bericht hervorgeht, legte sogar Hauptmann Franke am 5. in der Zuversicht, ohne Schuß in seine Station einzurücken und dort von dem entgegenkommenden Hererokapitän begrüßt zu werden, eine weiße Kord uniform an und ritt, um den Eingeborenen das Erkennen seiner Person zu erleichtern, seinen im Bezirk allgemein bekannten Schimmel. Erst 3 km vor der Station stellte sich dann heraus, daß die Kompagnie noch einen an Zahl vielfach überlegenen Gegner zu vertreiben hatte, ehe sie in ihre Garnison einrücken konnte. Der Kampf war sehr heftig. Mit welcher Schneidigkeit er von unseren Truppen geführt wurde, geht z. B. aus der folgenden Stelle über einen Vorstoß der Schützenlinie hervor: „Der Gegner war durch diesen Vorstoß, der die Schützenlinie durchZvie fabel hafte Tapferkeit einzelner bis in die vordersten Stellungen des Feindes vorgerissen hatte, so überrascht, daß seine Schützen von den unsrigen teilweise in den Schlupf winkeln niedergemacht wurden." Die Lage war zeit weise höchst kritisch. Trotzdem entschloß sich Haupt mann Franke rum Sturm auf die Station. „Nicht sogleich wurde der Rus des Kompagnieführers befolgt. Die feind lichen Geschosse hatten die Reihen gelichtet; dabei lag nur die Hälfte der Kompagnie in der Schützenlinie; die übrigen waren von der Artillerie, der Wagenbedeckung, als^ Pferde halter und als Sanitätspersonal beschäftigt. Die Sonne brannte heiß vom wolkenlosen Himmel, die Leute hatten so gut wie keine Nahrung zu sich genommen und waren durch die Eindrücke des achtstündigen Gefechts mächtig erschüttert. Als aber ihr schneidiger Führer sich vor sie setzte und gegen die Station galoppierte, da folgten unter Zusammenraffung der letzten Kräfte die Schützen begeistert und warfen den Feind aus der alten Station." Dabei wäre noch fast ein Unglück dadurch ein getreten, daß die Kompagnie eine Ausfallabteilung unter Stabsarzt Kuhn zuerst als Feinde ansah. „Da ließ Kuhn alle Leute aus dem Hause heraustreten und kommandierte ein dreifaches Hurra, um die Entsatztruppen vom Weiter feuern abzuhalten. Kurz darauf erfolgte die Vereinigung mit diesen." Lentweins Vormarsch. Wie dem „L.-A." aus Windhuk gemeldet wird, erreichte die Abteilung des Majors von Estorfs am 22. Mai mit der ersten Feldkompagnie und den Bastards Okamatangara. Laut Aussage von Hottentotten-Ueberläufern, welche den Herero vor zwei Tagen entliefen, stehen feindliche Posten etwa 20 Kilometer nordwestlich von Okama tangara. Häuptling Samuel Maharero soll diejenigen Teile der Herero, welche bereits östlich ausgewichen waren, wieder zum Waterberg herangezogen haben. Dort sollen drei Wagen Munition aus dem Ovamboland mit einer Bedeckung von 60 Ovambos angekommen sein. Die Ab teilung Estorfs wollte bis zum 24. Mai nach Okamatangara aufschiießen und dann das Eintreffen der Hauptabteilung abwarten, welche Anfang Juni von Okahandja nordwärts in ungefährer Richtung auf Osire vorrücken wird. Osire liegt etwa 100 km nördlich von Okahandja, dürfte also von der Hauptabteilung, wenn diese Anfang Juni auf bricht, noch in der ersten Hälfte dieses Monats erreicht werden. Von Osire bis zu dem in nördlicher Richtung gelegenen Waterberg sind dann nur noch 50 km zu überwinden, so daß, wenn alles glatt geht, etwa Mitte Juni neue, größere Kämpfe erwartet werden können. Von Okamatangara aus, das noch 90 km südöstlich von Waterberg entfernt ist, muß dann Major v. Estorfs mit der Hauptabteilung Zusammenwirken, während die schon am 23. Mai von Outjo weitermarschierte Abteilung des Oberleutnants v. Zülow sich dem etwa nach Norden zurück weichenden Feinde mit Erfolg vorlegen könnte. ver rurrirrd japanirche Weg. Vie Besetzung ven Aintsehen dnrch die Japaner bestätigt sich. Der „Standard" meldet darüber: Zu dem Erfolge der Japaner trugen viel die guten Leistungen ihrer Artillerie bei. Die Japaner eröffneten am Mittwoch ein heftiges Geschützfeuer auf die Hauptmacht der Ruffen bei Nankwanting an der schwächsten Stelle der Liautung-Halb- insel. Der Angriff von Kintschou begann am Donnerstag mit Tagesanbruch. Als die Japaner mittags Kintschou besetzten, zogen sich die Russen nach dem südlich gelegenen Hochlande zurück, wo sie ihren Widerstand fortsetzten. psrt Arthur. Ein Telegramm des Statthalters Alexejew an den Kaiser vom 25. Mai lautet: Ich erhielt heute einen Bericht Witthoefts. Der Feind beschoß die Jntschendsi- bucht mit Kanonenbooten. Am 19. Mai versuchten die Japaner in der Nacht die Reede von Port Arthur durch Minen zu sperren. Hierbei gingen, wie man auf Grund von Beobachtungen an der Küste glaubt, ein Dampfer und zwei Torpedoboote unter. Vom 18. bis 21. Mai wurden auf der Reede von Port Arthur elf feindliche Sperr minen aufgefischt. Aus Dalny sind der Handelsdampfer „Amur", ein Baggerschiff und eine Dampfbarkaffe nach Port Arthur gebracht worden. Aus der letzteren Bemerkung ist zu schließen, daß die Einfahrt nach Port Arthur für weniger tiefgehende Schiffe wieder frei ist. Die Ruffen müssen also die von den Japanern versenkten Sperrschiffe durch Sprengung wenigstens zum Teil beseitigt haben. Neue Ariegrfchiffe. Auf beiden Seiten fühlt man das Bedürfnis nach Ver stärkung der Flotte, deshalb bemüht sich Rußland um den Ankauf chilenischer Kriegsschiffe, während Japan mit dem amerikanischen Unterseeboot-Konstrukteur Lake einen Vertrag geschlossen hat, wonach dieser eine Anzahl geschulter Arbeiter nach Japan sendet, um dort Unterseeboote zu bauen. Der Gesundheitrznftanv der russischen Truppen. Der Inspekteur des Medizinalwesens der mantschurischen Feldarmee berichtet, daß der Gesundheitszustand der Truppen ausgezeichnet sei und kein Fall von Pest sich ereignet habe. Am 25. Mai herrschten in der ganzen Armee, abgesehen von Port Arthur, folgende Krankheiten: 6 Fälle Dysenterie, 8 Fälle Abdominaltyphus, 3 Fälle Flecktyphus, 6 Fälle Typhus anderer Art, 1 Pocken-, 1 Karbunkel-, 1 Skorbut-, 1 Masern-, im ganzen 27 Fälle. Im April kamen bei einem Regiment 5 Fälle Rücksalltyphus vor; jetzt ist die Krankheit erloschen' Die Gesamtzahl der Erkrankungen weist keine Ueberschreitung der Zahl der Erkrankungen zu gewöhnlicher Zeit auf. Feuilleton. Tamms Garten. 10j Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten. „Na, -er dümmste Einfall wär's nicht. Vielleicht fin den Sie was Besseres. Wenn Sie schon etwas wissen, lassen Sie's nicht schießen!" Die Servante ging wieder, auf ihrem Gesicht lag ein Zug von Verdutztheit. Ellendshcim fragte jetzt: „Meinst du's im Ernst, Detlev?" Dieser zuckte leicht die Schulter. ,Menn unser Korps zu stände kommt, muß alles ansehnlich bei uns sein, nicht zu unterirdisch, auch der dienende Kneipengeist. Deine Meinung, schien mir, war's ebenso, und ich denke doch, wir richten uns hier ein. Aber roveuous L uotro, L votro woutou! Tanten haben gewöhnlich auf hohen Kanten und sind gute Leihhäuser. Hast du Rauch ge schluckt?" Der Befragte hatte eine halbe Grimasse gemacht un versetzte: „Meine Tante, deine Tante — dabei fällt man meistens herein, bei meiner, glaub' ich, gewiß. Auf der hohen Kante wird sie wohl etwas haben, aber sicher nicht für uns. Uebrigens haust sie hier unter'm selben Dach." „In der Fortuna? Das ist ja ein Wink von der mit dem Zaunpfahl. Hat sic drei Köpfe, wie der Höllenhund über'm vergrabenen Silbertopf?" „Nein, nur einen, aber der ist verdreht, spleenig heitzt'S auf englisch. Ich kenn' sie kaum, soll's eigentlich auch nicht." ,Mas heißt daS?" „Da fragst du mehr, als ich sagen kann, das stammt aus einer Zeit her, ch' meine Mutter mir auf die Welt half. Damals ist die Tante mit der ganzen Familie aus einander gekommen, oder die hat nichts mehr von ihr wissen wollen. Was ich weiß ist bloß, bei uns war von je alles vaterländisch zugeschnitten, deutsch, teutsch, teu tonisch, davon hab' ich auch den schönen Namen Wichard, un- meine Schwestern heißen Helmtrwd und Jrmin- gard; wenn noch eine nachkäme, würd' sie wohl Amala- suntho getauft werden. Die Tante Heinrike aber, oder wie ich mit ihr verwandt -in, war ein vnkunt torribl« und schwärmte für die Franzosen; darüber sind sie sich zu guter Letzt in die Haare geraten, so daß sie mit Sack und Pack und -em, was ihr von einer Erbschaft gehörte, vom Gut weggezogen ist. Ich glaube, ein frattzösischcr Offizier hatte eine Zeitlang bei ihnen im Quartier ge legen, und der war eigentlich die c-ausa wovon» und blieb ein Perpetuum mobile in ihrem Kopf. Denn sie hatte sich heimlich mit ihm versprochen, oder bildete sich, als er abgerückt war, ein, er hätt's getan, und seitdem wartet sie aus ihn, daß er kommt, um sie zu heiraten, und hat sich ihre ganze Stube von unten bis oben mit Aussteuer möbeln für die Hochzeit vollgestopft. Als ich sie einmal besuchte, zu Haus bei mir durften sie's nicht wissen, er zählte sie mir, er wäre jetzt General und ein besonderer Günstling vom ompereur, nächstens würde er in seiner Equipage vorfahren, um sie zur Trauung äbzuhvlen. Ihr Mundwerk kauderwelscht fast immerzu nur fran zösisch, aber mir kommt's vor, ein Pariser Straßenjunge würde meist darüber lachen, und wer sie Hcinrike statt Henriette nennen wollte, könnt', glaub' ich, seine Angen vor ihren aristokratischen Krallen in acht nehmen." Wichard Ellendshcim hatte das, was er von seiner Tante zu berichten wußte, mit belustigtem Ton vvrgcbracht, sah beim Schluß auf seine eignen sorglichst gepflegten und langzugespitzten Fingernägel herunter, und Detlev Petzold siel lachend ein: „Vor den Ccrberuskrallen wär' mir nicht bange, wenn er einen Nibelungenhort zu hüten hat. Dein Charakter wird mir bedenklich, Wichard, dir fehlt die Achtung vor höheren weiblichen Semestern, und besonders sollte solche schätzbare Verwandtschaft dir liebe vollen Respekt einslößen. DaS muß ich auswetzc», so viel Französisch, um einen alten Drachen sirr zu machen, bring' ich wohl noch zuwcg, so daß für die Korpskasse etwas davon absällt." „Schneid' dich beim Wetzen nicht an einer schartigen Klinge, Pctzvld; was dir's cinbrächtc, wär' höchstens ein moralischer Kater. Eine Vestalin ist eine vom Tingel tangel gegen die Tante, und sie würde die gute (Gelegen heit beim Schopf fassen, dir den Kopf mit grüner Seife von Lehren der Tugend für die Jugend zu waschen; ich fürchte, dein Gesicht hätte was Einladendes dazu für sie. Vor den Jnquisittonsaugen solcher alten Jungfern läuft einem eine Gänsehaut über den Rücken; ich war froh, als ich die Tür wieder zwischen ihr und mir hatte." „Na, sonst kneifst du grab' nicht auf ner Mensur, es hat an dem Tag wohl just irgend 'ne Bewandtnis gehabt. Wasser läßt sich abschütteln, und die Seife beißt nicht; es wächst der Mensch mit seinen größeren Zwecken. Du sollt'st besser im Schiller beschlagen sein, Wichard — was für'« Kopf steckt sich da durch die Tür? Das ist keiner von unser« —" Eine Tür hatte sich geöffnet, und es stand jemand un gewiß zaudernd hinter ihr vor der Schwelle. Detlev Petzold strengte seine Augen an, durch den Tabaksrauch zu sehen, dann fügte er seinen Worten nach: „Ist das nicht das lange Pennal, das ich schon 'mal hier getroffen? Ich glaube, er ist Fuchs jetzt, richtiger ein Wolf — lupus ox tabula —" Der unschlüssig draußenvor Stehende war in der Tat Dieter Lindcnholz. Er hatte, dem Ratschlag seiner ihm von Damms Garten zugeführten Freundin Folge leistend, an gestrigen und heutigen Abend mehrere von Kneipgruppen der allgemeinen Studentenschaft besiedelte Wirtschaften ausgesucht, doch unbeachtet als Zuhörer und Zuschauer in einer dämmrigen Ecke sitzend, nirgendwo an dem Treiben Gefallen und einen Antrieb zu längerem Verbleiben gefunden. Was sich vor seinen Augen und Ohren zugetragcn, war ihm überall gleicherweise in haltsleer und langweilig, mannigfach auch roh und ab stoßend vorgekommen, so daß er sich heute wie gestern mit der Gefühlserkenntnis auf den Heimweg.begeben, sein ursprünglicher Vorsatz, sich als Finke keiner Ber einigung anzuschließen, habe die richtige Wahl getroffen. An diesem Abend indes hatte er ein Mas Bier, das er sich vorsetzen lasten gemußt, halb ohne Wissen ausgetrun ken, zum ersten Male in seinem Leben, und war wohl dadurch beeinflußt worden, beim Nachhausegehen an der Fortuna vorüber in diese hincinzutreten; elwas von Neugier, ob die vornehme Patentjunkcr-Gesellschaft wirk lich, wie es hieß, hier am Abend beisammen sei, mochte dabei in ihm mitgespielt haben. Jetzt aber, wie er eine Tür geöffnet und unmittelbar vor dem von Köpfen an gefüllten Kneipzimmcr stand, rührte es ihn schreckhaft an, und zugleich wachte ihm erst das Gedächtnis an die absonderliche schwarze Auswärterin auf, da er sie drüben, mit einer Hantierung beschäftigt, am Buffettisch stehen sah. So wollte er sich unbemerkt wieder zurückziehen, doch zu spät, denn der adlige Student, mit dem er schon zweimal, hier und draußen vor der Tür, kurz zusammen getroffen, war vom Sitz ausgestanden, trat gegen ihn zu und sagte in äußerst einnehmend.höflicher Sprech- weise: „Bist du's und jetzt ein legitimer Sohn der »Im» water? Mir kommt's, ich lud -ich ein, du möchtest uns doch einmal abends hier besuchen; mein Leibfuchs hätte Fersengeld geben müssen. Entschuldige, man hat den Kopf vom Kolleg her immer so voll, wie war doch dein Name?" Um den hatte der Fragesteller sich allerdings beide Male bei den Begegnungen nicht bekümmert und konnte ihn schwerlich gewußt haben. Aber die Form seiner Er kundigung und ihr Ton stachen so gewinnend von der Aus- drusckart der übrigen Studenten ab, deren Bekanntschaft Dieter seit gestern vom Hören und Sehen gemacht, daß er eilig der an ihn gerichteten Aufforderung nachkam Detlev Petzold wiederholte: „Lindenholz — das klingt ja vortrefflich! Leute von so gutem Holz sehen wir gern bei uns. Komm, ich will dich bekannt machen." Er faßte den noch leicht Zaudernden am Aermel und zog ihn über die Schwelle; der Hereingeführte brachte, ein bißchen stotternd, hervor: „Wenn es erlaubt ist, Herr von Petzold, und Sie mich —" Doch der Angesprochene schnitt ihm das Wort ab: „Nein, mein lieber tiliaeeus, manches ist erlaubt, aber das nicht. So viel angeborene Fuchskundiigkeit solltest du -och haben, zu wissen, daß die univorsitas litoraruw nichts anderes als eine ausgewachsene Schwester der sokola latina ist und deshalb auch nur lateinisch spricht, das heißt, unter ihren Familienangehörigen nur die Anrede „Du" kennt und in ihrer mädchenhaften Natürlichkeit von einem „Ihr, „Er" und „Sie" und sonstigen Unterschieden keine Ahnung hat. Hätt's ein anderer gehört, so wärst du gleich beim Eintritt über ein Glas pro poena gestolpert. Ich heiße „Petzold, du" — tiliaoeus ist übrigens gut als Kneip name für dich, nur zn lang, wir wollcn's zu „Lilins" ab kürzen. — Paula! Eine Flasche Ritdesheimer und drei Gläser. — von Ellendsheim, stuck, jur. «t cam. — Linden holz, wohl auch Jurist im ersten Semester. Ich habe ibn eingeladcn, nns zu besuchen." Wichard Ellendsheim war ausgestanden und sagte in Begleitung einer leichten Kopfneigung artig: „Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen. Ans der Straße ge sehen lmbe ich dich wohl schon, du bist mir durch deine GröHc aufgefallen." Auch die am Nebentisch Sitzenden erhoben sich und begrüßten, die Hände an ihre Cereviskappen legend, den vorgestelltcn Ankömmling. Das Benehmen aller bildete einen starken Gegensatz zu dein, das er an den letzten beiden Abenden in den Kncipzimmern der andern Studenten kennen gelernt, besonders zu ihrem herrisch.
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