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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041217025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904121702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904121702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-17
- Monat1904-12
- Jahr1904
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Anzetgen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 2S Reklamen unter dem Redaktion-slrich (4 gespalten) 75 nach den Familiennach. richten («gespalten) 50 — Tabellarischer und Zissernsap werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H. Annahmefchlutz t«r Anzeigen. Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet» au dte Expedition zu richten. Extra-Vetlageu (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Dir Expevitton ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. Dr. «., R. L W. Klinkhardt). Nr. 642. Sonnabend den 17. Dezember 1904. 98. Jahrgang. Var Aichligrir vom läge. ' In Königshütte und Umgegend herrscht die Genickstarre. Mehrere Todesfälle sind bereits zu verzeichnen. * InLinz wurde gestern von sozialdemokra tisch e n D e m o n st r a n te n die Fenster des Bischoss palais zertrümmert. (S. Ausland.) * Da durch nationalistische Blätter heute wie- der das Gerücht von derErmordung SYvetons verbreitet wird, fordert Clemenceau die amtliche Auf klärung aller Umstände. (S. Ausland.) * In Warschau wurde, weil die Studenten am Tage des Prozesses gegen Plehwes Mörder de monstrierten, das Polytechnikum geschl ossen. (S. Ausland.) Isslonialttagrn. In der Abteilung München der Deutschen Kolonial- gesellschaft hat Graf von Götzen, der Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, kürzlich einen Vortrag gehalten, aus dem wir einige Hauptpunkte schon kurz wiedergegeben haben. Tas behandelte Thema verlangt jedoch wegen seiner großen Bedeutung noch eine Stellungnahme, und in gleichem Matze hat der Redner Anspruch auf Be achtung. Bekanntlich wird die Frage, ob in den Kolonien Militär- oder Zivilverwaltung am Platze sei, von den linksliberalcn Blättern mit Enthusiasmus zu Gunsten der Zivilverwaltung beantwortet. Es kommt hierin die Abneigung gegen den Militarismus zunz Ausdruck, die nun einmal ein historisches Erbteil unserer demokrati- schen Parteien ist. Dem gegenüber erklärt Graf Götzen mit dem gesunden Menschenverstände des Praktikers, es sei ganz gleichgültig, aus welchem Berufe ein Kolonial beamter stamme, es handle sich lediglich um die Persön- lichkeit. Unerläßlich sei nur, daß der Gouverneur stets die oberste Verfügungsgewalt über die Schutztruppe habe. Wie vorurteilslos der Graf den Anklagen des Militaris- mus und Assessorismus gegenübersteht, ergibt sich dar aus, daß er die Neigung zum Vielregieren offen bekennt, die den deutschen Beamten und Offizieren im Blute stecke, und erklärt, gerade die Erkenntnis müsse zuni Kampfe gegen diese Schwäche anspornen. Auch er tritt für eine Teilnahme der weißen Bevölkerung an der Ver- waltung ein, doch empfiehlt er, die Mitglieder der Bei räte ernennen und nicht wählen zu lassen. Der Charakter der Kolonie, die stets in einer Art Kriegszustand lebt, läßt ja auch die völlige Durchführung parlamentarischer Grundsätze als schwer möglich erscheinen. Trotzdem scheint uns Graf Götzen in diesem Punkte den großen Wert des Vertrauens, den gewählte Ansiedler vertreter vor manchen voraus haben, zu unterschätzen. Im Gegensätze zu manchen anderen Kolonialpolitikern betont Graf Götzen, daß ihm niemals von der Wilhelm- straße in Berlin zuviel dreingeredet worden sei, „mit Aus- nähme in Sachen des Rechnungswesens". Dem gegen über muß man aber hervorheben, daß gerade diese Ein schränkung außerordentlich wichtig ist, denn da jede Maß nahme Geld kostet, so ist eben eine Beschränkung in den Ausgaben zugleich eine Beschränkung im Handeln, und darüber ist kein Zweifel mehr möglich, daß Regierung und Reichstag durch ihre übel angebrachte Sparsamkeit die Mitschuld an dem Aufstande in Südwestafrika auf sich geladen haben. Vor einigen Tagen hat dies auch Herr von Perbandt in der „Täglichen Rundsckxui" durch- aus überzeugend ausgeführt. Dies sind die allgemeinen Gesichtspunkte, die wir dem Vortrage des Grafen Götzen entnehmen. Für das deutsch-ostafrikanische Schutzgebiet im besonderen erklärt Graf Götzen eine Neuorganisation der Schutztruppe für notwendig, da sie beweglicher lverden muß. wenn Millionen Neger und Araber mit 2300 Mann im Zaum gehalten werden sollen. Die Schutztruppe, die jetzt an bestimmte Stationen gefesselt ist, soll künftighin in eine Feldtruppe und in eine Polizeitruppe getrennt werden. Tic Kosten dieser Neuorganisation werden nach Angabe des Redners 100 000 Mark nicht übersteigen. Uebrigens dürfte in zehn Jahren die Deckung der Verwaltung-Z- ausgaben aus eigenen Mitteln erreicht sein. Graf Götzen empfiehlt ferner den Ausbau des Straßen- und Wege netzes und vor allem eine Aenderung des Wehrgesctzcs. TaS bisherige Wehrgesetz, das die Verpflichtung zum Dienen in Deutschland auferlegt, verhindert viele An siedler, Deutsche zu werden. Graf Götzen faßt sein Ur teil dahin zusammen, daß die Aussichten Ostafrikas gut seien, vorausgesetzt, daß wir nicht die Geduld verlieren. Glücklicherweise macht sich ja in Deutschland selbst die Einsicht geltend, daß wir nicht mit einer sofortigen hohen Verzinsung unserer kolonialen Ausgaben rechnen dürfen und daß uns nur die Aufgabe zufällt zu säen, damit künftige Generationen ernten können. ver nirriscd-iapanircbe ftrieg. Vie neuen russischen Heere»sorniatienen. Von den der 3. Armee zugewiesenen Truppen findet der General Baron Kaulbars, der, wie gemeldet wurde, in Mukden cingetroffen ist, nach dem „B. T.", nur erst das 8. Armeekorps (Generalleutnant Mylow) und das 6. sibirische Armeekorps (General der Infanterie Soboljow) schon am Feinde vor. Bereits unterwegs und mit den Spitzen schon über den Baikal see hinüber sind die Scklltzenbrigaden: sie würden die nächste Verstärkung für die 3. Armee bilden, doch werden Stimmen laut, die die Verteilung der fünf Schützenbrigaden auf die 2. und 3. Armee bestimmt wissen wollen, dergestalt, daß Gripenberg zu der 2. Armee die 1., 2., 5., dagegen Kaulbars zur 3. Armee die 3. und 4. Brigade erhält. Die letztere dürfte zunächst eintreffen und schon aus dem Grunde Kaulbars zuqe- wiesen werden, weil sie im selben Militärbezirk ihre Friedensgarnisonen hatte. Ten Sckützenbrigaden folgt das 16. Armeekorps (Generalleutnant Toyornin), diesem das 4. Armeekorps (Generalleutnant Maßlow). Beide Korps kommen bestimmt zur Armee Kaulbars. Es ist sehr optimistisch gerechnet, wenn man in hiesigen General stabskreisen annimmt, daß man Mitte Februar diese gesamten Truppen der neuen 3. Armee bis auf den letzten Trainsoldaten und das letzte Trainfahrzeug auf dein Kriegsschauplatz zur Stelle haben will. Sind diese Truppen alle versammelt, dann will man eine Ueberlegenheit von 80 bis 100 000 Mann über die Japaner erlangt haben und dann die zweite große Offensive beginnen. Japan wird allerdings gewaltsame An strengungen machen müssen, um nur annähernd die gleiche Truppenzahl aufzubringcn. Durch die Fest setzungen des neuen Wehrgezetzes hat es Menschen über genug, aber was fehlt, sind Offiziere. Rußland kann bei dem neutralen Verhalten seiner Nachbarn andauernd seine europäischen Kadres plündern, und es tut dies auch gründlich. Ueber 300 Offiziere der euro päischen Regimenter sind in den letzten Wochen wieder nach dem Kriegsschauplatz abgegangen, es waren diesmal gank besonders ausgesuchte, tüchtige Leute. Augenblicklich ist auch im Bereich des 1., 8., 10., 16. und 17. Armee- korps die Formation der Ersatzbataillone mit Rekruten depots im Gange, deren Formation man auffallend lange hinausgeschoben hatte. Allerdings bestanden schon in Sibirien einige Ersatzformationen seit Beginn des Krieges, die aber kauni genügt haben dürften, den er forderlich gewordenen Ersatz zu liefern. Dieser ist zweifel- los, soweit er erfolgt ist, den nicht mobil gemachten europäischen Armeekorps entnommen. Graf Andreas Lolftoi. Andreas Graf Tolstoi, ein Sohn des Grafen Leo Tolstoi, der als Freiwilliger in der Mantschurei dient, hat für die Tapferkeit, die er als Ordonnanz des K o m ma n d a n t e n des 6. Armeekorps bewiesen hat, das Georgskreuz erhalten. Die rnsfischen Arenzer. Wie aus Petersburg gemeldet wird, sollen die zur 3. Abteilung der baltischen Flotte gehörenden Küste n- kreuz er in 6 Wochen nach Ostasicn abgehen, wäh rend der Rest des Geschwaders im Mai folgen wird. Nach einem Telegramm aus Dakar ist der russische Kreuzer „Terek" dort eingetroffen. Die Arthur-Meldung über Lschifu. Der „Daily Telegraph" meldet aus Tschifu vom 17. Dezember, General Stössel sei durch einen Ge wehrschuß verwundet worden, doch sei die Verwundung nicht schwer. Die frühere Kopfwunde heile aus. Die japanischen Schiffe beteiligten sich am Bombardement. Ein Blockadebroch er habe 1000 Tonnen Mehl nach Port Arthur gebracht. Es träfen viele Dschunken ein. an deren Besitzer die Russen für jede Fahrt etwa 300 Pfund bezahlten. politische Tagesschau. Leipzig, 17. Dezember. Eine neue Aera in der Polenpolitik? Tas offizielle bayerische Zentrumsorgan verbreitet die Nachricht, daß Pius X. gegenüber dem Prinzen Albrecht den Wunsch ausgesprochen hätte, Kaiser Wilhelm mögen seinen polnischen Untertanen „größere Religions freiheit" zugestehen, worauf Prinz Albrecht die formelle Zusage gemacht habe, daß die Verfügungen, die den Religionsunterricht in polnischer Sprache verbieten, zurückgezogen werden sollten. Hier liegt wieder einmal ein Fall vor, in welchem ein promptes und bündiges Dementi äußerst erwünscht wäre. Erfolgt es nicht, so muß man das Schlimmste befürchten. Eina „neue Aera" in der Polenpolitik wäre in Jahrzehnten nicht wieder gutzumachen. Wir können uns dann auch einst weilen noch nicht entschließen, die Meldung als wahr an zunehmen. Schwerlich war Prinz Albrecht autorisiert, irgendwelche formelle Zusagen zu machen, und so ist cs wahrscheinlich, daß ein unverbindlichsr Gedankenaus tausch hier zur festen Abmachung umgedichtet worden ist. Die heutige Polenpolitik ist im Wesentlichen das Werk des Grafen Bülow; er hat sich mit ihr identifiziert und könnte eine Umkehr nicht gutheißen, ohne damit ein moralische eHarakiri an sich zu vollziehen. Leider gibt uns selbst diese Erwägung nickt den Mut, die Meldung kategorisch ins Reich der Fabel zu verweisen: zu oft ist in den lebten Jahren schon Ereignis geworden, was allen unmöglich schien. „Schrittmacher der Sozialdemokratie". Staatssekretär von Posadowsky hat bei den Konfer- vativen und Bündlern kein Glück. Er mag es an fangen, wie er will, er kann es den Herren nicht recht machen. Jetzt -hat er im Reichstag durckzaus maßvoll und sachlich über die Assoziation des Kapitals gesprochen. Dabei hat er aber das Unglück gehabt, daß auch sozialdemokratische Blätter, die ihm sonst gewiß nicht „grün" sind, ihm Anerkennung gezellt haben. Deshalb fallen die agrarisch Gesinnten nun um so wütender über ihn her. Tie „Dtsch. Tagesztg." schreibt an hervorragender Stelle: Was Graf Posadowsky in seiner Reichstagsrede vom Dienstag entwickelte, da's war eine Bekenntnis zu jenem Kathedersozialismus, der in seinen Konsequenzen schließlich zum reinen Sozialismus führen -muß. Wer in der Assoziation des Kapitals die treibende Ursache des Kultursortichrittcs sicht, der muß diese Assoziation fördern; und daß schließlich die uneingeschränkte Assoziation zum Sozialismus führen muß, das ist der Sozialdemokratie unbedingt zuzugeben. Graf von Posadowsky hat freilich sein Bekenntnis etwas ein geschränkt; er hat die Gefahren nicht verkannt und die Notwendigkeit betont, daß etwas für den Mittelstand geschehe. Was wollen aber diese Ein- schränkungen gegenüber dem grundsätzlichen Stand punkte bedeuten? . . . Die Hoffnungen, die von Freunden unserer Bewegung jahrelang gerade auf den Graten von Posadowsky gesetzt wurden, sind ge täuscht. Zwischen unserer und seiner wirtschafts politischen Anschauung gähnt eine Kluft. Je mehr Graf von Posadowsky die Anerkennung der Sozial demokratie findet und verdient, um so mehr muß er das Vertrauen des Mittelstandes verlieren. Hier gibts nur ein Entweder — Oder. Eine Regierung, deren Vertreter in den Warenhäusern Stätten der Intelligenz und in der Assoziation des Kapitals die Ursachen de!s Kultursortschrittes erblickt, dars sich nickst wundern, wenn der Mittelstand in die Bahnen der schärfsten Opposition ge drängt wird. Aehnlich sagen die „Hamb. Nachr." Es handelt sich bei dem Standpunkt des Staats sekretärs lediglich um die politisch und praktische Anwendung dessen, was die „modernste" und „vor- Feuilleton. Die heilige Caeeilie. 53j Roman von Marie Bernhard. Nachdruck brrvoten. Pauline machte sich nicht viel aus Kindern, sie hatte früher oft in Häusern gedient, wo es welche gab, und dort hatte sie sic „satt bekommen!" Aber dies Kerlchen da im Faltenkittel, das ihr die Gnädige auf der Photo graphie gezeigt, das gefiel ihr wirklich, es hatte ganz „der Kleinen ihre Augen", auch ihr Lächeln, — es mußte ein ausnehmend nettes Kind sein! Und nun war es mit einem Male krank, — und gleich so krank, daß es an's Sterben gehen konnte! Unmittelbar vor dem Konzert, von dem wohl viel abhängen mußte, denn es Npwen viele Proben gewesen, und gestern war der neue Gesanglehrer der „Kleinen" gar selbst ins Haus ge kommen und hatte mit ihr Musik gemacht, — wunder voll, so daß Pauline nicht vom Schlüsselloch weg gekonnt hatte! Ta waren denn auch die Worte an ihr Ohr ge schlagen: „Also Kopf hoch, Frau Mentzel, und bedenken Sie, was für Sie auf dem Spiel steht! Wir bekommen die ersten musikalischen Autoritäten in unser Konzert, --- dafür hab' ich gesorgt, — und zwei ganz große Unter nehmer, die Sie mit Grazie lancieren können, falls Sie reüssieren von den Herren Kritikern und Rezen- senten ganz zu schweigens — Alles private und persönliche Gefühl dahinter lassen ... und eben bloß Kunst sein — ganz Kunst, — und zeigen, was Sie können und, mit Verlaub, was auch ich kann! Wir beide müssen eine hohe Nummer ziehen, sonst ist's halt nix! Hervor mit der Stimme — und den Schmelz so goldig heraus bringen, daß den Leuten das Herz im Busen zu weichem Wachs wirdi" — Kaum war der Gesanqsmeistcr fort gewesen, da hatte die junge Frau schon wieder am Schreibtisch gesessen und eine Karte an ihren Vater geschrieben, — es gingen zwei bis drei täglich ab, heute früh hatte Annemarie sogar ein Telegramm geschickt. Tie letzte Nachricht war beute gegen Mittag eingetroffen, eine Postkarte von Bruder Heinz. „Der Zustand des Karlemännchens ist unver ändert, liebe Annemi; Papa läßt Dir sagen. Du sollst Tick nicht zu- viel ängstigen. Du bekommst morgen noch einmal Nachricht, und wenn es ganz schlimm wird, depeschieren wir, das hat Vater fest versprochen!" Pauline hatte sich erlaubt, diese Karte zu lesen, ehe sie sie hereintrug; Annemarie teilte ihr zum Ucberfluß nochmals den Inhalt mit, — sie mußte sich zu einem Menschen wenigstens in ihrer Herzensangst aussprechen, denn ihr Gatte verhielt sich ihrem Kummer um das todkranke Brüderchen gegenüber gänzlich passiv. — Er hatte noch seine Tätigkeit an der Scherwitz-Oper, obschon mehr dem Namen nach, — denn der zweite Kapellmeister dirigierte fast alles und nahm auch größere Neueinstudie rungen vor. Oswald hatte mithin reichlich Muße, an seine Oper zu gehen, — er schloß sich auch zuweilen in sein Zimmer ein, aber selten nur drangen verlorene Geigentöne an Annemaries Ohr; sie fragte auch nie mehr danach, ob er etwa komponiere und was. Seit jener Aus sprache zu Ende März hatte sie Glauben und Vertrauen zu ihrem Mann verloren, sie konnte den Gedanken an die Serenade nicht los werden, die quälenden Zweifel ließen ihr keine Ruhe. Was war ihr Mann, — was konnte er, ... . vor allem . . . . was war er ihr? Sein kleinlicher Neid, seine bis ins Unerhörte gesteigerte Eitelkeit und Selbstüber schätzung, seine krankhafte Empfindlichkeit, und dazu das Bewußtsein, ihm weder geistig noch seelisch nahe zu sein, .... alles dies drückte schwer auf Annemaries Stimmung und lähmte ihre sonst so rege Schwungkraft. Ohne Freude hatte sic das Honorar für ihre PreiSkompo sitioncn in Empfang genommen und still beiseite gelegt. Es Oswald nochmals anzubieten, wagte sie nicht, da cr sich so höhnisch und geringschätzig über ihren Wunsch, ihm in seinen Geldverlegenheiten beizustehen, geäußert batte. Die Ehegatten sahen sich nur bei den Mahlzeiten und tauschten gleichgültige Bemerkungen miteinander, Oswald war sehr viel auswärts, widmete sich auch häufig der Familie, während Annemarie so selten als möglich hinging. Tante Babette Ringhaupt, die einzige, die sich ihr wirklich unverändert teilnehmend und freundlich bezeigte, war ini April nach Meran gegangen, — das Verhältnis der jungen Frau zu den Schwiegereltern war äußerst unerquicklich. Direktor Mentzel wagte es nicht, der jungen Schwiegertochter irgend welche Sympathie zu bezeigen, aus Furcht, seine ohnehin schon schwer gereizte Frau noch mehr zu verstimmen. Beide Eltern hatten es Annemarie mehr als deutlich zu verstehen gegeben, daß sie endlich jetzt die Früchte ihrer „jahrelangen Wohl taten und Geldopfer" zu ernten erwarteten. Von dem be vorstehenden Konzert hinge alles ab, cs müsse zu einem definitiven Engagement führen, und sie, die junge Frau, würde dann endlich Gelegenheit finden, „einen Teil ihrer Dankesschuld abzutragen und der Familie zu beweisen, daß man nicht umsonst namhafte Summen an sie ge wendet". — Wie von tausend Nadelstichen gepeinigt, hatte Annemarie dies angehört, — Oswald war ihr mit keinem Wort zu Hilfe gekommen. Ihm mußten die Geldverlegenheiten buchstäblich über den Kopf wachsen, da cr es nicht länger unter seiner Whrdc fand, sich eventuell von seiner Gattin helfen zu lassen. Stand sie als eine vielversprechende Konzertsängerin da, konnte sie einen günstigen Kontrakt abschlicßen, so war den Schreiern nnd Drängern einstweilen der Mund gestopft. Oswald hatte sich auch äußerlich während der letzten Zeit auffallend verändert. Alles Einnehmende in seinem Gesicht war verschwunden: schlaff und verschwommen die Züge, der Blick getrübt und unsicherer denn je, das Lächeln erzwungen, die Haltung nachlässig, — jo war er der „entzückende Mensch", das „Genie" nicht mehr, — die Familie sah dies, — mußte es sehen und stimmte der Parole, die seine Mutter darüber aus gegeben, bei: „Die Fran hat ihn ruiniert! Oswald und seine schöne Begabung ist auf dem Wege, an dieser Ehe zu Grunde zu gehen!" Hätte Annemarie während dieser Wochen nicht ihre Kunst gehabt, — cs wäre schlimm um sie bestellt gewesen! Aber gerade die Kunst bedarf einer gewissen Freudigkeit, einer Elastizität der Seele, die sie wie auf Adlersfittichen emporträgt über des Lebens Dumpfheit, seine tägliche Misere. Wo- her diesen Aufschwung, diese Flugkraft nehmen? Ach, — fort von all' diesen lieblosen, verständnislosen Menschen, — hinauf in reinere, freiere Regionen! Etwas leinen — wirken können, und dann ihnen heimzahlen — alles — alles — jedes Goldstück, das sie für sie hingegeben — dann den Staub von den Füßen schütteln, sie alle, alle nie mehr Wiedersehen nnd sich frei fühlen, — nur sich selbst gehören und der Kunst!! Oft, oft, wenn solche Gedanken über sic kamen, fand Annemarie fick vor dem Bilde der „Heiligen Cäcilia" stehen, ge dankenvoll emporblickcnd. minutenlang, um sich Kraft und Mut zu holen von dem holden Geschöpf, das lauschend, — erwartungsvoll dasitzt, und dessen un schuldiger Kindcrblick zu fragen scheint: „was geschieht mir? Was bringt nur das Leben, — die Zukunft?" Ja, ja, so hatte Annemarie Lombardi gelächelt und geblickt, damals, vor fünf Vierteljahren noch, als Frank Holbein sie aus dem Gedächtnis malte! Es war viel geschehen seitdeni! Wer sie jetzt als „Heilige Cäcilia" malen wollte, der würde sie vielleicht schöner finden, — durch geiskigter, — aber den Ausdruck ihres Gesichtes würde er total ändern miisi'en! Jetzt auch, da Pauline nach der Flurtür gegangen war, lenkte Annemarie mechanisch ihren Schritt zu dem Gemälde, war es, weil sie ihre Schutzheilige um ihre Hülfe bitten wollte zu dem bevorstehenden Konzert? War
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